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Traumfänger

Challenge 1. Platz
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22.10.2004
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Traumfänger

Con un caballito blanco el niño volvió a soñar
Y por la crin lo cogía: “ahora no te escaparás”.
Apenas lo hubo cogido, el niño se despertó:
Tenía el puño cerrado. El caballito voló.

Antonio Machado

Als ich acht Jahre alt war, schenkte mir meine Großmutter ein Kästchen aus fast schwarzem Rauchquarz. „Für deine Schätze“, sagte sie dazu. Ich besaß damals nur die üblichen Schätze eines kleinen Jungen: drei Murmeln, die geheimnisvoll bläulich schimmerten, eine Indianerfigur, die mir Opa geschnitzt hatte, und eine Schwanenfeder. Doch nichts davon kam mir kostbar genug vor, um es in dem Schatzkästchen aufzubewahren. Also stand die kleine Schatulle zunächst leer in meinem Regal, und von Zeit zu Zeit nahm ich sie mit beiden Händen heraus und strich einfach nur andächtig über die glatte, kalte Oberfläche.
Bis ich eines Nachts von einer Sekunde auf die andere erwachte. Ich schlug die Augen auf und war wach, starrte in die Dunkelheit meines Zimmers und überlegte, was mich geweckt hatte. Dann bemerkte ich es. Es kam aus der Richtung meines Fensters, und es war etwas, was ich noch nie gehört hatte. Ich hörte es auch nicht. Es war wie ein feines Wispern, aber ich nahm es nicht direkt mit den Ohren wahr. Eher wie einen zarten Luftzug, der den Geruch von dunkelgrüner Seide mit sich trug und sanft in der Finsternis schimmerte. Es ist kaum zu beschreiben. Sobald ich glaubte, dass ich etwas hörte, stellte ich fest, dass doch tiefste Stille herrschte; sobald ich glaubte, etwas zu sehen, war da doch nichts als Dunkelheit. Aber etwas war da, und ich konnte es spüren. Etwas saß, schwebte, wartete auf meinem Fensterbrett. Mit klopfendem Herzen richtete ich mich auf, langsam, denn ich hatte die unbestimmte Furcht, dieses Etwas fortzuscheuchen. Es blieb, wie es war: unbestimmt, aber da. Behutsam glitt ich aus dem Bett und tappte auf nackten Füßen zum Fenster. In mir pulsierte eine Spannung, die beinahe wehtat. Dann stand ich am Fensterbrett. Es war natürlich leer.
Jedenfalls, wenn ich einfach nur hinsah. Aber als ich ganz langsam die Hände ausstreckte, konnte ich das Etwas spüren, deutlicher denn je. Ich spürte es unter meinen Fingern, es vibrierte, schmiegte sich an meine Handflächen, es fühlte sich an wie blätternde Seiten, gleitender Sand, hauchdünne Seide, es war weich und kühl und auch wieder nicht, es war nichts von alledem, was ich zu fühlen glaubte. Ich war verwirrt. Vorsichtig griff ich zu.
Eigentlich fassten meine Hände nur ins Nichts, aber ich wusste, dass ich das Etwas erwischt hatte, und schloss heftig meine Finger darum.

Ich wandere durch einen dunklen Wald. Der Boden fühlt sich an wie Samt, und die Vögel fliegen auf dem Rücken. Ich beginne zu tanzen. Eigentlich bin ich auf der Suche nach dem Roten Turm, aber stattdessen komme ich an eine Holzbrücke. Immer, wenn ich sie überquere, erreiche ich die Seite, von der ich losgegangen bin.

Das war es, was ich in der Hand hielt. Das Bild des Waldes durchflutete mich, machte mich schwindlig. Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich nicht loslassen durfte. Dieses Etwas musste ich behalten. Und jäh begriff ich auch, wo ich es aufbewahren konnte. Mit zwei großen Schritten ging ich zum Regal, hob mit einer Hand den Deckel des Quarzkästchens und stopfte das Etwas mit der anderen hinein – zumindest machte ich eine Stopfbewegung. Dann schob ich den Deckel wieder zu. Einen Moment lang blieb ich stehen und starrte das Kästchen einfach an. Mein Verstand teilte mir mit, dass es leer war, denn ich hatte nichts hineingetan. Mein Gefühl wusste es besser. Mein Gefühl nahm wahr, dass etwas in dem Kästchen war und darin herumwirbelte wie ein gefangenes Tier. Man konnte das nicht direkt hören und auch nicht wirklich sehen, obwohl es schien, als dringe ein ganz sanfter Schimmer durch den Quarz. Als ich das Kästchen berührte, war es so kalt wie eh und je, aber es knisterte, als sei es elektrisch geladen, und in mir formte sich erneut eine vage Ahnung von Wald und Holzbrücke.
Mit einem ungewissen Gefühl der Zufriedenheit kletterte ich zurück ins Bett und kuschelte mich in meine Decke. Der Schatz, den ich nun besaß, machte mich glücklich.

