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Ich bin der Käferkönig

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22.10.2011
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Ich bin der Käferkönig

Erst war es nur die Zeichnung auf der Sprühflasche, die mir auffiel: Ein gigantischer, roter Totenkopf fraß ein Käferchen. Ich fand das ungerecht.
Und meine Mutter natürlich, die war eine Schau, wenn sie nach der Flasche griff. Sie verwandelte sich in eine Walze, ja, eine echt gefährliche Mutterwalze, die quer durch das Haus stampfte und Käfer vergaste. Sie merkte nicht einmal, dass ich hinter ihr herschlich. Die ersten Male interessierte mich nur das Gezappel der Käfer, weil sie so lustig mit den Beinchen winkten. Einmal wollte ich sie zu einer Strampelkette binden und die meiner Schwester umhängen. Aber genau da, als ich einen der Käfer hochhob, entdeckte ich seine Augen.
In einem Buch habe ich gelesen, ein Käferauge sehe aus wie Glasbausteine. Das ist Quatsch. Ganz tief drin, man muss nur genau schauen, da ist so ein Punkt. Wie ein winziger Schacht, der immer enger wird, und ins Innere des Käfers führt. Dieser Punkt ist das Käferauge.
Mich erinnerte der Punkt an die Augen von Fred, meinem Bruder. Da mochte ich es nicht mehr, wenn die Käfer auf dem Boden zappelten, bis sie starben.

„Theo!“ Ich drehte mich um. Die Stimme meiner Mutter klang, als hätte ich ihr was Glibbriges in den Kaffee geschüttet. „Lass die Küchenschaben liegen. Das ist widerwärtig.“
„Ich tu sie nur raus, Mama.“ Ich hielt den Käfer hoch und lachte. Ganz laut und prustend, als kitzelte einen jemand wie wild. Halt einfach Freds Lachen. Zum Glück klappte es, Mama haute ab und übersah die Schachtel hinter meinem Rücken. Meinen Käferkrankenwagen. Wenn sie den entdeckt hätte, ohje, das Gekeife wäre endlos, was ich für ein Kind bin, von wem ich sowas hätte, von ihr jedenfalls nicht.
Beim Hinausgehen hörte ich noch: „Und sag nicht immer Mama zu mir, Katharina sollst du sagen. Ist das denn so schwer zu merken?“
Ja, das war es, aber das wiederum konnte Mama sich nicht merken.
Der Käfer in meiner Hand zappelte. Falls Käfer ihre Mütter kennen, dachte ich, dürfen sie bestimmt Mama sagen. Ich ließ die Tür ein bisschen zu fest zufallen und tat, als liefe ich in den Garten. Kurz vor der Haustür huschte ich zweimal nach links, drehte mich um die eigene Achse und murmelte den Findespruch: „Links, links, rundherum.“ Zwei spitze i, zwei runde u. Klare, gute Wörter. Immer, wenn ich das genau so machte, fand ich Freds Zimmer. Diesen Raum verpestete Mama nie. Früher, vor den Käfern, war sie jeden Tag hier gewesen, doch jetzt hatte sie ihn vergessen.
Kein Wunder in einem Haus, das ständig seine Wände verschob. Vor einem Jahr, kurz nachdem Fred gestorben war, hatte ich mir deswegen oft in die Hose gemacht, denn jedes Mal, wenn ich zum Klo wollte, erhob sich vor mir eine neue Mauer. Meine Schwester behauptete, ich würde lügen, und nannte mich Pisshorst. Sogar in der Schule. Aber es war wirklich so. Wie in dem Labyrinth auf dem Jahrmarkt von Mehrendorf, wo ich mit meiner Klasse war. Da mussten mich die Besitzer rausholen, weil ich als einziges Kind nicht hinausfand. Meine Lehrerin schämte sich, weil ich so blöd bin, aber ich kann nichts dafür. Ich kann super Kopfrechnen, aber gegen Wände habe ich keine Chance. Und in die Schule geh ich seit zwei Monaten sowieso nicht mehr.

Das Bett in Freds Zimmer war immer noch bezogen mit Eintrachtbettwäsche. Am Bettgalgen hing Kumpel, das Stoffskelett. So hatte Fred es getauft. Eigentlich sah alles aus wie früher.
Ich setzte mich auf den Boden, breitete ein Tuch über meine Beine und setzte den Käfer darauf. Er sah platt aus, irgendwie gequetscht. Dann öffnete ich die Schachtel. Ich legte die zuckenden Käfer nebeneinander, fuhr mit einem feuchten Taschentuch über die Panzer und entfernte jedes Stäubchen. Das mochten sie. Einmal hatte ich dafür Zeugs aus einer Flasche von meiner Mutter geklaut, Davidoff stand darauf. Eigentlich wollte ich, dass die Käfer meiner Mutter ein bisschen verzeihen, aber den Davidoffkram mochten sie gar nicht.
Die Käfer torkelten über meine Beine, erst langsam, dann wurden sie emsiger und schneller, huschten in dunkle Ecken und verschwanden schließlich unter einer Fußleiste. Nur der flache Käfer blieb liegen.
Manchmal, wenn ich sitzen blieb, als wäre ich tot, kehrten sie zurück. Sie tasteten sich auf meine Beine, wurden mutiger und tanzten hoch zu meinem Gesicht, kitzelten und ziepten; manchmal tat es sogar weh. Aber das machte mir nichts.
Ich holte ein Wurstpäckchen aus der Hosentasche und eine Puppenflasche Bier und verteilte alles in zwei Schälchen. Wenn die Schaben Hunger bekamen, konnten sie essen und Bier beruhigt nach einer Aufregung, das sagte mein Vater auch immer, wenn er nach der Arbeit nach Hause kam. Vielleicht wollten sie auch ein wenig an ihrem toten Schabenbruder naschen.
Dann lehnte ich mich zurück und dachte an die Augen der Käfer - und an Fred. Die Erwachsenen sagen, ich wäre bei ihm gewesen, als er starb, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Nur noch, dass ich meine Mutter rief, weil der Fred komisch aussah. Sie führte einen Affentanz auf, dann kam der Krankenwagen. Aber es nützte nichts mehr. Ich hätte ihnen das gleich sagen können, denn in den Augen von Fred lag Schmerz. Schon lang. Ich weiß nicht, was der Fred hatte und warum jeden Tag Pfleger kamen, irgendwas haben sie mir erklärt, aber schlechte Wörter merke ich mir nicht. Und das, was der Fred hatte, war ein sehr schlechtes Wort.
Ich nahm Kumpel auf meine Knie. „L“ sagte ich, „Leuk“, ich drückte Kumpel ganz fest, doch das verfluchte Wort wollte einfach nicht weg von mir. Irgendwann lag auf meinem Schoß eine klumpige Stoffhülle, eklige, gelbe Flocken bedeckten mein Shirt. Ich sprang auf und drosch das Wort gegen die Wände. Mindestens zweimal für jeden Buchstaben, egal, wie weh das tat, und noch einmal dazu. Für Kumpel. So fest ich konnte. Die Schläge klangen satt, dunkel. Nur an der Wand, unter der die Schaben verschwunden waren, mischte sich ein Ping in den Ton, ganz fein, aber ich hörte es. Ping. Ich riss an der Tapete, schabte und kratzte, zum Vorschein kam Holz. Ich holte einen Hammer und eine Lampe, schlug ein Loch und spähte hinein. Vor mir lag ein Hohlraum voller lichttanzender Flusen und huschender Schatten. Und voller Rohre. Bestimmt führten sie durch das Haus, verbanden die Räume, vielleicht die ganze Stadt. Ich erweiterte die Öffnung und schlüpfte vorsichtig an ein paar scharfen Zacken vorbei in das Innere. Ich legte meinen Kopf an eines der Rohre. Gut fühlte sich das an, ganz warm, tausend trippelnde Beinchen knisterten hinter dem Metall. Waren das die Käfer, die ich vor meiner Mutter gerettet hatte? Ich blieb still und lauschte. Und dann erzählten die Käfer. Von damals. Und von Fred.

