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Himmel und Hölle

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21.12.2015
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Himmel und Hölle

Seit über zwei Stunden gingen wir steil bergauf. Blauer Dunst lag über den niedrigen Bergrücken, aber der Feldberg strahlte in der Junisonne. Ein schmaler Pfad schlängelte sich durch die Wiesen. Es roch nach geschnittenem Gras. Ein alter Mann mit einer Sense schaute kurz zu uns herüber, dann mähte er weiter. Meine Mutter trug neben ihrem Rucksack links eine Stofftasche, rechts einen Stecken, den sie unten im Waldstück aufgelesen hatte.
„Für dich“, sagte sie, nach Luft schnappend, „da kannst du deinen Beutel dranhängen.“
„Ich brauch aber keinen Stock“, sagte ich, sprang drei Schritte vor und einen zurück, wie bei den Hüpffeldern, die wir mit Kreide auf den Pausenhof in der Schule gemalt hatten.
„Du wirst ihn schon noch brauchen. Am besten machst du gleichmäßig langsame Schritte, das strengt nicht so an.“
„Ist es noch weit?“
Mutter deutete in die Ferne.
„Siehst du die zwei Kirchtürme? Sie gehören zum Kloster. Von dort aus geht es wieder abwärts zum Finkenhof. Eine Stunde noch, allerhöchstens. Aber jetzt machen wir erstmal Pause.“
Wir setzten uns auf den höher gelegenen Wegrand ins Gras und streckten die Beine aus.
Unten im Tal verschwand die Eisenbahn mit drei gellenden Pfiffen im Tunnel. Ich wusste, dass sie jetzt nach „Höllental“ fuhr. Die Station vorher hieß „Himmelreich“, und da waren wir gegen Mittag ausgestiegen.
Mama streckte mir die zerbeulte Wasserflasche hin.
„Trink“, sagte sie streng, „der Doktor hat gesagt, du musst viel trinken. Vor allem Milch. Ich werd's der Rosel nochmals ans Herz legen, mindestens einen Liter am Tag.“
Ich biss einen großen Happen vom Vesperbrot ab. Margarine und Kunsthonig, das mochte ich nicht besonders. Aber ich war hungrig.
„Was sind Kavernen, Mama?“
„Wie bitte? Ich kann dich so schlecht verstehen.“ Mama schaute streng.
Ich schluckte hastig.
„Kavernen, Mama, der Arzt hat doch gesagt, es seien noch Kavernen da.“
„Na ja, in deiner Lunge sind noch ganz kleine Hohlräume. Die müssen ausheilen, deswegen sollst du ja auch auf einen Bauernhof. Frische Luft und gute Ernährung. Und auf keinen Fall darfst du deine Medizin vergessen, hörst du? Rosel wird sie dir geben. Du musst ihr folgen. Immer. Und jetzt komm.“

Meine Tante Rosel, Mamas Kusine, kam gerade mit einem voll beladenen Wäschekorb aus dem Garten, als wir in den Hof stolperten. Sie stellte ihn ab und musterte mich von oben bis unten. Sie gab mir nicht die Hand, umarmte mich auch nicht. Da wusste ich gleich, dass ich Mama schwer vermissen würde.
„Du bist also die Monika. Jetzt kommt rein, ihr werdet Hunger und Durst haben.“
In der Stube war es schön kühl, aber ziemlich düster. Ich musste nach dem grellen Sonnenlicht draußen erst einmal blinzeln. Tante Rosel blieb in der Tür stehen und sah uns abwartend an.
„Ist es recht, Milch und Butterbrot? Kaffee gibt’s später. Und Monika, dann zeig ich dir, wo du schlafen wirst. Wenn du willst, gehen wir später einmal durch den Stall. Aber das hat auch bis morgen Zeit.“
„Rosel, wir haben ja das meiste schon besprochen. Ich kann nachher den Bus zum Bahnhof nehmen und möchte deshalb nur noch wegen der Nachbarskinder ..."
Meine Mutter ging Tante Rosel in die Küche hinterher. Wahrscheinlich wollte sie ein paar Dinge bereden, die ich nicht unbedingt hören sollte. So hatte ich Zeit, mich umzuschauen.

Mir war sofort klar: Das hier war ein sehr alter Bauernhof, mit Kachelofen und Herrgottswinkel, genau wie in dem Buch über Schwarzwaldsagen, das ich zum zehnten Geburtstag bekommen hatte. Die gute Stube. Ich hatte gelesen, dass sie nur sonntags, oder wenn Besuch kam, benutzt wurde.
Eine Uhr tickte laut in die Stille. Sie hatte ein bunt bemaltes Ziffernblatt mit einem Türchen und Ketten zum Aufziehen. Bestimmt war es eine Kuckucksuhr. Über dem Tisch baumelte ein Fliegenfänger von der Lampe herab. Wahrscheinlich hing er schon lange da, mindestens fünfzig fette Fliegen klebten an der braunen Spirale. Ekelhaft. Und wenn sie nun in den Milchtopf oder auf mein Butterbrot fallen würde? Zwei Wespen flogen zornig gegen die winzigen Fensterscheiben. Ich hockte mich auf den Rand der Sitzbank, bereit, jederzeit aufzuspringen, wenn mich eines dieser Ungeheuer angreifen würde. Als die Uhr viermal schlug, öffnete sich das Türchen, aber ein Kuckuck erschien nicht. Eine kaputte Kuckucksuhr. Wie blöd. Und hier sollte ich es sechs Wochen aushalten? Mama hatte mir keinen Besuch zwischendurch versprochen. Nur im Notfall, hatte sie gesagt, der Doktor findet es besser so.

Der Rundgang im Haus beschränkte sich auf die Küche und die Schlafräume darüber. Mama blieb noch bis in die frühen Abendstunden. Dann fuhr sie mit dem Postbus davon und ich saß heulend auf dem schmalen Bett in einer Dachkammer, aus der ich gerade mal den Gemüsegarten und ein Stück Weg sehen konnte.
Tante Rosel schüttelte das dicke Federkissen auf.
„Aber, aber“, sagte sie und hob kurz die Hand, als wolle sie mir über die Haare streichen. „Das wird schon. Schau mal her, vielleicht liegt da was drin, das du brauchen kannst.“ Sie seufzte und schob mir eine kleine, mit Rosen bemalte Holztruhe vor die Füße. „Sie hat einem Kind gehört …Wenn du deine Sachen in den Schrank geräumt hast, komm wieder runter. Der Bauer und Eugen wollen dich auch kennenlernen. Das wird schon, Maidli.“
Ich starrte eine halbe Stunde zum Fenster hinaus, dann raffte ich mich auf. Es half ja nichts. Zuerst legte ich meine wenigen Kleidersachen in die beiden untersten Fächer. Die oberen waren vollgestopft mit Bettwäsche und Wolldecken. Alles roch nach Mottenkugeln. An einer Stange hingen dicke Jacken und schwere, dunkle Trachtenkleider, eins auch in Kindergröße. Morgen vielleicht würde ich es mir genauer ansehen.
Meine drei Bücher legte ich auf den Stuhl neben dem Bett. Zu der weißen Schüssel und dem mit Wasser gefüllten Krug auf der Kommode kam der Kulturbeutel mit der Zahnbürste, der Speickseife, dem Kamm und den Gummiringen für die Zöpfe. Mama hatte ihn extra genäht und mir noch einen Taschenspiegel spendiert.
„Halt deine Sachen beieinander. Lass nichts rumliegen“, hatte sie mich beim Abschied ermahnt und gleichzeitig heftig gedrückt. „Ach Gott, hoffentlich geht alles gut.“
Ich war noch nie von zuhause weg ohne meine Mutter.
„Warum hab ich nur so wenig Bücher mitnehmen dürfen?“
„Du sollst ja nicht im Haus rumhocken, sondern an die Luft gehen. Vielleicht nimmt dich der Eugen mit zum Viehhüten.“
„Wie bei der Heidi und dem Geißenpeter?“
„So ähnlich. Aber zum Eugen muss ich dir noch was sagen. Der Eugen ist ein wenig merkwürdig. Der spricht nicht so viel. Und er sieht auch ein bisschen komisch aus.“
„Was heißt 'komisch'?"
„Halt um die Augen herum. Schon als er auf die Welt gekommen ist, sind die ganz schräg gewesen. Es ist eine Krankheit. Aber Tante Rosel sagt, er ist ganz lieb. Und er hilft ihr sehr im Stall, wo doch Onkel Franz immer noch als vermisst gilt. Vierzehn ist er jetzt und ganz schön stark. Ach, und dass ich's nicht vergesse, auf dem Moosbachhof gibt's zwei Kinder in deinem Alter. Mit denen könntest du spielen und in den Gumpen baden, wenn das Wasser nicht zu kalt ist. Der Hof ist ganz in der Nähe. Man kann ihn sogar von hier aus sehen. Das sind reiche Bauern. Ich kenn' die noch vom Hamstern. Da gehörten sie zu den Großzügigen.“
Wenn die reich sind, überlegte ich, haben die bestimmt nicht nur ein Plumpsklo draußen und eine Waschschüssel im Schlafzimmer. Was mach ich bloß, wenn ich nachts aufs Klo muss? Über den Hof gehen? Ohne Licht?

