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Hallo, kannst du mich hören?

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20.10.2002
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Hallo, kannst du mich hören?

„Guck mal, Mama, was machen die?“, fragt ein kleines Mädchen, und deutet in Richtung von Franziska und Stephanie.
„Die sind behindert, Marie. Komm, sieh nicht hin, sonst fühlen sie sich beobachtet.“
Ich blicke zu Franziska, die gerade Stephanie von unserem Nachmittag im Schwimmbad erzählt.

Wir sind gestern Nachmittag dort gewesen, und sie hat sich in einen schüchternen Jungen verliebt. Jochen heißt er, wie wir schließlich herausgefunden haben, und er ist jeden Tag da, um ein paar Runden zu schwimmen.
Wir legten uns genau neben sein Handtuch, als er gerade im Wasser war, weil die gesamte Liegewiese bei dieser Hitze natürlich überfüllt war. Als er dann zurückkam, glitzerten die Tropfen noch auf seiner Haut und der nasse Schimmer in den braunen Locken trug den Geruch nach Chlor. Scheu blickte er zu uns herüber, sah aber sofort wieder weg, als er bemerkte, dass wir gerade unsere T-Shirts über den Bikinis abstreiften. Wow, ist der süß, zeigte sie mir, und wir mussten kichern.
Dann liefen wir zum Schwimmbecken, das von Kinderschreien und Lachen erfüllt war. Ein Softball traf Franziska am Kopf, ein älterer Herr mit Sonnenbrand rief eine Entschuldigung. Sie lächelte nur. Wir blieben nicht lange im überfüllten, warmen Wasser, auf dem schon ein fettiger Film aus Sonnenöl schwamm.
Als wir zurückkamen zu unseren Handtüchern lag er schon da, abgetrocknet und in ein Buch von Carver vertieft. Franziska blinzelte mich an, und ich verstand. Ich habe ihn angesprochen, uns vorgestellt, und ihn nach seinem Namen gefragt. Obwohl es für jemanden, der sie noch nicht lange kennt sehr schwer ist, Franziska zu verstehen, hatten wir ein langes Gespräch und unser Lachen übertönte die Schreie aus dem Planschbecken. Franziskas Lachen ist ehrlich und natürlich, ein leises Glucksen meist, das ihrer ruhigen und fröhlichen Art entspricht. Jochen ist ein sehr netter Junge, der gerade die letzte Klasse unseres Gymnasiums besucht, und sich sehr für Naturwissenschaften interessiert. Er hat einen jungen Mischlingshund zuhause, und Franziska war begeistert. Sie liebt Tiere, darf aber selber keine halten in ihrer kleinen Wohnung.
Als die Bäume ihre Schatten länger über die Wiese fallen ließen und immer weniger Kinder mit ihren Eltern Tischtennis spielten oder Bälle durch die abkühlende Luft warfen, saßen wir trotzdem noch auf unseren Handtüchern. Stiller wurde es um uns herum, aber wir merkten es nicht.
Nach viel zu kurzer Zeit vom Bademeister vertrieben verabredeten wir uns für den nächsten Tag erneut und verabschiedeten uns.

Jetzt sind wir gerade auf dem Weg, die nächste U-Bahn wird uns in ein paar Minuten zu Jochen bringen. Er hat versprochen, heute seinen Hund mitzubringen.

Franziska erzählt gerade von einem der vielen Missverständnisse, über die wir gestern scherzen konnten, als die U-Bahn einfährt und wir zusteigen.
Ich muss lachen, als ich mir noch einmal die gestrige Situation in den Kopf rufe und an Jochens verständnislosen Gesichtsausdruck denke.

Das Mädchen sieht immer noch zu uns hinüber, beobachtet uns, aber sie wendet sich ab, sobald ich ihr den Kopf zudrehe.
Ich lächle ihr zu, und setze mich neben sie, während Stephanie und Franziska zwei Bänke weiter einen Platz finden.

„Hallo, ich bin Mareike. Das da sind Franziska und Stephanie, die beiden können nicht hören. Darum machen sie sich mit den Hände Zeichen, und können so miteinander reden und sich etwas erzählen.“
Sie schaut mich an, mit ungläubigen Augen. Sie ist vielleicht sechs oder sieben Jahre alt und hat das Haar zu einem dünnen blonden Pferdeschwanz zusammengenommen. Ihre Mutter blickt erstaunt, sagt aber nichts.

„Was sagen sie?“, fragt mich Marie schüchtern.

