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Zeiten sind das

Challenge Greenhorn
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31.01.2016
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Zeiten sind das

Mit einem Schwung setzt Luise die Teetasse auf den Unterteller, dass es scheppert, und reißt die Augen auf. Das ist doch ... also, was soll sie davon halten? Sie schnappt nach Luft und ähnelt in diesem Moment einem Vogel mit den runden Augen und der spitzen, nach unten gebogenen Nase.
An der rot-verklinkerten Hauswand des Lebensmittelgeschäfts gegenüber stehen in schwarzen Buchstaben zwei Worte. In englischer Sprache. Das erkennt Luise sofort.
NO FUTURE
Luise spricht nicht englisch. Sie hatte einmal für kurze Zeit einen britischen Freund. Damals. Nach dem Krieg. Sie schüttelt den Kopf, ihre hellen Haare wehen über die Augen, um den aufkommenden Gedanken an diese Zeit zu verscheuchen.
Was die beiden Worte betrifft, die mit unregelmäßigen Großbuchstaben am Haus gegenüber prangen, ist sich Luise sicher.
Sie bedeuten KEINE ZUKUNFT

Die Tasse ist Teil des friesischen Teeservices mehr als doppelt so alt wie Luise selbst. Sie wäscht es mit der Hand ab, obwohl sie eine Spülmaschine besitzt und auch nutzt. Das Wasser im Becken ist heiß und deswegen trägt sie Gummihandschuhe. Dabei lächelt sie, weil sie an ihre Großmutter denkt, die auch welche benutzte, wenn sie Geschirr spülte.
Das Service gehörte bereits zur Aussteuer ihrer Großmutter und hat drei Ehen, eine davon recht temperamentvoll - ihre Mutter schleuderte schon mal einen Teller auf den Terrazzoboden der Küche - und sieben Kinder überdauert. Hier und da ist es angeschlagen und ein Teller fehlt nun also, aber im Großen und Ganzen ist es sehr schön, findet Luise und stellt die getrocknete Tasse in die Vitrine.
Die meiste Zeit im Jahr benötigt Luise nur noch ein Gedeck. Ihre Zwillingssöhne mit ihren Familien kommen nicht oft zum Tee. Sie leben beide in Bayern, also am anderen Ende der Republik. Wenn sie es genau bedenkt, kamen sie in den letzten Jahren nur zu Luises Geburtstag.

Meine Güte, denkt sie, die Jahre sind doch im Grunde recht schnell vergangen und dabei betrachtet sie gedankenverloren ihre unberingten Finger, die im Augenblick des Nichtstuns auf dem Küchentisch liegen. Sie ist keine grüblerische Frau. Ganz pragmatisch erzog sie ihre Jungs allein. Nicht, dass ihr keine Männer über den Weg gelaufen sind, die sie hätte bekochen sollen, nachdem der Vater ihrer Söhne nicht aus dem Krieg zurückkam, aber Luise hat wohl die Gelegenheit versäumt. Sie war eben sehr beschäftigt während der zurückliegenden Jahre.
Sie hebt den Kopf und wirft einen Blick auf die Uhr über der Küchentür. Die tickt laut und hat ebenfalls schon einige Jahre im Uhrwerk. Luises Blick schweift erneut hinaus aus dem Fenster, vor dem der Küchentisch steht, seit sie vor rund sechzig Jahren in dieses Haus eingezogen ist.

Gestern stand noch nichts an der verklinkerten Mauerwand. Das wäre ihr aufgefallen. Schließlich kauft sie dort täglich ein und auch gestern trank sie hier am Tisch ihren Mittagstee. Bis vor zehn Jahren hat sie selbst im Geschäft drüben gearbeitet. Nein, gestern ist die Wand noch makellos gewesen.
Luise rührt schnell in der Tasse. Sie trinkt den Tee mit Zitrone ohne Milch und Zucker. Das ist besser für die Gelenke, sagt sie immer. Jetzt sind es zwei Geräusche im Zimmer. Die tickende Uhr und der Klang des Löffels, der beim Rühren rhythmisch und aufgeregt an das Porzellan schlägt. Luise isst auch keinen Keks zum Tee. Nicht an gewöhnlichen Tagen. Vielleicht ist sie deshalb noch so gut in Form. Den Gehwagen, den ihr die Zwillinge vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt haben, nutzt sie nur, wenn sie zum Friedhof geht, um das Grab ihrer Eltern zu besuchen. Und dann auch gleich das ihrer Schulfreundin Else. Seit letztem Jahr ist nur noch Luise übrig und das seidene Halstuch, das sie von Else zum achtzigsten Geburtstag bekommen hat. Luise trägt es, wenn sie sie besucht und das Laub vom Grabstein fegt. Vielleicht freut sich Else.
Es klingelt an der Wohnungstür. Luise zuckt kurz zusammen, steht dann auf und geht mit schnellem Schritt in den Flur, um zu öffnen.

„Wer ist denn da?", ruft sie vorher und räuspert sich.
„Yalcin", hört sie den Jungen, der vor kurzem mit seiner Familie in die erste Etage gezogen ist. Luise bekommt schon lange keinen unangekündigten Besuch mehr und öffnet die Tür zögerlich.
„Hallo", sagt der Kleine mit den dunklen Augen und richtet den Blick schnell auf seine Turnschuhe. Seine Wangen haben die gleiche Farbe wie sein T-Shirt, auf dem weiße Buchstaben gedruckt sind, die für Luise keinen Sinn ergeben.
„Guten Tag ... " Luise hat den Namen nicht richtig verstanden.
„Meine Mutter fragt, ob sie hochkommen und einen Tee mit ihr trinken wollen", sagt der Junge laut. Er ist wohl acht oder neun Jahre alt. So genau erkennt Luise das nicht.
Sie hat schon lange keine Einladung zum Nachmittagstee erhalten. Eine heiße kleine Welle steigt ihr zu Kopf, verweilt dort einen Moment und flutet dann den Rücken hinunter.
„Du musst gar nicht so laut reden. Meine Ohren funktionieren noch ganz gut", erwidert sie recht wirsch. Der Junge errötet erneut.
Das bedauert Luise allerdings unverzüglich und fügt schnell hinzu: „Das ist eine nette Idee von deiner Mutter."
Und als der Junge keine Anstalten macht, zu gehen, setzt sie nach: „Was bedeuten denn die Buchstaben auf deinem Hemd?"
Yalcin blickt an sich hinunter: „Yolo", murmelt er.
„Ist das deine Muttersprache?"
Yalcin lacht: „Nein, das is ne Abkürzung. Englisch."
„Aha. Und was bedeutet das?" Luise lacht nicht.
„You ... only ... live ... once. Also so, du lebst nur einmal", nuschelt er leiser.
„So", meint Luise und zögert einen Moment, bevor sie weiter spricht, „ich ziehe nur andere Schuhe an und komme dann hoch." Dabei macht sie eine scheuchende Handbewegung und bedeutet dem Jungen, er möge vorgehen.