Schließlich traute ich mich auch an die Holztruhe heran. Sie war nicht verschlossen. Als erstes fiel mir ein Körbchen mit Tierfiguren in die Augen, alle aus Holz geschnitzt, die größte ungefähr so lang wie meine Handfläche und manche bemalt. Es gab zwei Kühe, die eine schwarz-weiß gefleckt, die andere braun, einige Gänse, Enten und Hühner, auch einen Hund. Dazu mehrere zerbrochene Teile, bestimmt waren es Bruchstücke von einem Stall oder einem Gatter. Eine Ziege hatte sich darin verfangen.
Ich stellte die Figürchen auf dem Boden auf. Die braune Kuh hielt sich nur mühsam auf ihren drei Beinen. Überhaupt sahen die Tiere reichlich mitgenommen aus. Ob Eugen so sorglos mit ihnen umgegangen war?
Jetzt war meine Neugierde geweckt. Ich legte einen Stoß alte Leinentücher auf die Seite. Aha, eine Schiefertafel und ein Griffelkästchen. So was hatte ich auch noch zuhause. Seit langem schon schrieben wir aber auf Papier, meistens mit Blei. Im Herbst sollte ich aufs Gymnasium gehen und ich würde einen Füller bekommen, einen Pelikan. Ich freute mich schon darauf.
Auf der Tafel stand etwas, leicht verwischt:
Wir basteln ein Spiel: Himmel und Hölle. Nimm dazu …
Der Rest war nicht mehr lesbar, aber das war auch gar nicht nötig. Ich wusste, wie man das Spiel bastelte. Man brauchte dazu lediglich ein Blatt Papier, es musste quadratisch sein, und zwei verschiedene Farbstifte, rot für die Hölle, blau für den Himmel. Zum Glück hatte ich ein Ringbuch dabei, von dem man die Blätter abreißen konnte. Und Buntstifte fand ich auch ein paar in meinem Rucksack.
Ich packte die Tierchen wieder in die Kiste und machte mich ans Werk.
Erst nach mehreren Versuchen klappte es mit dem Falten und ich begann, die Fächer auszumalen. Ich war so vertieft, dass ich ordentlich zusammenfuhr, als neben mir jemand etwas auf den Boden stellte.
„Du bist ganz schön schreckhaft, Moni, wovor hast du denn Angst?“
„Keine Angst, es ist nur … ich hab halt die Zeit vergessen.“
„Ja, wie meine Marianne, die musste man auch immer mehrmals rufen.“
„Marianne?“
„Der gehörten die Sachen da. Aber das erzähl ich dir ein andermal. Wie ist das mit dem Hunger oder Durst? Kommst du noch nach unten?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Der Topf da ist ein Nachttopf. Elektrisches Licht haben wir nicht. Auf der Treppe steht nachts eine Stalllaterne. Aber die muss da stehen bleiben. Wenn was ist, kannst du mit dem Besenstiel dort auf den Boden klopfen. Ich schlaf direkt unter dir. Also dann, b'hüt dich Gott.“ Sie schlug das Kreuz und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Wie anders sie doch war als meine Mutter! Strenge schwarze Augen. Noch kein einziges Mal hatte sie gelacht, nicht einmal, als ich sie nach dem ausgeflogenen Kuckuck gefragt hatte. Konnte sie mich vielleicht nicht leiden?
Ich vergrub mich in den Kissen, versuchte, in der Dämmerung noch ein paar Seiten zu lesen. Unten aus dem Stall kam dumpfes Muhen, zwei Katzen kreischten und fauchten, schließlich fielen mir die Augen zu.

Es war nicht leicht, mich einzugewöhnen. Der alte Bauer, Rosels Schwiegervater, redete nicht viel. Und wenn er etwas sagte, stieß er die Worte aus seinem zahnlosen Mund, so dass die Spucke umherflog. Immerhin erklärte er mir, wie man Speck richtig schneidet.
„Die Stadtleut' verstehn nix davon“, zischte er und schnitt eine dicke Scheibe davon bedächtig in kartondünne, rotweiße Streifen. Die raffte er mit schwarzgeränderten Fingern zusammen, häufte sie auf ein Stück Bauernbrot und schob es mir über den Tisch zu. Nur beim ersten Mal musste ich mich überwinden, danach trieb ich mich immer in seiner Nähe herum, wenn er ein Brett und sein scharfes Messer auf den Tisch legte. Milch, Honig und Butter gab es reichlich. Auch Gemüse und Kartoffeln, Mama hätte nichts zu klagen gehabt.

Mein größtes Problem war Eugen, der schweigsame Junge mit den merkwürdigen Augen. Ich hatte Angst vor ihm. Abends am Küchentisch starrte er mich an und grinste, drehte schnell den Kopf weg, sobald ich etwas zu ihm sagte. Manchmal schlich er hinter mir her, vor allem, wenn ich meinen Nachttopf zum Plumpsklo über den Hof tragen musste. Schaute ich mich um, sprang er davon. Ich hasste den Topf und schwor jeden Abend, ihn nicht zu benutzen. Aber ich musste ja ganz viel trinken.
Morgens trieb Eugen die Kühe auf die Weide oder half dem Bauern beim Misten. Der Gestank war überall. Gestank und erst recht die großen, schwarzen Spinnen. In jedem Winkel saßen sie und glotzten mich an. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen. Um den Stall machte ich einen großen Bogen. Nicht einmal die gerade geborenen Kälbchen lockten mich. Am liebsten hielt ich mich im Garten auf, wo ich Tante Rosel beim Bohnenpflücken oder Gießen half.
„Und vergiss die Geranien an den Fenstern nicht, so üppig blühen sie nicht jedes Jahr.“ Die Geranien waren Tante Rosels ganzer Stolz.
„Es ist eine neue Sorte, aus dem Elsass, die gibt es noch nicht lange in Deutschland.“
Meine drei Bücher von Erich Kästner, meinem Lieblingsschriftsteller, waren im Nu ausgelesen. Ich dachte an das Schwimmbad zu Hause und vermisste meine Freundin Lore.
„Mama hat gesagt, ich kann in den Gumpen baden. Wo sind die eigentlich?“, fragte ich nach einigen Tagen, als die Sonne schon um elf Uhr vom Himmel stach.
Tante Rosel ließ die Hände in den Brotteig sinken.
„Bei den Gumpen hast du nichts verloren. Niemand von uns geht dahin.“
„Aber Mama hat gesagt ...“
„Egal was deine Mama gesagt hat, zu den Gumpen geht niemand von uns.“
So schroff hatte ich sie noch nie erlebt, ganz weiß um die Nase, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Ich spürte, wie der Kloß in meinem Hals wuchs und der Zorn. Jetzt würde ich erst recht nach den Gumpen schauen. Am Moosbach, hatte Mama gesagt. Sie hatte aber auch gesagt, dass ich Tante Rosel gehorchen müsse.
Den Rest des Tages verkroch ich mich in meiner Kammer mit einem Stapel Bauernkalender, den ich in der guten Stube gefunden hatte. Tante Rosel stellte mir einen Teller Pfannkuchen mit Zimt und Zucker vor die verschlossene Tür.
„Ich hab dir im Hof einen Zuber mit Wasser aufgestellt, da kannst du baden.“ Ich gab keine Antwort, aber die Pfannkuchen ließ ich mir doch schmecken.