Dies war meine erste Erfahrung mit verlorenen Träumen – die erste von vielen. Ich weiß heute nicht mehr, wann genau ich begriff, was es mit diesen Etwas auf sich hatte, aber eines Tages ist es mir klargeworden. Einige Wochen nach jener Nacht weckte mich ein anderes Etwas, das sonnengelb prickelte, als ich es einfing, und das mit einem Flug über das Meer zu tun hatte und einem Strand von Mohnblumen in der Ferne. Und wiederum einige Wochen danach fand ich das nächste Etwas außerhalb meines Zimmers und am helllichten Tage: Es hockte auf einem Gartentor, als ich von der Schule nach Hause ging. Ich musste es in meine Jackentasche stopfen und festhalten, und während des gesamten Heimwegs spürte ich etwas von einem großen leeren Haus mit unendlich vielen Gängen, in denen man mit bleiernen Schritten umhertaumelte. Es verursachte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube, aber ich behielt es trotzdem.
Im Laufe der Zeit merkte ich, dass sie praktisch überall sein konnten. Die Welt ist voll von verlorenen Träumen. Jedenfalls nenne ich sie verloren, denn ich stelle mir vor, dass es jene sind, die dir in der unachtsamen Sekunde zwischen Schlafen und Erwachen entwischen. Nur ein Hauch bleibt zurück, eine unbestimmte Ahnung, die wie ein Spinnwebenschleier zerreißt, wenn du dir erst einmal die Augen gerieben hast. Diese Träume stehlen sich unbemerkt davon.
Ich glaube, es gibt auch jene, die bei uns bleiben, wenn wir aufwachen, und sich erst nach einer Weile enttäuscht davon machen, weil wir ihnen keine Beachtung schenken.
Jeder von uns hat solche Träume, und jeder verliert sie. Doch ich war in der Lage, sie zu finden – nicht meine eigenen, aber die anderer. Ich konnte sie wahrnehmen, ich konnte meine Sinne dafür schärfen im Laufe der Jahre; und sie ließen sich von mir einfangen und in mein Quarzkästchen sperren.
Alle Träume sind anders, und doch gibt es etwas wie ein gemeinsames Wesen. Ich nahm sie wahr und wusste nicht, mit welchen Sinnen. Sie hatten etwas ganz Leichtes, Zartes, Flüchtiges. Meistens brachten sie eine Ahnung von Farben, Klängen, Gerüchen oder Geschmäckern mit sich, die nicht unbedingt mit ihrem eigentlichen Inhalt zu tun hatten. Wenn ich einen verlorenen Traum einfing, genoss ich ihn in aller Ruhe, einmal oder öfter, je nachdem, wie gut er mir gefiel. Dann packte ich ihn in das Kästchen zu den anderen. Obwohl es mir schien, als ob sie wild darin herumwirbelten, solange der Deckel zu war, machte keiner von ihnen je den Versuch zu fliehen, wenn ich das Kästchen öffnete und einen neuen hineintat.
Ich brauchte nicht mehr im Schlaf zu träumen. Es reichte mir, bei vollem Bewusstsein die Quarzschatulle in beide Hände zu nehmen und die Augen zu schließen. Aus dem unbestimmten knisternden Prickeln der steinernen Oberfläche kristallisierten sich Stück für Stück andere Empfindungen heraus, als könne ich die Träume durch die Kästchenwand hindurch wahrnehmen. Manchmal vermischten sich auch zwei oder mehrere von ihnen. Ich wusste nie ganz genau, welchen Traum ich spüren würde, und manchmal saß ich stundenlang mit meinem Schatzkästchen im Schoß da, weil ich auf einen ganz bestimmten wartete. Meine Sammlung wurde immer größer. Am Anfang zählte ich noch, aber als ich fünfzehn war, hörte ich damit auf.

Ein weites Feld aus roter Erde. Blühende Mandelbäume. Die Luft flirrt vor Hitze. Du gleitest von der warmen Steinmauer und gehst über das Feld, Schritt für Schritt, und du sehnst dich nach dem Meer und bist froh, dass es nicht da ist.

Ein Weg aus festem Lehm führt bergauf. Du läufst, aber du wirst immer langsamer. Du weißt, dass du fliegen kannst, aber du bist zu schwer.

Der Mann mit der Brille erzählt dir von China. Dort züchten sie geröstete Champignons. Du hörst ihm nicht zu, denn du musst die Teekanne finden, bevor es hell wird.

Eine endlose Allee von Lindenbäumen, eine endlose Reihe von Häusern, und eines von ihnen ist dümmer als die anderen.

Die Frau mit den dunklen Haaren schreit dich an, doch du kannst sie nicht hören. Zorngerötet springt sie auf und ab. Du fühlst dich schuldig. Du verwandelst sie in einen Hasen.

Du hastest die Treppe hinauf. Sie sind hinter dir her. Du wirfst mit alten Büchern nach ihnen. Du hast Angst. Die Treppe endet an einer weißen Wand. Du hämmerst dagegen. Man muss dir öffnen, bevor es zu spät ist. Du hörst das Rasseln von Säbeln …

Es war alles dabei.
Und dann – eben, als ich fünfzehn war – fand ich den schönsten von allen. Er weckte mich in der Nacht wie der erste, aber er war zutraulicher. Ich spürte ihn direkt neben mir auf meinem Kopfkissen und begriff auf der Stelle, dass er etwas Besonderes darstellte. Statt des zarten Wisperns brachte dieser Traum ein Klingen mit sich, wie der Wind, der über eine Harfe fährt. Da war das Schwirren eines Kolibris, das blaugrüne Schillern einer Pfauenfeder, die Traurigkeit eines Sommerabends, die Wärme des Meeres, das um die nackten Füße spielt, der Geschmack von Sahne und braunem Zucker. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, mein Herz schlug schmerzhaft, in meinem Hals bildete sich ein Kloß. Dieser Traum war alles. Ich streckte die Hand aus und fürchtete für einen Moment, er würde sich meinem Zugriff entziehen, aber das tat er nicht. Meine Finger schlossen sich fest um ihn.
Im nächsten Moment fuhr ich in die Höhe und stellte fest, dass es Morgen war, dass ich geschlafen und geträumt hatte. Nur was? Die Erinnerung blieb vage. Der Traum auf meinem Kopfkissen war wirklich da gewesen, dessen war ich mir sicher, und ich hatte ihn auch in der Hand gehabt. Danach aber hatte er mich überlistet. Er hatte mich etwas träumen lassen, das so groß, so vollkommen gewesen war, dass ich ganz darin aufgegangen war. Und dann war er mir entwischt. Mir! Je deutlicher mir das wurde, desto stärker empfand ich ein Gefühl von verletztem Stolz. Kein verlorener Traum war mir jemals entschlüpft. Nicht einmal der, in dem man glaubte, in ein schwarzes Loch aus Vergessen gezogen zu werden, oder jener, in dem der Mörder einem in die eigene Brust griff, das Herz umfasste und einen daran hochhob. Weder über schreckliche noch über schöne Träume hatte ich mich jemals vergessen. Dieser eine seltsame Traum sollte mich zum Narren gehalten haben? Gleichzeitig spürte ich Sehnsucht. Schmerzhafte, sich durch jede Faser meines Seins ziehende Sehnsucht. Ich wollte ihn wiederhaben. Wollte ihn noch einmal träumen und noch einmal und noch einmal. Wollte ihn in eine eigene Schatulle stecken und immer bei mir tragen. Mein Traum. Mein schöner verlorener Traum!

