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Grillfest

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02.01.2011
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Grillfest

Vormittags parkt meine Mutter auf einem der Parkplätze vor dem Wohnhaus. Vom Küchenfenster aus sehe ich sie aus dem Wagen steigen. Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.

»Hi, Mutter«, sage ich. Auf dem Gehsteig umarmen wir uns. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Eine kräftige Frau; kräftig in ihren Umarmungen. Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.
»Hallo«, sagt sie.
»Geht’s dir gut?«, frage ich.
Sie sieht mich an, nickt und sagt: »Ja.« Ihre Augen sind bernsteinfarben.
»Kannst du fahren?«, frage ich.
»Ja, klar«, sagt sie. Mit dem Schlüssel in der Hand läuft sie zur Fahrertür. »Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.

Meine Tante wohnt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang durch Wälder, im Bauernhaus meiner Großeltern und neben einer geschlossenen Metallwarenfabrik. Deutschlandfahnen auf den Dächern der Nachbarhäuser. Ein Klärwerk und eine Kirche am anderen Ende der Straße. Ansonsten nichts als Forst, so weit das Auge reicht.

Wir stehen mit dem Geschenkkorb vor dem rostbraunen Hoftor und drücken die Klingel. Meine Tante öffnet das Tor, sieht mich, lacht und ruft: »Du bist dabei!«
»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.

Mein Onkel steht im hinteren Teil des Hofes, neben dem Hundezwinger, am Grill. Er trägt abgeschnittene Jeans und ein warnwestengelbes Tanktop. Das Tribal-Tattoo an seinem Hals ist verlaufen. Seine Augen sind eisblau und sein Haar blond und halblang. Er hebt lächelnd die Hand. Wir schlagen miteinander ein. Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.
»Bier?«, fragt mein Onkel. Er deutet mit dem Zeigefinger auf die Kühlbox, die mit Eis und braunen Flaschen gefüllt ist.
»Eins kann ich trinken«, sage ich. Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: Als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
»Lass die Frauen mal reden«, sagt mein Onkel. Er trinkt einen Schluck seines Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlestücke hin und her.

Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich durch den Türspalt meine Mutter und meine Tante in der Küche stehen. Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen: Wie sie nah beieinander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel. Die Übelkeit kam schon im Auto. Ich bringe ihr aus dem Eisfach eine ihrer Kühlpads.
»Danke«, sagt sie mit geschlossenen Augen und legt es sich auf die Brust. Meine Mutter sitzt einen langen Moment so da; in ihrem Sessel, die Füße hochgelegt, mit dem Kühlpad in der Hand auf ihrer Brust. Ihr graues, faltiges Gesicht. Die braunroten, getönten Haare. Ihre Bluse, ihre Stoffhose.

In der Küche schalte ich die Klimaanlage ein, dann den Ventilator. Die Hitze staut sich an solchen Sommertagen. Durch das gekippte Küchenfenster höre ich Grillen zirpen.
»Alles in Ordnung, Mama?«, rufe ich von der Küche aus ins Wohnzimmer.
»Alles in Ordnung«, ruft sie zurück.
Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, zum Sessel, und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Backe und sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter, mit dem Kühlpad an ihrer Brust. Sie sitzt im Sessel, regungslos und mit geschlossenen Augen.
»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.

Oben im ersten Stock überziehe ich mein Bett mit frischen Laken. Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«

Am Fenster rauche ich eine Zigarette, anschließend steige ich die Treppe zum Dachstuhl hinauf. Sein Zimmer ist unangerührt. Der Teppich gesaugt, kein Staub auf Spiegel oder Oberflächen. Fernseher, Schreibtisch, ein paar seiner Marketing-Bücher. Sein Bett voll mit Kissen, Fotos und kleinen Dingen, die ihm meine Mutter und Tante von Ausflügen mitgebracht haben: Eine Postkarte aus Koh Samui, ein Schlüsselanhänger von einer Betriebsfeier. Mit Wachsstiften gemalte Bilder von Sonne und Stränden. Ich setze mich auf den Schreibtischstuhl. Aus dem Fenster sehe ich den dunkelnden Himmel. Von unten höre ich den Fernseher laufen.

Um Mitternacht setzen wir uns noch mal in die Küche, um eine Kleinigkeit zu essen. Aus dem Kühlschrank hole ich die Schüssel mit den Resten des Grillfleisches, dazu Salat, ein Knoblauchdip, Kräuterbaguette und Ketchup.
Meine Mutter sitzt im Nachthemd am Tisch, mit geradem Rücken, und hat die Augen geschlossen.
Wir essen beide ein paar Bissen, als sie mich plötzlich ansieht und fragt: »Rauchst du noch?«
»Manchmal«, sage ich. Ich kaue und schlucke, das Baguette in der Hand.
»Ich will eine«, sagt sie, ohne mich anzusehen, und beißt in das Stück Steak auf ihrer Gabel.
»Und dein Herz?« Ich blicke zu ihr.
»Ist mir egal«, sagt meine Mutter, schneidet ihr Steak und führt sich die Gabel in den Mund.

Durch die Verandatür steigen wir in den dunklen Garten. Der Rasen ist hoch gewachsen. Wir setzen uns in die weißen Plastikstühle neben der Hecke. Stapel von Pappkartons und Dinge wie das alte Aquarium meines Vaters und der kaputte Wäschetrockner stehen schulterhoch gestapelt auf der Terrasse.
Ich halte ihr über den Gartentisch das Feuer hin, anschließend zünde ich meine Zigarette an. Wir rauchen wortlos, langsam. Nur das Geräusch unseres Atems, unserer sich bewegender Hände; die zirpenden Grillen in der Hecke und die vorbeirauschenden Autos auf der Hauptstraße. Unsere Gesichter in Schatten, nur die leuchtende Glut, die von Zug zu Zug knisternd aufglimmt und unsere Blicke für einen Moment sichtbar macht.
»Das war gut«, sagt meine Mutter. Sie drückt den Filter in den Aschenbecher.
»Ja«, sage ich.
»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
»Ja«, sage ich. »Das hätte ihm auch gut gefallen. Solche Sachen hat er immer gerne gemocht.«

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an. Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen. Grillen zirpen so laut, dass ich sie für ein Relikt meines Traumes halte; aber sie sind hier, sie sind echt.
»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich und reibe über meine Augen.
»Gut«, sagt meine Mutter. Sie hält meine Hand mit beiden Händen. Sie blickt mich im Halbdunkeln an. Dann verzieht sich ihr Mund und schließlich ihr Gesicht.
»Ach Mama«, sage ich. Ihr Blick senkt sich. Ich fahre ihr mit der Hand über den Rücken. Wir haben sie als Kinder nie weinen sehen. Ich setze mich auf. »Komm mal her«, sage ich. Ich nehme sie in den Arm. Ich wiege sie hin und her, dort in der Dunkelheit.
»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
»Ja«, sage ich.
Sie weint weiter und hält meine Hand.
»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«, sagt sie.
»Aber ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.
So sitzen wir noch eine Weile da. Ich hinter ihr auf der Matratze, meine Arme um sie. Sie mit ihrer Hand in meiner Hand und ihrer anderen Hand an meinem Arm. Sie weint. Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her. Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an dem sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt. Alles ist dunkel in meinem Zimmer. Ein Auto fährt auf der Hauptstraße entlang, der Motor schaltet hoch, die Scheinwerfer blitzen auf.
»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich.
Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

 

Hallo @zigga,

schon gesehen, das war dein 777 Beitrag. :anstoss:

Von Anfang an zieht sich eine Schwermut durch deine Geschichte, die mir gut gefallen hat. Du arbeitest mit Andeutungen, was ich prinzipiell mag, nur bin ich mir nicht sicher, ob ich auch alles verstanden habe.
Da gibt es einen (erwachsenen) Sohn, seine Mutter, Onkel und Tante. Und es gibt jemanden, der nicht mehr da ist. Das scheint mir der Konflikt zu sein und womöglich auch der Grund der Herzerkrankung der Mutter. Ich entnehme dem Text, dass die Mutter alleine lebt und der Prot jetzt wieder zuhause einzieht – vielleicht auch nur vorübergehend.

Zur Familie des Prot hätte ich gerne mehr erfahren. Das Zimmer unter dem Dach habe ich jemandem zugeordnet, doch was ist mit dem Vater? Dem Protagonisten? Im Grunde habe ich von allem einen Eindruck erhalten, würde mir aber Gewissheit wünschen. Auch das Gefühl der Mutter, nicht zu wissen, was ihr Sohn macht, obwohl er ihr viel über sich erzählt, ist mir zu vage. Dieser letzten Szene messe ich jedoch große Bedeutung bei, auch dem Schlusssatz, der für mich wie ein Schuldeingeständnis klingt. Ist aber alles sehr, sehr unsicher.

Zwanzig Minuten später: Lieber zigga, jetzt habe ich die Story ein zweites Mal gelesen und wie ich sie jetzt verstehe, hast du das klug gemacht …

Aber der Reihe nach:

Sie wird 59 dieses Jahr.

Ich finde das Textbild mit ausgeschriebenen Zahlen schöner.

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.

Kann es sein, dass du mit Wortwiederholungen experimentierst? Dreimal hintereinander gefällt mir nicht so sehr. Ich würde den zweiten Satz umstellen. Du machst das noch öfters, wird also gewollt sein, und darum werde ich das nicht mehr zitieren.

Sie sieht mich an, nickt und sagt: »Ja.« Ihre Augen sind bernsteinfarben.

Das ist jetzt interessant (für mich): In dieser Formulierung, empfinde ich die Wichtigkeit der Augenfarbe anders, als wenn du sie im Satz davor untergebracht hättest (Sie sieht mich aus bernsteinfarben Augen an, …). Wie es jetzt dasteht, erwarte ich, dass dazu später noch etwas kommt. Verstehst du, was ich meine?
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.

Das ist deren Ding, oder? Finde ich schön!

Ich stelle den Geschenkkorb ab
Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.

Es gibt also mehrere Körbe? Hat es auch mehrere Gäste? Wenn ja, dann habe ich dazu Angaben im Text vermisst.

»Lass die Frauen mal reden«, sagt mein Onkel.

Für mich liest sich das, als wolle der Prot. Mutter und Tante hinterhergehen, was er aber nicht tut. Diese Aussage ist aber wichtig, zum besseren Verständnis des Textes, darum würde ich vorschlagen, sie anders zu formulieren. Etwa: »Es ist gut, dass die Frauen mal reden (können)«, sagt mein Onkel.

Wie sie nah beieiNander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.

Worte?

Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«

Ah, eine nett verpackte Rüge der Tante.

Sein Zimmer ist unangerührt.

Da das Zimmer unter dem Dach liegt, vermute ich, es gehört dem (älteren) Bruder. Und wegen der Traurigkeit des Textes schätze ich, dass ihm etwas zugestoßen sein wird.

Wir haben sie als Kinder nie weinen sehen.

Ja, ein Bruder und im weiteren Verlauf erfahre ich, dass ihn die Familie verloren hat. Daher rührt also die Traurigkeit des Textes.

Sie mit ihrer Hand in meiner Hand und ihrer anderen Hand an meinem Arm. Sie weint. Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her. Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an deN sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.

Ein trauriges, aber sehr schönes Bild. Und, meine Güte, eben fällt der Groschen, das mit dem Ozean und dem ertrinken, DAS ist der Schlüssel. :idee:

Ich bin jetzt wirklich sehr gespannt, wie andere die Story lesen und natürlich auf deine Gedanken zum Text. Wenn es so ist wie ich denke, dann ist das eine runde Sache. Fein ausgedacht, kein Wort zu viel. Man muss nur sehr genau lesen – also was mich betrifft. :)

Hat Spaß gemacht, sich damit auseinanderzusetzen.

Viele Grüße
Tintenfass

 

Lieber @zigga,

sehr eindringlich dein Text. Wenn ich mich in den jungen Mann versetze, schnürt es mir die Luft ab. Das Liebevolle in dem Mutter-Sohn-Verhältnis hat was Hermetisches, seine Angst um sie, ihr Leid und ihr Leiden erlauben nur diese erstickende Art der Nähe. Er versucht alles zu sein, was sie braucht und kennt sich am Ende fast nicht mehr.

»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Starke Szene. Jetzt soll er auch noch die Tante hochheben. Irgendwie hat das was Heiteres, Unkonventionelles, aber auch was Unbehagliches. Er ist der gute Junge, der starke Junge.

»Eins kann ich trinken«, sage ich. Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
Ich mag deinen Stil sehr. Hier an der Stelle kommt mir das jedoch etwas künstlich vor.
"Mein Onkel blickt mich an, als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre." würde mir besser gefallen. Ich interpretiere das so, dass er den Onkel in diesem Moment an seinen Vater erinnert. Aber der, der gestorben ist, war sein Bruder, oder? Das ist ein bisschen verwirrend, dass die Fragen, was mit dem Vater ist und wer genau gestorben ist, nicht so ganz klar sind.


Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich meine Mutter und meine Tante durch den Türspalt in der Küche stehen. Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen: Wie sie nah beieiander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Schöne Szene. Auch hier ist mir das Fette ein bisschen drüber. Vielleicht einfach: "reden"?


»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter, mit dem Kühlpad an ihrer Brust. Sie sitzt im Sessel, regungslos und mit geschlossenen Augen.
Oh, dieser Vorwurf. Ich finde es gut gemacht, wie er zu Beginn seine Mutter als starke Frau sieht, sehen will, die aber im Verlauf der Geschichte haltlos und klammernd wird.


Oben im ersten Stock überziehe ich mein Bett mit frischen Laken. Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«
Das verstehe ich nicht. Irgendwie macht die lustige Tante ihm auch noch Vorwürfe, oder?


Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an.
Ganz schrecklich. In meinen Augen von der Mutter total übergriffig.


»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich und reibe über meine Augen.
Das finde ich gut gemacht, wie er das immer wieder fragt. Hier ist es wie ein Reflex, in dem Moment, wo er fast noch schläft. Immer geht es um das Herz der Mutter.

Wir haben sie als Kinder nie weinen sehen.
Da kommt noch einmal der Bruder vor?

»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«, sagt sie.
Er idealisiert sie am Anfang als sehr starke Frau, doch im Verlauf wird deutlich, wer hier stark zu sein hat, wer Halt geben soll. Und wie es alles nicht reicht.

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
Niemals ist ein offenes Aufbegehren gegenüber ihr erlaubt. Er entzieht sich, indem er sich klein macht.

Wie ich, an dem sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
Das ist aus dem Text wirklich sehr klar hervorgegangen. Das würde ich den Lesern nicht abnehmen.

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Ich hoffe für ihn, dass es nicht stimmt. Eigentlich ist der Sohn in einem Alter, wo es normal ist, sich zu lösen, wo er sein eigenes Leben haben sollte, wo er seiner Mutter nicht alles erzählen sollte. Ich frage mich, ob hier auch der Ausdruck "unzuverlässiger Erzähler" passen würde. Er ist so konsequent der gute Sohn, wie eine Geisel des mütterlichen Schicksals. Mich erinnert die Geschichte an die letzte Geschichte von @jimmysalaryman . Da gibt es bei dem Bruder des Tischlers mit der Handverletzung so einen Fluchtimpuls, als er mit dem Auto wegfährt, dann eine Entscheidung zurückzukehren. In deiner Geschichte scheint der Prot. keine Wahl zu haben. Puh, ich bin gespannt auf die weiteren Rückmeldungen. Hat mir sehr gut gefallen.

Liebe Grüße von Chutney

P.S. Mit dem "Schwalbensommer" bin ich momentan irgendwie so durch, aber ich will da auf jeden Fall nochmal ran. Bin sowieso gerade eigentlich noch im Challenge-Koma.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @zigga

Du thematisierst mit dem Text den Verlust, ohne ihn zu benennen.
Die Unerträglichkeit des Schmerzes wird dadurch deutlich, dass man ihn nicht mal mehr in Worte fassen kann. Und trotzdem muss er irgendwie raus. Und das machst Du so meisterhaft, dass der Neid mich zerfrisst.

Verbesserungsvorschläge:

wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
An dieser Stelle, lenkt mich das zu sehr ab. Ich versuche es vergeblich einzuordnen, und wenn es dann erklärt wird, habe ich es schon vergessen. Das würde ich weglassen.

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.
Ich gehe automatisch davon aus, dass sie zum Erzähler nach Hause fahren, da sie von dort starten. Das führt dann für leichte Verwirrung beim weiteren Lesen. Hier würde ich den Ort klar definieren.

Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«
Das habe ich nicht verstanden. Ihr Neffe war doch beim Grillfest. Und wieso legt sie den Zettel in das Haus der Mutter?
warte mal! Ach die beiden wohnen zusammen in dem Haus? Aber wieso holt die Mutter ihren Sohn dann ab? Da bin ich wohl durcheinandergekommen ...
Egal!
Trotzdem:
Unglaublich intensiv und mitreißend geschrieben.

Schöne Grüße!
Kellerkind

 

Guten Abend, Leute!

Vielen Dank euch für die extrem schnellen Kommentare! Das freut mich sehr.

@Tintenfass

Merci fürs Lesen und extrem schnelle Kommentieren. :) Ein sehr ausführlicher Kommentar! Super Gedanken, bringt mir auch sehr viel.
Ich steig ein:

schon gesehen, das war dein 777 Beitrag. :anstoss:
Jepp! :D Prost!

Von Anfang an zieht sich eine Schwermut durch deine Geschichte, die mir gut gefallen hat.
gut!

Du arbeitest mit Andeutungen, was ich prinzipiell mag, nur bin ich mir nicht sicher, ob ich auch alles verstanden habe.
Da gibt es einen (erwachsenen) Sohn, seine Mutter, Onkel und Tante. Und es gibt jemanden, der nicht mehr da ist. Das scheint mir der Konflikt zu sein und womöglich auch der Grund der Herzerkrankung der Mutter. Ich entnehme dem Text, dass die Mutter alleine lebt und der Prot jetzt wieder zuhause einzieht – vielleicht auch nur vorübergehend.
Zur Familie des Prot hätte ich gerne mehr erfahren. Das Zimmer unter dem Dach habe ich jemandem zugeordnet, doch was ist mit dem Vater? Dem Protagonisten? Im Grunde habe ich von allem einen Eindruck erhalten, würde mir aber Gewissheit wünschen. Auch das Gefühl der Mutter, nicht zu wissen, was ihr Sohn macht, obwohl er ihr viel über sich erzählt, ist mir zu vage. Dieser letzten Szene messe ich jedoch große Bedeutung bei, auch dem Schlusssatz, der für mich wie ein Schuldeingeständnis klingt. Ist aber alles sehr, sehr unsicher.
Ok! Ja sehr interessant wie du das liest und vielen Dank für die Reaktion. Das ist auch eine Frage die ich mir natürlich gestellt habe, und zwar, ob man versteht, was passiert (ist) oder ob die Szenen, die gezeigt werden, zu substanzlos sind.

Sie wird 59 dieses Jahr.
Ich finde das Textbild mit ausgeschriebenen Zahlen schöner.
Das stimmt ... vielleicht ändere ich das :) Vielleicht aber auch nicht :D

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
Kann es sein, dass du mit Wortwiederholungen experimentierst? Dreimal hintereinander gefällt mir nicht so sehr. Ich würde den zweiten Satz umstellen. Du machst das noch öfters, wird also gewollt sein, und darum werde ich das nicht mehr zitieren.
Oh Mann, eigentlich tue ich das nicht. Mir ist es hier halt echt Null aufgefallen, obwohl ich den Text sehr oft durchgelesen habe in der Überarbeitung. Unter der letzten Story ist eine kleine Diskussion losgebrochen, da hatte ich noch mehr "Wiederholungen". Hier war das nicht geplant. Ich lese das gar nicht irgendwie also ich sehe es nicht, aber guter Hinweis

Sie sieht mich an, nickt und sagt: »Ja.« Ihre Augen sind bernsteinfarben.
Das ist jetzt interessant (für mich): In dieser Formulierung, empfinde ich die Wichtigkeit der Augenfarbe anders, als wenn du sie im Satz davor untergebracht hättest (Sie sieht mich aus bernsteinfarben Augen an, …). Wie es jetzt dasteht, erwarte ich, dass dazu später noch etwas kommt. Verstehst du, was ich meine?
@AWM hat etwas Kluges dazu gesagt, das mir selbst nicht aufgefallen ist: Und zwar, dass das wie Derealisationen des Prots wirkt, als ob er die Mutter selbst zum ersten Mal sehen würde. Das finde ich eine nette Deutung, die mir gefällt. Ich hatte da bewusst nicht dran gedacht, aber mir die Szene eigentlich in die Richtung vorgestellt. Ich verstehe, was du meinst, dass das an präsenter Stelle auftaucht, die Farbe, aber das dann nicht ausgeführt ist. Ist notiert und ich denke mal drüber nach, was ich tun kann.

»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.
Das ist deren Ding, oder? Finde ich schön!
Haha

Ich stelle den Geschenkkorb ab
Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.
Es gibt also mehrere Körbe? Hat es auch mehrere Gäste? Wenn ja, dann habe ich dazu Angaben im Text vermisst.
Mist. Stimmt.