Später klaute ich eine Decke und befestigte sie vor meiner Haushöhle. „Du bist mein Versteck“, sagte ich. „Nein, du bist unser Versteck. Meins und das von Fred.“

*

Im Garten stand meine Mutter, sie unterhielt sich mit meiner Tante. Ich mochte die Tante, sie trug immer bunte, weite Röcke, in die man sein Gesicht vergraben konnte.
Ich ging zu den beiden hin, um ein wenig Unterhaltung zu haben. Außerdem hatte ich den Namen Fred gehört. Ich zupfte meine Tante am Rock und sagte: „Der ist doch hin, der Fred. Schon lang.“ Die Lippen meiner Tante schürzten sich zu einem erschrockenen, kleinen Zelt, sie fasste nach dem Arm meiner Mutter. Die schloss die Augen, öffnete sie wieder, schlug mir ins Gesicht und rannte weg.
Ich musste lachen, weil mein Kopf so wackelte.
Die Tante fasste nach meiner Hand, setzte sich aufs Gras und zog mich zu sich herunter. Einfach so. „Komm mal“, sagte sie. Ich schmiegte mich mit dem Rücken an ihren warmen Bauch.
„So kannst du das nicht sagen, Theo. Man sagt, er ist tot.“
„Aber ich mag das Wort nicht. Außerdem sagt die Mama auch immer, der ist hin, wenn ein Käfer stirbt, und dann lacht sie sogar, dabei mag ich die Käfer.“
Hinter mir kollerte es wie von einem Vogel, ich drehte mich um, aber es war nur die Tante.
„Glaubst du, ich bin schuld an Freds Tod?“
„Natürlich nicht, wie kommst du denn auf sowas?“
„Die Mama denkt das. Seit der Fred hin ist … “,
„Tot.“
„Jedenfalls guckt sie mich gar nicht mehr lieb an.“
„Das stimmt nicht. Die Mama hat dich sehr lieb. Du erinnerst sie nur an Fred. Und das macht sie traurig. Schuld warst du an gar nichts. Du warst einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Und jetzt kann die Mama das nicht vergessen. Irgendwann wird das wieder.“
„Aber wenn ich zur falschen Zeit am falschen Ort war, dann war ich doch richtig.“
„Kindskopf.“
Sie strich mir über die Haare, mit der anderen Hand zupfte sie am Saum ihres Rocks. „Theo“ sagte sie und noch einmal „Theo“, dann schwieg sie kurz, und setzte erneut an. Wie Erwachsene das tun, wenn sie unbedingt was wissen wollen. Sie pumpen dann; wie meine Käfer. Während die Tante also pumpte, zählte ich die Fleckchen auf ihrem Arm. Als ich bei dreiundzwanzig war, schaffte sie es.
„Warum hast du eigentlich deine Lehrerin gehauen? Du mochtest sie doch.“
„Ja.“
„Warum dann? Du warst doch toll in der Schule. Haben die Kinder dich geärgert?“
„Das ist ein Geheimnis.“
„Oh. Ein Geheimnis. Das kann man natürlich nicht verraten.“
„Nein.“
„Kann man das auch kleinen Katzen nicht verraten?“
„Kleinen Katzen?“
„Ja. Ich hab eine dabei. Die hört gern Geheimnisse. Und sie kann nichts weitererzählen.“

Auf dem Rücksitz stand ein Korb mit einem rotweißkarierten Tuch. Wie ein Picknickkorb, nur steckte darin statt fiesem Krümel-Ei ein Kätzchen. Gerade, als es mich anschaute, fiel ein Lichtstrahl auf sein braun gepunktetes Fell. Es hatte keinen Schwanz, nur einen Stumpf.
„Was hat die Katze gemacht?“
„Sie hatte einen Unfall. Und jetzt hat sie kein Zuhause mehr.“
„Arme Katze, komm her.“ Ich nahm sie auf den Arm, kitzelte sie mit den Fingern unter dem Köpfchen und schnalzte mit der Zunge. Wenn man das ganz zart macht, als wollte man Kekse am Gaumen ankleben, werden die Tiere ruhig. Ich streichelte die Katze, bis ihre Haare knisterten, ihr Köpfchen vor und zurückruckte und sie sich an meine Finger schmiegte.
„Magst du ihr erzählen, wie das in der Schule war?“
„Das ist aber nur für die Katze.“
„Klar.“
„Ich hab keinen Bock auf Müllrechnen.“
„Müllrechnen?“ Die Stimme klang nach Tante, die einen auf Katze machte. Aber egal.
„Ja, Müllrechnen ist scheiße. 94 geteilt durch drei ist 31. Bleibt eins Rest. Reste sind scheiße.“
„Wieso denn?“
„Die werden weggeschüttet.“
„Aber …“
„Wir zum Beispiel sind mit dir fünf, seit der Fred weg ist. Fünf geteilt durch zwei bleibt eins Rest. Das bin ich.“
Meine Tante schwieg. Ich glaube, sie verstand, dass man da nicht mehr in die Schule gehen konnte, auch wenn man vorher das Kopfrechnenkind war.
„Hmm“, die Tante beugte sich zu mir herunter und zog ihre Nase kraus. „Ich glaube“, sagte sie, „deine Lehrerin hat was vergessen. Das Müllrechnen, das heißt eigentlich Division. Und die wichtigste Division ist immer die durch sich selbst. Mach mal.“
„Du meinst bei uns? Fünf durch fünf?“
„Ja.“
„Das gibt eins.“
„Ganz genau. Das gibt immer eins, egal, welche Zahl du nimmst. Eins ist die allerwichtigste Zahl von allen. Eins heißt nämlich eine Portion Glück. Und du bist eine besonders süße Portion Glück.“
Der Katze gefiel das, so sehr schmiegte sie sich an meine Brust.

Über Mutters Augen klaffte eine tiefe, waagrechte Falte. Sie sah mich nicht an, sondern sprach nur zu meiner Tante. „Das war also deine gute Idee? Und was sollen wir jetzt damit?“ Die Katze auf meinem Arm wurde unruhig. Vielleicht wollte sie nicht „Damit“ heißen?
„Lass ihn doch, Liebes. Wenn es nicht klappt, hol ich die Katze wieder. Ich hätte sie sowieso aus dem Tierheim mitgenommen.“
„Aber so ein hässliches Vieh.“
„Mama, sie kann dich doch hören.“ Die Katze miaute und strampelte, hieb ihre Krallen tief in meinen Arm, dass es blutete, sprang auf den Boden und witschte zwischen den Beinen meiner Mutter hindurch.
„Siehst du, da geht es schon los.“ Mutter packte mich an der Hand. „Sie ist viel zu klein, da darf man nicht so zulangen.“
Sie tat, als läge ihr an der Katze, aber ihre Stimme klang scharf, so scharf, als wollte sie damit etwas abschneiden.
„Schon gut Mama, ich kümmere mich um die Katze. Bestimmt.“
Und schon rannte ich der Katze hinterher. Mutter mochte einfach keine hässlichen und kaputten Dinge. Die waren wie Reste. Sogar den Lieblingsbierkrug von meinem Vater hatte sie weggeworfen; bloß wegen ein paar Macken.

Am Nachmittag hatte ich die Katze unter meinem Bett hervorgelockt, sie Rudi getauft, sie gefüttert und mit einem Papierball durch das Haus gelockt. Ganz schön schwer war das, aber irgendwann folgte sie mir überall hin. Sogar in Freds Zimmer.
„Rudi, das darfst du nicht“, sagte ich, als die Katze einen lahmen Käfer quer durch den Raum schleuderte. Lustig sah das aus. Aber ich mochte es trotzdem nicht, denn der Käfer war ja noch krank.
„Nein!“, sagte ich, als die Katze einen Buckel machte. Sie zuckte zusammen. Sanfter fuhr ich fort: „Der Käfer ist doch kein Papierball, der ist dein Bruder. Du musst ihn lieben.“
Ich hob den Käfer auf und setzte ihn neben die Fußleiste, da konnte er sich in das Röhrengewirr retten. Die Katze folgte mir. Sie sah mich an, blickte auf den Boden, und bevor ich reagieren konnte, vergrub sie die Zähne in den reglosen Käfer und schüttelte ihn hin und her.
Ich schnappte die Katze, hielt sie fest, so sehr sie auch kratzte und biss, und hebelte ihr den Käfer aus dem Maul. Endlich ließ sie ihn los, aber ihr Gesicht sah jetzt ein bisschen schief aus. „Das darf man nicht, Rudi“, sagte ich, und fuhr über die blutigen Striemen auf meiner Hand, „das musst du dir merken. Hier wohnen die Käfer.“ Die Katze röchelte, dann wurde sie still. Ich weinte, denn der Käfer würde keinen Mucks mehr tun.

