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Der Schatten des Krieges

Challenge 3. Platz
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08.07.2012
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Der Schatten des Krieges

Es begann wie immer mit einem Pfeifen, hoch oben im wolkenverhangenen Himmel. Einer der Leutnants rannte umher, brüllte Befehle. Die Mannschaften stürzten aus den Zelten und warfen sich in die morastigen Schutzgräben. Dann trat ein eigenartiger Moment transzendenter Stille ein. Erik Brandt wusste nicht, ob er sich diesen Moment lediglich einbildete, aber es war, als käme noch einmal alles zur Ruhe, als gäbe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen und auf das, was sie verloren hatten.
Als die Sprenggeschosse einschlugen, erbebte die Erde unter der Wucht ihrer Detonationen. Das Bollern der Mörser mischte sich mit dem Fauchen der Granaten, die von Feldgeschützen in flachem Bogen heranzischten. Erdreich wurde meterhoch in die Luft geschleudert, prasselte auf die Sturmhelme der Infanteristen. Der Feind verstärkte das Artilleriefeuer, und das Getöse explodierender Zwei-Zentner-Wurfminen rollte mit solchem Druck über die Männer hinweg, dass einige von ihnen Blut spuckten. Maschinengewehrbeschuss fegte über die Stellung, zerfetzte die hölzernen Schanzbauten. Schrappnelle hagelten herab – Kreischen, Donnern, Blutgeruch. Rauchwolken, orangefarben angestrahlt vom Flackern der in Brand geschossenen Unterstände.
»Rückzug!«, gellte die Stimme des Leutnants durch das Chaos. »Sammeln bei letzter Verteidigungsposition.«
Die Männer sprangen auf. Brandt glitt aus, schlug der Länge nach in den Graben. Jemand riss ihn hoch. Flucht in gebückter Haltung, im Rücken, lauter werdend, das Knirschen berstender Schanzwände – ein Schauer von Holzsplittern jagte durch die Kampfstände.
»Rückzug! Rückzug!«
Und dann – die Männer sprangen, rollten, wälzten sich über die rückwärtigen Deckungswälle – der Feind. In breiter Schützenlinie heranrückend, aus Sturmgewehren und Repetierern feuernd. Brandt hob seine Waffe an die Schulter und schoss in stummer Verzweiflung.


Er umklammerte den Griff seiner Pistole, starrte auf die Tür und lauschte. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Zehn Minuten vielleicht. Oder auch eine Stunde. Er glaubte, noch immer das Echo der Schüsse zu hören. Er musste raus aus diesem Zimmer, raus aus der Siedlung. Er musste …
Als die Dämmerung einsetzte, trat Brandt ans Fenster und spähte hinunter auf die menschenleere Straße. Er schob die Fünfundvierziger in das Holster an seinem Gürtel, schaute sich um. Schränke und Schubladen standen offen, der Hausrat lag auf dem Boden verteilt. Bettwäsche, Handtücher, Kleidungsstücke und Geschirr.
Brandt zog das Messer aus dem Stiefel. Nachdem er ein Laken in Streifen geschnitten hatte, durchsuchte er eine hölzerne Truhe, einen Nachttisch, eine Kommode. Er schlich ins Badezimmer. Auch hier war bereits das meiste geplündert worden. Doch in einem Schubkasten des Spiegelschränkchens fanden sich zwei Aspirin, eine Nagelschere und ein Päckchen Heftpflaster.
Glasscherben knirschten unter den Stiefelsohlen, als er in den Flur trat. Im Obergeschoss des Hauses gab es drei Zimmer. Er würde sie durchsuchen, sich dann die untere Etage vornehmen und schließlich den Keller.
Im letzten Licht des Tages stand Brandt am Küchentisch und betrachtete die Dinge, die ihm das Leben retten konnten – darunter eine Taschenlampe, ein Kochtopf, Nähzeug, Panzerband, zwei Dosen grüner Erbsen.
Noch einmal ging er von Raum zu Raum, blieb vor einem Schrank stehen, den er bereits durchwühlt hatte. Es war ein abgewetzter Koffer aus Schweinsleder. Brandt holte den Koffer heraus, öffnete ihn, kippte den Inhalt aus: abgetragene Kleidung, eine Arbeitsjacke, zwei Herrenhosen mit Gürtel, Unterwäsche.
Er schnitt zwei Löcher in den Koffer, zog den Gürtel aus einer Hose, fertigte einen provisorischen Tragegurt und ging wieder in die Küche. Nachdem er alle Sachen verstaut hatte, hievte er sich den Koffer auf den Rücken, justierte den Tragegurt. Er öffnete die Haustür, schaute die Straße hinunter, und dann umgab ihn die Nacht.


Im Licht des Mondes wirkte die Welt wie erstarrt. Da war keine Bewegung, kaum ein Laut, nur das Geräusch des Windes, der durch die Blätter der Apfelbäume strich. Brandt kniete im Sickergraben neben der Straße und zitterte. Bis zum Waldrand mochten es zweihundert Meter sein. Zweihundert Meter über offenes Feld.
Er holte Luft, sprang auf und rannte los. Der Koffer auf seinem Rücken schlug ihm ins Kreuz. Die Stiefel sanken in den Ackerboden, jeder Atemzug brannte in der Brust. Still und abweisend stand der Wald wie eine schwarze Wand vor ihm.
Als der Schuss durch die Nacht krachte, kippte Brandt vornüber ins Feld. Eine Weile lag er bewegungslos im Mondlicht. Irgendwann hörte er Schritte, dann wurde es wieder still. Erst jetzt biss der Schmerz in seine linke Schulter.
Hinter ihm, nur ein paar Meter entfernt, knarrte das harte Leder von Stiefeln. Brandt wälzte sich herum und feuerte. Eine schlanke Gestalt sank zu Boden. Brandt stemmte sich hoch. Die Pistole im Anschlag machte er ein, zwei Schritte. Als er das blasse Gesicht des Jungen sah, hockte er sich zu ihm. Während seine Augen die Umgebung absuchten, tastete er an der Halsschlagader nach dem Puls. Nichts.
Brandt ergriff das Jagdgewehr, eine Repetierbüchse in schlechtem Zustand. Er entsicherte, öffnete den Verschluss. Keine Patrone in der Kammer, das Magazin der Waffe leer. Auch in Jacke und Hosen des Jungen fand sich keine Munition. Da war nichts bis auf eine Plastikflasche mit etwas Wasser, ein Päckchen Streichhölzer, ein wenig Tabak und zwei selbstgedrehte Zigaretten. Brandt nahm alles an sich, zog dem Toten die Strickmütze vom Kopf, und eine Minute später verschluckte ihn der Wald.


Harte Schatten und Kanten in Brandts Gesicht – im Schein des Reisigfeuers bandagierte er die Schusswunde. Nachdem er Kompressen auf dem Ein- und Austrittsloch der Kugel platziert hatte, zog er die in Streifen geschnittenen Stofffetzen fest um die Schulter.
Er streckte die Hände über dem Feuer aus, das in einer Erdmulde knisterte, und starrte in die Flammen. Seit dem ersten überraschenden Angriff hatte er nur reagiert, war gerannt, geflüchtet, hatte sich versteckt. Die Stimme in seinem Kopf, das war jetzt der Soldat, der Fernspäher, der Einzelkämpfer. Bring dich in Sicherheit, sagte sie. Überlebe!
Der Ruf einer Eule schreckte ihn auf. Doch es war nicht das Iuuh, Iuuh des Nachtvogels, das ihn beunruhigte. Es schien, als sei mit dem Schrei der Eule etwas erwacht - in den Tiefen des Waldes jenseits des Feuerkreises regte sich ein Wille.
Brandt sprang auf, zog die Waffe und machte ein paar Schritte weg vom Feuer, hinein in Dunkelheit. So stand er in der Kälte der Nacht, roch das Harz der Kiefern, ließ den Blick über die vom rötlichen Flackerlicht erleuchteten Bäume und Büsche schweifen. Das Visierkorn der Pistole strich über die Stämme von Föhren, Birken und Eschen, über Weißdornbüsche, über Schlehe und Ginster.
Das Lagerfeuer war beinahe erloschen. Tiefe Stille lag jetzt über allem, nur hin und wieder knackte ein Zweig in den letzten Flammen. Allmählich zerflossen die Konturen des Waldes. Brandt visierte über seine Waffe hinweg in die Finsternis.
Dann sah er die Kreatur. Im Glutschein des ausgebrannten Feuers trat sie aus der Schwärze und fixierte Brandt mit kaltem Blick. Er würgte, spürte, wie sich Wasser in seinem Mund sammelte, spürte den Brechreiz, das Rumoren in den Eingeweiden. Die Pistole krachte und – alptraumhaft verlangsamt – wankte er zurück, feuerte, sah, wie der Verschluss der Waffe eine Hülse nach der anderen herausschleuderte, hörte das dumpfe Hämmern der Fünfundvierziger.


Mit erhobenen Händen trat er aus dem Dickicht. Das blonde Mädchen hinter dem Ziehbrunnen richtete die Schrotflinte weiterhin auf ihn. Es wartete, bis er sich auf zehn Schritte genähert hatte und sagte dann mit fester Stimme: »Hinknien! Hände oben behalten.«
Brandt kniete sich ins Gras. Der Himmel lastete wie ein grauer Block über ihnen. Wolkenfetzen trieben niedrig dahin.
»Du siehst übel aus«, sagte das Mädchen schließlich. »Hast du gekämpft? Wirst du verfolgt?«
Brandt deutete mit dem Kinn auf den Brunnen. »Ich will nur etwas Wasser.«
»Folgt dir jemand?«, fragte das Mädchen erneut, diesmal mit mehr Nachdruck.
Brandt schüttelte den Kopf. Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, sagte er: »Ich bin Erik, Erik Brandt. Wie heißt du?«
Er spürte, dass sich die Platzwunde über der rechten Schläfe wieder geöffnet hatte. Aus ihr sickerte warm das Blut, und ein Pochen hinter der Stirn setzte ein.
»Jenny«, sagte das Mädchen, und sie sagte noch mehr, doch ihre Worte vermischten sich mit einem Rauschen, das stärker und stärker wurde.


Als Brandt die Augen öffnete, blickte er in den Lauf einer Pistole.
»Die brauchst du nicht«, sagte er. »Ich werde dir nichts tun.«
Jenny saß rittlings auf einem Stuhl und richtete seine Fünfundvierziger auf ihn.
Brandt setzte sich im Bett auf und schaute sich in dem schäbigen Zimmer um. Außer dem Bett, dem Stuhl und einem niedrigen Tisch gab es keine Möbel. Die beiden Fenster waren mit Zeitungen und Lumpen verdunkelt, eine Gaslaterne, die in der Ecke am Boden stand, warf ein trübes gelbliches Licht in den Raum.
In diesem Licht wirkte Jennys Gesicht blass und schmal. Mit geröteten, müden Augen schaute sie Brandt an.
»Deine Wunde an der Schulter sollte genäht werden«, sagte sie.
»Hm.«
»Ich habe sie mit Salzwasser desinfiziert, auch die anderen Verletzungen versorgt ...«
»Danke.«
Brandt betrachtete Jennys Gesicht und fragte sich, ob sie ihn mit einer leeren Waffe bedrohte oder inzwischen nachgeladen hatte.
»Ich kann die Wunde nähen«, sagte er. »Aber ich habe mein Med-Kit verloren.«
»Ich werde sie nähen«, sagte Jenny. »Aber vorher müssen wir was klären.«
Brandt nickte.
»Ihr Männer glaubt, dass wir schwach sind.« Jenny presste die Lippen zusammen, und einige Minuten lang sagte niemand ein Wort.
»Wenn du irgendwas versuchst«, fuhr sie schließlich fort, »töte ich dich.«
»Okay«, sagte Brandt.
»Sag nicht okay«, erwiderte Jenny, und ihre Stimme klang rau. »Schau mich an.«
Brandt betrachtete ihre schmalen, grünlich schimmernden Augen. »Ich töte dich«, sagte sie noch einmal.


Am nächsten Morgen kontrollierte Jenny den Zustand der Wunde. Brandts Pistole steckte im Holster an ihrem Gürtel.
»Die Naht ist gut«, sagte sie und griff nach der Notfalltasche, die auf dem Tisch lag. »Das wird heilen, aber du darfst dich nicht zu viel bewegen.«
»Hm.« Brandt knöpfte das Hemd zu. »Als ich gestern beim Brunnen umgekippt bin, wie hast du mich hierher gebracht?«
Jenny kaute auf der Unterlippe und schwieg. Sie sortierte Bandagen, Kompressen und eine Rettungsschere in die Fächer des Med-Kits.
»Ist das ein Geheimnis?«, fragte Brandt.
»Ich hatte Hilfe«, sagte sie schließlich.
»Ja?«
Jenny schloss die Notfalltasche. »Wir reden später darüber«, sagte sie. Und dann: »Willst du rauchen?« Sie griff in die Seitentasche ihrer Cargohose und holte die Zigaretten und Streichhölzer hervor, die Brandt dem toten Jungen abgenommen hatte.
»Wo ist mein restliches Zeug?«
»Ist sicher verwahrt. Du kriegst es zurück.«
Brandt steckte sich eine Zigarette an und rauchte.
»Was soll der dämliche Koffer?«, fragte Jenny. »Gibt´s keine Rucksäcke mehr bei der Army?«
Brandt sah sie an, sagte aber nichts.
»War mir gleich klar, als ich dich gesehen habe: die Tarnklamotten, das Stiefelmesser, die Armeepistole … Bist du von der Front geflohen?«
»Von der Front?«, wiederholte Brandt.
»Von welcher Einheit bist du?«, fragte sie. »Pioniere? Fallschirmjäger?«
Brandt nahm einen Zug und blies Rauch unter die schimmlige Zimmerdecke
»Erst Fernspäher, dann Jagdkommando«, sagte er. »Du kennst dich in diesen Dingen aus?«
Jenny nickte. »Mein Vater war Sanitäter bei den Fallschirmjägern.«
»Hast du von ihm gelernt, wie man Wunden näht?«
»Nicht nur das.« Sie schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann schloss sie den Mund und schwieg.
»Wie alt bist du?«, fragte Brandt. »Sechzehn? Siebzehn?«
»Alt genug«, antwortete Jenny. Und mit einem sonderbaren Blick fügte sie hinzu: »Heute sind alle alt genug.«