„Wie schön, dass Sie kommen, Frau Peterson", freut sich die junge Frau.
Hübsch sieht sie aus. Etwas exotisch für Luises Geschmack mit ihrem Kopftuch, aber der Stoff ist fein. Das sieht Luise gleich. Ähnliche Tücher sah sie Anfang der vierziger Jahre bei den Frauen, die aus Italien in die Werke nach Kiel kamen, um auszuhelfen. Nette Frauen waren das. Auch so hübsch und fremd mit ihren dunklen Haaren und Augen.
„Wenn Sie lieber Kaffee ...“
„Nein. Ich trinke sehr gerne Tee. Mit meiner Freundin Else habe ich im Winter an sehr kalten Tagen oft Tee getrunken. Mit Rum." Luise lächelt kurz und sieht dabei jünger aus.
Frau Özdemir lächelt auch. „Ich habe leider kein Rum.“
Luise winkt ab und ihre schlanke Hand klappt bei dieser Geste noch recht geschmeidig im Handgelenk umher.
„Das liegt lang zurück. Ich vertrage gar kein' Alkohol. Der macht mich übermütig."
Sie kichert und nimmt auf dem rotbezogenen Stuhl am Esstisch der Familie Platz, stellt die Handtasche neben sich. Es ist eigentlich mehr eine Einkaufstasche und Luise weiß auch gar nicht, warum sie sie mitgenommen hat. Wohl aus Gewohnheit.
„Murat, wir haben einen Gast." Frau Özdemir lächelt Luise verlegen an. „Es ist schwieriges Alter."
Luise nickt. So genau weiß sie aber nicht, wie das gemeint ist.
„Er findet kein' Lehrstelle." Sie scheint vom älteren Sohn der Familie zu reden. Den kleineren kennt Luise ja bereits.
Murat nimmt sich Gebäck vom Tisch, blickt Luise flüchtig an und stolpert über ihre Tasche. Manieren hat er ja nicht, denkt sie noch und zieht eine Augenbraue hoch. Murat wirft einen grimmigen Blick auf Luise und mault etwas, das sie nicht versteht.
„Nicht leicht für junge Menschen in dieser Zeit", entschuldigt sich Frau Özdemir schulterzuckend und reicht ihrem Gast einen Teller mit Selbstgebackenem.
„Ich esse eigentlich keinen Kuchen ... an gewöhnlichen Tagen ... Aber das ist ja kein gewöhnlicher Tag, nicht wahr?"
Sie greift dann doch beherzt zu, schnuppert am Gebäck und beißt ein großes Stück davon ab.
„Nehmen Sie es mir nicht übel, liebe Frau, aber was meinen Sie mit in dieser Zeit?" Luise spricht mit vollem Mund. Frau Özdemir sieht Luise irritiert an.
„Die jungen Menschen suchen Arbeit, müssen zufrieden sein, muss passen. Natürlich gut bezahlt. Am liebsten Büro." Sie sucht nach Worten.
„Natürlich", wiederholt Luise leise. „Der Kuchen ist sehr gut. Besser als vom Laden drüben.
Haben Sie die Schmiererei an der Fassade auch bemerkt?"
Jetzt weiß Frau Özdemir nicht wovon die Rede ist und schüttelt den Kopf.
„Jemand ist wohl unzufrieden, wie Ihr Murat und hat mit schwarzer Farbe No Future an die Hauswand geschrieben oder gesprüht", sagt Luise im gewichtigen Tonfall mit Betonung und beißt erneut in den saftigen Kuchen. Etwas zuckriges Rosenwasser läuft ihr in den Mundwinkel. Das kümmert die alte Dame aber nicht. „Wissen Sie, wie das gemeint sein kann? Die Zukunft ist doch immer da, oder etwa nicht?"
Frau Özdemir rutscht unruhig auf dem Stuhl herum. Das Thema scheint ihr nicht zu behagen. „Naja, will wohl sagen, dass Zukunft ungewiss", versucht sie es.
„Aber ist sie das nicht immer?" Irgendwie findet Luise keinen Zugang zu diesem Gedanken. „Wissen Sie, Frau Özdemir, ich bin eine alte, einfache Frau. Ich habe gearbeitet, um meine Söhne und mich zu versorgen. Wenn ich es genau nehme, habe ich nie darüber nachgedacht, ob die Arbeit zu mir passt, oder ob ich dabei nass oder kalt werde." Sie blickt ihrer Gastgeberin freundlich in die Augen.
Dann nippt sie mit einem kleinen Geräusch am Tee. Der ist etwas bitter.
Frau Özdemir nickt nachdenklich.
„Die Zeiten waren im Grunde nie gut, oder? Sie haben Ihre Heimat verlassen müssen." Luise lächelt sanft und empfindet tiefes Mitgefühl bei diesem Gedanken.
„Mein Mann hat gute Arbeit. Harte Arbeit, reicht für Familie", ereifert sich die Hausfrau und korrigiert den Sitz des Kopftuches.
„Das meine ich ja." Luise greift die Papierserviette, die neben ihrem Teller liegt und wischt sich einmal flink über die schmalen Lippen.
„Ich war jung und es war Krieg", gibt sie zu bedenken. „Auch nicht gut", fügt sie hinzu und zwinkert mit einem Auge.
„Noch Tee?" Frau Özdemir steht auf und greift zur silbernen Teekanne.
„Danke, nein. Aber das müssen wir bald bei mir wiederholen", sagt Luise und legt beim Aufstehen ihre Hand auf die ihrer Nachbarin. „Ich muss jetzt los. Auf Wiedersehen." Luise nimmt ihre Tasche und verlässt mit festem Gang die Wohnung.

Zurück in ihrer Küche, nimmt sie erneut am Tisch Platz und schaut auf das Graffito an der Wand am Haus gegenüber. Dann steht sie auf und geht zum Buffet. Ganz hinten im Schrank steht noch eine Flasche Rum. Else und sie haben sie nicht mehr leeren können. Es waren wohl doch zu wenig gemeinsame Winternachmittage gewesen. Während sie Wasser aufsetzt, bringt sie die Tasche an ihren Platz im Flur zurück. Dabei bemerkt sie eine Dose darin. Luise nimmt sie heraus und betrachtet sie.
'Acrylcolor' steht darauf. 'Schwarz'.
Luise runzelt die Stirn, trägt die Dose in die Küche und stellt sie auf den Tisch.
Wie die wohl in ihre Tasche geraten ist? Nachdem sie heißes Wasser in ein Glas gegossen hat, gibt sie einen kräftigen Schluck Rum hinein. Es ist schon ein besonderer Tag, wenn auch nicht so klirrend kalt und frostig wie an manchen Tagen, an denen Else und sie ihren Nachmittagstee mit Rum tranken.

„Mama! Guck' mal! Frau Peterson! Was macht die denn da?"
Frau Özdemir eilt zu ihrem kleinen Sohn ans Fenster und sieht Luise Peterson am gegenüberliegenden Haus auf ihrem Gehwagen stehen. Luise hat einen Wollmantel an und einen Hut auf dem Kopf. In der rechten Hand, die mit einem rosafarbenen Gummihandschuh bedeckt ist, hält sie eine Spraydose, mit der sie bereits drei Buchstaben unter das Graffito an die Hauswand gesprüht hat: Y O L ...
Mutter und Sohn stehen in der ersten Etage und beobachten mit offenen Mündern die alte Frau.
Auf dem Gehweg neben Luise steht ein brauner, kleiner Koffer. Als Luise ihre Tat vollbracht hat, sehen sie sie vorsichtig von ihrem Gefährt steigen und den Gehwagen in den Vorraum des Lebensmittelladens schieben, das Gepäck greifen und mit geradem Rücken die Straße hinunter gehen. Murat, der sich zu seiner Mutter und dem Bruder hinzugesellt hat, lächelt.

 

Hej, natürlich ist das nicht Thema des Monats - ungeschickt von mir. Was kann ich tun, um das zu ändern, oder kann das für mich geändert werden?