*

Ich hatte mich unter den Tisch im Esszimmer geschlichen. Dort konnte ich bei den anderen sein, ohne dass die mich sahen oder fühlten.
Unter dem Tisch waren die Menschen anders. Manchmal blitzte Haut zwischen den Strümpfen und der Hose. Bei Männern waren Haare dran. Manchmal wollte ich gern in das Hautstückchen beißen und die Haare auf der Zunge spüren.
Wenn Mama das Rasieren vergessen hatte, bedeckte Kükenflaum ihre Beine, das sah hübsch aus.
Die Stimmen der Erwachsenen klangen gedämpft.
„Ich habe die Katze gefunden.“
„Hmmm.“ Das war mein Vater.
„Sie ist tot.“
Ein Zischen, wie wenn jemand scharf einatmete. Ich mochte das nicht, danach geschah immer was Schlimmes.
„Was ist passiert?“
„Theo. Dieses Kind zerstört alles, was es in die Finger kriegt. Er ist krank.“ Ich hörte ein Glucksen, wusste nicht, ob meine Mutter lachte oder weinte.
„Ich habe einen Freak geboren.“
„Freak“, ich dachte das Wort vor mich hin. Es hatte ein i, ein schön langes, rolliges i, trotzdem klang es hässlich.
„Du weißt doch gar nicht, wie das genau war. Und Freds Tod, das muss er auch erst mal verarbeiten.“
„Verarbeiten. Es gruselt mich, wenn ich ihn sehe. Er sieht Fred so ähnlich, er lacht sogar wie er. Und gleichzeitig ist er völlig anders. Alles macht er kaputt mit seinen großen, schweren Händen und seinen Wutanfällen. Wer weiß, was er gemacht hat, als er in Freds Zimmer war.“
„Hör auf. Er ist ein Kind.“
„Ein Kind.“ Sie schnaubte. „Ein Kind, das Katzen das Genick bricht.“
Dann schwiegen sie. Man hörte nichts, noch nicht mal ein Schlürfen oder das Rücken einer Schüssel. Als ob selbst das Essen nachdachte.
„Er muss aus dem Haus. Ich kann ihn nicht mehr ertragen. Oder ich geh. Wenigstens ein paar Tage.“
Mein Vater schwieg. Nach einer schier endlosen Pause sagte er: „Was hast du mit der Katze gemacht?“
„Weggeworfen.“

*

„Was ist ein Freak, Mama?“
Ich fasste meine Mutter an der Hand. Vorsichtig, damit sie sich nicht erschreckte. Sie schüttelte mich ab, dann beugte sie sich zu mir herunter, als wollte sie ihre Reaktion zurücknehmen.
„Was?“
„Ich habe euch gehört, den Papa und dich. Du hast gesagt, ich bin ein Freak.“
Die Augen meiner Mutter irrten zwischen mir und der Wand hin und her. Ein richtiger Augentanz war das, als müsste sie über die Antwort nachdenken, dabei wusste sie bestimmt ganz genau, was ein Freak war.
„Ich will hier bleiben.“ Immer noch irrten die Augen meiner Mutter zwischen mir und dem Bild hin und her. Ich drehte mich um, aber da war nur ein altes, blödes Familienbild.
„Mama, warum willst du mich fort haben?“
„Man überlegt sich mal was unter Erwachsenen. Woher weißt du das überhaupt?“
„Ich kann nicht fort. Wenn ich weg bin, tötest du die Käfer.“
„Mein Gott“, meine Mutter atmet scharf ein, „schon wieder. Das ist Ungeziefer, widerliches Ungeziefer. Du sollst die Viecher nicht anfassen, nicht mit ihnen spielen, gar nichts. Wenn du weg bist, kommt der Kammerjäger, der räuchert sie endlich aus.“
„Warum Mama? Weil sie hässlich sind?“
„Ja, und ungesund.“
„Bin ich auch ungesund?“
„Natürlich nicht.
„Du hast aber gesagt, ich wär krank. Das ist dasselbe wie ungesund.“
„Jetzt hör auf. Dein Vater und ich wollen dir nur helfen.“
„Aber ich will nicht weg.“
„Das sehen wir dann.“
Um uns herum war es ruhig.
„Hast du den Fred auch ausgeräuchert, weil er ungesund war?“ Meine Mama wurde starr. Wieder griff ich nach ihrer Hand. Dieses Mal ließ sie es geschehen. „Mama, du musst sie nur kennen lernen.“
„Was?“
„Komm, sie wissen alles über Fred.“
Ich zog meine Mutter hinter mir her. Zweimal links, einmal rundherum. Ganz leicht ging das. Jemand hatte Stoffbällchen in die Kleider meiner Mutter gesteckt und nun war sie eine Schlenkerpuppe.
Vor der Tür scheute sie zurück, doch dann folgte sie.
„Du weiß doch, dass dieser Raum tabu ist?“
„Aber hier kann man sich an Fred erinnern.“
„Ja. Hier lag er die letzten zwei Jahre.“ Die Stimme meiner Mutter war weich. „Bis dann auf einmal alles vorbei war.“
Sie schaute mich an, Verwunderung lag in ihrem Blick und etwas Komisches, etwas, das ich am liebsten an eine Wand geklopft hätte.
„Hier wohnen jetzt die Käfer“, sagte ich schnell.
„Was redest du? Käfer?“
„Ich zeigs dir Mama, sie sind nicht schlimm, du musst sie nur kennen lernen. Sie wissen alles von Fred.“
Mutter schob mich zur Seite. Dann entdeckte sie den Vorhang. „Was hast du gemacht? Schon wieder so ein Unsinn.“
„Das ist kein Unsinn, das ist ein Versteck. Meines und das von den Käfern. Da drin kann man alles hören, die Geräusche im Haus und das Wasser und Stimmen. Und Fred. Ich muss nur den Käfern sagen, dass sie von ihm erzählen. Das machen sie bestimmt, ich bin nämlich der Käferkönig. Ich kann es ihnen befehlen. Kletter rein, bitte, du wirst merken, wie schön das ist.“
Ich schob sie auf den Vorhang zu, meine Mutter ließ sich von mir nach vorne schieben, sie duckte sich sogar, als sie zu dem Vorhang kam. Ich hob ihn hoch, doch plötzlich, mit einem Ruck, zerrte sie die Decke herunter, dass die Nägel, mit denen sie angebracht war, aus der Wand sprangen.
„Was soll der Mist?“
„Das darf man nicht, es muss dunkel sein.“ Mein Atem tat weh, wie wenn ich ganz schnell renne und mir schwarz vor Augen wird. „Mama, guck doch. Nur einmal!“ Ich stieß sie vorwärts. Wenn sie erst im Versteck war, hörte sie die Käfer, und dann würde alles gut werden. Ich stieß noch einmal. Es knackte. Mama war gegen einen Holzzacken geprallt, dann gegen ein Rohr, noch einmal knackte es, aber ich sah nur ein kleines bisschen Blut.
„Das ist gleich wieder vorbei, Mama, du musst nur singen. Heile, heile Mausespeck, in hundert Jahrn ist alles weg. Dann tut's nicht mehr weh.“
Ich stieß sie vollends hinein in die Höhle. Als ich die Decke wieder anbrachte, regte sie sich und schnaufte, aber dann war sie ruhig. „Mama“, sagte ich, „ich bin froh, dass es dir gefällt. Du musst nur warten. Ekel dich nicht, wenn die Käfer kommen. Du wirst sehen, das kitzelt ganz wunderschön.“

*

Ich saß wieder unter dem Tisch. Die Schuhe meines Vaters waren ungeputzt. Links von ihm flegelten die Flipflops meiner Schwester. Und dann Hosenbeine. Erst verstand ich gar nicht, wer das war, aber dann redeten die Hosenbeine und gehörten meiner Tante. Ihre Stimme klang langsamer als sonst. „Was sagt die Polizei?“
„Sie sagen, sie gehen der Sache nach, zwei Tage ist sie jetzt weg.“
„Vielleicht wollte sie wirklich nur mal raus.“
„Aber sie hat mir nichts hier gelassen, keinen Brief, nichts.“ Die Stimme meines Vaters wurde leise. „Ich habe Angst um sie, sie war so depressiv.“
Depressiv. Zu viele Es. Ich fand, meiner Mutter ging es gut. Vorhin erst hatte ich sie gesehen. Da lag sie in Freds Versteck. Ihr Kopf schmiegte sich an eines der Rohre. Ich schmiegte mich daneben, lauschte und ließ mich trösten durch das Getrippel Tausender kleiner, harter Leiber. An dem Mund meiner Mama saß ein Käfer. Vielleicht schenkte sie ihm ihre Spucke. Oder er erzählte ihr von Fred.