Elias stand am gusseisernen Herd, als Jenny und Brandt die Küche des Hauses betraten. Der alte Mann begrüßte sie mit einem Nicken und sagte: »Setzt euch. Ich habe Tee gekocht.«
Tatsächlich. Das Aroma von schwarzem Tee hing in der Luft. Elias bemerkte Brandts Überraschung. »Jenny hat vor ein paar Tagen einen verlassenen Bunker entdeckt«, sagte er. »Die Vorräte werden sehr nützlich sein.«
»Das sollten Sie besser für sich behalten«, erwiderte Brandt.
»Tja«, sagte Elias, »da haben Sie wahrscheinlich recht.«
Ein wenig später, als sie zusammen am Tisch saßen und den mit Honig gesüßten Tee tranken, schaute Brandt überrascht auf. Im Herd knisterte das Kochfeuer.
»Was ist?«, sagte Jenny.
»Ich hatte vergessen …«, sagte Brandt, doch dann verstummte er.
Elias trank einen Schluck und räusperte sich. »Also, wir hören so gut wie gar nichts von der Front. Überhaupt vom Krieg. Oder von irgendwas.«
Brandt nickte.
»Die Netze sind zusammengebrochen«, fuhr Elias fort. »Kein Strom, kein Funk ...«
»Nicht mal Radio?«, fragte Brandt.
Elias schüttelte den Kopf. »Naja, anfangs schon. Aber jetzt nicht mehr.«
Brandt rieb sich die Stirn.
»Erzähl schon«, drängte Jenny. »Was ist da los?«
Brandt starrte in sein Teeglas. »Es gibt keine Front mehr«, sagte er. »Es gibt nur noch Chaos und Tod.«
Er berichtete, wie seine Einheit aufgerieben und zerstreut wurde, berichtete von seiner Flucht, dem wochenlangen Campieren im Wald und wie er sich auf der Suche nach einem Kommandoposten durch die Wildnis geschlagen hatte.
»Und dann, als ich eine unserer Siedlungen erreichte, wurde ich angegriffen«, sagte er. »Von unseren Leuten. Zivilisten. Ich warf den Rucksack ab, rannte und versteckte mich in einem Haus.«
Jenny nickte. »In den Städten herrscht Terror - jeder gegen jeden. Und hier ist es nicht viel besser. Keiner weiß, ob die Regierung …« Sie brach ab, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Dieser Krieg«, sagte Brandt gedankenversunken. »Das ist unser Ende.«


Brandt hob den Feldstecher vor die Augen. Jenny hatte ihn eine Stunde lang auf Schleichwegen durch den Wald geführt. Jetzt kauerten sie im Unterholz hinter Brombeersträuchern und schauten hinüber zu einer Scheune, in der bewaffnete Männer ihr Lager errichtet hatten.
»Nachts patrouillieren zwei Wachen«, flüsterte Jenny. »Das ist alles.«
»Wer sind diese Leute?«, fragte Brandt. Im schwächer werdenden Licht der Abenddämmerung konnte er Männer mit Sturmgewehren und Schrotflinten ausmachen. Sie saßen am Lagerfeuer und tranken, spielten Karten oder hantierten mit ihren Waffen. Auf dem Dach der Scheune stand ein Späher mit Fernglas und Repetiergewehr.
»Sie folgen Ruger, einem Mann aus dieser Gegend«, erwiderte Jenny. Plündern, töten, vergewaltigen.«
»Was hast du mit ihnen zu tun?«
»Sie halten Jonathan, meinen Bruder, fest.«
Brandt setzte das Glas ab und schaute Jenny an.
»Ich gehe zwei Mal in der Woche zu ihnen«, sagte sie. »Helfe bei der Versorgung ihrer Verletzten.«
»Und als Gegenleistung …«
»… lassen sie meinen Bruder am Leben.« Jenny schluckte. Dann sagte sie: »Ich gebe dir die Hälfte unserer Vorräte. Dein Zeug und deine Waffen natürlich auch. Hilf mir, meinen Bruder rauszuholen.«
»Dieser Ruger«, sagte Brandt, »ist der jetzt dort?« Er gab Jenny das Glas. Es dauerte nicht lange, bis sie Ruger gefunden hatte.
»Die drei Typen am Feuer«, sagte sie und gab das Fernglas zurück. »Der in der Mitte, das ist er.«
Brandt betrachtete ihn.
»Scheint betrunken zu sein.«
Jenny nickte. »Ja, sie trinken alle viel. Und Ruger ist besonders schlimm.«
Sie stieß Brandt leicht mit Ellbogen an. »Aber das ist unser Vorteil, nicht wahr? Sie sind unvorsichtig.«
Brandt rieb sich das Kinn. »Aber auch unberechenbar«, sagte er.


Elias saß Brandt gegenüber und beobachtete, wie dieser einen Filzstopfen auf das Ende des Putzstocks setzte und die Kontermutter anzog. »Eine schöne Waffe«, sagte er und tippte mit den Fingerspitzen auf den Vorderschaft des Jagdgewehrs.
Brandt nickte. »Aber in erbärmlichem Zustand.«
»Der Vorbesitzer hat es mit dem Reinigen wohl nicht so genau genommen«, sagte Elias. Einen Augenblick lang schauten sie einander in die Augen.
»Es war ein Junge«, sagte Brandt. »Keine sechzehn Jahre alt.« Er beträufelte den Stopfen mit ein wenig Öl, führte den Putzstock durch die Kammer in den Lauf und begann, die Jagdbüchse zu reinigen.
Elias erhob sich, füllte Wasser in den Teekessel, stellte ihn auf die Kochherdplatte.
»Was ist aus ihm geworden?«, fragte er. »Ich meine, aus dem Jungen?«
Brandt wechselte den Filzstopfen gegen eine Messingbürste, schraubte sie am Putzstock fest und fuhr schweigend mit dem Säubern der Waffe fort.
»In diesen Zeiten ist es schwierig, das Richtige zu tun«, sagte Elias. » … die Werte bewahren, die wir …«
»Ich habe den Jungen erschossen«, sagte Brandt und hielt inne. »Er versuchte, mich zu töten, also erschoss ich ihn.«
Einige Minuten sagte niemand ein Wort. Als das Wasser im Teekessel zu brodeln begann, erwachte Brandt aus seiner Erstarrung, griff nach dem Putztuch und wischte die Patronenkammer der Repetierbüchse aus.
Elias brühte schwarzen Tee auf, ließ ihn ziehen. Nachdem Brandt das Putzmaterial zusammengelegt und verstaut hatte, saßen sie am Tisch und rührten in ihren Tassen.
»Ich hatte vergessen, wie Tee mit Honig schmeckt«, sagte Brandt.
»Ja«, erwiderte Elias. »Geht mir auch so. Es ist nicht mehr viel übrig von der Welt, die wir kannten.«
»Noch mal wegen des Jungen«, sagte Brandt. »Ich wollte das nicht. Töten oder getötet werden, das war´s.«
Elias schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ist es so einfach?«
»Was meinen Sie damit?«
»Als Jenny mich bat, Sie vom Brunnen hierher ins Haus zu schaffen, wusste ich nicht, wer Sie sind.«
»Das ist etwas anderes«, wandte Brandt ein.
»Offen gesagt, Sie machten keinen vertrauenswürdigen Eindruck.«
»Ich war verletzt.«
»Stimmt. Aber wäre es für uns nicht sicherer gewesen, Sie da einfach liegen zu lassen?«
Brandt trank einen Schluck und schwieg.
»Jedes Leben ist kostbar, Erik. Gerade Sie sollten das verstehen, nachdem, was Sie im Krieg erlebt haben.«
Brandt erhob sich. Er ging ein paar Schritte in der Küche auf und ab.
»In der Nacht bevor ich Jenny traf«, sagte er, »da bin ich im Wald einer Kreatur begegnet.«
Elias schaute auf. »Einer Kreatur?«
»Ja, einem schrecklichen … Ding. Einem Monster.«
»Ein Tier? Was war so schrecklich daran?«
Brandt schüttelte den Kopf. Er starrte ins Leere. »Kein Tier. Eine Kreatur mit zerfetztem Gesicht, kalten, grausamen Augen, bösem Blick. Sie … schaute mich an.«
»Und dann?«
»Ich schoss das ganze Magazin leer. Wir kämpften. Dann verschwand das Ding in der Finsternis. Vielleicht habe ich es getötet. Bin nicht sicher.«
Schweigen erfüllte den Raum. Lange Zeit sprachen sie nicht.
»Kann es sein, dass der Krieg Sie verfolgt?«, sagte Elias irgendwann.
»Was meinen Sie? Dass ich Wahnvorstellungen habe?«
»Ich meine, dass der menschliche Geist manchmal besondere Wege geht, um die Welt in der Balance zu halten.«


Jenny zog die Pistole aus dem Holster und legte sie vor Brandt auf den Küchentisch.
»Nimm sie, ist ja deine«, sagte sie. »Wollte sie dir schon gestern geben.«
Brandt ergriff die Waffe, drückte die Magazinentriegelung und zog das Magazin heraus. Eine Patrone. Er entsicherte die Pistole, schob den Verschluss ein wenig zurück und schaute in die Kammer der Fünfundvierziger.
»Ist das alles?«, fragte er. »Zwei Schuss?«
»Tut mir leid, mehr habe ich nicht«, erwiderte Jenny.
»Und deine Schrotflinte?«
»Drei Patronen.«
Brandt schüttelte den Kopf. »Damit schaffen wir es nicht.« Er steckte sich eine Zigarette an und rauchte.
»In der Scheune gibt es Munition«, sagte Jenny.
»Du willst sie stehlen? Zu gefährlich.«
Jenny griff nach Brandts Zigarette. Sie nahm einen Zug, blies den Rauch langsam aus. »Ich versuche es«, sagte sie.


Stechmücken umschwirrten Brandt, als er seinen Beobachtungsposten am Waldrand bezog. Die Sonne stand bereits im Südwesten, von der Siedlung jenseits des Scheunencamps wehte Fäulnisgeruch herüber.
Brandt schaute durch das Fernglas zum Lager von Ruger und seinen Männern. Von Jenny wusste er, dass Jonathan im hinteren Teil der Scheune festgehalten wurde, wo sich auch zwei von Rugers verletzten Leuten aufhielten.
Auf dem Dach stand wieder ein Schütze mit Jagdgewehr, und zwei weitere Wachen patrouillierten in der näheren Umgebung. Drei oder vier Männer saßen am Feuer.
Brandt verfolgte, wie sich Jenny dem Camp näherte. Sie trug ihre Notfalltasche. Eine der Wachen sprach sie an, und sie wechselten ein paar Worte. Jenny ging weiter, verschwand in der Scheune.
Sie hatten verabredet, dass sie sich beeilen sollte. Nur kurz nach Jonathan und den Verletzten schauen, unbemerkt zwei Schachteln aus der Munitionskiste nehmen, und dann nichts wie weg.
»Wenn du nicht sicher bist, dann lass es«, hatte Brandt ihr eingeschärft. »Dieser Mann …«
»Ruger kann nicht auf mich verzichten«, erwiderte Jenny. »Wer soll seine Leute behandeln, wenn er mich tötet?«
Die Sonne bewegte sich nicht vom Fleck. Die Zeit schien still zu stehen. Brandt schaute vom Tor der Scheune zum Schützen auf dem Dach, zu den Männern am Feuer, zur Sicherungspatrouille und wieder zum Scheunentor. Mücken zerstachen ihm Gesicht und Nacken. Schweiß biss in die Augen.
Endlich! Jenny trat heraus und ging mit leichtem Schritt an den Wachen vorbei. Brandt sah, wie ihr blonder Pferdeschwanz im rötlichen Licht der Sonne wippte. Sie hatte sich fünfzig Meter oder mehr von der Scheune entfernt, als Ruger herausstürzte. Er brüllte etwas, fuchtelte mit seinem Gewehr.
Brandt stockte der Atem. Lauf, flüsterte er. Lauf um dein Leben!
Ruger schwankte. Er riss seine Waffe hoch und feuerte. Das Sturmgewehr knatterte, und Brandt sah, wie hinter Jenny Erde hochspitzte. Sie rannte los.
Die Männer der Sicherungspatrouille hatten noch nicht verstanden, was hier passierte, doch jetzt schrie Ruger ihnen etwas entgegen. Zögernd hoben sie die Gewehre. Auch der Schütze auf dem Dach legte an. Einige Sekunden lang zielte er durch das Glas seiner Repetierbüchse.
Feuerstöße zuckten aus den Sturmgewehren, bereits die ersten Schüsse trafen Jenny, und sie stürzte. Brandt sah, dass sie sich noch bewegte. Dann krachte das Jagdgewehr des Schützen auf dem Dach. Die Kugel zerschmetterte Jennys Hinterkopf.
Brandt ließ den Feldstecher sinken. Das Blut rauschte in seinen Schläfen, als er durch das Dickicht zurück in den Wald kroch. Irgendwann stemmte er sich hoch, es dämmerte schon. Brandt wankte, machte eine paar Schritte, dann setzte er sich wieder, lehnte seinen Rücken an den glatten Stamm einer Buche. Er fuhr sich mit der Hand über das zerstochene Gesicht und wartete auf den Anbruch der Nacht.


Elias und Brandt saßen in der Küche am Tisch. Die eiserne Feuertür des Kochherds klirrte leise im Luftzug. Lange sprach niemand ein Wort.
»Ich werde sie alle töten«, sagte Brandt, als bereits der Morgen dämmerte.
»Rette nur den Jungen«, sagte Elias. »Das ist alles, was zählt.«
Brandt ballte die Fäuste. »Ich muss mich in der Gegend umsehen, ein paar Häuser durchsuchen.«
»Weshalb?«
»Ich brauche Munition, zumindest ein paar Schuss für den Repetierer.«
Elias nickte. »Es gibt eine Jagdhütte in den Wäldern, ein paar Kilometer nördlich von hier. Ich kann es dir auf der Karte zeigen.«
»Warum habt ihr mir davon nichts gesagt?«
Elias zuckte die Schultern. »In der Hütte ist nicht mehr viel zu holen, Jenny war schon ein paar mal dort. Aber sie könnte etwas übersehen haben. Du solltest es versuchen.«
Als Brandt am nächsten Abend zurückkehrte, schaute Elias ihn erwartungsvoll an. »Und?«
Brandt legte seine Sachen ab und griff in die Brusttasche der Armeejacke. Er stellte die Patrone auf den Tisch. Die Messinghülse glänzte golden im Licht der Gaslampe.
»Nur ein Schuss?«, fragte Elias.
»Das wird reichen«, erwiderte Brandt.