Von da an war ich auf der Suche. Ich hatte eine unbestimmte Vorstellung davon, wie jämmerlich gering meine Aussichten auf Erfolg waren. Ich war sicher, dass für einen Traum räumliche Distanz keine Rolle spielte. In einem Wimpernschlag konnte er am andern Ende der Welt sein. Also, wo sollte ich eigentlich suchen? Und konnte ich überhaupt einen Traum finden, der vor mir geflüchtet war? Nur an einem zweifelte ich nicht im Geringsten: dass ich ihn wiedererkennen würde.
Noch immer war die Welt voll von verlorenen Träumen. In den nächsten Jahren fing ich jeden, den ich bekommen konnte, ich entwickelte sogar einen gewissen Jagdinstinkt, aber erstmals begann ich, manche auch wieder loszulassen und nur noch die schönsten, traurigsten, sinnlosesten und furchtbarsten aufzuheben. Jene, die mich enttäuschten, warf ich sogar in hohem Bogen weg. Ich wurde reichlich wählerisch. Aber selbst die Träume, die ich aufbewahrte, kamen mir entsetzlich unbedeutend vor im Vergleich zu jenem einen, der mir entwischt war.
Das Verlangen, ihn wiederzufinden, wurde immer stärker, und als ich schließlich von der Schule ging, war es kurz davor, mich in den Wahnsinn zu treiben. Meine Sinne waren geschärft und stets in Bereitschaft. Wenn ich mich mit jemandem unterhielt, hörte ich nur mit halbem Ohr zu und suchte mit den Augen die Umgebung hinter meinem Gesprächspartner ab. Es kam vor, dass ich im Restaurant, im Bus oder im gemütlichen Freundeskreis plötzlich hochsprang; dass ich den Telefonhörer mitten im Gespräch aufknallte, um ans offene Fenster zu sprinten; dass ich auf dem Weg irgendwohin herumwirbelte und in eine ganz andere Richtung rannte. Alles das, weil meine Sinne mir die Präsenz eines verlorenen Traumes irgendwo in der Nähe mitteilten. Am Anfang schien sich niemand daran zu stoßen, aber diese Ereignisse häuften sich, bis ich langsam selbst merkte, dass es so nicht weitergehen konnte. Noch hielten sie mich einfach für hochgradig nervös, aber nicht lange, und sie würden mich verrückt nennen.
Trotzdem, auch wenn ich all das genau wusste: ich hätte nichts gegen mein Verhalten tun können, wäre ich nicht irgendwann in dieser Zeit Alicia begegnet.
An meinem ersten Tag in der Universität stieß ich mit ihr zusammen. Wir stammelten beide eine Entschuldigung, und ich schaute auf ein kleines, ebenmäßiges Gesicht, auf glattes goldblondes Haar, das ihr zahm über die Schultern fiel, auf eine zierliche Gestalt. Alicia war durchaus hübsch zu nennen. Aber der eigentliche Grund, warum ich nicht wieder wegschaute, waren ihre Augen. Tiefblau wie der strahlendste Sommerhimmel. Und in diesen Augen leuchtete ein Traum.
Ich war wie vom Schlag getroffen. Bisher hatte ich fremde Träume immer nur wahrgenommen, wenn sie schon verloren waren. Dieser hier, der Alicia aus den Augen strahlte, war nicht verloren, er gehörte noch zu ihr, vielleicht hatte er sich letzte Nacht von ihr träumen lassen, vielleicht würde er es in dieser tun. Auf jeden Fall begriff ich, dass ich ihn haben musste, koste es, was es wolle. Vielleicht war es mein Traum. Doch selbst wenn nicht. Ich wollte ihn.
Dazu musste ich erst Alicia haben. Das brauchte seine Zeit, war aber sonst nicht weiter unangenehm. Schließlich sah sie gut aus und war in jeder Hinsicht ein nettes Mädchen. Als ich sie das erste Mal küsste, schmeckte ich gebrannte Mandeln. Im Lauf der Zeit lernte ich, dass jedes Mädchen anders schmeckte. Das hatten sie mit Träumen gemeinsam.
Schließlich lag ich neben ihr, verschwitzt und zufrieden, und lauschte auf ihre friedlichen Atemzüge. Schlafen durfte ich nicht. Ich hatte den Traum aus ihren Augen leuchten sehen, bis sie eingeschlafen war, und ich wusste mit seltsamer Bestimmtheit, dass er sie jetzt verlassen würde. Vielleicht, weil sie ihn nicht mehr brauchte – vielleicht, weil er zu mir wollte.
Ich richtete mich auf, als die Stille zu leuchten, die Luft zu vibrieren begann, und machte das Etwas irgendwo über Alicias Kopf aus. Behutsam griff ich zu. Der Traum war frisch und perlte. Er schmeckte grün.

Ein Schwarm von Zitronenfaltern braust um dich herum. Du spürst ihre zarten Flügel überall und riechst den Duft süßer Zitronen, und du möchtest weinen.

Unwillkürlich musste ich lächeln. Ich hielt den Traum in der geschlossenen Faust, während ich vorsichtig aufstand. Es war nicht einfach, sich mit einer Hand anzuziehen.
In den folgenden Jahren sollte ich allerdings eine gewisse Geschicklichkeit darin erwerben. Alicia war nur die erste von vielen. Wenn ich ein Mädchen traf, dann schaute ich ihr in die Augen. Wenn ich einen Traum darin sah, schlief ich mit ihr. Erst, wenn man es getan hatte, kam der Traum heraus. Offenbar steckte eine gewisse Gesetzmäßigkeit dahinter, auch wenn ich ihre Logik nicht begriff. Ich fing den Traum dann jedenfalls ein und ging.
Seitdem ich die neue Methode anwandte, war ich nicht mehr nervös. Die verlorenen Träume, die an allen Ecken und Enden auf mich warteten, interessierten mich nicht mehr. Ich wollte die aus den Mädchenaugen, die noch nicht verlorenen. Etwas in mir wusste mit Sicherheit, dass ich meinen Traum nicht auf einem Fensterbrett, einem Gartentor oder in einer Telefonzelle wiederfinden würde. Nein. Ich war sicher, dass er in den Augen eines ganz bestimmten Mädchens Zuflucht gesucht hatte. Jetzt musste ich nur noch dieses Mädchen finden. Zwar hatte ich damit noch immer eine reichlich anstrengende Suche vor mir, aber ich hatte wenigstens eine Richtung.
Meine jetzige Art zu suchen brachte mir zwar den Ruf ein, ein hoffnungsloser Casanova zu sein, doch damit hatte ich kein Problem. Mit den Mädchen übrigens auch nicht. Ein paar Komplimente taten nicht weh, einen Blumenstrauß, ein Fläschchen Parfüm oder ein romantisches Abendessen konnte man sich ab und zu leisten, und was danach kam … mir gefiel es immer. Den Mädchen auch, soweit ich das beurteilen konnte. Manche von ihnen hatten ein Problem damit, in meinen Armen einzuschlafen und alleine aufzuwachen. Manche von ihnen suchten mich hinterher auf, stellten Fragen und machten mir Vorwürfe. Aber ich hatte ihnen nie etwas versprochen. Was ich versprach, galt ihren Augen. Ich brauchte kein Mädchen, ich brauchte meinen Traum.