 

Hallo Novak,

mir schnürt es die Kehle zu. Da brauch ich erst mal ein paar Tage, um diese Geschichte zu verarbeiten.
Auf jeden Fall super geschrieben und mit sehr großer Sensibilität für die Figuren. Ein Wahnsinnstext, der möglicherweise auch den Tag 'Horror' verdient hätte.

Liebe Grüße und später mehr.
barnhelm

 
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Liebe Novak

Ich hab's gewusst. Gleich zu Anfang hab ich gewusst, dass du den Tag Horror "vergessen" hast. Ich wollte die Geschichte in aller Ruhe während des Frühstücks lesen, hatte Spaß an den kindlichen Beobachtungen eines mathematisch versierten kleinen Naturforschers. Aber da war doch was. Ein Kind, das seine Empathie nicht so sehr auf Menschen richtet, sondern auf Kakerlaken. Ausgerechnet auf Kakerlaken. Heißt es nicht von denen, die überleben auch eine nukleare Katastrophe?

Ein ahnungsloser Vater, eine verstörte Mutter, die eines ihrer Kinder als "Freak" bezeichnet, eine Tante, die mit einer gut gemeinten, durchaus sympathischen Helferaktion die Katastrophe erst so richtig befeuert, das sind Ingredienzien für eine wahre Horrorgeschichte, die praktisch ohne Splatter auskommt.

Das ist für mich, liebe Novak, dein Markenzeichen. Großartig der Spannungaufbau, großartig das Einfühlungsvermögen in Sprache und Psyche dieses kleinen Monsters, dem es ja nicht an Empathie überhaupt mangelt, sondern nur an der humanen Variante. Da kommt man mit den Kategorien gut und böse nicht mehr sehr weit. Oh je! Ist das ein Fingerzeig in die menschliche Zukunft?

Ich bin total beeindruckt. Sprachliche Kritik kann ich überhaupt nicht äußern, bei der inhaltlichen Wucht des Textes.

Herzliche Grüße
wieselmaus, der das Brot im Hals stecken blieb.

 
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Liebe barnhelm

vielen Dank für deinen ersten Leseeindruck. Mir geht es natürlich wie jedem, der hier was postet, ich bin saugespannt, wie so ein Text ankommt. Und da hat dein spontaner Eindruck mich natürlich sehr erleichtert.
Ich glaub, ich hefte dann doch mal den Horror-Tag dran, Bea schreibst das ja auch. Ist vielleicht besser, dann können die Leute, die sich vor Horror grausen, einen Bogen um den Text machen. Vielen Dank fürs Lesen und Lob da lassen. Bis dann.
Novak


Liebe Bea Milana
Dankeschön für deinen Besuch, zum Glück hast du dir doch ein bisschen Zeit genommen.

Ich guck mal nach den Details:

„Links, links, rundherum.“ Zwei spitze i, ein rundes u.
Ich sehe zwei u.
Ist schon verbessert.

Am Bettgalgen hing Kumpel, das Stoffskelett. So hatte Fred es getauft.
"So hatte Fred es getauft." Kann man erklären, muss man aber nicht. Fand ich überflüssig.
Echt? Ich war mir nicht sicher. Ich gucke noch mal, ob noch jemand das sagt, aber ich denk fast, du hast Recht, ist ja Freds Zimmer, da dürfte auch Fred die Namen für die Stoffviecher gegeben haben.

Ich setzte mich auf den Boden, breitete ein Tuch über meine Beine und setzte den Käfer darauf. Er sah platt aus, irgendwie gequetscht. Dann öffnete ich die Schachtel. Ich legte die zuckenden Käfer nebeneinander, fuhr mit einem feuchten Taschentuch über die Panzer und entfernte jedes Stäubchen.
Irgendetwas ist mit der Anzahl der Käfer verrutscht. Und spätestens hier hätte ich gerne gewusst, was für eine Art Käfer das sind, nicht unbedingt die Rasse, aber zumindest ihr Aussehen. Weiter oben hast du das mit den Augen so schön gemacht. Käfer ist mir zu allgemein. Überhaupt finde ich sein Käferuniversum höchst interessant. Es bietet sich ja als Parallelwelt geradezu an. Da empfände ich die ein oder andere Info mehr als Bereicherung.
Er hält einen in der Hand. Den, den er hoch gehalten hatte. Den legt er auf das Tuch. Die anderen Käfer sind im Käferkrankenwagen. Die holt er heraus und legt sie neben den platten Käfer. Deren Beine zucken noch, weil sie ja auch noch am Leben sind. Steht das nicht so im Text? Ich hoffe jedenfalls, dass es das tut und prüfe es nochmal nach.

Die Mutter hat doch schon vorher gesagt, dass es Küchenschaben sind.
Du meinst, da braucht es noch mehr an Info? Ich kann die Mutter auch Kakerlaken sagen lassen statt Küchenschaben. Falls du meinst, das ist eher bekannt.
Ich kann natürlich auch die Käfer ein bisschen beschreiben, während er ihre Panzer putzt sozusagen. Das wäre möglich. Aber ich weiß nicht, eigentlich finde ich die direkt Info der Mutter Küchenschaben oder Kakerlaken doch ganz direkt und passend. Ich finde, da weiß man doch, was das für Käfer sind. Ich hoffe gerade, du hast den Mutterhinweis mit den Küchenschaben nur überlesen.

Hinter mir kollerte es wie von einem Vogel, ich drehte mich um, aber es war nur die Tante.
Aber die Tante zog ihn doch gerade zu sich herunter, wie kann sie dann nach drei Sätzen hinter ihm stehen?
Ja, sie zog ihn herunter auf ihren Schoß vor sich, er schmiegt sich an ihren Bauch. Das heißt, sie sitzt hinter ihm. Die stehen also nicht, aber auch beim Sitzen kann ja jemand hinter einem sein. Ich gucke aber auch hier noch mal nach, ob es zu missverständlich ist.

Sie pumpen dann; wie meine Käfer.
Das Semikolon finde ich hier unglücklich gesetzt, warum nicht ein schlichtes Komma. (Ist aber Geschmackssache.)
Nee, ich hab ja selbst gehadert und hatte zwar meine Gründe für das Semikolon, aber es kann auch weg. Danke für den Hinweis, hast mich bestärkt.

statt fiesem Krümel-Ei
hört sich irgendwie authentisch an, aber ich habe keine Ahnung, was das sein könnte
(macht aber nix).
:D
Ganz hart gekochtes Ei, das immer vom Brot runterkrümelt.


Ich glaube, sie verstand, dass man da nicht mehr in die Schule gehen konnte, auch wenn man vorher das Kopfrechenkind war.
Hm. Ich glaub, ich würde statt "man" besser "ich" schreiben
Da bin ich leidenschaftslos. Weiß ich selbst nicht, warum ich "man" gewählt hatte. Irgendeinen Grund gab es sicher. Also das guck ich mir noch mal an.

Bist du sicher? Soweit ich mich erinnern kann, landet so ein Käfer schwups auf der Zunge und wird geschluckt. Der Käfer besteht ja nicht aus Fleisch, in das sich die Hauerchen der Katze "eingraben" oder ist das mittlerweile so ein Kafka-Käfer, also richtig groß? Oder nur sein "spezieller Blick"? Nach meinen Beobachtungen werden Insekten mit den Krallen gefangen und dann hin und her geschüttelt.
Der Käfer ist ja eine Kakerlake und die können schon recht groß sein. Es stimmt schon, dass Katzen erst mit ihrem Futter spielen. Hier hat sie das ja auch gemacht, nämlich den Käfer mit der Pfote durch die Gegend geschubst. Irgendwann beißen Katzen auch mal mit den Zähnen zu. Und dann schütteln sie ihre Beute immer so. Und hier dachte ich, ist das ja eine kleine Katze, die am Üben ist und schon ein wenig durcheinander, weil Theo ja recht heftig zu ihr spricht.
Das Verhalten der Katze habe ich jedenfalls so in Erinnerung, hatte früher als Kind und junge Frau immer Katzen.