Eugen kam nie herauf in meine Kammer. Einmal erwischte ich ihn dabei, wie er auf der untersten Treppenstufe saß, einen Beutel neben sich, in dem etwas zappelte. Als er mich sah, warf er ihn zwei Stufen höher und stapfte pfeifend davon. Nie im Leben hätte ich nachgeschaut, was sich in dem Beutel befand. Er hing später am Gartenzaun. Da zappelte nichts mehr.
Im Bauernkalender kreuzte ich die Tage seit meiner Ankunft an. Jedes Kreuzchen brachte mich ein Stückchen näher nach Hause. Aber die Zeit dehnte und dehnte sich. Abends im Bett weinte ich manchmal.

Eines Morgens lief Eugen nicht vor mir weg, als ich mit dem Nachttopf aus der Haustüre trat. Er stellte sich vor mich hin und streckte mir eine schmutzige Hand entgegen.
„Gib!“ Seine Stimme klang hoch und dünn, in seinem Hals kletterte etwas rauf und runter, als ob er einen kleinen Apfel verschluckt hätte.
„Gib her!“ Plötzlich war seine Stimme so tief wie die seines Opas.
Ich drückte den Hafen gegen die Brust.
„Geh weg, lass mich in Ruhe!“
Eugen riss den Mund auf und lachte lautlos. Er breitete die Arme aus und versperrte mir den Weg.
Seine Stimme schoss wieder in die Höhe, klang schrill und aufgeregt.
„Du musst aber! Eugen muss auch. Eugen will ..“
„Hau ab, du blöder Depp! Ich sag's deiner Mama!“, schrie ich in höchster Not und versuchte, unter seinen Armen durchzurutschen.
Eugen stellte mir ein Bein und riss mir den Topf aus den Händen. Der knallte scheppernd auf den Boden. Sein Inhalt versickerte zwischen den Pflastersteinen. Meine Backen glühten, ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte.
Eugen hob den Topf auf, besah ihn von allen Seiten und klopfte auf die Beule, wo das Emaille abgesprungen war. Seine schwarzen Augenbrauen bildeten einen waagrechten Strich.
„Kein blöder Depp. Kein blöder Depp!“ Er stellte den Topf auf die Bank neben der Haustür und schlurfte in den Stall.

Von da an goss ich Tantes Geranien mit meinem Pipi. Heimlich. Schließlich wusste ich ja, dass man Gülle auch auf die Felder fuhr. Eugen bekam keine Gelegenheit mehr, mich abzupassen. Im Garten gab es eine kleine Hütte, dort schuf ich mir mit Strohballen und dem Zuber eine kleine Zuflucht. Die Tante ließ mich gewähren. Auf sie wartete genug Arbeit. Ich sammelte Butterblumen, Vergissmeinnicht und Rosenblätter. Zum Pressen legte ich sie zwischen die Bauernkalender und beschwerte das Ganze mit Steinen. Wenn sie trocken waren, kamen sie in meine drei Bücher.
Im Zuber badete ich, wenn niemand in der Nähe war. An manchen Tagen sprach ich höchstens drei Sätze. Zum Moosbach traute ich mich nicht mehr, ich hatte Angst vor Tante Rosels strengen Blicken. Mein Heimweh wuchs und wuchs. Und trotzdem bekam ich allmählich runde Backen und braune Waden.

„Ich möcht' bloß wissen, was mit den Geranien los ist. Die Erde ist feucht und Dünger haben sie auch genug.“
Tante Rosel zupfte die welken Blüten und Blätter ab, lockerte mit einem Stöckchen den Boden und roch daran. „Weißt du vielleicht, woran es liegt, Monika?“
Ich wich ihrem Blick aus und schnappte Besen und Kehrschaufel.
„Monika, schau mich an. Kann es sein, dass du den Nachttopf in die Blumen gegossen hast?“
Ich schwieg. Jetzt kam alles heraus! Ich merkte, wie sich mein Magen zusammenzog.
„Los emol, Maidli, du muesch nit schwindle“, sagte Tante Rosel nach einer längeren Pause, in der sie weiter in den Geranien herumstocherte, aber es klang überhaupt nicht böse, fast wie bei Mama, wenn ich was zu beichten hatte. Da brach der Ring, den das Heimweh um mein Herz gelegt hatte, und ich sprudelte allen Kummer heraus: Der blöde Nachttopf, Eugens Angriff, das Verbot, in den Gumpen zu baden, obwohl Mama mir es doch versprochen hatte.
Tante Rosel zog mich neben sich auf die Gartenbank.
„Der Eugen meint es nicht böse. Er wollte dir bloß helfen. Er kann es halt nicht so sagen. Du wirst es ja gemerkt haben.“
Sie musste erst einmal durchatmen, bevor sie weitersprach.
„Und das mit den Gumpen ...", Tante Rosel hielt inne und wischte ein paar Erdkrümel von der Schürze, "weißt du, er vermisst seine Schwester. Sie ... sie ist mit sieben in der tiefen Gumpe ertrunken, beim Spielen. Marianne wäre heut so alt wie du, Kind. Eugen hat sie damals retten wollen. Der Bauer und ich wissen nicht genau, wie es passiert ist. Eugen kann es uns nicht sagen. Nicht mal unser Herr Pfarrer hat etwas aus ihm herausgebracht.“
Tantel Rosel stand auf und strich ihren Rock glatt. „Ich werd' mit Eugen reden. Aber Angst musst du wirklich nicht vor ihm haben.“

So war das also. Eine traurige Geschichte, nun verstand ich den Kummer und auch das strenge Verbot. Und der Eugen sah in mir seine kleine Schwester? Das musste ich erst einmal verdauen. Und ich hatte ihn 'blöden Depp' genannt. Gemein von mir. Ich musste mir was einfallen lassen.
An einem verregneten Sonntagnachmittag setzte ich mich mit meinen Farbstiften und dem Schreibblock in die gute Stube und bastelte ein weiteres, stabiles Himmel-und-Hölle-Spiel. Eugen saß auf der Ofenbank und äugte zu mir herüber. Ich stülpte das fertig gefaltete und bemalte Ding über Daumen und Zeigefinger. Klappte es bei blau auf, sagte ich „Himmel“, bei rot „Hölle“. Das ging eine ganze Weile so, Eugen rührte sich nicht vom Fleck, schaute nur.
„Himmel, Hölle, Himmel, Hölle, Eugen, spiel doch mit!“ Eugen schluckte und rutschte hin und her.
„Eugen, schau doch, blau heißt Marianne, die ist im Himmel, rot heißt ...“
„Nein“, schrie Eugen, „nein! Eugen kommt nicht in die Hölle, Eugen wollte nur helfen. Rot heißt Teufel.“
„Aber das wollte ich doch nicht sagen. Bitte, Eugen, das weiß ich doch.“
Ich setzte mich neben ihn und sagte: „Es ist nur ein Spaß, komm, mach du mal. Du kannst es auch behalten.“

Und so brach das Eis. Eugen streckte einen Zeigefinger aus und strich vorsichtig über über das gefaltete Papierkreuz. Ich öffnete es und Eugen hatte den blauen Trichter erwischt. Er strahlte.
"Himmel ", gluckste er und seine Stimme sprang rauf und runter, "Eugen auch im Himmel."

Von da an wollte Eugen jeden Tag Himmel und Hölle spielen, mit mir, mit seiner Mutter und sogar mit dem Opa.
Eugen sagte nie etwas anderes als „Marianne!“ bei blau und „Nicht Eugen!“ bei rot.
Ich wiederum lernte barfuß laufen, Bienenstiche aushalten, ging, fünfzig Meter hinter den Kühen, mit Eugen auf die Weide, half Tante Rosel abends, Eier einzusammeln und natürlich, die Geranien zu gießen, die nach einer Woche schöner blühten als je zuvor. Dann waren die sechs Wochen vorbei.
„Kommt wieder“, sagte Tante Rosel und packte noch ein mächtiges Stück Speck in Mamas Rucksack, „der Eugen würd' sich freuen. Und natürlich ich auch. Ich brauch dich ja für die Geranien.“ Dabei zwinkerte sie Mama zu, die zurückzwinkerte.

 

Originalton von peregrina um die Mittagszeit: „So, schnell noch den Komm absenden, dann klapp’ ich für heut’ den Deckel zu.“ Kurz darauf hab ich gesehen, du hast deine neue Geschichte eingestellt. Ja, und dann …

Liebe wieselmaus,

dann hab ich schallend gelacht, wie du dir denken kannst, als ich den ersten Satz der noch ungeöffneten Geschichte gelesen habe.

Seit ungefähr zwei Stunden gingen wir steil bergauf.