„Franziska erzählt gerade davon, dass wir gestern im Schwimmbad waren und einen netten Jungen kennen gelernt haben.“ Sie erwidert nichts, sieht nur zu den beiden hinüber.

„Möchtest du es auch probieren?“, frage ich Marie. Zögernd nickt sie.

„Ist das schwer?“

Ich zeige ihr die Gesten für „Hallo, ich heiße Marie“ und führe ihre Hände. Sie probiert es ein paar Mal alleine aus.
„Das ist ja gar nicht so schwer“, strahlt sie, steht von ihrem Sitz auf und läuft zu Franziska und Stephi hinüber.

Hallo deutet sie und lacht über das ganze Gesicht. „Hallo, kannst du mich so hören?“

 

Hallo Maus,

schön auch von dir eine Geschichte hier zu lesen. Du hast, was ich immer sehr sympathisch finde eine "so sollte es sein" Geschichte geschrieben, nicht die Konflikte oder Probleme geschildert, nicht den Status Quo kritisch in Frage gestellt, sondern eine kleine Episode voller Toleranz erzählt.
Manchmal bin ich ein bisschen mit deinen Figuren durcheinander gekommen, und damit, wo du dich in der Erzählung gerade aufgehalten hast. Das kann aber auch eindeutig an meiner Konzentration gelegen haben.
Ein paar Anmerkungen habe ich noch.

Dann liefen wir zum Wasser, das von Kinderschreien und Lachen erfüllt war.
Anstelle des Wassers würde ich hier das Schwimmbecken nehmen, da das Wasser nicht erfüllt sein kann. Überlegenswert wäre aber, diese Beschreibungen der Geräusche zugunsten der Geschichte gänzlich zu unterlassen, wenn es in der Welt deiner Protagonisten keine Geräusche gibt. Du könntest so einen tieferen Einblick in ihr Erleben erreichen.
Trotzdem es für jemanden, der sie noch nicht lange kennt sehr schwer ist, Franziska zu verstehen, hatten wir ein langes Gespräch
anstelle des Trotzdem würde ich "Obwohl" schreiben, das liest sich an dieser Stelle runder.
Franziska erzählt gerade von einem der vielen Missverständnisse, über die wir gestern scherzen konnten, als die U-Bahn einfährt und wir zusteigen.
Hier wäre es schön, wenn du uns ein oder zwei Beispiele dieser Missverständnisse geben würdest.

Lieben Gruß, sim

 
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Hallo Maus,

Deine Geschichte hat mir sehr gefallen! Sie macht Mut und Hoffnung. Wenn wir unseren Kindern nur die Möglichkeit zu unbeschwertem Umgang mit Behinderten geben, werden sie es viel besser machen, als wir es gelernt - oder eben nicht gelernt - haben! Sehr gefallen hat mir, wie Deine Erzählerin genau das Gegenteil von dem tut, was die Mutter von ihrem Kind verlangt. Deine Erzählerin läßt das Kind hinschauen, neugierig sein, beobachten - der Beginn einer Annäherung. Die Mutter dagegen will das Kind hindern, zu auffällig hinzusehen, obwohl sie es wohl kaum böse meint.

An einer Stelle fiel mir auf, dass Du das Wort "nächste / nächsten" ziemlich dicht nacheinander verwendet hast. Vielleicht kannst Du das noch ändern?

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo sim!

ich hatte schon Angst, die Geschichte wäre zu naiv oder zu "schöngefärbt", um hier jemanden zu interessieren.... und freue mich sehr über Deine Kritik.

"Anstelle des Wassers würde ich hier das Schwimmbecken nehmen, da das Wasser nicht erfüllt sein kann." - oh, klar da hast Du recht.

"Überlegenswert wäre aber, diese Beschreibungen der Geräusche zugunsten der Geschichte gänzlich zu unterlassen, wenn es in der Welt deiner Protagonisten keine Geräusche gibt. Du könntest so einen tieferen Einblick in ihr Erleben erreichen." - Dann müsste ich die gesamte Geschichte ohne Geräusche schreiben.... die ich-Erzählerin ist aber ja nciht gehörlos.... aber ich werde es überlegen, denn es ist ein sehr interessanter Gedanke, ob ich das schaffe, ganz ohne Luate auszukommen?

"anstelle des Trotzdem würde ich "Obwohl" schreiben, das liest sich an dieser Stelle runder." - auch hier hast Du recht.