Hervorragend fand ich, wie sich der anfangs sympathische Junge nach und nach zum fiesen, kafkaesken Irren entwickelt, das hätte ich ihm anfangs gar nicht zugetraut. Auch die anderen Familienmitglieder sind dir authentisch (und so herrlich brav) gelungen. Die einzige, die ihren Sohn kennt, ist die Mutter, der man natürlich nicht glaubt. und daher am Ende selbst dran glauben muss.
Der Junge wollte doch nur spielen, Bea. :D
Und die Mutter ist, finde ich, nicht ohne.

Sehr schöne skurile Geschichte, die einen besonderen Sog entwickelt.
Besten Dank fürs Lesen und das genaue Auge.

Lieben Gruß an dich
Novak

Nachträgliches Edit: Liebe Bea, zu dieser "man" - Frage hat wieselmaus meine offensichtlich recht unbvewussten Entscheidungen besser erklären können als ich das tat. :D

 

Liebe wieselmaus

Ich hab's gewusst. Gleich zu Anfang hab ich gewusst, dass du den Tag Horror "vergessen" hast.
Ohje, jetzt ist es Zeit, spätestens jetzt muss ich mal die Horrorfahne dranhängen. Ich fand die Geschichte irgendwie sanfter als sonst. Da hab ich mich nicht getraut. Aber ihr sagt das alle drei. Und jetzt hab ich dir und barnhelm schon das Frühstück versaut. Und weißt du was, irgendwie freut mich das. :baddevil:

Aber da war doch was. Ein Kind, das seine Empathie nicht so sehr auf Menschen richtet, sondern auf Kakerlaken. Ausgerechnet auf Kakerlaken. Heißt es nicht von denen, die überleben auch eine nukleare Katastrophe?
Gottseidank, du hast es gemerkt, dass es Kakerlaken sind. Ich war nach Beas Beitrag schon völlig kirre, dass man das nicht merkt.

Ein ahnungsloser Vater, eine verstörte Mutter, die eines ihrer Kinder als "Freak" bezeichnet, eine Tante, die mit einer gut gemeinten, durchaus sympathischen Helferaktion die Katastrophe erst so richtig befeuert, das sind Ingredienzien für eine wahre Horrorgeschichte, die praktisch ohne Splatter auskommt.
Väter sind doch immer ahnungslos. Weil sie entweder tot oder auf Arbeit sind. :D
Und das restliche Personal beschreibst du ganz genau.

Das ist für mich, liebe Novak, dein Markenzeichen. Großartig der Spannungaufbau, großartig das Einfühlungsvermögen in Sprache und Psyche dieses kleinen Monsters, dem es ja nicht an Empathie überhaupt mangelt, sondern nur an der humanen Variante. Da kommt man mit den Kategorien gut und böse nicht mehr sehr weit. Oh je! Ist das ein Fingerzeig in die menschliche Zukunft?
Was für ein Lob. Ich bin richtig gerührt gerade. Ich denke ja immer, ich hätte kein Markenzeichen. Und jetzt krieg ich das von dir überreicht. Ich freu mich saumäßig gerade.
Ob das ein Fingerzeig in die Zukunft ist? Ich glaube nicht. Oder vielleicht hoffe ich das auch nur. Aber ich glaube, Gutes und Böses liegen oft sehr nahe beieinander. Irgendwie ist es mir wohl immer wieder ein Anliegen, dies zu zeigen. Weißt du, welche Geschichte mir einfiel, als ich fertig war mit dem gesamten Text? Von Menschen in Mäusen. Jetzt nicht wegen des Stils, das hätte ich gern mal, so einen Stil wie Steinbeck. Nee, wegen einer der Figuren.

Vielen Dank liebe wieselmaus für deinen Kommentar. Ich hab ein bisschen ein schlechtes Gewissen jetzt wegen dem Brot. Ich hoffe, es ist jetzt doch glücklich im Magen gelandet. Aber egal wie, wenn wir uns dann endlich mal sehen, bring ich mal lieber Kuchen für dich mit. Und für Barnhelm und Bea gleich mit.

 
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Liebe Novak,

mit großer Freude habe ich deine Geschichte entdeckt und bin sogleich und ganz eingetaucht.

Theo!“ Ich drehte mich um. Die Stimme meiner Mutter klang, als hätte ich ihr was Glibbriges in den Kaffee geschüttet. „Lass die Küchenschaben liegen. Das ist widerwärtig.“
„Ich tu sie nur raus, Mama.“ Ich hielt den Käfer hoch und lachte. Ganz laut und prustend, als kitzelte einen jemand wie wild. Halt einfach Freds Lachen.

Dachte ich im "Affekt" noch an einen Irrtum der Autorin, schlugen im Anschluss meine Alarmglocken.

Das Bett in Freds Zimmer war immer noch bezogen mit Eintrachtbettwäsche.

Eintracht Frankfurt? Bin aus der Zeit gerissen, befand mich bis hierhin in einem anderen Jahrhundert. Mein Fehler.

Ich nahm Kumpel auf meine Knie. „L“ sagte ich, „Leuk“, ich drückte Kumpel ganz fest, doch das verfluchte Wort wollte einfach nicht weg von mir.

Irgendwie hätte ich es schöner gefunden, nicht einmal diese vier Buchstaben zu lesen. Theos Sicht auf Fred kurz davor, genügte mir, um Schlimmes zu denken. Ich vertraue ihm.

Als Theo in die Wand sieht, sehe ich Coraline vor mir, auf dem Weg zur anderen Mutter. Gruselig.

Glaubst du, ich bin schuld an Freds Tod?“

Wie gut, dass er fragt.


Vielleicht wollte sie nicht „Damit“ heißen?

Ich liebe ihn.

da sah hübsch aus.

das

Es ist schon ein Kreuz mit diesen sensiblen, phantasievollen (begabten) Kindern/Menschen. Voller Missverständnisse mit einer ganz eigenen Logik. Und dieser kleine Kerl scheint auch noch traumatisiert. So traurig. Ein so spezieller Junge, den ich von Anfang an ins Herz geschlossen habe.

Unfassbar einfühlsam hast du das verfasst, liebe Novak, dich voll und ganz eingelassen. Auch die anderen Charaktere haben genau das Gewicht, das sie benötigen, um Theo innerhalb der Geschichte zumindest. Ich habe diese Geschichte sehr genossen und bin froh, dass du kein Horror getagged hast.

Vielen Dank dafür und ein freundlicher Gruß, Kanji

 

Liebe Novak,

mir ist tatsächlich was Sprachliches aufgefallen:

Ich glaube, sie verstand, dass man da nicht mehr in die Schule gehen könnte, auch wenn man vorher das Kopfrechnenkind war.

Dein Prot denkt sehr oft "man" statt "ich". Er braucht das, um die Welt irgendwie zu verstehen. Es sind seine Leitplanken. Vielleicht hat er gar keine echte Ich-Vorstellung. Dass er lacht wie Fred, verstärkt meine Überlegung. Ich würde den Text nicht ändern. Ein Psychologe könnte das sicher noch aufdröseln.

Kopfrechnenkind

sehr gelungener Ausdruck. Präzise in der Welt deines Protas.

LG wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich wollte die Geschichte nur anlesen, aber sie liess mich nicht mehr los. Ich wollte wissen, wie es mit Theo weitergeht, wie es mit den "Ungläubigen" und "Nichtverstehern" endet.
Novak, als Autorin alles richtig gemacht! Ich musste extra meine Mittagspause verlängern. :D

Zum Stichwort Horror
Leider sehe ich das anders, als meine Vorredner. Der Tag Horror wird diesem subtilen Grusel, der mit Seltsam schon ganz richtig getagt wurde, nicht gerecht, kommt er doch auf leisen Sohlen daher und manifestiert sich nach und nach. Aber ich sehe auch den Anspruch der Autorin, keine Leser in die falsche Ecke verführen zu wollen. :evil:
Aber eben, ich mag diesen leisen Horror, der von Atmosphäre und weniger von Blut, Schocking und Gemetzel lebt.