Eines Abends klingelte Marina bei mir.
Sie war das, was man Sandkastenfreundin nennen würde; wir hatten als Kinder miteinander gespielt. Marina war ein wildes, fröhliches Mädchen mit zarten Sommersprossen und kurzen braunen Haaren gewesen, das am liebsten mit Jungs herumtobte. Ich hatte sie auch nie wirklich als Mädchen betrachtet. Wir blieben gute Freunde, auch als die Zeit des ausgelassenen Spielens im Freien schon längst vorbei war. Als sie an diesem Abend bei mir auftauchte, hatten wir allerdings schon seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr gehabt. Ehrlich gesagt brauchte ich ein paar Sekunden, um sie zu erkennen, denn sie trug ihr Haar jetzt lang, was sie insgesamt weicher und weiblicher wirken ließ. Ihr Lachen hatte noch immer die alte Wärme, die gleiche Kraft.
Wir saßen bis tief in die Nacht bei mir auf der Couch und redeten über Gott und die Welt, über das, was wir gemeinsam und getrennt erlebt hatten, über das, was vor uns lag, was sein könnte. Mitten in dieser Unterhaltung schaute ich ihr das erste Mal in die Augen. Ich hatte es so noch nie getan. Mir war nie aufgefallen, dass Marina wunderbare tiefgrüne Augen hatte, in denen winzige goldene Punkte schillerten wie Funken aus Sonnenlicht. Unglaubliche Augen. Ich musste noch ein zweites Mal hinsehen, um zwischen den goldenen Funken meinen Traum zu entdecken. Er hatte sich hinter dem Goldleuchten versteckt und schimmerte nur ganz sacht. Da also war er. Hatte er in Marinas Augen auf mich gewartet? Oder war er erst vor kurzem zu ihr gekommen?
Im Grunde spielte das keine Rolle. Ich hatte ihn jetzt gefunden und würde ihn diesmal nicht entwischen lassen.
Marinas Lippen schmeckten ein bisschen nach Zimt, wie ich noch an diesem Abend feststellte. Mit ihr war es anders als mit den Mädchen, aus deren Augen ich mir die gewöhnlichen Träume geholt hatte; das war nicht überraschend. Es schien nur logisch, dass mein Traum sich nicht die Augen irgendeines Mädchens ausgesucht hatte.
In dieser Nacht schlief sie eng an mich gekuschelt, lächelnd. Ich lag da, in stiller Vorfreude auf das Erscheinen meines Traumes, die Wärme ihres Körpers spürend.
Und nichts geschah.
Es war nicht mehr besonders viel von der Nacht übrig gewesen, als Marina eingeschlafen war, aber dennoch hatte ich ganz sicher geglaubt, der Traum würde sich noch vor dem Morgen zeigen. Doch das tat er nicht. Als Marina irgendwann die Augen aufschlug und mich anstrahlte, konnte ich den Traum noch immer dort sehen, oder besser, ich merkte, dass er noch immer da war. Aus Marinas Augen leuchtete das reine Glück, aber mein Traum, der sich dahinter verbarg, schien mir spöttisch zuzuzwinkern. Ein zweites Mal hatte er mich überlistet.
Also musste ich mit Marina zusammenbleiben, damit ich meinen Traum nicht aus den Augen verlor – im wahrsten Sinn des Wortes. Dass Marina über diese Entwicklung glücklich war, vereinfachte die Sache enorm. Dass ich es mehr und mehr als angenehm empfand, überraschte mich selbst. Ihr Lachen, ihre Wärme, ihre Anwesenheit taten mir gut.
Jedes Mal, wenn wir miteinander schliefen, wartete ich vergebens darauf, dass mein Traum seine Zuflucht verließ. Am nächsten Morgen vergewisserte ich mich, dass er noch immer in ihren Augen saß und zufrieden vor sich hin schimmerte. Im Prinzip war ich sehr geduldig und Marina machte mir das Warten in höchstem Maße erträglich – ohne dass sie je wusste, dass ich auf etwas wartete. Aber nach und nach wuchs doch eine gewisse Unzufriedenheit in mir. Ich war meinem Traum so nah, und trotzdem blieb er mir unerreichbar fern. Es war nicht fair. Meine Sehnsucht nach ihm wuchs ins Unermessliche, schnürte mir die Kehle zu und brannte in meinen Augen.

Dann, eines Tages, beging Marina diesen entsetzlichen Fehler.
Ich kam erst ins Zimmer, als es schon zu spät war. Sie stand da und hielt mein Schatzkästchen in der Hand, den Deckel geöffnet. Als sie mein Gesicht sah, zuckte sie leicht zusammen und entschuldigte sich für ihre Neugier.
„Aber es ist ja sowieso leer“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu.
Das stimmte.
Denn was meine Miene versteinerte, war das, was ich sah, hörte, spürte, erahnte.
All die verlorenen Träume, die ich jahrelang sicher aufbewahrt hatte, die niemals einen Fluchtversuch unternommen hatten, schwirrten und wirbelten jetzt aus ihrem geöffneten Gefängnis heraus. Sie tanzten um Marina herum, die von alledem natürlich nichts wahrnahm, zwitscherten stumm und pulsierten in unsichtbarem Leuchten. Und dann machten sie sich davon. Einer nach dem anderen.

Das Haus ist so weiß, dass es deinen Augen wehtut, das Meer ist so weit und blau, und du wirfst Kieselsteine hinter dich und möchtest die Wolken treffen.

Das Feld aus Mohnblumen erstreckt sich bis zum Horizont. Du bist ein Wildpferd. Du jagst den Himmel.

Der lila Palast dröhnt wie riesige Glocken, wenn du auf einen der Steine tippst. Eine der Treppen führt ins Freie, aber du kannst sie nur finden, wenn du das Kranichlied spielst.