Entschuldigung, Kanji

 

Hallo Kanji,

diese Geschichte erinnert mich an "Mai". Bezogen auf die Ausgangssituation und die Stimmung. Die Einsamkeit einer Frau wird plötzlich gestört und ihr Alltag wieder lebendiger. Ja, die beiden Geschichten könnten durchaus Teil einer "Wohnhaus-Serie" sein :shy:

Und als der Junge keine Anstalten macht, zu gehen, fügt sie hinzu: "Was bedeuten denn die Buchstaben auf deinem Hemd?"
Yalcin blickt an sich hinunter: "Yolo", murmelt er.
"Ist das deine Muttersprache?"
Also, da ist mir ein fetter Lacher rausgerutscht. Super! Ich (es ist ein starkes Wort, aber hier kann ich nicht anders) hasse diese Abkürzung. Wirklich. Immer, wenn das jemand sagt, möchte ich ihm eine schmieren. Und dann fragt Luise: "Ist das deine Muttersprache?". Das ist meine absolute Lieblingsszene im Text!

Die Nachbarin sagt, die jungen Leute haben es nicht leicht. Ich weiß, was sie meint. Dennoch verstehe ich auch Luise. Es sind zwei unterschiedliche Lebensansichten, die du hier darstellst. Die Jugend von heute, die sich verwirklichen, erfolgreich sein, keinen langweiligen Job, aber trotzdem genug Freizeit haben will und vor lauter Möglichkeiten YouTube-Star wird. Auf der anderen Seite die ältere Generation, die gearbeitet hat, um zu überleben und für ihre Lieben zu sorgen, die die Probleme der Jugend schlecht greifen kann, verständlicherweise. Das alles mit all seinen Untertönen spiegelt für mich das Gespräch zwischen den beiden Frauen wider.

Die Pointe am Schluss hat mir auch gefallen, eine sprayende Omi hat eine ordentliche Portion Charme. Sprachlich ist das ruhig und flüssig erzählt. Gerne gelesen!

RinaWu

 

Hej RinaWu,

ich freue mich sehr darüber, zuerst von dir zu lesen. Und dann noch so positiv.
Ich bin aus der Übung und habe mich kurzentschlossen von einem Bild inspirieren lassen. Bis zuletzt war ich verunsichert, den "richtigen" Ton getroffen zu haben. Aber dass es dich an "Mai" erinnert, macht mich glücklich. Zumal ich gerührt bin, dass du dich erinnerst. Danke dafür.

Eine "Wohnhaus-Serie" ist eine interessante Idee. Allen Ernstes. Ich sprudel' zurzeit nicht gerade über vor Inspiration und da kommt mir dein Gedanke gerade recht. Wundervoll. :herz:

Desweiteren macht es mich glücklich, dich zum Lachen gebracht zu haben. Auch die Thematik und das ungewöhnliche Ende hätte auch "rückwärts" gehen können.

You made my day (sorry :Pfeif:)

Ich bin dankbar und erleichtert und wünsche dir noch einen schönen Abend, Kanji

 

Liebe Kanji,

weißt du was?

Ich zähl mal auf, was mir gefallen hat.

Da ist diese einfache, alte Frau, wie sie selbst von sich sagt. Ich sehe sie als klar, mit sich selbst im Reinen, mit schlichten Bedürnissen. Berthold Brecht hat so einer Frau in "Die unwürdige Greisin" ein wunderbares Denkmal gesetzt. Und seine Geschichte gehört zu meinen Lieblingsgeschichten. Deine Luise könnte eine Schwester sein.

Da sind die feinen Beobachtungen des Ambientes, im Schlepptau deiner Prota, eben so, wie sie einem alten Menschen durch den Sinn schießen.

Da sind die die unaufdringlichen Dingsymbole wie unvollständiges, aber kostbares Service, Tee mit Rum, Einkaufstasche, Gehwagen (hat was von Kinderwagen).

Und schließlich der Plot, die Begegnung zweier Generationen, wobei - sehr raffiniert - die türkische Nachbarsfrau in ihren Erwartungen viel deutscher erscheint als Luise, deren Zufriedenheit eher gegen den (deutschen) Zeitgeist steht.

Die Frage, was denn Yolo bedeutet, hätte ich auch stellen können:lol:. Wunderbar, wie sie ihn gleich vereinnahmt und in die Tat umsetzt. Zum Glück muss sie nicht aus dem Fenster steigen.

Jetzt hoffe ich nur, dass maria.meerhaba nicht ihre Maschine anwirft, wo sie doch Oma-Geschichten gar nicht leiden kann.

Und von wegen aus der Übung. Kein bisschen!

Allerherzlichst
wieselmaus

 

Hej, liebe wieselmaus,

danke, dass du die Geschichte gelesen und kommentiert hast. Hier ist ja momentan allerhand los. :eek: Ich komm' gar nicht hinterher mit dem Lesen. :shy:

Du kannst dir sicher vorstellen, wie gut es sich anfühlt, wenn der Protagonist griffig ist und man ihm gerne folgt. Ich danke dir für deine Rückmeldung und den Zuspruch, außer dafür, dass du vielleicht die "schlafende Maria" geweckt hast. :Pfeif:

Dass dir diese Kürzelsprache nicht geläufig ist ... Wayne (egal :lol:)

Dir einen schönen Abend und lieber Gruß, Kanji

 

Liebe Kanji,

bevor man sich deine kleine Geschichte vornimmt, sollte man sich unbedingt eine Tasse Tee aufbrühen, vielleicht – wir sind ja in der Vorweihnachtszeit – noch ein paar Kerzen anzünden und sich öffnen für ihre Botschaft: dass wir nur einmal leben, dass wir den Tag nützen sollten, dass es auch für eine alte, einsame Dame noch eine Zukunft geben kann, wenn sie nicht weiter wartet, sondern stattdessen ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Ganz ruhig und ein wenig betulich (wie es einer alten Dame entspricht) erzählst du von diesem Moment im Leben der achtzigjährigen Luise, die nicht durchs Fenster steigt oder sich auf einen kleinen Rasenmäh-Traktor setzt, sondern ihren Koffer nimmt, den Gehwagen stehen lässt und es ‚mit geradem Rücken’ einfach noch einmal wissen möchte.
Eine kleine, unaufgeregte Geschichte mit einer nicht neuen, aber wichtigen Botschaft. Als solche hat sie mir gefallen.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @Kanij,

das trifft sich gut, dass du auch noch zur Challenge gestoßen bist, da kann ich mich endlich mal revanchieren und ein paar Worte dazu, wenn du so willst, das Wort zum Sonntag sprechen.
Ich hab diese stille, bescheidene Geschichte gerne gelesen. Ich mag die zuversichtliche Botschaft, die ihr innewohnt: Resigniere nicht, nimm dein Leben in die Hand!
Und die nachfolgenden Generationen können von der beherzten, energischen und mitfühlenden Luise eine Lektion in Lebensweisheit lernen. In der Regel will ja die Jugend die Ratschläge der Alten gar nicht hören, da findet Luise wirklich einen originellen Weg, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Gleichzeitig wird ihr bewusst, dass für sie selber das Gleiche gilt und schnürt ihr Ränzlein. Wohin sie wohl verreisen wird?

Noch ein paar Kleinigkeiten: Ausdruck, Formales, Korinthen, allerdings kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Sie schüttelt den Kopf und ihre federleichten, hellen Haare wehen über die Augen bei dem aufkommenden Gedanken an diese Zeit.
Die Haare wehen nicht, weil der Gedanke aufkommt, sondern weil sie den Kopf schüttelt.

Es gehörte schon zur Aussteuer ihrer Großmutter und hat zwei Ehen, eine davon recht temperamentvoll - ihre Mutter schleuderte schon mal einen Teller auf den Terrazzoboden der Küche - und sieben Kinder überdauert.
Etwas ungenau, wenn die Oma das Geschirr schon benutzt hat, könnten es drei Ehen sein, oder meinst du, ihre Mutter war zweimal verheiratet?