Noch ’ne Wandergeschichte (was zwar so nicht stimmt), herrlich, haben wir also doch „Wortkrieger-Wanderwochen“.

Und ich hab sie gerne gelesen, deine Kindheitserinnerung an den Genesungsaufenthalt auf dem Finkenhof. Du hast alles sorgsam aufgerollt, liebevoll erzählt (scheinbar hast du in letzter Zeit deine Vorbehalte dem Ich-Erzähler gegenüber über Bord geworfen) und kannst deine starke Seite richtig gut zur Geltung bringen.
Schon bei deinem Challenge-Beitrag (zu dem ich meinem Komm leider nicht weggeschickt habe) hab ich dich am Kaminfeuer sitzen sehen, umringt von einer Enkelschar, die deinen Worten lauscht.

Nicht zuletzt lassen die kleinen Details und scharfen Beobachtungen lebendige Bilder in mir entstehen, die schon sehr stark an die Atmosphäre von Heidi und Peter im Hochgebirge erinnern.

Textkram:
„Ich war noch (nie) von zuhause weg ohne meine Mutter.“

„Wie anders war sie als meine Mutter.“ Da bin ich kurz gestolpert, vielleicht besser:
„Wie anders sie doch war als meine Mutter.“

Irgendwo gibt es ein extrem scharfes Mess(s)er.

Das soll’s auf die Schnelle gewesen sein.
Ach ja, vielleicht könntest du dir vorstellen, den letzten Satz zu überdenken, zwecks Streichung, den bräuchte die Geschichte nicht, aus mehreren Gründen.


Liebe Grüße in den Schwarzwald,
peregrina
.

 

hallo wieselmaus,

so eine schöne und traurige Geschichte - und wie stark von Tante Rosel, ein Mädchen aufzunehmen, dass so alt ist wie ihre Tochter wäre.
Du erzählst Tragisches in der fast beiläufigen Beschreibung eines Sommers. Und obwohl dieser Sommer vor langer Zeit angesiedelt ist, ist man schon nach wenigen Wörtern mittendrin, riecht das Heu, geht den Weg, ist verunsichert über Tante Rosels Distanziertheit, versteht sie nach und nach, und versucht zwischendrin, der Spucke des Schwiegervaters auszuweichen.

Deine Geschichte führt mich wieder einmal zu der Frage, wie Menschen es ertragen, wenn das Leben so unsagbar schwer wird, wenn ein Verlust dem nächsten folgt.

Du hast das gut und gekonnt geschrieben, Verbesserungsvorschläge fallen mir keine ein.
Gern gelesen habe ich es dennoch nicht, dazu war es halt zu traurig.
Was nicht schlimm ist, denn es kann auch manches wichtig sein, dass nicht unbedingt mit einem Wohlgefühl verbunden ist.

Ich werde deine Geschichte nicht so schnell vergessen.

Viele Grüße,

Eva

 

Liebe peregrina,

ob du's glaubst oder nicht: Mein erster Satz stand schon vor deiner und Peeperkorns Geschichte fest. Und ich hatte denselben Gedanken: Wanderwochen bei den WK. Dazu habe ich meinen Lieblingsanfangssatz in einem anderen Kontext zitiert. Er stammt von Georg Büchner und heißt: Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Über "Lenz" habe ich übrigens meine allererste Semesterarbeit geschrieben.

Es freut mich natürlich, dass du sofort gelesen hast und nicht enttäuscht wurdest.. Deine Änderungen habe ich umgehend übernommen. Herzlichen Dank.

Die Entstehungsgeschichte des letzten Satzes ist auch interessant. Den habe ich nachträglich, nachdem die Geschichte gerade zwei Minuten eingestellt war, noch drangeklebt. Jetzt ist er wieder weg, weil ich ihn auch irgendwie deplatziert finde. ich kann nur nicht genau sagen, warum. Da würden mir deine Argumente bestimmt weiterhelfen.

Ich danke dir sehr für deinen Kommentar und sage nur noch eins noch: Wellenlänge!

Herzlichst
wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

wieder mal erkenne ich diesen Hang zum Kryptischen in meinen Aussagen.
Zu deiner Frage: Warum der Satz mMn überflüssig ist, aber Vorsicht, meine Argumente basieren auf Empfindungen.

Die Geschichte ist für mich an der Stelle zu Ende, an der wie verrückt gezwinkert wird.
Es ist ein lebensbejahender und heiterer Schluss (Alle Geheimnisse sind geklärt, die Kinder sind eine Bindung eingegangen, deine Monika ist gesund und hat die sechs Wochen Trennung von ihrer Familie gut überstanden.)
Die Figuren haben ihre Aufgabe erfüllt, der Kreis ist geschlossen.

Die Krankheit (Down-Syndrom?) von Eugen ist für mich Teil der Konfliktgestaltung in der Geschichte. Der Tod Eugens ist zwar traurig, gehört aber nicht in die KG, weil er aus dem Zeitrahmen fällt.

Und schließlich brauche ich als Leser die Hoffnung, dass alles gut wird, ich will in dieser gefühlvollen, melancholischen Erzählung kein Ende, das mir meine kindlichen Illusionen zerstört.
Mehr kann ich nicht dazu sagen.

Noch eine Frage, die so hochkommt, nachdem sich der Text etwas setzen konnte.:rolleyes:
Ist es logisch und klug, dass die Mutter Monika von den Gumpen erzählt und damit in dem Kind den Wunsch zum Baden weckt? Sie wird doch vom Ertrinken Mariannes wissen, oder nicht?

Der Begriff „Wortkrieger-Wanderwochen“ wurde von Holg geschöpft und ich musste auch über den Zufall, oder wie man die Berührungspunkte (dreimal Wandern, dreimal Katzen und drei zeitlich gedrängte Geschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten), auch immer nennen will, lachen.

Bis bald und liebe Grüße,
peregrina

 

Hallo wieselmaus,
was für eine schöne, berührende Geschichte! Sehr sinnlich erzählt, aber ohne übertrieben die Sinnlichkeit herauszukehren. Nein, auf eine behutsame Art erzählend und dadurch innig, ehrlich und eben, berührend.
Auch auf überhaupt keine Art irgendwie tümelnd oder banal folkloristisch, sondern in einer genau richtigen Balance. Und dann auch ohne eine Schwarz-Weißmalerei: urbanes Leben da - Landleben dort. Sondern ehrlich im Umgang mit den Figuren.
Drei Sachen möchte ich anmerken:
Ich finde Deinen Stil homogen und völlig passend, dem gegenüber, was dargestellt werden soll. Beim Einstieg ist mir aber der Satzbau zu stereotyp: Ein blauer Dunst, ein schmaler Pfad, ein Mann.

Ein blauer Dunst lag über den niedrigen Bergrücken, aber der Feldberg strahlte in der Junisonne. Ein schmaler Pfad schlängelte sich durch die Wiesen. Es roch nach geschnittenem Gras. Ein Mann mit einer Sense schaute kurz zu uns herüber, dann mähte er weiter.
Das ist die einzige Stelle, über die ich gestolpert bin. Das fällt für mich aus dem Stil heraus und erscheint mir auch, wie soll ich sagen, fast zu persönlich, zu affektiert vielleicht. Aber vielleicht auch zu subjektiv.
Aber Eugen! Eugen war mein Problem.
Ebenso vielleicht zu subjektiv: Mit "Pipi" habe ich Schwierigkeiten. Ja, es trifft die Benennung eines Kindes. Und es gibt eigentlich keine Alternative. Urin, hm, Flüssigkeit, zu ungenau. Ausscheidung zu medizinisch. Wahrscheinlich ist es schon so richtig. Aber das krieg ich nicht ganz gebacken. Vielleicht deswegen, weil es aus der Sicht eines Kindes geschrieben ist, aber keine Kindegeschichte ist. Es geht ja recht tief in eine empfindsam beschriebene Familiensaga hinein und da bringt mich "Pipi" in einen Kinderbuchton, den ich da nicht so treffend finde.
Eine gute Motivation, mal in den Schwarzwald zu fahren.
Sehr herzlich
rieger

 
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Liebe wieselmaus,

ich fang mal mit dem nun verschwundenen Satz an: Während wir vorher alles aus der Sicht des kleinen Mädchens miterlebt haben, war es, wenn ich mich recht erinnere, im letzten Satz plötzlich der Autor, der mir erklärte, dass solche ('mongoloiden') Kinder damals nicht sehr alt wurden. Ich denke, vor allem deshalb passte er wohl nicht so gut.

