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Novelle Krysy, Ratten

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Seniors
Beitritt
02.01.2011
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Krysy, Ratten

Vorgestern
Als ich aufwache, steht meine Mutter vor mir, sie hat rotblonde Locken und ist für mich die schönste Frau auf dem Planeten. Zum Frühstück gibt es Spiegeleier mit Marmelade, ich und mein Vater lieben das. Während sie am Herd steht und das Fett aus der Pfanne spritzt, hat sie das Radio aufgedreht, tanzt herum und singt: »Everybody in the whole cell block, was dancin to the jailhouse rock!«
Ich versuche mitzumachen, singe: »Elliebodie in barabarock, lalili tschaj rock!«, und sie lacht und ich lache mit, und irgendwann schmerzen unsere Bäuche, so sehr müssen wir lachen. Mein Vater schlurft herein, gähnt und gibt uns beide einen Kuss. Als ich die Marmelade vom Teller lecke, fragt er mich, ob wir ein bisschen kicken gehen, ich grinse und sage ja.
»Ich werde jetzt nicht mehr so oft daheim sein«, sagt mein Vater, und schießt mir den Ball zu; die Wiese ist taunass und die Sonne legt ihren ersten Finger auf uns.
»Wieso nicht?«, frage ich.
»Weil der Papa Häuser bauen muss«, sagt mein Vater, aber das ergibt für mich keinen Sinn. Ich nicke, kicke, renne ein Stück und warte darauf, dass der Pass zurückkommt, aber mein Vater steht mit dem Fuß auf dem Ball, schaut mich an und runzelt die Stirn.
»Aber am Wochenende komme ich wieder«, sagt er.
»Okay«, sage ich, »und kicken wir dann auch mal?«
»Ja«, sagt er, »ja, wir kicken dann auch mal.«

Gestern
»Und die Fabrik ist wirklich was für dich?«, fragt mich meine Mutter. Sie liegt auf dem Sofa unter der Decke, ihr geht es oft sehr schlecht und dann muss sie tagelang herumliegen und schlafen und kotzen. Nachdem die rotblonden Locken meiner Mutter im Klo lagen, haben sie nicht einmal die Nachbarn erkannt, aber das ist mir egal, für mich ist sie immer noch die schönste Frau auf dem Planeten.
»Ja«, sage ich, und schmiere Butter auf ein paar Brote, »das geht ja bloß noch ein paar Monate, und danach hab ich soviel Geld, dass ich locker drei Semester lang studieren kann.«
»Nimm doch was von mir. Oder von Papa.« Sie schaut mich an und ihre Augen beginnen traurig zu glitzern. Ich schüttle den Kopf, schmeiße die Brote in eine Tüte.
»Nee«, sage ich, »ich muss das alleine hinkriegen, du brauchst dein Zeug selber.«
»Und Papa?«, fragt sie nochmal, wir tauschen Blicke aus. Ich schmeiße die Tüte in meinen Rucksack, gebe meiner Mutter einen Kuss auf die Stirn und sage: »Ich komme erst morgen wieder, heute Abend ist die Abifeier.«
Ich hänge mir den Rucksack um die Schulter, gehe aus dem Haus und bin verdammt froh, dass der Scheiß ein Ende hat: Endlich raus aus der Schule. Luke steht mit seiner Rostmühle vor der Tür, sein Arm hängt aus dem Fenster, er raucht eine Kippe, grinst mich spitzbübisch an und lässt den Motor knurren.

Vorgestern
Es klingelt, Luke steht vor der Tür, er wohnt im Reihenhaus nebenan und ist mein bester Freund – sein richtiger Name ist Lukas, aber Luke klingt cooler: wie unser großes Vorbild Luke Skywalker aus Star Wars, von dem ich ungefähr fünfzig Poster in meinem Zimmer hängen habe.
Luke hat immer die verrücktesten Ideen: Neulich haben wir Wasserbomben von der Brücke auf die Schnellstraße geworfen, und als das seine Eltern herausfanden, durfte er vier Wochen lang nicht raus; er musste jeden Tag nach den Hausaufgaben am Klavier sitzen bis es dunkel wurde, und wenn er zu viele Fehler machte, ließ ihn seine Mutter nicht einmal pinkeln gehen, es hat sogar richtig weh getan, im Bauch, hat Luke gesagt. Dabei spielt er eigentlich gar nicht so gut, ich meine, ich war nicht mal im Flötenkurs in der Ersten dabei, aber sogar mir fällt das auf. Zum Beispiel an seinem achten Geburtstag. Da steckte ihn seine Mutter in so einen bescheuerten Kinderanzug und kämmte ihm die Haare nach hinten, und dann sagte sie: »So, Lukas, jetzt zeig deinen Gästen mal, was wir auf dem Klavier geübt haben!«, und Luke wurde furchtbar rot, setzte sich zitternd an den Flügel und krempelte sich die Ärmel hoch. Alle Gäste verstummten und sahen ihm dabei zu, wie er minutenlang dasaß und vor sich hin starrte; irgendwann fing er an, wahllos auf Knöpfen herumzudrücken, und sogar mir war klar, dass da kein System dahinter steckte.
»So nicht, Freundchen!«, hatte seine Mutter dann geschrien und ihn weggezerrt. »Solche Faxen werden hier nicht gemacht!«
Jedenfalls ist seine Mutter echt hart, auch, wenn Frau Gräbner ihm schlechte Noten gibt – deswegen lasse ich ihn auch meistens abschreiben, obwohl ich dabei jedes Mal so sehr schwitze, dass mir die Tinte verschmiert.
»Komm mit«, sagt Luke, als er auf der kleinen Treppe vor unserer Haustür steht und so Luke-mäßig herumgrinst. »Beim alten Hübner gibt’s jetzt Überraschungseier.«
»Was?«, sage ich, beuge mich zu ihm hin und flüstere: »Hast du Geld?«
Er schüttelt den Kopf.
»Soll ich mal meine Mutter fr-«
»Nee«, flüstert er zurück, »sonst macht’s ja gar keinen Spaß.«

Der alte Hübner hat ein rundes Gesicht und dicke, rosane Lippen, und als wir hereinkommen, hören wir ihn irgendwo am anderen Ende des Ladens Getränkekisten stapeln. Sein Sohn ist riesig und er trägt die gleiche Frisur wie ein Hahn, er steht an einem Regal, mit dem Rücken zu uns, und füllt Flaschen auf. Wir schleichen uns an die Kasse, zu den Süßigkeiten, Luke geht voraus und ich sehe mich um, mein Herz rast und mir ist schwindelig. Luke zwinkert mir zu und schnappt sich so viele Überraschungseier, wie in seine Hände passen; ich mache es nach, wir sprinten in Richtung Ausgang – als die Schiebetür aufgeht, schreit uns plötzlich diese Stimme hinterher: »Hey! Hey, ihr! Stehen geblieben!«
Wir rennen und rennen und schauen nicht zurück, Luke fällt eine Handvoll Überraschungsei runter, aber das ist egal, meine Beine bewegen sich einfach weiter, und als wir fast auf der anderen Straßenseite ankommen, blicke ich kurz über meine Schulter: Der Mann mit dem Hahnenkamm setzt einen Fuß auf die Straße, ein Auto bremst, Reifen quietschen, Hupen – da stürze ich plötzlich, es geht so schnell, alles wird schwarz und dann ist da bloß noch der blaue Himmel über mir.
»Sag mal, spinnst du?!«, schreit mich der Mann an und schiebt sein Gesicht zwischen mir und dem Himmel. »Das hat ein Nachspiel, Kleiner!«
Ich schaue mich um, Luke ist nirgends.

»Ja«, sagt der Hahnenkamm-Mann, »Süßigkeiten haben sie bei uns geklaut.«
So wie mich meine Mutter anblickt, hat sie mich noch nie angesehen: Sie schaut so wütend aus wie damals, als ich die Porzellanteller bei Oma runtergeschmissen habe, aber gleichzeitig hat sie auch Tränen in den Augen, so, als würde sie gleich losheulen. Ich tupfe mir die Watte an die Stirn, es blutet kaum noch, ein Kloß hängt mir im Hals, ich friere.
»Stimmt das, Johannes?«, fragt mich meine Mutter, und mir laufen Tränen über die Backen, ich kann nichts dagegen tun. Ich nicke, gehe einen Schritt auf sie zu und drücke mein Gesicht an ihre Brust.
»War Lukas dabei?«, fragt mich meine Mutter, ohne mich anzusehen. Ich schaue sie an und schüttle den Kopf, einfach, weil ich es nicht mag, wenn Luke so viel Klavierspielen muss.
»Geh in dein Zimmer«, sagt meine Mutter und drückt mich weg von sich. Als ich oben auf der Treppe hocke, höre ich die beiden noch lange reden. Irgendwann fangen sie das Lachen an und dann steigt mir Kaffeegerucht in die Nase – das gibt mir Hoffnung, dass die Strafe nicht allzu hart sein wird, vielleicht sagt sie meinem Vater nichts davon, wenn er am Wochenende kommt.

Abends höre ich Kieselsteine gegen mein Fenster fliegen. Luke steht unten in seinem Garten und flüstert: »Danke«, ich flüstere: »Schon okay« zurück, binde meine Stiftebox an eine Schnur, werfe sie nach unten und ziehe sie mit drei Überraschungseiern wieder hoch.

Gestern
Auf dem Parkplatz vor der Abiparty rauche ich mit Luke und Amir eine Tüte; Amir ist ein schlaksiger Araber mit schwarzen, drahtigen Locken und Ray-Ban-Brille, der in unsere Parallelklasse ging. Meine Beine werden schwer und mein Kopf leicht, eine Gruppe Blondinen kommt in unsere Richtung, ich höre das Klacken ihrer Absätze, sie sind einen Jahrgang unter uns und kichern laut. Luke begrüßt alle mit einem Wangenkuss, und so eine Kleine mit dunklen, warmen Augen lächelt mich an, ich lächle zurück, strecke ihr die Hand entgegen und sage: »Hey, bin der Jo«, sie sagt: »Hanna.«
Sie hat knochige Finger und weiche Haut, mein Bauch kribbelt. Ich habe sie schon öfters im Pausenhof gesehen, in der Raucherecke, aber da hat sie mich nie angeschaut. Als sich die Mädchen an den Türstehern vorbeischlängeln, hocken wir auf der Rückbank von Lukes Schrottmühle, Amir formt auf einem Flyer drei weiße Linien und sagt: »Eins-A Stoff, danach könnt ihr die Nacht durchvögeln, ich schwör’s euch, Kollegas.«
Es brennt in meiner Nase, ein bitterer Geschmack sickert mir in den Mund und plötzlich wird alles um mich herum ganz klar: Ich fühle mich groß, stark, mutig, so, als ob ich den totalen Überblick hätte, über alles. Wir steigen aus, eine warme Brise streift mir durch die Haare, fast wie die Hand einer schönen Frau, denke ich mir kurz, ich weiß auch nicht, wieso.
»Alter! Das wird ’ne Nacht, ich schwör’s euch, Jungs!«, sagt Luke, und ich muss ziemlich laut lachen, Luke und Amir steigen darauf ein, wir schreien durch die Gegend wie Irre – ein paar Leute, die gerade vorbeilaufen, schauen uns kurz verdudzt an. Luke drückt an der Autoanlage herum und lässt irgendetwas mit prügelnden Drums und schnellen Gitarrenriffs aus den Boxen dröhnen, klingt nach den frühen Reatards oder so.
»Fuck, fühl ich mich geil«, sagt er, trippelt auf der Stelle herum und verteilt eine Runde Kippen.
»Ja, Scheiße, mein Herz rast«, sage ich, muss kichern und zünde mir die Zigarette an.
»Ist ganz normal«, sagt Amir, und bläst Rauch nach oben, »geht nach ’ner Zeit vorbei ... und dann:«, er formt seine Hand zu einer Pistole, grinst mich an und drückt ein Auge zu, »boom! Dann wird’s richtig gut, ich versprech’s dir, Mann.«
Die Türsteher blicken uns mit grimmiger Miene an, Luke zwinkert mir zu und manövriert uns an die Bar. Als wir mit Amir ein paar Schnäpse kippen, kommen die Blondinen angestöckelt; ich beobachte Luke, wie er an einer mit einem langen Gesicht und zu viel Schminke herumfummelt: Er hat seine Hände ständig an ihrer Taille, flüstert ihr ins Ohr, und sie ist durchweg am Lachen. Das Mädchen mit den dunklen, warmen Augen steht die ganze Zeit neben mir an der Bar, wir lächeln uns an.
»Voll viel los heute«, schreie ich ihr ins Ohr, weil die Box direkt hinter uns steht. Sie zuckt mit den Schultern und steckt sich den Strohhalm in den Mund.
»Willste tanzen?«, frage ich sie.
»Klar«, sagt sie, unsere Hände berühren sich kurz und als wir loslaufen, sehe ich, wie Luke seine Zunge in dem langen Gesicht stecken hat, die anderen Blondinen stehen genervt daneben.
Ich tanze sonst nie, nur Weiber und Schwuchteln tanzen, aber die Nase macht mich verdammt hibbelig. Mein Körper bewegt sich von alleine, ich versuche mein Glück, packe Hanna an der Hüfte. Sie lächelt mich an, und als ich beim nächsten Song mit den Händen tiefer rutsche, spielt sie an den Knöpfen meines Hemdes herum – ich weiß nicht, ob es die Drogen sind, aber Hannas Körper strahlt so eine Hitze aus, dass ich das Gefühl habe, mit einer riesigen Wärmflasche zu tanzen. Ich drücke meine Lippen auf ihre, für den Bruchteil einer Sekunde macht sie mit, dann stößt sie mich weg und sagt: »Nicht so schnell, okay?«
»Was denn los, Kleine?«, sage ich, und ziehe einen Schmollmund, so wie ihn Kinder machen.
»Schön, dass du mich ins Kino einlädst«, sagt sie mir ins Ohr und grinst.
»Mittwoch?«, frage ich, sie nickt und dann kommt Summer of 69, Hanna schreit: »Wuuuuhuu!«, streckt die Arme nach oben und reibt sich an mir auf und ab, wie eine Kobra bei einer Schlangenbeschwörung.

Heute
Es ist Sonntag, Monatsende, wir sind pleite und in Lukes Küche liegt der Wasserhahn irgendwo unter einem schimmeligen Geschirrberg begraben. Am Donnerstag haben wir angefangen, billiges Pep zu ziehen: Es ist furchtbar gestreckt und fühlt sich an, als würde man Glassplitter schnupfen; war das einzige Zeug, das wir auftreiben konnten – die Stadt ist tot: Wir haben alle möglichen Ticker abgeklappert, standen sogar bei so einer russischen Großfamilie vor der Tür, weil ich hörte, dass sie schiebt. Die sind uns mit Köter und Baseballschläger hinterhergerannt, haben »Kryse! Kryse!« geschrien, »Ratten! Ratten!«
Mein Herz hämmert und das verdammte Adam klebt mir diesen kühlen Schweißfilm aufs Gesicht, auf die Beine, auf den Rücken. Während ich Tassen und Teller in die Ecke schmeiße, beginnt der Boden weich zu werden, es fühlt sich an, als würde ich auf einem Wasserbett stehen – ich brauche dringend Flüssigkeit, sonst kacke ich ab.
»Lass das Geschirr mal, du Spasti!«, schreit Luke aus dem Wohnzimmer.
»Fick dich!«, schreie ich zurück, »als ob du’s benutzen würdest!«
Ich drehe den Wasserhahn auf, halte meinen Mund unter den Strahl, dann den Kopf, ich verbrenne. Luke kommt angelaufen, nur in Jeans, ohne Socken und Shirt oder so; wenn er drauf ist, wird er zum Exhibitionisten. Er fingert ein Teil aus dem Plastiktütchen und sagt: »Die Grünen sind noch besser als die Blauen, die kicken am Anfang ziemlich krass, aber danach geht dir einer ab, ich schwör’s!«
Sein Grinsen zieht sich bis unter beide Ohren, ich reiße das Fenster auf, nicke, und dann schwappt mir der erste Schwall über die Lippen: Er schmeckt scharf nach Galle und klatscht auf die Frontscheibe eines parkenden Autos, ich glaube, es ist der Golf von diesem Skin aus dem zweiten Stock, aber das ist mir im Augenblick scheißegal, wirklich. Ich atme durch, und draußen ist alles grau: die Häuser, die sich wie Betonpfeiler in die Höhe streckten; der Himmel, der wie ein dreckiger Laken über mir hängt; die Gesichter der Menschen, die sich müde und leblos durch die Straße schieben. Ja, selbst die Sonne ist irgendwie grau, sie schwimmt da oben in dieser schmutzigen Suppe wie Eigelb in einer Pfütze. Keine Überdosis, sage ich mir und spucke aus dem Fenster; keine Überdosis. Ich muss an den Notfallkasten denken, der unter der Spüle klebt, mit dem Valium – den habe ich neulich bei meinem Ticker gekauft, der meinte, das bringt einen runter, wenn man zu viele Upper geschluckt hat. Luke weiß nichts davon, der könnte die Finger nicht davon lassen, schätze ich.
Irgendwie schweifen meine Gedanken ab, an früher, an meine Mutter, meinen Vater, an Hanna, und daran, wie alles auseinanderging – keine Überdosis. Luke reicht mir ein Glas Wasser, tätschelt meine Wange und sagt: »Jetzt nicht schlappmachen, Mann!«
Im Wohnzimmer schmeiße ich mich in so einen Antik-Sessel, den Luke bei sich rumstehen hat, der schaut aus wie aus einem Schwarzweißfilm. Meine Pumpe beruhigt sich allmählich und ich versinke im Polster; das sind so Momente, in denen es mir gut geht: wenn meine Arme und Beine so schwer werden, dass ich sie kaum heben kann, wenn ich mich wie in zehn warme Decken gehüllt fühle; dann denke ich an gar nichts, dann existiere ich bloß vor mich hin. Nach einer Weile steigt mir so ein stechender Geruch in die Nase. Erst denke ich, es sind noch Reste von der Kotze, die mir irgendwo kleben, dann hebe ich meine Hand und merke, dass ich sie die ganze Zeit im Kompostmüll liegen hatte, der stapelt sich neben dem Sofa, weil wir ihn seit Wochen dahin kippen. Keine Überdosis. Ich komme langsam wieder zu mir, spüre die Fliegen, die mir auf dem Gesicht herumkrabbeln, höre sie im Wohnzimmer umhersummen. Ich mache keine Anstalten, sie zu vertreiben oder sowas. Ich schließe die Augen, atme tief ein. Keine Überdosis.

Vorgestern
Der Sohn vom Hübner kommt jetzt öfter. Er hat sich die Haare kurz geschnitten, und am Anfang schlich er sich immer durch die Balkontür, als ich nach Dragonball ins Bett musste. Aber das habe ich gleich gecheckt, ich konnte die beiden nämlich hören, unten, im Wohnzimmer. Meine Mutter lacht viel, wenn er da ist, und wenn er wieder geht, riecht die Wohnung nach seinem Parfum und seinem Schweiß. Sonntags warte ich schon gar nicht mehr auf meinen Vater. Am Anfang habe ich noch ständig auf die Uhr geschaut, aber irgendwann hat er angefangen anzurufen und zu sagen: »Junge, tut mir leid, aber diese Woche ist mir was dazwischengekommen«, oder: »Zu deinem Geburtstag bring’ ich dir Karten für den Klub mit, aber heute ist das Wetter so schlecht, da muss ich auf den Bau, sonst saufen die Männer bloß Kaffee.«
Dann hat er gar nicht mehr angerufen und ich habe auch gar nicht mehr an ihn gedacht, sondern bin gleich rüber zum Luke, der ist sowieso immer scharf auf Kicken.
Neulich hat uns Frau Gräbner ans Pult gerufen, sie hat uns unsere Mathetests unter die Nase gehalten und gesagt: »Na, fällt euch was auf?«, und wir haben beide mit dem Kopf geschüttelt. Dann wurde sie total rot im Gesicht, und wenn sie schreit, spuckt sie immer ganz fürchterlich. Jetzt sitzt Luke am anderen Ende des Klassenzimmers und schreibt nur noch schlechte Noten; er hat erzählt, dass ihn seine Mutter immer samstags zu so einem Typen fährt, der aus dem Mund noch schlimmer als unser Sportlehrer riecht, und mit dem muss er dann über lauter komisches Zeug reden und so Spiele spielen, die gar keinen Spaß machen. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll. Als ich das meiner Mutter erzähle, schüttelt sie den Kopf und sagt: »Wenn ich die Pfeuffer schon immer in ihrem Hosenanzug hier vor der Tür herumstöckeln sehe, nee, nee, nee. Die ist früher schon immer mit Handschuhen und Desinfektionsspray angerannt gekommen, wenn Lukas sich im Sandkasten eingesäut hat – aber so seid ihr, ihr Jungs, und wenn Lukas länger braucht ... die hat doch bloß Schiss, dass die anderen Mütter aus der Musikschule über sie tuscheln, wenn ihr Lukas nächstes Jahr immer noch in der Zweiten hockt.«

Gestern
Ich bin jetzt seit einem Monat in der Fabrik. Letzte Woche kam in der Mittagspause so ein Typ zu mir, Anfang dreißig, Augenringe, Zauselbart und Holzfällerhemd, der fragte mich nach Feuer, wir kamen ins Gespräch, laberten übers Feierngehen und welche Diskos scheiße sind und so, da sagte er plötzlich: »Crystal?«, und erst verstand ich nicht, dann sagte er: »Du bist Crystal, das seh’ ich gleich.«
Er grinste und ich stand ziemlich verdudzt da, sagte: »Nee, eher so Weed.«
Er beäugte mich skeptisch, dann fragte er: »Bist aber kein Bulle, oder?«, ich verneinte, er dachte kurz nach, zwinkerte mir zu und sagte: »Du bist okay, Kollege. Wenn du was brauchst, kommste zu mir, kapiesch?«
Ich fragte den Holzfällertypen nach Weed, aber er blickte mich bloß schief an und sagte: »Krass – war mir sicher, du bist Crystal, Kollege.«

»Ich glaube, ich hab die Frauen durchschaut«, sagt Luke, zieht an der Bong und gibt sie mir rüber. »Du musst dich einfach für ihr Leben interessieren, und wenn du dahinter gekommen bist, was für einen Typ Mann sie wollen, erzählst du ihnen einfach alles, was sie hören wollen. Gecheckt?«
Ich ziehe den Rauch hoch und atme ein. Erst wird mein Gesicht taub, dann wird mir warm, so von innen heraus.
»Kein Plan«, sage ich, »kann schon sein. Aber ich darf nicht zu breit sein, ich muss nachher noch mit Hanna und meiner Mutter essen.«
»Mhm«, sagt Luke, und betrachtet mich skeptisch. »So ’n Kennenlernding?«
»Glaub schon.«
»Ich könnte das nicht.«
Ich lege meine Stirn in Falten. »Wie meinste das?«
»Weiß nicht, ich meine, ihr hängt schon viel zusammen ab, oder?«
Ich lasse die letzten sechs Wochen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen.
»Ja, irgendwie schon«, sage ich, und nicke dabei leicht.
»Pass auf, Mann«, sagt Luke, »bleib nicht auf der Kleinen hängen. Immer alles warmhalten, was geht, ich sag’s dir.«
Ich muss schmunzeln.
»Alter Casanova«, sage ich. Ich lasse meinen Blick durch den Raum wandern. »Aber echt schicke Bude. Brauchst bloß noch ein paar Möbel.«
»Ja«, sagt Luke und schaut jetzt auch durchs Wohnzimmer, als sähe er es zum ersten Mal. »Wurde auch echt Zeit. Seitdem meine Mutter wieder da ist, hieß es: Luke mach dies, Luke mach das, Luke, wieso hast du dich nirgends beworben, du stinkst nach Bier, Rauchen ist ungesund ...«
Wir schauen uns an und müssen plötzlich beide loslachen, es platzt aus uns heraus, meine Augen tränen. Luke fingert einen Spiegel unter der Bierkiste hervor, auf der er sitzt.
»Willste eine?«, fragt er, und öffnet das Tütchen.
»Nee«, sage ich, »darf nicht zu drauf sein. Das Essen – hab ich doch gesagt.«
»Ahso, stimmt«, sagt er, formt mit seinem Perso eine Linie und beugt sich hinunter.