Eigentlich kamen sie in den letzten Jahren nur zu Luises Geburtstag, wenn sie es genau bedachte. Nächste Woche wird sie fünfundachtzig Jahre alt.
das Wort eigentlich solltest du vermeiden

Meine Güte, denkt sie, die Jahre sind doch im Grunde recht schnell vergangen und dabei betrachtet sie …
sie sind nicht RECHT schnell und schon gar nicht IM GRUNDE vergangen, sie sind gerast, glaub mir

Sie hebt den Kopf und wirft einen Blick auf die Uhr über der Küchentür. Die tickt laut und hat selbst schon einige Jahre im Uhrwerk.
tolle Ironie

Und dann auch gleich das ihrer Schulfreundin Else. Seit letztem Jahr ist nur noch Luise übrig und das seidene Halstuch, dass sie von Else zum achtzigsten Geburtstag bekommen hat.
nur ein s bei das, wieder so ein Augenzwinkern im Ausdruck, gefällt mir

Wer ist denn da?", ruft sie vorher mit leicht heiserer Stimme.
leicht könnte weg, ohne ist die Aussage intensiver

Das bedauert Luise allerdings unverzüglich und fügt schnell hinzu: "Das ist eine nette Idee von deiner Mutter."
Und als der Junge keine Anstalten macht, zu gehen, fügt sie hinzu: "Was bedeuten denn die Buchstaben auf deinem Hemd?"

Ich habe leider kein' Rum im Haus ..."
Da bin ich mir nicht sicher, ob der Apostroph richtig ist, er ersetzt ja wohl nur einen Buchstaben. Oder? Muss ich nachlesen, jetzt nicht.

Sie kichert und nimmt auf dem rotbezogenen Stuhl am Esstisch der Familie Platz, stellt die Handtasche neben sich. Es ist eigentlich mehr eine Einkaufstasche und Luise weiß auch gar nicht, warum sie sie mitgenommen hat. Wohl aus reiner Gewohnheit.
da charakterisierst du Luise gut, rot bezogen ist gut

Ich esse eigentlich keinen Kuchen ... an gewöhnlichen Tagen ... Aber das ist ja kein gewöhnlicher Tag, nicht wahr?"
die Formulierung an gewöhnlichen Tagen ist auch ausgesprochen gut gewählt

"Nehmen Sie es mir nicht übel, liebe Frau, aber was meinen Sie mit "dieser Zeit?"
Hier wären doppelte Gänsefüßchen angesagt, geht natürlich nicht, ich schlage vor, weil das Problem öfter auftaucht, Gedanken und Slogans generell kursiv zu schreiben, ist viel einfacher.

Jemand ist unzufrieden, wie ihr Murat und hat mit schwarzer Farbe "No Future" an die Hauswand geschrieben", sagt Luise im gewichtigen Tonfall mit deutschem Akzent und beißt erneut in den saftigen Kuchen.
gleiches Thema, Füßchen in den Füßchen

... und verlässt flotten Schrittes die Wohnung.
Den schnellen Schritt hast du noch mal, vielleicht fällt dir ein treffendes Verb ein.

und schaut auf das Graffiti an der Wand
denke, Einzahl Graffito ist besser

Liebe Kanij,

dabei will ich es belassen.
Einen schönen Abend wünscht dir peregrina.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej liebe barnhelm,

wie freue ich mich, dass du in meine kleine Geschichte gefunden und Zeit zum Kommentieren gefunden hast. Ich hoffe, du hast tatsächlich eine schöne besinnliche Atmosphäre für dich schaffen können.

Ich danke dir auf jeden Fall für dein Wohlwollen und wünsche dir weiterhin eine schöne Lese-Adventzeit, Kanji

Hej peregrina

Herzlichen Dank fürs Hereinschauen und die Zeit, die du mir schenkst, um Korrekturen vorzunehmen. Das war nett, denn ich habe flugs alles vertrieben, das du reklamiert hast (deine Geschichte, die ein ganz anderes Tempo hat, habe ich bereits gelesen ;)) .

In der Regel will ja die Jugend die Ratschläge der Alten gar nicht hören, da findet Luise wirklich einen originellen Weg, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Ich höre den "Luises" dieser Welt sehr gerne zu und profitiere oft von ihrer Energie und Zuversicht, ihrer Mentalität, das alles weitergeht, nichts so heiß gegessen wie gekocht wird ... :lol:

Wohin sie wohl verreisen wird?

Ich glaube, sie wartet nicht auf ihre Söhne, sie fährt selbst hin. :sealed: Aber vielleicht macht sie auch was ganz Verrücktes. Sie ist ja gerade so in Fahrt.

Vielen Dank und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hi Kanji,

Die Idee deiner Geschichte hat mir gut gefallen, sympathisch finde ich sie sowieso. Aber die Umsetzung finde ich noch etwas trocken, der Text wirkt auf mich noch zu sehr wie ein Lehrstück.
So das Wichtigste ganz kurz vorweg. Und jetzt der Reihe nach.

Die Begegnung zwischen der alten Frau und Frau Özdemir sieht auf den ersten Blick etwas klischeehaft oder gewollt liebenswürdig aus, gewollt im Sinne von: man denkt, da will jemand idealisierend für die Freundlichkeit der türkischen Frau werben. Ich halte so eine Einladung allerdings nicht für unrealistisch. Und ich finde in dem Gespräch auch mehr als eine Idealisierung, weil sich zwar einerseits viel Verständnis, aber auch diverse zarte Brüche abzeichnen. Es kommt ja nicht alles beim jeweiligen Gegenüber so an, wie es gemeint war. Das macht die Sache interessant, aber - jetzt komme ich schon mit meinen Wünschen - das hätte ich gerne noch etwas konfliktreicher, wenn ich es mir aussuchen dürfte. Nicht so, dass je irgendein Streit oder eine Verstimmung zwischen den beiden Frauen droht, aber doch so, dass vielleicht für beide unbemerkt sich mögliche Reibungen andeuten. Ich habe allerdings keinen konkreten Vorschlag, welcher Art diese Reibungen sein könnten. Und ich meine auch nicht, dass sie sich etwa aus kulturellen Unterschieden hier unbedingt ergeben müssten. Ich würde mir dadurch einfach nur mehr innere Spannung versprechen.
Ein Schritt weg von der Idealisierung führt ja auch bereits Murat mit eiern Lustlosigkeit, allerdings finde ich das alleine noch zu naheliegend. Ich finde Murats Haltung zwar ok, also z.B. nicht zu klischeehaft, aber da stellt sich halt wiederum auch nicht das große Überraschungsmoment ein.

Das erkennt Luise sofort.
Würd ich fast weglassen. Wenn sie es versteht, ist ja klar, dass sie die Sprache erkennt.

Was die beiden Worte betrifft, die mit unregelmäßigen Großbuchstaben am Putz prangen, ist sich Luise sicher.
Auch das wäre einfacher vielleicht schöner. Etwa: „Aber diese beiden Worte versteht sie.“ o.ä. „Ist sich sicher“ klingt für mich etwas zu aktiv - so als müsste sie sich erst versichern, als wäre es ihr nicht gleich klar. Das kann zwar sein, wenngleich es mir schwer vorstellbar erschient. Aber selbst dann fände ich es evtl. besser, wenn du das direkter aussprechen würdest, so in der Art: Sie kennt diese Worte, aber es dauert eine Weile, bis ihr die Bedeutung einfällt.

Hier und da ist es angeschlagen und ein Teller fehlt nun also,
Evtl. fehlt nicht nur ein Teller? Kaum denkbar, dass das Service so lange ohne weitere Verluste überdauert hat…

"Meine Mutter fragt, ob sie hochkommen wollen und einen Tee mit ihr trinken", sagt der Junge laut. Er ist wohl acht oder neun Jahre alt.
Hier fällt mir gerade auf: Wohnen die Özdemirs noch nicht lange im Haus? Sonst dürfte Luise Yalcins Alter sicher wissen.

erwidert sie deswegen recht wirsch.
„wirsch“ - gibt’s das?

