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Wirren
meine Geschichte bezieht sich auf das Wandbild in L.A.. Ich habe eine Reihe der Aspekte aufgegriffen, die darin dargestellt sind.
Lieben Gruß,
arc
01.04.2002: ich habe den Text überarbeitet und nocheinmal gepostet.
Es ist Beitrag Nr. 26 ( ), der 2. oben auf Seite 2. Ich wäre für neue Kritiken also dankbar! Lieben Gruß,
Frauke
Wirren
Eine Rose liegt auf der staubigen Straße. Ihre Blätter bilden einen scharfen Kontrast zu den Steinen. Dunkelrot zu Grau.
Ich sehe darauf hinunter. Sie liegt vor uns auf dieser Straße. Ich hasse sie. Die Straße. Und das wofür sie steht. Ich werde hassen, wohin sie uns führt. Dann kommen die Stiefel. Und einer von ihnen tritt auf die Blüte. Ein rotes Blatt quillt unter seiner schweren Sohle hervor. Eine Träne aus meinem Augenwinkel. Niemand darf sie sehen. Tränen sind schwach.
Sie haben gestern diesen Jungen... nur wegen der Tränen. Er hat seit Tagen geweint. Und dann haben sie... Jetzt nicht daran denken. Sonst kommen seinetwegen doch die Tränen. Letzte Nacht, als es dunkel war und sie die Verschläge geschlossen hatten, da habe ich geweint. Leise. Und seinetwegen. Ich war nicht die einzige. Aber ich hatte besondere Gründe. Mehr als die anderen. Gemeinsam haben wir gebetet. Für ihn. Und dafür, dass es uns nicht geschieht.
Jetzt nicht daran denken. Einer von ihnen steht direkt vor mir. Dreht mir den Rücken zu. Aber was soll ich schon tun. Von hinten schieben sie uns voran. Gewehrkolben im Rücken, eine Stimme, die antreibt. Mit kurzen Befehlen. In einer anderen Sprache.
Sie haben uns nicht gesagt, wohin es geht. Nicht einmal in ihrer Sprache. Sie treiben uns seit Tagen voran. Immer höher hinauf in die Berge. So hoch, dass es nachts zu kalt ist. Wir konnten nichts von allem mitnehmen. Keine Jacke, keinen Pullover. Nicht einmal Schuhe hatte der Junge. Der, der geweint hat.
Wo auch immer wir waren, sie haben uns zusammengetrieben. Auf dem Marktplatz. Direkt vor der Kirche. Und von da aus in die Berge. Wie Vieh getrieben. Hinter uns habe ich den Rauch gerochen. Aber ich habe mich nicht umgesehen. Vom Hügel aus habe ich dann doch zurückgesehen. Es war wie ein Bann. Da war die Rauchsäule schon ganz dünn. Da, wo einmal unser Dorf war.
Als sie mich über die zertretene Rose voranschieben, spüre ich sie unter meinem Fuß weich nachgeben. Wie Fleisch.
Nachts werden sie uns wieder einsperren. Dicht an dicht. In einen Schuppen, einen Verschlag, einen Stall. Was immer sie finden. Heute ist es ein Stall. Die beiden Kühe führen sie hinaus, binden sie an. Dann schieben sie uns hinein. Es ist eng. Und heiß. Wir können geradeeinmal stehen. Es riecht. Aber ich weiß, im Laufe der Nacht wird es nach anderen Dingen riechen. Dann wünscht man sich diesen Geruch nach Kühen zurück. Es ist nicht die erste Nacht. Ich will an die anderen nicht denken.
Der erste Knall lässt uns zusammenfahren. Eine Kuh schreit auf. Diesen Laut habe ich nicht für möglich gehalten. Zu menschlich. Dann ein weiterer Knall. Der dumpfe Aufschlag eines zweiten schweren Körpers. Die Stiefel grölen. Immer lauter in dieser Nacht. Das Aroma von gebratenem Fleisch zieht nach und nach durch die Ritzen in den Stall. Mischt sich mit den stärker werdenden Gerüchen. Seit drei Tagen haben wir kaum noch gegessen. Eine leere Flasche zerspringt an der Mauer des Stalles. Wir sitzen jetzt eng beieinander. Auf dem schmutzigen Boden und auf dem Futtertrog.
Spät in der Nacht fliegt die Tür auf. Der Mann, der am anderen Ende einer Straße gewohnt hat, die es nicht mehr gibt, in einem Dorf, das einmal war, drückt schnell die Hand auf die Platzwunde. Lass sie nichts sehen, was schwach macht.
Aber die Stiefel in der Tür sehen ihn nicht an. Sie sind zu zweit. Der eine hält einen Revolver so, dass jeder ihn sehen kann. Der andere sagt etwas in der Sprache, die wir nicht verstehen. Niemand von uns rührt sich. Das haben alle gelernt.
Sie machen einen Schritt hinein. Vor mir bleibt der eine stehen. Er greift in meine Haare, zieht mich vom Boden hoch. Von seinem Geruch wird mir schlecht. Alkohol. Schweiß. Seine Uniform.
Als sie mich mit sich hinausschleppen, höre ich meine Mutter aufschluchzen. Ich will etwas sagen. Beiße mir auf die Zunge. Ich höre sie schreien. Dann einen Schuss über meine Schulter.
Am nächsten Morgen treiben sie uns weiter. Aber jetzt ist es mir egal.
<span class="ssilver">[Beitrag editiert von: arc en ciel am 01.04.2002 um 22:50]</span>
[ 22.04.2002, 14:03: Beitrag editiert von: arc en ciel ]