Meine Mutter ist sehr schwach, aber absagen wollte sie auf keinen Fall. Jetzt sitzt sie mit Wollmütze und in eine Decke gehüllt am Esstisch.
»Und was willst du später mal studieren?«, fragt sie Hanna heiser, und Hanna sitzt mit ihrem blauen Ausgehkleid und den hochgesteckten Haaren da, hat rote Backen und einen Blick, der durch die Gegend springt; ich habe ihr schon lange erzählt, was meiner Mutter fehlt, aber ich glaube, jeder, der das erste mal den Tod in einem Menschen sitzen sieht, kommt damit nicht klar.
»Grundschullehramt«, sagt Hanna, und versucht zu lächeln.
»Ach schön«, sagt meine Mutter, und wirft mir ein Lächeln zu. Sie sticht mit der Gabel in eine Tortellini und steckt sie sich in den Mund. »Der Auflauf schmeckt übrigens klasse, da musst du mir mal das Rezept für geben. Der ist schon selber gemacht, oder?«
»Ja, ja«, sagt Hanna, »das Rezept ist von meiner Oma.«
»Ach, toll«, sagt meine Mutter. »Das ist echt toll.«

Als ich Hanna zur Tür gebracht habe und das Geschirr abräume, liegt meine Mutter auf dem Sofa und ruft mit brüchiger Stimme: »Johannes ...«
Ich stelle die Teller wieder auf den Tisch.
»Was ist denn?«, frage ich, und setze mich neben sie – sie nimmt meine Hand, drückt sie und blinzelt mir zu.
»Ist ein gutes Mädchen«, sagt meine Mutter und lächelt. »Ich bin froh, dass du so ein gutes Mädchen bei dir hast. Deinem Vater hätte sie auch gefallen.«
Ich nicke stumm, dann stehe ich auf und gehe zurück in die Küche.

Heute
Nüchtern überlebe ich die Arbeit in der Fabrik nicht. Wenn ich drauf bin, ist das etwas anderes: Vor mir das Maul der Maschine, die in die Blechplatten beißt, die ich ihr zu Fressen gebe ... Ich denke, Leute, die den Stoff noch nie durch ihre Adern haben rasen spüren, verstehen das nicht, aber wenn es unter meiner Haut kribbelt, wenn dieser Orkan in mir zu wüten beginnt, habe ich Scheuklappen auf – dann ist es die größte Befriedigung, die immer gleiche Bewegung zu machen, nicht nachzudenken, einfach im Fluss zu bleiben: Blechplatte, Maschinenmaul, Hebel, Blechplatte, Maschinenmaul, ...
Der Arbeiter links von mir starrt vor sich hin und funktioniert, und der Arbeiter rechts neben mir starrt vor sich hin und funktioniert – ich kenne keinen aus der Fabrik, der sein Geld nicht für irgendetwas raushaut, was den Kopf mit Watte ausstopft: Die einen haben glänzende Augen, die sie mit Dosenbier und Billigwodka polieren, und die anderen haben Haut wie weißes, altes, brüchiges Leder, weil sie dreckiges Zeug sniefen, das eher grobkörnigem Sand als funkelnden Kristallen ähnelt.
Als ich zu Luke nach Hause komme, hocken irgendwelche Typen auf meiner Schlafcouch, sie haben alle diese Trostlosigkeit in ihrem Blicken sitzen, wie man es eben hat, wenn man mit offenen Augen träumt. An der Wand steht so ein dürrer, zappeliger Kerl in einem viel zu großen Wollpullover, und krakelt mit einem Edding irgendwelche Worte darauf - die Anlage ist voll aufgedreht, elektronische Beats pochen durch die Wohnung: bumm-bumm-bumm ...
»Wo ist Luke?«, schreie ich, und zuerst reagiert keiner, dann nickt einer mit kurz geschorenen Haaren und grauem Hoodie auf Lukes Zimmer. Als ich die Tür aufreiße, sehe ich bloß seinen Hintern, der in die pickeligen Backen irgendeiner Tussi hämmert.
»Luke!«, schreie ich. Jetzt dreht er sich um und grinst mich an.
»Heey«, schreit er, »die Alte ist voll durch, willste auch?«
Die Frau dreht sich um: Sie ist dürr, mindestens fünfzig, hat Pusteln im Gesicht und fettige blonde Haare, die ihr am Schädel herunterhängen wie eine Portion Spaghetti.
»Nee, nur einer!«, knurrt sie. Luke lacht, läuft zu seinem Schrank, zieht einen Schuhkarton heraus und schmeißt dem Ding ein Plastiktütchen hin.
»Die Runde geht auf mich«, sagt Luke, und klopft mir auf die Schulter. Er geht ins Wohnzimmer, nackt. Die Alte kniet noch immer gebückt auf dem Bett, ich sehe ihr haariges dunkles Loch; sie grapscht nach dem Tütchen wie Gollum nach dem Ring, dann schaut sie zu mir, grinst, und ich sehe nur schwarze Stummel.
»Na, bin ich dir zu hässlich, Kleiner?«, fragt mich die Alte, lacht, und ihre Lungen rasseln. Ich gehe zum Bett und fahre ihr durch die blonden Haare. Ich versuche etwas an ihr zu finden, etwas Schönes, etwas Vertrautes; etwas von Hanna.
»Komm schon, fick mich«, sagt die Alte, schmeißt sich auf mich und leckt mir das Gesicht ab, ihr Atem stinkt nach Fäule und Kuhscheiße. »Los, fick mich endlich, mein kleines Baby!«
Da drehe ich mich auf sie, packe ihre Hände; aber als die Schabracke nicht aufhört, mein Gesicht abzulecken, schreie ich: »Hör auf! Hör auf damit!«
Sie lacht laut, leckt mich ab und schreit: »Oh ja, mein Baby!«, und dann gebe ich ihr eine Ohrfeige, der Hure – ihr gefällt es, sie lacht und schreit: »Oh ja, mein Baby! Mein kleines Baby!«, dafür kriegt sie noch eine und noch eine, bis ihr Gesicht rot wird.
»Du Hure! Du willst es? Du Hure!«, schreie ich, reiße mir die Hose runter und spüre ihre nassen, schlaffen Schamlippen. Sie lacht und stöhnt und ich ramme ihn rein, so tief es geht, immer wieder, bis ihr die Soße in die Arschritze läuft – ihr Atem ist heiß an meinem Hals, zur Strafe spucke ich ihr ins Gesicht, der Schlampe; dann gehe ich ins Bad und kotze und heule – ich höre sie draußen mit Luke reden, ich höre ihre Lungen rasseln. Dann schmeißt sie die Tür zu, und alles, was ich höre, ist: bumm-bumm-bumm ...

Gestern
Luke hat jetzt eine Couch und zwei Sessel, es ist Samstagabend und wir glühen bei ihm vor. Hanna hat sich herausgeputzt: hohe Schuhe, kurzer Rock, Spaghettitop, Alter, ich würde sie direkt hier nehmen, vor allen anderen, kein Scheiß, ich würd’s machen. Ihre Freundin heißt Anke oder Angie, Amir labert sie die ganze Zeit mit irgendwelchen Geschichten aus der Schule voll und starrt dabei auf Hannas Beine; ab und zu merkt er, dass ich merke, dass er meine Freundin in Gedanken auszieht, dann schaut er schnell weg und lacht laut über irgendetwas, was Anke oder Angie sagt. Luke hat so eine zerbrechliche Sechzehnjährige mit Rehaugen eingeladen, die er neulich abends irgendwo kennengelernt hat; hat keine halbe Stunde gedauert, bis sie hier am Rumlecken waren: Luke schiebt sie sich bloß vom Gesicht, wenn die Tüte an ihm vorbeizieht oder wenn wir in die Küche gehen und was vom Pep ziehen, das ich vom Holzfällertypen organisiert habe – es ist verdammt gutes Zeug, es lässt das Herz und die Gedanken nicht rasen und gibt einem dieses warme, klare, kribbelige Gefühl, dass dir heute der verdammt beste Tag deines Lebens bevorsteht.
Ich hänge in der Küche gerade mit dem Röhrchen über dem Spiegel, da kommt Hanna rein, sie schaut mich an, ich schaue sie an, alles erstarrt einen Moment lang und dann sagt sie: »Wann gehn wir jetzt eigentlich tanzen?«
»Ähm«, sage ich, »weiß auch nicht. So in ’ner Stunde?«
Hanna seufzt und drückt auf ihrem Smartphone herum. »Dann is es schon fast zwölf, die anderen sind schon ewig da.«
Ich kratze mich an der Nase, tausche mit Luke und Amir Blicke aus. »Halbe Stunde?«
Hanna schaut auf den Spiegel, dann sieht sie mich irgendwie traurig an. »Meinetwegen.«

Heute
Ich hänge über dem Spiegel und ziehe eine Line, aber es fühlt sich nicht an, als ob ich Drogen nehmen würde, es fühlt sich eher an, als ob ich richtig durchatmen würde, nachdem ich fünf Minuten lang unter Wasser war. Als ich fertig bin, blicke ich direkt in mein Gesicht – es ist rot und geschwollen, ich kann meinen Mund kaum öffnen – ich glaube, da ist irgendetwas gebrochen, aber das ist mir egal, mein Körper ist mir egal, ich bin mir egal. Gestern stand der Skin aus dem zweiten Stock plötzlich vor mir – seitdem ich auf seinen Golf gekotzt habe, klingelt er ständig Sturm und schreit Zeug wie: »Ihr dreckigen Schwuchteln!«, oder: »Linke Assis!«, und schlägt dabei gegen die Tür. Solange wir ihm einfach nie wieder begegnen, ist das ja auch nicht weiter schlimm, das Hochhaus ist riesig; aber ich war acht oder neun Tage lang wach gewesen, und meine Arme und Beine krampften so irre, dass ich kaum mehr stehen konnte – und in diesem Zustand vergaß ich einfach, erst durch den Spion zu schauen, als es klingelte. Der Skin baute sich dann mit seinem Bullenkörper und der Bomberjacke vor mir auf und fing an, auf mich einzubellen, aber ich verstand ihn einfach nicht, echt, es war, als ob er rückwärts sprechen würde oder so: »Tot rhi dies, tgnalna Otua niem lamnie hcon rhi Nnew!«
Ich krallte mich schwitzend und zuckend in den Türrahmen und der Sabber lief mir aus dem Mund, weil mir scheiße schlecht war – ein Tropfen muss wohl seinen Stiefel getroffen haben. Als der Skin mir die Erste verpasste, hörte ich meinen Kiefer knacken, und das Nächste, was ich sah, war der Koloss über mir, mit diesem platten, plumpen, roten Gesicht, ich spürte seine Stiefel auf mich einknallen, aber es schmerzte nicht, ich fühlte gar nichts – dann kam Luke plötzlich aus seinem Zimmer gestürmt, brüllend wie ein Hunne, und schleuderte seine Glasbong auf den Glatzkopf: Der Skin rannte blutüberströmt heraus, schrie: »Assis! Assis! Das kriegta zurück, ihr Assis!«

Vorgestern
Gestern, als die letzten beiden Stunden ausgefallen sind, da hat es an der Tür geklingelt und Matthias – so heißt der junge Hübner – stand mit einem Blumenstrauß vor mir. Er wurde ganz rot, als er mich sah, dann kam meine Mutter und hat ihn ganz furchtbar angeschrien, und als er anfing, zurückzuschreien, bin ich auf mein Zimmer gegangen. Aber heute, als ich nach Hause kam, saßen sie beide am Esstisch, mit so einer Kerze zwischen sich. Sie haben mich mit großen Augen angeschaut, und dann hat meine Mutter gesagt, dass der Vater erstmal nicht mehr kommt, dass aber dafür Matthias jetzt öfters kommt. Danach haben wir zu dritt Auflauf gegessen, meine Mutter hat mich die ganze Zeit über so gruselig angelächelt, aber ich hatte irgendwie kaum Hunger, mir war kalt und ich hatte keine Spucke im Mund. Später bin ich rüber zum Luke, wollte ihm das mit meinem Vater und Matthias erzählen, aber Luke war komisch, er hat viel gegähnt und wollte Fußball bloß bei mir auf der Playstation spielen, weil, er darf ja keine haben. Und als ich ihm das mit meinem Vater erzählt habe, da hat er mich so angestarrt, als ob er einfach durch mich hindurchsehen würde.
»Meine Mutter ist jetzt in so einem Krankenhaus«, sagte Luke später, als wir auf seinem Bett hockten und Fußballsticker tauschten. »Die hat die letzte Zeit so viel geweint und war nur im Bett gelegen. Aber hat nichts mit mir zu tun oder so, ihr Gehirn hat sowas wie ne Erkältung, hat mein Vater gesagt. Wir besuchen sie am Sonntag.«
Jetzt liege ich im Bett und kann nicht einschlafen. Ich meine, ich bin ja nicht dumm, ich weiß wie das zwischen Männern und Frauen abläuft. Ich höre sie, nebenan, sie sind vom Wohnzimmer hochgezogen: Ich höre die Schreie meiner Mutter und das Stöhnen von Matthias, dann wird es kurz still, bevor es von Neuem losgeht; ich hasse ihn, ich hasse Matthias, ich drücke mir mein Kissen auf die Ohren und heule wie ein kleines Mädchen. Ich wünschte, das Auto hätte ihn damals überfahren, als wir bei ihm geklaut haben – wirklich, ich falte meine Hände und bitte den lieben Gott, dass er Matthias umbringt, lieber Gott, flüstere ich, bring ihn um, lieber Gott, bring ihn um, bring ihn um ...


Gestern
Ich habe Luke vor zwei Wochen das letzte Mal gesehen, da ist er mit tellergroßen Pupillen zu mir gekommen und hat mir verrücktes Zeug erzählt, von einem Dreier mit zwei Dreißigjährigen und einer Technoparty, auf der er von Freitag bis Sonntag durchgehend am Tanzen war. Luke fragte nach der Nummer vom Hölzfällertypen, er meinte, Chemie kriegt man nirgends zu so einem Kurs. Später haben wir eine Tüte geraucht, aber die hat mich irgendwie noch mehr runtergezogen. Ich habe Luke dann gesagt, dass ich jetzt Zeit für mich bräuchte, und dann ist mir zwei Stunden lang das Wasser aus den Augen gelaufen.

»Du musst mal wieder raus gehen«, sagt Hanna. Ich liege auf der Couch, dort, wo meine Mutter immer gelegen hat. Hanna reißt das Fenster auf und das Rollo hoch, ich rieche den Herbst, er riecht nach Regen und Erde und nassen Blättern, das grelle Licht sticht mir in den Augen, ich drehe mich auf die Seite und vergrabe mein Gesicht in der Polstergarnitur.
»Mach das scheiß Fenster zu«, murmle ich, aber die Couch verschluckt meine Worte. Hanna setzt sich neben mich und fährt mir durch die Haare.
»Wann hast du das letzte Mal was gegessen?«, fragt sie.
»Gestern«, sage ich. Sie nimmt meinen Arm und umschließt ihn unterhalb der Hand mühelos mit Daumen und Zeigefinger.
»Lügner«, sagt sie.
»Und wenn schon«, sage ich, drücke meine Augen zu Schlitze zusammen und blicke sie an. »Krieg halt nichts runter. Geht einfach nicht ...«
Sie nimmt meine Hand, drückt sie und fährt mir wieder durch die Haare.
»Ich mach dir mal ’ne, Suppe, okay?«
Ich nicke.
Der Geruch von Zwiebeln und Suppengrün steigt mir in die Nase, ich schaue aus dem Fenster, sehe die goldene Scheibe da oben hängen und höre ein paar Kinder auf der Straße herumtoben. Ich schlurfe in die Küche, mir ist kalt und schwindelig. Als ich sehe, wie Hanna mit dem Mixstab in der Hand den Herd voller Suppe spritzt, muss ich irgendwie schmunzeln.
»Ist gleich fertig«, sagt sie, lächelt und streicht sich eine Strähne hinters Ohr. Ich summe vor mich hin, Hanna schaut mich schief an.
»Was ist das denn für eine Melodie?«, fragt sie.
»Keine Ahnung«, sage ich, »hab das gerade so im Ohr.«
»Mhm ... komm halt doch heute Abend mit«, sagt Hanna, »würde dir gut tun. Amir und Angie sind auch dabei.«
Ich schüttle den Kopf.
»Nee«, sage ich, »heute nicht.«

Die graue Hitze tänzelt von meinem Löffel und Hanna schaut sich im Esszimmer um wie eine Fremde.
»Ist irgendwas?«, frage ich.
»Hör zu ...«, sagt sie, und kratzt sich an der Stirn. »Willst du hier wohnen bleiben? So für immer?«
Ich zucke mit den Schultern. »Hab noch nicht drüber nachgedacht.«
»Ich meine ... wär’s nicht besser, abzuschließen? Hier, mit dem Haus und so?«
Ich schlürfe die Suppe vom Löffel und zucke wieder mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Wir schweigen.
»Der Notar hat eh gemeint, dass das Haus noch auf meinen Alten läuft. Muss mal gucken, wie das weitergeht.«
»Er ... er war übrigens auf der Beerdigung«, sagt Hanna plötzlich, und ihre Worte sind wie ein Eimer kaltes Wasser.
»Was?«, sage ich, und schnappe nach Luft. Hanna hat den Blick gesenkt und starrt auf ihre Hände.
»Er hat mich gefragt, ob ich zu dir gehöre. Dann hat er gefragt, ob ich denke, dass er dich mal besuchen könnte, er ist noch zwei Wochen in der Stadt.«
»Und?« Meine Beine kribbeln.
»Hab gesagt, dir geht’s ziemlich schlecht und ich weiß nicht, ob das zu viel für dich wäre.«

Heute
Wenn am ersten oder zweiten des Monats mein Lohn kommt, kann ich rotzen wie ein König – sechs, sieben Tage lang, jede Stunde ein dickes Näschen. Jetzt ist Monatsende, ich bin blank und Luke hat auch kaum mehr Zeug; er ist der beschissenste Dealer, den ich je gesehen habe: Erst streckte er das Crystal vom Holzfällertypen mit Salz und Backpulver – das haben ihm nicht mal die Kids aus dem Skatepark abgekauft – dann ging Lukes eigenes Ice aus, und er konnte es nicht ertragen, nüchtern neben einem Schrank voller versautem Zeug herumzuliegen. Jetzt zieht er sich ständig diesen Backpulver-Salz-Mix rein, und ich höre ihn immer fluchen, wenn ihm die Nase den Teppich vollblutet.

Ich habe ein paar Stunden geschlafen, das erste Mal seit langem. Als ich aufwache, steht Luke am Fenster, schwitzt stark, raucht und starrt auf die Straße hinunter. Ein paar Fliegen krabbeln ihm auf den Armen, dem Nacken, dem Gesicht herum. Luke fuchtelt mit der Hand herum, aber das hilft nur kurz.
»Was machst ’n da?«, frage ich, und als mir die Wörter über die Lippen laufen, sticht und pocht mein halbes Gesicht – der verdammte Kiefer.
»Schh«, zischt Luke, und fuchtelt mit der Hand herum. »Sei mal still!«
Ich schleiche zum Fenster, der Parkettboden knarzt.
»Ich glaube, der Skin, der hat so ein Abhörgerät ...«, flüstert er.
»Was?«
»Da unten.« Er nickt in Richtung Straße.
»Ich seh’ nix.«
»Doch, da, im roten Golf, auf dem Rücksitz, da hockt er mit Kopfhörern ... schaut schon die ganze Zeit hoch, siehste das nich’ ...«
Luke zieht aufgeregt an seiner Selbstgedrehten, dann blickt er mich an, und erst jetzt fällt mir auf, wie scheiße er aussieht, so müde und blass und verloren: Ich kenne diesen Blick, dieses Gesicht, diesen Verfall: Ich muss an ihre Wollmütze denken und an die gelbe Decke.
»Wir müssen aufpassen«, sagt er, »ich glaub, das ist ’n Bulle.«
Ich schlucke und weiß auch nicht, was ich davon halten soll; ich ziehe mir das Tütchen mit den Resten aus dem Socken, zeichne eine schmale Linie auf dem Tisch und beuge mich herunter. Besser jetzt das Zeug vernichten, falls der wirklich Bulle ist, denke ich mir. Der Orkan beginnt in mir zu wüten, es ist guter Stoff, erst wird mein Hals warm, dann meine Hände, die Schmerzen verschwinden aus meiner Backe.
»Ich muss jetzt zur Arbeit«, flüstere ich. Luke steht da, starrt aus dem Fenster und steckt sich eine neue Kippe an.
»Pass auf, wenn du raus gehst«, flüstert er, ohne mich anzusehen.
Luke dreht total durch, als ich zum roten Golf laufe – ich kann ihn sehen, am Fenster, er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und läuft auf und ab. Aber da ist nichts, gar nichts, bloß ein Müllbeutel auf dem Rücksitz.

