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Ein Tag wie jeder andere

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04.09.2017
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Ein Tag wie jeder andere

Wie jeden Morgen stehe ich auf, gehe durchs Haus und öffne die Läden vor den Fenstern. Anschließend geht es zur Tür raus, um nach dem Briefkasten zu sehen. Meistens ist etwas da, sei es auch nur Werbung. Was auch immer ich finde, ich bringe es rein zu meiner Frau, der ich sogleich den Schlüssel gebe. Sie hängt ihn wieder zu den anderen, während ich ins Wohnzimmer gehe. Sie hat mir bereits Musik aufgelegt. Etwas Schönes zum Mitsummen. Leider weiß ich nicht mehr genau, wie die Gruppe heißt, aber sie gefällt mir. Ich setze mich auf meinen Sessel und lege die Beine hoch auf einen kleinen Sitzsack, der sich dafür als äußerst bequem erweist.

So döse ich ein wenig vor mich hin, ehe mir einfällt, dass die Läden offen sind. Nanu, es ist schon dunkel draußen. Zumindest spät muss es sein, grau und trist, wie sich der Himmel präsentiert. Ich stehe auf und mache die Fenster zu, ziehe die Vorhänge zusammen und gehe sicher, dass alles dicht ist. Schließlich ist das Haus doch unsere Privatsache, da muss niemand hineinschauen zu später Stunde. Jetzt hab ich wieder was geschafft, das Haus ist ganz schön groß, und ich setze mich in meinen Sessel und lege die Füße hoch.

Da höre ich meine Frau rufen. Was wohl los ist? Ich stehe auf und sehe nach ihr: Sie steht im Flur vor einem offenen Fenster. Ach, das muss ich übersehen habe. Ich gehe ihr entgegen und hebe beschwichtigend die Hände, ehe ich mich daran mache, den Laden zu schließen und die Vorhänge zuzuziehen. Sie legt mir ihrerseits die Hand auf den Arm. Verdutzt blicke ich sie an, mache dann aber weiter. Dann kann ich meiner Frau nur noch irritiert zusehen, wie sie kopfschüttelnd den Gang entlang läuft. Hat sie noch etwas gesagt? Ist etwas passiert?

Durcheinander und etwas angestrengt gehe ich ihr nach bis in die Küche. Gerade macht sie das Frühstück bereit und ich setze mich an den Tisch. Es gibt etwas Tee und Brot mit Wurst. Letztere ist mir etwas zu viel und außerdem so unglaublich zäh. Etwas pikiert muss ich Reste davon übrig lassen. Meine Frau wirft sie schulterzuckend in den Müll. Hatte sie noch etwas gesagt? Sie scheint mir so stumm in letzter Zeit.
Ach, da ist noch ein Gesicht, ein junger Mann ist zu Besuch. Ich kenne ihn gut, er mich auch! Wir lachen etwas, ich glaube, weil ich eine Miene verzogen habe. Das kann ich gut, Scherze machen. Ich mache ständig Scherze, vielleicht auch etwas zu oft. Ich merke, dass meine Frau manchmal nur den Kopf schüttelt. Aber es fällt mir schwer, mir zu merken, welchen Witz sie gut und welchen sie nicht so gut fand. Irgendwie scheint das auch nicht konstant zu sein. Aber Humor ist, wenn man trotzdem lacht, sage ich immer. Und da hat mir bisher noch jeder zugestimmt!

Nach dem Frühstück gehe ich durchs Haus. Alle Läden sind schließlich offen, wie ich feststellen muss und sorgsam verschließe ich sie wieder. Es ist doch schon spät! Oder nicht?
Ich sitze gerade wieder in meinem Sessel, da kommt meine Frau herein und zeigt auf die Rollläden und Vorhänge des Wohnzimmers. „So spät ist es nicht, mach doch wieder auf“, bittet sie mich. Ich zucke mit den Schultern und entschuldige mich, ich war wohl etwas durcheinander. Hastig eile ich durch das Haus und öffne wieder alle Läden und ziehe die Vorhänge beiseite. Auch wenn es draußen grau und düster ist. Nun, bald ist Abend, dann mache ich wieder alles zu. Soll ja schließlich Ordnung sein, hier im Haus. Und ich werde dafür sorgen, dass jeder hier sicher ist.

Es gibt Mittagessen! Ich habe zwar keinen Appetit, aber meine Frau fragt lieb und nett, ob ich nicht dazu kommen wollte. Ich sehe nur noch einmal kurz nach den Fenstern. Und dem Briefkasten – vielleicht ist ja Post gekommen. Meistens ist etwas da, sei es auch nur Werbung. Was auch immer ich finde, ich bringe es rein zu meiner Frau, der ich sogleich den Schlüssel gebe. Sie hängt ihn wieder zu den anderen, während ich ins Wohnzimmer gehe.
Da steht sie wieder und sieht mich fragend an. Sie wirkt etwas kraftlos. Ach so, sie hat etwas zu essen bereitet, sagt sie. Ich stehe auf und folge ihr in die Küche. Wir essen gemeinsam, der junge Mann ist auch wieder da.
„Wie bist du denn …?“, frage ich.
„Ich habe einen Schlüssel“, sagt er bereits. Er schaut dabei nicht einmal auf. Merkwürdig, er wusste wohl, dass ich fragen wollte, wie er hereingekommen sei. Ein gescheiter Junge. Aber gut, so muss ich mir keine Sorgen machen, dass ein Fenster oder gar eine Tür unverschlossen war. Alles ist in Ordnung.