»Lass die Frauen mal reden«, sagt mein Onkel.
Für mich liest sich das, als wolle der Prot. Mutter und Tante hinterhergehen, was er aber nicht tut. Diese Aussage ist aber wichtig, zum besseren Verständnis des Textes, darum würde ich vorschlagen, sie anders zu formulieren. Etwa: »Es ist gut, dass die Frauen mal reden (können)«, sagt mein Onkel.
Das ist ein guter Vorschlag.

Wie sie nah beieiNander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Worte?
Ist vllt auch etwas drüber

Sie mit ihrer Hand in meiner Hand und ihrer anderen Hand an meinem Arm. Sie weint. Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her. Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an deN sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
Ein trauriges, aber sehr schönes Bild. Und, meine Güte, eben fällt der Groschen, das mit dem Ozean und dem ertrinken, DAS ist der Schlüssel. :idee:
Ah ok ... interessant, dass du es so siehst. Das wäre natürlich eine Deutungsmöglichkeit - bin ich gar nicht drauf gekommen :D

Wenn es so ist wie ich denke, dann ist das eine runde Sache. Fein ausgedacht, kein Wort zu viel. Man muss nur sehr genau lesen – also was mich betrifft. :)
Super, danke. Ja, es werden nur Schlaglichter gezeigt und ich hoffe, es ist nicht allzu kompliziert und zu viel Detailsuchen, um die Hintergründe und Konstellationen des Textes verstehen zu können. Es wird natürlich auch nicht alles gesagt.

Danke fürs Lesen + Zeit investieren!


Hallo @Chutney,

vielen Dank dir auch für die sehr schnelle Reaktion. Hat mich gefreut!

Auch super interessant, was du dazu denkst. Ich finde es erstaunlich, wie sehr du die Situation und Konstellation aufgreifst und welche Schlüsse du für die Figuren ziehst. Es ist, wie du sagst, irgendwo auch ein unzuverlässiger Erzähler, er hat natürlich selbst nicht die ganze Situation begriffen und steckt da selbst drin, und erzählt aus der Perspektive heraus. Ich hatte etwas Bedenken, dass ich zu wenig Info gebe, dass das zu sehr Schlaglichter sind, aber wenn ich sehe, wie viel du da heraus ziehst, ohne dir schmeicheln zu wollen, freut mich das schon, weil ich mir denke, der Text funktioniert. Also danke dafür.

»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Starke Szene. Jetzt soll er auch noch die Tante hochheben. Irgendwie hat das was Heiteres, Unkonventionelles, aber auch was Unbehagliches. Er ist der gute Junge, der starke Junge.
Ja danke, ich mag die Szene auch gerne. Ich hab das mal in einer anderen Familie beobachtet, dass es da diese kleine, heitere Tante gab, und der Neffe musste sie immer zur Begrüßung hochheben. Ich muss jetzt selbst lachen, wenn ich das hier aufschreibe. Irgendwie hat das was, was es genau bedeutet, so ganz erklären kann ich's mir selbst nicht in totale.

»Eins kann ich trinken«, sage ich. Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
Ich mag deinen Stil sehr. Hier an der Stelle kommt mir das jedoch etwas künstlich vor.
"Mein Onkel blickt mich an, als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre." würde mir besser gefallen. Ich interpretiere das so, dass er den Onkel in diesem Moment an seinen Vater erinnert. Aber der, der gestorben ist, war sein Bruder, oder? Das ist ein bisschen verwirrend, dass die Fragen, was mit dem Vater ist und wer genau gestorben ist, nicht so ganz klar sind.
Deine Version klingt schöner.

Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich meine Mutter und meine Tante durch den Türspalt in der Küche stehen. Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen: Wie sie nah beieiander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Schöne Szene. Auch hier ist mir das Fette ein bisschen drüber. Vielleicht einfach: "reden"?
Das stimmt. Es ist echt etwas drüber. Ich werde es mal sacken lassen und demnächst ändern, denke ich.

»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter, mit dem Kühlpad an ihrer Brust. Sie sitzt im Sessel, regungslos und mit geschlossenen Augen.
Oh, dieser Vorwurf. Ich finde es gut gemacht, wie er zu Beginn seine Mutter als starke Frau sieht, sehen will, die aber im Verlauf der Geschichte haltlos und klammernd wird.
Schön!

Oben im ersten Stock überziehe ich mein Bett mit frischen Laken. Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«
Das verstehe ich nicht. Irgendwie macht die lustige Tante ihm auch noch Vorwürfe, oder?
Das ist interessant, dass du es so liest. So kann man es sehen. Vielleicht ist das auch ein unterbewusster Vorwurf der Tante. Man kann es auch als Scherz lesen, ohne dir jetzt deine Sicht absprechen zu wollen. Aber wie das ist mit den Scherzen und der Wahrheit, die in ihnen liegt, weiß man ja auch.

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an.
Ganz schrecklich. In meinen Augen von der Mutter total übergriffig.
Freut mich, wie der Text auf dich wirkt. Also, dass du das so empfindest

Wir haben sie als Kinder nie weinen sehen.
Da kommt noch einmal der Bruder vor?
Genau
Es wird ja nie gesagt, wer gestorben ist. Ich hatte das alles länger und hab alles rausgeschmissen. Deswegen schön, dass du es trotzdem so liest

»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«, sagt sie.
Er idealisiert sie am Anfang als sehr starke Frau, doch im Verlauf wird deutlich, wer hier stark zu sein hat, wer Halt geben soll. Und wie es alles nicht reicht.
Freut mich!

Wie ich, an dem sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
Das ist aus dem Text wirklich sehr klar hervorgegangen. Das würde ich den Lesern nicht abnehmen.
Das stimmt. Ich brauch etwas, um darüber nachzudenken. Aber ist notiert. Ich glaube wirklich, wenn ich das kicke, könnte der Text stärker werden.

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Ich hoffe für ihn, dass es nicht stimmt. Eigentlich ist der Sohn in einem Alter, wo es normal ist, sich zu lösen, wo er sein eigenes Leben haben sollte, wo er seiner Mutter nicht alles erzählen sollte. Ich frage mich, ob hier auch der Ausdruck "unzuverlässiger Erzähler" passen würde. Er ist so konsequent der gute Sohn, wie eine Geisel des mütterlichen Schicksals. Mich erinnert die Geschichte an die letzte Geschichte von @jimmysalaryman . Da gibt es bei dem Bruder des Tischlers mit der Handverletzung so einen Fluchtimpuls, als er mit dem Auto wegfährt, dann eine Entscheidung zurückzukehren. In deiner Geschichte scheint der Prot. keine Wahl zu haben. Puh, ich bin gespannt auf die weiteren Rückmeldungen.
Jo, hier sind gerade einige gute Bruder-Geschichten unterwegs. Jimmys Geschichte hat mir auch sehr gut gefallen. Irgendwo ist sie auch positiver als meine, da der Prot - wie du sagst - irgendwo mehr Herr seiner Lage ist und selbst Entscheidungen trifft, und es da vielleicht mehr um ein intaktes Bruder-Verhältnis geht, als in dieser Mutter-Sohn-Beziehung. Der Text hier handelt ja eher, so lese ich das zumindest, von Abhängigkeiten, von Situationen, aus denen man nicht herauskommt, weil Freiheitsdrang und dann doch Pflichten irgendwo unlösbar verknüpft sind. So zumindest denke ich mir das.

Hat mir sehr gut gefallen.
Danke!

P.S. Mit dem "Schwalbensommer" bin ich momentan irgendwie so durch, aber ich will da auf jeden Fall nochmal ran. Bin sowieso gerade eigentlich noch im Challenge-Koma.
Hey, mach dir wegen mir auf jeden Fall keinen Stress. Wenn da nie ein Update kommen mag oder du nichts überarbeitest, ist das für mich absolut in Ordnung und ich mochte die Story ja trotzdem. Manchmal braucht man auch eine Ecke für sowas.


Servus @Kellerkind,

danke dir fürs Lesen und Kommentieren!

Du thematisierst mit dem Text den Verlust, ohne ihn zu benennen.
Die Unerträglichkeit des Schmerzes wird dadurch deutlich, dass man ihn nicht mal mehr in Worte fassen kann. Und trotzdem muss er irgendwie raus. Und das machst Du so meisterhaft, dass der Neid mich zerfrisst.
Danke für die sehr netten Worte. Das freut mich natürlich, auch wenn das mit dem Zerfressenwerden nicht ganz gesund klingt, mein Freund!


wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
An dieser Stelle, lenkt mich das zu sehr ab. Ich versuche es vergeblich einzuordnen, und wenn es dann erklärt wird, habe ich es schon vergessen. Das würde ich weglassen.
Das ist ein guter Punkt. Ich muss das mal sacken lassen und überlege, ob ich's streiche. Ist jedenfalls notiert, hier in meinem schlauen Buch

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.
Ich gehe automatisch davon aus, dass sie zum Erzähler nach Hause fahren, da sie von dort starten. Das führt dann für leichte Verwirrung beim weiteren Lesen. Hier würde ich den Ort klar definieren.
Aaaah. Ja. Sehr gut. Du hast absolut Recht. Ich bin automatisch davon ausgegangen, dass der Erzähler natürlich eine eigene Wohnung hat und jeder das so sehen wird. Shit. Ja, du hast Recht. Das werde ich eindeutiger formulieren.

Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«
Das habe ich nicht verstanden. Ihr Neffe war doch beim Grillfest. Und wieso legt sie den Zettel in das Haus der Mutter?
warte mal! Ach die beiden wohnen zusammen in dem Haus? Aber wieso holt die Mutter ihren Sohn dann ab? Da bin ich wohl durcheinandergekommen ...
Hast du es denn nun verstanden? :D Vielleich tist das auch ein wenig zu uneindeutig. Ich dachte es so, dass der Ich-Erzähler eine eigene Wohnung hat. Er sagt ja später auch, dass er die Mutter oft besuchen kommt. Die Mutter hat eine Schwester. Das ist die Tante mit dem Hochheben. Die kommt die Mutter auch gelegentlich besuchen. Weil sie lustig ist, hat sie dem Ich-Erzähler - weil sie weiß, dass auch er seine Mutter besuchen kommen wird - einen Zettel auf dem Nachttisch des Zimmers hinterlassen, in dem er immer übernachtet. (So zumindest hatte ich mir das gedacht. Jetzt, wo ich es schreibe, fällt mir allerdings auf, dass das, wenn man nicht wie ich in der Story drin ist, schon nicht eindeutig sein könnte.)

Unglaublich intensiv und mitreißend geschrieben.

Kellerkind, danke für dein Lob und deinen Kommentar!


Servus @AWM,

danke fürs Vorbeischauen, Lesen und Kommentieren. Hat mich gefreut!

Hallo @zigga deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen.
Danke

»Hi, Mutter«, sage ich. Auf dem Gehsteig umarmen wir uns. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Eine kräftige Frau; kräftig in ihren Umarmungen. Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.
»Hallo«, sagt sie.
»Geht’s dir gut?«, frage ich.
Sie sieht mich an, nickt und sagt: »Ja.« Ihre Augen sind bernsteinfarben.
»Kannst du fahren?«, frage ich.
»Ja, klar«, sagt sie. Mit dem Schlüssel in der Hand läuft sie zur Fahrertür. »Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.
Für meinen Geschmack könntest du an manchen Stellen auf "sagen" und "fragen" verzichten. Anfangs war ich irritiert, dass dein Prota seine Mutter so beschreibt, als würde er sie das erste Mal sehen. Z.B. bernsteinfarbene Augen. Es macht aber durchaus Sinn, wenn man weiterliest und beschreibt für mich die Distanz, die zwischen beiden herrscht und die beide irgendwie fühlen, aber nicht wahrhaben wollen. Der Prota nimmt eine Perspektive von außen ein. Ist wie derealisiert nach dem Vorfall, den du geschickt im Hintergrund lässt.
Das ist ein sehr guter Punkt. Ja, ich werde drüber nachdenken, ob ich hier auf die Verben verzichten kann. Das mit der Derealisation ist sehr interessant. Da hast du absolut Recht. Entweder ist das ein Perspektivfehler, weil da zu sehr ich selbst in der Figur war, der zum ersten Mal die Mutter gesehen hat, oder es ist tatsächlich so etwas wie ein Derealisations-Moment, was mir als Deutung persönlich sehr gut gefällt. Das kommt ja in Situationen vor, die uns irgendwo unterbewusst triggern, bei denen wir wissen, dass etwas nicht stimmt. Dahingehend gefällt mir das sehr gut und freut mich, dass du das so siehst.

»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.
Ganz starke Stelle. Irgendwie entrückt und gleichzeitig extrem passend.
Merci!

Seine Augen sind eisblau und sein Haar blond und halblang.
Hier das ähnliche Mittel wie schon bei der Mutter.
Das stimmt. Ich hoffe, ich war nicht zu sehr in meinem Mode bzw. es könnte sein, dass hier zu viel Autor tatsächlich drin ist, der halt auch ein wenig anschaulich die Figuren beschreiben möchte ...

Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres
Wieso nicht seines Bieres?
Stimmt eigentlich

Ich bringe ihr aus dem Eisfach eine ihrer Kühlpads.
eines ihrer Kühlpads
Right

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
»Ja«, sage ich. »Das hätte ihm auch gut gefallen. Solche Sachen hat er immer gerne gemocht.«
Würde das zweite "Das hätte ihm auch gut gefallen" streichen.
Gute Idee
Ich teste das mal aus

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an. Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen. Grillen zirpen so laut, dass ich sie für ein Relikt meines Traumes halte; aber sie sind hier, sie sind echt.
»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich und reibe über meine Augen.
»Gut«, sagt meine Mutter. Sie hält meine Hand mit beiden Händen. Sie blickt mich im Halbdunkeln an. Dann verzieht sich ihr Mund und schließlich ihr Gesicht.
Stärkste Stelle für mich. Da bekommt man ein richtig ungutes Gefühl.
Danke, freut mich
Freut mich immer, den Leuten ein ungutes Gefühl zu bereiten
Nein Spaß

»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«, sagt sie.
»Aber ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier«, sage ich
Auch hier könntest du auf "sage ich" verzichten.
Jepp, da schimmert ein gewisser Autor durch, den ich gerade gelesen habe

»Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter.
Hm. Ich will es so lesen, dass sich das Ja auf die Beschwichtigungsversuche des Sohnes beziehen. Aber so wie es da steht, liest es sich eben, als ob die Mutter findet, dass er ein langweiliger Mensch ist. Glaube nicht, dass du das so wolltest. Lass sie doch stattdessen einfach lächeln oder so.
Das ist ein guter Punkt. Ich hatte das so gedacht, wie du es vermutest hast. Das "Ja" ist so etwas Allgemeines, keine Antwort. Ich schau mal, was ich mache. Lächeln fände ich vllt. in der Situation etwas strange. Wobei. Ich hab mal von einer jungen Frau gehört, die zufällig Zeugin eines Autounfalls wurde. Als sie die Leiche gesehen hat, hat sie ganz intuitiv zu Lachen begonnen. Das fand ich interessant. Vielleicht ist Lachen auch eine Art Derealisations-Werkzeug.

Wie ich, an dem sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
an den
verbessert

Alles ist dunkel in meinem Zimmer.
Kann weg finde ich. Hast du paar Sätze davor schon geschrieben.
Stimmt

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
sehr starkes Ende.
Danke!

Viele Grüße

 

Hallo zigga,
sehr sehr eindringlich, wie du diese Mutter-Sohn-Beziehung schilderst. Es schnürt einem den Hals zu, weil einerseits ist das so liebevoll, andererseits so unendlich verzweifelt, so erstickend.
Ein wirklich, wirklich guter Text. Am liebsten würde ich ihn auch gleich noch empfehlen, weil ich finde, dass du diese bedrückende, unerträgliche Stiummung so verflucht gut eingefangen hast. Vielleicht mach ich das ja auch noch, ich fürchte grad nur, dann gehe ich hier als die "Empfehlenovak" in die Annalen ein. :)
Mal zurück zum Text: Ich hoffe nur, der junge Mann kann sich irgendwie und irgendwann doch aus dem Gefühl von schwerer Verantwortung, die ihm eigentlich keine Luft zum Leben und zur eignen Entwicklung lässt, befreien. Es ist die Melange aus Trauer um den Tod des Sohnes/Bruders und die Herzkrankheit der Mutter, ihre extreme Hilflosigkeit, die dieses Verhältnis zwischen beiden so furchtbar schwer, so unerträglich macht. Sie kann mit dem Verlust und der Verzweiflung nicht umgehen, die Trauer nicht verarbeiten und zieht ihn, den Sohn mit hinein in diesen Sumpf aus eigener Trauer, hohem Verantwortungsgefühl, Mutterliebe, hält ihn fest, macht ihn hilflos und klein. Und furchtbar auch, dass das Verhältnis bei aller Enge und Intensität und Abhängigkeit so hilflos und distanziert bleibt.

Ich gehe mal durch, muss aber dazu sagen, dass ich die anderen Komms nicht lesen konnte. Aber manchmal ist doppelt Gesagtes ja auch okay.

Als ich den ersten Abschnitt las, war ich erst mal neugierig. Ich fand diesen Blick von außen so auffällig. Er beschreibt sie so genau, als wollte er sie vorstellen. Und tatsächlich gewinnt man zunächst einmal den Eindruck, sie ist wirklich eine aktive, starke Frau, die mit allem umgehen kann. Später merkt man, dass das gar nicht stimmt. Und dann versteht man, der Sohn will sie so stark sehen. Und vermutlich ist oder war diese Stärke auch immer ein Teil von ihr. Irgendwann später schreibst du ja, die Söhne hätten sie nie weinen sehen. Aber zurück, manchmal ist es so, dass gerade die Hilflosigkeit eines nach außen hin stark wirkenden Menschen den anderen in einer Beziehung so abhängig machen. Der andere stellt sich ja eigentlich gar nicht an, der ist nicht weinerlich oder jammerig, wenn dieser Mensch zusammenbricht, weil die Lebensverluste an ihm genagt haben, dann muss dieser Mensch tatsächlich so leiden, dass man da sein MUSS. Das ist wie so ein moralischer Imperativ.

»Hi, Mutter«, sage ich. Auf dem Gehsteig umarmen wir uns. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Eine kräftige Frau; kräftig in ihren Umarmungen. Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.
Auch hier wieder. Ist komisch, wie er sich fast selbst vergewissert, wer er ist. Also nicht komisch im Sinne von schlecht, sondern sehr auffällig, sehr aufmerksam machend.

»Ja, klar«, sagt sie. Mit dem Schlüssel in der Hand läuft sie zur Fahrertür. »Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.
Ja, es ist, als müsste er ihre Kraft und Stärke betonen. Gut gemacht.

Ach, was ich noch anmerken wollte:

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
Obwohl mir das später nicht mehr so aufgefallen ist, hier erinnert mich das an deinen alten Text. Die vielen sich wiederholenden Satzanfänge. Weißt noch, wo ich so geschimpft hab. :) Ich fand das hier aber nicht schlimm, später ist mir das wie gesagt nicht mehr aufgefallen, hab aber auch nicht extra nachgeprüft. Und im Nachhinein könnte man das auch als stilistisches Mittel ansehen, als seinen speziellen Blick auf die Mutter in dieser Situation.

»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.
Goldig. Ich hätte aber den letzten Satz gestrichen. Kriegt was Leichteres dann. Und so empfinde ich das Verhältnis zur Tante, als gut und leichtfüßig, auch wenn der Zettel später ... der spricht schon auch das schlechte Gewissen an.

Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.
War doch nur ein Geschenkkorb.

»Lass die Frauen mal reden«, sagt mein Onkel. Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlstücke hin und her.
Da ich mindestens zweimal gedacht habe, die machen da mal was ganz Neues und grillen Kohlwickel, bin ich doch jetzt schwer dafür, dass du Kohlestücke schreibst. Und wenns nur für mich ist.

Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen: Wie sie nah beieinander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Arg übertrieben und verwinkelt ausgedrückt. Ich finde, die Situation kommt auch zum Tragen, wenn du nur schreibst: und miteienander reden, Vielleicht sogar besser.

Meine Mutter sitzt einen langen Moment so da; in ihrem Sessel, die Füße hochgelegt, mit dem Kühlpad in der Hand auf ihrer Brust. Ihr graues, faltiges Gesicht. Die braunroten, getönten Haare. Ihre Bluse, ihre Stoffhose.
Da kippt es. Immer noch der Blick von außen, die Beobachtung, aber die Mutter ist nicht mehr kraftvoll.

Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, zum Sessel, und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Backe und sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
Sehr liebevoll.

»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.
Das meinte ich vorhin mit der Stärke einer leidenden Person, die einen dann noch mehr in den Sog zieht, sich zuständig fühlen zu müssen. Die klagt ja nicht offen über ihr Herz, sie reagiert scheinbar tapfer mit dem Spruch "Es pocht". So nach dem Motto, was soll es sonst machen. Dabei hat sie das Kühlpad auf der Brust. Erinnert einen an den Ausspruch vom gebrochenen Herzen. Vielleicht ja wirklich Folgen einer Stress-Kardiomyopathie?

Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«
Auf den ersten Blick finde ich den Zettel total lustig. So, als wäre die Tante da gewesen und hätte sich gewünscht, der Neffe wäre auch da gewesen. So im Zusammenhang der Geschichte kriegt die Nachricht aber auch was von Mahnung und Vorwurf. So als hätte er da sein müssen, es aber nicht war. Fand ich komisch, weil ich die Tante eigentlich nicht so empfunden hab und eigentlich kümmert er sich ja sehr.

Sein Zimmer ist unangerührt. Der Teppich gesaugt, kein Staub auf Spiegel oder Oberflächen. Fernseher, Schreibtisch, ein paar seiner Marketing-Bücher. Sein Bett voll mit Kissen, Fotos und kleinen Dingen, die ihm meine Mutter und Tante von Ausflügen mitgebracht haben: Eine Postkarte aus Koh Samui, ein Schlüsselanhänger von einer Betriebsfeier. Mit Wachsstiften gemalte Bilder von Sonne und Stränden. Ich setze mich auf den Schreibtischstuhl.
Hier erfährt man das erste Mal Genaueres von dem verlorenen Menschen. Anfangs dachte ich, es sei der Mann der Mutter gewesen, den sie vermisst. Hier ist es der Sohn. Die Mutter hält das Zimmer sauber, lässt alles, wo es war. Kein Altar, kein Denkmal einer Erinnerung, aber auch schon auffällig.

Der Rasen ist hoch gewachsen. Wir setzen uns in die weißen Plastik-Stühle neben der Hecke. Stapel von Pappkartons und Dinge wie das alte Aquarium meines Vaters und der kaputte Wäschetrockner stehen schulterhoch gestapelt auf der Terrasse.
Das kann man fast überlesen, ich finde es sehr geschickt, wie du das machst, dass fast anbei Details eines auseinandergefallenen Lebens auftauchen. Der Rasen wird nicht mehr gemäht, Zeugs, was vielleicht auf den Sparrmüll soll, ist hochgestapelt auf der Terrasse. Du beschreibst da eigentlich eine zunehmende Verwahrlosung der Mutter. Besonders gruselig finde ich das im Kontrast zu dem staubfreien Zimmer des Bruders.

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
Ja, was haben sie schon gemacht. Zusammen eine Zigarette geraucht und gemeinsam an den Toten gedacht. Eigentlich was Gutes, das beide in der Trauer vereint. Aber gleichzeitig wird, keine Ahnung, ob du das extra gemacht hast, ich empfinde es jedenfalls so, noch eine Verantwortungsfessel ausgeworfen. Der überlebende Sohn ist es nicht nur der Mutter schuldig, bei der Mutter zu sein, sondern auch noch dem Andenken des toten Bruders.

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an.
Mich überläuft es da kalt. Noch nicht mal in seinem Zimmer, im Schlaf, in seinem eigenen Bett hat er Ruhe. Das ist furchtbar. Diese Mutter ist in ihrer Hilflosigkeit so grenzüberschreitend, als wäre er die Luft zu ihrem Atmen.

»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich und reibe über meine Augen.
»Gut«, sagt meine Mutter. Sie hält meine Hand mit beiden Händen. Sie blickt mich im Halbdunkeln an. Dann verzieht sich ihr Mund und schließlich ihr Gesicht.
Oh zigga, du drehst immer noch eine Schraube höher, gell? Wieder diese Mischung aus scheinbarer Tapferkeit der Mutter und dann dem beginnenden Weinen. Das engt ja mich ein, als Leserin, ich spür die fatale Hilflosigkeit der Mutter, ihre Depressin und Verzweiflung, und ich spür die Hilflosigkeit des Mannes, der sich dem nicht entziehen kann.

»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«, sagt sie.
»Aber ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
Die Mutter ist so tief in ihrer Trauer drin, sie will festhalten, klammern, kontrollieren, alles wissen, als könnte sie damit einen weiteren möglichen Tod oder Verlust aufhalten.

»

Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.
Scheiße. Meine Güte, diese Stelle. Normalerweise heben Mütter da immer die Stimme und widersprechen, wenn einer sagt, er sei ein langweiliger Mensch. Diese Mutter ist so weg von allem. Es wirkt wie ein Aufgeben, als wolle sie nicht weiter in ihn dringen. Aber gleichzeitig stimmt sie auch zu. Vielleicht ist das so, dass für manche Menschen die Toten spannender sind als die lebenden.

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Beeindruckender letzter Satz.

Wirklich sehr sehr guter Text, zigga.
Viele Grüße von Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
»Ja«, sage ich. »Das hätte ihm auch gut gefallen. Solche Sachen hat er immer gerne gemocht.«

Der Bruder tritt hier aus der Leerstelle heraus. Ich fände es besser, wenn es hier nicht so Holzhammer-mässig kommt. Die Trauer, diese unsichtbare Schleier aus Schmerz und Hilflosigkeit, der wird auch so sehr deutlich. Vielleicht raucht er die gleiche Marke, und dann wird der Bruder nur in einem Nebensatz erwähnt, wie beiläufig, aber diese Beiläufigkeit, diese Sprachlosigkeit, die geht dann tief. So wirkt mir das zu sehr wie eine Konstruktion. Der Text hat das nicht nötig.

»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
Ich habe mit dieser Szene am Bett meine Probleme. Die wirkt so, als müsstest du dich jetzt vergewissern, dass diese Geschichte auch die nötige Tiefe hat, dass es alle verstehen. Ich habe hier auch große Schwierigkeiten mit den Dialogen - ich denke immer, so redet keiner, und zu so einer Reaktion, Mutter geht ans Bett ihres erwachsenen Sohnes und spricht so, das glaube ich nicht. Ich finde, der Grundtenor ist so still, so ruhig, da wirkt diese Szene gegensätzlich, unsubtil, fast laut - hier bekomme ich das Gefühl, der Leser soll es jetzt richtig gezeigt bekommen. Wie gesagt, der Text hat das meiner Meinung nach nicht nötig. Ich fände es viel stärker, wenn du nach dem gemeinsamen Rauchen der Zigarette rausgehst, weil das wie eine Andacht wirkt, wie eine Art Ritus, der eine Erinnerung beschwört. Und da wirkt dann auch die Leerstelle intensiver, sie sind alle da, nur der Bruder eben nicht, dass muss nicht erwähnt werden, es oszilliert zwischen den Zeilen, es ist herauslesbar, im Text.

Ich fahre ihr über den Rücken.
Haha, ich stelle mir vor, wie er ihr mit einem Defender über den Rücken fährt. Da müsste noch so was wie Fingerspitzen etc hin, sonst wirkt es anders, als du intendiert hast.

Ja, ich glaube, du könntest den Text noch leiser machen, noch zurückhaltender, wie gesagt, diese Szene am Bett, die finde ich fast unnötig, und die ist auch relativ nah am Kitsch, da würde ich aufpassen, das wird schnell gefühlsduselig und rührselig. Ich finde, dieser Text ist auf jeden Fall viel stärker als der letzte Challenge-Text. Hier ist mehr von dir drin.

Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
Sie ist immer so stark.

Das liest sich wie so ein Anhängsel. Du könntest das mit den Krankschreibungen in einem Dialog lösen, oder er findet einen gelben Schein auf dem Küchentisch. Hier wird mir zu offensichtlich der Effekt gesucht, das was du sagen willst, wird auch sowieso klar. Dann auch: Sie ist immer so stark. Also, entweder der Erzähler kennt seine eigene Mutter nicht, oder er muss sich immer wieder vergewissern und wird später eines Bessern belehrt, als sie am Bett sitzen und die Mutter sich ihm öffnet. Er belügt sich im Grunde selbst. Der Text ist dann die Beobachtung, wie diese Sichtweise zerfällt, sich auflöst. Dann muss ich die Stärke dieser Frau aber entweder sehen, der Text muss sie beweisen - oder jedoch die Unzuverlässigkeit des Erzählers in irgend einer Art und Weise angedeutet bekommen. Es wird also offensichtlich, dass seine Wahrnehmung nicht die richtige ist. Am Ende wird ihm das bestätigt. Ich fände es, glaube ich, besser, das Ende, was diese grundsätzliche Aussage betrifft, offen zu lassen. Das hängt ja auch damit zusammen, wie der Sohn zu ihr steht, wie und in welcher Position er sich selbst sehen will. Das bleibt ja offen, bis auf den letzten Satz, wo man das Gefühl bekommen könnte, vielleicht spielt er das alles nur gut, man weiß es eben nicht. Mir fehlt in dieser Konstellation auch der Vater. Zuerst habe ich das Gefühl gehabt, die Leerstelle ist der Vater. Mir scheint der eben dadurch, dass er nie richtig erwähnt wird, sogar überpräsent. Du stellst hier die Mutter total in den Fokus, klar, aber ganz kannst du auf den Vater nicht verzichten (oder ich habe da was überlesen), denn es wären ein Ehepaar, Eltern, die trauern, und insofern sie sich nicht getrennt haben, ist das ja auch eine gemeinsame Trauer.
Der Tod des Bruders kann ja auch der Grund der Trennung sein, aber dann würde ich das wenigstens in einem kurzen Nebensatz oder einem Dialog erfahren wollen. Die Mutter wirkt sonst arg alleine, und dann bekomme ich als Leser das Gefühl, ihr wird zuviel aufgeladen, das ist zuviel Leid, sie wird zu einem Opfer, zu einer Art Märtyrer. Es muss nicht viel sein, wie gesagt, aber ich empfinde es so, dass der Vater da irgendwie, irgendwo, irgendwann in den Hintergrund gehört

So, das ist ein Nachtrag, weil ich nochmals über den Text nachgedacht habe und ihn dann nochmal gelesen habe.

»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«

Da steckt für mich der narrative Kern drin, in dem Satz. Die Mutter hat bereits einen Sohn verloren, der ihr anscheinend sehr viel näher gewesen, ich meine das jetzt örtlich, sie hatte mehr Kontrolle, mehr Aufsicht, mehr Einfluss, und jetzt spürt sie dieses Entgleiten, eine diffuse Entfremdung, die ihr Angst macht, und die ihr aufzeigt, dass sie eben auf keinen Fall immer alles unter Kontrolle hat, hatte und auch nicht haben wird. Das ist natürlich sehr stark, ein starkes Motiv. Ich denke, es würde mehr Wirkung erzielen, wenn du diese Tatsache, dass sie nicht mehr weiß, wer ihr Sohn ist, da steckt ja sehr viel drin, die eigene Verunsicherung, das Entfremden, die soziale Isolation, die Überschneidung und Projektion mit dem verlorenen Sohn, dem Bruder, um den getrauert wird, wenn du die nicht so direkt löst. Wenn das subtiler ginge. Sie könnte zum Beispiel fragen, ob er immer noch die gleiche Arbeit hat, ob er immer noch mit der gleichen Frau zusammen ist, und der Bruder antwortet: Aber ja, das weißt du doch, das hast du mich schon letzte Woche gefragt. Oder: Das fragst du mich jede Woche! Dass sie sich in ihrem Kampf mit sich selbst nicht so offenbart. Ich denke immer, solche Momente, wo der Mensch seine ganz Verwundbarkeit zeigt, seine ganze Hilflosigkeit, Handlungsunsfähigkeit ist vielleicht besser, dieser totale Stillstand, das kann man gar nicht so sehr in die richtigen Worte fassen, das sind doch auch sehr diffuse, unfassliche Emotionen, die meistens sogar über das Sagbare hinausgehen, für die man keine Worte findet. Ich selbst zum Beispiel begreife viele Dinge, die emotional überaus wuchtig und krass waren, teilweise erste Jahrzehnte später in ihrer Gänze, den Zusammenhang, die Handlungen. In diesem, dem aktuellen Moment war es einfach wie in einem reißenden Fluss, so vielleicht die beste Beschreibung; du stehst mittendrin und wirst mitgerissen. Man weiß nicht so richtig, was man tut, und warum man tut, was man tut. Natürlich bin ich jetzt nicht das Maß der Dinge, aber du weißt sicher, was ich sagen will: auf diesen Text bezogen würde eine eher tastende, vage, vermutende Erzählweise diese unsichere, tragische Position der Mutter meiner Meinung nach noch amplifizieren. Und auch der letzte Satz, wo er sagt, er weiß nicht, ob es stimmt - ich finde, du solltest den Leser mit genau dieser Empfindung entlassen, mit dieser Fragestellung: Erzählt er ihr wirklich alles? Das ist so eine Emotion, die ich beim Lesen von guten Stories sehr oft habe, ich will es mal Unbehagen nennen; der Autor schafft es, mich emotional mit den Geschehnissen zu verknüpfen, er zieht mich in die Tiefe der Fiktion, aber dann entlässt er mich mit diesem Gefühl des Unbehagens, wo ich mir nie sicher bin, wie es tatsächlich weitergeht, wo die Wirklichkeit wird, wie sie ist - unberechenbar.

Ja, also, das waren alles nochmal Gedanken, die ich zu dem Text hatte, just my 5 cents.

Gruss, Jimmy

 

Hey Zigga.

Ich steig direkt ein und verlier zwischendurch den einen oder anderen Gedanken.

»Hi, Mutter«, sage ich. Auf dem Gehsteig umarmen wir uns. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Eine kräftige Frau; kräftig in ihren Umarmungen. Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.

Die Größe des Sohnes wird nicht thematisiert. Trotzdem habe ich da jetzt eine große und kräftige, sehr männlich wirkende Frau vor Augen.

»Ja, klar«, sagt sie. Mit dem Schlüssel in der Hand läuft sie zur Fahrertür. »Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.

Hier geht das gerade so durch, das "sagt sie". Eine spätere Stelle werde ich dahingehend stark kritisieren.

Meine Tante wohnt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang durch Wälder, im Bauernhaus meiner Großeltern und neben einer geschlossenen Metallwaren-Fabrik.

Metallwarenfabrik?

Schönes Bild, das mit der Landstraße, den Wäldern, das Ziel ein Bauernhaus. Habe sofort etliche solcher Routen vor Augen.

Deutschland-Fahnen auf den Dächern der Nachbarhäuser.

Deutschlandfahnen?

Auch: Ist gerade WM oder ist das eines von diesen doofen Klischees? Landbevölkerung und so, Deutschlandfahnen und so.

Wir stehen mit dem Geschenkkorb vor dem rostbraunen Hoftor und drücken die Klingel. Meine Tante öffnet das Tor, sieht mich, lacht und ruft: »Du bist dabei!«

Der Ausruf hat mich erst irritiert, dann aber gerührt. Das ist echte Freude, was die Tante da zeigt.

Und das Verhältnis der beiden
»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.

Sehe da keinen Zwang oder was Unangenehmes. Eine schöne Sache, das. Menschlich.

Mein Onkel steht im hinteren Teil des Hofes, neben dem Hundezwinger, am Grill. Er trägt abgeschnittene Jeans und ein warnwestengelbes Tanktop. Das Tribal-Tattoo an seinem Hals ist verlaufen. Seine Augen sind eisblau und sein Haar blond und halblang.

Modell Preisboxer, okay. Finde ich gut.

Er hebt lächelnd die Hand. Wir schlagen miteinander ein.

Haben die beiden sich da gerade High-Five gegeben. Nice :)

Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.

Hätte erwartet, dass er jetzt irgendwas Rührseliges sagt, nicht:

»Lass die Frauen mal reden«

Aber passt, Modell wortkarger Krieger:

Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlstücke hin und her.

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.

Ein Zeitsprung. Hat mir nicht so gut gefallen. Hätte gerne noch ein wenig (namensgebende) Grillfest-Atmosphäre aufgesogen. Mehr schrullige Charaktere kennen gelernt. Aber gut, es ist eine Mutter-Sohn-Geschichte, du bist der Boss.

Meine Mutter sitzt einen langen Moment so da; in ihrem Sessel, die Füße hochgelegt, mit dem Kühlpad in der Hand auf ihrer Brust. Ihr graues, faltiges Gesicht. Die braunroten, getönten Haare. Ihre Bluse, ihre Stoffhose.

Die roten Haare sind jetzt braunrot, ihr kräftiger Körper schwächelt, ihr (in meinem Kopf rosiges, eher weniger faltiges) Gesicht grau und faltig.

Kurz: Eine alte, schwache und erschöpfte Frau.

In der Küche schalte ich die Klimaanlage ein, dann den Ventilator. Die Hitze staut sich an solchen Sommertagen. Durch das gekippte Küchenfenster höre ich Grillen zirpen.

Es ist heiß? Kam für mich überraschend.

Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, zum Sessel, und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Backe und sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

Das hat mich im ersten Moment irritiert. Hat nicht zum Bild des Protagonisten gepasst. Du beschreibst ihn bis dahin kaum. Also habe ich schon ein Bild von ihm im Kopf. Ein eher distanzierter Charakter. Die Aktion ist dann aber eher so "inniges Verhältnis". Da ich da auch noch nicht weiß, dass der Bruder verstorben ist, eckt das bei mir an.

»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter, mit dem Kühlpad an ihrer Brust. Sie sitzt im Sessel, regungslos und mit geschlossenen Augen.
»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.

Das ist sehr, sehr schön.

»Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«

Habe das, denke ich, so verstanden, wie der Autor es sich gedacht hat. Passt absolut zur Figurenzeichnung!

Am Fenster rauche ich eine Zigarette, anschließend steige ich die Treppe zum Dachstuhl hinauf. Sein Zimmer ist unangerührt. Der Teppich gesaugt, kein Staub auf Spiegel oder Oberflächen. Fernseher, Schreibtisch, ein paar seiner Marketing-Bücher. Sein Bett voll mit Kissen, Fotos und kleinen Dingen, die ihm meine Mutter und Tante von Ausflügen mitgebracht haben: Eine Postkarte aus Koh Samui, ein Schlüsselanhänger von einer Betriebsfeier. Mit Wachsstiften gemalte Bilder von Sonne und Stränden. Ich setze mich auf den Schreibtischstuhl. Aus dem Fenster sehe ich den dunkelnden Himmel. Von unten höre ich den Fernseher laufen.

Der erwachsene Bruder wohnte bei der Mutter in einem kleinen Zimmerchen. Der Protagonist ist das Gegenteil. Sie hat vielleicht Erwartungen an ihn, denen er nicht gerecht werden kann, möchte oder sollte.

Durch die Verandatür steigen wir in den dunklen Garten. Der Rasen ist hoch gewachsen.

Keiner mäht (mehr) den Rasen.

Wir setzen uns in die weißen Plastik-Stühle neben der Hecke.

Plastikstühle?

Ich halte ihr über den Gartentisch das Feuer hin, anschließend zünde ich meine Zigarette an.

Das Feuer. (Gib ma' Feuer.) Passt!

Wir rauchen wortlos, langsam. Nur das Geräusch unseres Atems, unserer sich bewegender Hände; die zirpenden Grillen in der Hecke und die vorbeirauschenden Autos auf der Hauptstraße. Unsere Gesichter in Schatten, nur die leuchtende Glut, die von Zug zu Zug knisternd aufflammt und unsere Blicke für einen Moment sichtbar macht.

Da habe ich mich zuerst gefragt, wo das Knistern der Kippen bleibt. Kam dann im nächsten Satz. Kann man machen.

Auch: unserer sich bewegendeN Hände

»Das war gut«, sagt meine Mutter. Sie drückt den Filter in den Aschenbecher.
»Ja«, sage ich.
»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
»Ja«, sage ich. »Das hätte ihm auch gut gefallen. Solche Sachen hat er immer gerne gemocht.«

Okay, so einer war er. Die Figurenzeichnung gefällt mir.

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an. Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen. Grillen zirpen so laut, dass ich sie für ein Relikt meines Traumes halte; aber sie sind hier, sie sind echt.

Sehr stark.

»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
»Ja«, sage ich.
Sie weint weiter und hält meine Hand.
»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«(, sagt sie.)
»Aber ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«(, sage ich.) »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.

Hm, ein Experiment. Finde ich nur zum Teil gelungen. Habe mal die markiert, die ich definitv streichen würde und die, die ich nur nicht schön finde.

Finde es auch komisch, dass sie seine Hand hält. Es sollte andersrum sein.

Ich würde kürzen und es so machen:

»Alle feiern«, sagt sie. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können. Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
»Ja«, sage ich und halte ihre Hand.
»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab.«
»Ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier.«
»Ich weiß nicht«, sagt sie, »manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich bin ein langweiliger Mensch.«

Tragisch, wie er sich für sie um 180° dreht und es doch nicht reicht.

Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her.

Das er das nicht weiß, finde ich komisch. Den Satz an sich. Wirkt konstruiert, wie in Form gepresst, damit das mit dem Wellengang kommen kann. Was man dir aber lassen muss ...

Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.

... das ist verdammt gut geworden!

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich.

Verstehe diese erneute Betonung nicht. Will er sein Bruder sein? Soll er das? Findet sie es blöd, dass er versucht, so zu sein, wie er, es aber nicht schafft. Ist das in seinem Kopf? In ihrem? In deinem?

Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

So sollte es sein. Auch und gerade wenn die Mutter momentan im tiefsten Loch steckt. Er ist wohl ähnlich verzweifelt, wie sie. Sie leidet, er leidet. Aus unterschiedlichen Gründen, die beiden.

--

Sehr schöne kleine Geschichte. Auch wenn ich viel gemeckert habe: Du hast es schon echt drauf! Hatte amerikanisches Flair. Finde das grundsätzlich gut.

Das war es von mir.

Gruß,
Analog

 

Hallo zigga,

Eine feine Geschichte, hat mir gefallen. Besonders Stellen wie diese beiden:

»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.

>>> das hat mich berührt.

Und dein Herz?« Ich blicke zu ihr.
»Ist mir egal«, sagt meine Mutter, schneidet ihr Steak und führt sich die Gabel in den Mund.

>>> Der Schmerz sitzt tiefer, als man denkt. Oberflächlich funktioniert die Mutter, schafft es, den Alltag zu bewältigen, zu putzen, auch wenn sie oft krank geschrieben ist. Wahrscheinlich haben die Herzprobleme etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun, dass das Leben für sie keinen richtigen Sinn mehr macht, seitdem er weg ist, dass sie vielleicht latent depressiv ist, vielleicht schon lange in ihrer Trauer verharrt, die etwas Statisches, Einfrierendes bekommt, etwas Bedrückendes, das den Sohn auf Abstand gehen lässt, auch wenn er sie einmal die Woche besucht und auf seine Weise doch sehr mag.
Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her. Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
>>> für mich die schönste Textstelle.

LG petdays

 

Hallo @zigga,

ich hab vor allem Textkram für dich, nachdem schon vieles gesagt wurde.

Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten
Statt Klamotten könntest du auch Arbeitskleidung schreiben, wäre neutraler.

»Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.
Das Fette finde ich zu erklärend.

Deutschland-Fahnen auf den Dächern der Nachbarhäuser.
Sind das alles Flachdächer und stehen die Fahnen an Masten da drauf?

»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.

Das Tribal-Tattoo an seinem Hals ist verlaufen.
Ist das son Wasser-Tatoo oder ist das schlecht tätowiert oder schwitzt er so stark?

Seine Augen sind eisblau und sein Haar blond und halblang. Er hebt lächelnd die Hand.
Rutger Hauer. ;)

Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen
Müsste es nicht heißen: Ich sehe, wie sie sich an die Arbeitsfläche anlehnen? Arbeitsfläche trifft nicht ganz, Kante der Arbeitsplatte wäre genauer, wenn du willst.

Wie sie nah beieinander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
dieses die Arme verschränkt fällt aus dem stehen, nicken, sagen-Dreiklang. Bin ich drüber gestolpert und fände es eingebettet besser.
Wie sie nah beieinander stehen, die Arme verschränkt und nickend Worte zueinander sagen.

Den Wechsel nach Hause habe ich beim ersten Lesen nicht geschnallt. Ich war immer noch bei der Tante in der Küche und Mutter legt sich im Wohnzimmer in den Sessel. Der Szenenwechsel kam mir zu abrupt.

und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals
könntest die Possessivartikel durch einfache Artikel tauschen.

anschließend steige ich die Treppe zum Dachstuhl hinauf
Was will er beim Dachstuhl? Da kannst du nur die Dachpfannen sehen. Du meinst vermutlich, Speicher, Dachboden, Dachgeschoss, Mansarde, such dir was aus.

Sein Zimmer ist unangerührt
unverändert fände ich passender.

Aus dem Fenster sehe ich den dunkelnden Himmel.
Da fehlt mir was: sieht man den dunkelnden Himmel oder sieht man in den dunkelnden Himmel?

Durch die Verandatür steigen wir in den dunklen Garten.
Ist da eine Stufe in den Garten hoch? Sonst geht man doch eher durch die Tür? Später schreibst du Terrasse, also ist alles ebenerdig?

Unsere Gesichter in Schatten
im?

nur die leuchtende Glut, die von Zug zu Zug knisternd aufflammt und unsere Blicke für einen Moment sichtbar macht.
schönes Detail

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
Da würde ich den Halbsatz an den Redebegleitsatz dranhängen.

Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen
Ist grauen ein Verb? Vllt. ergrauen?

Sie weint. Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her. Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
Sehr eindringlich, gefällt mir.

Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Guter Schlusssatz, der die Stimmung im Text, die Verlorenheit sehr gut einfängt.

Gerne gelesen.
Peace, linktofink

 

Hallo zigga,

ich lese los und sage, was mir einfällt:

Vormittags parkt meine Mutter auf einem der freien Parkplätze vor dem Wohnhaus.

Ich frage mich, ob das Adjektiv 'frei' hier notwendig ist. Sie wird wohl kaum auf einem besetzten Parkplatz parken. Es sagt auch nichts über die evtl. schwierige Parksituation aus, denn sonst müsste das Adjektiv 'frei' durch 'einem der wenigen freien Parkplätze' ergänzt werden. Kann also m.E. weg, oder noch kanpper werden zu: Vormittags parkt meine Mutter vor dem Wohnhaus.

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare.

Ich kenne: sich durch die Haare fahren, sich durch die Haare streichen, aber 'streifen'. Ein Regiolekt vll. ?

Meine Tante wohnt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang durch Wälder, im Bauernhaus meiner Großeltern und neben einer geschlossenen Metallwaren-Fabrik.

Irgendwie finde ich das ungelenk. Alternative: Meine Tante wohnt im Bauernhaus meiner Großeltern, neben einer geschlossenen Metallwarenfabrik. Man fährt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang, durch etliche Wälder.

Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.

Gefühlt fehlt hier ein Komma!

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.

Der Wechsel kommt hier sehr abrupt. Eben noch bei Tante und Onkel, jetzt schon wieder zurück. Die Fahrt mit dem Auto wird hinterhergeschoben.

Danach habe ich nicht mehr so sehr auf das Sprachliche geachtet.

Mein Fazit: Die Dialoge finde ich etwas hölzern, irgendwie konstruiert, vor allem die doppeldeutige Frage nach dem Herzen. Nichtsdestotrotz hat mich der Text berührt und die knappe, lakonische Sprache, die ich zunächst als Manko empfand, passt im Nachgang doch sehr gut. Der Text ist mehr als nur melancholisch, er ist ziemlich bedrückend, ohne larmoyant zu sein. Ich hatte beim Lesen für einen kurzen Moment einen Kloß im Hals, und das ist gut, weil es zeigt, dass dein Text mich erreicht hat. Als Vater zweier Kinder erinnert er mich an meine Verlustängste, damit meine ich nicht nur den Verlust durch Tod, sondern ebenso den Verlust durch Entfremdung, das Altern, etc. Urängste weden da angesprochen. Trauriger, aber guter Text.

LG,

HL

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @zigga ,

mir gefällt die Geschichte auch sehr gut. An der Stelle: Glückwunsch zur Empfehlung! Finde ich gerechtfertigt. Das hat etwas sehr Intimes, es ist nicht so furchtbar aufgeregt und in einer sehr angenehm lesbaren, schlichten, aber geschliffenen Sprache formuliert. Der Erzähler hinterlässt einen authentischen Eindruck. Ich bekomme beim Lesen das Gefühl, das wie aus erster Hand zu erfahren. Den Titel finde ich im übrigen nicht schlecht gewählt. Das Grillfest ist irgendwie nicht sehr präsent in der Geschichte. Eher diese Wohnung und die beiden. Durch den Titel wird das Grillfest aber nochmal als Anker festgelegt. Das was im Text nicht übers Grillfest geschrieben wird, fängt diese Setzung in Form des Titels auf. Ein ziemlicher Balance-Akt, finde ich. Aber es funktioniert.
Dasselbe könnte ich über viele Stellen in deiner Story sagen. Das macht für mich vielleicht auch gerade den Reiz aus. Das viele lose Stellen einfach über dein geschicktes Erzählen zusammengefädelt werden und eben funktionieren.
Meine Anmerkungen sind wahrscheinlich alle ein bisschen formal/oberflächlich (Edit: wenn ich Jimmys Kommentar lese, denke ich das erst recht :lol:) , vielleicht schicke ich dir noch ein paar Gedanken zur Struktur und überhaupt dem Thema und allem wirklich wichtigen, was ich hier so sanglos übergehe.

unserer sich bewegenden Hände

die von Zug zu Zug knisternd aufflammt

Genau genommen 'flammt' die Zigarettenglut ja nicht auf. Sie glüht auf bzw. glimmt, oder?

»Das war gut«, sagt meine Mutter. Sie drückt den Filter in den Aschenbecher.
»Ja«, sage ich.

Hier hast du einen Schnitt gesetzt. Sie fangen an mit dem Rauchen und dann "das war gut" etc. Schreib doch einfach "Das tut gut" und erzähl das weiter in der Situation. Warum der Schnitt?

Solche Sachen hat er immer gerne gemocht

"hat er immer gerne gemacht"? oder "hat er immer gemocht"?

, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«

Die "Redebegleitsätze" (musste gerade nochmal nachschlagen :D) gefallen mir bei dir richtig gut. Würdest du darauf verzichten, wäre da für mich viel weniger der Erzähler drin. So habe ich mehr das Gefühl, dass mir das einer erzählt, der markiert, wer gerade spricht – eigentlich müsste er das gar nicht, ich kann es mir durchs Lesen ja eigentlich selbst rekonstruieren. Aber der Erzähler bringt halt trotzdem ständig ein "sie sagt" "sagt sie" "sage ich" als würde ich mir seinen Bericht anhören und wäre darauf angewiesen alles beim ersten Mal zu verstehen. Formal ist das sicher überflüssig, aber rhetorisch funktioniert es wunderbar. Ein tolles Beispiel dafür, wie Rhetorik sinnvoll und nicht bloß als Effekt, Masche, schmückendes Beiwerk (wie man es auch nennen will) eingesetzt wird.

»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.

Die Stelle ist wirklich schön.

Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.

Das war mir etwas zu viel. Auch das "Wie meine Mutter" macht für mich in dem Zusammenhang ausdruckstechnisch nicht so viel Sinn. Ich versteh zwar was du meinst, aber ja ...

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

Hm. Ich bin etwas unschlüssig, was das Ende angeht. Der Redeanteil deines Erzählers ist ja einfach nochmal exakt das, was er schon mal gesagt hat. Das wirkt auf mich so, als hätte sich einfach kein passender Schluss finden lassen und als Rahmung wäre dann diese Wiederholung eingesetzt worden. Ich finde, das geht schon so. Aber irgendwie fühlt es sich gerade noch nicht so optimal an. Vielleicht reicht es ja schon, das ein wenig abzuwandeln und einen entsprechenden, sinngemäßen Abschluss zu finden. Vielleicht stört es auch niemanden außer mich. Es ist bei der Story ohnehin sicher keine Kleinigkeit den Schluss zu ändern und natürlich entstehen neue Unsicherheiten. Aber ich würde es mal ausprobieren. Es geht um "»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter." Das ist so eine Steigerung, die für mein Empfinden etwas abrupt kommt. Dass sie so eine Entfremdung spürt, da gehe ich total mit. Aber diese Aussage plötzlich ist sehr absolut.
Dann das "»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich." Da stört mich eigentlich nur, dass das eben exakt dieselben Worte sind, wie im anderen Absatz, und dadurch so ein überdeutlicher Hinweis entsteht, dass das jetzt nochmal wichtig ist. Aber das hätte, denke ich, auch in anderen Worten den Hinweis-Charakter gehabt. Allerdings hätte sich da gezeigt, ob es auch die Dringlichkeit gehabt hätte, die so ein Fingerzeig, finde ich, ein Stück weit künstlich erzeugt. Ich bin mir eigentlich sicher, dass es die Dringlichkeit auch ohne hat.
Habe gerade nochmal drübergelesen. Ich finde das Ende vom ganzen Aufbau her schon sehr stimmig. Erst die Autoscheinwerfer, das Motorengeräusch. Das erzeugt so ein Gefühl von Aufbruch. Dann "Ich kenne dich nicht" also eine Art Trennung oder Abgrenzung. Wenn du an der Stelle schon rausgegangen wärst, hätte das irgendwie zu viel Pathos gehabt. Deswegen ist es schon richtig, das noch so ein bisschen auströpfeln zu lassen. Vielleicht ja doch noch in etwas abgeänderter Form :Pfeif:


Sehr schöner Text und sehr gerne gelesen!
LG
Carlo

 

Hey @zigga,
hab ein wenig gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen. Sätze wie:

Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn
oder:
Ihre Augen sind bernsteinfarben.
habe ich erst als deplatziert ( die Farbe der Augen) bzw. wie eine Berichterstattung (Sohn, Alter) empfunden.
Nachdem ich aber den Text ganz gelesen hatte, machen sie absolut Sinn für mich, auch das hier:
Worte zueinander sagen.
Für mich zeigt das deutlich, dass dein Prota kein Ich-Gefühl hat und weder den Schmerz noch irgendetwas anderes mehr an sich heranlässt. Die Welt um ihn herum scheint nur an ihm vorbeizuziehen, nichts hat wirklich Gewicht oder Bedeutung, er funktioniert einfach nur. Das finde ich gerade durch solche Formulierungen sehr gut dargestellt.
Du zeigst, was der Verlust eines Familienmitglieds (ich schätze, es ist der Bruder) bei deinem Prota und seiner Mutter auslöst.
Die Mutter wirkt anfangs sehr tapfer, wird als stark bezeichnet, aber langsam kristallisiert sich das Abhängigkeitsverhältnis der beiden heraus. Sie ist durch diesen Schicksalsschlag hilflos, einsam und herzkrank geworden, lässt ihr gebrochenes Herz also zu und will, dass der verbliebene Sohn auch den anderen mit ersetzt. Was er nicht kann, nicht mal dann, wenn er 24/7 bei ihr wäre.
Im Grunde empfinden beide die gleiche Leere, nur wirkt sie sich eben anders aus. Traurige Geschichte, aber so gut gemacht, dass ich trotzdem "gerne gelesen" sagen kann.

Viele Grüße,
Chai

 
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»Niemand ist mein Name; denn Niemand nennen mich alle,
Meine Mutter, mein Vater, und alle meine Gesellen.
...« Homer: „Odyssee“, 9, Z. 366 f.​

Durch das gekippte Küchenfenster höre ich Grillen zirpen.
[…]
Stapel von Pappkartons und Dinge wie das alte Aquarium meines Vaters und der kaputte Wäschetrockner stehen schulterhoch gestapelt auf der Terrasse.
[…]
»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«

Was hat der nur für Grillen im Kopf, wird sogleich doppeldeutig und wählt diesen eher nebensächlichen Satz über die zirpenden Grillen bei einer eher nebensächlich erscheinenden Stelle? Acheta domesticus, den „häuslichen Sänger“ als Eingangszitat aus? Darf man bei einem solchen Text über Verlust, Trennung und (Wohnungs?)Auflösung mit Worten spielen?,

lieber zigga.

Ja, man darf sogar das Homer‘sche Wortspiel verwenden, wenn das alles Leben fressende Ungeheuer Polyphem („der Vielgerühmte“) den Odysseus nach seinem Namen fragt und als Antwort „Niemand“ erhält und nicht einmal belogen oder betrogen sich fühlen kann, soll das altgriechische Wort doch ein Wortspiel und zugleich die Verkleinerung/Verniedlichung des wahren Namens sein.

Und schon sind wir mitten drin in Deiner Geschichte der Namenlosen und der Herrschaft der Possessivpronomen (die gegenüber jedem Debütanten zunächst mal ein Donnerwetter ausgelöst hätte) in Verbindung der Figuren auf ihre familiären Rollen (Sohn [„ich“], Mutter, Tante, Onkel und Brüder [dem Onkel als Bruder eines Elternteils und vllt. verst. Bruder und Sohn – oder ist es der Vater, um den getrauert und gegrillt wird. Auf der „Raue“ oder allgemeiner, dem „Leichenschmaus“ herrscht direkt nach der Beerdigung an sich Frohsinn, wenn die Trauergemeinde in zumeist positiven und manchmal sogar schrägen Erinnerungen schwelgt … Mir wird nicht klar, wer da nun beschmaust wird, ein Bruder drängelt sich vor, warum sollte sonst das Alter des Erzählers genannt werden?, wobei der Tod eines jüngeren Bruders selbst einen Kühlschrank wie mich wie ein Blitz getroffen hat ...

Aber auch der nur durch seinen Sperrmüll symbolisierte Vater könnte da betrauert werden oder ist es nur eine Trennung der Eheleute, wobei ich gar nicht erst auf die Primzahl und das bedeutungsschwangere Alter, was für ältere „noch so jung“ klingt, bedeutet eigentlich die Vorstufe zum 6. Jahrzehnt und der mehr oder weniger winkenden Rente … Die Primel ist ja nicht nur das Erste, sondern salopp eher ihr Antipode, der/die/das Letzte, der Verlierer.

So viele offene Fragen …
oder vielleicht hab ich auch nur was übersehn? Über die Symbolik der „bernsteinfarbenen“ Augen muss ich noch nachdenken, galt doch Bernstein zu Zeiten der alten Bernsteinstraßevon der Ostsee bis an den Nil und darüber hinaus nicht nur als Schmuckstück, sondern vor allem als Schutz ...

Im Grunde zeigt sich die Distanziertheit und Entfremdung und für mich ereilte Befremdung im wohl witzig gemeintem Anschreiben der Tante am meisten

Oben im ersten Stock überziehe ich mein Bett mit frischen Laken. Auf dem Nachttisch liegt ein Stück Papier, auf dem steht: »Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«

Bissken Flusenlese

Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
„Als“ besser mit Majuskel, es leitet einen vollständigen Satz ein

Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlstücke hin und her.
Das „eigene“ Bier verstört mich ein wenig.
Gewiss hab ich auch schon mehr als einmal selbst die „eigen“ genutzte, noch volle Flasche weitergegeben …
Im Grunde ist es ein ausführlicheres „sein Bier“ und vertärkt die Flut an Besitzanzeigen ...

Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich meine Mutter und meine Tante durch den Türspalt in der Küche stehen.
Besser vielleicht ein bisschen Möbelrücken
„Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich durch den Türspalt meine Mutter und meine Tante in der Küche stehen.

Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, zum Sessel, und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals.
Warum die Kommas?

Sein Zimmer ist unangerührt.
Warum die Negation der Präpostion eines zusammengesetzten Verbs, wenn „unberührt“ zudem noch kürzer ist?

Wir setzen uns in die weißen Plastik-Stühle neben der Hecke.
Plastikstühle tun‘s auch.

Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen.
Wortspiel mit der Furcht vorm kommenden Morgen? So dämmerts mir ...

»Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist
Klar, so spricht man, aber „als ob“ ruft eigentlich nach dem Konj. irrealis „wäre“.

Gleichwohl gern gelesen und Glückwunsch zur verdienten Empfehlung!, vom

Friedel

Nachtrag - ich weiß ja nun nicht, was in anderen Landschaften im Grill verschoben wird, aber "Kohl" wird es eher weniger sein als "Kohle".

 

Hallo!

Nochmal Entschuldigung für die lange Wartezeit; ging bei meiner Zeitplanung leider nicht früher, und ich wollte mir unbedingt ordentlich Zeit für eure Kommentare nehmen.

@Novak

Vielen lieben Dank dir fürs Lesen & Kommentieren, du weißt, ich freue mich immer besonders, wenn ich deinen Namen als Kommentatorin lese, weil du mich praktisch hier eingeführt hast und immer noch am Ball bist.

sehr sehr eindringlich, wie du diese Mutter-Sohn-Beziehung schilderst. Es schnürt einem den Hals zu, weil einerseits ist das so liebevoll, andererseits so unendlich verzweifelt, so erstickend.
Cool!

Mal zurück zum Text: Ich hoffe nur, der junge Mann kann sich irgendwie und irgendwann doch aus dem Gefühl von schwerer Verantwortung, die ihm eigentlich keine Luft zum Leben und zur eignen Entwicklung lässt, befreien. Es ist die Melange aus Trauer um den Tod des Sohnes/Bruders und die Herzkrankheit der Mutter, ihre extreme Hilflosigkeit, die dieses Verhältnis zwischen beiden so furchtbar schwer, so unerträglich macht. Sie kann mit dem Verlust und der Verzweiflung nicht umgehen, die Trauer nicht verarbeiten und zieht ihn, den Sohn mit hinein in diesen Sumpf aus eigener Trauer, hohem Verantwortungsgefühl, Mutterliebe, hält ihn fest, macht ihn hilflos und klein. Und furchtbar auch, dass das Verhältnis bei aller Enge und Intensität und Abhängigkeit so hilflos und distanziert bleibt.
Ich bin erstaunt, wie genau hier viele den Text gelesen und auch genau so verstanden haben, wie ich ihn gemeint habe. Das hatte ich gar nicht so erwartet; also, was die Beziehung zwischen Sohn und Mutter angeht, die Abhängigkeit usw., ich kann das unterschreiben, so wie du es schilderst. Toll!