"Hier wäre es schön, wenn du uns ein oder zwei Beispiele dieser Missverständnisse geben würdest." - mal schaun, ob mir da in den nächsten Tagen etwas einfällt...


Hallo Barbara!

Auch Dir vien Dank fürs Leseun und Deine Kritik. :)

"Sehr gefallen hat mir, wie Deine Erzählerin genau das Gegenteil von dem tut, was die Mutter von ihrem Kind verlangt. Deine Erzählerin läßt das Kind hinschauen, neugierig sein, beobachten - der Beginn einer Annäherung. Die Mutter dagegen will das Kind hindern, zu auffällig hinzusehen, obwohl sie es wohl kaum böse meint." - ich freu mich sehr, dass Du das da rauslesen konntest und gesehen hast.

Danke Euch beiden und schöne Grüße
Anne

 

Hallo Maus

eine wunderschöne Geschichte hast du da geschrieben. Die falsch verstandene "toleranz" der Mutter hätte sich wohl auch auf ihr Kind vererbt wenn da nicht dein Prot rettend eingegriffen hätte ;)

Die Geschichte hat mich an meine eignenen Begegnungen mit Gehörlosen und die damit verbundenen Probleme erinnert. Es ist nicht immer leicht, aber immer schön mit anderen, auf welche Weise auch immer, zu sprechen :)

Heli

 

Hallo Porcupine!

"Es ist nicht immer leicht, aber immer schön mit anderen, auf welche Weise auch immer, zu sprechen"

Es freut mcih sehr, dass Du mir geantwortet, und die Geschichte so verstanden hast. Danke. :)

alles Liebe
Anne

 

Hallo Anne,
ich kann mich meinen Vorgängern nur anschliessen, eine sehr schöne Geschichte und auf keinen Fall naiv oder "schöngefärbt". Wirklich schade, dass nicht alle Menschen so natürlich reagieren wie Mareike. Von ihr kann sich die Mutter des Mädchen aber mal locker eine Scheibe abschneiden.

Liebe Grüsse
Sylvia

 

hallo Blanca!

vielen Dank für Deine Antwort, sie hat mich wirklich sehr gefreut...

alles Liebe,
Anne

 

Hallo Anne,

Es ist eine Geschichte, die sich sehen lassen kann. Du schneidest aus meiner Sicht ein schwieriges Thema an, das eigentlich in meinen Augen ziemlich kompliziert ist. Bringst eine erfrischende Leichtigkeit und Sorglosigkeit mit rein, die ich gene würdigen möchte...

Für mich persönlich spricht die Geschichte auch eine alte Kluft mit an - der zwiespalt zwischen der Kultur der Gehörlosen und der Hörenden.
Zumal die Zahl der Gehörlosen Kinder durch eine möglichst frühzeitige Versorgung mit speziellen Hörgeräten (Cochla Implantat) zunehmend kleiner wird.

Ich würde diese Geschichte weiterempfehlen, weil sie Lesenswert ist.

Mein persönliches Fazit: 9 von 10 Rauchwolken. :bounce:

Liebe Grüsse,

Christian 'Ryu - ki' S.
(Koro no Ryu)

_______
Man kann nicht nicht kommunizieren.
Paul Watzlawick

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Anne,
auch ich habe Deine Geschichte gern gelesen. Sie zeigt,
dass ein Miteinander möglich ist - und das ist gar nicht so schwer, wenn man die Kinder nur ließe -. Sie sind noch offen, neugierig und wollen alles ausprobieren.
Wie sagte schon Herbert Grönemeyer: Kinder an die Macht. (Nun gut, nicht immer, aber im Umgang mit Menschen die anders sind)
Danke für Deine Geschichte
Grüße Heidi

 

Hallo Maus!

Eine schöne Geschichte. So, wie du es beschreibst, wünsche ich mir die Wirklichkeit. Aber wenn wir Kindern die Angst vor dem "Andersein" nehmen, können diese es später so weitergeben. Kinder sehen hin, wenn ihnen jemand auffällt, der zum Beispiel im Rollstuhl sitzt, auch wenn sie noch sehr klein sind, und sie fragen. Wenn wir es erklären, können sie es verstehen und in ihre Welt aufnehmen. Wenn wir sie zum wegschauen auffordern, fördern wir nur Ängste und Unbehagen. Das hast du mit deiner Geschichte wunderbar deutlich gemacht.

Gruß
Silke

 

Hallo Ryu-ki, Heidi und Silke!