Zu deiner Geschichte:

Sie liest sich gut, sehr ruhig, sehr ländlich.

Und natürlich: Du sagst es ja selber:

„Wie bei der Heidi und dem Geißenpeter?“

So fühlte ich mich nämlich beim ersten Überfliegen an vielen Stellen des Textes. Da wird ein kleines Mädchen in eine sie auf den ersten Blick abweisende Umgebung gebracht und muss nun eine Zeit dort verbringen, mit Menschen, die es nicht versteht und von denen es sich abgelehnt fühlt. Erst allmählich nähern sie sich einander. Das hast du sehr anschaulich dargestellt.

Es ist eine unaufgeregte Geschichte, in der selbst das tragische Ertrinken der kleinen Tochter/Schwester einen Platz im Alltag findet und so wohl die Trauer bewältigt werden kann.

Sie musste erst einmal durchatmen, bevor sie weitersprach.

„Und das mit den Gumpen ...Weißt du, er vermisst seine Schwester. Sie ist mit sieben in der tiefen Gumpe ertrunken, beim Spielen. Marianne wäre heut so alt wie du, Moni. Eugen hat sie damals retten wollen. Der Bauer und ich wissen nicht genau, wie es passiert ist. Eugen kann es uns nicht sagen.“


Ich hätte mir hier ein wenig mehr über Rosel gewünscht. Aber vermutlich möchtest du eine Frau zeichnen, in deren Leben nicht viel Platz ist für das Zeigen von Emotionen.

Und auch über den kleinen Eugen hätte ich gerne mehr gewusst. Über das, was er erlebt hat, erfahre ich nur, was in diesem kurzen Satz steht.

„Nein“, schrie Eugen, „nein! Eugen kommt nicht in die Hölle, Eugen wollte nur helfen. Rot heißt Teufel.“
Aber das lässt die Perspektive, die du gewählt hast, natürlich nicht zu. Wie überhaupt es dem Leser überlassen bleibt, sich vorzustellen, was in dieser Frau vor sich geht, die ihre kleine Tochter verloren hat, auf ihren vermissten Mann wartet, alleine die Hofarbeit bewältigen muss und zudem noch einen behinderten Sohn hat.

Eine ruhig dahinfließende Geschichte, die ihre ergreifende Wirkung nicht aus der Darstellung, sondern aus dem in ihr Dargestellten bezieht. Ihre besondere Stärke liegt daneben in den vielen liebevoll eingestreuten Details der Nachkriegszeit, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob bei den 'Nachgeborenen' der Begriff 'Hamstern' die richtige Assoziation hervorruft.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Liebe wieselmaus

Spinnen. In jedem Winkel saßen sie und glotzten mich an.

Tatsächlich musste ich schon vor diesem Satz an Gotthelf denken, aber da hast du mich zum Schmunzeln gebracht. Sehr schön!

Vorneweg: Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen, du hast es geschafft, mich auf diesen Bauernhof mitzunehmen, und zwar dank vieler sehr schöner und stimmungsvoller Details, die in mir Erinnerungen hochgerufen haben, an die Uhr im Haus meiner Grosseltern, an die Fliegenfänger (eine der ganz starken Passagen im Text), aber auch an das Plumpsklo im Haus meiner anderen Grossmutter, das man nur über die Veranda erreichen konnte. :) Atmosphärisch eine sehr sehr schöne Geschichte. Du traust dich, längere Beschreibungen einfliessen zu lassen, Mottenkugeln, Speikseife, die Tierfiguren in der Holzkiste, und diese Beschreibungen gelingen ausnahmslos.

Als ich die Geschichte gelesen hatte, habe ich mich gefragt, wo der Fokus liegt, und da kam mir in den Sinn, dass ich das als eine Art Kritik bei deiner letzten Geschichte angemerkt habe. Tatsächlich fehlt auch hier der eindeutige Fokus, aber bei dieser Geschichte, der Geschichte eines Sommers, finde ich das sehr gut, hier ist es stimmig: Eugen, Tante Rosel, die verwelkten Geranien, die Gumpen und Marianne, all diese Elemente fügen sich sehr schön in die Erzählung ein.

Ja, das hat mir wirklich sehr gefallen und ich habe fast den Eindruck, als würdest du dich von Text zu Text mehr entfalten, du getraust dich mehr und mehr, Geschichten auf deine ganz eigene Weise zu erzählen.

Da wird wohl bei jedem ein Stück eigener Befindlichkeit hochgespült mit unter Umständen allergischen Reaktionen.

Das hast du unter meinen letzten Text geschrieben und so sollst du es auch auffassen, wenn ich im Folgenden noch was Kritisches sage. Vielleicht spreche ich nämlich v.a. darüber, wie ich die Geschichte gestaltet hätte, wenn es meine wäre.

Also, mir ist das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit aufgefallen. Während die Ankunft und der erste Abend sehr ausführlich erzählt wird (ca. 50% des Textes), ändert sich dieses Verhältnis im Laufe der Geschichte deutlich. Und mir ging es - du wirst es wahrscheinlich zugleich gern und nicht gern lesen - ähnlich wie bei deiner letzten Geschichte: Ich möchte mehr!

Das gilt ganz allgemein, aber das gilt insbesonders für gewisse Abkürzungen, die du nimmst. So führst du Eugen über einen Dialog ein, erklärst, was mit ihm los ist, bevor er überhaupt auftaucht. Was könnte das für eine erste Begenung zwischen den beiden sein! Unheimlich und irritierend auch für den Leser und nicht nur für Monika.
Du führst auch die Gumpen über einen Dialog ein, man weiss, dass es die gibt, bevor sie relevant werden. Was, wenn du Monika die Gumpen entdecken liessest und dann gibt es eine Standpauke und sie weiss nicht, was los ist, und erst nach und nach entdeckt sie das Geheimnis von Marianne?

Während du dir also sehr viel Zeit lässt, Monika ankommen zu lassen, entwickeln sich die nachkommenden Ereignisse vergleichsweise schnell (ausser bei dieser Nachttopfsache, da lässt du dir wieder Zeit).

Ich will dir nicht wieder vorschlagen, einen Roman daraus zu machen. :) Vor allem dann nicht, wenn du mit dem Ergebnis zufrieden bist, was du ja wirklich sein kannst. Es könnte aber eine interessante Erfahrung für dich sein, bei der nächsten Geschichte nicht vorne anzufangen, sondern zunächst diejenigen Szenen zu schreiben, die dir besonders am Herzen liegen, die den Kern der Geschichte ausmachen, und dann erst den Anfang schreiben und schauen, wie das Ergebnis aussieht. Vielleicht machst du das ja schon, dann wäre das jetzt ein reichlich doofer Ratschlag. Mir hat es auf alle Fälle - glaube ich - geholfen, weil ich meine Geschichten oftmals zu gross angelegt / begonnen habe und mir gegen Ende die Puste ausgegangen ist. Aber vielleicht projiziere ich in diesen Überlegungen bloss die eigenen Erfahrungen / Schwierigkeiten in deinen Text.

Wie gesagt: Sehr gern gelesen!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hej liebe wieselmaus,

endlich wieder eine Geschichte von dir, in die ich eintauchen kann. Ich habe es mir gemütlich gemacht, weil ich ja "wusste", was mich erwartete und ich würde nicht enttäuscht.
Es war ein wundervoller Ausflug in diese Zeit, die mir fremd ist, in der Mädchen sich Beschäftigten mit dem, was da war, auch aus der Natur, wo sie wussten, dass sie daraus lernen konnten, das man Vieles beim "Tun" lernt und nicht theoretisch. Ich hätte der Moni ewig zuhören und -sehen mögen. So ein "plietsches" Ding, wie man hier oben sagt und emphatisch und wunderbar natürlich in ihren Empfindungen und dem Wunsch, sich anzupassen, ohne sich ein "Zäckchen aus dem Krönchen" zu brechen.

Wahrscheinlich wollte sie ein paar Dinge bereden, die ich nicht unbedingt hören sollte. So hatte ich Zeit, mich umzuschauen

Wie umsichtig sie ist.

Sie gab mir nicht die Hand, umarmte mich auch nicht. Da wusste ich gleich, dass ich Mama schwer vermissen würde.

Und sie sagt nichts.