Ich gehe mal durch, muss aber dazu sagen, dass ich die anderen Komms nicht lesen konnte. Aber manchmal ist doppelt Gesagtes ja auch okay.
Das ist sogar sehr okay. Das würde mir zeigen, dass an besagter Sache etwas dran sein müsse.

Als ich den ersten Abschnitt las, war ich erst mal neugierig. Ich fand diesen Blick von außen so auffällig.
Ok

Er beschreibt sie so genau, als wollte er sie vorstellen.
Ja, AWM hat das interessant beschrieben, als "Derealisation", und so habe ich mir das auch (unbewusst?) vorgestellt beim Prot, dass er die Mutter so sieht in diesem Augenblick. Nichtsdestotrotz muss ich gestehen, dass aber auch etwas Autor darin steckt, denn ich wollte die Figuren beim Schreiben schon "vorstellen", sie dem Leser zeigen beim ersten Auftritt.

Und tatsächlich gewinnt man zunächst einmal den Eindruck, sie ist wirklich eine aktive, starke Frau, die mit allem umgehen kann. Später merkt man, dass das gar nicht stimmt. Und dann versteht man, der Sohn will sie so stark sehen.
Super! Wie gesagt, ich bin fast erstaunt, ich hätte nicht gedacht, dass der Text so vielschichtig verstanden wird, sind ja auch nur ein paar Seiten

Aber zurück, manchmal ist es so, dass gerade die Hilflosigkeit eines nach außen hin stark wirkenden Menschen den anderen in einer Beziehung so abhängig machen. Der andere stellt sich ja eigentlich gar nicht an, der ist nicht weinerlich oder jammerig, wenn dieser Mensch zusammenbricht, weil die Lebensverluste an ihm genagt haben, dann muss dieser Mensch tatsächlich so leiden, dass man da sein MUSS. Das ist wie so ein moralischer Imperativ.
Sehr interessant! Ja, da fließt meine eigene Beobachtung in den Text ein, ich schätze das so ein, wie du es sagst


»Ja, klar«, sagt sie. Mit dem Schlüssel in der Hand läuft sie zur Fahrertür. »Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.
Ja, es ist, als müsste er ihre Kraft und Stärke betonen. Gut gemacht.
Ich frage mich gerade bei der Überarbeitung auch, ob der Text ohne den Satz "Sie ist immer so stark" genauso oder besser funktioniert, oder ob dieser Satz eigentlich sehr wichtig ist, da man die eindeutige "Einschätzung" des Prots ggü. seiner Mutter mitbekommt, die ja später gebrochen wird

»Hi, Mutter«, sage ich. Auf dem Gehsteig umarmen wir uns. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Eine kräftige Frau; kräftig in ihren Umarmungen. Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.
Auch hier wieder. Ist komisch, wie er sich fast selbst vergewissert, wer er ist. Also nicht komisch im Sinne von schlecht, sondern sehr auffällig, sehr aufmerksam machend.
Hmm. Wie gesagt, da steckt wohl auch etwas viel Autor drin. Ich finde, es passt im Zuge einer Derealisation, aber da war auch ich beim Schreiben in dem Satz, der wollte, dass man weiß, wer der Prot ist, weil ich das angenehmer beim Lesen finde als eine Uneindeutigkeit

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
Obwohl mir das später nicht mehr so aufgefallen ist, hier erinnert mich das an deinen alten Text. Die vielen sich wiederholenden Satzanfänge. Weißt noch, wo ich so geschimpft hab. :)
Natürlich, ist doch erst 5 Wochen her :D Toll, dass es diesmal nicht auf die Füße tritt.

»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.
Goldig. Ich hätte aber den letzten Satz gestrichen. Kriegt was Leichteres dann. Und so empfinde ich das Verhältnis zur Tante, als gut und leichtfüßig, auch wenn der Zettel später ... der spricht schon auch das schlechte Gewissen an.
Super
Ich weiß gerade nicht, ob ich mich von dem Satz trennen kann, oder ob mir dann etwas fehlen würde. Aber danke für die Anmerkung, ich notiere sie mal

Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.
War doch nur ein Geschenkkorb.
Ah, das stimmt. Klingt es zu konstruiert, wenn ich sage, vielleicht lag noch ein Korb im Kofferraum? Ich mochte dieses Bild, dass die beiden Damen schwere Körbe in das Haus tragen, ich weiß auch nicht ganz, wieso. Es spricht auch das schlechte Gewissen des Prots an und tut ein wenig weh, wenn man später weiß, dass die Dame ja herzkrank ist. Aber mal sehen.

»Lass die Frauen mal reden«, sagt mein Onkel. Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlstücke hin und her.
Da ich mindestens zweimal gedacht habe, die machen da mal was ganz Neues und grillen Kohlwickel, bin ich doch jetzt schwer dafür, dass du Kohlestücke schreibst. Und wenns nur für mich ist.
Ist ausgebessert. Ich hab es zu "einen Schluck seines Bieres" gekürzt; vielleicht kürze ich noch mal drüber :D

Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen: Wie sie nah beieinander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Arg übertrieben und verwinkelt ausgedrückt. Ich finde, die Situation kommt auch zum Tragen, wenn du nur schreibst: und miteienander reden, Vielleicht sogar besser.
Ja, ah, ich verstehe es. Ich muss für die Stelle leider ein wenig zeitlichen Abstand bekommen, meiner Selbsterfahrung nach. Das ist so eine Stelle, die mir zu gut gefällt gerade, und dann gefällt sie noch einem ánderen Kommentator, und schon kann ich sie nicht mehr streichen. :D Vielleicht bin ich im Sommer klareren Kopfes.

»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.
Das meinte ich vorhin mit der Stärke einer leidenden Person, die einen dann noch mehr in den Sog zieht, sich zuständig fühlen zu müssen. Die klagt ja nicht offen über ihr Herz, sie reagiert scheinbar tapfer mit dem Spruch "Es pocht". So nach dem Motto, was soll es sonst machen. Dabei hat sie das Kühlpad auf der Brust. Erinnert einen an den Ausspruch vom gebrochenen Herzen. Vielleicht ja wirklich Folgen einer Stress-Kardiomyopathie?
Schön, dass du es so liest. Für mich war die Herzkrankheit auch ein Symbol für das gebrochene Herz. Es ist ja seltsam, wie symbolisch die Leiden der Menschen manchmal im wirklichen Leben tatsächlich zu ihrem "Wurzelleiden" in ihrere Seele sind

Sein Zimmer ist unangerührt. Der Teppich gesaugt, kein Staub auf Spiegel oder Oberflächen. Fernseher, Schreibtisch, ein paar seiner Marketing-Bücher. Sein Bett voll mit Kissen, Fotos und kleinen Dingen, die ihm meine Mutter und Tante von Ausflügen mitgebracht haben: Eine Postkarte aus Koh Samui, ein Schlüsselanhänger von einer Betriebsfeier. Mit Wachsstiften gemalte Bilder von Sonne und Stränden. Ich setze mich auf den Schreibtischstuhl.
Hier erfährt man das erste Mal Genaueres von dem verlorenen Menschen. Anfangs dachte ich, es sei der Mann der Mutter gewesen, den sie vermisst. Hier ist es der Sohn. Die Mutter hält das Zimmer sauber, lässt alles, wo es war. Kein Altar, kein Denkmal einer Erinnerung, aber auch schon auffällig.
Ja, vielleicht ist das noch so eine Sache, wo der Text nachholen könnte. Dass man über lange strecken nicht genau weiß, wer ist denn nun gestorben. Ehrlich gesagt dachte ich mir, es ist gar nicht so wichtig, wer das jetzt nun war über lange Strecken, sondern das Ausmaß und die Beziehung zwischen Sohn und Mutter ist das, worüber es gehen soll.

Der Rasen ist hoch gewachsen. Wir setzen uns in die weißen Plastik-Stühle neben der Hecke. Stapel von Pappkartons und Dinge wie das alte Aquarium meines Vaters und der kaputte Wäschetrockner stehen schulterhoch gestapelt auf der Terrasse.
Das kann man fast überlesen, ich finde es sehr geschickt, wie du das machst, dass fast anbei Details eines auseinandergefallenen Lebens auftauchen. Der Rasen wird nicht mehr gemäht, Zeugs, was vielleicht auf den Sparrmüll soll, ist hochgestapelt auf der Terrasse. Du beschreibst da eigentlich eine zunehmende Verwahrlosung der Mutter. Besonders gruselig finde ich das im Kontrast zu dem staubfreien Zimmer des Bruders.
Toll, danke

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
Ja, was haben sie schon gemacht. Zusammen eine Zigarette geraucht und gemeinsam an den Toten gedacht. Eigentlich was Gutes, das beide in der Trauer vereint. Aber gleichzeitig wird, keine Ahnung, ob du das extra gemacht hast, ich empfinde es jedenfalls so, noch eine Verantwortungsfessel ausgeworfen. Der überlebende Sohn ist es nicht nur der Mutter schuldig, bei der Mutter zu sein, sondern auch noch dem Andenken des toten Bruders.
Interessant, dass du das als noch mehr Verantwortung empfindest. Muss ich mal drüber nachdenken. Ich hatte das gar nicht bedacht, aber man kann es natürlich auch so lesen

Oh zigga, du drehst immer noch eine Schraube höher, gell?
Natürlich! :D

Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.
Scheiße. Meine Güte, diese Stelle. Normalerweise heben Mütter da immer die Stimme und widersprechen, wenn einer sagt, er sei ein langweiliger Mensch. Diese Mutter ist so weg von allem. Es wirkt wie ein Aufgeben, als wolle sie nicht weiter in ihn dringen. Aber gleichzeitig stimmt sie auch zu. Vielleicht ist das so, dass für manche Menschen die Toten spannender sind als die lebenden.
Danke!

Beeindruckender letzter Satz.

Wirklich sehr sehr guter Text, zigga.

Vielen Dank, Novak!


@jimmysalaryman

Servus Jimmy, danke auch dir fürs Lesen, Zeitnehmen, Kommentieren. Sehr interessant, was du schreibst, und bringt mich wieder einmal weiter.

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
»Ja«, sage ich. »Das hätte ihm auch gut gefallen. Solche Sachen hat er immer gerne gemocht.«
Der Bruder tritt hier aus der Leerstelle heraus. Ich fände es besser, wenn es hier nicht so Holzhammer-mässig kommt. Die Trauer, diese unsichtbare Schleier aus Schmerz und Hilflosigkeit, der wird auch so sehr deutlich. Vielleicht raucht er die gleiche Marke, und dann wird der Bruder nur in einem Nebensatz erwähnt, wie beiläufig, aber diese Beiläufigkeit, diese Sprachlosigkeit, die geht dann tief. So wirkt mir das zu sehr wie eine Konstruktion. Der Text hat das nicht nötig.
Sehr interessant. Das "Holzhammer-mässig" kann ich nachvollziehen und sehe es jetzt auch; es stimmt schon, wenn das feiner, leiser daher kommen würde, wäre es noch intensiver; ich bin da schon sehr dran, du hattest mir das unter Bullshit schon mal geschrieben, und ich denke häufiger beim Schreiben daran, dass ich das "Drama" irgendwo im Leisen suchen möchte, es entspricht auch meinem Geschmack, dass ich in die Richtung gehen möchte
Also danke für den Hinweis. Ich glaube aber leider, dass ich es bei diesem Text nicht mehr schaffen werde, das in die Richtung umzuschreiben. Ich glaube, das wäre ein anderer Text und ich hätte zu viel Schiss, ihn kaputt zu schreiben. Aber ich weiß, wie du das meinst.

»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
Ich habe mit dieser Szene am Bett meine Probleme. Die wirkt so, als müsstest du dich jetzt vergewissern, dass diese Geschichte auch die nötige Tiefe hat, dass es alle verstehen. Ich habe hier auch große Schwierigkeiten mit den Dialogen - ich denke immer, so redet keiner, und zu so einer Reaktion, Mutter geht ans Bett ihres erwachsenen Sohnes und spricht so, das glaube ich nicht. Ich finde, der Grundtenor ist so still, so ruhig, da wirkt diese Szene gegensätzlich, unsubtil, fast laut - hier bekomme ich das Gefühl, der Leser soll es jetzt richtig gezeigt bekommen. Wie gesagt, der Text hat das meiner Meinung nach nicht nötig. Ich fände es viel stärker, wenn du nach dem gemeinsamen Rauchen der Zigarette rausgehst, weil das wie eine Andacht wirkt, wie eine Art Ritus, der eine Erinnerung beschwört. Und da wirkt dann auch die Leerstelle intensiver, sie sind alle da, nur der Bruder eben nicht, dass muss nicht erwähnt werden, es oszilliert zwischen den Zeilen, es ist herauslesbar, im Text.
Guter Punkt. Ja, es stimmt schon, die Szene kommt auch aus einer Konstruktion daher, weil der Text jetzt noch mal das ganze Drama ohne Maske zeigen will. Ah, ich weiß grad nicht. Ich hab das Gefühl, das schreibe ich gefühlt unter jede Geschichte, aber ich stecke da noch zu tief mit dem Kopf drin, als dass ich gerade eine eindeutige Position einnehmen könnte. Nach dem Rauchen rausgehen ist auf jedenfall eine interessante Idee, die funktionieren könnte. Ja, die Bettszene ist wirklich irgendwo "laut" im Vergleich zum Rest. Ich muss mal sacken lassen und drüber nachdenken. Ich muss aber auch sagen, dass mir die Bettszene irgendwo gefällt, in ihrer Ungeschöntheit, dadurch, dass man die Mutter in ihrer ganzen Schwäche und Traurigkeit sieht. Für mich ist das so eine Art Maskenfallen bei Nacht, wo das, was sich aufgestaut und vllt. nur durch die Herzprobleme tagsüber zutage getreten ist, ungeschönt hervor bricht. Aber kann sein, dass genau das zu viel ist. Da hast du schon Recht. Ist jedenfalls gut, dass du den Text so in Frage stellst, das bringt mich immer weiter. Vielleicht baue ich ihn noch mal komplett um, und gestalte ihn leiser, unaufdringlicher, aber intensiver. Mal sehen.

Ich fahre ihr über den Rücken.
Haha, ich stelle mir vor, wie er ihr mit einem Defender über den Rücken fährt. Da müsste noch so was wie Fingerspitzen etc hin, sonst wirkt es anders, als du intendiert hast.
Oh Mann, ja, haha, stimmt
Wäre ein krasser Plottiwst

Ja, ich glaube, du könntest den Text noch leiser machen, noch zurückhaltender, wie gesagt, diese Szene am Bett, die finde ich fast unnötig, und die ist auch relativ nah am Kitsch, da würde ich aufpassen, das wird schnell gefühlsduselig und rührselig. Ich finde, dieser Text ist auf jeden Fall viel stärker als der letzte Challenge-Text. Hier ist mehr von dir drin.
Ja, so sehe ich es auch. Ich muss mal schauen, ob ich das hinbekomme. Ist jedenfalls ein guter Anstoß für Kommendes. Danke dir. Ich finde das nach wie vor interessant, dass man das so merkt, wie viel von jemandem in einem Text steckt.

Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
zigga schrieb:
Sie ist immer so stark.
Das liest sich wie so ein Anhängsel.
Du könntest das mit den Krankschreibungen in einem Dialog lösen, oder er findet einen gelben Schein auf dem Küchentisch. Hier wird mir zu offensichtlich der Effekt gesucht, das was du sagen willst, wird auch sowieso klar.
Ich bin da hart am Überlegen, danke für die Anmerkungen. Ich hab mal testweise die Sätze gestrichen und bin mir nicht sicher, ob ich das umsetzen kann bzw. ob es stärker wirkt. Aber es hat seinen Reiz für mich. Es ist wirklich so plakativ in den Raum gestellt, irgendwo auch pures Tell. Mein Problem ist, wenn ich letzteren Satz kicke, weiß ich nicht, ob der Leser das so eindeutig kapiert, dass der Prot seine Mutter als sehr starke Persönlichkeit sieht, und man als Leser nach und nach merkt, wie schwach und bedürftig die Mutter eigentlich ist. Also dieser Twist, ob der ohne den Satz noch funktionieren würde. Ich denke mal drüber nach, ist jedenfalls notiert.
Dann auch: Sie ist immer so stark. Also, entweder der Erzähler kennt seine eigene Mutter nicht, oder er muss sich immer wieder vergewissern und wird später eines Bessern belehrt, als sie am Bett sitzen und die Mutter sich ihm öffnet. Er belügt sich im Grunde selbst. Der Text ist dann die Beobachtung, wie diese Sichtweise zerfällt, sich auflöst. Dann muss ich die Stärke dieser Frau aber entweder sehen, der Text muss sie beweisen - oder jedoch die Unzuverlässigkeit des Erzählers in irgend einer Art und Weise angedeutet bekommen. Es wird also offensichtlich, dass seine Wahrnehmung nicht die richtige ist. Am Ende wird ihm das bestätigt.
Ja, das ist wohl ein Problem des Textes: Ist er ein unzuverlässiger Erzähler oder ist das eine fahrige Erzählperspektive? Da hast du Recht. Ich wollte in die Richtung unzuverlässiger Erzähler
Ich fände es, glaube ich, besser, das Ende, was diese grundsätzliche Aussage betrifft, offen zu lassen.
Das wäre interessant auszutesten, das offene Ende bezüglich der Aussage und oben genannte Aussagen "Sie ist immer so stark" zu kürzen. Ich teste das mal aus, ob ich das hinkriege.

Mir fehlt in dieser Konstellation auch der Vater. Zuerst habe ich das Gefühl gehabt, die Leerstelle ist der Vater. Mir scheint der eben dadurch, dass er nie richtig erwähnt wird, sogar überpräsent. Du stellst hier die Mutter total in den Fokus, klar, aber ganz kannst du auf den Vater nicht verzichten (oder ich habe da was überlesen), denn es wären ein Ehepaar, Eltern, die trauern, und insofern sie sich nicht getrennt haben, ist das ja auch eine gemeinsame Trauer.
Auch ein guter Punkt. Ich hatte ursprünglich was zum Vater drin, aber hab es dann gekickt, weil ich mir dachte, das führt irgendwie weg, ich möchte mich auf Sohn und Mutter konzentrieren. Das Letzte, was im Text ist, ist der gestapelte Schrott auf der Terrasse vom Vater. Aber ja, vllt. sollte ich ihn ein wenig erwähnen, zumindest andeuten. Dann denkt man auch nicht über Strecken, der Tote könnte der Vater sein.

Der Tod des Bruders kann ja auch der Grund der Trennung sein, aber dann würde ich das wenigstens in einem kurzen Nebensatz oder einem Dialog erfahren wollen. Die Mutter wirkt sonst arg alleine, und dann bekomme ich als Leser das Gefühl, ihr wird zuviel aufgeladen, das ist zuviel Leid, sie wird zu einem Opfer, zu einer Art Märtyrer. Es muss nicht viel sein, wie gesagt, aber ich empfinde es so, dass der Vater da irgendwie, irgendwo, irgendwann in den Hintergrund gehört
Ok! Ich probiere es mal. In meiner Konstellation ist die Mutter schon alleine, getrennt vom Vater, auf welche Art auch immer. Das ist viel Leid, das stimmt. Hmmm

So, das ist ein Nachtrag, weil ich nochmals über den Text nachgedacht habe und ihn dann nochmal gelesen habe.
Merci

»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
Da steckt für mich der narrative Kern drin, in dem Satz. Die Mutter hat bereits einen Sohn verloren, der ihr anscheinend sehr viel näher gewesen, ich meine das jetzt örtlich, sie hatte mehr Kontrolle, mehr Aufsicht, mehr Einfluss, und jetzt spürt sie dieses Entgleiten, eine diffuse Entfremdung, die ihr Angst macht, und die ihr aufzeigt, dass sie eben auf keinen Fall immer alles unter Kontrolle hat, hatte und auch nicht haben wird. Das ist natürlich sehr stark, ein starkes Motiv. Ich denke, es würde mehr Wirkung erzielen, wenn du diese Tatsache, dass sie nicht mehr weiß, wer ihr Sohn ist, da steckt ja sehr viel drin, die eigene Verunsicherung, das Entfremden, die soziale Isolation, die Überschneidung und Projektion mit dem verlorenen Sohn, dem Bruder, um den getrauert wird, wenn du die nicht so direkt löst. Wenn das subtiler ginge. Sie könnte zum Beispiel fragen, ob er immer noch die gleiche Arbeit hat, ob er immer noch mit der gleichen Frau zusammen ist, und der Bruder antwortet: Aber ja, das weißt du doch, das hast du mich schon letzte Woche gefragt. Oder: Das fragst du mich jede Woche!
Das ist auf jeden Fall ein guter Punkt. Es geht in die Richtung mehr Show. Das kann ich unterschreiben. Es ist schon sehr direkt gelöst, wie es jetzt dasteht.