Das Essen war gut, nur bin ich scheinbar etwas in Gedanken verloren. Ich gieße das Falsche auf meinen Teller, aber meine Frau ist sofort da und nimmt mir kopfschüttelnd das Gericht ab. Ich bekomme einen neuen Teller, fertig angerichtet und kann essen.
Der junge Mann ist auch da, er lacht etwas und ich lache mit. Meine Frau und er unterhalten sich und ich machte ein paar Scherze dazu. Das kann ich gut, Scherze machen. Ich mache ständig Scherze, vielleicht auch etwas zu oft. Ich merke, dass meine Frau manchmal nur den Kopf schüttelt. Aber es fällt mir schwer, mir zu merken, welchen Witz sie gut und welchen sie nicht so gut fand. Irgendwie scheint das auch nicht konstant zu sein. Aber Humor ist, wenn man trotzdem lacht, sage ich immer. Und da hat mir bisher noch jeder zugestimmt!

Nun ist es Zeit, auf den Friedhof zu gehen, meine Eltern besuchen. Meine Frau nickt nur, als ich Hut und Jacke nehme und sage, wo ich hinmöchte. Sie hat sich gerade in die Küche gesetzt und trinkt etwas Tee. Wahrscheinlich ruht sie sich erst einmal von der ganzen Hausarbeit aus. Das hat sie sich aber auch verdient, meine gute Frau.
Ich gehe raus, die Straße runter, denselben Weg, den ich immer gehe. Kurz vor der großen Kreuzung nach links. Bis zum Ende, wo die große Eiche steht und da … ist eine Baustelle. Nun, das ist kein Problem. In diesem Ort bin ich groß geworden, ich muss nur zunächst links statt rechts. Dann die Straße runter. Ja, bis aufs Feld. Hier kann ich einen Umweg machen und komme dann zu … ja, ich muss hier nur länger entlang laufen.

Der Weg ist ganz schön lang. Aber ich werde mich nicht geirrt haben, schließlich bin ich hier aufgewachsen. Hier in … zuhause eben. Probieren wir es doch hier im Feld einfach mal mit links. Da sind ein paar Fahrradfahrer, ich winke mal höflich! Sie nicken mir zu, fahren weiter. Recht flott unterwegs, junge und quickfidele Burschen.
Ah, da vorne ist eine Straße. Wenn ich neben ihr her laufe, komme ich wieder zurück. Langsam wird es mir doch ungemütlich. Meinen Gang zum Friedhof muss ich auf morgen verschieben. Es wird auch langsam dunkel, wenn ich das richtig erkenne.
Zum Glück ist nicht viel los, ich muss sagen, mir ist immer recht unbehaglich, wenn Autos vorbeifahren. Auch im Haus, das ist ein ordentlicher Lärm. Und durch die Fenster können die Leute dann auch noch reinschauen und sehen, wie ich mich erschrecke. Einen armen alten Mann auslachen, das ist nicht nett. Deswegen müssen die Läden abends zu! Oh, es wird Zeit. Ich muss dringend nach Hause, um die Türen und Fenster zu schließen. Vorhänge müssen zugezogen werden. Gerade liegt alles offen, ich muss mich beeilen, es wird dunkel. Ich muss mich beeilen, meine Frau wartet bestimmt schon. Zum Glück ist hier nicht viel los, ich habe etwas Unbehagen, wenn Autos vorbeifahren.

Da kommt eins! Hastig, schnell zur Seite. Etwas von der Straße ab, es hat angefangen zu regnen.

Ich muss gestürzt sein. Dreck klebt an meiner Jacke. Eine schöne Jacke, die meine Frau ausgesucht hat. Oh nein, das wird ihr nicht gefallen. Wieder mehr Arbeit für sie. Was habe ich denn nun schon wieder gemacht? Wo bin ich eigentlich? Es ist so dunkel … da ist immerhin die Straße. Es regnet heftig und es ist kalt geworden. Zitternd reibe ich die Arme an meinen Oberkörper, verteile den Matsch und die roten Spritzer darin noch mehr.
Ein Auto hält und der Fahrer steigt aus: „Ist alles in Ordnung?“
„Ich muss nach Hause“, winke ich und blicke nach links und rechts. Wohin muss ich?
„Sie müssen sich den Kopf angeschlagen haben“, redet der Mann weiter.
„Ich muss nach Hause!“, sage ich.
„Wo wohnen Sie denn?“

Viele Menschen stehen um mich herum. Und rotes Licht ist da. Aber der Himmel ist noch immer dunkel. Ich liege auf dem Rücken, aber der Boden ist weich. Ein Mann beugt sich über mich.
„Wie geht es Ihnen?“
„Ich muss nach Hause!“, erwidere ich. Was wollen all die Menschen von mir? Warum ist hier so viel los? So viele Menschen, so viel Treiben, dieses grelle Licht, was ist denn los?

Neben dem Mann steht eine ältere Frau, die ebenfalls auf mich herabblickt. „Endlich bist du wach! Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht“, sagt sie.
Ich runzle die Stirn: „Wer sind Sie? Ich muss nach Hause!“

 

Hallo Wortkrieger,

Die Geschichte selbst ist keine große Überraschung oder Neuheit, allerdings würde ich mich über Feedback sehr freuen, insbesondere zu folgenden Fragen:

Was hältst du von den "Copy&Paste"-Wiederholungen? Zwei Passagen habe ich ja wortwörtlich noch einmal eingefügt. Unterstützt das den imaginierten, immer wieder ablaufenden Zustand oder wirkt es uninspiriert und könnte stärker durch Steigerungen ausgedrückt werden?

Wie wirkt der Stil? Zuweilen sind es absichtlich "verhaspelte" Sätze, die einfach mit Kommas nebeneinander stehen. Es soll etwas verstreut und unkonzentriert wirken, gelingt das?

Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Liebes Vulkangestein,

deine Geschichte ist grauenhaft. Die macht mich echt fertig. Du hast mich zu Tränen gerührt.

Meine Oma war dement und du hast den Zustand sehr gut beschrieben. Ich nehme an, du hast auch jemanden in deinem näheren Umfeld, der daran leidet.

Es ist schon als Außenstehender schrecklich dieser Krankheit zuzusehen und du bist sogar zu dieser Person geworden.

Du fragst, ob dein Stil und die Wiederholungen funktionieren. Für mich tun sie das auf jeden Fall! Du hast verschiedene Aspekte der Krankheit dadurch sehr gut beschrieben.

Die Wiederholungen zeigen, dass die Hauptperson wirklich alles vergisst, und zwar nicht nur „Wo habe ich meine Schlüssel hingelegt?“ sondern komplette Handlungen werden vergessen. Da geht man halt mehrmals am Tag zum Briefkasten als wenn nichts gewesen wäre. Dein Prota vergisst zu essen. Meine Oma hat immer vergessen, dass sie schon gegessen hatte und sich total vollgestopft. Oder spiegelt sich genau das auch hier wieder:

Es gab etwas Tee und Brot mit Wurst. Letztere war mir etwas zu viel und außerdem so unglaublich zäh. Etwas pikiert musste ich Reste davon übrig lassen.

Du hast kaum Dialoge in deiner Geschichte. Das finde ich gut. Es verdeutlicht die Barrikade zwischen dem Mann und seiner Frau. Sie leben mittlerweile in verschiedenen Welten. Das meiste passiert nur noch in dem Kopf des Mannes. Was er schon gesagt hat und was nicht, hat er eh wieder vergessen.

Auch dieses starke Bedürfnis nach Sicherheit ist ein klares Zeichen und wird durch die Wiederholung bzgl. der Fenster und Vorhänge sehr deutlich.

Es schlimm, dass die Menschen selber nicht verstehen, was mit ihnen los ist. Das wird auch bei dem Mann in der Passage auf dem Weg zum Friedhof sehr deutlich. Er begreift nicht warum er den Weg nicht finden kann, er ist doch dort aufgewachsen.

Und dann erkennt er am Ende nicht mal mehr seine Frau wieder. Es zerbricht mir das Herz.

Ich finde es beeindruckend, wie du es geschafft hast diese Krankheit ohne viel Tamtam darzustellen. Mich hat es sehr berührt.

Vielen Dank für diese Geschichte und viele Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

Hallo Nichtgeburtstagskind,

danke dir für deinen ausführlichen und genauen Kommentar! Es freut mich zu hören, dass ich mit dem Stil und den Beschreibungen diese Emotionen wachrufen konnte - auch wenn es leider keine schönen sind.


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Vulkangestein,

unter einem bestimmten Aspekt habe ich hier noch keine Geschichte betrachtet. Und es wäre für mich persönlich interessanter gewesen, wenn ich selbst darauf gekommen wäre. Aber das soll dich jetzt nicht weiter stören. ;)

Es mutet absolut passend an, zu diesem Thema dein angewandtes Stilmittel zu nutzen. Rein vom Gefühl her. Auch bereitest du mich von Beginn an mit einfachen Sätzen und knappen, klaren Beschreibungen darauf vor, dass der Protaginist etwas anders ist.

Gut auch, dass du mir sehr bald eine Ehefrau präsentierst, weil ich schon an eine autistische Störung denken musste und sich auch somit das Alter ankündigte, also kein Kind zu erwarten war.

Ich empfinde das Experiment ziemlich gewagt, denn wer ahnt schon, wie es sich anfühlt, wenn man sich mit sich selbst fremdfühlt und alles um einen herum verschwimmt, man orientierungslos wird.

Dass er seine Frau erkennt und den Sohn (?) nicht, nehme ich mal einfach hin. Auch danke ich dir, dass du einen Mann zeigst, der ja noch nicht wirklich unzufrieden oder unglücklich oder gar aggressiv ist, der über Humor verfügt, Freude an kleinen Aufgaben hat und noch nicht gänzlich infantil agiert.

Du führst mich mit ihm hinaus und ich erlebe seine Verunsicherung und seine Verwirrtheit, anhand seiner Handlungen und Sprache, hautnah. Das funktioniert sehr gut, ist nur schwer auszuhalten.

Also, für mein Empfinden, ist es dir geglückt, sowohl stilistisch, als auch vom Verlauf, mir den armen Mann vorzustellen.

Ich kann es gut nachempfinden, wie traurig es ist, von einem geliebten Menschen, den man jahrzehntelang kennt, möglicherweise verwandt ist, nicht erkannt zu werden. Sicher haben viele Leser eigene Erfahrungen mit diesem Thema und sind ganz dicht an deiner Geschichte dran.

Vielen Dank für diese Geschichte und ein schönes Wochenende, Kanji

 

Hallo Kanji,

danke für deine Rückmeldung!

Gut auch, dass du mir sehr bald eine Ehefrau präsentierst, weil ich schon an eine autistische Störung denken musste und sich auch somit das Alter ankündigte, also kein Kind zu erwarten war.
--> Ich hatte tatsächlich beim Schreiben nahezu vergessen, dass ich das Alter des Mannes darstellen muss. Gut, dass es durch das Drumherum trotzdem deutlich wird, bevor der alteMann als solcher bezeichnet wird.

