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Eigentlich egal

Seniors
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19.05.2008
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Eigentlich egal

Wieder einer dieser Tage, an denen ganz Halle stinkt. Sogar Marie riecht heute nicht gut. Weil sie mit der Bahn fährt. Durch diese Stadt. An diesem Tag. Ich will, dass sie sich diese Stadt und diesen Tag abduscht und sie sagt, Das geht nicht. Dann küsst sie mich. Es schmeckt okay.

Wie kann eine Stadt nur so stinken?, frage ich mich und tauche mit meiner Nase in ihr Haar. Vielleicht ist Halle die einzige Stadt, in der man schmutzige Gedanken riechen kann. Und ich mag die Vorstellung, dass sie stinkt, weil sie schmutzig denkt.

Für einen Ich-Erzähler kenne ich mich eigentlich zu wenig, aber wenn ich schreibe, sie küsst David, klingt das so, als küsse sie einen anderen. Und das tut sie nicht. Sie küsst mich. Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf. Auch wenn es Davids Bett ist, in dem wir liegen.

Ich schau ihr in die Augen und frage, ob ich ein Foto von ihr machen darf.
Soll ich die Beine spreizen?
Nein. Ich will nur dein Auge photographieren. Nichts sonst. Auch nicht das ganze Auge. Nur den Punkt, in dem ich dich sehe, wenn ich dich anschaue. Nur den. Und sie sagt, dass man den so wenig photographieren kann wie schmutzige Gedanken. Ich versuche es trotzdem.

Irgendwann wird ihr das Geblitze zu blöd. Vielleicht hat sie auch nur Angst, blind zu werden. Jedenfalls schlüpft sie aus der Decke und geht zum Fenster, nackt und ein bisschen so, als versuche sie meine Blicke abzuschütteln. Kurz bevor sie die Vorhänge aufziehen, das Fenster öffnen und sich hinaus lehnen wird, schaut sie zu mir, weil sie weiß, dass mich allein die Möglichkeit, dass ein Nachbar sie so sehen könnte, eifersüchtig macht. Dann öffnet sie das Fenster und lehnt sich hinaus und ich sehe, wie ihr eine Gänsehaut entgegen fliegt. Als sie sich umdreht, sind da zwei erhärtete Brustwarzen und ein enttäuschter Smiley: Heute stinkt es gar nicht.

Sie verschwindet im Bad und ich höre sie singen, mit ihrer fürchterlichen Stimme. Ich habe ihr einmal gesagt, dass ich ihr dabei gern zusehen würde. Wobei?, wollte sie wissen. Naja, wie du unter der Dusche singst. Und sie meinte, Mach doch! Aber als ich dann so auf dem Teppich vor der Dusche saß, mir verirrte Tropfen ins Gesicht spritzten, ihre kratzige und nasige Stimme von überall her ins Ohr hallte und sie sich meine Fingerabdrücke und Küsse abduschte, fand ich das komisch. Soll sie ohne mich in der Dusche singen. Ich schau mir die Fotos an und sehe sie, aber getroffen habe ich sie nicht.

Nur ihre Lippen, die lächeln und küssen und lieben. Schmolllippen, die keine sind, weil sie nicht schmollt, nie. Auch nicht, wenn ich ihr sage, dass sie stinkt. Sonst riecht sie ja gut, verdammt gut und ich glaube, wenn jemand sagt, zwei Menschen passen gut zusammen, meint er damit, dass einer mag wie der andere riecht und umgekehrt. Und dass die Lippen aufeinander passen. Und die Gefühle.

Warum hast du ein Handtuch um?
Nur so.
Du rennst nie mit Handtuch durch die Wohnung.
Nie, außer heute.
Sag schon: Warum?
Kann ein Duschgel ablaufen?
In den Abfluss?
Nein, du Idiot. Gibt es bei Duschgels ein Mindesthaltbarkeitsdatum oder so?
Bestimmt. Warum?
Naja, ich glaube, meines war abgelaufen.
So selten duschst du doch auch nicht, oder?
Ich meine es ernst! Ich hab jetzt voll die hässlichen Flecken auf der Brust.
Ich lache und ich weiß, dass ich nicht lachen sollte, und ich überlege schon, mit dem Lachen aufzuhören, aber da fängt sie auch an zu lachen und wir lachen beide.
Lass mal sehen! Und sie lacht weiter.
Die willst du gar nicht sehen!
Natürlich will ich die sehen!
Nein, willst du nicht!
Doch!
Nein!
Hey, und wenn du überall hässliche Flecken hättest, würde ich dich sehen wollen. Ja, ich würde dich sogar lieben, wenn du ein hässlicher Fleck wärst.
Das glaube ich dir nicht.
Schmeiß das Handtuch in die Ecke, komm her und ich küss dir die hässlichen Flecken weg!
Und wenn ich sie behalten will?
Küsse ich einen weiten Bogen um sie.