Vorgestern
Luke hat mir zu meinem Fünfzehnten eine Pulle Jägermeister geschenkt, wir stehen in der Pause im Klo herum, quetschen uns in eine Kabine, rauchen eine Kippe und ich beäuge das grüne Etikett der Flasche.
»Der checkt das eh nicht«, sagt Luke, zieht an der Zigarette, hält sie mir hin und ich nehme einen Zug. »Ein ganzes Regal davon verstaubt im Keller. Mein Opa bringt das immer zu Weihnachten mit, aber mein Vater hasst Fusel.«
»Mhm«, brumme ich. »Oh Mann ... und mein Alter kommt heute.«
Luke macht große Augen.
»Und?«, fragt er.
»Weiß auch nicht«, sage ich, »er hat gemeint, dass er sich schon total freut, mich mal wiederzusehen.«
Plötzlich hören wir, wie die Tür aufgeht und jemand zum Pissoir schlurft – ich lasse die Kippe ins Klo fallen und wir halten die Luft an.

Es wird Herbst: Das grüne Haar der Bäume wird immer lichter und am Horizont sehe ich dunkle Wolken, die wie gigantische Schlachtschiffe auf uns zusteuern. Luke hat irgendein Mädchen aus der Parallelklasse mit zum Hügel hinter die Schule gebracht, Steffi, sie hat kleine Brüste und eine Zahnspange und schaut uns dabei zu, wie wir am Schnaps nuckeln. Christoph kommt um die Ecke, er ist einer der Streber aus der ersten Reihe, hat blondes, geföhntes Haar und eine Brille auf seiner pickeligen Nase sitzen. Als er uns sieht, wird er blass und bleibt stehen.
»Na Chrissi«, sagt Luke, grinst und bläst Rauch in seine Richtung. »Gehst gerade in den Schwulenclub?«
Steffi lacht, und ich gehe zu Christoph, packe ihn an den Schultern und schüttle ihn. »Ach komm schon Kumpel, sei nicht immer so steif! Ist doch bloß Spaß, Mann!«
»L-Lass mich los!«, sagt Christoph, und ich kann die Angst in seinem Blick sehen. »O-Oder ich sags der F-Frau Klöster! D-Dann gibts Ärger!«
Ich drehe mich zu Luke um, lache und sage: »Haste gehört? W-Wir s-sollen i-ihn g-gehen lassen!«
Luke sagt: »Ooh, armer Bubi«, und dann beginnen wir Chrstoph herumzuschubsen, irgendwann fällt ihm die scheiß Brille von der Nase, er beginnt zu flennen und dann schlage ich zu.
»Du Pussy!«, schreie ich ihn an, einfach, weil ich Lust habe, diesem Weichling mal zu zeigen, wie es ist, wenn das Leben scheiße ist. »Renn doch zu deiner Mami, du Schwuchtel!«
Plötzlich rennt Christoph echt los – seine Brille bleibt im Dreck liegen.

Mein Vater schaut alt aus, seine Haare haben einen grauen Stich, und durch sein Gesicht ziehen sich Falten. Er steht im Wohnzimmer, trägt Anzug und hält ein Paket mit roter Schleife in den Händen; neben ihm steht eine kleine blonde Frau und daneben meine Mutter und daneben Günther: das ist der, der nach Ernst, Heinz, Hahnenkamm-Matthias und den ganzen anderen kam, aber im Endeffekt sind sie alle gleich: Erst schleichen sie sich durch die Balkontür herein, dann wird gelacht und Kaffee getrunken, dann stehen sie mit Blumensträußen vor der Tür, und schließlich höre ich es Klatschen und meine Mutter schreien und die Kerle stöhnen.
»Hey, Cowboy«, sagt mein Vater, und lächelt mich an. »Alles Gute!«
»Mhm«, brumme ich, und lasse mir die Haare vor die Augen fallen. Mein Vater räuspert sich, stellt sich vor mich und hält mir das Paket hin.
»Ist was mit Fußball«, sagt er, »gefällt dir bestimmt.«
»Hab schon ewig kein Fußball mehr gezockt«, sage ich, laufe an ihm vorbei, setze mich an den Tisch und schaufle mir ein Stück Kuchen auf den Teller. Die anderen stehen alle noch, sie starren mich stumm an.
»Übrigens«, sagt mein Vater, »ähm ... wie soll ich’s dir sagen? Also ich mach’s kurz: Das ist die Birgit.« Er legt seinen Arm um die blonde Frau, beide versuchen zu lächeln. »Wir, wir ... wir verstehen uns sehr gut und werden vielleicht auch bald zusammen wohnen, weißt du?«
»Mhm«, brumme ich wieder, und stopfe mir Kuchen in den Mund.
»Der Erdbeerkuchen ist übrigens von mir«, sagt die kleine blonde Frau, »schmeckt er dir?«
Ich schüttle mir die Haare aus den Augen, blicke die blonde Frau an und spucke meinen Mundinhalt auf den Teller.
»Schmeckt wie ’n Haufen Scheiße mit ner Erdbeere oben drauf«, sage ich. Meiner Mutter läuft eine Träne über die Wange und mein Vater wird rot, er hechelt nach Luft und dann brüllt er: »Na also! Jetzt beherrsch dich aber mal!«
Ich stehe auf, der Stuhl fällt um, ich grapsche mir eine Handvoll Erdbeerkuchen und schmeiße das Zeug auf den scheiß Anzug von meinem Vater.
»Verpiss dich!«, brülle ich und mein Herz rast, »geh wieder nach Berlin und komm nie wieder, du Penner! Nimm dein verficktes Geschenk und steck’s deiner Fotze in den Arsch!«

Gestern
Der Suppengeruch hängt noch in der Luft, als ich am Schlafzimmerfenster meiner Eltern stehe und auf den verwilderten Vorgarten herunterblicke, wo früher Tulpen und Rosen und Lavendelblüten zu einem Farbenmeer verschwammen. Meine Mutter verbrachte jede freie Minute dort: wie sie mit Strohhut da unten kniet, mit Lächeln auf den Lippen, das vergesse ich nie.
Dann klingelt es noch einmal, die blonde Frau versucht jetzt durch das Küchenfenster ins Haus zu sehen, sie stiefelt durch den Vorgarten und drückt ihre Nase gegen die Scheibe. Ein Teil von mir will herunterrennen, meinen Vater umarmen, endlich wieder zuhause sein, aber ein anderer will ihm den Aschenbecher neben meiner Rechten auf den Kopf schmeißen, ihn leiden sehen – letztendlich stehe ich eingefroren am Fenster und starre hinunter. Es dämmert bereits und ihre Gestalten sind nichts als unscharfe Schatten – ich kann mich nicht einmal genau daran erinnern, wie sein Gesicht aussieht, es ist ewig her, dass ich ihn oder ein Foto von ihm gesehen habe. Ich höre die Klappe des Briefkastens zufallen, dann noch einmal die Klingel schreien. Als sie die Straße hinab gehen, fällt mir auf, dass mein Vater anders läuft als früher: In meiner Erinnerung ist er ein Riese, der so umherstolziert, als gehöre ihm die ganze Welt: mit erhobenem Kopf und großen Schritten – und jetzt schwebt er leicht gebückt über den Asphalt. Ich schaue ihnen nach, bis sie von der anbrechenden Nacht verschluckt werden. Irgendwann glotzt mich der Mond an und ich fühle mich wie mit sieben, als ich stundenlang vor der Tür gehockt war und auf die Straße schaute, in der Hoffnung, er würde wiederkommen.

Seit Tagen starrt mich der Brief auf der Kommode an. Ich musste drei Tüten rauchen und fünf Biere trinken, bevor ich ihn öffnen konnte. Ich lese hastig, sauge die Wörter in mich hinein, wie ein Verdurstender eine Flasche Wasser. Dann alles noch mal, ich schaue mir jeden einzelnen Buchstaben an: er macht über dem U einen kleinen Strich, und das F steht so gebückt und kraftlos auf den Zeilen, dass ich meinen Vater darin wiedererkenne, wie er die Straße hinab läuft. Ich denke nach, lange, ziehe immer gleiche Kreise durchs Haus; dann klappe ich den Laptop auf und google nach der Telefonnummer.

Die Schneeflocken gleiten wie weiße Federn vom Himmel herab, während ich mit verschränkten Armen durch die Straßen zittere. Ich glaube, was ich Hanna sagen werde, wird sie freuen – vielleicht ziehe ich erst einmal zu ihr, bevor wir uns etwas suchen. Als ich in ihren Wohnblock einbiege, sehe ich einen schlaksigen Typen mit schwarzen, drahtigen Locken die Treppenstufen des Hochhauses herunterlaufen. Amir geht mit zügigen Schritten und klappt sich den Mantelkragen hoch, er scheint mich nicht gesehen zu haben. Einen Moment lang will sich mein Arm heben und mein Mund: »Heey, Amir!« schreien, aber dann sackt es mir wie ein Stein in den Magen, meine Beine werden weich.

Während Hanna die Tür aufreißt, sagt sie: »Naa, hast du wa-«, aber als sie mich sieht, erlischt das Leuchten in ihren Augen und das Lächeln fällt ihr wie eine Maske vom Gesicht; ihre Haare sind zerzaust, sie trägt eine Jogginghose und ein Spaghettitop.
»Hey, Jo, ähm ... hatte dich jetzt gar nicht erwartet«, sagt sie und wird blass.
»Ja«, sage ich, »ja, ich weiß.«
Ich schiebe sie zur Seite und laufe ins Schlafzimmer. Hanna bleibt erstarrt stehen und krallt sich in den Türgriff. Als ich die zerknitterte Bettdecke und die dunklen Flecken auf dem Laken sehe, schließe ich die Augen: Es riecht nach Parfum und Schweiß, und irgendwie kann ich sie hören, ich höre ihre Schreie und sein Stöhnen.
»Hey, also –«, sagt Hanna, aber ich wüsste nicht, was es noch zu sagen gäbe. Ich schmeiße die Tür hinter mir zu und laufe nach Hause. Es ist kalt geworden, verdammt kalt: Es wird bald Winter sein.

Heute
Es dämmert, als ich von der Nachtschicht zu Luke nach Hause komme. Es ist ungewöhnlich still in der Wohnung, nur der Boiler brummt im Minutentakt und der Parkettboden ächzt unter meinen Schritten. Ich frage mich, wo die Fliegen sind, als ich über Flaschen, Müllbeutel, Pizzakartons stolpere. Ich setze mich auf den Antik-Sessel und bin gerade dabei, mein letztes Zeug zu zermalmen, als ich ein leises Klopfen höre.
»Jo ...«
Ich blicke mich um, kann aber nicht ausmachen, woher das kam, ein mulmiges Gefühl kribbelt in meinem Bauch.
»Hallo?!«, rufe ich – keine Antwort.
Als ich sehe, dass Luke Zimmertür angelehnt ist, gehe ich hinein; mir wird speiübel, meine Beine werden weich.
»Luke!«, schreie ich, bücke mich zu ihm hinunter und ohrfeige ihn, sein Gesicht ist kreideweiß, und er liegt in einer dunklen, öligen Lache, hält sich mit den Händen den Bauch fest. Ich knie mich in die Pfütze, halte seine Hand, spüre das warme Blut.
»Jo ...«, flüstert er, und seine Augen sind trüb und gläsern, sie fixieren mich und dann biegen sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln. »Na endlich ...«
»Was-was ... was ist passiert, Mann?«
»Die Alte ... die hat mich gerippt ...« Er hebt seine Hand, zeigt schwankend auf die Schuhkartons neben ihm, dann hustet er, spuckt Blut und blickt mich wieder an.
»Ich-ich ruf’ den Krankenwagen«, sage ich, als ich mein Handy heraushole, aber meine Hand zittert so sehr, dass ich die Tasten nicht treffe, ich färbe das Ding bloß rot.
»Die hat das ganze Zeug geseh’n ... is’ voll durchgedreht, ey ... hatte ’n Messer dabei ... ich sag’s dir ...«
»Halt durch, Mann, der Krankenwagen kommt gleich«, sage ich mit bebender Stimme, mein Herz rast und meine Hände sind taub, mir fällt das Handy fast herunter.
»Geht ... geht die Sonne gerade auf?«, fragt Luke plötzlich. Ich sehe ihn an und verstehe nicht.
»Sag jetz’ ... geht die Sonne auf?«
Ich blicke durchs Fenster.
»Weiß nicht ... ja«, sage ich, »ja, sie geht gerade auf.«
Luke lächelt, nickt und greift nach meiner Hand.
»Weißt du«, sagt er, »weißt du, ich ... ich hab das schlimmste Laster.«
»Du schaffst das schon«, sage ich zu Luke, und treffe zweimal die Eins-Taste.
»Ich ... ich bin süchtig nach dem Leben«, sagt Luke, packt meine Hand fest, hustet und lächelt.
»Nach dem Leben ... ich ... ich sehe jeden Tag die Sonne aufgehen, und ... und jeden Tag erwarte ich mehr ... mehr Farben, mehr Wärme, einfach mehr, ich kann nichts dagegen tun ...«
Eine Stimme ist am Handy, aber ich kann nicht antworten. Ich heule wie ein kleines Mädchen, und Luke heult mit.

*​

Die ganze Zeit über habe ich den Brief bei mir getragen – tags in meiner Hosentasche, nachts unter meinem Kopfkissen. Mein Vater hat nicht viel geschrieben, aber ich denke, das, was er ins Papier gekratzt hat, ist alles, was er mir sagen wollte, was er mir sagen konnte. Ich blicke auf den zerknitterten Brief in meiner Linken, auf dem Für Johannes steht.
»Gleiß vier: Einfahrt«, schallt es durch den Bahnhof, dann schiebt sich der Zug durch den Nebel da draußen vor meine Füße. Ich öffne den Umschlag:Ich kann nicht ändern, wie alles gelaufen ist. Wenn du soweit bist, hier meine Adresse ...Ich atme tief ein, der Bahnhof riech nacht Zigarettenrauch und Urin und nach Erde und Gras und Gemüse und Hannas Haaren und nach meiner Mutter und Matthias Parfum und nach Spiegeleiern mit Marmelade. Ich muss endlich wieder wissen, wie er aussieht.

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.

Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags zu setzen.
Beispiel:

[spoiler]Ich vermute, dass der Autor der Geschichte Rumpelstilzchen ist. Der schreibt doch auch immer von güldenem Haar und benutzt so viele Ausrufezeichen![/Spoiler]

Die eckigen Klammern setzt ihr mit der Tastenkombination Alt-gr+8 bzw. Alt-gr+9.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Raten und Kommentieren!


Die Runde endet am: 18.02.

 
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Hallo Maske,

das ist sicher eine solide geschriebene Geschichte, aber irgendwie ist mir alles zu nahe liegend und zu passend. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich hier schon viele derartige Geschichten gelesen habe, Jugend, erste Liebe, schwierige Familienverhältnisse, Drogen. Irgendwann muss man doch da weiter gehen, irgendwann muss es doch darüber hinausgehen, dass man einfach den Status Quo darstellt. Ich bekomm hier einfach keine neue Sicht auf derartige Dinge geboten, alles läuft wie erwartet ab, die Figuren nehmen keine überraschende Entwicklung, es sind überhaupt keine überraschenden Figuren.

Und es ist ja auch nicht so, dass es verboten wäre, mal "ästhetisch" zu schreiben, mal stilistisch etwas zu wagen, ich hab diesen nüchternen Erzähler, der gerade so wagt, über die Wolken zu schreiben für einen leicht poetischen Touch, ein bisschen satt, von mir aus schwelgt wieder in Adjektiven, dass die Zeilen krachen, aber dieser nüchterne Ton, der nur darstellt, sich eigentlich nie positioniert, nur ja keine Meinung zum Dargestellten hat, immer möglichst knapp am Geschehen ist ... ich mag das schön langsam nicht mehr. Ich will Geist und Leidenschaft und ja, auch REFLEXION, eine Meinung, ein Sinnzentrum, wenn man so will.

So, tut mir leid, dass gerade diese Geschichte als Exempel herhalten musste, wahrscheinlich hat sie es nicht verdient. Aber das werden dir sicher andere noch sagen. :)

Gruß
Andrea

Kew oder M. Glass

 

Hallo,

das ist ein krasser Text. Ich fand ihn bis zur Hälfte extrem stark, danach fand ich ihn noch sehr gut. Was dem Text gerade am Anfang gelingt ist es, ein unglaubliches Tempo anzuschlagen und zu halten. Irgendwann nutzt sich das leider ab, ich wüsste aber auch nicht, wie sich das ändern ließe. Von der Idee der Geschichte hab ich an den Film Butterfly Effect gedacht, weil die Traktion der Geschichte ja schon deutlich nach unten zeigt. Es ist eine Drogenkarriere.
Das wär vielleicht nüchtern betrachtet auch eine Schwachstelle der Geschichte: Sie ist moralisch. Sie ist so wie sie sicher stattfindet, aber auch so wie Lieschen Müller sich das vorstellt. Die Trennung der Eltern setzt bei Johannes diese Spirale statt. Dann hat er die falschen Freunde, es gibt keine männlichen Bezugspersonen, er hat einen so schlechten Einfluß auf seine Freundin, dass die auch zu schlechtem Umgang wird und die Drogenlaufbahn wird von Minute zu Minute schlimmer.

Der Text wäre von der Aussage auch geeignet, dass man ihn Mütter unter die Nase halten könnte, die mehr vom Leben wollen, um ihnen dann zu sagen. Wenn du mich jetzt verlässt, dann passiert dir das und das. Also das ist so eine schicksalshafte Geschichte: Wenn du dich von deinem Mann trennst und mit mehreren Männern schläfst, dann kriegst du Krebs und dein Sohn wird ein Drogenwrack.
Dass es andersrum natürlich auch „intakte“ Familien gibt, die solche Schwierigkeiten haben, und dass auch bürgerlich lebende Frauen an Krebs sterben – das ist ja klar. Ich will das der Geschichte auch gar nicht vorwerfen, es ist nur weil die Geschichte so stark geschrieben ist, aber so typisch abläuft, ein komischer Beigeschmack.
Ich hab zwei Anmerkungen zum Stil, eigentlich drei. Die erste ist: Das ist saugut. Die Melodik, die Kürze der Szenen, diese treibende Wirkung der Sätze, wie das fließt: Das ist einfach richtig, richtig gut.
Zweitens: Genetiv bei Max heißt Max‘.
Drittens: Erstaunlich viele Semikola. Interessanter Effekt, das hab ich selten so gesehen, ich weiß auch nicht, wer das macht, ob der Text von wem inspiriert ist, der diesen Stil pflegt. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Text stark von einem Stil inspiriert ist, den ich nicht kenne, aber der sicher irgendwo da draußen ist. In den Ansätzen ist das ja auch ein „typischer“ Stil, eine Entwicklung, aber ich find ihn sehr ausgereift.

Es ist leicht, der Geschichte Vorwürfe zu machen oder sie anzugreifen. Das will ich überhaupt nicht tun. Ich finde sie ausgezeichnet, auch weil sie trotz oder gegen diese Schwächen ankämpft. Ich hab vielleicht formal eine Anmerkung: Diese Traktion der extrem kurzen, prägnanten Szenen und Schnitte kann der Text nicht über die volle Länge halten, sondern er verlangsamt sich zum Ende eher, wobei er von der Logik der Geschichte her, eher beschleunigen müsste.
Davon ab ist das mit den 3 Zeitsträngen hervorragend gelöst. Das wollten ja so im Zuge dieser „Zerschlagen wir die Chronolgie“-Richtung eine Weile viele machen und es klappt fast nie, hier funktioniert es.
Wie gesagt: Ich hab einen ziemlichen Butterfly Effect-Flash von dem Text bekommen. Er hat mir aber ausgezeichnet gefallen.

Ehm, schwer. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Autorin ist, Ende 30, Anfang 40. In letzter Zeit wenig gemacht hier - so in die ungefähre Richtung. Also muss schon einer sein, der richtig was kann, und der hier was Neues ausprobiert hat – der Text ist formal komponiert und durchaus wild, aber gezügelt, „matt wild“. Inhaltlich ist er erstaunlich … ja, nicht bieder, aber naheliegend. Jemand, der sagt: Warum mach ich das nicht? Das kann ich doch. Ich glaub nicht, dass das viele schreiben können. Irgendwie Studium absolviert und furchtbar viele Bücher gelesen und dann Butterfly Effect, Trainspotting oder Requiem for a dream in Nachtprogramm gesehen. So stell ich mir das ungefähr vor! Bin gespannt.