Ich denke immer, solche Momente, wo der Mensch seine ganz Verwundbarkeit zeigt, seine ganze Hilflosigkeit, Handlungsunsfähigkeit ist vielleicht besser, dieser totale Stillstand, das kann man gar nicht so sehr in die richtigen Worte fassen, das sind doch auch sehr diffuse, unfassliche Emotionen, die meistens sogar über das Sagbare hinausgehen, für die man keine Worte findet. Ich selbst zum Beispiel begreife viele Dinge, die emotional überaus wuchtig und krass waren, teilweise erste Jahrzehnte später in ihrer Gänze, den Zusammenhang, die Handlungen. In diesem, dem aktuellen Moment war es einfach wie in einem reißenden Fluss, so vielleicht die beste Beschreibung; du stehst mittendrin und wirst mitgerissen. Man weiß nicht so richtig, was man tut, und warum man tut, was man tut. Natürlich bin ich jetzt nicht das Maß der Dinge, aber du weißt sicher, was ich sagen will: auf diesen Text bezogen würde eine eher tastende, vage, vermutende Erzählweise diese unsichere, tragische Position der Mutter meiner Meinung nach noch amplifizieren. Und auch der letzte Satz, wo er sagt, er weiß nicht, ob es stimmt - ich finde, du solltest den Leser mit genau dieser Empfindung entlassen, mit dieser Fragestellung: Erzählt er ihr wirklich alles? Das ist so eine Emotion, die ich beim Lesen von guten Stories sehr oft habe, ich will es mal Unbehagen nennen; der Autor schafft es, mich emotional mit den Geschehnissen zu verknüpfen, er zieht mich in die Tiefe der Fiktion, aber dann entlässt er mich mit diesem Gefühl des Unbehagens, wo ich mir nie sicher bin, wie es tatsächlich weitergeht, wo die Wirklichkeit wird, wie sie ist - unberechenbar.
Ja stimmt, ich kann absolut unterschreiben, was du sagst. Für mich - so zumindest mein Versuch, es steht ja nicht ausdrücklich im Text - ist diese Situation jetzt auch nicht direkt nach dem Todesfall, sondern vielleicht ein paar Jahre danach. Ich kenne das, das Gefühl, das Leben passiert einfach, und man will es gar nicht, aber man schwimmt da einfach mit, wie in einem Fluss, das ist ein gutes Bild. Komischerweise überstehen viele Leute sehr schlimme Momente relativ unbeschadet und funktionieren, manövrieren durch solche Situationen, meiner Erfahrung nach, und das Zerfallen und die schmerzende Leere, die einen verändert und irgendwie aushöhlt, kommt erst einige Zeit später, ganz leise und langsam, vielleicht wie eine tektonische Verschiebung, gegen die man wieder nichts tun kann.
Also für mich war das Gespräch mit der Mutter in so einer Phase der Trauer/des Danach, wo man bereits versucht, an-/einzuordnen und das Ganze in Worte zu fassen. Vielleicht kommt das auch falsch rüber, nicht so, wie ich es gemeint habe, aber ich kann mich gut in deiner Auffassung wiederfinden und wollte es eigentlich in die Richtung schreiben/anordnen

Jimmy, das waren viele sehr gute Punkte, danke wie immer für deine Zeit. Ich nehme einiges mit, auch für kommende Texte, ich bastle auf jeden Fall noch an dem Text herum und versuche, Dinge umzusetzen, ich hoffe, es kommt nicht undankbar rüber, wenn ich dir zustimme und das gleichzeitig für Kommendes mitnehmen werde, da ich mir nicht sicher bin, ob ich einige Punkte hier noch umsetzen kann, aber wie gesagt, muchas gracias.


Moin @Analog,

danke dir fürs Lesen + Kommentieren!

Ich steig direkt ein und verlier zwischendurch den einen oder anderen Gedanken.
Yes! :D

»Hi, Mutter«, sage ich. Auf dem Gehsteig umarmen wir uns. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Eine kräftige Frau; kräftig in ihren Umarmungen. Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.

Die Größe des Sohnes wird nicht thematisiert. Trotzdem habe ich da jetzt eine große und kräftige, sehr männlich wirkende Frau vor Augen.

Interessant ... ok

»Ja, klar«, sagt sie. Mit dem Schlüssel in der Hand läuft sie zur Fahrertür. »Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.

Hier geht das gerade so durch, das "sagt sie". Eine spätere Stelle werde ich dahingehend stark kritisieren.

ok

Meine Tante wohnt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang durch Wälder, im Bauernhaus meiner Großeltern und neben einer geschlossenen Metallwaren-Fabrik.

Metallwarenfabrik?

You are right

Schönes Bild, das mit der Landstraße, den Wäldern, das Ziel ein Bauernhaus. Habe sofort etliche solcher Routen vor Augen.
danke

Deutschland-Fahnen auf den Dächern der Nachbarhäuser.

Deutschlandfahnen?

auch geändert

Auch: Ist gerade WM oder ist das eines von diesen doofen Klischees? Landbevölkerung und so, Deutschlandfahnen und so.
Ist das ein Klischee? Ich weiß das gar nicht. Ist nur so, dass es zumindest hier in Franken auf den Dörfern genau so aussieht. Also, in den Städten findest du eigentlich an Privathäusern - abgesehen von Gartenlauben oder sowas - nie Deutschlandfahnen, 0.05% der Häuser haben vielleicht Frankenflaggen. Auf den Dörfern sieht das anders aus, auch wenn es vielleicht etwas klischeehaft ist

Wir stehen mit dem Geschenkkorb vor dem rostbraunen Hoftor und drücken die Klingel. Meine Tante öffnet das Tor, sieht mich, lacht und ruft: »Du bist dabei!«

Der Ausruf hat mich erst irritiert, dann aber gerührt. Das ist echte Freude, was die Tante da zeigt.

super

Und das Verhältnis der beiden
»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.

Sehe da keinen Zwang oder was Unangenehmes. Eine schöne Sache, das. Menschlich.

:)

Mein Onkel steht im hinteren Teil des Hofes, neben dem Hundezwinger, am Grill. Er trägt abgeschnittene Jeans und ein warnwestengelbes Tanktop. Das Tribal-Tattoo an seinem Hals ist verlaufen. Seine Augen sind eisblau und sein Haar blond und halblang.

Modell Preisboxer, okay. Finde ich gut.

:D

Er hebt lächelnd die Hand. Wir schlagen miteinander ein.

Haben die beiden sich da gerade High-Five gegeben. Nice :)

Yes!

Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.

Hätte erwartet, dass er jetzt irgendwas Rührseliges sagt, nicht:

»Lass die Frauen mal reden«

Aber passt, Modell wortkarger Krieger:

Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlstücke hin und her.

:D

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.

Ein Zeitsprung. Hat mir nicht so gut gefallen. Hätte gerne noch ein wenig (namensgebende) Grillfest-Atmosphäre aufgesogen. Mehr schrullige Charaktere kennen gelernt. Aber gut, es ist eine Mutter-Sohn-Geschichte, du bist der Boss.

Ich fand das irgendwie den Reiz an der Geschichte, dass es irgendwo schon um das Grillfest und seine Auswirkungen geht, aber der Text reißt das nur kurz an und eigentlich sieht man gar nichts von dem Grillsfest, nur eben die Auswirkungen

Meine Mutter sitzt einen langen Moment so da; in ihrem Sessel, die Füße hochgelegt, mit dem Kühlpad in der Hand auf ihrer Brust. Ihr graues, faltiges Gesicht. Die braunroten, getönten Haare. Ihre Bluse, ihre Stoffhose.

Die roten Haare sind jetzt braunrot, ihr kräftiger Körper schwächelt, ihr (in meinem Kopf rosiges, eher weniger faltiges) Gesicht grau und faltig.

Kurz: Eine alte, schwache und erschöpfte Frau.

Schön, dass du es so vor Augen hast

In der Küche schalte ich die Klimaanlage ein, dann den Ventilator. Die Hitze staut sich an solchen Sommertagen. Durch das gekippte Küchenfenster höre ich Grillen zirpen.

Es ist heiß? Kam für mich überraschend.

Stimmt, das wird vorher nicht thematisiert

Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, zum Sessel, und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Backe und sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

Das hat mich im ersten Moment irritiert. Hat nicht zum Bild des Protagonisten gepasst. Du beschreibst ihn bis dahin kaum. Also habe ich schon ein Bild von ihm im Kopf. Ein eher distanzierter Charakter. Die Aktion ist dann aber eher so "inniges Verhältnis". Da ich da auch noch nicht weiß, dass der Bruder verstorben ist, eckt das bei mir an.

Hmm ... ok. Ich denke mal drüber nach, ob ich an der Stelle etwas ändern kann, was es eingängiger macht

»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter, mit dem Kühlpad an ihrer Brust. Sie sitzt im Sessel, regungslos und mit geschlossenen Augen.
»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.

Das ist sehr, sehr schön.

Danke

»Ich war hier, wo waren Sie, mein Herr? Deine Tante«

Habe das, denke ich, so verstanden, wie der Autor es sich gedacht hat. Passt absolut zur Figurenzeichnung!

Danke!

Wir setzen uns in die weißen Plastik-Stühle neben der Hecke.

Plastikstühle?

geändert

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an. Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen. Grillen zirpen so laut, dass ich sie für ein Relikt meines Traumes halte; aber sie sind hier, sie sind echt.

Sehr stark.

danke

»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
»Ja«, sage ich.
Sie weint weiter und hält meine Hand.
»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab«(, sagt sie.)
»Aber ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«(, sage ich.) »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.

Hm, ein Experiment. Finde ich nur zum Teil gelungen. Habe mal die markiert, die ich definitv streichen würde und die, die ich nur nicht schön finde.

Danke für deine Einschätzung. Auch hier bin ich mir noch unsicher, ob ich das streichen sollte oder nicht. Ein anderer Kommentator hat geschrieben, für ihn hat das den Charakter, dass der Prot ihm die Geschichte selbst erzählen würde; so war das auch intendiert ein wenig. Ich weiß, es ist ein wenig experimentell und vllt. ungewöhnlich und vllt. streiche ich es noch mal, deswegen danke für die Einschätzung, das bringt mich immer weiter

Finde es auch komisch, dass sie seine Hand hält. Es sollte andersrum sein.
Das ist interessant. Ich dachte, sie hält seine Hand, weil sie eben die Schwache ist und ihn braucht in dem Moment

Ich würde kürzen und es so machen:

»Alle feiern«, sagt sie. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können. Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
»Ja«, sage ich und halte ihre Hand.
»Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit ihm auch dich verloren hab.«
»Ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier.«
»Ich weiß nicht«, sagt sie, »manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich bin ein langweiliger Mensch.«

Liest sich sehr gut! Gib mir etwas Zeit, darüber nachzudenken

Tragisch, wie er sich für sie um 180° dreht und es doch nicht reicht.
Ja sehr interessant, wie ihr das lest, also, ich hab es genau so gemeint, aber irgendwie nicht erwartet, dass man es genau so wahrnimmt bzw. so viele Kommentatoren es so nachempfinden können. Das freut mich

Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her.

Das er das nicht weiß, finde ich komisch. Den Satz an sich. Wirkt konstruiert, wie in Form gepresst, damit das mit dem Wellengang kommen kann. Was man dir aber lassen muss ...

Ha, guter Punkt. Ich denk mal drüber nach ...

Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.

... das ist verdammt gut geworden!

ok danke!

Sehr schöne kleine Geschichte. Auch wenn ich viel gemeckert habe: Du hast es schon echt drauf! Hatte amerikanisches Flair. Finde das grundsätzlich gut.
Danke, Analog! Freut mich sehr.


Hallo @petdays,

danke dir fürs Lesen und Kommentieren!

Eine feine Geschichte, hat mir gefallen. Besonders Stellen wie diese beiden:
danke!

»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.
>>> das hat mich berührt.
schön

Und dein Herz?« Ich blicke zu ihr.
»Ist mir egal«, sagt meine Mutter, schneidet ihr Steak und führt sich die Gabel in den Mund.
>>> Der Schmerz sitzt tiefer, als man denkt. Oberflächlich funktioniert die Mutter, schafft es, den Alltag zu bewältigen, zu putzen, auch wenn sie oft krank geschrieben ist. Wahrscheinlich haben die Herzprobleme etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun, dass das Leben für sie keinen richtigen Sinn mehr macht, seitdem er weg ist, dass sie vielleicht latent depressiv ist, vielleicht schon lange in ihrer Trauer verharrt, die etwas Statisches, Einfrierendes bekommt, etwas Bedrückendes, das den Sohn auf Abstand gehen lässt, auch wenn er sie einmal die Woche besucht und auf seine Weise doch sehr mag.
:) Vielen Dank und schön, dass du es so nachempfinden konntest

Ich weiß nicht, wieso, aber ich wiege sie hin und her. Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
>>> für mich die schönste Textstelle.
Merci!

Danke noch mal für deine netten Worte, petdays.


Wird fortgesetzt ...

 

Verzeiht die lange Wartezeit. Ich hab schon Albträume, weil ich mir ständig in den Arsch beiße und denke, ich muss endlich meine restlichen Kommentare beantworten! Ich war extrem busy, ich hoffe, es kommt nicht geringschätzend oder desinteressiert vor.

Hi @linktofink!

Vielen lieben Dank für dein Feedback und fürs Lesen! Hat mich sehr gefreut.

ich hab vor allem Textkram für dich, nachdem schon vieles gesagt wurde.
Das nehme ich gern!

Eins vorab: Ich finde deine Anmerkungen sehr gut und ich möchte mich bei dir dafür bedanken. Ich werde einiges übernehmen und einiges auf die lange Bank schieben, da ich leider etwas Zeit brauche, um Abstand zu gewinnen und eine klare "Sicht" auf die Dinge zu bekommen. Sei dir gewiss, dass ich deine Anmerkungen notiert habe.

Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten
Statt Klamotten könntest du auch Arbeitskleidung schreiben, wäre neutraler
Habe ich drüber nachgedacht. Ich lege das mal auf die lange Bank, ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich Klamotten nicht lieber mag :)

»Steig ein«, sagt sie. Sie ist immer so stark. »Wir fahren«, sagt sie.
Das Fette finde ich zu erklärend.
Guter Hinweis. Ich hab wirklich lang darüber nachgedacht in den letzten Tagen. Ich habs probeweise mal gekürzt, und finde, wenn man als Leser heraus liest, dass die Mutter stark ist, wirkt das wesentlich stärker. Ich hab aber ein wenig Schiss, dass das nicht ganz klar rauskommt ohne diesen (sehr eindeutigen) Satz, und dann auch der "Bruch" der Figur der Mutter zum Ende hin nicht mehr funktionieren könnte; das sind so Gedanken meinerseits

Deutschland-Fahnen auf den Dächern der Nachbarhäuser.
Sind das alles Flachdächer und stehen die Fahnen an Masten da drauf?
Ja Shit, du hast Recht :D Ein wenig schief, wird geändert

»Ja«, sage ich und lächle.
»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
zigga schrieb:
Das Tribal-Tattoo an seinem Hals ist verlaufen.
Ist das son Wasser-Tatoo oder ist das schlecht tätowiert oder schwitzt er so stark?
Na ja, wenn Tattoos älter sind bzw. die Haut altert, ich glaube das sind v.a. schlecht gestochene Tattoos, jedenfalls verlaufen die dann oft. Jedenfalls kenne ich Leute, bei denen das so gewesen ist, vllt. ist das heutige Stechhandwerk weiter, da kenne ich mich zu wenig aus

Ich sehe, wie sie an die Arbeitsfläche anlehnen
Müsste es nicht heißen: Ich sehe, wie sie sich an die Arbeitsfläche anlehnen? Arbeitsfläche trifft nicht ganz, Kante der Arbeitsplatte wäre genauer, wenn du willst.
Hmm ja stimmt, das "sich" hatte ich tatsächlich drin und wieder gekickt früher :D Guter Vorschlag.

Wie sie nah beieinander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
dieses die Arme verschränkt fällt aus dem stehen, nicken, sagen-Dreiklang. Bin ich drüber gestolpert und fände es eingebettet besser.
Wie sie nah beieinander stehen, die Arme verschränkt und nickend Worte zueinander sagen.
Da hast du Recht. Guter Punkt. Hört sich besser an

und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals
könntest die Possessivartikel durch einfache Artikel tauschen.
und lege Mutter vorsichtig von hinten Arme um den Hals fände ich nicht so gut; das erste werde ich streichen. Ich finde, äh, sonst hört sich das nach einem halben Tötungsversuch an irgendwie :D

anschließend steige ich die Treppe zum Dachstuhl hinauf
Was will er beim Dachstuhl? Da kannst du nur die Dachpfannen sehen. Du meinst vermutlich, Speicher, Dachboden, Dachgeschoss, Mansarde, such dir was aus.
Ja stimmt, der Dachstuhl ist diese Balkenkonstruktion :D Ich hab mir eingebildet, dass das Leute so sagen? Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Das ist ein offener Punkt, da hast du Recht

Sein Zimmer ist unangerührt
unverändert fände ich passender.
Über das Wort sind tatsächlich einige gestolpert, sehr interessant. Unverändert ja; aber ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, was ich sagen will. Hmm. Unangerührt ist halt auch so lala, weil es ja schon irgendwo angerührt wurde, wenn es regelmässig geputzt wird. Hmm. Mal drüber nachdenken.

Aus dem Fenster sehe ich den dunkelnden Himmel.
Da fehlt mir was: sieht man den dunkelnden Himmel oder sieht man in den dunkelnden Himmel?
Kann man das nicht sagen? Ich schlage mal nach

Durch die Verandatür steigen wir in den dunklen Garten.
Ist da eine Stufe in den Garten hoch? Sonst geht man doch eher durch die Tür? Später schreibst du Terrasse, also ist alles ebenerdig?
Ja, stimmt. Guter Blick, linktofink. Ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich das so geschrieben habe. Ich kenne tatsächlich bloß Verandatüren, wo man über so einen kleinen, puh, wie nennt man das, na ja, den Rahmen des Fensters, steigen muss; also es ist nicht ganz ebenerdig. Aber ja, könnte sich komisch lesen

Unsere Gesichter in Schatten
im?
Ich denke, "in" geht auch, Plural

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
Da würde ich den Halbsatz an den Redebegleitsatz dranhängen.
wird geändert

Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen
Ist grauen ein Verb? Vllt. ergrauen?
Ist ein Verb! Hatte extra nachgeschlagen :D

Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Guter Schlusssatz, der die Stimmung im Text, die Verlorenheit sehr gut einfängt.

Gerne gelesen.

Danke!

Peace, zigga (:D)


Hallo @HerrLehrer,

interessanter Nick! :D

Vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar.

ich lese los und sage, was mir einfällt:
Werde ich auch tun!

Vormittags parkt meine Mutter auf einem der freien Parkplätze vor dem Wohnhaus.
Ich frage mich, ob das Adjektiv 'frei' hier notwendig ist. Sie wird wohl kaum auf einem besetzten Parkplatz parken. Es sagt auch nichts über die evtl. schwierige Parksituation aus, denn sonst müsste das Adjektiv 'frei' durch 'einem der wenigen freien Parkplätze' ergänzt werden. Kann also m.E. weg, oder noch kanpper werden zu: Vormittags parkt meine Mutter vor dem Wohnhaus.
Guter Punkt! Ich werde mal drüber nachdenken. Ich muss sagen, gerade gefällt es mir noch; das beschreibt nämlich gleichzeitig, dass andere Parkplätze belegt sind. Das hätte man in der Variante ohne "frei" nicht, zumindest denke ich das gerade, dass es so ein wenig anschaulicher klingt. Aber ja, ist notiert, vielleicht kicke ich das noch, wenn ich einen ein wenig klareren Blick habe

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare.
Ich kenne: sich durch die Haare fahren, sich durch die Haare streichen, aber 'streifen'. Ein Regiolekt vll. ?
Da hab ich echt ein wenig rumgegooglet und bin auf Interessantes gestoßen. Es steht nämlich nicht im Duden, aber ich schwöre darauf, dass ich das schon Dutzende Male so gehört hab und, zumindest in Franken, das durchaus geläuft ist. Also, es steht nicht im Duden, aber es kommt durchaus in einer Reihe an Publikationen vor, von Sachbuch bis zu Romanen, auch aus angesehenen Verlagen. Also muss das ja durch die Hände eines Lektors gegangen sein. Hmm. Ich hatte es kurzzeitig geändert im Text auf streichen, aber es gefällt mir überhaupt nicht, muss ich sagen, und ich werde es erst mal so stehen lassen, aber vielen Dank für den Hinweis, sehr interessant

Meine Tante wohnt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang durch Wälder, im Bauernhaus meiner Großeltern und neben einer geschlossenen Metallwaren-Fabrik.
Irgendwie finde ich das ungelenk. Alternative: Meine Tante wohnt im Bauernhaus meiner Großeltern, neben einer geschlossenen Metallwarenfabrik. Man fährt eine Dreiviertelstunde die Landstraße entlang, durch etliche Wälder.
Ja, ich verstehe das. Das war auch ein Satz, den ich schwierig fand, aber ihn hat tatsächlich niemand anderes angemerkt hier in den Kommentaren, was mich freut, denn ich wüsste auch nicht, wie ich ihn umformuliere. Ich finde deine Version nicht schlecht, aber das "etliche", nee, das klingt zu sehr nach Betriebsanleitung. Auch das "Man fährt" fände ich - keine Retourkutsche! - wiederum irgendwo ungelenk, solche Forumulieren versucht man ja zu vermeiden. Aber ja, ist angekommen, dass dir der Satz negativ aufgefallen ist

Meine Mutter und meine Tante gehen schwer mit den Geschenkkörben beladen die Treppenstufen hinauf zur Haustür.
Gefühlt fehlt hier ein Komma!
wird geändert!