Ich empfinde das Experiment ziemlich gewagt, denn wer ahnt schon, wie es sich anfühlt, wenn man sich mit sich selbst fremdfühlt und alles um einen herum verschwimmt, man orientierungslos wird.
--> Ich habe auch schwer gezögert, ob ich es schreiben und dann auch noch präsentieren sollte. Allerdings wollte ich es einfach mal versuchen, auch in der Hoffnung, dem ganzen etwas näher zu kommen.

Dass er seine Frau erkennt und den Sohn (?) nicht, nehme ich mal einfach hin.
--> Eigentlich wollte ich hier Abstufungen darstellen. Ich glaube, ich muss da bei dem jungen Mann (soll der Enkel sein) noch einbauen, dass er ihn vage erkennt (gehört zur Familie), aber nicht mehr einen Namen parat hat. An der Stelle ergänze ich vielleicht noch etwas.

Auch danke ich dir, dass du einen Mann zeigst, der ja noch nicht wirklich unzufrieden oder unglücklich oder gar aggressiv ist, der über Humor verfügt, Freude an kleinen Aufgaben hat und noch nicht gänzlich infantil agiert.
--> Das war mir wichtig. Ich wollte keinen "Unmenschen" schaffen, sondern einen netten und fürsorglichen Mann, der leider aufgrund seiner Krankheit nicht mehr zurecht kommt.

Es ist ein schwieriges Thema, aber ich bin erleichtert, dass mein Ansatz nicht gänzlich in Stereotypen verfängt ohne den Menschen hinter der Krankheit darzustellen.


Liebe Grüße und auch dir ein schönes Wochenende,
Vulkangestein

 

Hallo Bas!

Deshalb versuche ich es jetzt noch mal, weil ich deine Art und Weise, dich mit der Thematik auseinanderzusetzen, sehr interessant und ambitioniert finde.
--> Vielen Dank, dass du dem Text und mir noch eine zweite Chance gegeben hast. :shy:

Komma nach unbehaglich
--> Danke für den Hinweis, ist korrigiert.

Ich habe ein kleines Problem damit, dass er alleine draußen unterwegs ist. Du deutest an, dass seine Frau sich ausruhen muss, das sei ihr gegönnt – aber würde sie ihn wirklich noch alleine auf die Straße lassen? Klar, man sollte ihn nicht einsperren … Auf mich wirkte es trotzdem befremdlich, dass sie ihn nicht zumindest gebeten hat, daheim zu bleiben.
--> Die Stelle ist tatsächlich irrational. Vielleicht könnte ich es etwas ausbessern, wenn ich schildere, dass der Mann jeden Tag zum Friedhof geht und das Vertrauen in diesen (noch) funktionierenden Automatismus besteht.

Danke für deinen ausführlichen und schönen Kommentar! Es freut mich wirklich sehr zu lesen, wie du an den Text herangegangen bist, was dein erster Eindruck war und wie er sich verändert hat. Das hat mir noch einmal sehr geholfen, zu verstehen, was ich hier gut gemacht habe und was Irritationen hervorruft.


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Hallo Vulkangestein,
ich finde das Thema deiner Geschichte sehr wichtig und spannend. Oben wurdest du auch dafür gelobt, dass du die Geschichte personal, also aus der Sicht des Dementen erzählst. Dadurch ist man einerseits näher dran am Geschehen, andererseits - und das wäre meine Kritik - aber auch nicht. Ich bin ja kein Experte in Demenzfragen, aber jemand, der wirklich dement ist, könnte seine Irritationen wohl nicht mehr so flüssig beschreiben. Damit ist der Erzähler aber gespalten, und zwar in den Dementen, der alles erlebt, und in jemand anders (sozusagen einen impliziten Autor), der das Ganze elaboriert.
Kennst du "kein runter, kein fern" von Plenzdorf? Wenn nicht, vielleicht interessiert dich das Buch. Hier versucht der Autor, das Problem des gespaltenen Erzählers zu überwinden, indem er die Sprache der Hauptperson, hier eines Sonderschülers, imitiert.
Zum Schluss noch: "Nanu" ist ein zusammengeschriebenes Wort, "niemand" schreibt man klein und "zu essen" auch (im Gegensatz zu "zum Essen"); und außerdem: Meine Frau nickte nur, als ich Hut und Mantel nehme (also mit Komma).
Liebe Grüße
Anselmi

 
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Hallo Anselmi,

Ich bin ja kein Experte in Demenzfragen, aber jemand, der wirklich dement ist, könnte seine Irritationen wohl nicht mehr so flüssig beschreiben. Damit ist der Erzähler aber gespalten, und zwar in den Dementen, der alles erlebt, und in jemand anders (sozusagen einen impliziten Autor), der das Ganze elaboriert.
Das ist ein spannender Punkt. Damit könnte man wohl eine ganze Ebene tiefer eintauchen, wenn es gelänge. Dazu braucht es aber wohl noch deutlich mehr Fachwissen, als ich es bis jetzt habe.
"kein runter, kein fern" kenne ich nicht, aber das ist auf jeden Fall ein interessanter Ansatz. Ich denke mal, das Buch werde ich ansehen!

Zum Schluss noch: "Nanu" ist ein zusammengeschriebenes Wort, "niemand" schreibt man klein und "zu essen" auch (im Gegensatz zu "zum Essen"); und außerdem: Meine Frau nickte nur, als ich Hut und Mantel nehme (also mit Komma).
Wird sofort verbessert, danke dafür! :)


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 
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Hallo Vulkangestein,

ich finde die Geschichte stark. Ich mag die Ruhe darin, weil sie, für mich, die Vergesslichkeit verstärkt. Und man sieht gut, das sich sein Denken nur mit wenigen Dingen beschäftigt.