Gruß
Quinn

 
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Guten Abend,

das ist eine gut gemachte Geschichte. Alles flüssig geschrieben und gut komponiert. Deshalb will ich die auch gar nicht schlecht reden. Es ist nur so, dass mich das alles gar nicht berührt hat. Vielleicht ist das alles echt nen Tacken zu ordentlich und, die anderen haben's auch schon gesagt, es gibt keine Überraschungen, oder dass man mal so denkt "oh, das ist aber mal ein frischer Blick" oder "krasse Figur". Das ist alles so typisch, auch schon in diesen Jugendszenen, mit Tanzen und Rumlecken. Vielleicht bin ich da auch noch ein bisschen übersättigt von der Jugend-Challenge, aber der Erzähler gewinnt für mich auch nie so richtig Kontur. Das ist halt irgendwie son lieber Junge mit schwerem Schicksal, und der bleibt er auch als Junkie irgendwie. Also richtig spannend fand ich den als Figur nicht. Höchstens da, wo er dem Stecher seiner Ma den Tod an den Hals wünscht. Aber insgesamt hat es mir dann nicht gereicht.
Die Zeitstruktur funktioniert allerdings wirklich gut. Und ich glaube, das braucht der Text auch, denn sonst wäre er noch "gerader".
Stilistisch war es mir auch einfach etwas blass. Also das kann man natürlich auch kritisch sehen, wenn ein Stil oder einzelne Sätze so glänzen, weil das unter Umständen dem Inhalt die Show stiehlt. Aber ich bin schon ein ziemlicher Stilfetischist und hier hatte ich keinen Satz, wo ich dachte, boah, den musst Du mal loben. Nix, wo ich mit den Ohren oder Gedanken dran hängengeblieben wäre. Das hätte ja auch ne schöne Schlichtheit sein können. Ich kann es auch positiv wenden: Es gab auch keinen Satz und keine Passage, wo ich dachte, uh, das holpert aber, oder es wird schief. Also wie gesagt, das ist überhaupt kein schlechter Text. Einfach nur nicht so mein Ding. Der Text lehnt sich halt nirgendwo mal aus dem Fenster, bleibt insgesamt ziemlich safe und für so ne Drogengeschichte auch sehr sauber irgendwie, vor allem der Erzähler (zum Beispiel die erste heute-Szene ist trotz Tellerschmeißen sprachlich und gedanklich ganz "ordentlich"). Der Vorteil ist, dass er dafür halt auch niemals auf die Fresse fällt. Hm.
Es tut mir auch echt leid, das zu sagen, weil man dem Text schon anmerkt, dass da jemand viel Arbeit und Zeit reingesteckt hat, so eine Geschichte auch mal über einen längeren Zeitraum zu verfolgen. Das find ich sehr gut.

wie wir am Schnaps nuckeln
Also echt, wenn ich hier noch einmal irgendwo lese, dass irgendwer an Bier, Schnaps oder Zigarette "nuckelt" muss ich schreien. Das Ding ist jetzt durch, Jungs. Das war eine Weile schön, aber jetzt ist es vorbei. Denkt euch bitte ein neues Verb aus. Und nein, "lutschen" ist nicht der Weg nach vorne. "Trinken" fänd ich zur Abwechslung mal wild. ;)

Weil Quinn so den Gebrauch des Semikolons hervorgehoben hat, musste ich aber direkt an zigga denken. Dafür spricht auch diese eine Stotter-Stelle. Das wäre dann allerdings ein sehr gebügelter zigga. Und summer of 69 passt irgendwie nicht. Oder hört die Jugend das etwa immer noch? Kew und Markus kann ich mir nicht so vorstellen, weil deren Texte mich bis jetzt immer mehr berührt haben und ich finde auch, dass sie stilistisch eigentlich immer mehr wagen als dieser Text. Aber gut, ich lag bisher immer falsch mit meinen Tipps. Also fröhlich hinein in eine neuerliche Blamage

lg,
fiz

P.S.: Eigelb in einer Pfütze ist aber schon cool!

 
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Liebe Maske,

ich weiß nicht, ob es der Abendstunde geschuldet ist, aber irgendwie bin ich nicht so richtig in den Text reingekommen.
Ich hab´s bis zum Ende gelesen, ich fand´s auch gut geschrieben, aber irgendwie gab´s dann nur eine Szene, die mich wieder so richtig wachgerüttelt hat.

Ich schüttle mir die Haare aus den Augen, blicke die blonde Frau an und spucke den Matsch auf den Teller.
„Schmeckt wie 'n Haufen Scheiße mit 'ner Erdbeere oben drauf“, sage ich.
Meiner Mutter läuft eine Träne über die Wange und mein Vater wird rot, er hechelt nach Luft und dann brüllt er: „Na also! Jetzt beherrsch dich aber mal!“
Ich stehe auf, der Stuhl fällt um, ich grapsche mir eine Hand voll Erdbeerkuchen und schmeiße es auf seinen scheiß Anzug.
„Verpiss dich!“, brülle ich und mein Herz rast, „verpiss dich, und komm nie wieder, du Penner! Nimm dein scheiß Geschenk und steck's deiner Fotze in Berlin in den Arsch!“

Diese Szene fand ich echt richtig stark.

Es ist natürlich nicht die einzige, aber der restliche Text ist einfach so ein bisschen an mir vorbeigerauscht. Ich weiß nicht genau, was es war. Vielleicht die vielen Wechsel zwischen dem "Gestern", "Heute" und "Vorgestern" etc (diese Idee fand ich übrigens super). Letzendlich ist mir auch keiner der Protagonisten mal so richtig nahe bekommen. Vielleicht, weil das Gefühlsleben des Protagonisten nicht so richtig bei mir ankommt. Der Text greift diese einzelnen Stationen auf, die sind in sich zwar schlüssig, aber letzendlich wird eben doch sehr stark beschrieben, was der Prota tut und nicht so sehr, warum er es tut.

Insgesamt ging´s mir wie einigen Anderen: Ich fand die Story dann stellenweise schon ein bisschen zu "linear". Angefangen von der Scheidung der Eltern, dem Diebstahl, dass seine Freundin dann letzendlich mit nem anderen rummacht etc.

Stilistisch fand ich es gut gemacht, mir sind da wirklich keine Schnitzer aufgefallen. Das war alles sehr routiniert, im Grunde auch authentisch, aber ... (dazu werde ich im Spoiler etwas sagen).

Zunächst glaubte ich, dass Zigga der Autor dieser Geschichte ist. Sie hat mich ein wenig an eine andere von ihm erinnert.
Im Verlauf der Geschichte dachte ich allerdings , dass die Geschichte vermutlich von jemandem geschrieben wurde, der schon ein bisschen älter ist als er. Deshalb tippe ich auf svg.

In diesem Zusammenhang kann ich auch meinen Verdacht in Sachen Sprache nochmal aussprechen. Ich finde sie authentisch, aber irgendwie trotzdem nicht so, wie jemand das Schreiben würde, der da direkt altersmäßig noch dran ist. Ich kann das jetzt am Text nicht belegen, aber das war mein Bauchgefühl.


Liebe Grüße
Bella

 
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Hallo Maskierter,

ich hatte mit dem Zeitkolorit deiner verschiedenen Stränge etwas Probleme.

Die Mutter tanzt jailhouse rock und die Liebhaber stehen mit Blumensträußen vor der Tür (für mich 50/60-er Jahre), ca. 15 Jahre später hantiert Anna mit dem Smartphone rum. Das geht für mich nicht zusammen, da überspringst du für mich glatt eine Generation.

Das ganze in diese wechselnden Zeitblöcke zu gießen fand ich auch gelungen. Der Text hatte für mich keine Längen. Jedoch fehlte es mir in den Szenen beim Drögeln etwas an Authentizität bzw. ein näherer Blick auf das Befinden der Protagonisten. Da wird auf Teufel komm raus gekifft, gesnieft, Zeug eingeschmissen, aber es bleibt bei dem Wohligkeitsgefühl, das den Prot umspült oder das Herzrasen bei schlechter Ware. Da wacht keiner in der Kotze auf oder hängt mal im Delirium über der Kloschüssel. Es ist so clean das alles, sogar die finale Szene:

„Max!“, schreie ich, bücke mich zu ihm hinunter und ohrfeige ihn; sein Gesicht ist kreideweiß, und er liegt in einer dunklen, öligen Lache, hält sich mit den Händen den Bauch fest. Ich knie mich in die Pfütze, halte seine Hand, spüre das warme Blut.
„Jo ...“, flüstert er, und seine Augen sind trüb und gläsern, sie fixieren mich und dann biegen sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln. „Na endlich ...“
„Was-was ... was ist passiert, Mann?“
„Die Alte ... die hat mich gerippt ...“ Er hebt seine Hand, zeigt schwankend auf den Schuhkarton neben ihm; dann hustet er, spuckt etwas Blut und blickt mich wieder an.

nimmt mich nicht richtig mit. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Beziehung Johannes-Max für mich sehr oberflächlich aufgezeigt wird, es macht nicht den Anschein, als wären sie wirklich befreundet, sondern halt nur Kumpels mit dem gleichen Interesse an Drogen.

Eine Ausnahme war die von Bella zitierte Passage, da war mal richtig Leben, die fand ich auch herausragend.

Über die Mutter hätte ich gerne noch etwas mehr erfahren, sie muss ja doch einige positive Eigenschaften an sich gehabt haben, ansonsten hätte er doch nicht so an ihr gehangen. Immerhin zeigt der Titel ja auch an, wo der Fokus sitzen sollte, da könnte man evtl. noch etwas nachlegen, so bleibt es für mich im Moment beim Verlust als solchen. Aber das ist vielleicht für Johannes auch schon genug, nachdem der Vater auch auf und davon ist.

Was ich kritisiere, betrifft aber eben nur diese Details, die mir etwas unrund vorkamen. Mäkeln auf hohem Niveau eben. Der Text ist souverän geschrieben, da hat einer Ahnung vom Metier. Erfreulich fehlerfrei, was gut tut.

Aber er wird mir nicht im Gedächtnis bleiben, dazu berührt er mich zu wenig und löst nichts in mir aus, über das ich nachdenken müsste.

Konkrete Namen will ich nicht auftischen, da wackle ich zu sehr. Ich vermute jedenfalls, dass es ein Mann ist, so aus dem Bauch raus, weil die emotionale Ebene zwischen Johannes/Max so wenig beleuchtet worden ist. Zudem jemand über 40, denn die Person hat keine aktuelle Musik in den entsprechenden Passagen im Drogenwahn genannt, weil sie sie nicht kennt; damit wäre ein 20-30jähriger anders umgegangen.

 
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… und ich bin mir sicher, dass sich das Leben immer so anfühlen wird: warm und weich und leicht.
Ja ja, das dachten wir alle einmal, …

Servus Maske,
mir sind natürlich gleich mal die Kapitelüberschriften ins Auge gesprungen, weil sie mich an jene in meinem eigenen Maskenballtext erinnert haben. Ich hab dann runtergescrollt und gesehen, dass du hier offenbar zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselst, und so was mag ich ja grundsätzlich, also dieses Aufbrechen der linearen Chronologie finde ich schon spannend, das kann eine Geschichte sehr dynamisch machen.
Und für mein Gefühl ist es dir auch weitgehend gelungen, den Erzähler seinem wechselnden Alter entsprechend klingen zu lassen, aber weil du das wirklich sehr dezent und in feinen Nuancen machst, bleibt die Sprache die gesamte Geschichte hindurch trotzdem sehr homogen. Vielleicht zu homogen, also ein stilistisches Feuerwerk brennst du ja nicht gerade ab. Aber vielleicht geht das auch gar nicht, wenn abwechselnd ein unschuldiger, kindlicher Zehnjähriger, dann wieder ein aufsässiger Halbwüchsiger und dann ein desillusionierter Junkie erzählt.
Da muss sich die Erzählsprache wohl oder übel zurücknehmen, sie darf sich sozusagen nicht verselbständigen und sich zu weit von der Figur entfernen. Und ich muss sagen, der unaufgeregte Stil passt ja wirklich zum Prot, der ist ja keine hoffnungslos kaputte Figur aus einer Jimmysalaryman-Geschichte, sondern der wirkt ja weitgehend wie der sprichwörtliche nette Junge von nebenan, nicht wie ein durchgeknallter Underdog. Wie weit das allerdings die ganze Drogenproblematik beinahe verharmlost, sei mal dahingestellt. So clean geht im wirklichen Leben wohl selten ab …
Wurde mir der Erzähler sympathisch während des Lesens? Doch, ich glaube schon, vielleicht eben weil er so durchschnittlich ist, und er wird ja von dir im ersten Abschnitt auch sehr liebevoll eingeführt. Ein netter, kleiner Junge halt, der vom wahren Elend der Welt noch keinen blassen Schimmer hat. Und dem diese Welt dann eben umso gnadenloser mit dem Arsch ins Gesicht fährt.

„Geht ... geht die Sonne gerade auf?“, fragt Max plötzlich. Ich sehe ihn an, und verstehe nicht.
„Sag schon ... siehst du die Sonne, wie sie aufgeht?“
Ich blicke durchs Fenster.
„Weiß nicht ... ja“, sage ich, „ja, sie geht gerade auf.“
Max lächelt, nickt und greift nach meinem Bein.
„Weißt du“, sagt er, „weißt du, ich ... Typen wie ich haben die schlimmste Bürde.“
Ja, und mit der vorletzten Szene hattest du mich dann endgültig, wo Max ihm da unter den Händen wegstirbt, also, … ach scheiß drauf, klar, das ist schon sehr dick aufgetragen, ein sterbender Junkie, der was von „Bürde“ faselt, ja, aber das ist schon stark, mir hat das Gänsehaut gemacht.

… aber ich kann nicht antworten, weil ich heule wie ein kleines Mädchen, und Max heult mit.
Jessas, damit hattest du mich echt an den Eiern.

(… aber ich kann nicht antworten. Ich heule wie ein kleines Mädchen, und Max heult mit.
So gefiele mir der Satz noch besser.)

Ja, ich mochte die Geschichte, sie ist nicht gerade hirnwegsprengend und riss mir auch nicht das Herz aus der Brust, also nicht zur Gänze, sie ist kein ganz großes Kino und auch nicht von so innovativer Einzigartigkeit wie die Erfindung der Pizza Calzone, aber ein kleiner, leiser, stimmiger und stellenweise sehr berührender Film ist sie allemal.

offshore

Ich wäre mir sicher, dass es sich um einen jungen Autor handelt, um einen aus der Bande der zwanzigjährigen Youngsters, zigga, Alex, Kew et al, würden die nicht in der Regel irgendwie intensiver, fetziger schreiben.
markus schließe ich dezidiert aus, das scheint mir nicht sein Thema zu sein und auch stilistisch traut er sich viel mehr.
Tja, also kein heißer Tipp von mir.

 

Hallo Maske,

ich finde, das ist ein wuchtiger Text. Sehr, sehr sauber geschrieben, ein sehr geschliffener Schribstil, da gibt es von meiner Warte gar nichts zu bemängeln. Das flutscht schon beinahe unheimlich gut. Unheimlich, das trifft es, denn mich hast du hier voll erwischt und ich habe mit deinem Helden mitgefiebert. Also das ist schon gekonnt, wie du da so die Spirale immer enger ziehst, dabei aber mutig die Ebenen auf und ab springst. Oft empfinde ich das als eher lästig, diese Zeitsprünge, hier aber sind die außerordentlich gut gelungen, weil keine davon nur als Erklärung/Hintergrundgedöns für die eigentliche Handlung herhalten muss. Jede Ebene ist spannend für sich und ich will bei jeder wissen, was sich da tut. So ausgewogen lese ich das selten. Obwohl es natürlich eigentlich immer so sein müsste.
Inhaltlich, ja, das ist schon recht klassisch irgendwie, aber damit bedient es eben einen Teil der Wirklichkeit, den ich hier voll abkaufe.
Mehr will ich gar nicht sagen. Au0er, dass ich gespannt bin, wer sich wohl hier hinter verbirgt.

nun ja, mich beschleicht das Gefühl, hier ist schon eine Nebelgranate explodiert ...

 
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Hey xy,

ich habe den Text gestern gelesen und auch die Kritiken, und seitdem geht mir doch einiges durch den Kopf, sprich ich steh hier vor so Fragen ...
Aber erst mal vorab, ich habe den Text sehr gern gelesen und ziehe auch meinen Hut vor dem Handwerk, das hier einfach mal ausgesprochen sauber ist und wirklich glänzt. Spannungsaufbau, Szenenwahl, die drei Zeitebenen und wie sie ineinander verschlungen sind und ein großes Ganzes bilden. Also, meinen Respekt hast Du.
Es ist eine Geschichte, ja sehr linear, aber sie könnte genauso da draußen stattfinden. Und jetzt sagt man, Literatur soll auch die Wirklichkeit spiegeln, sozusagen Chronist seiner Zeit sein und die Geschichte tut genau das und man sagt, aber das ist zu wenig Literatur, weil linear, weil chronologisch, weil keine Wendungen, Überraschungen etc. Klar geht auch beides, aber muss es das? Die Story funktioniert ja. Und sie funktioniert bei vielen Lesern außerhalb von KG/wk wahrscheinlich unglaublich gut. Ich glaub wirklich, die Kritik hier, das ist schon, weil wir hier echt ein sehr hohes Niveau haben, ein Ideal anstreben, was weiß ich. Frage ist halt, ob man damit dann auch immer den Geschichten gerecht wird ... ja, so was geht mir im Kopf um.
Und jetzt setzte ich die wk-Brille auf (ich bin ja wirklich noch ambivalent in Hinsicht auf die Antwort meiner Fragen) und sag, war ein komisches Verhältnis von Erzähler und Erzähltem. Ist ja die gleiche Erzählstimme, in allen drei Phasen der Entwicklung. Und die ist sehr abgeklärt, aufgeräumt, reflektiert. Und das gibt einen komischen Effekt. Da ist voll das Chaos in seinem Leben, aber die Erzählstimme entspricht dem Gegenteil. Ich glaub, ich hätte mich hier fürs Präteritum entschieden, um den Erzähler auch ein Stück weit abzurücken von dem, worüber er erzählt, auch wenn das wahrscheinlich nur ein wenig diesen Effekt aushebeln würde. Aber mehr Konstruktives fällt mir grad auch nicht ein, also, wie man dem beikommen könnte. Und vielleicht hat er sich ja auch nur bei mir eingestellt und dann ist es eh so ein subjektives Schubladending. Drei unterschiedliche Erzählstimmen vielleicht, aber das wäre auch sau schwierig. Weiß nicht, ob mir wer einfällt, der das hier im Forum wirklich gekonnt umsetzen könnte. Ich jedenfalls nicht.

Aber ist und bleibt ein tolles Stück Geschichte.

Männlich. Älter als 30. Einer von denen, die Handwerk so sauber beherrschen. Jemand, der in der Liga Proof, Rick, svg, Hal (obwohl jünger) mitspielt. Bin sehr gespannt. Wobei, ich finde den Titel doof, vielleicht doch ... :D

 

Hi,

ich mochte die Geschichte. Wurde ja schon von einigen angemerkt, aber die Zeitstruktur ist wirklich gut gelößt. Das entwickelt sich trotz der vielen Sprünge in eine Richtung und das ist wirklcih nicht einfach zu schaffen. Dafür gibt's schonmal Pluspunkte. Und auch von den Figuren her, die wirken glaubwürdig auf mich. (Beim Anfang etwa, als der Vater erklärt, warum er ab jetzt weniger da ist und der Sohn das nicht versteht. Oder als Max als Dankeschön fürs Nicht-Verpetzten die Ü-Eier schenkt.)
Überhaupt da sind schöne Stellen im Text. Man kann sich eigentlich jeden Abschnitt rausnehmen und der funktioniert dann und ist schön gearbeitet. Nur das Gesamtbild, das sie ergeben, das wurde ja schon von den anderen angemerkt. Ich meine, bei dem Thema hat halt fast jeder schon ein Bild vor Augen. Bei mir ist das jetzt Requiem for a Dream. Da geht's halt auch um Drogen, nur wird der Film da noch ein gutes Stück hässlicher als für Drogen ermordert und es gibt die Mutter, die von ihrem Kühlschrank verfolgt wird. Das sind halt Stellen, die hängen bleiben, und das fällt mir ein bisschen bei dem Text. (Also der Text ist schon gut, nicht falsch verstehen, aber es fehlen so ein bisschen die 120% Stellen, die sich dann einbrennen.)
Was mir noch aufgefallen ist: Eigentlich geht es hier ja um die Eltern. Diese Beziehung zum Vater, der aufeinmal weg ist und zur Mutter, die plötzlich lauter Männer im Haus hat und dann an Krebs/etc. stirbt. Und dieser Hass auf dem Vater, dem erst ganz am Ende soweit verziehen wird, dass der Erzähler ihn besuchen will. Das ist doch die eigendliche Handlung oder irre ich mich? Ich meine dazu passt dann auch der Titel. Aber statt sich darauf zu konzentrieren, kommt dieser ganze Drogenkram dazwischen. Ich meine, die ganze Geschichte würde doch fast genauso funktionieren, ohne, dass sie sich die Birne wegkoksen und dann hätte ich nicht mir dieses Drogengeschichtending im Hinterkopf, das mir ständig runterbetet, kenn ich doch, kenn ich doch. Ich weiß, dass führt schon weiter weg von dem Text, den du jetzt hast und keine Ahnung, ob ich da voll an deiner Intention vorbei lese, aber ich wollte es mal anmerken. Das ließt sich leicht am Thema vorbeigeschramt. Alternativ: Weniger Raum den Eltern.
Klar, man kann auch zwei/mehr Themen in einem Text bearbeiten - aber für eine KUrzgeschichte sollte, denke ich, klar sein, was das Hauptthema ist und was das untergeordenete. Und diese Aufteilung ist hier etwas aufgeweicht.
Damit das ganze Genörgel aber im Richtigen Licht steht: Der Text ist handwerklich sehr, sehr solide. Und das ist wirklich viel wert. Wenn du dich jetzt noch ein bisschen mit der Struktur und dem Thema auseinandersetzt - ich mein, du hast jedenfalls schon die Grundlage für tolle Texte, der Rest ist Werkeln auf hohem Niveau. Würde mich da insofern Fliege anschließen: Außerhalb unseres sensibilisierten Kontextes dürfte die Geschichte super funktionieren.
Glückwunsch also und Gruß,
Kew

Natürlich werde ich selber keinen Tipp abgeben. Aber schon amüsant, wie sehr die Altersschätzungen auseinander gehen. Besonders für mich. Hat auch was für sich hinter den Kulissen zu sitzen. :)

 