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.
Der Wechsel kommt hier sehr abrupt. Eben noch bei Tante und Onkel, jetzt schon wieder zurück. Die Fahrt mit dem Auto wird hinterhergeschoben.
Das ist ein guter Punkt, hier werde ich noch mal drüber gehen. Das kommt echt zu abrupt.

Danach habe ich nicht mehr so sehr auf das Sprachliche geachtet.
Das freut mich

Mein Fazit: Die Dialoge finde ich etwas hölzern, irgendwie konstruiert, vor allem die doppeldeutige Frage nach dem Herzen. Nichtsdestotrotz hat mich der Text berührt und die knappe, lakonische Sprache, die ich zunächst als Manko empfand, passt im Nachgang doch sehr gut. Der Text ist mehr als nur melancholisch, er ist ziemlich bedrückend, ohne larmoyant zu sein. Ich hatte beim Lesen für einen kurzen Moment einen Kloß im Hals, und das ist gut, weil es zeigt, dass dein Text mich erreicht hat. Als Vater zweier Kinder erinnert er mich an meine Verlustängste, damit meine ich nicht nur den Verlust durch Tod, sondern ebenso den Verlust durch Entfremdung, das Altern, etc. Urängste weden da angesprochen. Trauriger, aber guter Text.
Danke dir für das Fazit. Das mit den hölzernen Dialogen haben noch ein, zwei andere geschrieben, und ich möchte eure Kritik nicht geringschätzen oder meine Meinung überhöhen, aber ich muss sagen, ich hab damit hier im Text kein Problem. Ich weiß, das klingt etwas drüber, aber für mich klingt das authentisch. Aber wenn das für euch nicht so klingt, ist das natürlich wiederum (m)ein Problem, denn der Text ist ja für euch Leser und nicht für mich. Also, Kritik ist angekommen, aber ich tue mir schwer, da was zu verändern an den Punkten in den Dialogen, die hier und da angemerkt wurden. Ich lasse es mal in mir gären.
Freut mich, dass dich der Text berühren konnte und du ihn positiv bewertest. Das mit den Verlustängsten kann ich gut nachvollziehen. Ich denke, sie sind etwas Urmenschliches.


Hallo @Carlo Zwei!

Merci fürs Lesen und Kommentieren! Ich freue mich.

mir gefällt die Geschichte auch sehr gut.
Das freut mich

An der Stelle: Glückwunsch zur Empfehlung!
Danke!

Das hat etwas sehr Intimes, es ist nicht so furchtbar aufgeregt und in einer sehr angenehm lesbaren, schlichten, aber geschliffenen Sprache formuliert.
Super, danke! Schön, dass du das als etwas Intimes ansiehst. Ich hatte irgendwo auch das Gefühl. Ich glaube, dass - es ist ja ein Ich-Erzähler - es womöglich daher kommt, da zärtliche Szenen zwischen (erwachsenem) Sohn und Mutter nicht nur beschrieben werden, sondern ja eigentlich vom Sohn direkt erzählt werden. Das ist schon intim, irgendwie. Ich hab es selbst beim Schreiben gemerkt, ich meine, es ist Fiktion, aber es hat mich schon mehr gekostet als eine Sex- oder Gewaltszene. Aber vielleicht liegt das auch an mir persönlich.

Der Erzähler hinterlässt einen authentischen Eindruck. Ich bekomme beim Lesen das Gefühl, das wie aus erster Hand zu erfahren.
Danke. Vielleicht wieder, weil es so eine Erzählperspektive ist, die Ich-erzählend ist, aber irgendwie auch, v.a. mit den "sagte sie" usw., als ob dir der Erzähler das alles nacherzählen würde. Ein Gedanke von mir.

Den Titel finde ich im übrigen nicht schlecht gewählt. Das Grillfest ist irgendwie nicht sehr präsent in der Geschichte. Eher diese Wohnung und die beiden. Durch den Titel wird das Grillfest aber nochmal als Anker festgelegt. Das was im Text nicht übers Grillfest geschrieben wird, fängt diese Setzung in Form des Titels auf. Ein ziemlicher Balance-Akt, finde ich. Aber es funktioniert.
Danke! So war es geplant, freut mich, dass du es auch so empfindest

Dasselbe könnte ich über viele Stellen in deiner Story sagen. Das macht für mich vielleicht auch gerade den Reiz aus. Das viele lose Stellen einfach über dein geschicktes Erzählen zusammengefädelt werden und eben funktionieren.
Ok! Es sind wirklich, wenn man möchte, nur Schlaglichter, aber genau das hat mir daran gefallen

die von Zug zu Zug knisternd aufflammt
Genau genommen 'flammt' die Zigarettenglut ja nicht auf. Sie glüht auf bzw. glimmt, oder?
ausgebessert

»Das war gut«, sagt meine Mutter. Sie drückt den Filter in den Aschenbecher.
»Ja«, sage ich.
Hier hast du einen Schnitt gesetzt. Sie fangen an mit dem Rauchen und dann "das war gut" etc. Schreib doch einfach "Das tut gut" und erzähl das weiter in der Situation. Warum der Schnitt?
Ich fand das irgendwie gut :D Aber ja, könnte was dran sein

Solche Sachen hat er immer gerne gemocht
"hat er immer gerne gemacht"? oder "hat er immer gemocht"?
Ich dachte: gemocht

, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
Die "Redebegleitsätze" (musste gerade nochmal nachschlagen :D) gefallen mir bei dir richtig gut. Würdest du darauf verzichten, wäre da für mich viel weniger der Erzähler drin. So habe ich mehr das Gefühl, dass mir das einer erzählt, der markiert, wer gerade spricht – eigentlich müsste er das gar nicht, ich kann es mir durchs Lesen ja eigentlich selbst rekonstruieren. Aber der Erzähler bringt halt trotzdem ständig ein "sie sagt" "sagt sie" "sage ich" als würde ich mir seinen Bericht anhören und wäre darauf angewiesen alles beim ersten Mal zu verstehen. Formal ist das sicher überflüssig, aber rhetorisch funktioniert es wunderbar. Ein tolles Beispiel dafür, wie Rhetorik sinnvoll und nicht bloß als Effekt, Masche, schmückendes Beiwerk (wie man es auch nennen will) eingesetzt wird.
Jepp! Hab ich das nicht gerade dir geschrieben? Wahrscheinlich hatte ich es noch von deinem Komm im Kopf :D

»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.
Die Stelle ist wirklich schön.
Danke

Wie schwerer Wellengang. Wie meine Mutter, die in der Dunkelheit im Ozean schwimmt. Wie ich, an den sie sich klammert, damit sie nicht ertrinkt.
Das war mir etwas zu viel. Auch das "Wie meine Mutter" macht für mich in dem Zusammenhang ausdruckstechnisch nicht so viel Sinn. Ich versteh zwar was du meinst, aber ja ...
Ja, es ist vielleicht die grenzwertigste Stelle, das stimmt. Ich weiß, dass es auch Leser gibt, die das brauchen, ansonsten wirkt es ihnen zu emotionslos ... hmm ... danke für deine Einschätzung jedenfalls, ich denke drüber nach!

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Hm. Ich bin etwas unschlüssig, was das Ende angeht. Der Redeanteil deines Erzählers ist ja einfach nochmal exakt das, was er schon mal gesagt hat. Das wirkt auf mich so, als hätte sich einfach kein passender Schluss finden lassen und als Rahmung wäre dann diese Wiederholung eingesetzt worden. Ich finde, das geht schon so. Aber irgendwie fühlt es sich gerade noch nicht so optimal an. Vielleicht reicht es ja schon, das ein wenig abzuwandeln und einen entsprechenden, sinngemäßen Abschluss zu finden. Vielleicht stört es auch niemanden außer mich. Es ist bei der Story ohnehin sicher keine Kleinigkeit den Schluss zu ändern und natürlich entstehen neue Unsicherheiten. Aber ich würde es mal ausprobieren. Es geht um "»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter." Das ist so eine Steigerung, die für mein Empfinden etwas abrupt kommt. Dass sie so eine Entfremdung spürt, da gehe ich total mit. Aber diese Aussage plötzlich ist sehr absolut.
Dann das "»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich." Da stört mich eigentlich nur, dass das eben exakt dieselben Worte sind, wie im anderen Absatz, und dadurch so ein überdeutlicher Hinweis entsteht, dass das jetzt nochmal wichtig ist. Aber das hätte, denke ich, auch in anderen Worten den Hinweis-Charakter gehabt. Allerdings hätte sich da gezeigt, ob es auch die Dringlichkeit gehabt hätte, die so ein Fingerzeig, finde ich, ein Stück weit künstlich erzeugt. Ich bin mir eigentlich sicher, dass es die Dringlichkeit auch ohne hat.
Habe gerade nochmal drübergelesen. Ich finde das Ende vom ganzen Aufbau her schon sehr stimmig. Erst die Autoscheinwerfer, das Motorengeräusch. Das erzeugt so ein Gefühl von Aufbruch. Dann "Ich kenne dich nicht" also eine Art Trennung oder Abgrenzung. Wenn du an der Stelle schon rausgegangen wärst, hätte das irgendwie zu viel Pathos gehabt. Deswegen ist es schon richtig, das noch so ein bisschen auströpfeln zu lassen. Vielleicht ja doch noch in etwas abgeänderter Form :Pfeif:
Ok! Du findest die markierten Stellen redundant. Hmm. Ja, kann man drüber nachdenken. Für mich persönlich geht die Steigerung der Mutter, du sagst ja, da überschreitet sie irgendwas, allein vom Gedankengang her. Ich bin mir im Klaren, dass das meine persönliche Ansicht ist und ich mich da auf Glatteis begebe, aber für mich zeigt das noch mal mehr den desolaten Zustand, der sich eigentlich in der Frau befindet. Nach außen wirkt sie zu Anfang sehr stark und kompakt, aber je länger der Text voran schreitet, desto mehr zerfällt sie ja irgendwo. Für mich ist dieses überschreiten zu "ich weiß nicht, wer du bist" irgendwo auch der Übergang in eine Art von Psychose, der in ihr existiert oder gärt und der sich an dieser Stelle offenbart. Davor, das versteht man noch als Leser, okay, sie weiß nicht, was er tut, aber dass sie meint, sie kenne ihn nicht mehr, da versteht man irgendwo auch eindeutig, dass das nicht der Realität entspricht, dass da etwas falsch läuft in der Psyche der Frau. Meine Deutung.

Sehr schöner Text und sehr gerne gelesen!
Danke!


Liebe @Chai,

dir auch herzlichen Dank fürs Lesen plus Kommentieren. Ich freue mich.

hab ein wenig gebraucht, um in die Geschichte reinzukommen.
Ok! Danke für die Anmerkung.

Sätze wie:
zigga schrieb:
Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn
oder:
zigga schrieb:
Ihre Augen sind bernsteinfarben.
habe ich erst als deplatziert ( die Farbe der Augen) bzw. wie eine Berichterstattung (Sohn, Alter) empfunden.
Nachdem ich aber den Text ganz gelesen hatte, machen sie absolut Sinn für mich, auch das hier:
zigga schrieb:
Worte zueinander sagen.
Das ist immer so eine Gefahr beim Schreiben, wenn man/ich zu tief in der Story drin ist und sie oft gelesen hat, konstruiert man irgendwo den Anfang auch so. Deswegen wichtige Anmerkung, danke.

Für mich zeigt das deutlich, dass dein Prota kein Ich-Gefühl hat und weder den Schmerz noch irgendetwas anderes mehr an sich heranlässt. Die Welt um ihn herum scheint nur an ihm vorbeizuziehen, nichts hat wirklich Gewicht oder Bedeutung, er funktioniert einfach nur. Das finde ich gerade durch solche Formulierungen sehr gut dargestellt.
Ok!

Du zeigst, was der Verlust eines Familienmitglieds (ich schätze, es ist der Bruder) bei deinem Prota und seiner Mutter auslöst.
Die Mutter wirkt anfangs sehr tapfer, wird als stark bezeichnet, aber langsam kristallisiert sich das Abhängigkeitsverhältnis der beiden heraus. Sie ist durch diesen Schicksalsschlag hilflos, einsam und herzkrank geworden, lässt ihr gebrochenes Herz also zu und will, dass der verbliebene Sohn auch den anderen mit ersetzt. Was er nicht kann, nicht mal dann, wenn er 24/7 bei ihr wäre.
Im Grunde empfinden beide die gleiche Leere, nur wirkt sie sich eben anders aus. Traurige Geschichte, aber so gut gemacht, dass ich trotzdem "gerne gelesen" sagen kann.
Ok, danke!

Ich werde noch mal sehen, ob ich den Eingang etwas geschmeidiger hinbekomme. Ansonsten nochmals merci!


Lieber @Friedrichard,

auch dir herzlichen Dank fürs Lesen und Kommentieren und entschuldige meine späte Reaktion!

Ja, man darf sogar das Homer‘sche Wortspiel verwenden, wenn das alles Leben fressende Ungeheuer Polyphem („der Vielgerühmte“) den Odysseus nach seinem Namen fragt und als Antwort „Niemand“ erhält und nicht einmal belogen oder betrogen sich fühlen kann, soll das altgriechische Wort doch ein Wortspiel und zugleich die Verkleinerung/Verniedlichung des wahren Namens sein.
da bin ich beruhigt!

Und schon sind wir mitten drin in Deiner Geschichte der Namenlosen und der Herrschaft der Possessivpronomen
:D

(die gegenüber jedem Debütanten zunächst mal ein Donnerwetter ausgelöst hätte)
:D Ist es wirklich so schlimm? Ist ist ja so, ich komme mir fast dumm vor, ich lese jeden neuen Text und versuche echt drauf zu achten, die Poss. klein zu halten, aber wenn sie mir dann hier aufgezählt werden, falle ich aus allen Wolken, mir fallen sie irgendwie kaum auf, geschweige denn dass sie mich stören würden, irgendwo ...

Aber auch der nur durch seinen Sperrmüll symbolisierte Vater könnte da betrauert werden oder ist es nur eine Trennung der Eheleute, wobei ich gar nicht erst auf die Primzahl und das bedeutungsschwangere Alter, was für ältere „noch so jung“ klingt, bedeutet eigentlich die Vorstufe zum 6. Jahrzehnt und der mehr oder weniger winkenden Rente … Die Primel ist ja nicht nur das Erste, sondern salopp eher ihr Antipode, der/die/das Letzte, der Verlierer.

So viele offene Fragen …
oder vielleicht hab ich auch nur was übersehn? Über die Symbolik der „bernsteinfarbenen“ Augen muss ich noch nachdenken, galt doch Bernstein zu Zeiten der alten Bernsteinstraßevon der Ostsee bis an den Nil und darüber hinaus nicht nur als Schmuckstück, sondern vor allem als Schutz ...

Ja, es ist vieles nicht auserzählt, das stimmt. Mich interessierten die Reaktionen, ob das zu wenig ist, oder ob das für eine Kurzgeschichte noch geht und verständlich ist. Ich fragte mich auch, ob das wichtig ist, wer hier betrauert wird? Für mich stand irgendwann das Danach eher im Rampenlicht, die Beziehung, die sich zwischen den Verbliebenen verändert, als die Person, die auf die andere Seite ging

Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
„Als“ besser mit Majuskel, es leitet einen vollständigen Satz ein
ausgebessert

Er trinkt einen Schluck seines eigenen Bieres, zieht an seiner Zigarette, blickt in die Grillwanne und schiebt mit der Zange halbweiße Kohlstücke hin und her.
Das „eigene“ Bier verstört mich ein wenig.
Gewiss hab ich auch schon mehr als einmal selbst die „eigen“ genutzte, noch volle Flasche weitergegeben …
Im Grunde ist es ein ausführlicheres „sein Bier“ und vertärkt die Flut an Besitzanzeigen ...
Ah, übernommen ...

Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich meine Mutter und meine Tante durch den Türspalt in der Küche stehen.
Besser vielleicht ein bisschen Möbelrücken
„Als ich auf die Toilette gehe, sehe ich durch den Türspalt meine Mutter und meine Tante in der Küche stehen.
klingt wesentlich besser! Übernommen

Ich gehe wieder ins Wohnzimmer, zum Sessel, und lege meiner Mutter vorsichtig von hinten meine Arme um den Hals.
Warum die Kommas?
Ist das nicht ein Einschub? :D In meinem Sprachgefühl klänge der Satz ohne Kommas wesentlich zu lang, hmmm

Sein Zimmer ist unangerührt.
Warum die Negation der Präpostion eines zusammengesetzten Verbs, wenn „unberührt“ zudem noch kürzer ist?
Das ist ein Wort, über das ich bis heute nachdenke. Du hast Recht, wie auch andere Kommentatoren, die das zur Frage gestellt haben. Unberührt finde ich im Prinzip gut, ich denke mal drüber nach

Wir setzen uns in die weißen Plastik-Stühle neben der Hecke.
Plastikstühle tun‘s auch.
That's right

Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen.
Wortspiel mit der Furcht vorm kommenden Morgen? So dämmerts mir ...
Kann man das nicht sagen, der Himmel graut? Ich hatte das extra gegooglet und meinte es, verifizieren zu können. Dämmern, natürlich, das geht auch ...

»Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist
Klar, so spricht man, aber „als ob“ ruft eigentlich nach dem Konj. irrealis „wäre“.
Ja, da hast du Recht. Vielen Dank für die Anmerkung. Allerdings werde ich es mal so stehen lassen, da mir die jetzige Form realistischer bei einer Figur wie der Dame vorkommt; also, auf keinsten böse gemeint, aber ich könnte mir nicht vorstellen, dass eine Verkäuferin von Decathlon in so einem Gespräch den Konjunktiv irrealis benutzen würde. Es stimmt, wir bewegen uns hier im Bereich der Literatur, und das ist immer ein Abwägen bei wörtlicher Rede, was ist zu viel den Leuten nach dem Mund geschrieben, was ist zu viel Literarizität.

Gleichwohl gern gelesen und Glückwunsch zur verdienten Empfehlung!, vom
Danke, Friedel!

Nachtrag - ich weiß ja nun nicht, was in anderen Landschaften im Grill verschoben wird, aber "Kohl" wird es eher weniger sein als "Kohle".
Das habe ich verbessert, danke!

Ich hoffe, ich hab keinen vergessen?

Danke euch für das reichliche Feedback! Freue mich auf eure Storys.

Beste,
zigga

 

Hey zigga,

ja, schön! Habe ich sehr gern gelesen. Haben ja schon viele vieles gesagt, ich lass Dir von daher einen Leseeindruck da. Ist ja auch immer wieder schön zu lesen, was den Leuten so unterwegs durch den Kopf geht.

Vormittags parkt meine Mutter auf einem der freien Parkplätze vor dem Wohnhaus.
Und abends würde sie da nicht parken? Der Satz (und dazu der erste!) sagt so gar nichts aus.

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
Ich hatte schon ein bisschen Angst, der Text knüpft stilistisch an deine Challengestory an, aber gut, dass es auch schnell wieder vorbei war. So in kleinen Mengen ist das gut verdaulich. Und der letzte Halbsatz, der sagt schon viel und nicht ganz vorn, sondern so hinten dran. Das eben auch und nicht nicht nur. Gut gemacht.

»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.
Nice!

Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: Als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
Macht was mit der Spannung im Text. Ist hübsch, wie Du hier und da so Dinge fallen lässt, die in ihrer Summe Spannung aufbauen.

Wie sie nah beieiander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Ich schenke Dir ein »n«.

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.
Fies! Und ich dachte, bei Tante und Onkel geht jetzt was los, auch wegen des Titels. Hast mich schön reingelegt ;).

Ihr graues, faltiges Gesicht. Die braunroten, getönten Haare. Ihre Bluse, ihre Stoffhose.
Du arbeitest in dem Text echt viel über Äußerlichkeiten. Das ist auffallend. Ich werde mal drauf achten, wie es sich damit im weiteren Verlauf verhält.

»Alles in Ordnung, Mama?«, rufe ich von der Küche aus ins Wohnzimmer.
»Alles in Ordnung«, ruft sie zurück.
Und dieses Gesundheitsdings zieht sich auch taff durch.

»Wie geht’s dem Herz?«, frage ich leise.
»Es pocht«, flüstert sie.
Auch sehr fein.

Sein Zimmer ist unangerührt. ... Mit Wachsstiften gemalte Bilder von Sonne und Stränden. Ich setze mich auf den Schreibtischstuhl.
Oh ...