Am Morgen war Elias früh auf den Beinen. Brandt hörte, wie er von Zimmer zu Zimmer ging.
»Was tust du?«, rief er durchs Haus.
»Ich packe unsere Sachen«, gab Elias zurück. »Wir werden hier nicht mehr sicher sein.«
»Und wohin sollen wir gehen?«
»Vielleicht zur Jagdhütte, das wäre ein Anfang.«
Etwas später, Elias legte im Herd gerade Holzscheite nach, trat Brandt in die Küche und stellte den Schweinslederkoffer auf den Tisch. Er öffnete ihn, holte die Plastikwasserflasche und das Panzerband hervor.
»Kannst du mir kurz helfen?«, fragte Brandt.
»Sicher.« Elias wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. »Was soll ich tun?«
Brandt schloss den Koffer, stellte ihn zur Seite und legte das Jagdgewehr auf den Küchentisch. Er löste ein paar Streifen vom Panzerband und klebte sie an die Tischkante.
»Schieb die Flasche über die Laufmündung. Ja, so ist es gut. Halte sie gerade.«
»Was soll das werden?«, fragte Elias. Er verfolgte, wie Brandt die Flasche mit dem Klebeband zunächst am Lauf des Gewehrs fixierte und sie dann kreuzweise umwickelte.
»Wird halten«, sagte Brandt, und als er sah, dass Elias ihn noch immer verständnislos anschaute, fügte er hinzu: »Das dämpft den Mündungsknall.«


Nebel lag über der nächtlichen Landschaft. Feuchtigkeit kroch in die Kleider, beschlug das Glas des Zielfernrohrs. Brandt lag frierend im Dickicht des Waldrandes und ging noch einmal alle Schritte seines Plans durch. Als die patrouillierenden Männer hinter der Scheune verschwanden, lud er die Patrone in das Jagdgewehr. Das Zielfernrohr hatte er bereits justiert. Er schätzte die Entfernung auf hundertfünfzig Meter.
Als sich das Fadenkreuz über die Silhouette des Schützen auf dem Dach der Scheune schob, hämmerte der Puls in Brandts Schläfen. Er atmete durch und wartete. Allmählich beruhigten sich seine Nerven, und dann war er bereit.
Er presste den Gewehrkolben in seine Schulter, zielte auf den Kopf des Schützen, in Höhe von Nase und Ohren, sein Finger suchte den Druckpunkt des Abzugs. Der Kolben stieß ihn mit scharfem Ruck, als die Waffe knallte. Der Späher auf dem Dach der Scheune brach zusammen.
Brandt legte das Gewehr ab, ergriff die Schrotflinte und lief los.
Die beiden Wachen der Patrouille mussten etwas bemerkt haben. Die Gewehre im Anschlag näherten sie sich der Scheune. Sie standen dicht beieinander, verständigten sich mit Handzeichen.
Brandt umging sie in weitem Bogen und schlich sich dann von hinten an. Als er den ersten Schuss mit der Flinte abfeuerte, war er kaum zehn Meter von ihnen entfernt. Die Schrotgarbe streckte einen der beiden Männer sofort nieder, der zweite taumelte, machte noch ein paar Schritte und fiel dann ins Gras.
Brandt sprang auf, lief zu ihm, entwand dem Toten das Sturmgewehr. Er warf sich zu Boden, bettete den Vorderschaft der Waffe auf der Leiche und zielte. Als Sekunden später drei Männer aus der Scheune stürzten, zerfetzte sie das Dauerfeuer das Sturmgewehrs.
Brandt griff zum Magazinhalter am Gürtel des Toten, schleuderte das leere Magazin aus der Waffe und lud nach. Wenige Augenblicke später war er in der Scheune, schoss, sprang von Deckung zu Deckung. Dann wurde es still.
Als er mit dem Jungen auf dem Arm wieder ins Freie trat, dämmerte im Osten bereits der neue Tag.


Schwer atmend setzte Brandt einen Fuß vor den anderen. Immer wieder musste er daran denken, wie er vor Rugers Leiche gestanden hatte. Er wollte auf diesen Körper spucken, das Gesicht mit dem Stiefel zertreten, er wollte …
Doch Elias hatte recht. Alles, was jetzt zählte, war der Junge. Er wusste es, wenn er fühlte, wie sich das Kind an ihn schmiegte, wenn er das wilde Pochen seines Herzens an der Brust spürte.
Im Morgengrauen erreichte er das Haus. Die Tür stand offen. Brandts Hand zitterte, als er die Fünfundvierziger aus dem Holster zog. Er schaute in alle Räume, ging wieder nach draußen und nach hinten zum Hof. Bis zum Brunnen war es nicht weit.
Unwillkürlich fing er an zu laufen. Er presste Jonathan an sich und rannte. Rannte, bis jeder Atemzug in der Brust brannte.
Und dann sah er es. Die Leiche des alten Mannes lag im Gras. Über ihr, die bösen Augen starr auf Brandt und den Jungen gerichtet, hockte die Kreatur aus dem Wald, bleckte die Zähne.
»Nein«, stieß Brandt hervor und hob die Waffe. Er entsicherte, der Finger legte sich gegen den Abzug, doch dann erstarrte er und stand einfach nur da, mit erhobenem Arm, das Kind an sich gepresst. Brandt beobachtete, wie sich die Kreatur aufrichtete, umwandte und mit tierhafter Gewandtheit im Dickicht des Waldrandes verschwand. Bevor das Wesen ganz von den Schatten verschluckt wurde, blickte es noch einmal zurück und fixierte Brandt mit einem letzten drohenden Blick.
Brandt ließ die Waffe sinken, schob sie ins Holster an seinem Gürtel. Er drehte sich um, streichelte den Kopf des Jungen auf seinem Arm und ging zurück zum Haus.

 

Hallo @Achillus,

was ich immer wieder an deinen Geschichten bewundere ist, wie souverän du schreibst. Anfänglich hatte ich irgendwo noch ein Fehlerchen gefunden und dann war ich Gefangene der Geschichte und habe auf etwaige weitere Fehler nicht mehr geachtet, wollt einfach nur wissen, wie es weitergeht. Gut gemacht!

Jetzt kommt aber ein ABER: wieso verschwendest du dein Talent an Geschichten, mit nur sehr wenig Botschaft? Ich bin mir sicher, dass du auch deutlich tiefgründigere Geschichten schreiben kannst.
Vielleicht sehe ich aber auch den Wald vor lauter Bäumen nicht?
Ich schildere dir, was in dieser Geschichte bei mir angekommen ist:

Erik Brandt, so die 1. Szene, befindet sich in den Kriegswirren des 1. Weltkriegs. Dort muss er kämpfen und scheinbar hat er es geschafft zu überleben, aber diese Erinnerungen lassen ihn nicht los, verfolgen ihn wie es der Titel und Elias schon sagen, wie ein Schatten. Für mich war die 1. Szene so eine Art Albtraum, den er wieder durchlebt. Tatsächlich liegt für ihn der 1. Weltkrieg länger zurück oder?

Vielleicht spielt die Begegnung zwischen Jenny, ihm und Elias auch tatsächlich in derselben Zeit wie der 1. Weltkrieg, keine Ahnung, hierzu habe ich im Text eigentlich keine Anhaltspunkte gefunden.
Warum auch immer, denn nicht jeder Soldat, der von der Front kam, hatte psychische Probleme, Erik Brandt dieses Wesen im Wald sieht, das Wesen ist nur in seiner Phantasie.
Die Verletzung, denn dass er verbunden wird von Jenny und Elias scheint Fakt zu sein, hat er sich vermutlich im Krieg zugezogen? Nach meiner Einschätzung nicht. Aber wer hat denn dann und aus welchem Grund auf ihn geschossen?

Weshalb die beiden nichts über den Krieg wissen, also über seinen aktuellen Stand, finde ich dann aber doch verwunderlich, denn der 1. Weltkrieg fand nicht an Stellen statt wo keine Menschenseele lebte, ergo könnten die beiden auch nicht von Informationen, Nachrichten abgeschnitten sein. Du siehst, ich schwimme da. Mir fehlt ein wenig der logische Zusammenhang.
Und meine soeben gestellten Fragen setzen dann auch voraus, dass Erik letztendlich aktuell desertiert ist. Vielleicht rührt die Verletzung aus dem Krieg? Und die Szene, bei der er einen Jungen erschießt, ist ein Wiederaufleben seiner dramatischen Kriegserlebnisse?

Und wozu ist das Kind entführt? Welchen Hintergrund soll das haben? Und welchen Zweck verfolgen? Offensichtlich stehen keine Lösegeldforderungen an. Und wenn dieser Trupp Versprengter an der Scheune das Kind bei sich gefangen hält, damit Jenny immer wieder zur Krankenpflege erscheint, frage ich mich, wieso sie es so umständlich handhaben. Sie könnten doch gleich Jenny zwangsweise bei sich behalten.

Dass Erik am Ende der Geschichte nicht zurückschießt, ist dann eine Art Anfang einer Genesung, nicht wahr? Auch, dass ihm sozusagen das Kind hilft, zu heilen, denn irgendwie scheint es diesen Heilungsprozess in ihm zu bewirken, finde ich einen guten Schluss.

Fazit: die einzelnen Passagen sind sehr professionell geschrieben, gute Stimmung erzeugt und plastische Figuren. Aber ich habe zu viele Fragezeichen im Kopf, was den Handlungshergang anbelangt. Schade.
Ich wünschte, ich würde von dir klarere Handlungen(blondinentaugliche) und vor allen Dingen Tiefgründigeres lesen können, denn ich mag die Art wie du schreibst.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita, ich habe mich sehr gefreut, dass Du meine Geschichte kommentiert hast. Vielen Dank dafür. In Deiner Kritik sprichst Du mehrere Punkte an, auf die ich kurz eingehen will.

Wieso verschwendest du dein Talent an Geschichten, mit nur sehr wenig Botschaft?

Ich hole mal ein bisschen weiter aus, hoffe, meine Sichtweise wird dann klarer. Zur Zeit gebe ich mit einem Freund mal wieder ein Seminar an einem Gymnasium. Wir bringen Jungen und Mädchen den Umgang mit Gewalt bei, in geschlechtergetrennten Gruppen, weil bei den Mädchen ein Fokus auf der Abwehr von sexuell motivierter Gewalt liegt. Was wir bei diesem und anderen Kursen sehen ist, dass die Menschen keine Ahnung von diesem Thema haben (obwohl es der Dauerbrenner in Filmen und im TV ist) und dass sie nur geringe Fähigkeiten besitzen.

Auch die meisten Menschen, die sonst in meine Kurse kommen, die lernen, mit dem Bogen, einer Pistole oder einem Gewehr umzugehen, einen Kompass zu handhaben, ein GPS-Gerät zu bedienen, Spuren zu lesen, die anfangen, bei mir kämpfen, schwimmen, laufen und schießen zu trainieren, sind zunächst meist unfähig, auch nur das Geringste zu tun, um sich selbst oder andere zu schützen oder in einer ungeschützten, wilden, unzivilisierten Welt zu überleben.

Für mich sind diese Themen aber essentiell. Nicht, weil ich glaube, dass die Demokratie in Gefahr ist oder die Zombie-Apokalypse droht. Sondern weil die Beschäftigung mit diesen Dingen uns etwas sehr Wichtiges über die Grundlagen menschlicher Erfahrung vermitteln kann, über die Grundlagen menschlicher Existenz überhaupt.

In dieser Geschichte werden einige Aspekte dieser Themen aufgegriffen: Das Dilemma von Töten oder getötet werden, Solidarität, Vertrauen, Angriff oder Rückzug, Verhandeln oder Kämpfen, das Trauma eines rechtsfreien Raumes usw. Dir mag bei der Behandlung dieser Themen das Tiefgründige fehlen, für mich erfüllt die Geschichte das Bedürfnis, Menschen in solchen Situationen zu beobachten, ihr Handeln mit meinen Vorstellungen zu vergleichen, ihre Ethik gegen meine abzuwägen …

Erik Brandt, so die 1. Szene, befindet sich in den Kriegswirren des 1. Weltkriegs.

Einiges scheint dafür zu sprechen. Allerdings gab es im ersten Weltkrieg keine Sturmgewehre. Die Geschichte lässt das offen. Man könnte das als Hinweis auf ein Szenario deuten, das in der Zukunft spielt oder als Geschichte mit alternativen historischen Abläufen. Ich habe mich deshalb dafür entscheiden, weil ich nicht wollte, dass der Leser denkt »Ach ja, der erste Weltkrieg. Naja, das ist lange vorbei.«

Tatsächlich gibt es viele Gemeinsamkeiten von Situationen, in den die staatliche Gewalt wegbricht. Beispielsweise die Bildung von bewaffneten Milizen, wie sie auch in der Geschichte vorkommen.

Warum auch immer, denn nicht jeder Soldat, der von der Front kam, hatte psychische Probleme, Erik Brandt dieses Wesen im Wald sieht, das Wesen ist nur in seiner Phantasie.

Wie auch in anderen Geschichten, die ich geschrieben habe, gibt es keine harte Trennung zwischen psychischen Prozessen einerseits und Vorgängen der äußeren, physikalischen Welt andererseits. Deshalb ist das Monster ein sowohl innen als auch außen wirkendes Phänomen.

In einer Schule des Buddhismus gibt es einen hübschen Satz: Der Esel schaut den Brunnen an, der Brunnen schaut den Esel an. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass alles in der Welt durch seinen Kontext bestimmt ist. Subjekt (Esel) und Objekt (Brunnen) existieren nicht als getrennte Realitäten, sondern nur weil der Esel durstig ist, wird aus dem Brunnen ein Brunnen und nur weil der Brunnen Wasser spendet … und so weiter.

Im Gegensatz zum Hinduismus gibt es im Buddhismus keine klare Subjekt-Objekt-Grenze. Das ist auch in dieser Geschichte so, natürlich literarisch verstärkt, ein bisschen in der Art des magischen Realismus.

Fazit: die einzelnen Passagen sind sehr professionell geschrieben, gute Stimmung erzeugt und plastische Figuren. Aber ich habe zu viele Fragezeichen im Kopf, was den Handlungshergang anbelangt. Schade.

Naja, ich kann doch noch dran arbeiten, oder? Deine Hinweise sind sehr hilfreich. Ich schau mal, wie ich die Abläufe etwas klarer machen kann.

Wünsche Dir eine schöne Vorweihnachtszeit, Lakita!

Lieber Gruß
Achillus

 

Lieber @Achillus,

alle Achtung! Du hast mir das jetzt so wunderbar erklärt, dass ich am liebsten, all meine harten Worte wieder einpacken möchte.
Ja, ich verstehe deine Intentionen, absolut. Und insoweit nehme ich meinen Vorwurf, es fehle in dieser Geschichte an Tiefgründigem, zurück. Aber nur, wenn du sie nacharbeitest und ein wenig mehr blondinentauglich machst. :D
Und natürlich weiß ich, dass du noch an der Geschichte arbeiten wirst, um sie hie und da mehr klarer zu machen.

Danke für deine ausführlichen Erläuterungen, die fehlten mir tatsächlich als Hintergrund.
Und ich stimme dir zu, dass wir jede Menge Zugangsmöglichkeiten haben, Gewalt in Filmen anzuschauen, in Computerspielen nachzumachen, aber das diese Erlebnisse und Erfahrungen trügerisch sind und somit hochgefährlich, weil die Realität doch noch anders aussieht. Und zwar ganz anders.
Ich würde mir wünschen, du würdest jedoch hier mehr praktischer vorgehen. Also z.B. eine Geschichte schreiben, in der eine Notwehrsituation und ihre Reaktionsmöglichkeiten darauf dargestellt werden und die in der heutigen Zeit spielt.
Der jetzt von dir gewählte Plot schafft viel zu sehr die Möglichkeit in der Phantasie zu bleiben und gar nicht auf die Idee zu kommen, dass es auch eine Anleitung für Reales sein könnte.
Dein Beispiel mit dem Esel und dem Brunnen hat mir gefallen.
Ich wünsche mir, diesen Gedanken wesentlich deutlicher in der Geschichte erkennen zu können. Ach, ich wünsch mir grad ziemlich viel, stell ich fest.
Ich wünsche dir auch eine angenehme Vorweihnachtszeit!

Lieben Gruß
lakita

 

Lieber @Achillus,

leider bin ich etwas angeschlagen und habe auch noch wenig Zeit, weswegen mein Kommentar wohl eher kürzer ausfällt. Ich habe auch den anderen Kommentar nicht gelesen.

Ich sehe die Geschichte als eine Art Versuchsanordnung oder Beobachtung Deines Protagonisten und anderer in einer (Art) Kriegssituation, wobei für mich diese eher symbolisch ist und sich nicht auf ein konkretes Ereignis bezieht.

Du kreist um die Frage des Existenziellen, wie sich Menschen in einer solchen Situation verhalten, der Soldat Brandt, der alte, weise Mann, die junge helfende Frau, der böse Gegenspieler und dann gibt es da noch ein übernatürliches Wesen, das sich auch im Titel widerspiegelt.