Ich starrte eine halbe Stunde zum Fenster hinaus, dann raffte ich mich auf. Es half ja nichts.

So ein reizendes Dingelchen. Heute habe ich hin und wieder bei den Mädchen im ähnlichen den Eindruck, es ist eher uncool, sich zu entwickeln, man entscheidet, so oder so zu sein.

Zu der weißen Schüssel und dem mit Wasser gefüllten Krug auf der Kommode kam der Kulturbeutel mit der Zahnbürste, der Speikseife, dem Kamm und den Gummiringen für die Zöpfe. Mama hatte ihn extra genäht und mir noch einen Taschenspiegel spendiert.
„Halt deine Sachen beieinander. Lass nichts rumliegen“, hatte sie mich beim Abschied ermahnt und gleichzeitig heftig gedrückt. „Ach Gott, hoffentlich geht alles gut.“ Ich war noch nie von zuhause weg ohne meine Mutter.

Es ist schön, Einblick zu bekommen, wie sie sich verhält und handelt.

Ich hasste den Topf und schwor jeden Abend, ihn nicht zu benutzen. Aber ich musste ja ganz viel trinken.

Jetzt würde ich erst recht nach den Gumpen schauen.

Und dennoch ist die ein wildes Kind mit eigenem Kopf.

Von da ab goss ich Tantes Geranien mit meinem Pipi. Heimlich. Schließlich wusste ich ja, dass man Gülle auch auf die Felder fuhr.

Und clever. ;)

Und der Eugen sah in mir seine kleine Schwester? Das musste ich erst einmal verdauen. Und ich hatte ihn 'blöden Depp' genannt. Gemein von mir. Ich musste mir was einfallen lassen.

Das ist ganz groß von ihr. Kannte man das Down-Syndrom damals noch nicht? Oder nur da oben nicht?

Eugen sagte nie etwas anderes als „Marianne!“ bei blau und „Nicht Eugen!“ bei rot.

Das ist auch süß.

Meine Liebe, es war mir ein wunderbarer Ausflug mit dir. Sowohl als Zeit- und Ortsreise. All die Dunkelheit in den Räumen, die Schwere der Möbel und Gerüche sind mir unbekannt.
Ein ähnliches Lesegefühl habe ich früher gehabt, als ich die Bücher meiner Mutter gelesen habe von "Gisel und Ursel". Danke dafür.

Ansonsten kann ich nur behaupten, dass ich den Eindruck habe, diese Geschichte ging dir ganz selbstverständlich vom Kopf aufs Papier. Ich bemerke eine erzählerische Sicherheit und deswegen gibt's auch nix zu "meckern".

Eine schönen Abend und lieber Gruß, Kanji

 

Liebe wieselmaus,

eine Geschichte, die auch noch eine ganze Weile nach dem Lesen emotional nachwirkt ...

Ich lese gerade einige Kinderbuchklassiker auf ihre Wirkung hin durch, und "Heidi" war natürlich auch dabei. Deinen Plot fand ich davon sehr verschieden, doch du konntest in deinem Text ebenfalls das Gefühl einer in sich abgeschlossen, dabei schlüssigen Welt vermitteln. Spannung entstand bei mir durch die Figur des Eugen, der für mich schon früher hätte auftauchen dürfen.

Manchmal habe ich mich - um überhaupt etwas zu kritisieren - an einigen eher expositorischen Stellen gerieben, z. B.

Da wusste ich gleich, dass ich Mama schwer vermissen würde.

Oder

Mir war sofort klar: Das hier war ein sehr alter Bauernhof, mit Kachelofen und Herrgottswinkel, genau wie in dem Buch über Schwarzwaldsagen, das ich zum zehnten Geburtstag bekommen hatte.

Hätte ich lieber über 'show' erfahren. Aber das ist Krümelkram ... das tolle Setting und die Grundidee führten mich schnell in die Geschichte hinein, aber nicht so bald wieder heraus.

Viele Grüße

Willi

 

Liebe wieselmaus,

nochmal kurz: Das Ende jetzt, ohne Eugens angekündigten Tod, ist stimmiger und - ganz subjektiv - lässt mich nicht so hoffnungslos und todtraurig zurück. Und so ist ja das Leben, es findet im Moment statt, und dieser Schlussmoment hat ein bisschen Hoffnung in sich. Gefällt mir viel besser.

Viele Grüße,

Eva

 
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Liebe Eva Luise Groh,

danke für die rundum positive Beurteilung meiner Geschichte. Wie ich deinem zweiten Post entnehme, hat dich der angehängte letzte Satz depressiv gestimmt. Ich hab ihn schnell wieder gelöscht, weil er mir auch deplatziert erschien. Ich wollte wahrscheinlich klarstellen, dass Kinder mit Downsyndrom früher ein schweres Los hatten, medizinisch wie gesellschaftlich. Aber für das Verständnis der Geschichte ist es nicht wichtig. Heute wird Trisomie 21 ohnehin nicht mehr als Krankheit betrachtet (in aufgeklärten Kreisen).

Die Geschichte basiert auf Kindheitserinnerungen, jedoch nicht nur. Ich bin gerade dabei, mich von der Chronistenrolle zu lösen und den fiktiven Elementen mehr Raum zu lassen. Wenn mir das hier gelungen ist, bin ich hoch zufrieden.

Ich danke dir sehr für den Satz:

Ich werde deine Geschichte nicht so schnell vergessen.

Es gibt kein schöneres Lob.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo Wieselmaus,
schön, diese Bilder mit Himmel und Hölle. Das fängt schon mit den Orten Himmelreich und Höllental an. Dann der Wechsel der Stimmungen, das Spiel der Natur und die Schwankungen der Gefühle: anfangs herrscht im Tal der Himmel und oben im Wald die Hölle, dann kehrt sich das langsam um oder gleicht sich an. Interessant ist auch, das Verhalten der Krankheit. Was im Tal die Hölle ist, heilt oben in den Bergen. (Wäre das Mädchen im Gebirge geboren worden und lebte dort, wäre die Krankheit vielleicht nie ausgebrochen.) (Am Rande: Bei Klara glaubt man, dass sie wegen Vitamin D-Mangel erkrankte. In den Bergen kam sie ans Licht, Vitamin D bildete sich in der Haut und die Knochen konnten wachsen.)

Nie im Leben hätte ich nachgeschaut, was sich in dem Beutel befand.
Warum öffnet sie den Beutel nicht?
Von da ab goss ich Tantes Geranien mit meinem Pipi.
Das ist im Grunde eine gute Idee.
Du beschreibst das Leben genügsamer Leute. In einer Zauberlandschaft, doch der Tod lauert im Gumpen. Ich konnte Deinen Beschreibungen sehr leicht folgen. Für mich war es vielleicht leicht, weil ich die Gegend kenne. Nur das mit den Mückenstichen nehme ich Dir nicht so richtig ab. Die mückenfreie Atmosphäre im Hochschwarzwald war für mich immer eine Wohltat. Und ich erinnere mich noch sehr gut an das Stöhnen über die Geräusche und Stiche der Mücken (Schnooge), wenn die Leute von dort ins Rheintal kamen.
Auf jeden Fall weiss man bei Dir am Schluss nicht mehr, wo Himmel oder Hölle ist, und das ist gut so. Hat mir gefallen.
Viele Grüsse
Fugu

 

Hallo rieger

du hast ja ein ganzes Bündel an guten Eigenschaften meines Textes aufgezählt, darunter

...sondern genau in der richtigen Balance

Das gefällt mir sehr, denn um Balance bemühe ich mich schon ein ganzes (Autoren-)leben lang. Manche allerdings halten das für langweilig. Ich nicht.

Beim Einstieg ist mir aber der Satzbau zu stereotyp.

Da hast du recht. Ich werde ihn etwas geschmeidiger machen. Vielleicht braucht es gar nicht viel dazu.

In jedem Fall muss ich Aber Eugen! Eugen war mein Problem. verändern. Ich stolpere ja selbst jedesmal drüber. Affektiert, nicht kindgerecht, ja, damit liegst du richtig. Noch habe ich keine Alternative gefunden.

Erst recht die Sache mit dem Pipi. Da hab ich mir ziemlich lange den Kopf zerbrochen. Hier muss ein spontaner Geistesblitz her, so einer, der um drei Uhr nachts durchs Schlafzimmer fährt. Ist keine Erfindung. Die besten Ideen habe ich tatsächlich in den frühen Morgenstunden. Gottseidank schreibe ich nur alle paar Wochen eine Geschichte.;)

Wenn du in den Schwarzwald fahren willst, dann meide die Touristenecken wie Titisee und Mummelsee. Der Hotzenwald ist wunderbar, mit geheimnisvollen Hochmooren, nicht überlaufen und an guten Tagen mit Alpenblick.