Wie das in der Praxis aussieht, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hängt das von der einzelnen Charakterstruktur ab, wie die Personen reagieren. Ob sie alles geduldig akzeptieren oder quengelig werden. Diese Vorstellung kam mir beim Frühstück, wo ihm die Wurst zu zäh war.

Am Anfang habe ich etwas gestutzt. War es nun morgens oder abends, aber das, zusammen mit dem Ton, hat mich dann auf die Lösung gebracht.

der ich sogleich den Schlüssel gebe

Ein schönes Detail.

Das er vor dem Mittagessen noch mal zum Briefkasten will und dafür genau die gleichen Worte benutzt werden, finde ich besonders gut. Die erste Wiederholung hat mir da wirklich einen „Kick“ gegeben. Und ich finde es auch nicht abwägig. Jeder hat seine bestimmten Ausdrucksweisen. Wenn ich mit meine Mutter (88) in Ff spreche, benutzt sie auch häufig die gleichen Formulierungen.

Bei der zweiten Wiederholung war der „Kick“ nicht mehr so stark, ich fand die Wiederholung aber trotzdem reizvoll.

Die ganzen kleinen Wiederholungen erschaffen für mich erst die realistische Atmosphäre. Ich finde sie nicht übertrieben und sie bringen die Verstreutheit unauffällig auf den Punkt. Es gab aber eine Stelle, wo ich dachte: nicht schon wieder die Fenster.

Im nächsten Moment waren da so viele Menschen.

Finde ich etwas abrupt.

Der Schlussatz gefällt mir und bringt eine interessante Wendung. Ich führe das aber nicht auf eine akute Verschlechterung zurück, sondern auf den Stresszustand.

Gerne gelesen, weil eindringlich.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

Hallo Rainer Hohn,

vielen Dank für deinen Kommentar!

Die ganzen kleinen Wiederholungen erschaffen für mich erst die realistische Atmosphäre. Ich finde sie nicht übertrieben und sie bringen die Verstreutheit unauffällig auf den Punkt. Es gab aber eine Stelle, wo ich dachte: nicht schon wieder die Fenster.
-> Stellt sich die Frage, ob das unangenehme Gefühl transportiert wird oder ob der Autor zu unkreativ war. Bei so einem Text natürlich eine Gratwanderung.

Finde ich etwas abrupt.
-> Das stimmt. Ich habe jetzt zunächst nochmal einen Absatz eingefügt, der ja auch mal einen Zeitensprung suggeriert. Einfügen werde ich an der Stelle wohl nichts mehr, da mir die Ideen fehlen, noch weitere notwendige Szenen zu kreieren.

Der Schlussatz gefällt mir und bringt eine interessante Wendung. Ich führe das aber nicht auf eine akute Verschlechterung zurück, sondern auf den Stresszustand.
-> Würde ich so unterstreichen. Die akute, dauerhafte Verschlechterung wäre wahrscheinlich etwas unrealistisch.

Gerne gelesen, weil eindringlich.
-> Freut mich.


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Vulkangestein,

Stellt sich die Frage, ob das unangenehme Gefühl transportiert wird

Anfangs fand ich die Geschichte eher symphatisch. Die Person bewegt sich in ihrer kleinen Welt und kommt darin zurecht. Sie hat ihre Routinen und ist umsorgt. Durch die ständigen Wiederholungen wurde es dann zunehmend deprimierend und man spürt, das alles nur eine kleine Schleife ist, das die Welt dieser Person aus fast nichts besteht.

Ob er allein zum Friedhof gehen kann? Ich denke schon, auch das ist eine Routine, wenn der Weg einfach ist. Geradeaus und einmal links. Das Problem war ja dann die Baustelle, was er nicht mehr verarbeiten konnte. Würde ich vom Grad der Erkrankung abhängig machen. Aber mir ist das Thema im Wesentlichen fremd.

Finde ich etwas abrupt.

-> Das stimmt. Ich habe jetzt zunächst nochmal einen Absatz eingefügt


Im Grunde genommen hadere ich nur mit dem Wort "nächsten" (Moment). Vielleicht liegt der Fehler auch hier:

„Ich muss nach Hause!“, sagte ich.
„Wo wohnen Sie denn?“

Du schreibst in der Gegenwartsform! Dann:

Im nächsten Moment waren da so viele Menschen. Und rotes Licht. Aber der Himmel war noch immer dunkel.

als Nächstes:
Ich liege auf dem Rücken, aber der Boden ist weich. Ein Mann beugt sich über mich.

Das geht im letzten Absatz durcheinander.

Ich habe noch einige andere Stellen mit Vergangenheitsform gefunden.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

Gude Rainer Hohn,

Im Grunde genommen hadere ich nur mit dem Wort "nächsten" (Moment). Vielleicht liegt der Fehler auch hier:
Jetzt verstehe ich deinen Punkt. "Im nächsten Moment" klingt hier unpassend. Ich denke gerade daran, ein "Dann ... waren da so viele Menschen" draus zu machen. Das suggeriert dann hoffentlich besser das Bild, dass er all dem, was passiert einfach nicht folgen kann und wirkt weniger, als könnten die Menschen aus dem Nichts erscheinen.

Du schreibst in der Gegenwartsform!
Oh, vielen Dank für den Hinweis auf die Zeitenfehler am Ende. Das muss ich noch korrigieren.

Gut, dass du nochmal geschrieben hast, das ist jetzt sehr hilfreich für mich. :thumbsup:
Dann setze ich mich demnächst nochmal dran!


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Hallo Vulkangestein,

Ich habe die Geschichte noch mal überflogen. Die Zeitenfehler sind im ganzen Text verstreut. Und auch hier

"Dann ... waren da so viele Menschen"

müsste es heißen "sind". Das "dann" passt nicht mehr.