Schön, wie du immer wieder bei Theo bleibst und in feinen Spitzen seine Sicht auf die Erwachsenen und deren "Irrglauben" richtest. Ich mag die kleine Welt der verständnisvollen Kakerlaken um Theo total, der wohl nicht erst seit Freds Ableben an dieser ausgeprägten Soziopathie leidet.
Wobei er ja gar nicht leidet, er fühlt sich einfach missverstanden und rückt falsche Ansichten mit seinen starken Kinderhänden wieder gerade.

Und nun noch zwei Anmerkungen, bei denen ich gestolpert bin. (Jammern auf hohem Niveau)

Und meine Mutter natürlich, die war eine Schau, wenn sie nach der Flasche griff. Sie verwandelte sich in eine Walze, ja, eine echt gefährliche Mutterwalze, die quer durch das Haus stampfte und Käfer vergaste.
Das musste ich zweimal Lesen, hatte ich sie durch das schwarze erst mal als Alkoholikern abgestempelt, bis ich begriff, dass das keine Metapher, sondern sie nach der Giftflasche griff. ;)

„Das darf man nicht, es muss dunkel sein.“ Mein Atem tat weh, wie wenn ich ganz schnell renne und mir schwarz vor Augen wird. „Mama, guck doch. Nur einmal!“ Ich stieß sie vorwärts. Wenn sie erst im Versteck war, hörte sie die Käfer, und dann würde alles gut werden. Ich stieß noch einmal. Es knackte. Mama war gegen einen Holzzacken geprallt, dann gegen ein Rohr, noch einmal knackte es, aber ich sah nur ein kleines bisschen Blut.
„Das ist gleich wieder vorbei, Mama, du musst nur singen. Heile, heile Mausespeck, in hundert Jahrn ist alles weg. Dann tut's nicht mehr weh.“
Ich stieß sie vollends hinein in die Höhle. Als ich die Decke wieder anbrachte, regte sie sich und schnaufte, aber dann war sie ruhig. „Mama“, sagte ich, „ich bin froh, dass es dir gefällt. Du musst nur warten. Ekel dich nicht, wenn die Käfer kommen. Du wirst sehen, das kitzelt ganz wunderschön.“
Dieser Absatz ist für mich unbefriedigend. Die Mutter zu passiv, sie steht ja nicht unter Schock oder so, das geht mir zu glatt, wie Theo sie da reinschupst, sie sich dabei den Kopf stösst, kein Mucks von Mama? Nee, Novak, diesen Teil kauf ich dir nicht ab. Da wünsche ich mir mehr Gerangel, Ausdruck des Ekels, ein Ausrutschen auf der heruntergerissenen Decke, irgendwie so was, dass die Szene glaubhaft(er) macht.

Aber der Rest ist 1A, ich liebe die Geschichte.
Danke Novak, dank sorgfältiger Umsetzung ein prima Lesegenuss.

Gruss dot

 

Hallo Novak, hallo dotslash

dotslash schrieb:
Zum Stichwort Horror
Leider sehe ich das anders, als meine Vorredner. Der Tag Horror wird diesem subtilen Grusel, der mit Seltsam schon ganz richtig getagt wurde, nicht gerecht, kommt er doch auf leisen Sohlen daher und manifestiert sich nach und nach. Aber ich sehe auch den Anspruch der Autorin, keine Leser in die falsche Ecke verführen zu wollen. :evil:
Aber eben, ich mag diesen leisen Horror, der von Atmosphäre und weniger von Blut, Schocking und Gemetzel lebt.

Ja, das sehe ich auch wie du, dotslash. Deshalb hätte mir besser gefallen, wenn ‚Seltsam’ stehen geblieben wäre und erst an dritter Stelle ‚Horror’ aufgetaucht wäre. So fehlt dieser erste Aspekt und die Betonung von ‚Horror’ wird auch für mein Empfinden zu stark.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Novak,

mal sehen, vielleicht habe ich demnächst mehr Zeit, Deine großartige Geschichte im Detail zu analysieren und zu kommentieren (ich bin mir sicher, dass sie gleich jemand empfehlen wird, sonst wird dies meine erste Empfehlung, auch wenn ich mich als zu wenig lang dabei fühle, um eine Empfehlung zu schreiben).

Jetzt aber nur ganz kurz:

i) Ich schließe mich meinen Vorkommentatoren an, dass der "Horror"-Tag bestenfalls an dritter Stelle passt, weil es für mich keine Horrorgeschichte im klassischen Sinne ist (was immer am Ende das auch bedeuten mag - da kann man sicherlich lange drüber diskutieren - ist eher ein Bauchgefühl).

ii) Deine Charakterisierung und der Spannungsaufbau sind herausragend gelungen und der Text packt einen, lässt einen nicht mehr los und hinterlässt einen starken Eindruck. Sicher einer der besten Texte, die ich hier seit meiner Mitgliedschaft gelesen habe. Übrigens hatte ich keine "Verständnisprobleme" und mir war gleich klar, dass es sich um Kakerlaken handelt (ich musst gleich an eine andere Kakerlakengeschichte hier denken, die aber schon deutlich älter ist).

iii) Kleiner Wermutstropfen (jetzt kommt "Jammern auf ganz hohem Niveau"): Mir kommt die Wendung, dass die sonst abweisende Mutter sich so leicht in das Zimmer/Versteck führen und überrumpeln lässt, zu plötzlich und zu einfach. Da fehlt aus meiner Sicht eine kleine Entwicklung und/oder ein Gerangel, wie dotslash es vorgeschlagen hat. Ich sehe aber eher die Entwicklung der Mutter, der bewusst wird, wie sehr sie ihren Sohn ablehnt ("Freak") und versucht, auf ihn zuzugehen. Vielleicht sind die Muttergefühle gerade stärker und verdrängen das ungute Gefühl, dass Theo doch etwas mit dem Tod von Fred (und der Katze) zu tun hat. Vielleicht schlägt auch ihre Depression durch. Wie auch immer, hier fehlt mir tatsächlich etwas die Nachvollziehbarkeit, warum die Mutter sich so einfach übertölpeln lässt.

iv) Ich finde die Ich-Perspektive einerseits sehr reizvoll, andererseits passt (manchmal) der Schreibstil nicht zu Theo. Zum Beispiel würde Theo nach meinem Empfinden den ersten Satz so nicht formulieren.

v) Mir ist das Alter von Theo schleierhaft. Klar ist er ein "besonderes" Kind, weswegen die Alterseinschätzung schwierig ist. Andererseits muss er aufgrund seiner stärke relativ alt sein (deutlich über 10), sonst wäre er körperlich nicht in der Lage, die Gewalt auszuüben. Aber es entsteht bei mir ein diffuses Bild.

Die Punkte iv) und v) haben mich nicht wirklich gestört, sind mir aber aufgefallen.

So, das war es erst einmal. Bin immer noch gepackt von Deinem Text.

Lieber Gruß
Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Hier gehts weiter:
Liebe Kanji,
das ist schön, dass du vorbeischaust. Und noch viel froher, dass dir die Geschichte soweit gefallen hat.

Dachte ich im "Affekt" noch an einen Irrtum der Autorin, schlugen im Anschluss meine Alarmglocken.
Gut so. :baddevil:


Eintracht Frankfurt? Bin aus der Zeit gerissen, befand mich bis hierhin in einem anderen Jahrhundert. Mein Fehler.
Hat mich jetzt einen Moment stutzig gemacht. Ich guck noch mal, wie dein Eindruck entstanden sein könnte. Aber eigentlich spielts in der Neuzeit.


Irgendwie hätte ich es schöner gefunden, nicht einmal diese vier Buchstaben zu lesen. Theos Sicht auf Fred kurz davor, genügte mir, um Schlimmes zu denken. Ich vertraue ihm.
Alles klar, vielleicht hast du recht. Ich behalts im Kopf zum Überlegen, wahrscheinlich aber ist, ich streich das und es bleibt bei einem zweimaligen L. Ich hatte das auch schon überlegt, das Leuk gar nicht zu schreiben. Dann hab ich gedacht, dann fragen die Kommentatoren, woran denn der Bruder gestorben ist, weißt du, manchmal hat man schon den vorauseilenden Kommentarsgehorsam im Kopf. :D
Auch nicht immer gut. und dann wollen die dazu gar nichts wissen.