Vielen Dank für deinen herzwärmenden Kommentar.
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe barnhelm,

der letzte Satz ist weg, was du auch begrüßt hast.

Sie liest sich gut, sehr ruhig, sehr ländlich.

Das ist ein schönes Lob, was du mir da zollst, wobei ich bei deinem dritten Attribut nicht genau weiß, was du meinst. Ich denke, es ist was Positives. Ich bin aber kein Landkind, aber auch kein wirkliches Großstadtkind. Ich hatte, wegen der Verwandtschaft, immer mal wieder Berührungspunkte mit bäuerlichem Leben.

'Das' Heidi und der Geißenpeter gehörten zur Lektüre meiner Kindheit. Wenn man heute nach literarischer Bewertung von Johanna Spyri sucht, findet man durchaus positive Bewertungen. Das war nicht immer so.

Ein anderer berühmter eidgenössischer Autor, Jeremias Gotthelf, hat mein Bild vom Leben auf dem Lande stark geprägt. Peeperkorn hat dies sofort gemerkt und mich des Diebstahls überführt.;)

(glotzende Spinnen)

Ich vergesse nie den Nachmittag als Zehnjährige, wo ich bei schönstem Wetter "Die schwarze Spinne" verschlungen habe, statt draußen herumzuspringen. Ich sah überall Spinnen, vor allem die eine, die so bösartig vom Helm des Ritters herabglotzte ...

Ich hätte mir hier ein wenig mehr über Rosel gewünscht ... Und auch über den kleinen Eugen hätte ich gern mehr gewusst

Ja, hier kannst du was von meiner Unsicherheit spüren. Es ist nicht so, dass mir nichts mehr zu diesen Personen einfiele. Nur zu gern würde ich weiter ausholen. Aber einmal stimmt es, dass aus der gewählten Erzählperspektive ein Mehr schwierig einzubauen wäre und Rosel in der Tat als Frau gedacht ist,

in deren Leben nicht viel Platz ist für das Zeigen von Emotionen.

Ein weiterer Grund hängt mit meiner Arbeitsweise zusammen. Dazu möchte ich anschließend bei Peeperkorn mehr sagen, denn der hat das Problem benannt. Ich gehe davon aus, dass du ohnehin seinen Kom gelesen hast.

Interessant auch, was die 'Nachgeborenen' unter 'Hamstern' verstehen könnten. Ich habe mal den Begriff gegoogelt, und siehe da, gleich der erste Beitrag ist ein Treffer, der zu meiner Geschichte passt.
Wer es also wissen will ...

Liebe barnhelm, danke für deinen Kommentar. Er gibt mir Energie für weitere Texte.

Herzlichst wieselmaus


Lieber Peeperkorn,

ich bin echt geplättet über dein Riesenlob, nämlich

du traust dich mehr und mehr, Geschichten auf deine ganz eigene Weise zu erzählen

Und das, obwohl ich mir erlaube,

längere Beschreibungen einfließen zu lassen ... und diese gelingen ausnahmslos.

Aber die Balance zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit. Ja, mir fällt es auch auf. Ich fange halt an zu schreiben und dann gewinnt der Text eine eigene Dynamik, erweitert sich, nimmt neue Personen und Handlungen auf, die nicht so geplant waren. Und dann erschrecke ich, schau auf die schon erreichte Seitenzahl und zack! wird abgekürzt.

Ich versprech dir, bei der nächsten Geschichte werde ich auf deinen Vorschlag zurückgreifen: Fang mit den dir wichtigsten Szenen an (ist für die Fokussierung unbedingt ratsam) und ergänze dann, wenn die Reihenfolge der Szenen feststeht. Ja, so werd ich es machen. Ich danke dir für das Erkunden und die Heilung (hoffentlich) meiner Schwächen.

Interessant ist für mich auch ein anderer Aspekt. Du würdest meine Prota Monika in die direkte Konfrontation mit Konflikten führen. Das bringt zweifellos mehr Spannung und eine größere Nähe. Also etwas Wünschenswertes.

Im vorliegenden Text habe ich absichtlich Eugen und die Gumpen indirekt eingeführt. Meine Überlegung dabei:
Eine Mutter würde niemals ihr kleines Mädchen unvorbereitet in solche Situationen schicken. Deshalb beugt sie vor. Ich habe diesen Aspekt noch ein wenig verstärkt, um die Mutter nicht als ahnungslos oder naiv zu kennzeichnen.

Ich habe erkannt, dass ich hier einem Muster in den meisten meiner Geschichten folge: Während du ein Meister der direkten Katastrophen bist, erleben sie meine Protas eher aus zweiter Hand. Wäre doch was für den Pschologen:lol: Also du hast neben dem Lob mir allerhand zum Nachdenken gegeben. Wie schön, dass du dir die Zeit dafür genommen hast.

Nochmals danke. Auch ich freue mich auf das Gathering.

Herzlichst
wieselmaus

 

Wenn man von Schierke aus den Brocken besteigt oder – wahlweise – die schier altertümelnde Technik der Brockenbahn nutzt (herrlich, den süßlichen Rauch der Dampflock zu schmecken und zu riechen, die gegenüber den modernen Dreckschleudern nicht verheimlicht, was da verpulvert wird), kommt zwar nicht an in/im Himmel/reich und Hölle/ntal, erfährt aber wie nebenbei, dass sich in Not und Elend leben lässt,

liebe wieselmaus,

und da ist es doch nur logisch, dass ein notorischer Fuß- und Müßiggänger, der auch Himmel un Ääd („Himmel und Erde“) zu genießen weiß, Dich auf den Finkenhof und ein Stück Weges in die Kindheit begleitet. Und bis auf zwo Stellen wüsst ich nun nicht, was ich besondes hervorheben müsste in dieser gelungenen Erinnerung … Außer vielleicht, dass da sich halt mal ein flüchtiger Punkt vorgedrängelt hat

„Kein blöder Depp. Kein blöder Depp!“. Er stellte den Topf auf die Bank neben der Haustür und schlurfte in den Stall.

Oder hier
Ich wiederum lernte barfuß laufen, Mückenstiche aushalten, ging, fünfzig Meter hinter den Kühen, mit Eugen auf die Weide, half Tante Rosel abends beim Eier Einsammeln und natürlich beim Gießen der Geranien, die nach einer Woche schöner blühten als je zuvor. Dann waren die sechs Wochen vorbei.
in sicherlich fern aller Verwaltungstätigkeit an sich unnötige
Substantivierungen vorgedrängeln, die sich federleicht re-verbalisieren lassen, etwa
Ich wiederum lernte barfuß laufen, Mückenstiche aushalten, ging, fünfzig Meter hinter den Kühen, mit Eugen auf die Weide, half Tante Rosel abends[, Eier zu sammeln und natürlich Geranien zu gießen], die nach einer Woche schöner blühten als je zuvor. Dann waren die sechs Wochen vorbei.

Wie immer, gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Kanji,

ich hoffe, du hattest einen gemütlichen Ohrensesslel mit Blick auf das stürmische Meer, als du dich ins Gebirg führen ließest, in Himmel und Hölle während eines sonnigen, warmen Sommers.

Es ist wahr, Zeit, Region und Bauernhof sind der Realität entnommen, so dass der Begriff

Zeit-und Ortsreise

vollauf berechtigt ist.

Darüber hinaus bin ich derzeit bemüht, der (Familien-)Chronik immer mehr fiktionale Elemente beizufügen, wegen der Dramaturgie und Spannung. Welche das sind, verrat ich hier nicht. Wenn's zusammen ein stimmiges Bild gibt, ist es gut. Wahrheit kann auch in der Fantasie stecken.

Sprachlich bin ich auch am Abrüsten, versuche so wenig wie möglich Redundanzen und Prätentiöses zu produzieren und meine alte Unsitte, den Nominalstil, zu vermeiden. Just in dem eben geschriebenen Satz findest du allerdings wieder ein schlagendes Beispiel.:lol:

Damit möchte ich mich für dein Kompliment

... diese Geschichte ging dir ganz selbstverständlich vom Kopf aufs Papier

bedanken und gleichzeitig erklären, dass doch ordentliche Anstrengung dahintersteckt. Weniger ist mehr bedeutet vor allem mehr Arbeit.