Das bedauert Luise allerdings unverzüglich und fügt schnell hinzu
jetzt kommt eine Passage mit vielen kleinen Erklärungen, die man nicht unbedingt braucht, finde ich. „Unverzüglich“ z.B. steckt eigentlich schon im fast im schellen Hinzufügen drin. Vielleicht sogar das Bedauern.

Etwas exotisch für Luises Geschmack mit ihrem Kopftuch, aber der Stoff ist fein. Das sieht Luise gleich. Ähnliche Tücher sah sie Anfang der vierziger Jahre bei den Frauen, die aus Italien in die Werke nach Kiel kamen, um auszuhelfen.
Ob sie wirklich ausgerechnet das Kopftuch exotisch findet? Immerhin kennt sie es von den Italiernerinnen, wahrscheinlich von Türkinnen auf der Straße, und sicher auch von deutschen Frauen, denn als Luise etwas jünger war, haben die oft auch Kopftücher getragen. Lass sie doch etwas in der Wohnung exotisch finden, da ist sie zum ersten Mal.

Wohl aus reiner Gewohnheit.
Immer mal wieder finde ich auch diverse Füllwörter verzichtbar, hier z.B. „reiner“.

Frau Özdemir sieht Luise irritiert an.
Irritiert wegen der Frage, oder weil Luise mit vollem Mund spricht?

"Die jungen Menschen suchen Arbeit, müssen zufrieden sein, muss passen. Natürlich gut bezahlt. Am liebsten Büro." Sie sucht nach Worten.
"Natürlich", wiederholt Luise leise. "Der Kuchen ist sehr gut. Besser als vom Laden drüben. Haben Sie die Schmiererei an der Fassade auch bemerkt?"
Jetzt weiß Frau Özdemir nicht, wovon die Rede ist und schüttelt den Kopf.
"Jemand ist unzufrieden, wie ihr Murat und hat mit schwarzer Farbe "No Future" an die Hauswand geschrieben", sagt Luise im gewichtigen Tonfall mit deutschem Akzent und beißt erneut in den saftigen Kuchen.
Ich greife mal diesen Abschnitt heraus, das ist mehr oder weniger zufällig. Aber jetzt gerade fällt mir was auf. Ich denke mir nämlich schon die ganze Zeit: Das ist doch eigentlich alles wirklich ganz hübsch geschrieben, die Beobachtungen passen, die Sätze sind nicht schlecht formuliert usw. Aber irgendwie… Und jetzt hab ich’s: Irgendwie erinnert mich der Stil an Jugendliteratur. Nämlich dadurch, dass du mit vielen anschaulichen Formulierungen der Vorstellung nachhilfst. Das ist natürlich kein Fehler. Mich würde nur interessieren, ob das Absicht ist?

"Mein Mann hat gute Arbeit. Harte Arbeit, reicht für Familie", ereifert sich die Hausherrin und korrigiert den Sitz des Kopftuches.
„ereifert“ finde ich ein bisschen zu stark.

Wie die wohl in ihre Tasche geraten ist?
DAS frage ich mich allerdings auch :D

Es ist schon ein besonderer Tag, wenn auch nicht sehr kalt.
Das klingt etwas merkwürdig, finde ich: als wären nur kalte Tage besonders. Etwas anders z.B.: „wenn auch nicht wegen der Kälte“ oder so was… in die Richtung. Oder umgekehrt: "Es ist zwar nicht sehr kalt, aber schon/trotzdem ein besonderer Tag"

Murat, der sich zu seiner Mutter und dem Bruder hinzugesellt hat, schmunzelt verhalten.
So, da hat sie sich den liebenswürdigen Rüpel jetzt also zum Freund gemacht. Vielleicht kein ganz großes Überraschungserlebnis am Schluss, muss ja aber auch nicht. In jedem Fall ganz hübsch!

So, das wär’s mal. Ich habe den Kommentar schon vor Tagen angefangen und bin dann kaum dazu gekommen, weiter zu tippen. Ich könnte zwar schon noch mehr in dem Text herumwühlen, aber dann wird das nie fertig. :schiel:
Jedenfalls - das könnte dich noch interessieren - habe ich jetzt weniger den Eindruck, ein Lehrstück vor mir zu haben als ein Stück Jugendliteratur. (Dieser Eindruck gefällt mir persönlich dabei auch besser, aber das ist Geschmackssache.)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej erdbeerschorsch,

vielen Dank, dass du so genau in meinen Text geschaut hast. Das ist ja schon ziemlich sportlich hier zurzeit. :read:
Ich nehme mir deine Kritik sehr zu Herzen und auch deine Verunsicherung und aufkommende Fragen.

Aber irgendwie… Und jetzt hab ich’s: Irgendwie erinnert mich der Stil an Jugendliteratur. Nämlich dadurch, dass du mit vielen anschaulichen Formulierungen der Vorstellung nachhilfst. Das ist natürlich kein Fehler. Mich würde nur interessieren, ob das Absicht ist?

So zäume ich dann einfach mal das Pferd von hinten auf. Achtung, dafür werde ich jetzt erklärend, was ja kein so gutes Zeichen für eine Geschichte und deren Verfasser ist.

Oft habe ich während des Schreibens (Literatur ist ein großer Begriff) einen bestimmten Ton im Kopf, zusammenhängend mit den Charakteren - vielleicht kennst du das ja - und Luise ist eine sehr einfache, ungebildete, liebenswerte alte Frau, wie sie hier oben im Norden viel zu finden ist. Sie ist zurückhaltend, respektvoll und mitunter infantil, sie redet dann manchmal wie ein Kind. :D

Es kommt ja nicht alles beim jeweiligen Gegenüber so an, wie es gemeint war. Das macht die Sache interessant, aber - jetzt komme ich schon mit meinen Wünschen - das hätte ich gerne noch etwas konfliktreicher, wenn ich es mir aussuchen dürfte.

Diesen Wunsch kann ich nachvollziehen, fürchte jedoch, dass es für diese kleine Geschichte und den unprätentiösen Charkater unproportioniert wirken könnte. Ich wollte sie schlicht und ruhig halten.

Ein Schritt weg von der Idealisierung führt ja auch bereits Murat mit eiern Lustlosigkeit, allerdings finde ich das alleine noch zu naheliegend. Ich finde Murats Haltung zwar ok, also z.B. nicht zu klischeehaft, aber da stellt sich halt wiederum auch nicht das große Überraschungsmoment ein.

Ich schätze deine Anspruchshaltung an mich außerordentlich und du motivierst mich damit enorm. Ich werde ganz sicher daran arbeiten, darüber nachdenken und nach Möglichkeiten in mir suchen!

Zitat Zitat von Kanji Beitrag anzeigen
Das

Würd ich fast weglassen. Wenn sie es versteht, ist ja klar, dass sie die Sprache erkennt.

Ich bin jetzt unsicher, ob es dann noch diesen kindlichen Tonfall/Charakter verdeutlichen könnte.

Auch das wäre einfacher vielleicht schöner. Etwa: „Aber diese beiden Worte versteht sie.“ o.ä. „Ist sich sicher“ klingt für mich etwas zu aktiv - so als müsste sie sich erst versichern, als wäre es ihr nicht gleich klar. Das kann zwar sein, wenngleich es mir schwer vorstellbar erschient. Aber selbst dann fände ich es evtl. besser, wenn du das direkter aussprechen würdest, so in der Art: Sie kennt diese Worte, aber es dauert eine Weile, bis ihr die Bedeutung einfällt.