Jeder Deiner Protagonisten hat seine eigenen Agenda, die er verfolgt und die auch aus meiner Sicht plausibel ist. Es gibt Menschen, die solche Situationen ausnutzen, um an die Macht zu kommen, es gibt Menschen, die sich irgendwie damit arrangieren, welche die helfen und ihre Haltung bewahren und dann Kämpfer wie den Soldaten Brandt, der sich entscheiden muss, auf welcher Seite er steht und ob er seinen Rachegefühlen freien Lauf lässt oder doch lieber den Jungen rettet.

Mir gefällt, dass sich alle Figuren in den ihnen zugedachten Rollen nachvollziehbar verhalten und auch entsprechend handeln.

Nur bei der Kreatur habe ich noch meine Zweifel, was sie tatsächlich sein soll. Momentan sehe ich sie als Symbol für die Verrohung und Entmenschlichung (= Schatten des Krieges), die droht jeden Menschen, der in einer solchen Kriegssituation ist, zu übermannen und ihm seiner Moral, seiner Menschlichkeit zu berauben. Mit dieser kämpft er und bezwingt sie letztlich, was auch dazu passt, dass er den Jungen eben gerettet hat und nicht einfach seiner Rache gefrönt hat.

Insgesamt eine tolle Geschichte, die mich beim Lesen immer auch mal an Jünger oder Lenz erinnerte, einfach vom Lesegefühl her.

Allerdings muss ich auch gestehen, dass ich zwischendrin mal ein paar Längen verspürte, was aber nicht wirklich etwas heißen muss, denn das kann auch einfach an den Umständen liegen, unter denen ich typischerweise lese.

Und dann noch ein kleines Logikproblem: Jenny ist einerseits wichtig und wird dann doch recht schnell erschossen wegen ein wenig Munition. Das ist natürlich einerseits nachvollziehbar, da es Dir aus meiner Sicht an der Stelle um das Brutale geht, um das Unmenschliche und die geringe Wertschätzung von Leben, aber ich bin da trotzdem gestolpert. Und es ist auch verwunderlich, dass der Bruder gefangen gehalten wird, während sie frei rumläuft.

Aber diese Logikprobleme sind nicht so stark, dass deswegen der Plot geändert werden müsste.

Ja, für mich ein (gewohnt) starker Text von Dir, den ich sehr gerne gelesen habe. Ich bin gespannt, wie andere Deine Geschichte verstehen.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Gude @Achillus,
guter, klarer Stil, spannende Handlung mit klaren Motivationen und einer Prämisse. Der Text ist für Wortkriegerverhältnisse glaube ich etwas länger, aber ich habe den Eindruck, dass man da nichts kürzen sollte (oder überhaupt kann). Sehr angenehm ist mir z.B. bereits diese Raffung hier aufgefallen:

»In der Hütte ist nicht mehr viel zu holen, Jenny war schon ein paar mal dort. Aber sie könnte etwas übersehen haben. Du solltest es versuchen.«
Als Brandt am nächsten Abend zurückkehrte, schaute Elias ihn erwartungsvoll an. »Und?«

Zentrales Element des Textes ist der "Schatten des Krieges", ist ja auch der Titel. Ich sehe diese Kreatur als personifiziertes "Wenn das Töten nicht endet, wird das Sterben nicht aufhören." Klingt jetzt vielleicht etwas plump, aber die Kreatur taucht ja die beiden Male auf, nachdem Brandt Menschen getötet hat, das zweite Mal nimmt es dann auch ein Leben. Es ist nicht "gerecht", dass das den alten Elias trifft, ist der Krieg aber auch nicht. Ich verstehe den Schluss so, dass Brandt auf Elias' Lehren und die Präsenz des Monsters damit reagiert, dass er sich von der Gewalt abwendet und sich stattdessen um Menschen (Jonathan) kümmern will.
Soweit erscheint mir die Botschaft ziemlich klar, vielleicht etwas zu klar.
Kann es sein, dass Ihnen der Schatten des Krieges folgt?
Ich finde es etwas plump, dass die Kreatur direkt so benannt wird. Es wirkt auf mich ein wenig, als solle der Titel mindestens einmal so im Text vorkommen. Ich fände hier eine weniger künstlerische, wenn auch vielleicht etwas abgegriffene Formulierung wie: "Kann es sein, dass der Krieg Sie verfolgt?" stimmiger.

Insgesamt würde es mir noch mehr Lesefreude bereiten, wenn die Kreatur eine präsenter wäre und etwas kryptischer werden würde. Aber das könnte den Text überladen und ist jetzt nur mal ein aufgeworfener Gedanke. Zumindest eine präzisere Beschreibung als:

Kreatur aus dem Wald
mit "zerfetztem Gesicht" würde ich mir aber als Freund phantastischer Elemente doch wünschen.

Ich sammle ein paar Kleinigkeiten und gebe meinen Senf dazu:

Als die Sprenggeschosse einschlugen, erbebte die Welt unter der Wucht ihrer Detonationen.
Der Anfang ist sehr stark aufgeladen. Da ist die Rede von einer transzendenten Stille, dann kommt das Universum mit rein ... bei der "Welt" ist es mir dann aufgefallen und wurde mir etwas zu viel. wenn die "Erde" erbebt ist das ja nicht weit weg, aber vielleicht etwas weniger dick.

als käme noch ein Mal alles zur
-> einmal

Er schnitt zwei Löcher in den Koffer, zog den Gürtel aus einer Hose, fertigte einen provisorischen Tragegurt und ging wieder in die Küche. Nachdem er alle Sachen verstaut hatte, hievte er sich den Koffer auf den Rücken, justierte den Tragegurt.
-> Das fand ich sehr cool. Diese "MacGyver-Momente" haben mir insgesamt sehr gut gefallen und auch wenn man hier unterstellen könnte, dass diese Episode nur für den Koffer drin ist, wenn man den Challenge-Hintergrund sieht, finde ich es einfach eine sehr coole Idee.

Brandt trat eiskalt der Schweiß auf die Stirn. Er würgte, spürte, wie sich Wasser in seinem Mund sammelte, spürte den Brechreiz, das Rumoren in den Eingeweiden.
Das Fettgedruckte finde ich etwas abgegriffen, das was danach folgt reicht mir für die Szenenbeschreibung und seinen Zustand aus, ist intensiv genug.

»Hinknien! Hände oben behalten.«
Brandt kniete sich ins Gras. Der Himmel lastete wie ein grauer Block über ihnen. Wolkenfetzen trieben niedrig dahin.
»Du siehst übel aus«, sagte das Mädchen schließlich.
-> Es geht mir etwas zu einfach, was die Entwicklung der Figurenbeziehung angeht. Oder eigentlich anders: Ich finde, das kennt man schon so oft (sie wehrt ihn ab, kann ihn dann gebrauchen, sie tun sich zusammen). Ich würde das jetzt hier nicht unbedingt ändern, aber auch mal als Meinung dalassen, dass das etwas komplexer sein könnte.

Sie rannte los.
Kann m.E. weg, weil sie da schon läuft und nicht erst beginnt.

Er schätzte die Entfernung auf hundertfünfzig Meter.
-> Am Schluss wird Brandt schon zum sehr abgezockten Killer. Das ist plotdienlich, allerdings frage ich mich, warum er dann vorher so Äußerungen fällt:
»Ist das alles?«, fragte er. »Zwei Schuss?«
»Tut mir leid, mehr habe ich nicht«, erwiderte Jenny.
»Und deine Schrotflinte?«
»Drei Patronen.«
Brandt schüttelte den Kopf. »Damit schaffen wir es nicht.«
Man kann natürlich damit argumentieren, dass er nun eine "stärkere" Motivation hat und so etwas deswegen durchzieht, aber gerade bei seiner Unsicherheit an der Front und während der Flucht, sehe ich noch eine andere Figur, als das Ein-Mann-Killerkommando.

Liebe Grüße
Vulkangestein

 

Hallo @Achillus,
Eine starke Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei präzise und mit Sogwirkung. Ich gebe zu, beim ersten Abschnitt dachte ich, nee Danke, so eine Kriegsgeschichte, das ist jetzt so gar nicht meins. Bin froh, dass ich weitergelesen habe, denn dann entwickelte sich die Geschichte mehr in Richtung eines Psychogramms eines Mannes, der in einem nicht näher definierten, aber scheinbar das gesamte Land veheerenden Konflikt sowohl mit der feindlichen Welt um sich herum als mit seinen eigenen Dämonen kämpfen muss. Ich konnte Brandt dabei gut folgen, atemlos fast bis zu der Stelle, als er auf Jenny trifft. Mit ihr trifft er auf Menschen, die sich gegen das Wegbröckeln jeglicher Zivilisation wehren, mit Vertrauen in das Gute im Menschen. Ist sicher kein neuer Ansatz, aber gibt der Geschichte (und Brandt) eine wichtige zweite Ebene und Tiefe.

Zwei (für mich) Unstimmigkeiten:

Im Licht des Mondes wirkte die Welt wie erstarrt. [...] Als der Schuss durch die Nacht krachte, kippte Brandt vornüber ins Feld.
Da müsstest du mir helfen. Es ist Nacht (der Mond). Brandt rennt über ein Feld und wird angeschossen. Ich habe Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, dass es jemand schafft, in der Dunkelheit (Mond hin oder her) einen rennenden, kriegserfahrenen Mann auf eine größere Entfernung (so stelle ich es mir zumindest vor) überhaupt zu treffen. Noch dazu mit einer Waffe in schlechtem Zustand. Ich bin da kein Fachmann, vom Gefühl her würde ich aber sagen, das ist ziemlich schwierig? Abgesehen davon, warum sollte der Junge das tun? Brandt rennt ja davon, stellt also eigentlich keine Bedrohung dar. Würde das nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen bzw den Jungen selbst in unnötige Gefahr bringen? Hm, keine Ahnung.

Und dann die Sache mit Jennys Bruder. Warum hält Ruger sie nicht selbst gefangen? Damit hätte er eine stest verfügbare Sanitäterin und müsste nicht dieses unbequeme Arrangement eingehen.

Eine Sache noch: Warum hat Brandt dieses Befreiungsding nicht von vornherein durchgezogen, sondern hat sich erst mal auf die Idee von Jenny eingelassen? War es die fehlende Patrone aus der Hütte? Oder brauchte er die Wut über ihren sinnlosen Tod?

Insgesamt eine bemerkenswerte Geschichte, sprachlich sauber und souverän, da wüsste ich nicht, was man besser machen könnte. Die Sache mit dem Monster finde ich interessant, weil sie dem Leser die Möglichkeit gibt, sich dem Brandt auf einer psychologischen Ebene zu nähern, was auch immer man in diesem Ungeheuer sehen möchte.

Respekt für diesen Beitrag.

Beste Grüße,
Fraser

 

Hallo Lakita, vielen Dank , dass Du noch mal geschrieben hast.

Danke für deine ausführlichen Erläuterungen, die fehlten mir tatsächlich als Hintergrund. Und ich stimme dir zu, dass wir jede Menge Zugangsmöglichkeiten haben, Gewalt in Filmen anzuschauen, in Computerspielen nachzumachen, aber das diese Erlebnisse und Erfahrungen trügerisch sind und somit hochgefährlich, weil die Realität doch noch anders aussieht. Und zwar ganz anders.

Sehe ich auch so. Gewalt übt auf Leser, Zuschauer und Spieler eine große Faszination aus, eben weil Bücher/Geschichten/ Filme/ Spiele es ermöglichen, sich damit in einem geschützten Rahmen zu befassen, ohne zu riskieren, dabei wirklich verletzt zu werden. Wir stehen Gewalt nicht gleichgültig gegenüber, sondern reagieren stark emotional auf sie.

Ein Problem ist tatsächlich, dass Gewalt in den Unterhaltungsmedien anders dargestellt wird bzw. anders erscheint, als sie in der Wirklichkeit erfahren wird. Das hängt einfach mit dem Medium zusammen. Gerade Kinder und Jugendliche glauben dann manchmal aber, dass solche Darstellungen realistisch sind. Da wird es gefährlich, wie Du sagst.

Ich würde mir wünschen, du würdest jedoch hier mehr praktischer vorgehen. Also z.B. eine Geschichte schreiben, in der eine Notwehrsituation und ihre Reaktionsmöglichkeiten darauf dargestellt werden und die in der heutigen Zeit spielt.

Guter Hinweis, werde ich mir Gedanken drüber machen.

Der jetzt von dir gewählte Plot schafft viel zu sehr die Möglichkeit in der Phantasie zu bleiben und gar nicht auf die Idee zu kommen, dass es auch eine Anleitung für Reales sein könnte.

Da hast Du recht. Mal sehen, ob man da noch was nachbessern kann.

Dein Beispiel mit dem Esel und dem Brunnen hat mir gefallen. Ich wünsche mir, diesen Gedanken wesentlich deutlicher in der Geschichte erkennen zu können.

Ich glaube, es ist häufig so, dass ein Autor viel mehr in seiner Geschichte sieht, als von außen nachvollziehbar ist. Aber es wäre ein Ziel, das transparenter und nachvollziehbarer zu machen.

Vielen Dank, Lakita!

Gruß Achillus


Wird fortgesetzt.

 

Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.
Carl Schmitt​
Der Erste Weltkrieg kann‘s nicht nur der Waffen wegen nicht sein, auch die "eine"
Plastikflasche mit etwas Wasser
belegt es, dass die Geschichte bestenfalls am Ende des zwoten 30jährigen Krieges tobte (sofern und so weit der 2. als Folge des 1. Weltkrieges anzusehen ist).

Ich eier schon einige Tage um Deinen Beitrag herum,

Achillus,

und unterstell einfach, dass Du Agressionen eher abbauen denn verstärken übst/trainierst, und nicht wie jüngst „Hannibal“ und Konsorten den Straßenkampf vom Hubschrauber aus trainieren willst - denn Deine kleine Erzählung belegt ja schön den wohl berühmtesten Satz aus Carl Schmitts „Politischer Theologie“, wobei das entscheidende Wort für die Grenz- / Ausnahmesituation am Anfang des Satzes steht und damit an sich offen lässt, besser: ließe, ob der Souverän oder ein „souveräner“ Mensch gemeint sein könnte.
Du merkst am Konj. II, dass das Substantiv, nicht das Adjektiv von Schmitt gemeint ist.

Aber noch ein zwotes hieß mich, herumzueiern.

Als ich Deinen Titel las, wurde ich an Kurosawas Titel„Kagemusha“ („Schattenkrieger“ / „Der Schatten des Kriegers“) erinnert, in dem das Schlachtengemälde unter den japanischen Clans im Todeskampf eines waidwunden Pferdes einen seiner Höhepunkte findet, dass ich es bedauer, dass der „Schatten des Krieges“ einem „Monster“ gleichgesetzt wird, bekannt aus Fantasy und Horror, dass man darüber die Herkunft des Monstrums im „monieren, monere = (er)mahnen“ nicht unbedingt mehr erkennen kann.

Bissken Flusenlese ist noch

Dann trat ein eigenartiger Moment transzendenter Stille ein. Erik Brandt wusste nicht, ob er sich diesen Moment lediglich einbildete, aber es war, als käme noch ein Mal alles zur Ruhe, als gebe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen und auf das, was sie verloren hatten.
Einfaches zuerst, warum der Wechsel innerhalb der Konjunktive, wenn doch beides „als-ob-Situationen“ sind mit dem Universum als „göttlichem“ Ersatz?
Aber dann die Adjektive –
wobei das „transzendente“ schon sehr eigen ist. Welche grenz-/erfahrungsüberschreitende „Stille“ kann es geben neben dem Tod? Der schwere Kopf nach manchem bewusstseinserweiterndem Zeugs gleich welcher Art und dem Rausch selbst kann's eher nicht sein ...