"Viele Menschen stehen um mich herum" könnte auch den leichten Zeitsprung glätten. Er hat eben vergessen.

Aber der Himmel war noch immer dunkel.

Wäre eine Erinnerung.

Liebe Grüße

Rainer Hohn

 

Gude Rainer Hohn,

Ich habe die Geschichte noch mal überflogen. Die Zeitenfehler sind im ganzen Text verstreut.
-> Das habe ich beim Korrekturlesen jetzt auch bemerkt. Hoffentlich habe ich jetzt alle Stellen erwischt, wo die falsche Zeit steht.

Deinen Vorschlag für den Satz habe ich übernommen. Es passt auch zum schlichten Stil des restlichen Texts, dass hier kein überleitendes Signalwort kommt.

Liebe Grüße,
Vulkangestien

 

Hi Vulkangestein,

eine anrührende Geschichte und wie ambitioniert von dir, sie aus dieser Perspektive zu schreiben!

Rechtschreibung und Zeichensetzung, ahem! Da geht noch mehr. Außerdem geht es mit den Zeiten (Präsens, Präteritum, Plusquamperfekt) immer noch durcheinander.

Für mein Empfinden stecken zu viele Füllwörter (auch, wohl, etwas, schließlich ...) drin, die deinen Text verwässern. Im Dialog toleriere ich mehr davon, im deskriptiven Teil weniger. Ich würd prüfen, ob du die wirklich alle brauchst. Beispiele liste ich dir auf.

Na nu, es ist doch auch schon dunkel draußen.

Nanu wird zusammengeschrieben. Dann drei Füllwörter ("doch auch schon") hintereinander. "Schon" würd mir reichen.

Ich stehe auf und mache die Fenstern zu

Bei Fenster ist ein N zu viel.

da muss Niemand hineinschauen zu später Stunde

Das Wort "niemand" wird kleingeschrieben.

und sehe nach ihr: sie steht im Flur vor einem offenen Fenster

Folgt nach einem Doppelpunkt ein ganzer Satz, wird groß weitergeschrieben.

Dann kann ich meiner Frau nur noch irritiert zusehen, wie sie kopfschüttelnd den Gang entlang läuft. Hatte sie etwas gesagt? War gar etwas passiert?

Die Zeiten rutschen vom Präsens ins Plusquamperfekt. Im zweiten Teil wäre Perfekt richtig, also: Hat sie etwas gesagt? Ist (gar) etwas passiert?

Durcheinander und auch schon etwas angestrengt gehe ich ihr nach bis in die Küche.

"Auch schon etwas" - wieder ein Dreierset an Füllwörtern!

Ach da ist noch ein Gesicht, ein junger Mann zu Besuch.

Nach "ach" kommt ein Komma.

„So spät ist es nicht, mach doch bitte wieder auf“, bittet sie mich.

Die Bitte ist doppelt. Du könntest sie entweder in der direkten Rede streichen oder am Ende "sagt sie zu mir" draus machen. Die erste Variante fänd ich besser.

und ziehe die Vorhänge bei Seite

beiseite

Und ich werde dafür sorgen, dass jeder hier sicher ist.

Den Aspekt der Angst beleuchtest du nicht so sehr. Dadurch kommt die Geschichte einigermaßen harmlos daher. Ist okay, muss ich nur loswerden.

aber meine Frau fragt lieb und nett, ob

"Lieb und nett" - das ist so eine abgegriffene Floskel. Ich weiß nicht, ob du hier wirklich zwei Adverbien brauchst. "Lieb" würd mir reichen. Oder wie könnte man das fantasievoller beschreiben, dass er ihre Liebe spürt? Dass sie mit sanfter Stimme spricht, dass sie ihren Arm um seine Schultern legt? Show, don't tell - nur so eine Idee.

Merkwürdig, er wusste wohl, dass ich fragen wollte, wie er hereingekommen sei. Wohl ein gescheiter Junge.

Wortwiederholung "wohl". Das erste könntest du durch "anscheinend" ersetzen. Alternativ oder zusätzlich könntest du das zweite "wohl" einfach weglassen.

Aber gut, so muss ich mir keine Sorgen machen, dass ein Fenster oder gar eine Tür unverschlossen war. Alles ist in Ordnung.
Das Essen war gut, nur war ich scheinbar etwas in Gedanken verloren. Ich goss wohl das Falsche auf meinen Teller, aber meine Frau war bereits da und nahm mir kopfschüttelnd das Gericht ab. Ich bekam einen neuen Teller, fertig angerichtet und konnte essen.

Am Anfang schreibst du noch im Präsens (wie den Großteil deiner Geschichte), dann rutschst du ins Präteritum.

Meine Frau nickt nur als ich Hut und Jacke nehme und sage, wo ich hinmöchte.

Vor "als" kommt ein Komma.

„Sie müssen sich etwas den Kopf angeschlagen haben“, redet der Mann weiter.

Das "etwas" könnte weg. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich will dir nicht alle Füllwörter ausreden. Ein paar von denen machen einen Text schön flüssig. Aber man darf es nicht übertreiben. Die Dosis macht das Gift.

Viele Menschen stehen um mich herum. Und rotes Licht.

Das rote Licht steht um ihn herum? :D Da würd ich einen ganz Satz draus machen, etwa: "Und da ist ein rotes Licht."

„Ich muss nach Hause!“, erwidere ich widerspenstig.