Das Gleiche befürchte ich an dieser Stelle. Obwohl dein Vorschlag auch nicht überzeichnet klingt.

Zitat Zitat von Kanji Beitrag anzeigen
Hier und da ist es angeschlagen und ein Teller fehlt nun also,

Evtl. fehlt nicht nur ein Teller? Kaum denkbar, dass das Service so lange ohne weitere Verluste überdauert hat…


Ich wollte den direkten Bezug zum mütterlichen Zerschlagen von Porzellan anknüpfen. :shy:

Hier fällt mir gerade auf: Wohnen die Özdemirs noch nicht lange im Haus? Sonst dürfte Luise Yalcins Alter sicher wissen.

Yalcin", hört sie den Jungen, der vor kurzem mit seiner Familie in die erste Etage gezogen ist
:)

wirsch“ - gibt’s das?

Ich habe es einfach benutzt und auf deine Frage nachgelesen : es bedeutet ärgerlich, aufgeregt.

Unverzüglich“ z.B. steckt eigentlich schon im fast im schellen Hinzufügen drin. Vielleicht sogar das Bedauern.

Wird bearbeitet.

Ob sie wirklich ausgerechnet das Kopftuch exotisch findet? Immerhin kennt sie es von den Italiernerinnen, wahrscheinlich von Türkinnen auf der Straße, und sicher auch von deutschen Frauen, denn als Luise etwas jünger war, haben die oft auch Kopftücher getragen. Lass sie doch etwas in der Wohnung exotisch finden, da ist sie zum ersten Mal.

Ich sollte wahrscheinlicher deutlicher machen, dass Luise selbst nicht genau weiß, was die Nachbarin exotisch wirken lässt, denn es wird sicher nur an der Art und Weise des Tragens liegen in Kombination der fremden Art, der Zimmereinrichtung.

Immer mal wieder finde ich auch diverse Füllwörter verzichtbar, hier z.B. „reiner“.

Ich kümmere mich darum - manchmal bin ich sehr geschwätzig. :shy:

Irritiert wegen der Frage, oder weil Luise mit vollem Mund spricht?

Können wir das nicht im Raum stehen lassen?

Zitat Zitat von Kanji Beitrag anzeigen
"Mein Mann hat gute Arbeit. Harte Arbeit, reicht für Familie", ereifert sich die Hausherrin und korrigiert den Sitz des Kopftuches.

ereifert“ finde ich ein bisschen zu stark.

Ich habe mir gewünscht, man würde dadurch die Unsicherheit und Unbehagen erkennen, dass einige Menschen demonstrieren, bevor sie richtig sauer werden.

Zitat Zitat von Kanji Beitrag anzeigen
Wie die wohl in ihre Tasche geraten ist?

DAS frage ich mich allerdings auch

Ich denke ja, Murat, der Schlawiner, wollte das Corpus delicti entsorgen und Luise provozieren. :D

Das klingt etwas merkwürdig, finde ich: als wären nur kalte Tage besonders. Etwas anders z.B.: „wenn auch nicht wegen der Kälte“ oder so was… in die Richtung. Oder umgekehrt: "Es ist zwar nicht sehr kalt, aber schon/trotzdem ein besonderer Tag"

Dann sollte ich an dieser Stelle wohl noch ein/zwei Sätze spendieren, um Luises Gedanken an die kalten Winterabende mit Else zu zeigen.

So, da hat sie sich den liebenswürdigen Rüpel jetzt also zum Freund gemacht. Vielleicht kein ganz großes Überraschungserlebnis am Schluss, muss ja aber auch nicht. In jedem Fall ganz hübsch!

Wohl wahr, aber aufgrund der doch ungewöhnlichen Pointe (oder siehst du das nicht so?), wollte ich mich jetzt nicht innerhalb der Story selbst toppen (fällt mir auch eh schwer).

Ich könnte zwar schon noch mehr in dem Text herumwühlen, aber dann wird das nie fertig.

Also mir reicht's :schiel:

Nochmals, herzlichen Dank für deine Zeit und Anregungen, freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

„Warte nicht auf bessere Zeiten ...“
Wolf Biermann​

Irmela Mensa-Schramm, um einiges jünger (15 Jahre, etwa) als Deine Heldin Luise,

liebe Kanji,
hat in den letzten Wochen einige Berühmtheit erlangt, weil sie wegen Sachbeschädigung zu einer ordentlichen Geldstrafe durch ein ordentlich deutsches (i. S. von "preußisch") Gericht verurteilt wurde.

Was war ihre böse Tat?
Was hat sie beschädigt?

Frau Mensa-Schramm hat, anders als unsere Heldin, die Unverschämtheit besessen, eine Hassparole an einer Wand mitten in Berlin zu entfernen ( Irmelas Lebensmotto: „Hass vernichtet!“), dass Juristen nun darüber ernsthaft grübeln, inwieweit die gelöschte Hassparole schon Sachbeschädigung war und ob eine beschädigte Sache überhaupt noch beschädigt werden könne. Aber - es kann, wie beschädigt ja auch grammatische Steigerung zulässt.

Aber es ist nicht nur Hass, der vernichtet – wie etwa Arbeits- und Ausbildungsplätze, wenn sie nicht mehr rentabel genug sind, Bildung und Forschung nur noch nach wirtschaftlichen Maßstäben und zum Wohle der Wirtschaft betrieben wird und die Liste der Diagnoseschlüssel den Patienten plötzlich in den Kunden verwandelt …

Ich glaub gar nicht mal, dass Luise das Revolutionäre an ihrem Verhalten begreifen kann: Die Sprayer tun heimlich, was sie öffentlich macht, und dann noch diese SMS Kürzel als das eigentlich revolutionäre.

Drei Zeichen der digitalen Aküspra (Abkürzungssprache) als Mittel zur Tat zu verwenden, wo doch jeder weiß, dass man zwar nicht unbedingt klüger wird durch das WeltWeitegeWerbe, aber auch nicht geschwinder denn je dümmer werden müsste.

Was sich da im mahnenden Kürzel zeigt, könnte aber auch als Verstärkung der ursprünglichen Botschaft aufgefasst werden, eben keine Zukunft zu haben. Wir Älteren wissen ja, dass unsere Vergangenheit wächst, während die Zukunft schrumpft.

Kleine Flüchtigkeiten, wie hier

Mit einem Schwung setzt Luise die Teetasse auf den Unterteller, dass es scheppert[,] und reißt die Augen auf.

Luise rührt schnell mit dem Löffel in der Tasse.
(das „mit“ ist eigentlich entbehrlich, kann auch von mir zu der Frage führen, ob sie sonst nur mit Hand oder Finger umrühre…)
“Nehmen Sie es mir nicht übel, liebe Frau, aber was meinen Sie mit dieser Zeit?[“,]Luise spricht mit vollem Mund.
"Jemand ist unzufrieden, wie hr Murat und hat mit schwarzer Farbe No Future an die Hauswand geschrieben", sagt Luise ...

Wie immer -
gern gelesen vom

Friedel,
der auch noch einen schönen Restsonntag wünscht!

 

Huhu Kanji!

Hey, schön, dass du es noch zum Tdm geschafft hast und genauso schön, mal wieder von dir zu lesen!

Insgesamt las ich die Geschichte wie einen Lufthansa-Flug, auf und ab!;) Aber mir hat sie gut gefallen - also unter'm Strich jedenfalls. Ich finde, gegen Ende wurde sie besser und den Schluss fand ich echt gut. Aber der Reihe nach.