Und nochmals zum Konj.

Es schien, als sei mit dem Schrei der Eule etwas erwacht - in den Tiefen des Waldes jenseits des Feuerkreises regte sich ein Wille.
Es scheint an sich nur die Sonne und selbst der Mond leiht sich von ihr "sein" Licht, er scheint also nur zu scheinen, dass die Situation dem des „brauchen“ gleichzusetzen ist, von dem es heißt, wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen, es schien also nur so zu sein, als „ob“ etwas mit dem Schrei der Eule erwacht" wäre".
Da kommt nun aber der Vorteil des schwachen Verbes „regen“ zum Vorschein, Konjunktiv II und Prät. „lauten“ gleich.

Und dann die Namenswahl, ob bewusst gewählt oder nicht: „Brandt“ wird jeder verstehen, aber „Erik“ firmiert i. d. R. als Alleinherrscher (got. „reiks“, altnord. „rik“, ahd. „rihhi“ „reich, mächtig“, „e(h)“ e(h)wig, auch im Wort „Ehe“ als langwährender Vertrag enthalten).

Möge der Herr oder sonst wer solche Szenarien verhindern!
Das Du schreiben kannst, braucht ja nicht erwähnt zu werden.

Tschüss

Friedel
(ein Name, der keineswegs so friedlich ist, wie er zunächst wirkt)

 

Hey Achillus,

auf jeden Fall war es spannend! Ich habe die Geschichte in einem Rutsch durchgelesen, war bei Dir und den Figuren, obwohl Krieg und Waffen ja nun nicht zu meiner Komfortzone gehören und die Fragen, die in den Kommentaren aufkamen, habe ich mir während des Lesens nicht gestellt, aber die Frage, warum sie da nicht doch erst Munition suchen, bzw. warum man sie nicht festhält, sondern den Jungen, ja, stimmt, die könnte man sich stellen.
Sprachlich fand ich den Text besser, als die letzten die ich gelesen habe, ohne jetzt sagen zu können, warum. Ist einfach so :).

Hinter ihm, nur ein paar Meter entfernt, knarrte das harte Leder von Stiefeln. Brandt wälzte sich herum und feuerte. Eine schlanke Gestalt sank zu Boden. Brandt stemmte sich hoch. Die Pistole im Anschlag machte er ein, zwei Schritte. Als er das blasse Gesicht des Jungen sah, hockte er sich zu ihm. Während seine Augen die Umgebung absuchten, tastete er an der Halsschlagader nach dem Puls. Nichts.
Oh, je! Das sind so Momente, die wird man nie wieder los im Leben, selbst wenn man weiß, man hat sein eigenes gerettet.

Dann sah er die Kreatur. Im Glutschein des ausgebrannten Feuers trat sie aus der Schwärze und fixierte Brandt mit kaltem Blick. Brandt trat eiskalt der Schweiß auf die Stirn. Er würgte, spürte, wie sich Wasser in seinem Mund sammelte, spürte den Brechreiz, das Rumoren in den Eingeweiden.
Diese Kreatur finde ich ein sehr schönes Bild für sein Inneres, das "Schrecken" was ihm folgt, was sich nicht töten lässt. Es wird ihn ganz sicher sehr lange verfolgen.

»Ich schoss das ganze Magazin leer. Wir kämpften. Dann verschwand das Ding in der Finsternis. Vielleicht habe ich es getötet. Bin nicht sicher.«
Ich war mir sicher, das Ding wird wiederkommen.

»Kann es sein, dass Ihnen der Schatten des Krieges folgt?«, sagte Elias irgendwann.
»Was meinen Sie? Dass ich Wahnvorstellungen habe?«
»Ich meine, dass der menschliche Geist manchmal besondere Wege geht, um die Welt in der Balance zu halten.«
Ja. Und diese psychologische Schiene hat mich total interessiert. Ist eher mein Fahrwasser.

Brandt stockte der Atem. Lauf, flüsterte er. Lauf um dein Leben!

Ich habe es zwar nicht ausgesprochen, aber gedacht.

»Ich brauche Munition, zumindest ein paar Schuss für den Repetierer.«
Elias nickte. »Es gibt eine Jagdhütte in den Wäldern, ein paar Kilometer nördlich von hier. Ich kann es dir auf der Karte zeigen.«
»Warum habt ihr mir davon nichts gesagt?«
Elias zuckte die Schultern. »In der Hütte ist nicht mehr viel zu holen, Jenny war schon ein paar mal dort. Aber sie könnte etwas übersehen haben. Du solltest es versuchen.«
Ja, das ist bisschen komisch. Ich mein, der Alte war sicher auch daran interessiert, wenn es denn Möglichkeit gäbe, die nicht so gefährlich ist, wie Jennys Plan. Das er erst jetzt damit rausrückt ... Was wäre denn, er würde das nicht sagen? Brandt geht auf die Suche, findet und erst dann sagt Elias, komisch, dass Jenny sie nicht gefunden hätte, obwohl sie schon ein paar Mal dort war. Das wäre jetzt nicht der mega Aufwand an Umschreibung.

»Nur ein Schuss?«, fragte Elias.
»Das wird reichen«, erwiderte Brandt.
Optimist!

Und dann sah er es. Die Leiche des alten Mannes lag im Gras. Über ihr, die bösen Augen starr auf Brandt und den Jungen gerichtet, hockte die Kreatur aus dem Wald, bleckte die Zähne.
Ja. Die Rettung des einen Jungen macht die Tötung des anderen nicht ungeschehen. Auch, wenn die Kreatur sich erst mal zurückzieht. Es wird noch den ein oder anderen Moment in Brandts Leben geben. Wenn er sein erstes eigenes Kind im Arm hält, wenn er ...

Eine wirklich gute Geschichte. Mehr habe ich gar nicht beizutragen.
Beste Grüße, Fliege

 

Hallo @Achillus,

ich mag dieses dreckige, Schnörkellose. Brandt, Krieg, Gebeutelte, gib ihm. Auch das phantastische Element, die Kreatur, hat mir natürlich gefallen, hätte ich gern mehr von gehabt. Immerhin ist sie ja titelgebend.

Den Tod von Jenny fand ich stark, was wohl heißt, dass sie bis dahin ganz gut charakterisiert war. Dieses zeitlich und geografisch nicht Exakte gibt der Geschichte etwas Allgemeingültiges zum Thema Krieg und darauf willst du ja glaube ich auch hinaus. Aus irgendeinem Grund musste ich an Ex-Jugoslawien denken. Etwas sehr drunter und drüber geht es mir, wenn er Erik Brandt heißt und dann von der "Army" die Rede ist.

Größte Schwäche aus meiner Sicht: So manches ist mir zu flach, da würde ich nochmal ran, wenn es meine Story wäre. Nicht als Thema flach, sondern, wie es angesprochen wird. Zu direkt. Das fängt beim Titel an. Worum wird's gehen? Krieg und Psyche und die Spuren. So viele andere Möglichkeiten gibt es da ja nicht. Danach kommt nur noch "Schrecken des Krieges". Ach watt, Krieg ist schrecklich? Dass das, was die Gewalt mit dem Kopf macht, als Monster im Wald hockt, ist dann wieder originell - bis eine Figur dem Leser diese Metapher so dick aufs Brot schmiert, dass er "Stopp!" schreien will.

Der Einstieg ist stark, actiongeladen, allerdings habe ich das Gefühl, von Kriegsfilmen geprägte Bilder in meinem Kopf ablaufen zu haben. Keine Wertung, fällt mir nur an mir selbst auf.

Dann trat ein eigenartiger Moment transzendenter Stille ein.
Ein Wort wie "transzendent" ist für mich ein Fremdkörper in dieser Geschichte.

Das dumpfe Bollern der Mörser mischte sich mit dem scharfen Fauchen der Granaten
Weniger Adjektive ist so eine schreiberische Binsenweisheit, aber ohne finde ich den Satz wirklich stärker.

Am Beginn des zweiten größeren Absatzes kommt etwas sehr oft "Er" am Anfang.

Doch es war nicht das Iuuh, Iuuh des Nachtvogels,
Die Lautumschreibung fand ich witzig an der falschen Stelle.

Army?«
Wo sind wir?

Es gibt keine Front mehr«, sagte er. »Es gibt nur noch Chaos und Tod.
Das klingt merkwürdig. Als würde man mit Front sonst Bienen und Blumen assoziieren.

erwiderte Jenny. Plündern, töten, vergewaltigen.«
>>

Sie stieß Brandt leicht mit Ellbogen an
dem, sonst klingt das, finde ich, als hätte sie da ein paar Ellbogen rumliegen

Kein Tier. Eine Kreatur mit zerfetztem Gesicht, kalten, grausamen Augen, bösem Blick
Die Beschreibung klingt für mich nicht wie ein echter Dialog.

Kann es sein, dass Ihnen der Schatten des Krieges folgt?
Das ist halt auch so theatralisch für etwas, das ein echter Mensch sagen soll. "Kann es sein, dass der Krieg Ihnen folgt?" Er tippte sich an die Stirn. "Hier oben drin?" Oder "Ich glaub, das ist nur hier." Er tippte sich an die Stirn. "Vom Krieg."

hämmerte der Puls ihn Brandts Schläfen
in

das Gesicht mit den Stiefel zertreten,
dem oder Stiefeln

Rannte, bis jeder Atemzug in der Brust brannte.
Unglücklich wegen des Reims

Viele Grüße
JC

 

Hallo @Achillus

Du hast eine ähnliche Geschichte vor einer Weile eingestellt. Auch eine Dystopie, die von einem anarchischen Endzeitzustand erzählt, Grenzen verschwimmen lässt, Gewalt, Krieg als ultimative Lösung beinahe heroisiert, den Figuren Würde nimmt, um sie ihnen hinter den verhärmten Gesichtern wieder zurückzugeben. Ich glaube bei der anderen Geschichte erschiene Wölfe oder andere Kreaturen, ganz so wie hier. Ich erwähne das jetzt nicht, weil ich es wirklich problematisch finde, schließlich schreiben viele immer wieder über dieselben Dämonen, ich schreibe es eher, weil es eben auch Unterschiede (nach meiner Erinnerung) gibt. Deine Hauptfigur wirkt lebendig, ein Mensch, keine Kampfmaschine, ein Mensch, der sich irgendwie durchschlägt, was auch für die weibliche Protagonistin gilt.

Obwohl ich Kriegs- und Blutgschichten nicht gerade oft lese, mich die technischen Details eher langweilen, habe ich den Text in einem Zug - und mit Spannung gelesen: eine große Qualität deines Schreibens!

Trotzdem bleibt nicht viel. Ich lese den Text und fühle mich gut unterhalten, weil's obendrein gut geschrieben ist, Aber sonst? Will ich gar nicht als Generalkritik anbringen, liegt ja an mir und meinen Leseansprüchen-

Erik Brandt wusste nicht, ob er sich diesen Moment lediglich einbildete, aber es war, als käme noch ein Mal alles zur Ruhe, als gebe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen und auf das, was sie verloren hatten.
diesen Moment vor dem Strum, gibt es den oder ist das ein Märchen? Wenn es ihn gibt, beschreibst du ihn sehr plastisch

Nachdem er ein Laken in Streifen geschnitten hatte, durchsuchte er eine hölzerne Truhe, einen Nachttisch, eine Kommode.
hä? Warum schneidet er das Laken in Streifen, was ist mit da entgangen?

Während seine Augen die Umgebung absuchten, tastete er an der Halsschlagader nach dem Puls. Nichts.
starkes Bild

Da war nichts bis auf eine Plastikflasche mit etwas Wasser, ein Päckchen Streichhölzer, ein wenig Tabak und zwei selbstgedrehte Zigaretten.
auf was sich das Brauchbare letztlich reduziert

Es schien, als sei mit dem Schrei der Eule etwas erwacht - in den Tiefen des Waldes jenseits des Feuerkreises regte sich ein Wille.
bo, das mit dem Willen klingt sehr fett aufgetragen

»Sag nicht okay«, erwiderte Jenny, und ihre Stimme klang rau. »Schau mich an.«
Brandt betrachtete ihre schmalen, grünlich schimmernden Augen. »Ich töte dich«, sagte sie noch einmal.
könntest du das Stimmtimbre noch ergänzen, aber auch hier ein starkes Bild

»Wie alt bist du?«, fragte Brandt. »Sechzehn? Siebzehn?«
»Alt genug«, antwortete Jenny. Und mit einem sonderbaren Blick fügte sie hinzu: »Heute sind alle alt genug.«
gerade noch am Klischee vorbei, aber knapp

»Und dann, als ich eine unserer Siedlungen erreichte, wurde ich angegriffen«, sagte er. »Von unseren Leuten. Zivilisten. Ich warf den Rucksack ab, rannte und versteckte mich in einem Haus.«
Jenny nickte. »In den Städten herrscht Terror - jeder gegen jeden.
wüsste ich gern mehr...

»Was ist aus ihm geworden?«, fragte er. »Ich meine, aus dem Jungen?«
Brandt wechselte den Filzstopfen gegen eine Messingbürste, schraubte sie am Putzstock fest und fuhr schweigend mit dem Säubern der Waffe fort.
»In diesen Zeiten ist es schwierig, das Richtige zu tun«, sagte Elias. » … die Werte bewahren, die wir …«
»Ich habe den Jungen erschossen«, sagte Brandt und hielt inne. »Er versuchte, mich zu töten, also erschoss ich ihn.«
brutaler Dialog, klingt aber authentisch

Brandt schüttelte den Kopf. Er starrte ins Leere. »Kein Tier. Eine Kreatur mit zerfetztem Gesicht, kalten, grausamen Augen, bösem Blick. Sie … schaute mich an.«
»Und dann?«
»Ich schoss das ganze Magazin leer. Wir kämpften. Dann verschwand das Ding in der Finsternis. Vielleicht habe ich es getötet. Bin nicht sicher.«
keine Kampfspuren?

Sie hatte sich fünfzig Meter oder mehr von der Scheune entfernt, als Ruger herausstürzte. Er brüllte etwas, fuchtelte mit seinem Gewehr.
Brandt stockte der Atem. Lauf, flüsterte er. Lauf um dein Leben!
Ruger schwankte. Er riss seine Waffe hoch und feuerte. Das Sturmgewehr knatterte, und Brandt sah, wie hinter Jenny Erde hochspitzte. Sie rannte los.
Action-Szenen kannst du richtig gut

Brandt beobachtete, wie sich die Kreatur aufrichtete, umwandte und mit tierhafter Gewandtheit im Dickicht des Waldrandes verschwand. Bevor das Wesen ganz von den Schatten verschluckt wurde, blickte es noch einmal zurück und fixierte Brandt mit einem letzten drohenden Blick.
Brandt ließ die Waffe sinken, schob sie ins Holster an seinem Gürtel. Er drehte sich um, streichelte den Kopf des Jungen auf seinem Arm und ging zurück zum Haus.
klar, ein offenes Ende, aber wo ist der Ausblick, außer in der Wiederholung, weiterer Gewalt?