Ich danke dir sehr für deine liebevolle Anteilnahme, sie beruht ganz auf Gegenseitigkeit.

Herzlichst wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola wieselmaus,

langsam komme ich auf den Geschmack Deiner Geschichten. Vielleicht habe ich bislang zu schnell drüber hinweggelesen.
Das wär’ mir bei diesem Text auch beinahe passiert: Ich lese was von einer Tante Rosel, Geranien und Nachttopf – aber hallo, vermutlich nicht mein Ding. Aber der Appetit kam beim Essen.
Wie schon beim ‚Schönbergzimmer’ kommen auch bei ‚Himmel und Hölle’ Erinnerungen auf an längst vergangene Zeiten, denn einen Sommer verbrachte ich auf einem Einödhof im Bayrischen Wald, der allergrößte Ähnlichkeit hatte mit dem Finkenhof. Paläo-Urlaub sozusagen.
Mir hat Deine Art zu erzählen sehr gut gefallen. Der Text fließt angenehm, der Leser wird verschont von artifiziellem Zeugs und die Normalität ist so wohltuend, dass automatisch eine Spannung entsteht. Da ist doch was im Busch!?
Ich habe von der Freiheit des Lesers Gebrauch gemacht und mir meine Version von Eugens Hilfe bei Mariannes Bad gemacht – auch wenn das nicht im Sinne des Autors sein sollte.
Mein unbestechliches Urteil: Absolut lesenswert!

Ich habe die Komms vor mir nicht gelesen. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Du eventuell angemerkte Unklarheiten unberichtigt stehen lässt;).
Ein paar Kleinigkeiten habe ich notiert:

Zu Beginn verstehe ich die Topographie nicht: Die beiden steigen in Himmelreich aus dem Zug und marschieren recht lange (drei Stunden!) bergan und bergab. Endlich der Finkenhof! Geschafft in doppelter Hinsicht.
Dann erfahre ich, dass man recht komfortabel von dort mit dem Bus zur Bahnstation Höllental gelangen kann – und dort muss die Mutter nur in den Zug steigen. Aber dann hätte doch Monika mit ihrer Mutter eine Station weiter fahren können und dann mit dem Bus zum Finkenhof? Host mi?

Sie hatte ein bunt bemaltes Ziffernblatt mit einem Türchen und eine Kette zum Aufziehen. Bestimmt war es eine Kuckucksuhr.
Solche Uhren haben zwei Ketten (Hinter mir tickt eine solche).

Eine kaputte Kuckucksuhr. Wie blöd. Und hier sollte ich es sechs Wochen aushalten?
Das liest sich so, als ob eine kaputte Uhr den Aufenthalt unerfreulich gestalten könnte.
Vielleicht:
Eine kaputte Kuckucksuhr. Schade.
Für sechs Wochen werde ich hier bleiben ...

Die kratzte er mit schwarzgeränderten Finger zusammen, ...
Eher Fingernägel? Und den Speck zusammenkratzen?

... und Spinnen. In jedem Winkel saßen sie und glotzten mich an.
Glotzen Spinnen wirklich? Ich hab noch nicht mal ihre Augen gesehen:shy:.

An manchen Tagen sprach ich höchstens drei Sätze.
Vielleicht ist das entbehrlich, denn so recht vorstellen kann ich mir das nicht. Auch wenn Monika kein Plappermaul ist, wird sie doch von den anderen angesprochen?

Ich wiederum lernte barfuß laufen, ...
Radfahren kann man lernen; beim barfüßigen Laufen würde ich eher sagen, dass man sich daran gewöhnen kann.


Besonders schön fand ich:

... Bruchstücke von einem Stall oder einem Gatter. Eine Ziege hatte sich darin verfangen.

... als ich sie nach dem ausgeflogenen Kuckuck gefragt hatte.

Und trotzdem bekam ich allmählich runde Backen und braune Waden.

Seine Stimme klang hoch und dünn, in seinem Hals kletterte etwas rauf und runter, als ob er einen kleinen Apfel verschluckt hätte.

Voilà, meine Teure: Das Werk einer reifen Dame, das wunderbar ohne irgendwelche Mätzchen auskommt. Mir hat es sehr gefallen.

José
PS: Du liebes Himmelreich, das hab ich doch glatt vergessen zu loben, zum Höllental:
Die geschickt eingebrachte Mehrdeutig des Themas. Hut ab!

 

Liebe Willi,

nachwirkende Geschichten, ja das ist ein Ziel, das man als Autor erreichen möchte. Ich danke dir dafür, dass du mir dies mit meinem Text zuschreibst.

Das Verhältnis von "show" zu "tell" ist ja von großer Bedeutung für Kurzgeschichten. Ich muss gestehen, dass ich (immer noch) gerne beschreibe, nicht nur zeige. Das muss man auch ausprobieren. So ganz blindlings braucht man, glaube ich, den Ratgebern nicht zu folgen.

In meinem Text ist der erste Teil ohnehin sehr ausführlich im Verhältnis zum zweiten. Es ist auch ein Grundproblem, auf das Peeperkorn hingewiesen hat.

Nochmals herzlichen Dank für dein dickes Lob.

Freundliche Grüße
wieselmaus

Hallo Fugusan,

du kennst natürlich Himmelreich und Höllental, könntest eventuell sogar die Bauernhöfe identifizieren, deren Namen ich sinngemäß modifiziert habe. Es gibt sie heute noch, sogar in Generationenbesitz, aber sonst ist das Leben dort heute total anders. Viel Tourismus, "Wohlfühlbauernhof" ...

Du hast mir einen guten Hinweis gegeben auf die Mückenstiche. Recht hast du. In der Rheinebene kenne ich Wirtshäuser, die "Schnoogeloch" heißen, das kommt nicht von ungefähr.
Meine Prota lernt jetzt also, Bienenstiche auszuhalten. Das ist wirklich naheliegend. Bei mir sind Bienenstiche allerdings ganz eng verknüpft mit Allergien, eine Geschichte von mir heißt sogar "Nur ein Bienenstich". Dieses Fass wollte ich aber nicht auch noch aufmachen.

Wo Himmel ist und wo Hölle, ja, da handelt es sich um ein philosophisches Schwergewicht, und mir hat sehr gut gefallen, was du darüber ausführst.

Danke für dein Interesse, es freut mich immer, von dir zu lesen.

Herzlichst
wieselmaus

Hallo ThomasQu,

lange nichts mehr von dir gelesen. Deshalb freue ich mich sehr, dass du den Weg zu dieser Geschichte gefunden hast und sie über den grünen Klee lobst.

... eine sehr schöne, ergreifende, gekonnt geschriebene Geschichte!

Deine kleinen Korrekturen übernehme ich gerne, vor allem die Speickseife, ich habe erst beim Googeln gemerkt, dass der Markenname mit "ck" geschrieben wird. Als Seife ist sie mir in guter Erinnerung.

Nachttopf und Beule. Der Hafen war aus emailliertem Blech, also nicht zerbrechlich ...

Toll, was aufmerksame Leser so alles finden, das gefällt mir sehr hier im Forum.

Danke für dein Wohlwollen und herzliche Grüße
wieselmaus

 

Liebe wieselmaus

Und das, obwohl ich mir erlaube,
längere Beschreibungen einfließen zu lassen ... und diese gelingen ausnahmslos.

Das hat mich etwas stutzig gemacht.

Das Verhältnis von "show" zu "tell" ist ja von großer Bedeutung für Kurzgeschichten. Ich muss gestehen, dass ich (immer noch) gerne beschreibe, nicht nur zeige.

Aber aufgrund dieser Aussage konnte ich das besser einordnen.

Für mich gehören Beschreibungen durchaus zum "Show". Mit einer Beschreibung, sagen wir, der Holzkiste, zeigst du ja einerseits die Sorgfalt, mit der Monika die Dinge begutachtet und du zeigst gleichzeitig, dass da schon mal ein Kind mit diesen Dingen gespielt hat. Tell wäre, wenn du einfach schreiben würdest: Ich spielte mit Spielsachen, die einer Marianne gehört hatten. Mir hat die Geschichte nicht gefallen, obwohl du viel beschreibst, sondern weil du viel beschreibst und dadurch sehr viel von der Welt auf diesem Hof zeigst.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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