Sie schüttelt den Kopf und setzt sich zu mir aufs Bett, immer noch ins Handtuch gewickelt. Sie schaut an die Wand, als stünde dort was über hässliche Flecken, wie man sie loswird oder so. Sie sieht dabei so unverschämt hübsch aus, so ungeschminkt und unverfälscht. Ihr Haar tropft und an ihrem Ohrläppchen klebt etwas Salbe, weil sie gestern irgendwo mit ihrem Ohrring hängen geblieben ist und sich das entzündet hat. Es ist schwer, ihr nicht zu sagen, wie schön sie ist. Aber ich weiß, dass sie solche Komplimente nicht mag. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, auf einer Geburtstagsfeier von einem Freund und sie noch seine Freundin war, habe ich ihr, als er mit seiner Wodkaflasche da saß, aber schon in einer anderen Welt, gesagt, wie schön sie sei. Und sie meinte nur: Danke, aber was kann ich dafür, wie ich aussehe oder nicht? Wenn jemand wissen will, warum ich mich in Marie verliebt habe, denke ich an diesen Satz.

Wetten, du würdest mich nicht lieben, wenn ich hässlich wäre. Wenn ich drei Brüste hätte. Oder die Nase von deiner Oma. Du könntest mich unmöglich lieben, wenn ich Haare auf der Brust hätte, wenn sich die so kringeln und meine hässlichen Flecken durchschimmern, ein bisschen nur, gerade so, dass man weiß, dass sie da sind. Wie könntest du mir Ich liebe dich sagen, wenn du weißt, dass ich keine Zähne mehr habe und lisple und stottre und spucke dabei.

Ich ziehe sie an ihrem Handtuch zu mir ins Bett und packe sie aus wie ein unschön eingewickeltes Geschenk. Als ich die Flecken auf ihrer Brust sehe, muss ich schlucken. Die sehen aus wie eine Mischung aus Schimmel, Rotz und Hackfleisch, nur härter. Ich schlucke noch einmal und küsse ihre Brust, dann sage ich, den Blick fest in ihrem: Ich liebe dich, egal, wie viele Brüste oder Zähne du hast. Und wie hässlich deine Flecken sind. Ich küsse sie und sage: Außerdem wären drei Brüste auch nicht schlecht.

Das sind Komplimente, die sie mag. Albern irgendwie, aber schön auch. Dann fischt sie das Handtuch unter dem Bett hervor und ich habe keine Ahnung, wie das Handtuch unters Bett gekommen ist oder sie das wissen kann. Sie legt es mir übers Gesicht und taucht unter die Decke und ich spüre ihre Lippen, die keine Schmolllippen sind.

*

Als ich aufwache, frage ich mich, wann ich eingeschlafen war und ob. Und wo Marie ist.

Durch das Fenster weht kalte, dunkle Luft. Ich schlüpfe in meine Jogginghose, schließe das Fenster und stolpre durch die Wohnung. Überall liegt schmutzige Wäsche, sogar auf dem Kühlschrank, den wir gestern leer gekocht haben. Die Erinnerung an das dreigängige Menü zur Feier ihrer bestandenen Abschlussklausur quillt aus der Spüle. Ein Post-It klebt am Wasserhahn: Bin bei Klara. Kannst ja abspülen. Bevor ich darüber nachdenken kann, fangen meine Hände an, die Essensreste von den Tellern zu kratzen. Ich schließe meine Augen, lasse heißes Wasser über meine Handflächen fließen, und Gedanken. An Marie, wie sie diesen frechen Zettel schreibt, mit dem gleichen Kugelschreiber, auf dem sie bei ihrer Prüfung gekaut hat. Ich habe sie gefragt, ob ihre Stifte auch später, wenn sie Rechtsanwältin ist, pink sein werden und sie hat gesagt, Solange sie schwarz schreiben, ist das doch egal, oder?