Liebe Grüße
Isegrims

 

Hallo Geschichtenwerker, vielen Dank für Deine Gedanken zum Text. Ich hoffe, es geht Dir inzwischen wieder besser. Dieser Dezember hält mich mit anderen Dingen auf Trab, deshalb kommt meine Antwort so spät. Entschuldige bitte.

Ich sehe die Geschichte als eine Art Versuchsanordnung oder Beobachtung Deines Protagonisten und anderer in einer (Art) Kriegssituation, wobei für mich diese eher symbolisch ist und sich nicht auf ein konkretes Ereignis bezieht. Du kreist um die Frage des Existenziellen, wie sich Menschen in einer solchen Situation verhalten, der Soldat Brandt, der alte, weise Mann, die junge helfende Frau, der böse Gegenspieler und dann gibt es da noch ein übernatürliches Wesen, das sich auch im Titel widerspiegelt.

Natürlich ist es hochspannend, Menschen innerhalb eines (politischen) Systems zu betrachten. Denn auch wenn das viele Leute nicht wahrhaben wollen, das Verhalten eines Menschen ist stets zum Teil vom Gesellschaftlichen geprägt, es nie rein individuell oder psychologisch.

Und es gibt diese verhängnisvolle Neigung in Filmen, Romanen und Videospielen, das Verhalten von Figuren zu entpolitisieren und statt dessen zu psychologisieren, so als gäbe es ein Leben außerhalb des sozialen Kontextes. Das ist für bestimmte Ideologen nützlich, aber es verfehlt die Realität.

In meiner Geschichte gibt es zwar keine konkrete Gesellschaftsform mehr, es scheint eine Welt im Zerfall zu sein, aber die Figuren wurden auf bestimmte Weise sozialisiert und handeln entsprechend. Insofern zeigt sich, was zurück bleibt, wenn der äußere Rahmen zerbricht.

Jeder Deiner Protagonisten hat seine eigenen Agenda, die er verfolgt und die auch aus meiner Sicht plausibel ist. Es gibt Menschen, die solche Situationen ausnutzen, um an die Macht zu kommen, es gibt Menschen, die sich irgendwie damit arrangieren, welche die helfen und ihre Haltung bewahren und dann Kämpfer wie den Soldaten Brandt, der sich entscheiden muss, auf welcher Seite er steht und ob er seinen Rachegefühlen freien Lauf lässt oder doch lieber den Jungen rettet.

Ja, das ist mein Ansatz. Diese Situation des Zerfalls zeigt mit einem Vergrößerungsglas, was bereits heute, in einer funktionierenden Gesellschaft problematisch ist: Ein nicht bis ins Detail geführter Diskurs der das Verhältnis zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven aufklärt. Immer dann, wenn es um Fragen der Solidarität geht, regt sich der Protest der Individualisten.

Man könnte es auf die Spitze treiben, in dem man fragt: Ist der Staat für den Bürger da oder ist der Bürger für den Staat da?

Weder noch, wäre meine Antwort. Es muss einen Ausgleich geben zwischen den Interessen der Allgemeinheit/ des Kollektivs / der Gemeinschaft auf der einen Seite und denen des Einzelnen auf der anderen Seite.

Im Fall der Geschichte sieht man, was passiert, wenn die äußere Gewalt des Staates wegbricht. Und das ist eine Beobachtung, die für die gesamte Menschheitsgeschichte gültig ist.

Nur bei der Kreatur habe ich noch meine Zweifel, was sie tatsächlich sein soll. Momentan sehe ich sie als Symbol für die Verrohung und Entmenschlichung (= Schatten des Krieges), die droht jeden Menschen, der in einer solchen Kriegssituation ist, zu übermannen und ihm seiner Moral, seiner Menschlichkeit zu berauben. Mit dieser kämpft er und bezwingt sie letztlich, was auch dazu passt, dass er den Jungen eben gerettet hat und nicht einfach seiner Rache gefrönt hat.

Meiner Ansicht nach bringen Kriegssitutationen bestimmte Instinkte, Impulse und Handlungsstrategien an die Oberfläche, die es schwierig machen, zu gemeinschaftlichen, kooperativen Verhaltensweisen zurückzufinden. Ich finde es immer schwierig, wenn man das als »unmenschlich« klassifiziert. Ich weiß natürlich, dass damit der Anspruch des Humanismus gemeint ist, wo der Wert des menschlichen Lebens als höchstes Gut betrachtet wird.

Tatsächlich ist aber das Töten, das Morden, das Vergewaltigen, das Rauben zutiefst menschlich. Genau das ist der Mensch, vielmehr, das ist er unter bestimmten Umständen. Er verhält sich so, weil es in seiner Natur liegt, sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise anzupassen. Erst wenn wir sehen, dass das »Böse« nichts von außen Kommendes ist, sondern eine natürliche Variante menschlichen Verhaltens, können wir den Menschen ohne Verzerrungen, ohne Wunschdenken betrachten.

Das »Edle« des Menschen ist eine Errungenschaft der Kultur. Bricht diese zusammen, dann verschwindet auch das Edle früher oder später.

Und dann noch ein kleines Logikproblem: Jenny ist einerseits wichtig und wird dann doch recht schnell erschossen wegen ein wenig Munition. Das ist natürlich einerseits nachvollziehbar, da es Dir aus meiner Sicht an der Stelle um das Brutale geht, um das Unmenschliche und die geringe Wertschätzung von Leben, aber ich bin da trotzdem gestolpert. Und es ist auch verwunderlich, dass der Bruder gefangen gehalten wird, während sie frei rumläuft.

Ich hatte versucht, das nachvollziehbar zu machen, indem ich den Anführer der Miliz (Ruger) als Trinker und somit als irrational handelnd gezeichnet habe. Der Bruder dient als Druckmittel. Ursprünglich gab es dazu noch eine etwas komplexere Side-Story, aber die habe ich weggekürzt. Ein Kind lässt sich leicht bewachen, flieht nicht, kostet kaum Nahrungsressourcen. Auf diese Weise hat die Miliz Jenny in der Hand.

Geschichtenwerker, habe mich über Deine Hinweise gefreut. Vielen Dank dafür.

Gruß Achillus


Wird fortgesetzt.

 

Hallo Vulkangestein, vielen Dank, dass Du meinen Text kommentiert hast. Hab mich sehr darüber gefreut.

guter, klarer Stil, spannende Handlung mit klaren Motivationen und einer Prämisse. Der Text ist für Wortkriegerverhältnisse glaube ich etwas länger, aber ich habe den Eindruck, dass man da nichts kürzen sollte (oder überhaupt kann). Sehr angenehm ist mir z.B. bereits diese Raffung hier aufgefallen …

Ja, ich hatte das ursprünglich anders geplant, aber bei dieser Geschichte ist mir aufgefallen, wie bedeutsam das Verhältnis zwischen Textlänge und –inhalt ist. Manches kann man gar nicht so kurz erzählen, wie man eigentlich möchte. An der von Dir bemerkten Stelle gab es tatsächlich die Möglichkeit zum Raffen, und das hab ich dann getan.

Zentrales Element des Textes ist der "Schatten des Krieges", ist ja auch der Titel. Ich sehe diese Kreatur als personifiziertes "Wenn das Töten nicht endet, wird das Sterben nicht aufhören." Klingt jetzt vielleicht etwas plump, aber die Kreatur taucht ja die beiden Male auf, nachdem Brandt Menschen getötet hat, das zweite Mal nimmt es dann auch ein Leben. Es ist nicht "gerecht", dass das den alten Elias trifft, ist der Krieg aber auch nicht. Ich verstehe den Schluss so, dass Brandt auf Elias' Lehren und die Präsenz des Monsters damit reagiert, dass er sich von der Gewalt abwendet und sich stattdessen um Menschen (Jonathan) kümmern will. Soweit erscheint mir die Botschaft ziemlich klar, vielleicht etwas zu klar.

Grundsätzlich sind die Trennungen von Innen und Außen natürlich notwendig, um sich in der Welt zurechtzufinden. In der Realität existieren diese Trennungen aber nicht in der Schärfe, die wir unterstellen, denn Realität existiert nur als wahrgenommene Realität (nicht als »Realität an sich«) und Wahrnehmung bedeutet bereits Einflussnahme. Das Monster ist einerseits etwas, das Brandts Psyche zu entspringen scheint, aber es ist gleichzeitig ein objektiv wirksames Phänomen. Innen und außen durchdringen sich.

Wenn wir jetzt fragen »Wofür steht das Monster?« macht das von der Textanalyse her zwar Sinn, aber diese Methode hat eben auch ihre Grenzen. Ich halte nicht so viel davon, darin ein klar definiertes Symbol zu sehen. Vielmehr geht eine bestimmte »Stimmung« von ihm aus. Ein bisschen so wie in einem Traum, der nie konkret dies und das bedeutet, aber sehr wohl in eine bestimmte Richtung deutet.

Der Kreatur eignet etwas Bedrohliches, sie ist aggressiv, bösartig, grausam, verschlagen, aufmerksam. Diese Attribute kann man in Zusammenhang mit dem Phänomen des Krieges, der Verwüstung, der Entzivilisierung bringen.

Kann es sein, dass Ihnen der Schatten des Krieges folgt?

Ich finde es etwas plump, dass die Kreatur direkt so benannt wird. Es wirkt auf mich ein wenig, als solle der Titel mindestens einmal so im Text vorkommen. Ich fände hier eine weniger künstlerische, wenn auch vielleicht etwas abgegriffene Formulierung wie: "Kann es sein, dass der Krieg Sie verfolgt?" stimmiger.


Guter Hinweis, habe ich geändert.

Insgesamt würde es mir noch mehr Lesefreude bereiten, wenn die Kreatur eine präsenter wäre und etwas kryptischer werden würde. Aber das könnte den Text überladen und ist jetzt nur mal ein aufgeworfener Gedanke.

Lasse ich mir durch den Kopf gehen.

Der Anfang ist sehr stark aufgeladen. Da ist die Rede von einer transzendenten Stille, dann kommt das Universum mit rein ... bei der "Welt" ist es mir dann aufgefallen und wurde mir etwas zu viel. wenn die "Erde" erbebt ist das ja nicht weit weg, aber vielleicht etwas weniger dick.

Habe ich geändert. Danke.

Brandt trat eiskalt der Schweiß auf die Stirn. Er würgte, spürte, wie sich Wasser in seinem Mund sammelte, spürte den Brechreiz, das Rumoren in den Eingeweiden.

Das Fettgedruckte finde ich etwas abgegriffen, das was danach folgt reicht mir für die Szenenbeschreibung und seinen Zustand aus, ist intensiv genug.


Stimmt, habe ich rausgenommen.

-> Es geht mir etwas zu einfach, was die Entwicklung der Figurenbeziehung angeht. Oder eigentlich anders: Ich finde, das kennt man schon so oft (sie wehrt ihn ab, kann ihn dann gebrauchen, sie tun sich zusammen). Ich würde das jetzt hier nicht unbedingt ändern, aber auch mal als Meinung dalassen, dass das etwas komplexer sein könnte.

Verstehe ich gut. Werde das mal künftig genauer betrachten und ein wenig abwechslungsreicher gestalten.

-> Am Schluss wird Brandt schon zum sehr abgezockten Killer. Das ist plotdienlich, allerdings frage ich mich, warum er dann vorher so Äußerungen fällt …

Man kann natürlich damit argumentieren, dass er nun eine "stärkere" Motivation hat und so etwas deswegen durchzieht, aber gerade bei seiner Unsicherheit an der Front und während der Flucht, sehe ich noch eine andere Figur, als das Ein-Mann-Killerkommando.


Da ist ein bisschen was von der ursprünglichen Idee verloren gegangen. An einer Stelle sagt Brandt, dass er von den Fernspähern zum Jagdkommando gewechselt ist. Fernspäher dienen als Aufklärer und greifen normalerweise nicht aktiv in Kämpfe ein. Jagdkommandos hingegen sind kleine Gruppen von Infanterie-Kämpfern, die nach Guerilla-Taktik operieren. Damit sollte angedeutet werden, dass Brandt schon eher Krieger als Beobachter ist. Am Ende der Geschichte bricht das wieder durch.

Vielen Dank, Vulkangestein, Deine Hinweise haben mir sehr geholfen.

Gruß Achillus

Wird fortgesetzt.

 

Lieber @Achillus,

manche Texte von dir lese ich sehr gerne, bei manchen tue ich mich extrem schwer.
Diesen hier habe ich in einem Zug gelesen, die Sprache ist sehr gut lesbar, gut ausgearbeitet, der Plot ist spannend und straight dargestellt, doch er lässt mich etwas ratlos zurück, weil ich einerseits hart an der Kriegsrealität zu schlucken habe (sie macht den Großteil der Geschichte aus) und mich andererseits frage: Was soll mir das sagen?
Also habe ich die bisherigen Komms. gelesen und deine Antworten dazu und verstehe nun, es geht dir um das, was du in deinem Kommentar unter meiner KG "Paria Paradise" als die "Conditio Humana" bezeichnet hast. Du suchst nach Aussagen über die Grundlagen der menschlichen Existenz, insbesondere unter Extrembedingungen.

für mich erfüllt die Geschichte das Bedürfnis, Menschen in solchen Situationen zu beobachten, ihr Handeln mit meinen Vorstellungen zu vergleichen, ihre Ethik gegen meine abzuwägen …
Das ist insofern schwierig, weil zwischen dir und dem Otto-Normal-Leser, also mir, ein Gefälle besteht. Einmal in Bezug auf die Sensibilität, zum anderen in Bezug auf den Erfahrungshorizont. Ich selbst als Kriegsdienstverweigerer kann mit den ganzen Waffengedöns nichts anfangen und habe glücklicherweise überschaubare Gewalterfahrung, doch darum sollte es auch nicht gehen. Du redest von Ethik, also von der Bewertung menschlichen Handelns, von Moral als Rechtfertigung für bestimmte Entscheidungen.
Da ist zum einen der Tod des Jungen. Brand erschießt ihn, nachdem er selbst von ihm angeschossen wurde, also ist die Legitimation Notwehr. Doch die wird später in frage gestellt, so einfach ist es also nicht, denn selbst in Kriegszeiten zählt jedes einzelne Menschenleben.
»Jedes Leben ist kostbar, Erik. Gerade Sie sollten das verstehen, nachdem, was Sie im Krieg erlebt haben.«
Und schon sind wir beim ersten moralischen Dilemma, für das es nur eine Lösung geben kann, bei der alle verlieren. Später am Lagerfeuer wird Brand mit einem Rächer konfrontiert in Gestalt einer Kreatur, die dann auftaucht, wenn Brand Menschen erschießt. Diese Kreatur scheint für Ausgleich sorgen zu wollen, dort wo jemand tötet, wird demjenigen selbst Schaden zugefügt. Insofern übernimmt sie in gewisser Hinsicht die Funktion eines moralischen Gewissens.
Dann kommt Jenny ins Spiel, die Brand darum bittet, ihren Bruder zu befreien und zum nächsten Opfer wird, erschossen von den Schergen Rugers.
Brand schlüpft nun selbst in die Rolle des "Schatten des Krieges", des Rächers, der für Ausgleich sorgt und tötet Jennys Mörder. Doch die Kreatur mag es nicht, wenn jemand ihr den Job abnimmt und tötet den Alten. Und wieder ist ein fragiles, merkwürdiges Gleichgewicht hergestellt - bis zum nächsten Vorfall. Aber gerade dem verweigert sich Brand durch sein finales Nein, durch seine Entscheidung gegen ein weiteres "Auge um Auge". Denn wie gesagt zählt das einzelne Menschenleben und das hat Brand auf dem Arm und will es nicht gefährden.
So lese ich den Text

#Textkram:

Dann trat ein eigenartiger Moment transzendenter Stille ein.
Transzendenz meint ja unser kleines menschliches Hirn und seine Vorstellungen/ Wahrnehmungen übersteigend, weil in Verbindung zu einem göttlichen Plan stehend, und das ist mir für so eine kleine Stille zu viel. Da würde mir unwirkliche Stille schon reichen. Auch das hier:
als gebe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen und auf das, was sie verloren hatten.
finde ich dahinter gesetzt etwas unpassend, weil es große Worte sind und du die philosophische Schublade ganz weit rausziehst, bevor ich überhaupt weiß, worum es in dem Text geht.

in flachem Bogen heran zischten
heranzischten

»Alt genug«, antwortete Jenny. Und mit einem sonderbaren Blick fügte sie hinzu: »Heute sind alle alt genug.«
Mit wenigen Worten viel gesagt.