Hallo,
ich habe den Text direkt nach dem Reinstellen gelesen und heute noch einmal. Vor allem hat mich Flieges Kommentar zum Nachdenken gebracht. Das ist wirklich eine interessante Frage, was erwartet man hier im Forum, und was erwartet man da draußen.
Ich bin, glaube ich, selbst in die Fraktion geraten, die sagt, das ist nicht neu, es muss unbedingt was Originelles her, neue Wendung, frischer Blick usw. Man ist hier einfach extrem verwöhnt von guten Geschichten, die teilweise wesentlich besser sind, als Sachen die Leute "offiziell" veröffentlichen.
Ich war gestern erst auf einer Lesung mit unbekannten Autoren, die ihre Kurzgeschichten vorgelesen haben, da waren wohl ein paar auch veröffentlicht bei kleinen Verlagen, und ich dachte mir oioioi, also wenn die das bei Wortkrieger.de reinstellen würden, die hätten entweder einen üblen Verriss oder gar keine Aufmerksamkeit bekommen. Diese Geschichte hier z.B. wäre gestern der absolute Star.
Es ist schon so, da muss ich feirefiz z.B. zustimmen, dass dieser Plot, diese tragische Jugendgeschichte, schon etliche Variationen erfahren hat, und hier substantiell nichts neues kommt. Wäre man böse, ließe es sich von Versatzstücken sprechen, mit der Drogenabwärtsspirale, der krebskranken Mutter, zerrütteten Familienverhältnissen usw. Klar, es sind Dinge die eben passieren, und da sie halt Extrempole des Alltags sind, eignen sie sich auch bestens für Literatur. Sie werden natürlich in allen Variationen und auch auf unterschiedlichem Niveau von den Medien ausgeschlachtet, es gibt etliche Filme dazu, Reality-Formate, Bücher, Artikel, na ja alles eben. Jugendliche Drogengeschichten, ich weiß nicht, seit wann sind sie aktuell, ich glaube so "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" hat das hier eingeleitet, vllt auch etwas früher, fällt mir jetzt aber nichts ein.
Diese Geschichte hier ist eben auch eine Genregeschichte, sie will eine Genregeschichte sein, und meiner Meinung nach tut sie das ganz gut.
Von der Struktur her ist es geschickt gemacht, diese zeitlichen Ebenen sind intelligent zusammengefügt, ein wenig eintönig ist das schon, da hat Fliege, glaube ich, es sehr richtig bemerkt, die Erzählstimme ändert sich nicht, vllt wirkt es dadurch so abgeklärt, und vllt fällt es dem einen oder anderen hier schwer, dem Prot nahe zu kommen, mir persönlich ging es da aber nicht so. Aber ich glaube schon, dass die Geschichte durch den Wechsel der Tonalität gewinnen würde. Ich habe gerade eine längere Geschichte auf einer noch längeren Bank liegen, da versuche ich die einzelnen Handlungsabschnitte aus Sicht verschiedener beteiligten Charaktere zu erzählen, da ist es natürlich einfacher verschiedene Töne zu treffen als innerhalb des Alterungsprozesses der gleichen Person.
Ja, aber wie gesagt, sowas kann man eh nur einer Geschichte vorwerfen, die so ein hohes Niveau hat, wie diese hier.
Auch ohne die Tonalität zu ändern, bleibt die Geschichte sehr gut komponiert, es fließt richtig gut, und die Verhältnisse stimmen. Ich finde auch, dass die Erzählschichten sehr wohl dosiert sind, die Proportionen zwischen Information, Beobachtung, Reflektion, Dialog usw. sind stimmig, es fügt sich alles zu einem ausgewogenen Bild zusammen, für alle relevanten Aspekte nimmt sich der Text angemessen Zeit.
Ja, sprachlich ist es sehr schlicht, sehr klar, mir bleibt hier eigentlich nichts in Erinnerung, aber es stößt bei mir auch nichts auf. Meiner Meinung nach könnte der Text sich stilistisch mehr trauen, eindringlicher formulieren. Es sind manchmal echt nur ein paar Wörter oder Wendungen nötig, um den Leser emotional tiefer zu involvieren, das würde sich auch mit dem Charakter des Textes ohne Weiteres vertragen.
Ah ja, eine Sache ist mir noch aufgefallen, ich weiß nicht, ob sie schon besprochen wurde, vllt wiederhole ich mich. Das gehört wohl in die Komposition, diese Christoph-Szene, ich weiß nicht, ob der Text sie braucht. Ich glaube, das ist immer der Wunsch dann, wenn man so etwas einbaut, dass es der Figur eine breitere Charakterisierung verpasst, eine zusätzliche Facette. Hier macht sich der Prot also des Mobbings schuldig, und das soll bei dem Leser gemischte Gefühle wecken. Dann hängt da viel dran, an dieser Handlung, warum ist der Täter ein Täter, und ein Arschloch ist er irgendwo auch, usw., also wird die Figur auch vielschichtiger. Das ist grundsätzlich richtig so, aber fällt nach meinem Empfinden bei diesem Text etwas raus. ich weiß nicht, ob ich mir da noch einen zusätzlichen Bezug gewünscht hätte, irgendwie einen Widerhall an einer anderen Stelle, keine Ahnung, so steht mir das zu einsam da, zu zusammenhangslos, oder vllt habe ich was übersehen.
Ja, also insgesamt ist der Text auf hohem Niveau geschrieben, und das was er sagen will, kommt auch alles an. Es ist nur echt so, dass man hier auf der Seite von der Stimmung her schon viele ähnliche Texte gelesen hat, und er deswegen nicht krass herausragt.
Aber ich habe ihn wirklich gerne gelesen.

Puh, voll aufregend, das erste Mal raten. Also ich kenne hier noch bei weitem nicht alle Autoren, aber ich musste sofort sowohl an JuJu als auch an Lollek denken

 

Hallo,

ich hab gerade wüst durchs Forum geklickt nach einem guten Text zum Kommentieren, und eben erst fiel mir ein: Hier war ich ja noch gar nicht. Dabei habe ich hier gelesen. Und es ist ein sehr guter Text. :)

Allerdings musste ich ihn zweimal lesen, um das so richtig würdigen zu können. Mir ist jetzt erst klar geworden, wie viel Handlung hier eigentlich gezeigt wird, und alles szenisch, und wie selten das eigentlich ist. Da sind tolle Stellen drin, der Erdbeerkuchenmatsch, der wieder ausgespuckt wird, die Szene mit den Überraschungseiern, die Szene mit dem Streber, den er niederschlägt ...
Die Dialoge fand ich alle super.
Zwischendrin sind so pseudopoetische Einsprengsel, die für mich neben der Spur liegen, die der Stil sonst so hält. Die Bäume mit den grünen Haaren zum Beispiel. So paar Kleinigkeiten.

Ich hab ein bisschen gebraucht, um herauszufinden, warum ich nach dem ersten Lesen Probleme mit dem Text hatte. Hier beobachtet man den Erzähler über Jahre hinweg, man hat ein paar Erlebnisse von ihm als Kind, als Teen, als junger Erwachsener. Natürlich immer nur Schlaglichter, mehr kann eine Kurzgeschichte nicht leisten (ein Roman böte mehr Platz). Und selbstverständlich, weil man als Leser nun mal so funktioniert, liest man da diese Kausalketten rein (denn wozu erzählt mir der Text ein bestimmtes Schlaglicht auf das "Vorgestern", wenn ich es nicht in Beziehung setzen soll zu einem Schlaglicht auf das "Gestern" und das "Heute"): Er nimmt Drogen, WEIL seine Eltern sich getrennt haben, WEIL seine Mutter ... er verprügelt einen Klassenkameraden, WEIL ... er nimmt noch mehr Drogen, WEIL ... sein Freund nimmt Drogen, WEIL dessen Mutter eine Irre war, die ihn mit dem Klavier gequält hat ...

Und sowas wirkt nunmal billig. Weil man ja weiß, dass das Leben nicht so einschichtig funktioniert und man solche "wenn x, dann y"-Beziehungen selten hat.

Ich hab mir das überlegt, und ich fürchte, das ist ein Problem, das sich in einer Kurzgeschichte nicht lösen lässt. Die Entwicklung einer Figur über einen langen Zeitraum (über Jahre und entscheidende Lebensphasen hinweg) zu zeigen, indem du einzelne Schlüsselszenen schreibst - das wird nicht aufgehen, das wird sich immer wie eine grobe Vereinfachung lesen. Ein "Bildungsroman" auf zwölf Seiten - dat töft nich.

In der klassischen Kurzgeschichte wurde doch immer Einheit von Ort, Zeit (und was war das dritte?) gefordert. Das ist ein Extrem, an das sich kaum Geschichten hier im Forum halten. Die Struktur hier ist schon fast ein anderes Extrem. Das könnte als Roman funktionieren, jede Szene ausgebaut und noch Füllmaterial dazwischen. Aber als KG? Ich grüble gerade, ob ich hier im Forum auf einen Text verlinken kann, der diese Struktur hat und damit gut zurechtkommt. (Ich mein jetzt nicht, dass die drei Zeitebenen ineinander verwoben sind, das ist hier gut gemacht. Ich meine diesen Versuch, eine jahrelange Entwicklung einer Figur in wenigen Schlaglichtern glaubwürdig darzustellen.)
Mir fällt kein anderer Text ein.

Ach, nichtsdestotrotz, nachdem ich mir gesagt habe, dass der Text hier mit sehr viel Ehrgeiz etwas versucht, was er nicht besser hinbekommen kann - beim zweiten Lesen fand ich es dann wirklich gut, da hab ich meine Mäkelei im Hinterhirn ausschalten können. Und das Ende fand ich dann ziemlich rührend, wie weise der Vater das geschrieben hat "wenn du soweit bist, hier meine Adresse". :)

 

Hallo, ganz ganz schnell noch, bevor du dich outest. Und ich bin auch ziemlich unter Zeitdruck, daher nur eine kurze Rükmeldung.
Mir ging das ganz ähnlich wie Möchtegern. Als ich deinen Text das erste Mal las, war ich irgendwie abgenervt. Ich fand das alles zu viel. Fand es nicht berührend. Alles zu naheliegend, sich zusammenfügend wie ein Puzzleteilchen zum anderen. Zu passend. Dann fand ich, dass ich dem Text vielleicht Unrecht tue, weil man ja vor kurzem noch eine Menge Jugendgeschichten gelesen hat. Also las ich den Text zum zweiten Mal. Und da fand ich ihn richtig gut. Er ist gut gebaut, er ist gut geschrieben. Er ist sogar auf einem hohen Niveau. Dann wollte ich mal schauen, ob das sein kann, dass Fliege Recht hat und wir ein bisschen überkritisch sind hier. Sind wir. Hab ihn nämlich meinem Freund zum Lesen gegeben. Der war begeistert.
Ich glaube auch, dass es an der Menge Handlung liegt, an dem ordentlichen Portiönchen Menschenleben, das du hier dem Leser offerierst. Ich glaube, es ist tatsächlich sehr sehr schwierig, das in einer Kurzgeschichte abzuhandeln. Es hat mir aber trotzdem gefallen. Ich kann es auch nicht sagen, warum mir das beim zweiten Lesen anders ging als vorher. Mir leuchten die von Möchtegern angesprochenen Kausalketten ein. Darauf fokussioert man sich beim ersten Lesen, beim zweiten Lesen achtet man eher auf die Figur selbst.
Also hat mir sehr gut gefallen beim zweiten Mal Lesen.
Viele Grüße von Novak

 
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Hallo,

erstmal vielen Dank an die Kommentatoren für das hilfreiche Feedback!
Vorab ein paar Worte zum Text: Ich hatte die letzten Wochen an dieser Story gearbeitet, aber irgendwann - ich schätze das kennen die meisten - hatte ich völlig die Distanz zum Text verloren, sprich: Ich hatte keine Ahnung, ob der gut/schlecht, langweilig/spannend, etc. ist, habe auch viel mit den Zeitsprüngen gespielt, bis das so stand, wie sie jetzt sind. Naja ich dachte mir dann, was soll's, das hier soll ja eine Textwerkstatt sein, mal sehen, was andere dazu sagen ... und dieses anonyme Posten hat mir sehr gut gefallen, das ist schon eine interessante Sache, Feedback zu kriegen, wo man weiß, da schwingt beim Kommentator keine Assoziation zu einem Nicknamen, zu Alter und Geschlecht und so mit. Hat mir sehr gut gefallen!

Und die Kommentare haben mir sehr weitergeholfen: Hier mal eine Auflistung von Konsensmeinungen (zumindest habe ich es so wahrgenommen):

- drei Zeitstufen funktionieren beim Lesen
- solider Erzählstil
- allerdings keine neue Sicht auf die Dinge (insbesondere Junkiezeit)
- der Plot ist vorhersehbar, vielleicht auch etwas zu moralisch

Beim Schreibstil gab es unterschiedliche Stimmen: die einen meinten, der wirkt sehr gut, sehr reif, die kamen sehr gut damit klar und hatten nichts auszusetzen, die anderen wünschten sich ein ästhetischeres Schreiben, die meinten, der Stil wirkt zu ordentlich, zu sauber, der immer gleiche Erzählton auf den verschiedenen Zeitebenen greift Authentizität weg. Das macht mir etwas Kopfschmerzen, wie gesagt, der Konsens sagt zwar: solider Stil, aber den einen gefällt das Schlichte, den anderen gefällt es nicht. Vielleicht beginnt hier die Geschmackssache, aber ich finde es immer schlecht, das darauf zu schieben. Ja, schwierig, das ist so eine Sache, über die ich nachdenke ...

Nachdem der Text, wie gesagt, noch in Arbeit ist, und ich die letzten zehn Tage die Kommentare mitgelesen habe und auch gleichzeitig ein bisschen an der Story herumgebastelt habe, werde ich die kommenden Tage eine Version 2 hochladen, die besonders in der Drogenära bisschen dreckiger, bisschen mehr 120% (wie Kew es so schön nannte) gibt. Ich kann das natürlich von keinem verlangen, aber wenn der ein oder andere Zeit und Lust hat, nochmal vorbeizuschauen, und auch nur ein: Ist schlechter, zigga. oder: Ist besser!, gibt, wäre ich schon sehr dankbar. So, zu den einzelnen Kommentaren sage ich nachher noch etwas, ich muss noch schnell zum Supermarkt, der macht um acht zu.

Grüße

 

Ich war ganz knapp dran, im Spoiler zu schreiben: "Die Geschichte klingt, als hätte sie zigga geschrieben, wenn er so zu schreiben versucht, wie er sich vorstellt, dass er in fünfzehn Jahren schreiben könnte."

Und weil das durchaus als Lob gemeint gewesen wäre, schreib ich's jetzt einfach da her.

Tolle Story, zigga.

 
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Lieber Maskezigga,

ich fühle mich gerade vollkommen unqualifiziert, zu so einem handwerklich und erzähltechnisch sehr hochwertigen Text Stellung zu beziehen in der Art, dass du was davon hast. Also entweder bist du eh schon das Wunschbild aller Autoren oder du hast wirklich hart daran gearbeitet, n Lektor in ein Verließ das Korrektur lesen lassen oder was weiß ich.

Komischerweise vergleiche ich manche Geschichten automatisch mit gesehenen Filmen und gelesenen Büchern, ich kann gar nicht anders, so kommt es mir vor. Hier springen mir die Kinder vom Bahnhof Zoo, Trainspotting und Requiem for a Dream in Erinnerung, alles eher ältere und sicher auch hier weitlich bekannte Werke zur Drogenthematik. Und ich muss sagen, dass sich diese Geschichte für mich in diesem Dreieck von bekannten Werken abspielt. Eine Art Bermuda-Dreieck, in dessen Zentrum alles irgendwie etwas altbacken und unoriginell wirkt und letztendlich aus meinem Gedächnis verschwinden wird.

Nach soviel Downing mal was Positives. Für mich war da die ärgste Szene, die aus diesem Dreieck tatsächlich hervorsticht:

Die Frau dreht sich um: Sie ist dürr, schaut aus wie fünfzig, hat Pusteln im Gesicht und fettige blonde Haare, die ihr wie eine Portion Spaghetti am Schädel herunterhängen.
„Nee, nur einer!“, schreit sie; Max lacht, läuft zu seinem Schrank, zieht einen Schuhkarton heraus und schmeißt dem Ding ein Plastiktütchen hin.
„Die Runde geht auf mich“, sagt Max, und klopft mir auf die Schulter.
Ekelhaft, aber gut! Denn der Max muss wirklich abgewrackt sein, dass es ihm nicht dabei hochkommt, so eine zu begatten. Wirkungsvoll rübergebracht. Oder die Szene mit dem Vater, der vom Prot an dessen Geburtstag abserviert wurde. Das sind beides für mich Leuchttürme in sonstiger Ödnis.

Dabei will ich auch nicht sagen, dass ich hier eine ultimative Hirnwalze erwarte. Manche Stories, die so feuerwerksmäßig einen lehren, das man fürs Lesen allmählich zu alt wird, erzeugen bei mir nur ein Flirren und dann bin ich auch etwas mies drauf, da anscheinend einfach schon zu inflexibel im Kopf.

Aber dem Text, so meine Meinung, fehlt eindeutig Eigenes, er kommt so glatt daher, dass mein eigener wirrer Kopf keinen Halt findet, ähnlich einem Wassertropfen, der versucht, sich an einer Lotusblüte festzuklammern. Ein ihm eigenes, verbindendes Element zwischen den Zeitebenen zum Beispiel, so etwas könnte ihn echt in meinen Augen aufwerten. Etwas, das nichts mit der Drogenkarriere zu tun hat, aber dennoch eine tragende Rolle spielt. Und sei es einfach, natürlich nur eine Anregung, das Perpetuum mobile aus Kindertagen, das er »gestern« irgendwo wieder rausgekramt hat und ständig mit dem Gedanken spielt, bis »heute«, das aller Männlichkeit zum Trotz doch wieder an die Lampe zu hängen, schlicht, weil es ihn auf eine berührende Art Hoffnung macht. Oder so in der Art, das Beispiel ist absichtlich aus den Fingern gesogen, denn du sollst dir natürlich was Eigenes ausdenken. Einfach etwas, was die drei Zeitebenen verbindet und den Prot als Individuum sich offenbaren lässt, dass ihn zu einer Figur macht, mit der es sich zu identifizieren lohnt, bei der ich mich nicht dabei ertappen muss zu denken: Jaja, so Junkies, das sind ja eigentlich auch Menschen, tragische Tropfen irgendwie, ach ja, also Drogenerfahrungen sind echt übel, da hat der Autor schon ganz recht, gell. Es gibt noch nix derlei, oder hab ich was überlesen? Dann Asche auf mein Haupt, ich mach mir gerade son bisschen Zeitdruck, dass diese Kritik auch noch ja über deinem Outing erscheint. ;)

Noch eine abschließende Anregung zur Struktur. Beginne mit Gestern oder Heute, lasse die Geschichte »einpendeln«. Wenn mit Heute, dann wechsel gleich daraufhin zu Vorgestern, das wäre ein guter Hoppla-Kontrast, der mich zum Beispiel zeigen würde, wie nah am Wasser ich im Grunde gebaut bin :D. Ich hab die Zwischentitel gerade noch mal überflogen. Einmal ist es Vorgestern - Gestern - Vorgestern, sonst aber im üblichen, tendenziell doch langweiligen Rhythmus Vorgestern - Gestern - Heute.


Gern gelesen!
Viele Grüße
-- floritiv

Update: Ach, verdammt, jetzt hat sich die Maske ja doch schon geoutet.

 
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Gut, ich kann nicht erwarten, dass mich alle Kommentatoren kannten, geschweige denn dass sie etwas von mir gelesen haben, aber ich fand es echt ziemlich interessant, wie mich die Kommentatoren teilweise einschätzten; weiblich, zwischen 30 und 40, bieder, ähm, ja ... nee! ;)


Dann fange ich mal an:

Liebe Andrea,

das ist sicher eine solide geschriebene Geschichte
vielen Dank

aber irgendwie ist mir alles zu nahe liegend und zu passend.
Ich bekomm hier einfach keine neue Sicht auf derartige Dinge geboten, alles läuft wie erwartet ab
Ja, das ist natürlich ein Hauptkritikpunkt der Kommentatoren; ich schätze mal, was mir noch fehlt, das sind einfach frische, spannende Plots und Entwicklungen. Ich tue mir da oft sehr schwer, wenn ich etwas schreibe, da denke ich mir oft: Boah, das und das könnte passieren, das wär ein Ding!, und dann kommt: schon tausendmal gelesen. Ist ärgerlich, wie gesagt, mir fehlt da noch so ein Gespür, was die Allgemeinheit der Leser so für ein Wissen hat, und ob es sie mitnimmt, wenn sie so eine Entwicklung lesen, oder ob das altbacken ist.

Und es ist ja auch nicht so, dass es verboten wäre, mal "ästhetisch" zu schreiben, mal stilistisch etwas zu wagen, ich hab diesen nüchternen Erzähler, der gerade so wagt, über die Wolken zu schreiben für einen leicht poetischen Touch, ein bisschen satt, von mir aus schwelgt wieder in Adjektiven, dass die Zeilen krachen, aber dieser nüchterne Ton, der nur darstellt, sich eigentlich nie positioniert, nur ja keine Meinung zum Dargestellten hat, immer möglichst knapp am Geschehen ist
Ja, dir gefällt das nicht so - das nehme ich zur Kenntnis, aber was mich halt ein bisschen nachdenklich macht: entweder fanden die Kommentatoren den 'schlichten' Schreibstil total gut oder total langweilig. Das soll jetzt gar nicht wertend gegenüber dir klingen, aber das ist mir eben so aufgefallen, und das macht mich nachdenklich. Ich habe hier eben auch versucht, mehr show als tell zu verwenden, durch die Handlung zu erklären. Klar, das liest man hier öfter, wahrscheinlich bist du deswegen etwas überfressen, und willst mal Abwechslung.

So, tut mir leid, dass gerade diese Geschichte als Exempel herhalten musste, wahrscheinlich hat sie es nicht verdient.
Schon okay, dich hat das beim Lesen gestört, dann musst du das auch schreiben.

Auf jeden Fall danke für's Lesen und deinen Kommentar, Andrea!


Hi Quinn,

das ist ein krasser Text. Ich fand ihn bis zur Hälfte extrem stark, danach fand ich ihn noch sehr gut. Was dem Text gerade am Anfang gelingt ist es, ein unglaubliches Tempo anzuschlagen und zu halten.
Freut mich sehr, dass dich der Text so abholen konnte. Vor allem, weil dir der Jugendstorytext so gar nicht zugesagt hat.

Es ist eine Drogenkarriere. Das wär vielleicht nüchtern betrachtet auch eine Schwachstelle der Geschichte: Sie ist moralisch. Sie ist so wie sie sicher stattfindet, aber auch so wie Lieschen Müller sich das vorstellt.
Ich will das der Geschichte auch gar nicht vorwerfen, es ist nur weil die Geschichte so stark geschrieben ist, aber so typisch abläuft, ein komischer Beigeschmack.
Ja, du hast recht. Das ist einfach noch so eine Schwachstelle bei mir: Wenn ich eine Story schreibe, weiß ich einfach nicht genau: Ist das für den Leser etwas Neues? Ist der Plot etwas, wo man denkt: Boah, krass, noch nie so gesehen!, oder ist das einfach etwas, wo man sich beim Lesen denkt: schon hundertmal gehört. Da kann ich den Durchschnittsleser irgendwie zu wenig einschätzen, habe ich das Gefühl. Ich werde bei dieser Story noch etwas nachlegen, aber ich denke die Grundzüge, diese Grundhandlung/-entwicklung der Story kann ich nicht mehr ändern, das wäre dann ein ganz neuer Text. Aber ich werde mir bei folgenden Storys das immer im Hinterkopf behalten.