Vielen Dank für Eure Antworten und das Lob. Es freut mich sehr, dass Euch die Geschichte gefallen hat...

@Ryu:

Für mich persönlich spricht die Geschichte auch eine alte Kluft mit an - der zwiespalt zwischen der Kultur der Gehörlosen und der Hörenden.
- ja, das ist sicher ein schweres Thema. In der Geschichte kommt viel davon nicht raus, leider... trotzdem danke für Dein Lob. MIt ci kann man tatsächlich sehr vielen Menschen hlefen....

@Heidi:

Sie zeigt, dass ein Miteinander möglich ist - und das ist gar nicht so schwer, wenn man die Kinder nur ließe -. Sie sind noch offen, neugierig und wollen alles ausprobieren.
- da hast Du recht- wir könnten von der selbverständlichen und offenen Art der Kinder viel lernen, das wollte ich auch deutlicher mahcen... danke, dass DU das rauslesen konntest. :)

@Silke: Danke für Deinen Beitrag...

schöne Grüße an euch....
Anne

 

Moin Anne!

Vom Inhalt her fand ich deine Story gelungen! Idee und Umsetzung gefällt mir gut. Obwohl ich anfangs in wenig verwirrt war, als der Wechsel Schwimmbad-U-Bahn erfolgte und danach noch Marie erwähnt wurde, aber ein paar Sekunden des Denkens und alles klärte sich auf.

Eine Szene, die mir mit am Besten gefallen hat, war die, wo Mareike zu Marie geht, mit ihr redet und ihr am Ende ein wenig der Gebärdensprache beibringt.

Noch ein Fehler:

Ich muss lachen, als ich mir noch einmal die gestrige Situation in den Kopf rufe und an Jochens verständnislosen Gesichtesausdruck denke.
Gesichtsausdruck

Liebe Grüße
Jasmin

 

Halli hallo mausilein!
Ich kann mich den anderen nur anschließen. Eine gelungene Geschichte!
Schöner Stil, lässt sich gut lesen.
Wollte dir nur sagen, dass mir deine Geschichte gut gefallen hat. :)

bye und tschö

 

hallo Ally, hallo Moon...

Dank für Eure Antworten, freut mich, wenn Euch die Geshcichte gefallen hat. Danke fürs Fehlerfinden, Ally, gleich ausgebessert :)

alles Liebe
Anne

 

Servus Mauserl!

Das lachende Kindergesichterl sagt, deutet, empfindet "Hallo - kannst du mich hören?" - ich weiß nicht wie man es auch nur annähernd schöner ausdrücken könnte, dass Kommunikation des Herzens stattfindet.

:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Liebe Eva - danke für Deine Antwort, ich hab mich sehr gefreut... denn genau das wolle cih vermitteln. Schön, dass Du sie gelesen hast. :shy:

alles Liebe
Anne

 

Hallo Anne!

Beim Lesen dieser Geschichte kam für mich irgendwie so etwas wie Wärme rüber. Sie zeigt einen sehr positiven Blick auf die Welt und auch die Situation am Schluss der Geschichte zwang mir geradezu ein Lächeln ins Gesicht. ;)

Sie ist sehr flüssig erzählt und du verwendest hier eine relativ einfach zu lesende Sprache. Gerade wegen des positiven Umgangs mit einer von vorne herein vielleicht schwierigen Situation (aus der Sicht der Mutter), der alltäglichen Gespräche zwischen den Mädchen und der vermittelten Botschaft eignet sich die Geschichte aus meiner Sicht auch besonders gut für Kinder.

Es hat aber auch als Erwachsene Freude gemacht, den Text zu lesen. :)

lg
klara

 

hallo Klara!

"die Situation am Schluss der Geschichte zwang mir geradezu ein Lächeln ins Gesicht" - das freut mich sehr!

Du schreibst, Du könntest Dir die Geshcichte auch für Kinder vorstellen, das hatte ih mir ncoh garnicht überlegt... aber ich werd das mal überdenken.
Danke für Dein Lob. :shy:

alles Liebe
Anne

 

Hallo Fabian!

freut mich sehr, dass Dir die Geschichte gefallen hat, danke :)
Ich glaube das ist oft ein Problem, eine Scheu: jemanden nicht anzustarren, aber auch nicht wie Luft zu behandeln. Du hast recht, es ist das selbe bei ungewöhnlicher Erscheinung oder Verhalten.

schöne Grüße
Anne

 

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