»Kann es sein, dass der Krieg Sie verfolgt?«, sagte Elias irgendwann.
Starke erste Andeutung.

von der Siedlung jenseits der Scheunencamps wehte Fäulnisgeruch herüber.
des, oder ist es mehr als ein Camp?

Ein Teil von mir hat das gerne gelesen, der Rest sträubt sich.

Peace, linktofink

 

Hallo @Achillus ,

Ich war erst ein wenig abgeschreckt von dem Beginn mit seinen Kriegshandlungen, so ohne emotionalen Bezug (keine Person direkt zum mitfiebern und für ein friedensgeborenes, unbedarftes Menschenkind wie mich zu unbegreiflich), aber ich dachte mir, Achillus hat sich was gedacht, warte mal ab.
Ich mochte die Idee mit der Kreatur total. Sie hat mich über Brandt hinweggetröstet, der mir, wenn ich so drüber nachdenke, bis zum Schluss egal war. Oder, sauberer ausgedrückt: Die Geschichte hätte mehr mit mir gemacht, wenn ich mehr Empathie gegenüber Brandt gehabt hätte.

als gebe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen und auf das, was sie verloren hatten.
Hier dachte ich "Naja, sie haben ja noch nichts verloren, die Bomben fallen ja erst."
Ich habe zu diesem Zeitpunkt ja noch kein Wissen von vorherigen Bomben und dachte, dass dieser letzte Blick schlüssiger auf das geworfen wird, was man noch verlieren kann, wie seine Kameraden, das eigene Leben, das verdreckte Kartenspiel unter der Leitersprosse ...

Er musste raus aus diesem Zimmer, raus aus der Siedlung. Er musste …
Fand ich stark, dieses Hetzen, in meinen Kopf gepflanzt mit einer Zeile.
und betrachtete die Dinge, die ihm das Leben retten konnten
fun fact: Das musste ich locker zehn Mal lesen, weil ich ums Verrecken nicht wegkam von der absurden Lesart, dass das Leben ihm aktiv etwas retten könnte ... war ein blonder Moment, liegt nicht an dir.
Harte Schatten und Kanten in Brandts Gesicht
Trotz des auktoriellen Anfangs war ich sofort im personellen Erzähler bei Brandt und habe diesen Satz als Bruch mit der Perspektive empfunden. So als hätte die Geschichte in einer großen einleitenden Totalen begonnen und wäre dann zu Brandt hingeschrumpft, um auf seiner Schulter zu reisen.
Er würgte, spürte, wie sich Wasser in seinem Mund sammelte
Beginnt der Prozess nicht mit dem Speichelfluss, bevor das Würgen kommt?
Die Pistole krachte und – alptraumhaft verlangsamt – wankte er zurück, feuerte, sah, wie der Verschluss der Waffe eine Hülse nach der anderen herausschleuderte, hörte das dumpfe Hämmern der Fünfundvierziger.
Den Teil mag ich sehr.
Der Himmel lastete wie ein grauer Block über ihnen.
Auch ein tolles Bild.
Brandt betrachtete Jennys Gesicht und fragte sich, ob sie ihn mit einer leeren Waffe bedrohte oder inzwischen nachgeladen hatte.
Das sagt auch soviel aus über das Setting und Brandt und Jenny (die ich übrigens toll charakterisiert fand. Bin ich schön in die Falle getappt.)
»Sag nicht okay«, erwiderte Jenny, und ihre Stimme klang rau. »Schau mich an.«
Brandt betrachtete ihre schmalen, grünlich schimmernden Augen. »Ich töte dich«, sagte sie noch einmal.
Ich glaube ihr alles. Brandt, Alter, reiß dich zusammen.
»Ist das ein Geheimnis?«, fragte Brandt.
»Ich hatte Hilfe«, sagte sie schließlich.
Hier dachte ich noch: Vielleicht ist die Kreatur ein Freund, quasi der Wolf zum Rotkäppchen.
»Was soll der dämliche Koffer?«, fragte Jenny.
Ja, frage ich mich auch. Hätte Brandt nicht aus dem Laken an sich einen besseren Rucksack binden können?
»Alt genug«, antwortete Jenny. Und mit einem sonderbaren Blick fügte sie hinzu: »Heute sind alle alt genug.«
Ich überleg, ob der letzte Satz unausgesprochen als Gedanke, der im Raum hängt, mehr wirken würde.
Elias stand am gusseisernen Herd, als Jenny und Brandt die Küche des Hauses betraten.
Hier war ich wieder empört, dass der personelle Erzähler doch nicht wissen kann, dass der Mann Elias heißt.
»Rette nur den Jungen«, sagte Elias. »Das ist alles, was zählt.«
Jaja, als wenn es so leicht werden würde. Elias, hast du denn gar nichts gelernt?

Aber im ernst, ja, ein happy end erwartet hier kaum einer, aber so ein bisschen Hoffnung, etwas Licht in dem Dunkel, das fehlt mir in so manchem Text im Forum und darum muss ich schon dankbar sein, dass immerhin der Junge leben durfte.

Die Wiederkehr der Kreatur und die Lesart von linktofink mit dem "Auge um Auge"-Prinzip finde ich sehr faszinierend.

Und als ich die Baumsorten gelesen habe, musste ich ein wenig schmunzeln, habe ich bei deinem Indianertext doch über zu viele botanische Namen gezetert. :schiel:
Aber wer die Details über Waffen und Krieg so wirkungsvoll ausbreitet, dem zürne ich ganz sicher nicht die Bäume.

So richtig "glücklich" bin ich nach der Lektüre nicht, was aber eher an meinen Erwartungen liegt, als an deinem Text. Der liefert schon, was er zu Beginn einläutet: Krieg und alles dahinter, dazwischen und darunter. Und das in einer schreiberisch sehr gekonnten Art und Weise.

man liest sich
huxley

 

Hallo Fraser, schön, dass Du die Geschichte kommentiert hast, vielen Dank dafür!

Eine starke Geschichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei präzise und mit Sogwirkung.

Grundsätzlich bin ich ziemlich an Details interessiert, wenn darum geht, wie Menschen mit der (physikalischen) Welt interagieren. Mir fällt in Filmen, Spielen und Erzählungen häufig auf, dass die Figuren dort Fehler machen, wo sie eigentlich Experten sein sollten. Wenn die Männer einer Spezialeinheit beispielsweise ihre Waffen falsch handhaben, ist das so eine Sache, wo der Autor/Regisseur meiner Ansicht nach präziser sein sollte.

Ich gebe zu, beim ersten Abschnitt dachte ich, nee Danke, so eine Kriegsgeschichte, das ist jetzt so gar nicht meins.

Kann ich grundsätzlich verstehen. Das hat man oft gesehen und gelesen.

Bin froh, dass ich weitergelesen habe, denn dann entwickelte sich die Geschichte mehr in Richtung eines Psychogramms eines Mannes, der in einem nicht näher definierten, aber scheinbar das gesamte Land veheerenden Konflikt sowohl mit der feindlichen Welt um sich herum als mit seinen eigenen Dämonen kämpfen muss.

Ja, das war eine Grundidee des Ganzen. Natürlich kann man fragen, ob man die Psyche einer Figur überhaupt annähernd realistisch erfassen kann, wenn man sie eine extreme Situation versetzt. Nehmen wir die TV-Serie »The Walking Dead« als Beispiel. Das ist sicher eine gut gemachte Serie, wirklich spannend, mitreißend usw. (wenn man mal von der lachhaften Prämisse dieses Zombie-Virus absieht).

Aber ich frage mich beim Schauen ständig wie viel wir von den wahren Figuren tatsächlich sehen, wenn diese permanent mit den schlimmsten Schicksalsschlägen konfrontiert werden. Diese Menschen erleiden im Grunde permanent Traumata und können psychologisch eigentlich nicht mehr als »funktionierende« Figuren verstanden werden, sie sind tiefengeschädigt.

Es gibt ja diesen Mythos, dass man den »wahren Kern« eines Menschen erst in der Katastrophe erkennt. Das klingt plausibler, als es meiner Ansicht nach in Wirklichkeit ist. Die sogenannte »Feuertaufe« (des Krieges, der Apokalypse) zeigt nicht das echte Wesen des Menschen (das es so meiner Ansicht nach gar nicht gibt), sondern sie zeigt lediglich bestimmte Strategien der Anpassung, von denen einige funktional und andere dysfunktional sind. Von diesen Strategien aber auf den wirklichen Charakter eines Menschen zu schließen, ist wahrscheinlich zu simpel gedacht.

Ich konnte Brandt dabei gut folgen, atemlos fast bis zu der Stelle, als er auf Jenny trifft. Mit ihr trifft er auf Menschen, die sich gegen das Wegbröckeln jeglicher Zivilisation wehren, mit Vertrauen in das Gute im Menschen. Ist sicher kein neuer Ansatz, aber gibt der Geschichte (und Brandt) eine wichtige zweite Ebene und Tiefe.

Das ist für mich wirklich ein spannendes Thema und keineswegs auserzählt. Ich bin ja aufgewachsen in einem Umfeld, in dem nicht nur starke Kapitalismuskritik betrieben, sondern der Status der Zivilisation an sich hinterfragt wurde – Stichwort »Das Unbehagen an der Moderne«.

Dabei fällt mir gerade in den letzten Jahren auf, dass sich aus der Kritik am Jetzt-Zustand auch ein beachtlicher Egoismus ableitet, ein Mangel an Verständnis dafür, was wir dem Heute verdanken. Das Gute im Menschen, wie Du schreibst, ist meiner Ansicht nach eine Errungenschaft der Kultur, ein Resultat jahrhundertelanger Auseinandersetzung mit ethischen Grundfragen. Ich glaube, dass die Menschen heute tatsächlich »bessere« Menschen sind, als die Menschen des Mittelalters, nicht weil sie als bessere Menschen geboren werden, sondern weil sie in einer besseren Kultur aufwachsen – einer Kultur, in der Menschenrechte ein allgemein anerkanntes Konzept darstellen, genauso wie Umweltschutz, Gleichberechtigung von Frauen und Männern usw.

Natürlich kann man nicht behaupten, dass wir bereits da angekommen sind, wo wir wahrscheinich hinwollen, beispielsweise in einer wirklich gerechten Gesellschaft. Aber der Unterschied zum Mittelalter oder zur unzivilisierten Welt dürfte klar sein.

Im Licht des Mondes wirkte die Welt wie erstarrt. [...] Als der Schuss durch die Nacht krachte, kippte Brandt vornüber ins Feld.

Da müsstest du mir helfen. Es ist Nacht (der Mond). Brandt rennt über ein Feld und wird angeschossen. Ich habe Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, dass es jemand schafft, in der Dunkelheit (Mond hin oder her) einen rennenden, kriegserfahrenen Mann auf eine größere Entfernung (so stelle ich es mir zumindest vor) überhaupt zu treffen. Noch dazu mit einer Waffe in schlechtem Zustand. Ich bin da kein Fachmann, vom Gefühl her würde ich aber sagen, das ist ziemlich schwierig? Abgesehen davon, warum sollte der Junge das tun? Brandt rennt ja davon, stellt also eigentlich keine Bedrohung dar. Würde das nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen bzw den Jungen selbst in unnötige Gefahr bringen? Hm, keine Ahnung.


Also aus militärisch/ taktischer Sicht, ist Mondschein eine schwierige Sache, denn wie Dir jeder Jäger bestätigen wird, sieht man bei im Mondlicht ziemlich gut, insbesondere, wenn es um ein Ziel geht, das sich über ungedecktes Gelände (einen Acker) bewegt.

Natürlich ist das Treffen eines sich bewegenden Zieles die Königsdisziplin des Schießens. Es ist schwierig aber nicht so schwierig, dass man es nicht mit ein wenig Erfahrung schaffen könnte.

In der Geschichte tötet der Junge (bzw. hat es vor), um zu plündern. Da rennt jemand mit einem Koffer/ Rucksack über ein Feld. Das sieht nach leichter Beute aus. Ich glaube, dass Menschen unter den entsprechenden Umständen bereit sind, für einen Apfel zu töten. Und ich glaube, dass das eben nicht das Böse des Menschen zeigt, sondern seine Anpassungsfähigkeit.

Es gibt auf dieser Welt keine Spezies, die aus Pazifisten besteht. Wer eine Weile (sagen wir ein paar Tausend Jahre) auf dem Schlachtfeld der Evolution bestehen will, muss sich die Hände schmutzig machen. Die Arten überleben nicht, weil sie so liebenswürdig sind. Deshalb steckt davon immer auch ein Teil in uns, egal, wie kultiviert wir sind. Und wenn die Menschen dabei versagen, Gesellschaftsformen zu entwickeln und zu stabilisieren, die Friedfertigkeit belohnen, dann kommen zwangsläufig wieder die archaischen, martialischen Eigenschaften an die Oberfläche.

Und es sind insbesondere die Jungen, die jungen Männer, von denen in solchen Situationen die größte Gefahr ausgeht. (Man kann belegen, dass Mädchen und Frauen auf Männer einen zivilisierenden Einfluss ausüben.) So besteht beispielsweise in Staaten mit zerrütteten Sozialverhältnissen die besondere Gefahr, dass sich Jungen und junge Männer zu Banden zusammenrotten, die dann plündern, rauben, vergewaltigen und morden. Umgekehrt besteht die größte Chance solche Gesellschaften zu befrieden darin, die Bildung von Jungen-Banden zu verhindern, indem Jungen und junge Männer in soziale Kontexte eingebunden werden, in Trainings- und Bildungsprojekte beispielsweise.

Und dann die Sache mit Jennys Bruder. Warum hält Ruger sie nicht selbst gefangen? Damit hätte er eine stest verfügbare Sanitäterin und müsste nicht dieses unbequeme Arrangement eingehen.

Ich hatte mir gedacht, dass das Druckmittel mit Jennys Bruder die viel verlässlichere Strategie aus der Sicht von Ruger ist. Eine Gefangene müsste bewacht werden, sie könnte sich irgendwelche Sabotageaktionen ausdenken oder aus Verzweiflung einfach aufgeben, verweigern usw. Aber erpresst man sie mit ihrem Bruder, kann man sie an der langen Leine lassen.