Ich glaub, der Icherzähler sieht sich selbst nicht als widerspenstig. Wie wäre es mit "wiederhole ich"? Falls du gerne noch ein Adverb möchtest :baddevil:, dann könntest du sogar schreiben: "wiederhole ich geduldig". Vielleicht empfindet der Erzähler das so? Wär doch herrlich ironisch, oder?

So, ich hoffe, ich hab dir mit meinem Rumgenöle nicht die Laune verdorben. :Pfeif:

Gerad seh ich in deinem Profil, dass du auch Deutsch auf Lehramt studierst. Dabei fällt mir ein, dass ich früher nie in der Schule zum kreativen Schreiben angeleitet wurde. Was ich im nachhinein sehr schade finde. Die neue Lehrergeneration machst das vielleicht / hoffentlich besser ... :)

LG, Anne

 

Gude Anne49,

Vielen Dank für deine präzisen Anmerkungen, das habe ich schon mal direkt übernommen. Der Scan nach Füllwörtern folgt dann noch.

Rechtschreibung und Zeichensetzung, ahem! Da geht noch mehr. Außerdem geht es mit den Zeiten (Präsens, Präteritum, Plusquamperfekt) immer noch durcheinander.
-> Ja nun … peinlich. Sehr peinlich. :sealed:

Für mein Empfinden stecken zu viele Füllwörter (auch, wohl, etwas, schließlich ...) drin, die deinen Text verwässern.
-> Jop, ein generelles Problem meinerseits. Da muss ich bei jeder Geschichte dran arbeiten.

"Lieb und nett" - das ist so eine abgegriffene Floskel. Ich weiß nicht, ob du hier wirklich zwei Adverbien brauchst. "Lieb" würd mir reichen. Oder wie könnte man das fantasievoller beschreiben, dass er ihre Liebe spürt? Dass sie mit sanfter Stimme spricht, dass sie ihren Arm um seine Schultern legt? Show, don't tell - nur so eine Idee.
-> Ich würde es tatsächlich mal so stehen lassen. Die Floskel ist abgegriffen, ja, aber ich finde genau das passt zum Stil des Texts: einfach, fast schon monoton.

Das "etwas" könnte weg. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich will dir nicht alle Füllwörter ausreden. Ein paar von denen machen einen Text schön flüssig. Aber man darf es nicht übertreiben. Die Dosis macht das Gift.
-> Klingt an der Stelle auch komisch. Der Kopf ist angeschlagen, aber nur "etwas" :hmm:

Das rote Licht steht um ihn herum? Da würd ich einen ganz Satz draus machen, etwa: "Und da ist ein rotes Licht."
-> Das passiert, wenn man bei der Korrektur nur auf den falschen Satz achtet und nicht auf das Drumherum. :Pfeif:

So, ich hoffe, ich hab dir mit meinem Rumgenöle nicht die Laune verdorben.
-> Ne, ist immer gern gesehen und gern verbessert. Sonst wird das ja nie was!

Gerad seh ich in deinem Profil, dass du auch Deutsch auf Lehramt studierst. Dabei fällt mir ein, dass ich früher nie in der Schule zum kreativen Schreiben angeleitet wurde. Was ich im nachhinein sehr schade finde. Die neue Lehrergeneration machst das vielleicht / hoffentlich besser ...
-> Hm, wenn das zulasten der grammatischen Fähigkeiten geht … Ich habe da noch was vor mir. ;)
Ich kann zumindest sagen, dass es bei mir ab der Oberstufe ein Zusatzangebot zum "Kreativen Schreiben" gab. Das war nicht viel, aber immerhin etwas. Für mich wäre der Traum immer gewesen, mich dem statt Kunst oder Musik widmen zu können. Ich bin mal sehr gespannt, inwiefern dazu im Studium was kommt - stehe ja noch am Anfang.


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Vulkangestein,

ich bin gestern durch deine Kommentare zur Cid-Geschichte auf dich aufmerksam geworden und war ein bisschen gespannt, was du selbst so schreibst.

Zu deiner Geschichte:
Formal kann ich nichts an ihr aussetzen, lediglich ein paar Kleinigkeiten, die ich unten aufliste.
Inhaltlich muss ich dir als Autor folgen, weil ich keine Ahnung habe, was in einem dementen Gehirn vor sich geht, was der Betroffene wie wahrnimmt. Ich habe meine Erfahrung mit einem Freund, dessen Demenz allmählich offenbar wurde, in einer Kurzgeschichte verarbeitet, konnte das Ganze allerdings nur an den äußeren Phänomenen festmachen. Das, was im Kopf dieser Person vor sich ging, blieb mir verschlossen.
Du hast genau dieses versucht, hast dich in seine Gedanken hineinversetzt und mir scheint, das ist dir gut gelungen. Keine Ahnung, welche Recherche-Arbeit nötig war, oder ob es sich bei deinem Text um ein rein gedankliches Konstrukt handelt. Dieses verloren gegangene Zeitgefühl, dieses Sich-Festhalten an Ritualen, dieses Sich-an-den-anderen-Klammern, diese Unsicherheiten in bekannten Situationen und das gleichzeitige Spüren und Noch-Registrieren der eigenen Unzulänglichkeiten. Ich nehme dir das hier völlig ab.

Zu deiner Frage #2: Auch die Wiederholungen scheinen mir durchaus gerechtfertigt.
Gefragt habe ich mich allerdings, ob das Zeitgefühl, wie du es am Anfang skizzierst, so richtig wiedergeben ist. Dass da nämlich Morgen und Abend ganz kurz hintereinander wahrgenommen werden:

Wie jeden Morgen stehe ich auf, gehe durchs Haus und öffne die Läden vor den Fenstern.