Ich hab zwei Anmerkungen zum Stil, eigentlich drei. Die erste ist: Das ist saugut. Die Melodik, die Kürze der Szenen, diese treibende Wirkung der Sätze, wie das fließt: Das ist einfach richtig, richtig gut.
Danke, das freut mich sehr, wirklich.

Zweitens: Genetiv bei Max heißt Max‘.
Werde ich ändern.

Drittens: Erstaunlich viele Semikola. Interessanter Effekt, das hab ich selten so gesehen, ich weiß auch nicht, wer das macht, ob der Text von wem inspiriert ist, der diesen Stil pflegt. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Text stark von einem Stil inspiriert ist, den ich nicht kenne, aber der sicher irgendwo da draußen ist. In den Ansätzen ist das ja auch ein „typischer“ Stil, eine Entwicklung, aber ich find ihn sehr ausgereift.
Ich weiß auch nicht, wieso ich das immer mache. Es ist einfach so, dass ich beim Schreiben so eine Erzählstimme vor meinem inneren Ohr habe, und ich versuche dann auch diesen Rhythmus der Erzählstimme irgendwie aufzugreifen. Da hab ich irgendwann mal mit diesen Semikola angefangen. Ich finde, die machen beim Lesen einfach einen wunderbaren Leserhythmus, das hat so was Getriebenes, finde ich. Ich wüsste jetzt auch keinen Autor, der das so exzessiv wie ich betreibt, aber das ist schon ein großes Kompliment, dass du vermutest, dass das von einem anderen Stil inspiriert ist.

Es ist leicht, der Geschichte Vorwürfe zu machen oder sie anzugreifen. Das will ich überhaupt nicht tun. Ich finde sie ausgezeichnet, auch weil sie trotz oder gegen diese Schwächen ankämpft.
Ich kann mich nur wiederholen: sehr cool, dass das für dich so klappt.

Ich hab vielleicht formal eine Anmerkung: Diese Traktion der extrem kurzen, prägnanten Szenen und Schnitte kann der Text nicht über die volle Länge halten, sondern er verlangsamt sich zum Ende eher, wobei er von der Logik der Geschichte her, eher beschleunigen müsste.
Das ist ein wertvoller Hinweis, das stimmt irgendwie. Es ist ja so, dass die Zeitabschnitte so bis zum letzten Vorgestern immer knapper werden, was auch die Traktion der Geschichte anzieht - aber das letzten Vorgestern ist wieder ein gutes Stück lang, was wahrscheinlich die Geschwindigkeit des Wechsels der verschiedenen Zeitebenen aus dem Leserhythmus nimmt - mal sehen, ob ich das was machen könnte. Ist aber eine wertvolle Beobachtung, finde ich.

Davon ab ist das mit den 3 Zeitsträngen hervorragend gelöst. Das wollten ja so im Zuge dieser „Zerschlagen wir die Chronolgie“-Richtung eine Weile viele machen und es klappt fast nie, hier funktioniert es.
Das ist sehr schön

Wie gesagt: Ich hab einen ziemlichen Butterfly Effect-Flash von dem Text bekommen. Er hat mir aber ausgezeichnet gefallen.
Also muss schon einer sein, der richtig was kann
Danke! Freut mich sehr, wie du mich eingeschätzt hast.

Vielen Dank für's Lesen und Kommentieren und Gedankenmachen, Quinn, hat mich sehr gefreut.


Hi fiz,

das ist eine gut gemachte Geschichte. Alles flüssig geschrieben und gut komponiert. Deshalb will ich die auch gar nicht schlecht reden.
Na, das ist doch schon mal was.

Es ist nur so, dass mich das alles gar nicht berührt hat.
Natürlich nicht so cool.

Vielleicht ist das alles echt nen Tacken zu ordentlich und, die anderen haben's auch schon gesagt, es gibt keine Überraschungen, oder dass man mal so denkt "oh, das ist aber mal ein frischer Blick" oder "krasse Figur". Das ist alles so typisch, auch schon in diesen Jugendszenen, mit Tanzen und Rumlecken.
Das ist halt irgendwie son lieber Junge mit schwerem Schicksal, und der bleibt er auch als Junkie irgendwie. Also richtig spannend fand ich den als Figur nicht. Höchstens da, wo er dem Stecher seiner Ma den Tod an den Hals wünscht.
Ja, ich verstehe die Anmerkung schon ... ich habe Quinn und Andrea schon geschrieben, dass ich mir schwer tue, wenn ich Sachen schreibe einschätzen zu können, ob dieses oder jenes ein 'frischer' Blick ist, sprich: Wie viel weiß der Leser eigentlich? Was flasht ihn, was langweilt ihn? Das ist, denke ich, noch ein großer Punkt, wo ich dran arbeiten kann. Hier dachte ich tatsächlich, dass eine solche Figurenentwicklung nicht allzu abgegegriffen ist - das mit den Drogen, gut, dachte ich mir, das geht schon durch, ist zwar genauso wie Suizidtexte bisschen abgegriffen, aber was soll's - naja. Ich werde in der Version 2 da versuchen, bisschen einen frischen Blick vor allem in der 'Drogenzeit' reinzugeben, einfach, weil ich denke, das kann ich besser, da geht mehr. Mal sehen.

Die Zeitstruktur funktioniert allerdings wirklich gut. Und ich glaube, das braucht der Text auch, denn sonst wäre er noch "gerader".
Das ist sehr schön, dass das auch für dich so klappt - und du hast recht, ich hatte den Text mal chronologisch korrekt gelesen, und da war es recht, ähm ... ja, einfach zu gerade, du hast schon recht.

Stilistisch war es mir auch einfach etwas blass.
hier hatte ich keinen Satz, wo ich dachte, boah, den musst Du mal loben. Nix, wo ich mit den Ohren oder Gedanken dran hängengeblieben wäre.
Das ist so verrückt. Entweder fanden die Kommentatoren den Stil blass und zu glatt und fast schön öde, oder sie fanden ihn sehr angenehm schlicht und gut geschliffen und so. Weißt du, was ich meine? Das verwirrt mich, weil der Konsens der Leser da eigentlich immer irgendwo übereinstimmt. Deswegen weiß ich jetzt noch nicht so recht, wo ich mit diesem Erzählstil stehe. Aber ich nehme das auf jeden Fall zur Kenntnis.

Also wie gesagt, das ist überhaupt kein schlechter Text. Einfach nur nicht so mein Ding.
Der Text lehnt sich halt nirgendwo mal aus dem Fenster, bleibt insgesamt ziemlich safe und für so ne Drogengeschichte auch sehr sauber irgendwie, vor allem der Erzähler (zum Beispiel die erste heute-Szene ist trotz Tellerschmeißen sprachlich und gedanklich ganz "ordentlich").
Ja, mhm ... das ist irgendwie schlecht, finde ich, also für meinen Text. In Version 2 werde ich da nochmal kräftig rangehen, ich denke, dass ich da noch viel rausholen kann, ich probier's jedenfalls, ohne allzuviel kaputtzumachen, was gut ist an dem Text.

Es tut mir auch echt leid, das zu sagen, weil man dem Text schon anmerkt, dass da jemand viel Arbeit und Zeit reingesteckt hat, so eine Geschichte auch mal über einen längeren Zeitraum zu verfolgen. Das find ich sehr gut.
Ja, aber wäre doch blöd, dem Text ein positives Feedback zu geben, bloß weil da jemand Zeit reingesteckt hat!

Also echt, wenn ich hier noch einmal irgendwo lese, dass irgendwer an Bier, Schnaps oder Zigarette "nuckelt" muss ich schreien.
Haha :D Ich kann dir nichts versprechen, fiz, aber ich versuche mich in meiner nächsten Story mit den Zigarettennucklern bisschen zurückzuhalten, versprochen!

Weil Quinn so den Gebrauch des Semikolons hervorgehoben hat, musste ich aber direkt an zigga denken. Dafür spricht auch diese eine Stotter-Stelle. Das wäre dann allerdings ein sehr gebügelter zigga.
Also ohne Scheiß, ich habe 'ne viertel Stunde gegrübelt, was du mit gebügelt meinst (ich hab das sogar gegoogelt, aber nirgends steht was 'gebügelt sein' heißt, kein Scheiß) - meinst du damit, dass der Erzählstil gebügelt ist, oder dass die Story (ohne den pubertären Warm-und-nass'schen Geschlechter und ordinären Gedankengut) in ihrer Handlung sich zu wenig aus dem Fenster traut? Ehrlich, das will ich wissen, schreib mir das mal!

Und summer of 69 passt irgendwie nicht. Oder hört die Jugend das etwa immer noch?
Ja. Tut sie. Und das meine ich nicht im positiven Sinne.

P.S.: Eigelb in einer Pfütze ist aber schon cool!
Da hat dich das schlechte Gewissen gepackt, oder? :D

Auf jeden Fall dir auch viel Dank für's Lesen und für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut, feirefiz!

Hi Bella,


ich weiß nicht, ob es der Abendstunde geschuldet ist, aber irgendwie bin ich nicht so richtig in den Text reingekommen.
Das ist natürlich sehr schade. Das ist dir jetzt schon öfters bei Texten von mir passiert - ich versuche immer, die irgendwo mittendrin im Geschehen beginnen zu lassen, und dir scheint das nicht so zu liegen, das ist schade, aber das muss man hinnehmen. V.a., weil du auch gar nicht wusstest, dass diese Story von mir ist - ich meine, das ist das Interessante am Maskenball, du gibst mir das gleiche Feedback, ohne zu wissen, dass sie von mir ist.

Ich hab´s bis zum Ende gelesen, ich fand´s auch gut geschrieben, aber irgendwie gab´s dann nur eine Szene, die mich wieder so richtig wachgerüttelt hat.
[...] „Verpiss dich!“, brülle ich und mein Herz rast, „verpiss dich, und komm nie wieder, du Penner! Nimm dein scheiß Geschenk und steck's deiner Fotze in Berlin in den Arsch!“
Diese Szene fand ich echt richtig stark.
Ja, wenigstens was.

Es ist natürlich nicht die einzige, aber der restliche Text ist einfach so ein bisschen an mir vorbeigerauscht. Ich weiß nicht genau, was es war. Vielleicht die vielen Wechsel zwischen dem "Gestern", "Heute" und "Vorgestern" etc (diese Idee fand ich übrigens super).
Das hat mich etwas irritiert - die Zeitsprünge hast du im Verdacht, dass sie für dein vorbeirauschendes Lesegefühl sorgen, aber irgendwie fandest du sie auch eine gute Idee - mhm. Kann natürlich schon sein, dass du bei den vielen Sprüngen irgendwie das Leseerlebnis verloren hast, bzw. dass dich der Text aufgrund der viele Sprünge nicht zu packen gekriegt hat, obwohl du die Idee für die Zeitordnungen gut fandest. Wäre natürlich schade

Der Text greift diese einzelnen Stationen auf, die sind in sich zwar schlüssig, aber letzendlich wird eben doch sehr stark beschrieben, was der Prota tut und nicht so sehr, warum er es tut.

Insgesamt ging´s mir wie einigen Anderen: Ich fand die Story dann stellenweise schon ein bisschen zu "linear". Angefangen von der Scheidung der Eltern, dem Diebstahl, dass seine Freundin dann letzendlich mit nem anderen rummacht etc.

Ja, das verstehe ich. Ich glaube, ich werde auch in keiner Kurzgeschichte mehr versuchen, das Leben eines Prots in verschiedenen Ebenen zu zeigen, ich meine, das Grundkanon hier war schon positiv gestimmt, aber ich denke mir mittlerweile auch: Das wirkt zu erklärend, zu moralisch. Im Endeffekt sage ich als Autor: Das ist passiert, weil das passiert ist, weil das passiert ist ... und das ist eine große Deutungshoheit, die ich dem Leser da auftische. Kann ich das? Sollte ich das? Ich weiß es nicht. Ich denke schon, dass der Text funktioniert, aber auf einer sehr linearen, erklärenden, bis hin moralischen Art und Weise, und ich weiß nicht, ob ich das ursprünglich wirklich so wollte. Eine interessante Beobachtung.

Stilistisch fand ich es gut gemacht, mir sind da wirklich keine Schnitzer aufgefallen. Das war alles sehr routiniert, im Grunde auch authentisch, aber [...] Ich finde sie authentisch, aber irgendwie trotzdem nicht so, wie jemand das Schreiben würde, der da direkt altersmäßig noch dran ist. Ich kann das jetzt am Text nicht belegen, aber das war mein Bauchgefühl.
Ja mhm. Ich versuche die Sprache in Version 2 nochmal bisschen aufzufrischen, noch näher dran zu sein, versprechen kann ich aber nichts.

Vielen Dank für deinen wertvollen Kommentar, Bella.

Hi bernadette,

ich hatte mit dem Zeitkolorit deiner verschiedenen Stränge etwas Probleme.
Die Mutter tanzt jailhouse rock und die Liebhaber stehen mit Blumensträußen vor der Tür (für mich 50/60-er Jahre), ca. 15 Jahre später hantiert Anna mit dem Smartphone rum. Das geht für mich nicht zusammen, da überspringst du für mich glatt eine Generation.
Das ist verrückt, wie verschieden Leser ticken. Du bist z.B. die Einzige, die das angeprangert hat. Aber ich finde irgendwie, das passt schon. Also vorab denke ich, dass wir beide einfach unterschiedliche Bilder von der Jailhouse rock-Szene hatten - ich finde einfach, das ist ein Klassiker, das ist so ein Song, wie er bei uns auch auf Bayern 2 (den Sender hört übrigens meine Oma auch gerne) Samstagmittag laufen könnte - also ich hatte nicht angedacht, dass das in den Fünfzigern spielen soll, oder so.

Das ganze in diese wechselnden Zeitblöcke zu gießen fand ich auch gelungen. Der Text hatte für mich keine Längen.
Ja das ist doch toll zu lesen.

Jedoch fehlte es mir in den Szenen beim Drögeln etwas an Authentizität bzw. ein näherer Blick auf das Befinden der Protagonisten. Da wird auf Teufel komm raus gekifft, gesnieft, Zeug eingeschmissen, aber es bleibt bei dem Wohligkeitsgefühl, das den Prot umspült oder das Herzrasen bei schlechter Ware. Da wacht keiner in der Kotze auf oder hängt mal im Delirium über der Kloschüssel. Es ist so clean das alles, sogar die finale Szene:
Ja, du hast recht, sehr recht hast du. Ich werde das in einer überarbeiteten Fassung mehr ausreizen, ich dachte mir beim Schreiben irgendwie so insgeheim: Das reicht. Das ist genug Drogengeblubber, das ist soviel, dass es den Leser befriedigt - aber da lag ich falsch. Das, so wie es jetzt ist, ist Junkiealltag, wie ihn sich die meisten vorstellen, und deswegen hat das für dich auch nicht wirklich geklappt, ichkann das nachvollziehen.

nimmt mich nicht richtig mit. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Beziehung Johannes-Max für mich sehr oberflächlich aufgezeigt wird, es macht nicht den Anschein, als wären sie wirklich befreundet, sondern halt nur Kumpels mit dem gleichen Interesse an Drogen.
Ja mhm... ich habe mal drüber nachgedacht, und bin zu dem Entschluss gekommen: Man empfindet nicht so viel bei der Todesszene, weil man den erwachsenen Max kaum kennt. Der sympathische Max, mit dem Man mitleiden würde, das ist der kindliche Max, der aus Vorgestern oder vllt auch noch Gestern. Aber der heutige Max - den kennt man als Leser kaum, deswegen leidet man auch nicht so mit, wenn er stirbt. Ist so meine Erklärung dafür.

Eine Ausnahme war die von Bella zitierte Passage, da war mal richtig Leben, die fand ich auch herausragend.
Ja cool.

Über die Mutter hätte ich gerne noch etwas mehr erfahren, sie muss ja doch einige positive Eigenschaften an sich gehabt haben, ansonsten hätte er doch nicht so an ihr gehangen.
Das hat z.B. auch kein anderer Kommentator angeprangert - ich weiß nicht, ja, theoretisch würde mehr Mutter nicht schaden, aber ich denke, es ist schon viel über ihre Person gesagt.

Was ich kritisiere, betrifft aber eben nur diese Details, die mir etwas unrund vorkamen. Mäkeln auf hohem Niveau eben. Der Text ist souverän geschrieben, da hat einer Ahnung vom Metier. Erfreulich fehlerfrei, was gut tut.
Ja schön, das freut mich zu lesen, vielen Dank.

Aber er wird mir nicht im Gedächtnis bleiben, dazu berührt er mich zu wenig und löst nichts in mir aus, über das ich nachdenken müsste.
Das ist natürlich weniger schön. Aber Storys, die im Gedächtnis bleiben, das sind natürlich schon diejenigen, die herausstechen, die Oberliga - das ist schon ein hoher Anspruch, wenn man dahin will.

Ich danke dir für deinen tollen Kommentar und für deine Zeit, bernadette, vielen Dank.


Hi ernst,

mir sind natürlich gleich mal die Kapitelüberschriften ins Auge gesprungen, weil sie mich an jene in meinem eigenen Maskenballtext erinnert haben.
Ja ähm ... mir war klar, dass das früher oder später auffliegen würde :D Nein Spaß, ich kenne deinen Text natürlich, und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass das nicht der Anstoß für mich gewesen wäre, die Kapitelüberschriften so zu benennen - ich hatte das anfangs aus dem Bauch so hingeschrieben, mit dem Hintergedanken, die noch umzubenennen, aber irgendwie passten die dann so schön - ich hoffe, du hetzt mir morgen nicht deine zwanzig Rechtsanwälte vom Patentamt auf den Hals; es war eine schöne Inspiration, ich hoffe, du nimmst es mir nicht allzu übel.

Ich hab dann runtergescrollt und gesehen, dass du hier offenbar zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselst, und so was mag ich ja grundsätzlich, also dieses Aufbrechen der linearen Chronologie finde ich schon spannend, das kann eine Geschichte sehr dynamisch machen.
Und für mein Gefühl ist es dir auch weitgehend gelungen
Freut mich!

den Erzähler seinem wechselnden Alter entsprechend klingen zu lassen, aber weil du das wirklich sehr dezent und in feinen Nuancen machst, bleibt die Sprache die gesamte Geschichte hindurch trotzdem sehr homogen. Vielleicht zu homogen, also ein stilistisches Feuerwerk brennst du ja nicht gerade ab.
Ja, so die letzten zehn Tage habe ich mir wirklich überlegt, die Sprache nochmal zu überarbeiten und den verschiedenen Altern anzugleichen, da ist was dran ... mal sehen. Du findest auch, dass es stilistisch zu flach ist, mhm, wie gesagt, andere fanden diese Schlichtheit irgendwie angenehm und gut ... ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll im Moment.

Aber vielleicht geht das auch gar nicht, wenn abwechselnd ein unschuldiger, kindlicher Zehnjähriger, dann wieder ein aufsässiger Halbwüchsiger und dann ein desillusionierter Junkie erzählt. Da muss sich die Erzählsprache wohl oder übel zurücknehmen, sie darf sich sozusagen nicht verselbständigen und sich zu weit von der Figur entfernen.
Das ist auch ein riesen Problem. Ich hatte anfangs noch einige Vergleiche und so in den Vorgestern-Passagen stehen, aber dann dachte ich mir: Alter, das würde ein Kind wirklich nie sagen. Deswegen fällt halt schon mal viel für stilistische Feuerwerke heraus, die ich natürlich sonst nur so aus dem Ärmel geschüttet hätte (oder auch nicht).

Und ich muss sagen, der unaufgeregte Stil passt ja wirklich zum Prot, der ist ja keine hoffnungslos kaputte Figur aus einer Jimmysalaryman-Geschichte, sondern der wirkt ja weitgehend wie der sprichwörtliche nette Junge von nebenan, nicht wie ein durchgeknallter Underdog.
Ja ... vllt kommt die Figur noch zu nett rüber. Fiz fand den einfach zu unspannend, und naja, ich glaube, ich werde in Version 2 noch ein paar Szenen einbauen, dass der nicht ganz so wie der nette Junge von nebenan wirkt, also zumindest soll er ab und an mal aus der Reihe fallen, und nicht immer so durch die Gegen laufen. Ich dachte beim Schreiben eben, es ist total inovativ und neu, mal kein Problemkind in den Drogensumpf versinken zu lassen, sondern jemanden, der da eigentlich nicht allzuviel zu suchen hat ... naja.

Wurde mir der Erzähler sympathisch während des Lesens? Doch, ich glaube schon, vielleicht eben weil er so durchschnittlich ist, und er wird ja von dir im ersten Abschnitt auch sehr liebevoll eingeführt. Ein netter, kleiner Junge halt, der vom wahren Elend der Welt noch keinen blassen Schimmer hat. Und dem diese Welt dann eben umso gnadenloser mit dem Arsch ins Gesicht fährt.
Ja, das höre ich gerne.

Ja, und mit der vorletzten Szene hattest du mich dann endgültig, wo Max ihm da unter den Händen wegstirbt, also, … ach scheiß drauf, klar, das ist schon sehr dick aufgetragen, ein sterbender Junkie, der was von „Bürde“ faselt, ja, aber das ist schon stark, mir hat das Gänsehaut gemacht.
Das ist schön, dass die Schlüsselszene für dich jedenfalls teilweise funktioniert hat und dich ergreifen konnte.

Ja, ich mochte die Geschichte, sie ist nicht gerade hirnwegsprengend und riss mir auch nicht das Herz aus der Brust, also nicht zur Gänze, sie ist kein ganz großes Kino und auch nicht von so innovativer Einzigartigkeit wie die Erfindung der Pizza Calzone, aber ein kleiner, leiser, stimmiger und stellenweise sehr berührender Film ist sie allemal.
Vielen Dank für dein Lob und dein Feedback und deine Zeit und so, offshore, es hat mich sehr gefreut!