»Ich will eine«, sagt sie, ohne mich anzusehen, und beißt in das Stück Steak auf ihrer Gabel.
»Und dein Herz?« Ich blicke zu ihr.
»Ist mir egal«, sagt meine Mutter, schneidet ihr Steak und führt sich die Gabel in den Mund.
Kann ich so gut verstehen.

»Das hätte ihm auch gut gefallen«, sagt sie. »Dass wir das hier gemacht haben.«
»Ja«, sage ich. »Das hätte ihm auch gut gefallen. Solche Sachen hat er immer gerne gemocht.«
Auch hübsch.

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an. Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen. Grillen zirpen so laut, dass ich sie für ein Relikt meines Traumes halte; aber sie sind hier, sie sind echt.
Okay, der Autorenblick wendet sich jetzt eher der Natur zu, auch schon vorher, wo die beiden im Garten gesessen haben. Ich stelle das nur fest, ganz ohne Wertung oder Hintergedanken.

»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
Ja. Ich verstehe sie total. Und ich sehe auch, wie es sich für sie anfühlt. Doch, der Satz trifft mich.

»Aber ich rufe dich doch jede Woche an«, sage ich. »Ich bin doch fast jedes Wochenende hier«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. »Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was du machst. Dass ich gar nicht mehr weiß, wer du bist.«
Aber dazwischen ist es viel zu ruhig. Und die Angst, etwas ist mit dem Herzen und keiner wählt den Notruf. Auch wenn er noch öfter bei ihr wäre, es wäre wohl immer noch zu wenig. Irgendwie erinnert mich die Geschichte an meine Oma.

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.
Toller Dialog übrigens. Sehr gute Szene für mich.

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Oh je. Es ist fast nicht auszuhalten, wie die beiden sich da vor dem Ertrinken retten wollen. Der Sohn ist einer für drei (er selbst, Bruder und Ehemann) und er ist natürlich auch er selbst, mit den gleichen Verlusten, der aber für die Mutter stark sein muss. Das schwingt da alles mit für mich, die Überforderung, die an beiden zerrt und sie auslaugt, kaputt macht. Und irgendwie ist die Situation auch so auswegslos. Also emotional hat mich der Text total.
Und was Personen- vs. Naturbeschreibung betrifft, ich glaub, das ist einfach passiert :D.

Beste Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, es ist vieles nicht auserzählt, das stimmt. Mich interessierten die Reaktionen, ob das zu wenig ist, oder ob das für eine Kurzgeschichte noch geht und verständlich ist. Ich fragte mich auch, ob das wichtig ist, wer hier betrauert wird? Für mich stand irgendwann das Danach eher im Rampenlicht, die Beziehung, die sich zwischen den Verbliebenen verändert, als die Person, die auf die andere Seite ging
@zigga

„Wie geht‘s?“
„Geht so.“ Alternativ:
„Bis gerade ging‘s noch.“
Volksmund, draußen und
drinnen, morgens
am Frühstückstisch und
abends beim Brot​

»Lass die Frauen mal reden«, sagt mein Onkel.
[...]
»Bier?«, fragt mein Onkel. ...
»Eins kann ich trinken«, sage ich.

Ich noch mal, wenn ich darf,

lieber zigga,

denn nicht nur das Gefängnis auf den je bescheidenen und begrenzten Brettern, die einem die Welt bedeuten, und seines je realen Rollenspiels (Familien/Verwandtschaftsrollen Mutter, Tante usw.), sondern vor allem die karge, gewollt verknappte Sprache nicht nur des Autors ist offenbar(t) („offensichtlich“ gälte hier ja nur für das Schriftbild). Zweifel gibt's immer (oder man ist so selbstbewusst, dass man sich besser um eine Papststelle bewerben sollte) und selbst wenn jemand was missverstanden haben sollte - Todesfall hin oder her von wem auch immer - so deutet er doch. Wären wir eindeutig, schrieben wir Gebrauchsanweisungen und Haushaltstipps.

Gehn wir mal davon aus, dass der Sprachschatz ein ungehobener, zumeist nichtgenutzter Schatz ist, der irgendwo im Bewusstsein ganz unten vergraben liegt und von dem nur ein Minimum verwendet, sprich, entäußert wird - sei‘s für den Autor in Schriftform (was relativ lange währt, schon allein, um Fehler zu vermeiden und einen wem auch immer gefälligen, wenn auch stummen Ton hinzukriegen) oder dem Sprecher (mit der flüchtigen, entäußerten Sprache). Immer geht‘s um Kommunikation und in ihrer ursprünglichsten Form steckt die in allem drin, was vom Paar bis hinauf zum größten Volk für Gesellschaft eben von mir und dem andern bis zu allen andern gilt, (da ich kein Latein kann und frz. „miserable“,) engl. "(to) commune", das als Verb das offensichtliche meint, aber auch „vertraut verkehren“ bis hin zum „(heiligen) Abendmal nehmen“ (das ja trotz seiner Bezeichnung an keine Tageszeit gebunden ist) bis hin zur Gemeinschaft und was immer wir unter einer „Kommune“ verstehn.

Die gesprochene Sprache wird hier knapp gehalten und der längste Satz des Personals stammt, wenn ich mich nicht verzählt hab, von der Tante und ist niedergeschrieben. Der zwotlängste stammt allerdings von der Mutter und bringt das Problem der Selbst-Entfremdung auf den Punkt, wenn es heißt

»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter,

Sprache ist halt praktisches Bewusstsein, durch das ich für den andern existier. Und umgekehrt.

Denken und sprechen sind vom Gegenstand abgezogene, nahezu gleiche Kategorien. Dem theoretischen Werkzeugkasten steht der praktische gegenüber für das natürliche Werkzeug, die Hand. Fehlt, was man braucht, flucht man (je nach Temperament), um dann Ersatz zu schaffen. Fürs Mundwerk scheint das nicht so einfach zu werden. Aber ist doch nach dem Trennungsschmerz machbar. Man muss sich nur trauen und das natürlichste Werkzeug nutzen. Das Leben wieder selbst in die Hand nehmen oder sich an die Hand nehmen lassen - am besten von einem, der einem selbst gerade noch fremd war."Unter die Leute gehn", oder wie sagt man?

Tschüss

Friedel

Mein J, wat binnich heut wieder kluch, dat ich de Paar Flüskes janz verjessen hätt', beinahe!

Wie sie nah beiei[n]ander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zuei[n]ander sagen.
(hatte nach mi auch Fliege drauf hingewiesen) aber dann schnappt auch mal die Fälle-Falle zu

Ich bringe ihr aus dem Eisfach eines ihrer Kühlpads.

Jetzt ist aber genug für heute!

Tschüssikowski!

 

Hallo @Fliege!

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

ja, schön! Habe ich sehr gern gelesen. Haben ja schon viele vieles gesagt, ich lass Dir von daher einen Leseeindruck da. Ist ja auch immer wieder schön zu lesen, was den Leuten so unterwegs durch den Kopf geht.
Her damit! :D

Vormittags parkt meine Mutter auf einem der freien Parkplätze vor dem Wohnhaus.
Und abends würde sie da nicht parken? Der Satz (und dazu der erste!) sagt so gar nichts aus.
Ah, das ist ein interessanter Punkt. Das werde ich ändern. So wie du kann man es auch lesen - dann ist es natürlich eine seltsame Konstruktion. Ich meinte eher: Am Nachmittag parkt meine Mutter ...
Wobei, das kann man auch so lesen wie du meintest. Dass das Ganze halt nachmittags PASSIERT, aber keine GEWOHNHEIT beschreibt! :D

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen und trägt noch ihre Arbeitsklamotten: das blau-weiße Namensschild von Decathlon, das an ihre Bluse gepinnt ist. Sie arbeitet halbtags als Verkäuferin, wenn sie nicht gerade krankgeschrieben ist.
Ich hatte schon ein bisschen Angst, der Text knüpft stilistisch an deine Challengestory an, aber gut, dass es auch schnell wieder vorbei war. So in kleinen Mengen ist das gut verdaulich. Und der letzte Halbsatz, der sagt schon viel und nicht ganz vorn, sondern so hinten dran. Das eben auch und nicht nicht nur. Gut gemacht.
Keine Angst, ich glaube, aus der Phase bin ich heraus :D

»Heb mich hoch«, sagt meine Tante.
Ich stelle den Geschenkkorb ab, umarme meine Tante lächelnd und hebe sie dabei hoch.
»Ja«, sagt meine Tante. »Noch mal«, sagt sie.
Ich umarme sie noch mal und hebe sie hoch.
Nice!
Schön!

Mein Onkel blickt mich einen Moment auf diese Art an: Als ob ihm etwas lange Vergessenes wieder eingefallen wäre.
Macht was mit der Spannung im Text. Ist hübsch, wie Du hier und da so Dinge fallen lässt, die in ihrer Summe Spannung aufbauen.
Ok danke

Wie sie nah beieiander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zueinander sagen.
Ich schenke Dir ein »n«.
Grazie

Zuhause läuft meine Mutter sofort ins Wohnzimmer und legt sich in ihren Sessel.
Fies! Und ich dachte, bei Tante und Onkel geht jetzt was los, auch wegen des Titels. Hast mich schön reingelegt ;).
:D

Ihr graues, faltiges Gesicht. Die braunroten, getönten Haare. Ihre Bluse, ihre Stoffhose.
Du arbeitest in dem Text echt viel über Äußerlichkeiten. Das ist auffallend. Ich werde mal drauf achten, wie es sich damit im weiteren Verlauf verhält.
Hm, ja

»Alles in Ordnung, Mama?«, rufe ich von der Küche aus ins Wohnzimmer.
»Alles in Ordnung«, ruft sie zurück.
Und dieses Gesundheitsdings zieht sich auch taff durch.
Das stimmt

Nachts wache ich auf, weil meine Mutter an meiner Bettkante sitzt. Sie hält meine Hand und blickt mich an. Durch das Fenster sehe ich den schwarzen Nachthimmel grauen. Grillen zirpen so laut, dass ich sie für ein Relikt meines Traumes halte; aber sie sind hier, sie sind echt.
Okay, der Autorenblick wendet sich jetzt eher der Natur zu, auch schon vorher, wo die beiden im Garten gesessen haben. Ich stelle das nur fest, ganz ohne Wertung oder Hintergedanken.
Das stimmt

»Alle feiern«, sagt meine Mutter. »Ich verstehe nicht, wie alle feiern können.« Sie sagt: »Ich verstehe nicht, wie alle so tun können, als ob nichts gewesen ist.«
Ja. Ich verstehe sie total. Und ich sehe auch, wie es sich für sie anfühlt. Doch, der Satz trifft mich.
Schön

»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir sonst noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache. Ich mache nicht mehr«, sage ich. »Ich bin ein langweiliger Mensch«, sage ich.
»Ja«, sagt meine Mutter. Sie fährt sich über die Augen.
Toller Dialog übrigens. Sehr gute Szene für mich.
Ok danke! Gefiel anderen nicht so sehr

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.
Oh je. Es ist fast nicht auszuhalten, wie die beiden sich da vor dem Ertrinken retten wollen. Der Sohn ist einer für drei (er selbst, Bruder und Ehemann) und er ist natürlich auch er selbst, mit den gleichen Verlusten, der aber für die Mutter stark sein muss. Das schwingt da alles mit für mich, die Überforderung, die an beiden zerrt und sie auslaugt, kaputt macht. Und irgendwie ist die Situation auch so auswegslos. Also emotional hat mich der Text total.
Und was Personen- vs. Naturbeschreibung betrifft, ich glaub, das ist einfach passiert :D.
Das ist einfach passiert? :D Also wenn du meinst bei mir, beim Schreiben, ja, das stimmt auf jeden Fall. Ich stelle mir die Geschichte natürlich beim Schreiben vor und versuche das irgendwo auch zu beschreiben und ja, irgendwo versuche ich natürlich auch Stimmung durch solche "Metaphern" oder "Dinge" zu kreiern. Freut mich, dass dich die Geschichte erreichen konnte und ich danke dir für deinen Leseeindruck - das ist wirklich interessant für mich!

@Friedrichard

Grüß Gott und vielen Dank fürs nochmalige Melden!

Ja, es ist vieles nicht auserzählt, das stimmt. Mich interessierten die Reaktionen, ob das zu wenig ist, oder ob das für eine Kurzgeschichte noch geht und verständlich ist. Ich fragte mich auch, ob das wichtig ist, wer hier betrauert wird? Für mich stand irgendwann das Danach eher im Rampenlicht, die Beziehung, die sich zwischen den Verbliebenen verändert, als die Person, die auf die andere Seite ging
@zigga
„Wie geht‘s?“
„Geht so.“ Alternativ:
„Bis gerade ging‘s noch.“
Volksmund, draußen und
drinnen, morgens
am Frühstückstisch und
abends beim Brot
Ja ok, du meinst, das Geschehene hier im Text ist teilweise etwas banal oder wie? :D

Ich noch mal, wenn ich darf,
hauste rein!

denn nicht nur das Gefängnis auf den je bescheidenen und begrenzten Brettern, die einem die Welt bedeuten, und seines je realen Rollenspiels (Familien/Verwandtschaftsrollen Mutter, Tante usw.), sondern vor allem die karge, gewollt verknappte Sprache nicht nur des Autors ist offenbar(t) („offensichtlich“ gälte hier ja nur für das Schriftbild). Zweifel gibt's immer (oder man ist so selbstbewusst, dass man sich besser um eine Papststelle bewerben sollte) und selbst wenn jemand was missverstanden haben sollte - Todesfall hin oder her von wem auch immer - so deutet er doch. Wären wir eindeutig, schrieben wir Gebrauchsanweisungen und Haushaltstipps.
das ist wahr

Gehn wir mal davon aus, dass der Sprachschatz ein ungehobener, zumeist nichtgenutzter Schatz ist, der irgendwo im Bewusstsein ganz unten vergraben liegt und von dem nur ein Minimum verwendet, sprich, entäußert wird - sei‘s für den Autor in Schriftform (was relativ lange währt, schon allein, um Fehler zu vermeiden und einen wem auch immer gefälligen, wenn auch stummen Ton hinzukriegen) oder dem Sprecher (mit der flüchtigen, entäußerten Sprache). Immer geht‘s um Kommunikation und in ihrer ursprünglichsten Form steckt die in allem drin, was vom Paar bis hinauf zum größten Volk für Gesellschaft eben von mir und dem andern bis zu allen andern gilt, (da ich kein Latein kann und frz. „miserable“,) engl. "(to) commune", das als Verb das offensichtliche meint, aber auch „vertraut verkehren“ bis hin zum „(heiligen) Abendmal nehmen“ (das ja trotz seiner Bezeichnung an keine Tageszeit gebunden ist) bis hin zur Gemeinschaft und was immer wir unter einer „Kommune“ verstehn.
Natürlich, gerade bei der Kurzgeschichte versucht man ja, im Kleinen das Große zu zeigen, irgendwo, in der Theorie zumindest

Die gesprochene Sprache wird hier knapp gehalten und der längste Satz des Personals stammt, wenn ich mich nicht verzählt hab, von der Tante und ist niedergeschrieben. Der zwotlängste stammt allerdings von der Mutter und bringt das Problem der Selbst-Entfremdung auf den Punkt, wenn es heißt
»Endlich ist mal wieder jemand da«, sagt meine Mutter,
Sprache ist halt praktisches Bewusstsein, durch das ich für den andern existier. Und umgekehrt.
Sehe ich auch so!

Denken und sprechen sind vom Gegenstand abgezogene, nahezu gleiche Kategorien. Dem theoretischen Werkzeugkasten steht der praktische gegenüber für das natürliche Werkzeug, die Hand. Fehlt, was man braucht, flucht man (je nach Temperament), um dann Ersatz zu schaffen. Fürs Mundwerk scheint das nicht so einfach zu werden. Aber ist doch nach dem Trennungsschmerz machbar. Man muss sich nur trauen und das natürlichste Werkzeug nutzen. Das Leben wieder selbst in die Hand nehmen oder sich an die Hand nehmen lassen - am besten von einem, der einem selbst gerade noch fremd war."Unter die Leute gehn", oder wie sagt man?
Natürlich, aber das wäre natürlich der Plot und die Prämisse für eine andere Geschichte - hier fokussierte ich mich eben auf diesen kleinen Teil, der auch existiert

Mein J, wat binnich heut wieder kluch, dat ich de Paar Flüskes janz verjessen hätt', beinahe!

Wie sie nah beiei[n]ander stehen, nicken, die Arme verschränkt, und Worte zuei[n]ander sagen.
(hatte nach mi auch Fliege drauf hingewiesen) aber dann schnappt auch mal die Fälle-Falle zu
Danke! Das Zweite hatte ich aber schon länger ausgebessert :p

Tschüssikowski!
Tschau, Friedel!


Beste Grüße,
zigga

 

Hey @zigga ,

endlich komme ich dazu, dir auch mal einen Kommentar dazulassen. Ich habe keinen der anderen Kommentare gelesen, wenn ich also etwas wiederhole oder nicht verstanden habe, weißt du warum. Sowieso scheint der Text bereits ziemlich abgegrast zu sein, also nicht wundern, dass das Feedback eher kurz ausfällt.

Sie streift sich durch die kurzen, rot getönten Haare. Sie wird 59 dieses Jahr. Sie steht auf dem Gehweg neben dem Wagen

Ich habe deine Challengegeschichte einmal gelesen, dann aber keinen Kommentar dazu geschrieben, weil ich durch die Kommentare den Eindruck bekommen hatte, dass du mit dem grundsätzlichen Gerüst der Geschichte nicht zufrieden warst und dich lieber wieder schnell auf neue Projekte konzentrieren wolltest. An eine Sache, an die ich mich noch erinnere, war, dass du immer wieder Sätze nur mit Er begonnen hattest. Das soll keine Kritik sein, mich hat es nicht gestört. Finde es nur interessant, dass sich das Muster hier wiederholt.

Ich bin ihr sechsundzwanzigjähriger Sohn.

Der Satz gefällt mir gar nicht. Alles darum herum ist so cool und geschmückt, und dann die Information hier, als würdest du sie mir mit einem Stempel auf den Arm drücken, weil du selbst nicht besser weißt, wie es unterzukriegen ist.

Das Tribal-Tattoo an seinem Hals ist verlaufen.

Tattoos können verlaufen?

Die Übelkeit kam schon im Auto.

Würde schreiben, dass die Übelkeit ihr, also der Mutter, im Auto kam, vielleicht auch explizit Rückfahrt schreiben. Hat mich einen Moment lang verwirrt, weil ich nicht wusste, wen du jetzt meisnt und welche Autofahrt. Kann aber auch nur an mir liegen.

Wir essen beide ein paar Bissen, als sie mich plötzlich ansieht und fragt: »Rauchst du noch?«
»Manchmal«, sage ich. Ich kaue und schlucke, das Baguette in der Hand.

Er hat ja gerade erst eine geraucht. Fände ich cool, wenn sie es riecht und ihn darauf anspricht. Wobei: Vielleicht hat sie es ja längst und fragt ihn nur aus Höflichkeit. Das liest dann jeder anders heraus.

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagt meine Mutter.
»Aber ich erzähle dir doch alles«, sage ich. »Ich weiß nicht, was ich dir noch erzählen soll. Ich erzähle dir alles, was ich mache«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

Ein Thema, das mir in letzter Zeit oft im Kopf herumgespukt hat, ist Selbst- und Fremdwahrnehmung und Rollen, die wir in der Gesellschaft einnehmen. Ich bin überall derselbe Mensch, aber zuhause zeige ich mich anders als auf der Arbeit, im Supermarkt an der Kasse verhalte ich mich anders als Mittwochabends in der Kneipe. Als wäre ich ein unendlich mehrdimensionaler Würfel, und bei jeder Begegnung zeige ich eine bestimmte Seite, aber nie alle gleichzeitig. Ich habe den Eindruck, dass mit dem Tod des Vaters dieses ganze Rollengebilde aufgebrochen wurde: Mutter, Sohn und Verwandschaft wissen noch, wie sie zueinander stehen, aber nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Irgendwie sind es die kleinen Dinge, die wieder zueinander finden lassen (das familiäre Grillfest, die geteilte Zigarette mit der Mutter), was der Mutter aber nicht zu reichen scheint. Wenn ich mit dem Bild schon mal angefangen habe: Sie will mehr Würfelseiten ihres Sohnes sehen, vielleicht sogar welche, die der Prot. gar nicht kennt oder wahrnimmt. Ich habe mal mit einem Typen zusammengewohnt, den ich vor dem Einzug gar nicht kannte. Nachher habe ich herausgefunden, dass er mich in vielen Punkten belogen hat: Seine politische Gesinnung, Einstellung zu gewissen Themen, sogar seinen Nachnamen. Der konnte Würfelseiten, die eigentlich gar nicht existieren, so gut überziehen, dass ich und viele andere sie ihm abgekauft haben. Wie er wirklich war, weiß ich bis heute nicht.

Bin ein bisschen abgeschweift. Hat mir sehr gefallen, deine Geschichte. Auch, weil ich darin mehr für mich finden konnte, als ich am Anfang gedacht hätte :).

Liebe Grüße
Meuvind

 

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