Sie alle – sie alle, die mich über so lange Zeit begleitet hatten, die mir gehörten, weil ich sie gefunden, gefangen hatte, die mich getröstet und beruhigt hatten, wenn ich es gebraucht hatte, die mir im Vergleich zu meinem einen verlorenen Traum nichtig und unbedeutend erschienen waren und doch einen unermesslichen Schatz darstellten – sie alle flogen davon und ließen mich alleine zurück mit einem Traum, der sich hartnäckig in Marinas Augen versteckte, und mit Marina selbst, die an alldem schuld war.
Sie hatte mir alles genommen, was ich besaß. Und was ich am meisten besitzen wollte, das gab sie mir nicht. Ich spürte einen Zorn, der größer war als alles, was ich jemals empfunden hatte, der mich von innen zersprengen wollte. Ich riss ihr die Schatulle aus der Hand und schrie sie an, ohne zu wissen, was ich sagte; ich sah, wie ihre Augen sich in verständnislosem Erschrecken weiteten und sie vor mir einen Schritt zurückwich. Und ich sah, wie mein Arm ausholte und ihr das Kästchen an die Schläfe schleuderte. Marina taumelte noch einen Schritt zurück und stieß gegen die Wand. Dann rutschte sie langsam an ihr hinunter, blieb auf dem Boden sitzen. Schloss die Augen, aus denen jetzt gar nichts mehr leuchtete. Ließ den Kopf zur Seite sinken. Die leere Schatulle lag neben ihr.
Ich empfand nichts. Es war, als ob ich träumte, auch wenn alle meine Sinne sich darüber im Klaren waren, dass es das Wahrhaftigste war, was in meinem ganzen Leben passiert war. Ich starrte auf Marinas Körper, aber da war nichts, was mir vertraut gewesen wäre. Dann drehte ich mich um und betrachtete mich im Spiegel. Betrachtete den, der das getan hatte. Mein eigenes Spiegelbild sah fremd aus. Ich machte einen Schritt auf mich zu und schaute zum ersten Mal seit sehr langer Zeit in meine eigenen Augen.
Mein Traum saß dort, schimmernd, klingend, zitternd. Ich starrte mich selbst an. Er sah so aus, wie ich ihn unzählige Male in Marinas Augen gesehen hatte. In Marinas Augen, wo er sich gespiegelt hatte. Und ich hatte nicht begriffen, dass eben darin das Geheimnis bestand. Ein Traum, der dir gehört, wird sich nicht in irgendwelchen Augen spiegeln. Er sucht sich besondere.
Ich taumelte vorwärts und musste mich am Spiegelrahmen festhalten, meine Stirn schlug gegen die kalte Oberfläche. Etwas in mir zerbrach sehr, sehr langsam. Ich spürte, wie der Traum langsam entwich, aus seinem Versteck kam, um mich zu verlassen. In all den Jahren hatte ich Träume auf alle mögliche Weise wahrgenommen, hatte gemerkt, dass sie alle ihr eigenes Wesen hatten. Aber keiner von ihnen hatte jemals eine Erkenntnis von solcher Deutlichkeit in mir ausgelöst.

Du bist so blind.
Er war bei dir geblieben, damit du ihn lebst.

Und dann war er fort.

 

Hi Malinche,

wow, ich bin überwältigt. :thumbsup:

Eine sehr sehr gute Geschichte.(finde ich)
Mir fehlen im Moment die Worte.
Mit sehr viel Gefühl hast du Spannung, Dramatik, bis hin zu einem gewissen Grad an Wahnsinn, in die KG gebracht.
Eine der besten KGs die ich bisher hier gelesen habe.

Ich weiß, es ist alles Geschmacksache, aber du hast meine Seele berührt.

Darum kann ich jetzt nicht sagen, was event. nicht stimmig ist.
Vielleicht könnte sie hier und da etwas gekürzt werden, aber das ist für mich jetzt nicht so wichtig.
Werde sie später noch mal, weniger emotional lesen.
Bin gespannt, was die Andern sagen.

ganz liebe Grüße, coleratio

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Malinche,

mir gefällt deine Geschichte auch. Flüssig und scheinbar spielerisch verwebst du das Challenge-Thema mit einer wunderbar leichten, phantasievollen Geschichte. Ich fand es irgendwie schade, dass du kein Happy-End zulassen konntest, aber so wird der Plot natürlich sehr gut abgerundet.

Ich hab nichts zu meckern. Mann, ist das selten. :D

Gut durchkonstruiert, phantasievoll erzählt, stilistisch einwandfrei. Challenge-Thema meines Erachtens sehr gut erfüllt, und dabei die Geschichte nicht vergessen. Ich bin tief beeindruckt.

Anea

Ach ja, da fiel mir noch was ein: Wenn der Traum am Ende nicht gesprochen, sondern die Erkenntnis aus dem Prot selbst heruas gekommen wär, hätte ich es noch besser gefunden :)

 

Hallo coleratio, Anea und Blackwood,
erstmal danke für eure Reaktionen!

coleratio:

wow, ich bin überwältigt.
ja, ich auch … von so einer Kritik …
Ich weiß, es ist alles Geschmacksache, aber du hast meine Seele berührt.
… ein größeres Lob kann ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen.
Danke schön! :)

Anea:
Nichts zu meckern?? Das ist ja schon fast unheimlich. Na gut, immerhin die Anmerkung, dass der Prot die Erkenntnis selber hat – ich glaube, das werde ich wirklich ändern, gefällt mir besser als ein sprechender Traum.

Blackwood:
(War das nicht eine Art mexikanische Mata Hari?)
Du hast es erfasst :lol: . Im brontal-krassen Nickname-Thread oder wie das Teil heißt steht mehr dazu.
Wenn du mir mit den stilistischen Winzigkeiten weiterhelfen würdest, wäre das natürlich prima. Und danke, dass du die Torerogeschichte erwähnst :)
Übersetzung: ja, weiß ist gut … Ist eine Strophe aus einem Gedicht von Antonio Machado. Ich übersetze mal sinngemäß den ganzen Inhalt:

Es war einmal ein Kind, das träumte von einem weißen Pferd
Öffnete das Kind die Augen – das Pferdchen sah es nicht.
Von einem weißen Pferdchen träumte das Kind dann wieder
Und fasste es an der Mähne: diesmal entkommst du nicht.
Kaum hatte es das Pferd gefasst, wachte es auf;
Es hatte die Faust geschlossen, das Pferdchen war nicht mehr da (wörtl. das Pferdchen flog).

Das Kind wurde sehr ernst und dachte, dass es nicht echt war,
ein geträumtes Pferd – und von da an träumte es nicht mehr.
Aus dem Kind wurde ein junger Mann, und der hatte ein Liebchen,
und zu seiner Geliebten sagte er: Bist du Wahrheit oder nicht?
Als der junge Mann alt wurde, dachte er: Alles ist Träumen,
das geträumte Pferd und das echte Pferd.
Und als der Tod kam, fragte der Alte sein Herz: Bist du ein Traum?
Wer weiß, ob er aufgewacht ist.

Das Gedicht hat also nicht direkt mit der Geschichte zu tun, aber gerade die ersten Strophen haben mich so ein bisschen inspiriert.