Ich könnte mir ein Bier aus dem Kühlschrank nehmen, mich vor den Fernseher setzen und Fußball gucken. Ich könnte den Konjunktiv ins Klo schmeißen und runterspülen, aber David hat kein Bier im Kühlschrank stehen, keinen Fernseher im Wohnzimmer und Fußball mag er auch nicht, schon als Kind nicht. Ich lege mich auf die Couch und träume. Im Kalender steht nichts von Stress.

Bleib heute bei Klara.

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelt, stört es mich nicht, dass Marie nicht neben mir liegt. Oft muss sie früher weg als ich und ich wache alleine auf. Was mir fehlt, ist die warme Stelle im Bett, die weiche Erinnerung an sie.

*

David, kann es sein, dass du heute irgendwo anders bist?
Ich bin hier. Das siehst du doch!
Aber ich höre es nicht.

Mirko ist vierzehn Jahre alt, klüger als er alt ist und einer meiner Schüler, denen ich nachmittags Klavierunterricht gebe. Ich unterrichte ihn seit einem Jahr und habe Angst, dass er in ein paar Monaten besser spielt als ich. Du weißt schon, dass du ein Klavier nicht mit an den Strand nehmen kannst, habe ich damals gesagt und ihm angeboten, Gitarrespielen zu lernen. Da hat er gemeint, dass man eine Gitarre zwar an den Strand nehmen, aber keine Gitarre der Welt den Strand ins Zimmer holen kann. Denkst du an deine schöne Freundin? Weil ich nicht gleich antworte, beginnt er ein Stück zu spielen, das ich nie zuvor gehört habe. Er spielt es nicht laut und nicht leise. Er spielt es in Dur, schafft es aber, dass es sich wie Moll anhört; es macht das Ohr ein bisschen traurig, trotzdem klingt es glücklich und irgendwie kommt es mir bekannt vor. Ich möchte ihn unterbrechen und fragen, was er da spielt, aber ich höre es mir bis zum Ende an. Dann sagt Mirko: Das habe ich gefühlt, als ich deine Freundin das erste Mal gesehen habe.

Als ich mich von Mirko verabschiede, will seine Mutter wissen, ob es vorangehe. Ich sage ihr, dass sie ihren Sohnemann mal fragen solle, wie ein Lehrer seinem Schüler etwas beibringen kann, was er selbst nicht beherrscht.

Kommst du gar nicht mehr zurück?
Doch.
Und wann?
Weiß ich noch nicht.

Fragezeichen krabbeln wie Spinnen über die Wand. Ich rufe Klara an. Sie drückt mich weg. Ich schreibe Marie. Sie antwortet nicht mehr. Dann trinke ich. Das verwandelt die Spinnen aber auch nicht in Antworten. Also rufe ich Jonas an. Der war mit mir auf der Musikhochschule und als wir die hinter uns hatten, saß er Samstag Abend immer noch in meiner Wohnung. Jetzt soll er mich zu Klara fahren. Eine halbe Stunde später steige ich in sein Auto, aus dem laute Musik dringt. Ich sage, er soll sie leiser machen. Er stellt sie ab.
Stress mit Marie?
Weiß nicht.
Willst du drüber reden?

Er schaut mich an. Ich schaue ihn an. Keiner sagt etwas und nachdem wir fünf Minuten so durch die Stadt fahren, wünsche ich mir laute Musik. Musikhören ist nicht Schweigen.

Soll ich warten?
Nein.

Ohne Danke schlage ich die Tür zu.

David klingelt. Er wartet und liest die Namen auf dem Klingelbrett. Ein Vibrieren öffnet die Haustür. Er rennt in den zweiten Stock, wo Klara im Türrahmen steht. Heute trägt sie kein Mädchenblumenkleid, sondern Jogginghose und ein Shirt, das einem verrät, dass sie keinen BH anhat. Wie Frau Ernst sieht sie nicht aus, auch wenn sie sich Mühe gibt.
Was willst du?, fragt sie ohne Lippenstift.
Wo ist Marie?
Die will dich nicht sehen.
Aber warum? - Hab ich irgendetwas Falsches gesagt?
Klaras Achseln zucken.
Ist es, weil ich nach dem Sex eingeschlafen bin?

Das tust du doch immer!, höre ich Marie sagen. Ich schiebe Klara beiseite. Sie versucht, mich aufzuhalten. Mehr, weil sie muss, weniger, weil sie will. Ich gehe ins Wohnzimmer. Eine von Klaras komischen Freundinnen sitzt auf der Couch. Auf dem Kopf ein bisschen Haar. Wie Badeschaum, nur schwarz. Im Gesicht Pusteln, die ansteckend aussehen. Eine Art Fell auf ihren Lippen. Dicklich ist sie. Ihr Gesicht aber eingefallen, als wäre das meiste davon nach unten gerutscht oder verloren gegangen. Etwas in ihrem Auge kommt mir vertraut vor. Wo ist Marie?