Hi weltenläufer,

ich finde, das ist ein wuchtiger Text. Sehr, sehr sauber geschrieben, ein sehr geschliffener Schribstil, da gibt es von meiner Warte gar nichts zu bemängeln. Das flutscht schon beinahe unheimlich gut.
Vielen Dank. Das sind sehr nette Worte von dir, das freut mich, dass es für dich so gut geklappt hat - und dass ein Text einen gewissen Rhythmus, einen Vibe bekommt, das wollte ich schon länger, und habe es nie so hundertprozentig hinbekommen, hatte ich das Gefühl, aber wenn das hier für dich so gut klappt, freut es mich sehr.

Unheimlich, das trifft es, denn mich hast du hier voll erwischt und ich habe mit deinem Helden mitgefiebert. Also das ist schon gekonnt, wie du da so die Spirale immer enger ziehst, dabei aber mutig die Ebenen auf und ab springst.
Freut mich sehr, dass das so gut für dich geklappt hat!

Oft empfinde ich das als eher lästig, diese Zeitsprünge, hier aber sind die außerordentlich gut gelungen, weil keine davon nur als Erklärung/Hintergrundgedöns für die eigentliche Handlung herhalten muss. Jede Ebene ist spannend für sich und ich will bei jeder wissen, was sich da tut. So ausgewogen lese ich das selten. Obwohl es natürlich eigentlich immer so sein müsste.
Ja cool, das ist ein großes Lob für mich. Vielen Dank dir.

Inhaltlich, ja, das ist schon recht klassisch irgendwie, aber damit bedient es eben einen Teil der Wirklichkeit, den ich hier voll abkaufe.
Das ist krass. Mein letzter Text wurde angeprangert, dass er zu ordinär, zu dreckig ist, da habe ich diese Abwechslung glaube ich mal gebraucht, aber es ist sehr schön, dass da mir das Teil abkaufst. Klar, es läuft klassisch ab, du hast da schon recht, habe ich mittlerweile auch eingesehen - als ich das schrieb, dachte ich irgendwie, es ist total originell, dass der Plot auch für die Leser interessant wirkt - mh naja, ich habe die Bildung der Leser unterschätzt, passiert mir nicht nochmal.


Hey Fliege,

ich habe den Text sehr gern gelesen und ziehe auch meinen Hut vor dem Handwerk, das hier einfach mal ausgesprochen sauber ist und wirklich glänzt. Spannungsaufbau, Szenenwahl, die drei Zeitebenen und wie sie ineinander verschlungen sind und ein großes Ganzes bilden. Also, meinen Respekt hast Du.
Erstmal vielen Dank für dein Lob und so, das freut mich wirklich sehr, dass das bei dir geklappt hat!

Es ist eine Geschichte, ja sehr linear, aber sie könnte genauso da draußen stattfinden. Und jetzt sagt man, Literatur soll auch die Wirklichkeit spiegeln, sozusagen Chronist seiner Zeit sein und die Geschichte tut genau das und man sagt, aber das ist zu wenig Literatur, weil linear, weil chronologisch, weil keine Wendungen, Überraschungen etc. Klar geht auch beides, aber muss es das? Die Story funktioniert ja. Und sie funktioniert bei vielen Lesern außerhalb von KG/wk wahrscheinlich unglaublich gut. Ich glaub wirklich, die Kritik hier, das ist schon, weil wir hier echt ein sehr hohes Niveau haben, ein Ideal anstreben, was weiß ich. Frage ist halt, ob man damit dann auch immer den Geschichten gerecht wird ... ja, so was geht mir im Kopf um.
Mhm ... ich hab echt lange darüber nachgedacht und so. Und ich finde: Ja, einerseits kann ich das schon verstehen, da schwingt irgendwie beim Lesen so was Moralisches mit, so was Belehrendes; die Zeitstränge bauen klar aufeinander auf, sie sind linear, wie du sagst, das passiert, weil das, weil das, ... im Prinzip verstehe ich das, wenn jemand sagt: Da ist mir zu viel Deutung vom Autor, zu klare kausale Zusammenhänge in der Entwicklung. Aber ich finde eben auch, dass das eine Geschichte ist, die so draußen passieren könnte, dass man nicht weit weg vom Zeitgeschehen ist; vllt ist man auch zu nah dran, es ist zu offensichtlich, was als nächstes passiert, eben auch, weil man schon in der Vorgestern-Kind-Phase eigentlich fast die ganze Zeit weiß, wie es enden wird: Drogen. Scheidung -> Drogen. Vielleicht ist das echt eine zu billige Prämisse, das könnte auch die katholische Kirche sagen. Aber ich weiß auch nicht, irgendwie finde ich die Story trotzdem nicht schlecht. Wie gesagt, es kann durchaus so passieren, und es passiert durchaus so da draußen. Und ich habe die Geschichte auch Leuten außerhalb dieses Forums gegeben, und die waren irgendwie auch positiv angetan, die fanden das Thema nicht ausgelutscht ... vllt liegt das echt an dem Forum hier, vllt liegt es daran, dass das Niveau sehr hoch ist, gerade was Storytelling und Themenwahl angeht, da hast du irgendwie schon recht. Trotzdem finde ich es nicht verkehrt, im Hinterkopf zu haben: Keine Klischeestorys. Neue Themen erzählen, die die Leser so noch nicht gehört haben.

war ein komisches Verhältnis von Erzähler und Erzähltem. Ist ja die gleiche Erzählstimme, in allen drei Phasen der Entwicklung. Und die ist sehr abgeklärt, aufgeräumt, reflektiert. Und das gibt einen komischen Effekt. Da ist voll das Chaos in seinem Leben, aber die Erzählstimme entspricht dem Gegenteil.
Ja ... ich weiß auch nicht. Einerseits gefällt mir diese Erzählstimme sehr gut, und andere fanden sie auch sehr gut, andererseits könnte ich die Erzählstimme klar noch mehr den verschiedenen Altersstufen anpassen, das stimmt schon, und das ist eine wertvolle Beobachtung. Ich habe jetzt nur Schiss, dass wenn ich das probiere, dass ich damit grandios scheitern werde.

Ich glaub, ich hätte mich hier fürs Präteritum entschieden, um den Erzähler auch ein Stück weit abzurücken von dem, worüber er erzählt, auch wenn das wahrscheinlich nur ein wenig diesen Effekt aushebeln würde.
Die Idee mit dem Präteritum ist auch echt gut, da ist der Erzähler zwar nicht so nah am Geschehen dran wie beim Präsens, aber man könnte die Erzählstimme gleich lassen; ich muss mir das mal überlegen. Andererseits würde dann der Klang vieler Sätze und so flöten gehen, und ich müsste eigentlich die ganze Story nochmal neu schreiben, so, dass sie vom Wortklang und sowas weiterhin gut flutscht. Mal sehen, ich weiß das echt noch nicht. Ich werde die Story hier die Tage mal aktualisieren, ich habe schon bisschen dran gebastelt, gerade, als ich die Kommentare immer mitgelesen habe und so, und ich denke, da werde ich auch auf jeden Fall viel mit reinnehmen. V.a. denke ich, dass diese Heute-Teile, die ja praktisch das Ziel der ganzen Entwicklung sind, dass die einfach vom Plot her zu uninteressant sind. Da knallt es nicht, da schockt nichts, das werde ich ändern, auch gerade im Hinblick auf die Sprache des Prots.

Aber ist und bleibt ein tolles Stück Geschichte.
Das freut mich sehr! Auch wie du mich im Spoiler als Autor eingeschätzt hast, krass, das hätte ich nicht gedacht, das gibt mir schon das Gefühl, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Vielen Dank Fliege, für deinen tollen Kommentar und deinen Anregungen, die waren sehr interessant!

Hi Kew,

ich mochte die Geschichte.
Das freut mich sehr.

Wurde ja schon von einigen angemerkt, aber die Zeitstruktur ist wirklich gut gelößt. Das entwickelt sich trotz der vielen Sprünge in eine Richtung und das ist wirklcih nicht einfach zu schaffen. Dafür gibt's schonmal Pluspunkte. Und auch von den Figuren her, die wirken glaubwürdig auf mich. (Beim Anfang etwa, als der Vater erklärt, warum er ab jetzt weniger da ist und der Sohn das nicht versteht. Oder als Max als Dankeschön fürs Nicht-Verpetzten die Ü-Eier schenkt.)
Überhaupt da sind schöne Stellen im Text. Man kann sich eigentlich jeden Abschnitt rausnehmen und der funktioniert dann und ist schön gearbeitet.
Das freut mich noch mehr, dass das so gut für dich geklappt hat!

Nur das Gesamtbild, das sie ergeben, das wurde ja schon von den anderen angemerkt. Ich meine, bei dem Thema hat halt fast jeder schon ein Bild vor Augen. Bei mir ist das jetzt Requiem for a Dream. Da geht's halt auch um Drogen, nur wird der Film da noch ein gutes Stück hässlicher als für Drogen ermordert und es gibt die Mutter, die von ihrem Kühlschrank verfolgt wird. Das sind halt Stellen, die hängen bleiben, und das fällt mir ein bisschen bei dem Text. (Also der Text ist schon gut, nicht falsch verstehen, aber es fehlen so ein bisschen die 120% Stellen, die sich dann einbrennen.)
Ja! Du hast echt total recht. Ich habe das einleitend mal geschrieben, ich hatte irgendwie beim Schreiben total den Überblick dafür verloren, was gut oder schlecht ist an dem Text, und ich gebe dir da total recht: Die Heute-Szenen, also die 'Drogenzeit', die muss häßlicher, packender geschrieben sein, da passiert im Endeffekt genau das, was der Leser als vorgefertigte Meinung aus Filmen und so hat, und so sollte es nicht sein, gerade, weil die Story dann schnell wieder vergessen wird. Ich habe da den Leser irgendwie auch bisschen unterschätzt, glaube ich: Ich dachte, das passt schon, das gibt dem Leser ein Gefühl, dass er in diese Welt geblickt hat und Sachen gesehen hat, die er noch nie gesehen hat; nein, das stimmt nicht. Ich werde da nochmal rangehen.

Was mir noch aufgefallen ist: Eigentlich geht es hier ja um die Eltern. Diese Beziehung zum Vater, der aufeinmal weg ist und zur Mutter, die plötzlich lauter Männer im Haus hat und dann an Krebs/etc. stirbt. Und dieser Hass auf dem Vater, dem erst ganz am Ende soweit verziehen wird, dass der Erzähler ihn besuchen will. Das ist doch die eigendliche Handlung oder irre ich mich?
Genau, das sollte die Handlung sein

Aber statt sich darauf zu konzentrieren, kommt dieser ganze Drogenkram dazwischen. Ich meine, die ganze Geschichte würde doch fast genauso funktionieren, ohne, dass sie sich die Birne wegkoksen und dann hätte ich nicht mir dieses Drogengeschichtending im Hinterkopf, das mir ständig runterbetet, kenn ich doch, kenn ich doch.
Boah, da hab ich lang drüber nachgedacht. Im Prinzip stimmt das schon. Aber ich dachte mir, als ich den Plot entworfen habe: Er muss tief fallen, und es muss etwas tragisches passieren, damit es praktisch so einen Knacks beim Prot gibt, damit er einen Anlass dazu hat, sich mit dem Vater wieder zu treffen und igendwie auch im Stande dazu ist, den Vater zu verzeihen. So war das gedacht: Und wenn es auf diese finale Bahnhofsszene hinauslaufen soll, dann wäre es zu wenig, wenn die Drogengeschichte nicht gewesen wäre. Ist jetzt so mein Bauchgefühl. Der Prot könnte auch anders fallen, was weiß ich, Spielsucht, oder zweihundert Kilo zunehmen und Onlinegames zocken, bis er nen Herzinfarkt bekommt - aber irgendwie schien mir das nicht so gut zum Schreiben. Ich hoffe du weißt, was ich meine. Aber an deiner Beobachtung ist klar was dran.

Klar, man kann auch zwei/mehr Themen in einem Text bearbeiten - aber für eine KUrzgeschichte sollte, denke ich, klar sein, was das Hauptthema ist und was das untergeordenete. Und diese Aufteilung ist hier etwas aufgeweicht.
Ja ... an deiner Beobachtung ist wie gesagt was dran. Wenn man den Eltern weniger Raum gibt - ich weiß auch nicht. Es sollte schon so eine Eltern-Sohn-Story sein. Vllt eher eine Geschichte, wie man fällt. Das würde eher passen. Ich glaube kaum, dass ich das nochmal so grundlegend umschreiben kann, aber ich werde das auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, das ist eine wertvolle Anmerkung.

Damit das ganze Genörgel aber im Richtigen Licht steht: Der Text ist handwerklich sehr, sehr solide. Und das ist wirklich viel wert. Wenn du dich jetzt noch ein bisschen mit der Struktur und dem Thema auseinandersetzt - ich mein, du hast jedenfalls schon die Grundlage für tolle Texte, der Rest ist Werkeln auf hohem Niveau. Würde mich da insofern Fliege anschließen: Außerhalb unseres sensibilisierten Kontextes dürfte die Geschichte super funktionieren.
Vielen Dank, Kew, das hat mich sehr gefreut, dass du das so gesehen hast! Danke auch für deine Zeit und das Betreuen und Lesen und Kommentieren und so, du weißt schon.


Geht gleich weiter ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi randundband,

interessanter Nickname, das wollte ich dir schon lange mal schreiben.

Vor allem hat mich Flieges Kommentar zum Nachdenken gebracht. Das ist wirklich eine interessante Frage, was erwartet man hier im Forum, und was erwartet man da draußen.
Man ist hier einfach extrem verwöhnt von guten Geschichten, die teilweise wesentlich besser sind, als Sachen die Leute "offiziell" veröffentlichen.
Ja, der hat mich auch zum Nachdenken gebracht. Irgendwie ist das Niveau hier schon sehr hoch, und das finde ich eigentlich gar nicht schlecht, aber z.B. bei der Themenwahl steht dieses hohe Niveau vielleicht - naja, nicht im Weg, aber es verzerrt vielleicht manchmal die allgemeine Meinung, bzw. die Erwartungshaltung von Lesern, die hier nicht als Autoren und so im Forum sind, sondern einfach gerne lesen; ich kann mir schon vorstellen, dass die - im Bezug auf die Themenwahl - ganz anders auf Texte zugehen, als das Kommentatoren hier tun, die eine Scheidungs-Drogen-Geschichte schon fünfzehnmal im Forum gelesen haben. Wenn die dann gelangweilt die Augen verdrehen, kann ich das irgendwie schon nachvollziehen.

Ich war gestern erst auf einer Lesung mit unbekannten Autoren, die ihre Kurzgeschichten vorgelesen haben, da waren wohl ein paar auch veröffentlicht bei kleinen Verlagen, und ich dachte mir oioioi, also wenn die das bei Wortkrieger.de reinstellen würden, die hätten entweder einen üblen Verriss oder gar keine Aufmerksamkeit bekommen.
Mann, das ist mir auch mal passiert. Vor einem Monat oder so. Lesung von Studenten aus der Uni Hildesheim, Studiengang Kreatives Schreiben, Nachwuchsautoren also, die meisten hatten schon was auf dem Kasten, aber da waren auch manche dabei, da dachte ich mir: Scheiße, die würden bei kg.de zerrissen werden. Diese Erkenntnis hat mich irgendwie mitgenommen.

Es ist schon so, da muss ich feirefiz z.B. zustimmen, dass dieser Plot, diese tragische Jugendgeschichte, schon etliche Variationen erfahren hat, und hier substantiell nichts neues kommt. Wäre man böse, ließe es sich von Versatzstücken sprechen, mit der Drogenabwärtsspirale, der krebskranken Mutter, zerrütteten Familienverhältnissen usw. Klar, es sind Dinge die eben passieren, und da sie halt Extrempole des Alltags sind, eignen sie sich auch bestens für Literatur. Sie werden natürlich in allen Variationen und auch auf unterschiedlichem Niveau von den Medien ausgeschlachtet, es gibt etliche Filme dazu, Reality-Formate, Bücher, Artikel, na ja alles eben. Jugendliche Drogengeschichten, ich weiß nicht, seit wann sind sie aktuell, ich glaube so "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" hat das hier eingeleitet, vllt auch etwas früher, fällt mir jetzt aber nichts ein.
Diese Geschichte hier ist eben auch eine Genregeschichte, sie will eine Genregeschichte sein, und meiner Meinung nach tut sie das ganz gut.
Ja, du hast schon recht, ich kann das nachvollziehen. Also ich kann den Leser bzw. seine Vorkenntisse irgendwie noch bisschen schlecht einschätzen, schätze ich; z.B. bei diesem Text, als ich den geschrieben habe, dachte ich zwar: Gut, Drogengeschichte, schon öfters mal gelesen, aber da geht noch was!, und auch diese Scheidungs-Vater-Sohn-Misere, da dachte ich, boah, so ein Absturz bei einem bürgerlichen, bei einem, dessen Vater nicht säuft und der sich nicht im Pausenhof prügelt oder Ritalin nimmt oder was weiß ich, bei so einem einen Abstieg zu zeigen, das ist total originell! Dachte ich wirklich. Ja gut, ich glaube, so schlecht ist die Story jetzt von ihrem Erzählwert nicht, aber die Themen, äh, gut, die sind bisschen abgegriffen, da gebe ich dir schon recht. Ich werde die Tage mal eine geupdatete Version hochladen, und in der werde ich in der Drogen-Heute-Phase nachlegen, weil ich glaube, dass dieser Teil am schwächsten ist. Jeder Kommentator meinte auch: abgegriffenes Thema, Drogen. Niemand sagte: abgegriffenes Thema, überengagierte Mutter, Scheidung, tote Mutter. Ich glaube, dass dieses Drogending, auf das sich klar alles hinentwickelt, dass das einfach zu flach ist, und deswegen die Leser auch enttäuscht sind, ein bisschen. Da passiert eben alles so, wie man es sich vorstellt, da kommt keine schockende, neue Einsicht, nichts, wo man denkt: ach, so ist das also! Und ich glaube, da kann ich nochmal nachlegen. Naja.

Von der Struktur her ist es geschickt gemacht, diese zeitlichen Ebenen sind intelligent zusammengefügt
Ja schön, dass das für dich so geklappt hat.

ein wenig eintönig ist das schon, da hat Fliege, glaube ich, es sehr richtig bemerkt, die Erzählstimme ändert sich nicht, vllt wirkt es dadurch so abgeklärt, und vllt fällt es dem einen oder anderen hier schwer, dem Prot nahe zu kommen, mir persönlich ging es da aber nicht so.
Aber ich glaube schon, dass die Geschichte durch den Wechsel der Tonalität gewinnen würde.
Ja, ich habe mir echt Gedanken gemacht, die Erzählstimme noch mehr den verschiedenen Altersklassen anzupassen; aber das ist schon schwierig, und ich hab irgendwie auch Schiss, dass ich damit die Story vermassle und auf die Schnauze falle. Ich werd's mal probieren und sehen, was rauskommt. Das wäre natürlich schon gut, wenn man anhand der Sprache noch mehr merken würde, welche Ich-Version da gerade erzählt. Mal sehen; aber ich werde es mir für kommende Texte und so auf jeden Fall im Hinterkopf behalten. Aber auch schön, dass du dem Prot nahe kommen konntest.

Ja, aber wie gesagt, sowas kann man eh nur einer Geschichte vorwerfen, die so ein hohes Niveau hat, wie diese hier.
Auch ohne die Tonalität zu ändern, bleibt die Geschichte sehr gut komponiert, es fließt richtig gut, und die Verhältnisse stimmen. Ich finde auch, dass die Erzählschichten sehr wohl dosiert sind, die Proportionen zwischen Information, Beobachtung, Reflektion, Dialog usw. sind stimmig, es fügt sich alles zu einem ausgewogenen Bild zusammen, für alle relevanten Aspekte nimmt sich der Text angemessen Zeit.
Das ist toll, dass du das so siehst, das freut mich sehr, wirklich.

Ja, sprachlich ist es sehr schlicht, sehr klar, mir bleibt hier eigentlich nichts in Erinnerung, aber es stößt bei mir auch nichts auf. Meiner Meinung nach könnte der Text sich stilistisch mehr trauen, eindringlicher formulieren. Es sind manchmal echt nur ein paar Wörter oder Wendungen nötig, um den Leser emotional tiefer zu involvieren, das würde sich auch mit dem Charakter des Textes ohne Weiteres vertragen.
Ja ... ich weiß nicht, mir war das beim Schreiben eigentlich gar nicht so klar. Ich meine, ich habe schon großen Wert darauf gelegt, klar und scharf zu formulieren, aber ich hatte da so ein paar Bilder eingebaut, ein paar Metaphern, dass ich mir dachte, das könnte schon stilistisch bisschen was rausreißen ... ähm, nee, wohl doch nicht :D Aber gut. Ich werde mal drüber schauen.

diese Christoph-Szene, ich weiß nicht, ob der Text sie braucht.
Ich glaube, das ist immer der Wunsch dann, wenn man so etwas einbaut, dass es der Figur eine breitere Charakterisierung verpasst, eine zusätzliche Facette. Hier macht sich der Prot also des Mobbings schuldig, und das soll bei dem Leser gemischte Gefühle wecken. Dann hängt da viel dran, an dieser Handlung, warum ist der Täter ein Täter, und ein Arschloch ist er irgendwo auch, usw., also wird die Figur auch vielschichtiger. Das ist grundsätzlich richtig so, aber fällt nach meinem Empfinden bei diesem Text etwas raus. ich weiß nicht, ob ich mir da noch einen zusätzlichen Bezug gewünscht hätte, irgendwie einen Widerhall an einer anderen Stelle, keine Ahnung, so steht mir das zu einsam da, zu zusammenhangslos, oder vllt habe ich was übersehen.
Nein, du hast nichts übersehen, und ja, ich gebe dir recht, irgendwie würde der Text auch ohne diese Szene auskommen; in der neuen überarbeiteten Version werde ich glaube ich noch eine Szene zeigen, die als Resonanzboden für diese Szene dient, glaube ich; ich finde es nämlich schon eine schlüssige und wichtige Charaktereigenschaft, dass diese ganze Entwicklung, durch die der Prot geht, auch Wut und sowas auslöst. Eine interessante Beobachtung von dir!