Dann bedanke ich mich noch einmal. Mit so positiven Reaktionen hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet!
Liebe Grüße,
ciao
Malinche (la mata-hari méxicana :lol: )

 

Hey Malinche,

muss mich den lobenden Worten meiner Vorkritiker anschließen. Das Thema der Geschichte ist wunderbar, die Idee ist unglaublich gut... nur die Umsetzung ist für meinen Geschmack noch ein bisschen viel show und ein bisschen wenig tell. Vielleicht arbeitest du da noch mal ein bisschen dran? So wirkt es auf mich sehr zusammengefasst, gerafft, ich weiß aber nicht genau, woran das liegt.
Trotzdem, die Geschichte hat mich (als Träumerin) berührt, ich kenne das Gefühl sehr gut. Nur sammele ich keine Träume, sondern Momente. Kennst du das Buch "Rumo und die Wunder im Dunkeln" von Walther Moers? Darin gibt es eine Figur, die ständig in ihren gesammelten Glücksmomenten wühlt. Obwohl es sich um eine riesige Made mit zwölf Armen handelt, hab ich mich irgendwie wiedererkannt ;)
gruß
vita
:bounce:

 

Hallo vita,
erst mal danke für das Lob.
Hm, ja, deinen Eindruck mit dem Gerafften kann ich nachvollziehen, die Geschichte ist wirklich fast nur … Moment, heißt es nicht show don’t tell? Dann wäre „ein bisschen viel show“ doch gar nicht schlecht? Egal, ich glaube, meine Geschichte hat zuviel „tell“ und das meintest du auch mit „show“, oder?. Quatsch. Doch. Also noch mal von vorn. Es ist fast alles zusammengefasst (jetzt haben wir’s) und ich bin nur in ganz wenige Szenen richtig eingestiegen, und zwar in die wichtigen. Mir fällt grade auf, dass ich aus denen auch meistens wieder ausgestiegen bin. Hm. Ich schätze zwar, dass es für den Leseeindruck vielleicht wirklich nicht schlecht wäre, wenn ich da was ändern könnte, allerdings weiß ich nicht wirklich, wie ich das am Besten machen sollte. Ich habe das Gefühl, es würde dann zu dem gegenwärtigen Tonfall des Erzählers nicht mehr passen, nicht stimmig sein und die Geschichte im schlimmsten Fall unnötig in die Länge ziehen. Kurz und gut, ich kann deinen Eindruck sehr gut nachvollziehen, würde da auch gerne noch überarbeiten, wenn ich nur wüsste, wie ich das stimmig hinkriegen sollte. Im Moment bilde ich mir ein, die Geschichte ist für das geraffte Erzählen konzipiert (was für ein dämlicher Satz …). Gut, vielleicht findest du in diesem meinem Posting irgendwo noch die sinnergebende Quintessenz, ich entschuldige mich, es ist spät und ich habe mich den ganzen Tag mit der Puritanischen Revolution und der Nationalversammlung von 1848 herumgeärgert ;)
Das Buch kenne ich leider nicht, aber in meinen persönlichen Glücksmomenten wühle ich auch gern …
Liebe Grüße,
ciao
Die zwölfarmige MAlincheDE ;)

 

Hallo Malinche,

wow! Deine Geschichte hat mir wirklich ausgesprochen gut gefallen. Bei deinem letzten Satz habe ich eine richtige Gänsehaut bekommen.

Ich fand es schon beim letzten Challenge erstaunlich wie unterschiedlich die Ideen zu ein und demselben Thema sein. Deine Geschichte und ihre Idee, ist aber wirklich etwas sehr spezielles.
Schade, dass alles so traurig ausgehen musste.

Sprachlich habe ich nichts auszusetzen oder herumzumeckern.


Ich glaube, dass es auch andere gibt. Jene, die bei uns bleiben, wenn wir aufwachen, und sich erst nach einer Weile enttäuscht davon machen, weil wir ihnen keine Beachtung schenken, sondern lieber daran denken, was wir heute unternehmen werden. Und vermutlich gibt es auch noch jene, die eine Zeitlang aufbewahrt worden sind in einem Winkel unserer Seele, aber irgendwann werden sie begraben unter dem Druck neuer Ideen und Erinnerungen, und dann kämpfen sie sich empört unter dem Berg hervor, der sie zu zerquetschen droht, klopfen sich den Staub achtlos abgelegter Gedanken ab und machen sich ebenfalls davon, ohne dass es uns auffällt.

Ich mag deine Theorien über die Träume wirklich sehr. Allerdings würde ich dir hier raten, es etwas zu kürzen.

LG
Bella

 

Hallo Bella!
Ich freue mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat.
Ich habe versucht, die zitierte Passage zu kürzen:

Ich glaube, dass es auch andere gibt. Jene, die bei uns bleiben, wenn wir aufwachen, und sich erst nach einer Weile enttäuscht davon machen, weil wir ihnen keine Beachtung schenken. Und vermutlich gibt es auch noch jene, die eine Zeitlang aufbewahrt worden sind in einem Winkel unserer Seele, aber irgendwann werden sie begraben unter dem Druck neuer Erinnerungen, und dann kämpfen sie sich empört unter dem Berg hervor, der sie zu zerquetschen droht, klopfen sich den Staub achtlos abgelegter Gedanken ab und verschwinden.
Falls du meinst, dass ich hier noch mehr tun kann und auch eine Idee hast wie, :) würde ich mich über Vorschläge freuen.
Liebe Grüße
ciao
Malinche

 

Hi Malinche,
zu Beginn sollte ich dir vielleicht den Tipp geben, dass man sich mit den 48er Revolutionen, bzw. mit der Versammlung in der Paulskirche nicht Nachts rumschlagen sollte ;) Weiß ich aus eigener Erfahrung...Zur Geschichte: Grandios. Was mir besonders gefällt ist die Stimmung. Schon nach den ersten Sätzen hat man ein Gefühl von Sehnsucht und Melancholie, von einer vergebenen Suche, die eigentlich niemals endet. Gelungen find ich den Einstieg mit dem Kästchen, dass der Prot von seiner Großmutter bekommt. Ich weiß nicht genau warum, aber das hat mich berührt.Die story ist gefühlvoll und mit viel Fantasie erzählt, wobei sie auf mich aber ein wenig zu lang wirkt. Vielleicht könnte man gerade die ersten Träume ein wenig raffen, aber das ist nicht zwingend notwendig. Ein großes Lob von mir!

Liebe Grüße...
morti

 

Hallo morti,
deinen Tipp bezüglich Paulskirche & Co. finde ich sehr hilfreich – werde ich beherzigen. ;)
Ich freue mich, dass dir die Geschichte gefällt und es geschafft hat, dich zu berühren. Dass sie kürzer sein könnte, finde ich auch, aber ich glaube, momentan fehlt mir noch der Abstand (und die Zeit … obwohl, nachts hätte ich ja ‚frei’ …), um sie wirklich grundlegend zu überarbeiten. Eventuelle Kürzungen werden also verschoben.
Auf jeden Fall vielen Dank für dein Lob! :)
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Malinche!