Eine Sache noch: Warum hat Brandt dieses Befreiungsding nicht von vornherein durchgezogen, sondern hat sich erst mal auf die Idee von Jenny eingelassen? War es die fehlende Patrone aus der Hütte? Oder brauchte er die Wut über ihren sinnlosen Tod?

Ja, das ist ein bisschen um die Ecke gedacht. Brandt besitzt zunächst nur Pistolen- und Schrotmunition. Das macht es nahezu unmöglich, einen Späher auf einem erhöhten Aussichtsposten auszuschalten, wenn dieser aufmerksam ist, denn diese Munition hat eine geringere effektive Reichweite, als Büchsenmunition. Mit einem Jagdgewehr schießt ein guter Schütze präzise auf 100 Meter, 150 Meter oder sogar mehr. (Ich treffe mit einem Präzisionsgewehr auf 300 Meter einen Fußball.)

Deshalb braucht es diese eine Patrone aus der Hütte.

Insgesamt eine bemerkenswerte Geschichte, sprachlich sauber und souverän, da wüsste ich nicht, was man besser machen könnte. Die Sache mit dem Monster finde ich interessant, weil sie dem Leser die Möglichkeit gibt, sich dem Brandt auf einer psychologischen Ebene zu nähern, was auch immer man in diesem Ungeheuer sehen möchte. Respekt für diesen Beitrag.

Vielen Dank für Deine Gedanken zu meiner Geschichte, Fraser!

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

glücklicherweise habe ich über den ersten Absatz (der mich vom Thema her abgeschreckt hat) hinweg weiter gelesen, denn es wäre schade gewesen, hätte ich die Geschichte abgebrochen.

Relativ schnell kam ich damit klar, dass dieser Text keiner realen Situation zuzuschreiben war - Plastikflaschen und Tape ließen darauf schließen, dass es in einer fiktiven Geschichte spielt, reale aktuelle Kriegsschauplätze im Ausland wären durch eindeutige Namen und Bezeichnungen erkennbar gewesen, setze ich voraus.

Mir gefallen Protogonisten, die sich zu helfen wissen; Pragmatismus imponiert mir sehr und das ist als Außenstehender für mich interessant zu lesen, weil ich vielleicht sogar noch etwas lernen kann.

Es werden viele moralische Fragen über mehrere Ebenen aufgeworfen. Letztendlich stehen die einzelnen Protagonisten immer wieder neu vor Entscheidungen und es gibt kein Muster, an dem man sich orientieren kann. Das kann einem fast den Verstand rauben und wenn ich so Szenen lese, hoffe ich immer, nie in solche Situationen zu kommen.

Das Konstrukt, dass Jenny als Hilfskrankenschwester einspringt und der Bruder als Sicherheit gefangen gehalten wird, kann ich irgendwie nicht nachvollziehen. Wieso sollten sie dieses Risiko eingehen? Es wäre doch viel einfacher, Jenny bei sich zu behalten.
In dem Zusammenhang frage ich mich auch, wieso sie Jonathan nicht getötet haben, nachdem Jenny erschossen worden ist. Was hatte er denn noch für eine Daseinsberechtigung in den Augen der Gegner?

Die Kreatur war für mich ein Hirngespinst. Es ist ja auch kein Wunder, dass man nach bestimmten Erlebnissen nicht mehr genug eigene Kapazitäten hat, um alles im Kopf geordnet zu bekommen.
Da kann sich Realität und Wahn mischen.

Ich fands richtig spannend, gut geschrieben (mir ist kein Fehler aufgefallen), unterhaltsam (wenn man das bei der Thematik auch nicht so leicht sagen möchte) und die Dialoge passen auch.

Jedoch mehrere solche Geschichten brauche ich nicht hintereinander, das zieht mich zu sehr runter.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Friedrichard, schön, dass Du geschrieben hast. Vielen Dank dafür.

Ich eier schon einige Tage um Deinen Beitrag herum, Achillus, und unterstell einfach, dass Du Aggressionen eher abbauen denn verstärken übst/trainierst, und nicht wie jüngst „Hannibal“ und Konsorten den Straßenkampf vom Hubschrauber aus trainieren willst …

Den Hinweis zu „Hannibal“ verstehe ich nicht. Kannst Du das ein bisschen ausführen? Welchen „Hannibal“ meinst Du denn?

Aggressionen sind im Grunde nicht mein Thema. Es gibt Menschen, die haben zu viele unbewältigte Aggressionen und es gibt solche, die sind nicht aggressiv genug. Mich hingegen interessiert, Destruktivität zu überwinden, sowohl auf das Individuelle wie auch das Gemeinschaftliche bezogen.

Aggression ist nicht unbedingt destruktiv, sie kann auch erst mal nur eine Erregung sein, die dabei hilft, eine problematische, herausfordernde Situation zu bewältigen.

Auf die Geschichte bezogen: Die Figuren handeln in einer Umgebung, in der das Kämpfen unvermeidlich ist. Kill or get killed. Trotzdem betrachten sie diese Tatsache aus unterschiedlichen Perspektiven, das macht die Sache für mich spannend.

… denn Deine kleine Erzählung belegt ja schön den wohl berühmtesten Satz aus Carl Schmitts „Politischer Theologie“, wobei das entscheidende Wort für die Grenz- / Ausnahmesituation am Anfang des Satzes steht und damit an sich offen lässt, besser: ließe, ob der Souverän oder ein „souveräner“ Mensch gemeint sein könnte.

Naja, Schmitt wird ja sehr unterschiedlich interpretiert, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, welche Rolle er im Dritten Reich spielte und dass seine Formulierungen häufig mehrdeutig (oder unpräzise) waren.

Aber das von Dir angesprochene Zitat (Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.) gibt mir einen schönen Aufhänger: Mein Ansatz ist, dass der Ausnahmezustand, die Apokalypse, der Krieg etwas Wichtiges verdeutlicht, nämlich, dass die Grundbedingungen des zivilisierten Lebens untrennbar mit dem Funktionieren einer zivilisierten Gesellschaft verbunden sind.

Meiner Beobachtung nach vergessen oder übersehen gerade junge Menschen, was sie dieser Gesellschaft verdanken. Es gibt viel Gemecker, viel Kritik. Ich kenne Leute, die keine Steuern zahlen, nicht etwa aus Armut oder Egoismus, sondern weil sie das »Verbrechersystem« nicht unterstützen wollen.

Von den Großeltern hörte man früher ja häufig mal den nervigen Spruch: Dir geht’s wohl zu gut. Ehrlich gesagt, ist das aber oft auch mein Eindruck, wenn ich sehe, worüber sich heute öffentlich oder privat gestritten wird.

In diesem Kontext lassen uns dystopische Geschichten ein bisschen nach- oder einfühlen, was übrig bleibt, wenn sich die Zivilgesellschaft zurückzieht.

Dann trat ein eigenartiger Moment transzendenter Stille ein. Erik Brandt wusste nicht, ob er sich diesen Moment lediglich einbildete, aber es war, als käme noch ein Mal alles zur Ruhe, als gebe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen und auf das, was sie verloren hatten.

Einfaches zuerst, warum der Wechsel innerhalb der Konjunktive, wenn doch beides „als-ob-Situationen“ sind mit dem Universum als „göttlichem“ Ersatz?


Hm, ich könnte das »eigenartig« weglassen, denn es erklärt sich von selbst, dass eine »transzendente Stille« eigenartig ist.

Außerdem wäre »gäbe« besser als »gebe«, meinst Du das?

Welche grenz-/erfahrungsüberschreitende „Stille“ kann es geben neben dem Tod? Der schwere Kopf nach manchem bewusstseinserweiterndem Zeugs gleich welcher Art und dem Rausch selbst kann's eher nicht sein ...

Das ist schnell erklärt. Diese Stille hier empfinden die Soldaten nicht lediglich als einen Moment der Ruhe, als einen Augenblick, in dem das Getöse der Artillerie, das Schießen der Gewehre, das Geschreie usw. zur Ruhe kommt. Es ist ein merkwürdiger Moment, etwas Surreales, etwas, das eine Botschaft, eine Bedeutung zu haben scheint, die weit über das Hier und Jetzt hinausweist.

Es scheint an sich nur die Sonne und selbst der Mond leiht sich von ihr "sein" Licht, er scheint also nur zu scheinen, dass die Situation dem des „brauchen“ gleichzusetzen ist, von dem es heißt, wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen, es schien also nur so zu sein, als „ob“ etwas mit dem Schrei der Eule erwacht" wäre".
Da kommt nun aber der Vorteil des schwachen Verbes „regen“ zum Vorschein, Konjunktiv II und Prät. „lauten“ gleich

Verstehe ich nicht. Kannst Du das präziser formulieren?

Und dann die Namenswahl, ob bewusst gewählt oder nicht: „Brandt“ wird jeder verstehen, aber „Erik“ firmiert i. d. R. als Alleinherrscher (got. „reiks“, altnord. „rik“, ahd. „rihhi“ „reich, mächtig“, „e(h)“ e(h)wig, auch im Wort „Ehe“ als langwährender Vertrag enthalten).

Der Name »Brandt« ist bewusst gewählt. Danke für den Hinweis zu »Erik«.

Möge der Herr oder sonst wer solche Szenarien verhindern!

Über diesen Gedanken kann ich mich als Autor der Geschichte nur freuen.

Das Du schreiben kannst, braucht ja nicht erwähnt zu werden.

Oh, doch. Höre es schon gern.

Vielen Dank, Friedel!

Wünsche Dir eine gute Zeit zum Jahreswechsel.

Gruß Achillus

 

»In diesen Zeiten ist es schwierig, das Richtige zu tun«, sagte Elias. »
… die Werte bewahren, die wir …«
»Ich habe den Jungen erschossen«, sagte Brandt und hielt inne. »Er versuchte,
mich zu töten, also erschoss ich ihn.«
[…]
»Noch mal wegen des Jungen«, sagte Brandt. »Ich wollte das nicht. Töten
oder getötet werden, das war´s.«
Elias schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ist es so einfach?«

Es begann wie immer mit einem Pfeifen, hoch oben im wolkenverhangenen Himmel. … Die Mannschaften stürzten aus den Zelten und warfen sich in die morastigen Schutzgräben. Dann trat ein eigenartiger Moment transzendenter Stille ein.

Nicht erschrecken,

Archillus,

ich les gelegentlich auch mehr als zwomal und Deine Fragen (die ich – hoffentlich alle, ohne neue aufzuwerfen – beantworten werde) zu meinem Komm verführten mich geradezu. Schon der erste Satz meint ja nicht das Jubilieren himmlischer Heerscharen, sondern Produkte der Waffenindustrie, die da „pfeifen“, denn es ginge auch ohne Komma (am deutlichsten wird‘s durch einfaches Möbelrücken „Es begann wie immer hoch oben im wolkenverhangenen Himmel mit einem Pfeifen.“
Durch Wahl der Appostion führstu sofort in die Situation ein – andere Pfeifen vor Angst in Keller und dunklem Wald, hier pfeift die Gefahr.

Erik Brandt wusste nicht, ob er sich diesen Moment lediglich einbildete, aber es war, als käme noch einmal alles zur Ruhe, als gebe das Universum den Menschen Gelegenheit, einen letzten Blick auf ihr Leben zu werfen …
Klar, schon die Kombination „als wäre“ lässt das Ganze als „unwirklich“ erscheinen, dass der Konjunktiv irrealis beibehalten werden muss. Also korrrekt „gäbe“ statt „gebe“

Schrappnelle hagelten herab – Kreischen, Donnern, Blutgeruch.
Blut riecht so wenig wie Metall (manche meinen sogar, Blut röche nach Kupfer, was gänzlicher Unsinn ist), was wir evtl. riechen ist Schweiß, vor allem aber Verwesung oder wie weiter unten
… von der Siedlung jenseits der Scheunencamps wehte Fäulnisgeruch herüber.

Es schien, als sei mit dem Schrei der Eule etwas erwacht - in den Tiefen des Waldes jenseits des Feuerkreises regte sich ein Wille.
Ach ja, das Scheinen der Sonne ist ein Spruch des Deutschlehrers aus der Realschulzeit. Konkret können einig Vollverben wie etwa „scheinen“ („die Sonne scheint“) und „brauchen“ („das brauch ich nicht“) als Modalverben genutzt werden, wobei sie ihre ursprüngliche Bedeutung ändern und den Infinitiv mit „zu“ des Vollverben verwenden („Friedhofsruhe schien über dem Schlachtfeld zu liegen/herrschen/sein“, „xy braucht gar nicht erst zu kommen“)

Genau in der Funktion tritt hier „scheinen“ auf, „es schien so zu sein, als ...“ Der Duden umgeht dieses Problem i. d. R. mittels der Vorsilbe „er“, „es erscheint“, einige Buchstaben einsparen zu können.

An sich weißtu‘s doch, siehe weiter unten

Die Zeit schien still zu stehen.

Aber Dein Satzbau lässt eine weitere Lösung zu: Den Konjunktiv II, der nix – hab ich bestimmt schon früher erwähnt – mit der Zeitenfolge zu tun hat und nur über den Grad der Potentialität und Aktualität bestimmt (in der Wahrscheinlichkeitsrechnung also die Werte zwisch „0“ und „1“, „Lüge, Unmöglichkeit“ und „wahr, existent“ (auf solche Varianten kommt man erst zuletzt).

Bleibt Deine Frage, welchen „Hannibal“ ich in meinem Komm meine.

Seltsam, „Hannibal“ (an sich André S.) hat‘s – wie ich gerade seh – schon bei Wikipedia vor den karthagischen Schrecken Roms geschafft, wogegen ich eher Adressen wie
Rechte Netzwerke: Elitesoldat “Hannibal” verlässt Bundeswehr“, „"Hannibal" und seine Wölfe: Auszüge aus geheimen Chats des dubiosen Vereins "Uniter", „Rechtes Netzwerk in Sicherheitsbehörden: „Hannibal“ muss vor Gericht“ oder „welt.de/print/die_welt/politik/article175645607
Im ARD-Magazin Monitor wurd er schon mal vorgestellt, den genauen Wortlaut krieg ich aber nicht mehr zusammen. Muss man mal schauen und hören in der Mediathek usw. usf.

Dieser ehem. Elitesoldat wird mit dem Namen des Franco A. In Verbindung gebracht und übt mit Gleichgesinnten den Straßenkampf, inzwischen auch – nach Video - vom Hubschrauber aus - den Kampf.

Wobei mir vorhin bei Nennung des Karthagers/Phöniziers (!) der Name einfällt, den ich zu Deiner Geschichte noch gar nicht erwähnt hab:

„Elias“, den Namen des alttestamentarischen Propheten, dem zwar kein Buch im AT zugestanden wird, der aber als erster vom „Messias“ sprach, was ihn für mich in die Zeit der „babylonischen“ Gefangenschaft (so muss ja – sehr grob gesagt - die Bundesrepublik Reichsbürgern und andern rechten Vögeln – wie eben Hannibal und seinem Verein „Uniter“ vorkommen) auftreten lässt, denn:
Historisch gesehen entsteht der Messias-Glaube mit der Rückkehr aus der „babylonischen“ Gefangenschaft und ist somit mit dem Namen des persischen Eroberers Kyros* verknüpft, der die jüdischen Eliten „heimkehren“ ließ.

Wie dem auch sei,
nicht ungern gelesen

Friedel,
der noch einen guten Rutsch wünscht!


* ausdrücklich in Jesaja 45, 1

 

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