Das fehlende s ist fast schon verbessert. Jedenfalls gleich.

Es ist schon ein Kreuz mit diesen sensiblen, phantasievollen (begabten) Kindern/Menschen. Voller Missverständnisse mit einer ganz eigenen Logik. Und dieser kleine Kerl scheint auch noch traumatisiert. So traurig. Ein so spezieller Junge, den ich von Anfang an ins Herz geschlossen habe.
Gut, dass dir das so geht, das wollte ich erreichen. Ich finde ihn auch drollig und sausympathisch. Der will ja wirklich nichts Böses, aber es passiert, weil er kein Gefühl für seine Stärke hat. Und keine normale Empathie. Und dadurch wird er tatsächlich zum Monster.

Unfassbar einfühlsam hast du das verfasst, liebe Novak, dich voll und ganz eingelassen. Auch die anderen Charaktere haben genau das Gewicht, das sie benötigen, um Theo innerhalb der Geschichte zumindest. Ich habe diese Geschichte sehr genossen und bin froh, dass du kein Horror getagged hast.
Das ist ein sauschönes Kompliment. Bin ich sehr stolz drauf, weil ich mir über mein Personal auch tatsächlich immer viele gedanken mache, auch wenn das vielleicht nicht immer so rüberkommen mag. Aber es sterckt oft eine Menge innerlicher Arbeit dahinter.
Hmm, so traurig, das mit dem Horrortag, jetzt hab ichs doch gemacht. Verzeih mir. Und Seltsam hab ich weg gemacht und dann doch wieder rein, weil paar nach dir gesagt haben, ist doch kein Horror. Obwohl ich das eigentlich schon finde. Was sollen das sonst sein? Ich sehs schon, das wird noch ein buntes Wechselspielchen.

Liebe Kanji, tausend Dank für deinen Besuch und natürlich für deine Tipps. Besonders aber für deinen Eindruck der Geschichte, das finde ich immer wahnsinnig wichtig, weil man überhaupt dadurch erst weiß, ob die Geschichte klappt.

Viele Grüße an dich von Novak


Liebe wieselmaus, schon wieder hilfst du mir.
Und dieses Mal hilfst du mir echt aus der Patsche, weil du was festgestellt hast, was ich unbewusst gemacht hatte.

Dein Prot denkt sehr oft "man" statt "ich". Er braucht das, um die Welt irgendwie zu verstehen. Es sind seine Leitplanken. Vielleicht hat er gar keine echte Ich-Vorstellung. Dass er lacht wie Fred, verstärkt meine Überlegung. Ich würde den Text nicht ändern. Ein Psychologe könnte das sicher noch aufdröseln.
Danke für den Tipp. Du siehst das genau so, wie ich das bloß gefühlt habe. Ich hab ewig an diesem "man" rumgebosselt, hatte es zum Ich verbessert und mir dann aber immer gedacht, dass das "man" besser passt. An deiner Idee mit der nicht echten "Ich-Vorstellung" ist was dran. Das war jedenfalls einer der Hintergründe für diesen Jungen, der schon immer etwas eigenartig war, und durch den Tod des Bruders und das Verhalten der Mutter zusätzlich verunsichert wird.

Dankeschön für deine Hilfe. Kam genau zum richtigen Zeitpunkt. :kuss:

Viele Grüße von Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Novak,

was soll ich sagen: Eine neue Horrorgeschichte von dir, die MUSSTE ich einfach lesen. Freu mich da schon eine ganze Weile drauf :read:

Novak, ich bin zutiefst verstört. Von deinem Theo, der so eine bezaubernde Sprache hat, der depressiv wegen der vielen Es nicht ausstehen kann, der irgendwie mein Herz berührt. Gleichzeitig schrecke ich vor ihm zurück, ich stelle ihn mir vor, in diesem dunklen Zimmer mit seinen Käfern, wie er Löcher in die Wand reißt, sich zwischen die Rohre legt und sich Zärtlichkeit bei Schaben holt, weil sie ihm seine Eltern nicht geben. Der sich in kleine Katzen verliebt, weil sie kaputt aussehen, der aber nicht mit der Wimper zuckt, wenn er ihnen das Genick bricht. Ich versuche, ihn zu greifen, aber das ist echt schwer. Und das find ich verdammt gut. Meine Fresse, Kompliment, da hast du wirklich einen Jungen erschaffen, der mich umhaut. Ich ekel mich vor ihm und will ihn gleichzeitig in den Arm nehmen.

Dann die Mutter, die alles wegschmeißt, was hässlich ist, angeschlagen, nicht perfekt. Die ihren eigenen Sohn nicht mehr erträgt, vielleicht sogar hasst. Ich frage mich, ob Theo wirklich so grob und unheimlich ist, wie sie ihn sieht oder ob er vielmehr hilflos gefangen ist in dieser seltsamen kleinen Welt, die er sich mit seinen Käfern geschaffen hat.

Du hast es an mehreren Stellen geschafft, mir Gänsehaut einzujagen.

Ich legte meinen Kopf an eines der Rohre. Gut fühlte sich das an, ganz warm, tausend trippelnde Beinchen knisterten hinter dem Metall. Waren das die Käfer, die ich vor meiner Mutter gerettet hatte? Ich blieb still und lauschte. Und dann erzählten die Käfer. Von damals. Und von Fred.
Da zum Beispiel.

Oder hier:

Ihr Kopf schmiegte sich an eines der Rohre. Ich schmiegte mich daneben, lauschte und ließ mich trösten durch das Getrippel Tausender kleiner, harter Leiber. An dem Mund meiner Mama saß ein Käfer. Vielleicht schenkte sie ihm ihre Spucke. Oder er erzählte ihr von Fred.

Alter Schwede, das trifft mich ganz schön. Außerdem finde ich aber bemerkenswert, wie sich hier der Kreis schließt. Theo, die Käfer, das Loch, die Rohre, ihr Getrippel, Fred.

Hat mir wirklich sehr gut gefallen!
RinaWu


Nachtrag: Sehe gerade den Kommentar von Geschichtenwerker:

ich bin mir sicher, dass sie gleich jemand empfehlen wird, sonst wird dies meine erste Empfehlung, auch wenn ich mich als zu wenig lang dabei fühle, um eine Empfehlung zu schreiben

Jep, du hattest recht, ich konnte nicht anders, als diese Geschichte zu empfehlen!

 

Vielleicht hätte ich es gleich sagen sollen: Ich habe Novaks Geschichte schon heute Mittag empfohlen, leider vergessen, das öffentlich zu machen. Liebe RinaWu, da sind wir also schon zwei. Die Administration braucht halt ein bisschen.

 

Huhu Novak!

Sehr sehr coole Geschichte - gefällt mir!!:) Du hast es sehr gut hinbekommen, den kleinen Psycho so herrlich kindlich unschuldig erzählen zu lassen, während er seine Kills ausführt. Das ist schon mal ein sehr großer Pluspunkt. Vor allem musste ich bei aller Norman-Bates-artigen Verrücktheit immer daran denken, dass der arme kleine Kerl im Grunde genommen auch nur ein bedauernswertes, hilfloses Opfer ist. Und bei seinem Alter hast du ebenfalls sehr schön diese verstörende Eigenschaft beschrieben, dass Kinder sehr grausam sein können, ohne dabei ein echtes Unrechtsbewusstsein zu haben - Schlechtigkeit liegt halt in unserer Natur!;)

Die "Mutter" (den Ausdruck verdiente diese egoistische Bitch eigentlich nicht!) hast du prima negativ portraitiert!!:D Klar, Fred zu verlieren ist sicher ein ziemlich krasses Ding gewesen, keine Frage! Furchtbarer Schicksalsschlag. Umso wichtiger, dann für ihr anderes Kind da zu sein. So, wie du sie dargestellt hast, ihre grausame Kaltherzigkeit, die Dehumanisierung ihrer Person (statt "Mama" zukünftig "Katharina" zu sagen - spitze!!:thumbsup:) - wirklich gut!