Ich kann mich da nur meinen Vorrednern anschließen: eine wunderbare Geschichte! :) Es gibt also jetzt nur noch die Plätze zwei bis zehn zu vergeben…:D (Nur so eine spontane Einschätzung, ich bin weder in der Jury noch sonst was. ;))

Eine kleine Kritik habe ich aber doch: Vielleicht hätte ich das Geschlecht des Protagonisten anhand der Murmeln und der Indianerfigur erraten sollen – habe ich aber nicht, sondern sah bis zu der Stelle ein Mädchen, wo er Alicia zum ersten Mal küsste (was wie gebrannte Mandeln schmeckte). Vielleicht kannst Du also schon zu Beginn deutlicher machen, daß es sich um einen Jungen handelt.

»Ich richtete mich auf, als die Stille zu leuchten, die Luft zu vibrieren begann,«
– müßte meiner Meinung nach Mehrzahl sein: als die Stille zu leuchten, die Luft zu vibrieren begannen

»Es war nicht mehr besonders viel von der Nacht übrig gewesen, als Marina eingeschlafen war, aber dennoch hatte ich ganz sicher geglaubt, der Traum sich würde noch vor dem Morgen zeigen.«
– der Traum würde sich

Ansonsten könnte ich natürlich jetzt alles hier mit Honig vollschmieren, denn die Geschichte ist wirklich gut, aber ich laß ihn lieber im Glas – iß stattdessen ein Honigbrot. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl,
du glaubst gar nicht, wie gut der Honig mir grade tut :D … danke schön! Auch wenn du kein Jurymitglied bist ;) freue ich mich, wenn es dir gefallen hat.

Hmpf, und ich hatte so gehofft, dass die Indianerfigur ein eindeutiger Hinweis ist. Ich denke, ich werde die Großmutter etwas sagen lassen, was jeden Zweifel ausräumt, etwas im Sinne von: „Für dein Schätze, mein Kleiner / mein Junge / …“, bin mir aber nicht ganz sicher, was genau passt. Wäre in dieser Hinsicht auch für jede Anregung sehr dankbar!

»Ich richtete mich auf, als die Stille zu leuchten, die Luft zu vibrieren begann,«
– müßte meiner Meinung nach Mehrzahl sein: als die Stille zu leuchten, die Luft zu vibrieren begannen
Nein, ich glaube, das kann Einzahl bleiben … gefällt mir irgendwie besser

aber dennoch hatte ich ganz sicher geglaubt, der Traum sich würde noch vor dem Morgen zeigen
Hups, wirklich elegante Wortstellung habe ich da gewählt. Danke schön!!
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Hallo Blackwood!
Wow! Vielen lieben Dank für die lange Liste, da hast du dir ja echt Arbeit gemacht. Ich werde jetzt noch mal über den Text gehen (die Revolution ist vorbei!) und wie ich beim Drüberlesen gesehen habe, gibt es eine ganze Menge Anregungen, auf die ich sicher hören werde. Danke! :)
Und, ja, Spanisch solltest du wirklich mal lernen … weißt du, wie gut die Gedichte von Machado, Lorca und Neruda schmecken?

Hallo Crazy Janey,
auch dir ganz lieben Dank für die ausführliche Meldung!
Dass ich die Geschichte vermutlich ein bisschen straffen und kürzen könnte, haben mir schon andere gesagt, aber dank dir habe ich jetzt endlich konkrete Ansätze, wo ich noch was machen kann.

Vertrau deinen Beispielen
Danke – ich hatte bis jetzt wirklich Angst, das zu tun :) .

Mache mich jetzt also an die Überarbeitung und mal sehen, was draus wird.
Nochmals danke an euch beide,
liebe Grüße
ciao
la mata-hari méxicana

 

Hallo noch mal,
so, ich habe versucht, ein paar Schnitzer auszubügeln, den von Blackwood vorgeschlagenen Geschlechtshinweis eingebaut (danke, du bist genial!!!) und ein paar redundante Sätze gestrichen. Von einer gelungenen Straffung zu sprechen wäre wohl übertrieben, doch immerhin ist das Ding jetzt 250 Wörter kürzer als vorher. Auch wenn das wohl nicht unbedingt auffällt. Vielleicht könnte ich noch den ein oder anderen Traum eliminieren, aber da kann ich mich im Moment noch nicht entscheiden …
Blackwood: danke noch mal für die lange Liste, ich habe ziemlich viel davon übernommen, nur die Vorschläge mit den Doppelpunkten habe ich versucht, anders umzusetzen. Ich mag Doppelpunkte nämlich nicht so unbedingt :) . Es sind auch einige ‚aber’ eliminiert.
Crazy Janey: auch dir noch mal ein Dankeschön. Man kann bestimmt noch viel mehr feilen und straffen … später …
Liebe Grüße, ciao
Malinche

 

Pass aber auf, dass du nicht zuviel kürzt - das kann schnell mal flüchtig und oberflächlich wirken. Und lass um Himmels Willen die Träume drin - die sind doch das A und O! Kürz nicht alles weg, was man kürzen könnte, bloß weil es kürzere Geschichten gibt, sonst kürzt du auch irgendwann den Charme weg. (hehe - vier Wortwiederholugen in einem Satz - das mach mir erstmal einer nach :D )

 

Hallo Malinche,
die Suche nach den Träumen gefällt mir sehr gut und auch deine Sprache gibt die Sinne wunderbar wieder. Vor allem deine lebendigen Verben sind toll! Ich hätte mir lediglich an einigen Stellen etwas dezentere Beschreibungen gewünscht, z. B. mehr zeigen, als behaupten, dass er sich mit Marina glücklich gefühlt hat. Ich sehe gerade, dass andere Kritiker das auch so sehen. Für mich ist die Geschichte nicht zu lang und die Träume würde ich einfach nur mehr über den Text verteilen. Alles nur meine Ideen.
Dass er sich dem Spiegel zuwendet, nachdem er seine Freundin vielleicht erschlagen hat, finde ich etwas unglaubwürdig, hier fehlen mir seine Gefühle.
In vier Abschnitten erklärst du dann das Wesen der Träume, es fängt mit "Dies war meine erste Erfahrung mit verlorenen Träumen –" an. Das war mir zu lang, ich bin irgendwann abgeschweift. Das würde ich kürzen oder in Häppchen bringen.