So döse ich ein wenig vor mich hin, ehe mir einfällt, dass die Läden offen sind. Nanu, es ist schon dunkel draußen.

Naturgemäß ist das eine langweilige Geschichte und auch der erste Satz ist einer der langweiligsten, den ich bisher hier gelesen habe. Aber das passt schon. Es ist halt ein Text ohne wirklichen Spannungsbogen, den man einfach auf sich wirken lassen muss. Und dann vermittelt er einem allmählich die innere Tragik, dann spüre ich, was das alles für den Betroffenen, aber auch für sein Umfeld bedeutet. Denn, was du hier beschreibst, ist ja ein Ausschnitt aus einem Prozess: Das wird nun so weitergehen, das ist noch nicht das Ende.

Zum Thema Spannung: Eventuell ließe sich aus diesem Absatz noch mehr machen:

Zum Glück ist nicht viel los, ich muss sagen, mir ist immer recht unbehaglich, wenn Autos vorbeifahren. Auch im Haus, das ist ein ordentlicher Lärm. Und durch die Fenster können die Leute dann auch noch reinschauen und sehen, wie ich mich erschrecke. Einen armen alten Mann auslachen, das ist nicht nett. Deswegen müssen die Läden abends zu! Oh, es wird Zeit. Ich muss dringend nach Hause, um die Türen und Fenster zu schließen. Vorhänge müssen zugezogen werden. Gerade liegt alles offen, ich muss mich beeilen, es wird dunkel. Ich muss mich beeilen, meine Frau wartet bestimmt schon. Zum Glück ist hier nicht viel los, ich habe etwas Unbehagen, wenn Autos vorbeifahren.
Da kommt eins! Hastig, schnell zur Seite. Etwas von der Straße ab, es hat angefangen zu regnen.

Die schon vorhandene Unsicherheit ließe sich vielleicht noch steigern bis hin zur Panik. Die markierte Stelle böte mMn das Potential dazu. An dieser Stelle finde ich deinen Text übrigens ein wenig schwach und beliebig.

Die Kleinigkeiten:

sie (Sie) steht im Flur vor einem offenen Fenster.
Nach dem Doppelpunkt folgt ein ganzer Satz.

Meine Frau wirft sie schulterzuckend in den Müll. Hatte (Hat) sie noch etwas gesagt? Sie scheint mir so stumm in letzter Zeit.
Du bleibst auf der gleichen Zeitebene.

Ach, da ist noch ein Gesicht, ein junger Mann (ist) zu Besuch.

Ach so, sie hat etwas zu Essen (essen) bereitet, sagt sie.

Ich bekam (bekomme) einen neuen Teller, fertig angerichtet und kann essen.

entlanglaufen’: Für mein Empfinden denkt er dieses Wort sehr oft. Vielleicht könntest du hier ein bisschen variieren.

Etwas pikiert muss ich Reste davon übrig lassen.
‚etwas pikiert’ ist mMn eine Wahrnehmung von außen. Hier fällst du aus der bisher gewählten Perspektive.

Dein Text stellt ein interessantes Experiment dar, wie ich finde.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Gude barnhelm,

freut mich, dass du hierher gefunden hast!

Formal kann ich nichts an ihr aussetzen, lediglich ein paar Kleinigkeiten, die ich unten aufliste.
-> Vielen Dank, das werde ich sofort ausbessern. Sonntage wollen ja genutzt werden.

Gefragt habe ich mich allerdings, ob das Zeitgefühl, wie du es am Anfang skizzierst, so richtig wiedergeben ist. Dass da nämlich Morgen und Abend ganz kurz hintereinander wahrgenommen werden:
-> Zur Erklärung kurz die Situation aus meinem Kopf: morgens ist es hell, dann ziehen sich ein paar Wolken vor, es wird "dunkel". Der Protagonist kann das nicht mehr ganz zu ordnen und zieht den Schluss "dunkel = spät abends". Ich frage mich jetzt nur, ob diese verwirrende Darstellung den Tenor meiner Geschichte unterstützt, oder ob das gar nicht nachvollziehbar ist. :confused:

Die schon vorhandene Unsicherheit ließe sich vielleicht noch steigern bis hin zur Panik. Die markierte Stelle böte mMn das Potential dazu. An dieser Stelle finde ich deinen Text übrigens ein wenig schwach und beliebig.
-> Danke für die Rückmeldung, das war tatsächlich die Stelle, an der ich Spannung reinbringen wollte. Aber noch ist sie etwas blass. Wahrscheinlich ist auch der Satz "Zum Glück ist hier nicht viel los, ich habe etwas Unbehagen, wenn Autos vorbeifahren." eine Bremse, da der Rest schon darauf abzielt, dass der Protagonist der Panik nahe kommt und nicht nur dem "Unbehagen".


Danke für deinen Kommentar. Ich habe mal geschaut, dein Portfolio ist ja durchaus ansehnlich. :D
Ist da eine bestimmte Geschichte dabei, zu der du noch gerne Feedback hättest?


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Ist da eine bestimmte Geschichte dabei, zu der du noch gerne Feedback hättest?

Danke, Vulkangestein. Ich bin eher der Kommentar-Typ. Da fühle ich mich relativ sicher. Meine Geschichten sind zudem meist etwas hölzern. Liegt wohl an meiner recht sachlichen Art. Grundsätzlich mangelt es mir an Fantasie und ich beschränke mich auf die Aufarbeitung von Erlebtem.
Thematisch passt meine Geschichte ‚Freunde’ zu deiner. Würde mich vielleicht interessieren, wie du den Demenz-Aspekt darin betrachtest.

Liebe Grüße und dir einen schönen Sonntag.
barnhelm

 

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