Zuerst das handwerklich-stilistisch-sprachliche Statement, was ich mir eigentlich mittlerweile bei dir ruhig schenken kann. Gut geschrieben, keine gravierenden Fehler, die mir aufgefallen sind, schöne Formulierungen und schöner Sprachstil. Da macht es wirklich viel Freude, sich voll und ganz auf die Handlung zu konzentrieren.

Der Anfang lässt sich ruhig, beinahe schon träge an. Ok, Luise ist ja auch schon eine gereifte Dame, da muss man ja keine Action-Einlage gleich am Anfang erwarten. Allerdings fand ich die Szene bis zur Einladung der (türkischen?) Nachbarn ein wenig zu langgezogen. Ich will nicht unbedingt sagen, dass du das kürzen solltest, aber ich habe mir Luise als lebenslustige, noch immer rüstige und aufgeweckte trotz des Alters junge (!) Dame vorgestellt. Dies hätte auch den Bogen zum Ende für meinen Geschmack etwas besser gezogen. So war sie mir anfangs ein wenig zu ruhig, beschaulich und melancholisch. Außerdem erwähnst du ja öfters, dass sie für ihr Alter noch recht gut in Form ist, gelenkig, lebenslustig und agil! Ein sehr schönes Gegengewicht zu Chutney's bedrückend-realistischem "Hahn im Korb"-Horrorszenario!!! (Hoffe, du liest das hier mit, Chutney!!!:D).

Das war für meinen Geschmack ein wenig unstimmig. Aber jetzt nichts schlimmes, was ich unbedingt ändern würde!

Dann der Mittelteil. Ausländische Nachbarn laden deutsche Nachbarn zum Begrüßungstee ein und nutzen die Gelegenheit zum nachbarschaftlichen Kennenlernen.
Hm - ich fände es schön, wenn es so etwas tatsächlich geben würde und sich beide Kulturkreise gegenseitig auf so eine nette zwischenmenschliche Geste einließen. Das ließe Grund zur Hoffnung aufkommen, was gerade heutzutage nicht das Schlechteste wäre.
Allerdings halte ich das leider für insgesamt wohl eher unwahrscheinlich. Ich fürchte, gegenseitige Isolation, Ressentiments, Misstrauen und Vorurteile wären näherliegend.

Egal - das ist ein schönes Bild. Behalten wir es ruhig! Aber an dem eigentlichen Tee-Kränzchen habe ich nun dennoch etwas auszusetzen. Dir gelingt die hölzerne, gezwungene Atmosphäre zwischen den beiden Hausfrauen recht gut. Allerdings fand ich das Gespräch ein wenig unrealistisch. Würde man sich nicht erstmal "beschnuppern", bevor man gleich über Sinn und Bedeutung eines Graffitis debatieren würde? Ich stelle mir typische Gespräche doch eher so vor: "Wo kommen Sie denn her? Was hat Sie nach Deutschland verschlagen? Haben Sie schon die Sonderangebote im Supermarkt gesehen?"

Nimm die Szene mit der sabbernden ölverschmierten Luise am Küchentisch wieder raus - die Gute ist doch kein Ork!!!:D

Dann die Sprydosen-Schmuggel-Aktion von Murat. Die fand ich auch merkwürdig. Der Bengel würde die Dose, wenn er sie loswerden will, doch eher in eine Mülltonne fünf Straßen weiter werfen anstatt in Luises Handtasche! Blöde Situation - du brauchst die Dose für die Schlusspointe, schon klar. Und Murat soll der Täter sein. Was hälst du davon. Luise entdeckt beim Handgeben, dass Murat kleine Farbspritzer an der Fingern hat, und später entdeckt sie die Farbdose im Keller? So auf die schnelle auch nicht die genialste Idee, die ich aus'm Hut ziehen kann, aber wie gesagt - das Verschwindenlassen der Dose in ihrer Tasche fand ich nun doch etwas zu abwägig.

Das Ende wiederum war richtig cool -Y.o.l.o und dann der kleine Koffer. Ich stelle mir das so vor, dass Luise jetzt eine kleine Reise unternehmen will. Eben weil man nur "einmal lebt"! Vielleicht die Kinder in Bayern besuchen? Oder - what the hell!? - auf die Seychellen!! Sich einen Traum erfüllen. Sehr schöner Gedanke!

Insgesamt hat mir wie gesagt die Geschichte gefallen - nette Message gut verpackt. Und warum soll auch eine 85-jährige Dame nicht mal ein bisschen "anarcho" sein und die Wände beschmieren?:D

Grüße vom EISENMANN, dem auch diese Sprayer-Geschichte gut gefällt!!

 

Hej, lieber Friedrichard,

ich freue mich, wie gut es sich immer wieder für mich anfühlt, wenn du über meinen Geschichten mit mir sprichst. Also, ich freue mich über dich :shy:

Die deutsche bürokratische Begebenheit der jungen Frau aus Berlin ist so unnötig, wie Hass es per se ist.
Es muss immer wieder Menschen geben, die öffentlich aktiv werden. In welcher Form auch immer.

Aber es ist nicht nur Hass, der vernichtet – wie etwa Arbeits- und Ausbildungsplätze, wenn sie nicht mehr rentabel genug sind, Bildung und Forschung nur noch nach wirtschaftlichen Maßstäben und zum Wohle der Wirtschaft betrieben wird und die Liste der Diagnoseschlüssel den Patienten plötzlich in den Kunden verwandelt …

Und dabei gibt es Geld ohnehin schon soviel wie Dreck. Ich bevorzuge ohnehin Bildung und Forschung (wenn sie auf der Erde bleibt und nicht auf den Mars geschossen wird).

Ich glaub gar nicht mal, dass Luise das Revolutionäre an ihrem Verhalten begreifenkann

Das glaube ich auch nicht. Luise beschäftigt sich nicht mit Gesellschaftspolitik.

Wir Älteren wissen ja, dass unsere Vergangenheit wächst, während die Zukunft schrumpft

Wie dieser Satz so harmlos steht, könnte ich glauben, das mache nichts aus. Und es ist sicher ein anderes Gefühl, als nur zu glauben, man hätte nur noch wenig Zukunft, wenn man auch noch nicht viel Vergangenheit hat. Zukunft ist eben abstrakt. Umso wichtiger ist die Gegenwart. Für alle. Die Alten und die Jungen, denke ich.

Die aufgespürten Fehler korrigiere ich umgehend und danke dir für die Zeit, die du dafür aufgebracht hast (gehen sie doch von deiner verordneten Stunde am PC verloren).

Lieber Gruß, Kanji

Hej Eisenmann

im Rahmen dieses Wettbewerbs bin ich für jede Aufmerksamkeit bezüglich der Geschichte mehrfach dankbar und weiß sie zu schätzen.

Insgesamt las ich die Geschichte wie einen Lufthansa-Flug, auf und ab!

Ist Lufthansa jetzt was Negatives? :hmm:

Ich finde, gegen Ende wurde sie besser und den Schluss fand ich echt gut. Aber der Reihe nach.

Da arbeite ich dann nach Beendigung der Challenge nochmal am Anfang nach. Das geht ja so nicht.

Zuerst das handwerklich-stilistisch-sprachliche Statement, was ich mir eigentlich mittlerweile bei dir ruhig schenken kann.

Nein, gar nicht. Das kannst du bitte schön weiterhin mir schenken.

Ich will nicht unbedingt sagen, dass du das kürzen solltest, aber ich habe mir Luise als lebenslustige, noch immer rüstige und aufgeweckte trotz des Alters junge (!) Dame vorgestellt.

Gut zu wissen, da werde ich nachbessern und das show üben.