Also ich wünsche jeder Vertreterin und jedem Vertreter der Gattung Blattella germanica beim Verzehr der Überreste von "Katharina" ein herzliches "Bon appétit"!

Einziger -kliiiiiietzekleiner Kritikpunkt - der Tötungsakt von Theo an seiner Rabenmutter! Das ging mir ein bisschen zu flott. Klar, du hast ja beschrieben, dass Theo ziemlich stark ist - aber immerhin dürfte es für einen 10-jährigen Steppke trotzdem nicht so ohne weiteres möglich sein, einen erwachsenen Menschen umzubringen, jedenfalls nicht mit bloßen Händen. Lass doch noch mal den Hammer zu Einsatz kommen, mit dem er die Wand aufgekloppt hat. So ein schöner Schlag mit der spitzen Seite auf den Hinterkopf ... :Pfeif:

Sehr guter Stoff, den du uns da beschert hast - vielen Dank für eine gute Geschichte, die ich mit Vergnügen gelesen habe!

Es grüßt dich der EISENMANN

 

Hallo Novak,

also ich kann dir ein großes Lob aussprechen, nämlich folgendes:
Ich habe diese Geschichte nägelkauend verschlungen, obwohl sie mal so NULL in mein Beuteschema fällt, mit ihren Tags Horror, Seltsam, Sonstige. Ihgitt, um diese Art Geschichten mache ich normalerweise einen großen Bogen. Aber der Titel hat mich neugierig gemacht, und außerdem hast du mir ja auch ganz viel zu meiner Geschichte geschrieben. :) Also habe ich angefangen zu lesen und konnte nicht mehr aufhören. Toll!

Ich könnte nicht sagen, dass ich mich bei der Lektüre wohlgefühlt hätte. Aber die Geschichte ist vielschichtig. Die Figuren in ihrer Not sind so plastisch. Warum man die Käfer vergast und sagt, dass sie hin sind, und bei Katzen und Menschen läuft das anders - so richtig können die Erwachsenen dem Theo das ja ehrlich gesagt nicht erklären.

Gegenüber dem Eisenmann (huhu! :)) muss ich mal die Mutter in Schutz nehmen. In dieser Familie, in dieser Geschichte gibt ausnahmslos nur Opfer. Der kranke Theo, der nicht mehr zur Schule geht, aber anscheinend auch keine Therapie erhält. Der andere Sohn gestorben ... Die Frau ist einfach nur fertig. :sconf:

Stilistisch: Am Anfang des Textes habe ich mich gefragt, ob eine Walze stampfen kann. Ich finde nicht. Da werden irgendwie zwei Bilder miteinander vermischt, die sicher beide passen, aber in der Kombination stört es mich. Weiß nicht, ob du dich da evtl. für eines entscheiden magst.
Jetzt habe ich das doch tatsächlich gegoogelt und Walzen gefunden, die stampfen, im Baugewerbe ...
Dann vergiss meinen Kommentar gleich wieder. Ich hör jetzt einfach auf, zu heiß heute ...

LG, Anne

 

Anne49

Hi Anne!:)

Die Frau ist einfach nur fertig.

Stimmt - spätestens, nachdem Theo mit ihr "fertig" war! Na ja, einen Trost hat die Sache - Kathi gibt jetzt nen prima Kakerlaken-McDrive ab!!:D

Liebe Grüße vom EISENMANN, der hofft, dass heute nacht niemand von langen Fühlern, haarigen Beinen und harten Chitin-Panzern träumt!!;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Novak,

ich denke, die Zeitverwechslung entstand im meinem Hirn aus der Sammlung verschiedener Indizien: Theo spielt mit Küchenschaben (mangels Spielzeug:shy:), Labyrinth auf dem Jahrmarkt (hört sich so an, als wäre das die Hauptattraktion und es gäbe noch kein Sky Dance, das Hightech-Kettenkarussell . Also echt nur kopfgemacht von mir.

Hmm, so traurig, das mit dem Horrortag, jetzt hab ichs doch gemacht. Verzeih mir. Und Seltsam hab ich weg gemacht und dann doch wieder rein, weil paar nach dir gesagt haben, ist doch kein Horror. Obwohl ich das eigentlich schon finde. Was sollen das sonst sein?

Da ist doch nichts zu verzeihen. Ein Drama ist es. ;) Eine Tragödie.

Besonders aber für deinen Eindruck der Geschichte, das finde ich immer wahnsinnig wichtig, weil man überhaupt dadurch erst weiß, ob die Geschichte klappt.

Es geht nichts über eine Textanalyse, aber gerade in dieser Geschichte kommt es auf die Atmosphäre an, die Feinheiten, den Klang, denn ruckzuck schwappt sie doch über in eine "schnöde" Horrorstory, oder in schwarz-weiß. Hier sind es aber eben diese Ambivalenz des Protagonisten, die du hervorragend herausgearbeitet hast und sowohl die Geschichte, als auch den Hauptdarsteller so besonders macht.

Lieber Gruß, Kanji

 

Zu gütig, lieber Eisenmann,
ebenfalls angenehme Nachtruhe! Und dann gibts ja auch noch nen Rudi-Whopper (die Katze) :D
Anne

 

Hallo Novak,

großartig geschrieben! Leider. Bei mir kribbelt es überall. Oha.

Viele Grüße

Willi

 

Liebe Novak!

Deine Geschichte bewegt sich auf der Grenze zwischen Alltag und Horror, da ist „Seltsam“ gar nicht verkehrt gesetzt.
„Seltsam“ öffnet natürlich manches Schlupfloch für den Autor, falls er in Erklärungsnot gerät. :D

Ich denke, der Junge entwickelt seine Affinität zu den Krabblern, weil sie genauso hilflos und durch höhere Macht sterben wie sein Bruder Fred. Hinzu kommen wohl noch Schuldgefühle, von innen, weil er beim Sterben dabei war, ohne etwas tun zu können, und auch von außen herangetragen, durch die Mutter, deren Verhalten er falsch deutet.

Für mich brauch ich da nicht tiefer zu psychologisieren, siehe Tag „Seltsam“, und kann die spannende Geschichte ohne weiteres genießen.

Ein paar Sachen aus dem Bauch heraus hab ich noch:

Und meine Mutter natürlich, die war eine Schau,
„eine Schau“ drückt für mich positive Bewunderung aus, die im weiteren Verlauf sich nicht finden lässt.

Sie merkte nicht einmal, dass ich hinter ihr herschlich. Die ersten Male interessierte mich nur das Gezappel der Käfer, weil sie so lustig mit den Beinchen winkten. Einmal wollte ich sie zu einer Strampelkette binden und die meiner Schwester umhängen.
3x mal

Aber genau da, als ich einen der Käfer hochhob, entdeckte ich seine Augen.
„aber genau da“ ist überflüssig, steckt im „als“ ja drin.

„Theo!“ Ich drehte mich um. Die Stimme meiner Mutter klang, als hätte ich ihr was Glibbriges in den Kaffee geschüttet.
Hat er das schon mal gemacht?

ohje, das Gekeife wäre endlos, was ich für ein Kind bin, von wem ich sowas hätte,
was ich für ein Kind sei

Das Bett in Freds Zimmer war immer noch bezogen mit Eintrachtbettwäsche.
Immer kann raus

Wenn die Schaben Hunger bekamen, konnten sie essen und Bier beruhigt nach einer Aufregung, das sagte mein Vater auch immer, wenn er nach der Arbeit nach Hause kam.
Klingt irgendwie verunglückt. Was genau sagt der Vater?
Ich meine, zwischen „essen“ und „Bier“ müsste eine andere Trennung.
„sagte mein Vater auch immer“ Wer sagte das noch?

Ich hob den Käfer auf und setzte ihn neben die Fußleiste, da konnte er sich in das Röhrengewirr retten.
Da denke ich, der Käfer konnte sich tatsächlich retten. Konnte er aber nicht.

Ich hatte mich unter den Tisch im Esszimmer geschlichen. Dort konnte ich bei den anderen sein, ohne dass die mich sahen oder fühlten.
Ich glaube, an der Stelle dachte ich zum ersten Mal intensiver über Alter und Größe des Jungen nach.

So, das wars von mir.

Lieben Gruß

Asterix

 

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