Ja, also insgesamt ist der Text auf hohem Niveau geschrieben, und das was er sagen will, kommt auch alles an.
ich habe ihn wirklich gerne gelesen.
Ja vielen Dank, echt, das freut mich sehr.

Es ist nur echt so, dass man hier auf der Seite von der Stimmung her schon viele ähnliche Texte gelesen hat, und er deswegen nicht krass herausragt.
Ja, ist was dran, das verstehe ich.


randundband, vielen Dank für deinen schönen Kommentar und für's Lesen und Zeitnehmen!

Hi Möchtegern,

ich hab gerade wüst durchs Forum geklickt nach einem guten Text zum Kommentieren, und eben erst fiel mir ein: Hier war ich ja noch gar nicht. Dabei habe ich hier gelesen.
Ja cool, dass du so zufällig vorbeigekommen bist!

Und es ist ein sehr guter Text.
Das freut mich natürlich auch zu lesen, wenn dir der Text so gut gefallen hat.

Allerdings musste ich ihn zweimal lesen, um das so richtig würdigen zu können. Mir ist jetzt erst klar geworden, wie viel Handlung hier eigentlich gezeigt wird, und alles szenisch, und wie selten das eigentlich ist. Da sind tolle Stellen drin, der Erdbeerkuchenmatsch, der wieder ausgespuckt wird, die Szene mit den Überraschungseiern, die Szene mit dem Streber, den er niederschlägt ...
Ich hab ein bisschen gebraucht, um herauszufinden, warum ich nach dem ersten Lesen Probleme mit dem Text hatte.
Hier beobachtet man den Erzähler über Jahre hinweg, man hat ein paar Erlebnisse von ihm als Kind, als Teen, als junger Erwachsener. Natürlich immer nur Schlaglichter, mehr kann eine Kurzgeschichte nicht leisten (ein Roman böte mehr Platz). Und selbstverständlich, weil man als Leser nun mal so funktioniert, liest man da diese Kausalketten rein (denn wozu erzählt mir der Text ein bestimmtes Schlaglicht auf das "Vorgestern", wenn ich es nicht in Beziehung setzen soll zu einem Schlaglicht auf das "Gestern" und das "Heute"): Er nimmt Drogen, WEIL seine Eltern sich getrennt haben, WEIL seine Mutter ... er verprügelt einen Klassenkameraden, WEIL ... er nimmt noch mehr Drogen, WEIL ... sein Freund nimmt Drogen, WEIL dessen Mutter eine Irre war, die ihn mit dem Klavier gequält hat ...

Und sowas wirkt nunmal billig. Weil man ja weiß, dass das Leben nicht so einschichtig funktioniert und man solche "wenn x, dann y"-Beziehungen selten hat.

Ja, ich kann das total nachvollziehen. Ich habe einleitend geschrieben, dass ich irgendwie beim Schreiben total die Distanz zur Story verloren habe, dass ich gar nicht mehr einschätzen konnte, wie der wirkt, ob der gut, schlecht, oder was auch immer ist. Und mittlerweile habe ich auch gecheckt, dass es einfach ... ja, dass es sich nach Autor liest, wenn man eine Entwicklung liest, die so offensichtlich aufeinander aufbaut; das passiert, weil das passiert ist, weil das passiert ist ... da ist sehr klar, warum was passiert, und das wirkt eben sehr moralisch und auch belehrend irgendwie, und diese Prämisse: Scheidung -> kaputtes Leben, die könnte halt auch von der katholischen Kirche kommen, wenn man böse ist. Ich versteh das schon, aber andererseits finde ich die Story halt auch trotzdem nicht schlecht; das könnte, wie gesagt, so da draußen passieren und es passiert auch so da draußen, und ich glaube, gerade weil wir hier im Forum viele Storys haben, die so ähnlich wie dieser hier sind, sind viele Leser hier einfach übersättigt, irgendwie. Da hat Fliege auch recht.

Ich hab mir das überlegt, und ich fürchte, das ist ein Problem, das sich in einer Kurzgeschichte nicht lösen lässt. Die Entwicklung einer Figur über einen langen Zeitraum (über Jahre und entscheidende Lebensphasen hinweg) zu zeigen, indem du einzelne Schlüsselszenen schreibst - das wird nicht aufgehen, das wird sich immer wie eine grobe Vereinfachung lesen. Ein "Bildungsroman" auf zwölf Seiten - dat töft nich.
Ich habe mir wahrscheinlich auch viel aufgeladen, mit meinem Plan, ein Vierteljahrhundert in zwölf Seiten zu packen, eine ganze menschliche Entwicklung, puh, ja ... da muss man die Szenen zeigen, die wichtig sind, die die Entwicklung beeinflussen und vorantreiben, das ist natürlich der Hacken dabei, und dann wirkt das schnell mal bisschen billig, ja ...

Allerdings musste ich ihn zweimal lesen, um das so richtig würdigen zu können. Mir ist jetzt erst klar geworden, wie viel Handlung hier eigentlich gezeigt wird, und alles szenisch, und wie selten das eigentlich ist. Da sind tolle Stellen drin, der Erdbeerkuchenmatsch, der wieder ausgespuckt wird, die Szene mit den Überraschungseiern, die Szene mit dem Streber, den er niederschlägt ...
Die Dialoge fand ich alle super.
Ja cool! Das freut mich sehr, wenn das so gut für dich geklappt hat.

Zwischendrin sind so pseudopoetische Einsprengsel, die für mich neben der Spur liegen, die der Stil sonst so hält. Die Bäume mit den grünen Haaren zum Beispiel. So paar Kleinigkeiten.
Ja, das ist echt krass. Ich meine, die eine Hälfte meint: zu schlichter Stil, zu wenig ästhetisch, und die andere Hälfte meint: sehr guter, klarer Stil, die einzigen poetischen Einsprengsel liegen neben der Spur, weg damit! Weißt du, was ich meine? Das verwirrt mich ziemlich. Vllt fängt da ja Geschmackssache an, aber ich schiebe Kritik irgendwie nie gerne auf die Geschmackssache, das ist doch irgendwie blöd.

In der klassischen Kurzgeschichte wurde doch immer Einheit von Ort, Zeit (und was war das dritte?) gefordert. Das ist ein Extrem, an das sich kaum Geschichten hier im Forum halten.
Mhm, das weiß ich jetzt nicht. Ich kenne bloß das klassische Drama, Aristoteles, der forderte Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Meinst du das? Oder hat man das echt auch mal für Kurzgeschichten gefordert?

Die Struktur hier ist schon fast ein anderes Extrem. Das könnte als Roman funktionieren, jede Szene ausgebaut und noch Füllmaterial dazwischen. Aber als KG? Ich grüble gerade, ob ich hier im Forum auf einen Text verlinken kann, der diese Struktur hat und damit gut zurechtkommt. (Ich mein jetzt nicht, dass die drei Zeitebenen ineinander verwoben sind, das ist hier gut gemacht. Ich meine diesen Versuch, eine jahrelange Entwicklung einer Figur in wenigen Schlaglichtern glaubwürdig darzustellen.)
Ja, ich verstehe was du meinst! Das ist viel Story, und wenn man nur die markanten Entwicklungsschritte und prägenden Ereignisse zeigt, wirkt das irgendwie gewollt, moralisch, belehrend, zu kausal. Ich nehme das auf jeden Fall mal so für mich mit, und behalte das auf jeden Fall im Hinterkopf, das ist schon eine große Erkenntnis, finde ich.

Ach, nichtsdestotrotz, nachdem ich mir gesagt habe, dass der Text hier mit sehr viel Ehrgeiz etwas versucht, was er nicht besser hinbekommen kann - beim zweiten Lesen fand ich es dann wirklich gut, da hab ich meine Mäkelei im Hinterhirn ausschalten können. Und das Ende fand ich dann ziemlich rührend
Ich hoffe dir gefällt der Text tatsächlich, Novak ging es ja irgendwie genauso wie dir, vllt hat man beim zweiten Lesen einfach nicht diese Autoren-KG.de-Brille auf, und liest einfach ... ich weiß es nicht. Vllt ist der Text auch nur halb so gut, und du hast einfach 'Mitleid', weil du weißt, dass da viel Arbeit drin steckt - das wäre natürlich sehr schade.

Und das Ende fand ich dann ziemlich rührend, wie weise der Vater das geschrieben hat "wenn du soweit bist, hier meine Adresse".
Ja cool, danke!

Danke dir für deinen tollen Kommentar, Möchtegern, echt, ich glaube, der hat mich schon weitergebracht.


Hallo Novak,

Hallo, ganz ganz schnell noch, bevor du dich outest.
Das war verdammt knapp, Novak!

Mir ging das ganz ähnlich wie Möchtegern. Als ich deinen Text das erste Mal las, war ich irgendwie abgenervt. Ich fand das alles zu viel. Fand es nicht berührend. Alles zu naheliegend, sich zusammenfügend wie ein Puzzleteilchen zum anderen. Zu passend.
Dann fand ich, dass ich dem Text vielleicht Unrecht tue, weil man ja vor kurzem noch eine Menge Jugendgeschichten gelesen hat. Also las ich den Text zum zweiten Mal. Und da fand ich ihn richtig gut. Er ist gut gebaut, er ist gut geschrieben. Er ist sogar auf einem hohen Niveau.
Das ist verrückt! Ich glaube echt, dass das sein kann, weil man einfach schon viel hier gelesen hat, v.a. die letzte Zeit auch. Das ist so, als ob man drei Romane über den Spanischen Bürgerkrieg gelesen hat, den letzten hat man auch nur fertig gelesen, weil man sich dachte: Na gut, jetzt hab ich das Ding angefangen. Und dann bekommt man zum Geburtstag einen Roman: Hemmingway und der Spanische Bürgerkrieg. Und man denkt sich: Büüäh. Und dann liest man das Buch, schludert sich durch die Seiten, und ist danach ziemlich genervt von. So könnte ich mir das vorstellen, bei dir.

Dann wollte ich mal schauen, ob das sein kann, dass Fliege Recht hat und wir ein bisschen überkritisch sind hier. Sind wir. Hab ihn nämlich meinem Freund zum Lesen gegeben. Der war begeistert.
Ja cool! Schöne Grüße an deine Freund! :D Wie gesagt, vielleicht ist da echt ein bisschen eine verzerrte Lesermeinung hier im Forum vorherrschend, nicht mal böse gewollt, aber einfach, weil hier auch von Erstlingen so ein paar Themen gewählt werden, die man echt oft liest. Und wenn dann wieder ein Drogending kommt, ist man schon angenervt, und wenn es dann auch keine neuen und spannenden, packenden Szenen bringt, findet man den Text automatisch nicht so gut. Ich finde übrigens mittlerweile, dass die Drogenszenen hier im Text nicht so gut sind. Das verstehe ich schon, ich meine, ich dachte irgendwie, das passt schon, das wird den Leser packen und ihm neue Einsichten geben; aber leider habe ich das Vorwissen bisschen unterschätzt, glaube ich. Die Leser hier wissen schon verdammt viel über das Thema, haben viel darüber gelesen und gesehen. Und dann wirkt die Handlung in den Heute-Teilen hier klar flach und uninteressant. Kann ich mir zumindest vorstellen. In der aktuallisierten Fassung werde ich da mal bisschen mehr auf den Putz hauen und so. Hoffe, das bringt was.

Ich glaube auch, dass es an der Menge Handlung liegt, an dem ordentlichen Portiönchen Menschenleben, das du hier dem Leser offerierst. Ich glaube, es ist tatsächlich sehr sehr schwierig, das in einer Kurzgeschichte abzuhandeln.
Ja klar, da gebe ich dir total recht! Habe das schon den anderen geschrieben, wenn man echt ein komplettes Menschenleben abhandeln will, dann zeigt man klar nur die entscheidenden und prägenden Momente, und dieses x->y->z-Schema, das kann dann natürlich zu offensichtlich und zu sehr nach Autor wirken, zu belehrend und so. Sollte natürlich nicht so sein, da haste schon recht. Aber ist eine gute Erkenntnis, finde ich!

Es hat mir aber trotzdem gefallen.
Ja das freut mich sehr!

Ich kann es auch nicht sagen, warum mir das beim zweiten Lesen anders ging als vorher. Mir leuchten die von Möchtegern angesprochenen Kausalketten ein. Darauf fokussioert man sich beim ersten Lesen, beim zweiten Lesen achtet man eher auf die Figur selbst.
Vllt ist das einfach die Autorenbrille, die da beim Lesen stört. Ich kann mir das auch nicht so ganz klar erklären, was da bei euch abging, aber wenn die Story im Endeffekt funktioniert hat, freue ich mich sehr.

Also hat mir sehr gut gefallen beim zweiten Mal Lesen.
Cool!

Vielen Dank für deinen Kommentar und für deine Zeit und so, Novak, hat mich gefreut!


Hey ernst, nochmal,

Und weil das durchaus als Lob gemeint gewesen wäre, schreib ich's jetzt einfach da her.
Tolle Story, zigga.
Das ist sehr nett von dir! Hat mich sehr gefreut, wirklich. Und ich glaube, hätte ich das im Spoiler gelesen, hätte ich ziemlich lachen müssen.


Hey floritiv,

Update: Ach, verdammt, jetzt hat sich die Maske ja doch schon geoutet.
:D Ganz knapp hast du mich verpasst!

ich fühle mich gerade vollkommen unqualifiziert, zu so einem handwerklich und erzähltechnisch sehr hochwertigen Text Stellung zu beziehen in der Art, dass du was davon hast.
Danke erstmal für das Kompliment, das ist echt schön zu lesen. Aber dein Kommentar hat mir schon sehr viel gebracht, bloß keine falsche Bescheidenheit!

Also entweder bist du eh schon das Wunschbild aller Autoren oder du hast wirklich hart daran gearbeitet, n Lektor in ein Verließ das Korrektur lesen lassen oder was weiß ich.
:D Oh Shit, der Lektor, den habe ich ganz vergessen, dem muss ich wieder mal ein Stück Brot runter bringen ...

Komischerweise vergleiche ich manche Geschichten automatisch mit gesehenen Filmen und gelesenen Büchern, ich kann gar nicht anders, so kommt es mir vor. Hier springen mir die Kinder vom Bahnhof Zoo, Trainspotting und Requiem for a Dream in Erinnerung, alles eher ältere und sicher auch hier weitlich bekannte Werke zur Drogenthematik.
Kenne ich, das geht mir auch immer so, und ich denke mal, das ist gar nichts Komisches, Geschichten werden im Hirn als Geschichten abgespeichert, egal, ob du die jetzt gehört, gesehen oder gelesen hast, denke ich mir.

Und ich muss sagen, dass sich diese Geschichte für mich in diesem Dreieck von bekannten Werken abspielt. Eine Art Bermuda-Dreieck, in dessen Zentrum alles irgendwie etwas altbacken und unoriginell wirkt und letztendlich aus meinem Gedächnis verschwinden wird.
Aber dem Text, so meine Meinung, fehlt eindeutig Eigenes
Das ist natürlich sehr schade. Habe das den anderen Kommentatoren schon gesagt: Ich glaube, der Text humpelt am meisten in den Heute-Szenen. Die sind - wie du sagst - altbacken, das kennt jeder, da passiert nichts, was Neu ist, was der Leser noch nie gesehen hat, alles geschieht so, wie man es erwartet und wie man es schon zehnmal gehört hat - das verstehe ich schon. Ich werde die Heute-Dinger auch aufpäppeln (bin gerade schon dabei) und die Tage mal hochladen. Diese Szenen brauchen dringend etwas Frisches, etwas, was man sich merkt, was einen schockt, mitnimmt und so - da habe ich die Leser irgendwie unterschätzt, glaube ich, weil ich dachte: Ach, das passt schon, die Leser haben dann einen kleinen Einblick in diese Welt, in diese Zeit, die sehen was Neues - aber das kannten sie leider schon alles. Ich probiers nochmal besser.

Nach soviel Downing mal was Positives. Für mich war da die ärgste Szene, die aus diesem Dreieck tatsächlich hervorsticht:
Die Frau dreht sich um: Sie ist dürr, schaut aus wie fünfzig, hat Pusteln im Gesicht und fettige blonde Haare, die ihr wie eine Portion Spaghetti am Schädel herunterhängen.
„Nee, nur einer!“, schreit sie; Max lacht, läuft zu seinem Schrank, zieht einen Schuhkarton heraus und schmeißt dem Ding ein Plastiktütchen hin.
„Die Runde geht auf mich“, sagt Max, und klopft mir auf die Schulter.
Ekelhaft, aber gut!
Ja, so Zeug, das werde ich ausbauen, glaube ich, damit das authentischer und interessanter wirkt. Ich glaube nämlich, dass die andere zwei Zeitepochen, dass die schon interessant sind und auch funktionieren, bloß diese Drogenphase, auf die sich im Prinzip alles hinentwickelt, die ist eben enttäuschend klischeehaft, die läuft so ab, wie man es erwartet, da passieren Sachen, die man eben so erwartet, bei Drogenabhängigen. Kein Kommentator hat nämlich geschrieben: Die kranke Mutter, die überengagierte, depressive Mutter, der weggezogene Vater, das wirkt altbacken, alle Kommentatoren hatten ihren Fokus echt auf diese Drogenzeit, die sie nicht migenommen hat, und dieses Gefühl hat sich dann irgendwie auf den Rest der Story gestülpt, glaube ich zumindest unterm Strich rauszulesen.

Oder die Szene mit dem Vater, der vom Prot an dessen Geburtstag abserviert wurde. Das sind beides für mich Leuchttürme in sonstiger Ödnis.
Ja, du hast recht! Ich werde mich nochmal dransetzen; aber klar kann ich die Story nicht vollkommen neu schreiben, aber ich versuche da noch rauszuholen, was rauszuholen geht.

Ein ihm eigenes, verbindendes Element zwischen den Zeitebenen zum Beispiel, so etwas könnte ihn echt in meinen Augen aufwerten. Etwas, das nichts mit der Drogenkarriere zu tun hat, aber dennoch eine tragende Rolle spielt.
Und sei es einfach, natürlich nur eine Anregung, das Perpetuum mobile aus Kindertagen, das er »gestern« irgendwo wieder rausgekramt hat und ständig mit dem Gedanken spielt, bis »heute«, das aller Männlichkeit zum Trotz doch wieder an die Lampe zu hängen, schlicht, weil es ihn auf eine berührende Art Hoffnung macht.
Es gibt noch nix derlei, oder hab ich was überlesen?
Ja ... ich hatte das versucht. Ist dir aber wahrscheinlich nicht so aufgefallen; ich hatte versucht, den Vater als ein solches Element einzubauen: Der schwingt in jeder Lebensphase irgendwie mit, und diese kaputte Beziehung zum Vater zieht sich durch das ganze Leben, bis zum Schluss, wo er zu ihm fährt. So war das gedacht - aber ist eine gute Idee von dir, ich überleg's mir mal, und werde das für künftige Storys und so auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, das ist eine gute Idee!

Noch eine abschließende Anregung zur Struktur. Beginne mit Gestern oder Heute, lasse die Geschichte »einpendeln«. Wenn mit Heute, dann wechsel gleich daraufhin zu Vorgestern, das wäre ein guter Hoppla-Kontrast
Oh Mann, ich schwör's dir, es gibt davon mindestens dreitausend Fassung, von dieser Story, ich habe die zweimal geschrieben und fand sie zweimal scheiße, erst diese dritte Fassung mit den vielen Szenen und so, die fand ich dann gut. Und dann hab ich mindestens acht verschiedene Konstellationen der Zeiteben versucht, die einzelnen Szenen umgetauscht, das ging ewig, bis ich mit der hier ganz zufrieden war ... aber du hast recht. Das ist schon eine gute Idee, mit Heute zu beginnen - ich glaube, ich werde das vllt sogar echt machen. Ich fand das 'lineare' also: Vorgester, gestern, heute, das fand ich eigentlich gar nicht so schlecht, weil man dann - ähnlich einem Film - immer sieht, wie sich die verschiedenen Zeitebenen entwickeln; aber ich denke nochmal drüber nach!

Gern gelesen!
Na das freut mich aber!

Floritiv, vielen Dank für deinen tollen Kommentar und für's Lesen und Zeitnehmen und so.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Zigga,

jetzt hatte ich endlich Zeit, deine Geschichte zu lesen und ich fand sie auf recht hohem Niveau geschrieben. Chapeau!
Das Thema selbst ist nicht so ganz mein Ding und das sage ich deswegen, weil du natürlich dann es auch schwerer hattest, mich bei der Stange zu halten, also dafür zu sorgen, dass ich nicht wegklicke und meine Augen sich neues Futter suchen.
Es ist dir gelungen, mich von derartigem Vorhaben abzubringen.

Ich habe mich gepackt und unterhalten gefühlt und ich habe mich sehr darüber gefreut, mal wieder eine qualitativ gute Geschichte zu lesen.

So richtig ins Detail mag ich mit meiner Kritik nicht gehen, weil ich mich in sehr vielen der Vorkommentare der Kritiker wiedergefunden habe. So ein bisschen ging es mir wie denjenigen Vertretern, die sich einen intensiveren Plot gewünscht haben, die sich weniger Vorhersehbarkeit gewünscht haben. Aber das ist echt Wünschen auf hohem Niveau. Die Geschichte ist gut. Punkt.

Fast ein wenig neidisch bin ich geworden, weil dir diese stimmigen Dialoge gelungen sind. Da gab es nirgendwo eine Stelle, an der ich Zweifel hatte. Die Aussagen deiner Personen waren alle rundum genau so wie ich sie mir auch vorstellen konnte.

Einen kleinen Kritikpunkt möchte ich dennoch anführen. Die einzelnen Überschriften über den jeweiligen Zeiteinheiten fand ich überflüssig. Ich habe mir dann irgendwann nicht mehr gemerkt, in welcher Zeit ich grad stecke, ob ich Vorgestern oder Gestern lese, es war auch ohne diese Überschriften klar erkennbar, wann sich das jeweils abspielte. Insoweit empfand ich diese Überschriften etwas hölzern. Ich wünschte, ich könnte dir einen konkreten Verbesserungsvorschlag präsentieren, aber mir fallen nur noch sterilere Jahreszahlen ein. Vielleicht reicht es wirklich, einfach nur deutliche Absätze zu machen und gar nichts drüber zu setzen?

Lieben Gruß

lakita

 

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