Hier noch ein paar Kleinigkeiten:
"tun" klingt umgangssprachlich, ich würde lieber "hineinstecken", "verstecken" oder ähnliches schreiben.
"Alles das, weil meine Sinne mir die Präsenz eines verlorenen Traumes irgendwo in der Nähe mitteilten." sollte es nicht eher heißen "vorgaukelten"?
"der Traum sich würde noch vor dem Morgen zeigen.": würde sich

Gruß
tamara

 

Hallo Anea, tamara und Blackwood.

Und lass um Himmels Willen die Träume drin - die sind doch das A und O!
Wehe, Du streichst auch nur einen der Träume heraus!!!
Schon gut! Ich werde sie nicht anrühren! :lol: Ist mir übrigens auch lieber so ...
Anea: keine Sorge, ich verfalle jetzt nicht ins Kürzungsfieber ...
tamara: danke für die Anmerkungen. Das tun habe ich geändert, das mitteilen bleibt drin - er nimmt ja Träume wahr, die wirklich da sind, nur muss er eben immer wieder feststellen, dass "seiner" nicht dabei ist.
Ach ja, und den Fehler mit der Wortstellung hatte ich sogar schon mal berichtigt, aber das kommt davon, wenn man die einen Sachen direkt in der Geschichte ändert, aber nicht in Word, und die anderen in Word und dann mit copy&past arbeitet ...
Es stimmt wohl, dass die Passage über das Wesen der Träume besser "verteilt" werden könnte, aber ich sehe gerade nicht, wie ich das machen könnte, ohne dass es zerrissen und durcheinander wirkt - also bleibt das erst mal.
Blackwood: wenn der Gehirnchirurg gar nicht erst in den OP-Saal kommt, ist er auch aufgeschmissen, egal wie kompetent er als Arzt sein mag ... Tür aufhalten ist von essentieller Bedeutung! ;)
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

 

Tachi Malinchen

Na gottseidank hab ich den Text erst jetzt gelesen und nicht schon, bevor ich meine Geschichte hier reingestellt habe. Wäre hoffnungslos entmutig gewesen ;)

Ums dann gleich vorneweg zu sagen. Ich muss mich dem Lob aller (man höre und staune) Vorredner anschließen.
Ich zähle jetzt nicht alles auf, um der Redundanz keinen Vorschub zu leisten :) Nur so viel:
1)Ich fand es toll, auf wie vielen Ebenen dein Text funktioniert: Zum einen ist er eine Geschichte über einen außergewöhnlich begabten Jungen und zum anderen eine mehrdimensionale Fabel über Träume und ihren Verlust in unserer Welt. Ich will dich da jetzt nicht direkt mit Michael Ende (und seiner "Unendlichen Geschichte") vergleichen, aber es geht schon deutlich in die Richtung :D
2) Ist dein Text wunderbar emotional. oder wie es Morti ausgedrückt hat:

Schon nach den ersten Sätzen hat man ein Gefühl von Sehnsucht und Melancholie, von einer vergebenen Suche, die eigentlich niemals endet.
So wirkt es auf mich sehr zusammengefasst, gerafft, ich weiß aber nicht genau, woran das liegt.

Aber wie es nunmal so ist. Nach der Lektüre der Kommentare der anderen, konnte ich die ganze Sache etwas differenzierter betrachten. Vor allen Dinge vita musste ich zustimmen (obwohl sie, glaub ich, wirklich show mit tell verwechselt hat :D ):

So wirkt es auf mich sehr zusammengefasst, gerafft, ich weiß aber nicht genau, woran das liegt.
Ich glaube, es liegt daran, dass du versuchst mit deinem Text etwas zu leisten, was eine Kurzgeschichte per definition nicht leisten kann: Die Wiedergabe eines ganzen Lebenslaufs. Du stellst deinen Prot im Alter von 8 Jahren vor und lässt dann den Leser sein ganzes Leben bis zu diesem einen Punkt mitverfolgen. Das muss zwangsläufig geraffft daherkommen. Dagegen kannst du in dieser Form nichts weiter tun.
Oder aber du schwenkst um auf strikte Situationswiedergaben mit ehrheblichen Zeitsprüngen dazwischen. Wäre vom Stilistischen her sicherlich eine Herausforderung (würd ich zumindest so sehen), könnte dir aber die Atmosphäre versauen.

Aber ich lese grad, dass Crazy Janey dir schon ein paar gute Tipps diesbezüglich geben hat. In meiner Version hast du sie wohl schon umgesetzt, aber vielleicht ließe sich da noch etwas mehr machen :)
Ohne die Träume rauszustreichen.

Wie du die Erklärung aufteilen kannst sehe ich allerdings auch nicht.

Tja, wirklich hilfreich war mein Kommentar wohl nicht. Andererseits hattest du davon ja schon eine Menge :D

viel Erfolg
Hagen

 

Hallo Hagen!
Die Tatsache, dass mein Text dich entmutigt hätte, wenn du ihn früher gelesen hättest – soll ich mich dafür schämen oder es als Kompliment nehmen? ;)
Also, es freut mich ganz doll, dass die Geschichte dir gefallen hat.

Ich will dich da jetzt nicht direkt mit Michael Ende (und seiner "Unendlichen Geschichte") vergleichen, aber es geht schon deutlich in die Richtung
Ich mag Michael Ende sehr – ich habe beim Schreiben zwar nicht an ihn gedacht, aber es ist trotzdem ein ganz tolles Lob. Danke!
Oder aber du schwenkst um auf strikte Situationswiedergaben mit ehrheblichen Zeitsprüngen dazwischen. Wäre vom Stilistischen her sicherlich eine Herausforderung (würd ich zumindest so sehen), könnte dir aber die Atmosphäre versauen.
Richtig. Deswegen lasse ich davon lieber die Finger – das ist mir zuviel Herausforderung.
Doch, ich fand deinen Kommentar schon hilfreich. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass die Geschichte bei jedem, der liest, so gut ankommt, und ich bin auch ganz hin und weg von dem ganzen Lob, das eingetrudelt ist. Crazy Janey hat allerdings verdammt Recht, wenn sie sagt – und darauf hast du dich ja auch bezogen -, dass „Traumfänger“ bestimmt keine Kurzgeschichte ist. Nur glaube ich, dagegen kann ich nichts mehr machen. Überarbeiten werde ich vielleicht noch mal, wenn konkrete Hinweise kommen, denn ich bin da ein bisschen betriebsblind.
Liebe Grüße,
ciao
Malinche

P.S. Schau dir meinen Namen noch mal genau an, da ist kein n am Ende ;) ...
Hier mehr dazu ...

 

Sorry Malinntsche, werd mich bessern :D Maya-und-Azteken-Ehrenwort

 

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