Ausländische Nachbarn laden deutsche Nachbarn zum Begrüßungstee ein und nutzen die Gelegenheit zum nachbarschaftlichen Kennenlernen.
Hm - ich fände es schön, wenn es so etwas tatsächlich geben würde und sich beide Kulturkreise gegenseitig auf so eine nette zwischenmenschliche Geste einließen. Das ließe Grund zur Hoffnung aufkommen, was gerade heutzutage nicht das Schlechteste wäre.

Das gibt es. Es ist wenig spektakulär und medienwirksam, so ein Hausfrauentee und wirft auch keine großen Schatten. Aber es gibt sie, vor allem eher dort, wo man aufeinander emotional angewiesen ist.

Allerdings fand ich das Gespräch ein wenig unrealistisch. Würde man sich nicht erstmal "beschnuppern", bevor man gleich über Sinn und Bedeutung eines Graffitis debatieren würde? Ich stelle mir typische Gespräche doch eher so vor: "Wo kommen Sie denn her? Was hat Sie nach Deutschland verschlagen? Haben Sie schon die Sonderangebote im Supermarkt gesehen?"

Das ist beunruhigend. Natürlich auch, weil ich mich sehr angestrengt habe, mich in ein derartiges Teekränzchen einzufummeln und im smalltalk ohnehin eine Niete bin. :shy:
So dachte ich, ich beginne mit einem "Tee oder Kaffee", eröffnen von Schwächen (Rum im Tee), dann grätscht der ungehobelte Murat dazwischen, es folgt die Lobhudelei über die Backkunst der Gastgeberin und schwups ist man beim Gebäude, wo es auch Kuchen zu kaufen gibt und die dortige Wandverschandelung. Tadaa. :Pfeif:

Nimm die Szene mit der sabbernden ölverschmierten Luise am Küchentisch wieder raus - die Gute ist doch kein Ork!!!

Ich liebe Schwächen und Unzulänglichkeiten :lol:

Dann die Sprydosen-Schmuggel-Aktion von Murat. Die fand ich auch merkwürdig. Der Bengel würde die Dose, wenn er sie loswerden will, doch eher in eine Mülltonne fünf Straßen weiter werfen anstatt in Luises Handtasche!

Schon klar. Nur: ich habe angedeutet, wie blöd er Luise findet, weil er merkt, wie blöd sie ihn findet. Jetzt mal ganz einfach. Und deswegen ist das sein Streich Nummer zwo. So im etwa. :shy:

Insgesamt hat mir wie gesagt die Geschichte gefallen - nette Message gut verpackt. Und warum soll auch eine 85-jährige Dame nicht mal ein bisschen "anarcho" sein und die Wände beschmieren?

Eben.

Vielen Dank für deine Anregungen und Fingerzeige. Lieber Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji,
ich empfinde Deine Geschichte leise, verhalten und, bis auf den Schluss, wie aus dem Leben gegriffen. Die unaufgeregte Erzählweise macht mir die Stimmung der Küche deutlich, die in den eingestreuten plastischen Randinformationen lebendig wird. Das alles ist, wie ich finde, passend ineinander verwoben in dem Hin und Her aus Rückschau und Gegenwart. Auch das Gespräch mit der Nachbarin läuft nicht auf einen Konflikt hinaus, schneidet aus Höflichkeit die zeitaktuelle Problematik nur an und das ist auch interessant, finde ich. Dass es nicht eine angestrengte Geschichte ist, die sich abmüht, einen Konflikt zuzuspitzen, unbedingt auf Teufel komm raus originell zu sein, sondern in ganz dünnen Fäden und unkommentierten Aussagen eine Wirklichkeit widerspiegelt, die zwischen zwei unterschiedlichen Frauen sich so abspielen könnte. Frauen, die das Leid getragen haben, Frauen, die in ihrem Herzen das Schicksal der Familie aufnehmen müssen. Und das ist, bezogen auf Deinen treffenden und angenehm bescheidenen Erzählton fast ein zu theatralischer Satz, den ich aber als Hintergrundfolie des Gesprächs empfinde.
Die Dose in der Einkaufstasche hat mich verwirrt. Aus dem Lächeln Murats am Ende kann ich es zusammenreimen. Auch das Ende, selbst wenn es irgendwie unvorbereitet kommt, passt in den Erzählfluss. Dinge passieren einfach, ohne, dass man die Zusammenhänge sehen muss. Aber vielleicht haben sich dann die ganzen Fäden der Geschichte zu einem Strang verwoben, zusammen mit dem Rum und dem Gedenken an Else, der sie am Schluss auf den Gehwagen steigen lässt. Bei diesem akrobatischen Akt hatte ich Angst um Luise, muss ich sagen. Auf einem Gehwagen stehen ist zirkusreif. Aber sie meistert das Kunststück und geht mit dem Köfferchen die Straße hinunter. Ein Schluss, der die Normalität verlässt und einen Ausblick bietet.
Gerne gelesen und herzlich
rieger

 

Hej rieger,

dein Kommentar schmeichelt der Geschichte (und mir) und gibt ihr ein Gewicht, das ich selbst gar nicht bemerke. Herzlichen Dank für diese wirklich schöne Ansicht, in der du alles berücksichtigt, was für mich wichtig ist. Ein wundervolles Nikolausgeschenk.:)

Ich möchte dazu gar nichts weiter schreiben, weil dein Kommentar mich glücklich macht mit jedem einzelnen Satz, den du benutzt.

Ich drücke dir selbst die Daumen, dass deine Challenger-Geschichte angemessen gewürdigt wird.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji,

Eine kleine Geschichte, liebevoll mit vielen Details erzählt, mit einem feinen Humor zwischen den Zeilen. So habe ich deine Geschichte gesehen und verstanden.

Mir hat sie sehr gut gefallen.

Lieben Gruß
Lind

 

Hallo @Kanji,

eine ruhig erzählte Geschichte habe ich eben gelesen, in der mich eine alte Dame ins Staunen versetzt.

Sie gibt ein bisschen Einblick in ihre Familiensituation, erzählt von ihrer inzwischen verstorbenen Freundin, den Kindern und Enkeln, die sie kaum sieht. Das empfinde ich als bedrückend, doch Luise erscheint mir nicht als die einsame Frau, die man hier hätte erwarten können. Am Ende ist sie ganz schön taff.

Auch die Annäherung an die türkische Familie hat mir gefallen. Wie die beiden Frauen feststellen, dass sie doch ein paar Gemeinsamkeiten haben. Auch hier habe ich mich sehr wohlgefühlt, den Damen beim Teetrinken zuzuhören.

Ein paar Gedanken habe ich mir beim Lesen gemacht, die ich Dir hier nennen möchte:

Es gehörte schon zur Aussteuer ihrer Großmutter und hat drei Ehen, eine davon recht temperamentvoll - ihre Mutter schleuderte schon mal einen Teller auf den Terrazzoboden der Küche - und sieben Kinder überdauert.

Ich finde, das Markierte braucht es hier nicht, denn es ergibt sich aus der temperamentvollen Ehe. Da denke ich mir, dass Geschirr zu Bruch ging.

"Meine Mutter fragt, ob sie hochkommen wollen und einen Tee mit ihr trinken", sagt der Junge laut.

"Sie" höfliche Anrede.

Yalcin lacht: "Nein, das ' 'ne Abkürzung. Englisch."

Ist da ein Apostroph zu viel?

Dabei macht sie eine scheuchende Handbewegung und bedeutet dem Jungen, er möge vorgehen.

Hier denke ich auch, dass das Fette weg könnte, da es sich aus der scheuchenden Handbewegung ergibt. Ich finde, das musst Du nicht erklären.

"Die Zeiten waren doch im Grunde nie gut, oder? Für mich nicht und für sie doch auch nicht. Sie haben Ihre Heimat verlassen müssen."

"Sie"


Das Ende kam für mich unerwartet und ich finde es sehr originell.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

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