Das ist Marie, du Arschloch!, sagt Klara, die hinter mir steht und ihrer Freundin dabei zusieht, wie sie sich in der Decke verkriecht und anfängt zu weinen. Und ich stehe auf Klaras Kuschelteppich, der sich wie nasser, weißer Sand anfühlt. Da bin ich. Am Strand. Mit Mirko, der Gitarre spielt.

Du hast gesagt, dass du mich auch lieben würdest, wenn ich ein hässlicher Fleck wäre. Das hast du gesagt.
Das war David.
Was?

Da flüchtet die, die Marie sein soll, ins Bad. Ich setze mich auf den Boden. Hätte mich Klara nicht am Arm gepackt, wäre ich wohl gefallen.
Und das ist wirklich Marie?
Klara nickt.

Ich lehne mich an die Badezimmertür und weiß, dass da mehr zwischen mir und Marie ist als ein Stück Holz. Kommst du da nie wieder raus?

Liebst du mich noch?

Ja. Keine Lüge. Nur eine schwer auszusprechende Wahrheit.

Wirst du mich küssen?

Wenn du dir vorher die Lippen rasierst.

Klaras tötende Blicke im Nacken, Maries holziges Schweigen im Ohr.

Klara?
Ja.
Hast du noch einen Rasierer?
Im zweiten Schub.
Links oder rechts?
Links.

Da ist nichts.
Dann rechts.

Ich stell mir vor, wie sie sich die Hässlichkeit wegrasiert. So etwas darfst du nicht denken, sagen mir Klaras Blicke. Klaras Blicke sollen die Fresse halten! Und Marie soll endlich aus dem Bad kommen! Nicht die hässliche. Meine schöne Marie, der es egal ist, dass sie schön ist.

Ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht. Ich sehe, wie sich die Türklinke senkt. Kannst du die Augen zumachen?, fragt Marie.
Warum?
Mach deine Scheißaugen einfach zu, okay!, sagt Klara und weil ich weder ihren Blicken noch ihrem Mund gehorche, stellt sie sich hinter mich und hält mir die Augen zu. Ich höre, wie Marie aus der Tür schlüpft und auf den Kuschelteppich tritt, wie das leise Rauschen näher kommt. Schüchterne Trippelschritte bis ihre Lippen meine berühren. Ich weiß nicht, ob das ein Kuss ist. Ich weiß nur, dass es Marie ist.

Als Klara die Hände von meinen Augen nimmt, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Klara macht mich nervös. Klaras Wohnung macht mich nervös. Ich will allein sein, mit dieser Frau, die Marie ist, aber nicht aussieht wie Marie.

Soll ich euch fahren?
Nein. Wir nehmen die Bahn.

Klara schaut David und Marie hinterher, wie sie nebeneinander, aber nicht miteinander die Treppen hinab steigen. Die gute Freundin in ihr weint bei diesem Anblick. Die böse freut sich, dass sie jetzt schöner als Marie ist. Beide sagen: Tschüs!

Dieses Tschüs! hallt nach in meinen Ohren. Ich will es auch sagen. Zu Marie. Sie wegdrücken. Dann wegrennen, irgendwohin. Zu einer anderen Marie vielleicht. Wir stehen an der Haltestelle. Ein alter Mann kramt in einem Mülleimer. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck zieht er etwas heraus und steckt es in seine Hosentasche. Er kommt näher, mit einem Betteln auf den Lippen, aber als er Marie sieht, wendet er sich ab und verschwindet hinter einem Häuserblock.

Lass uns gehen, sagt Marie.
Warum? Die Bahn kommt in zwei Minuten.
Ich will aber nicht mit der Bahn fahren.
Warum?
Ich schaue in ihr Gesicht und sehe den Wunsch, sich zu verstecken. Unsichtbar zu sein. Für jeden. Auch für David. Und für mich. Und freilich wäre es leichter, Marie eine Tüte über den Kopf zu stülpen, am besten noch unter einen Regenschirm zu stecken, obwohl es gar nicht regnet, und sich durch die Hintergassen der Stadt nach Hause zu schleichen. Weil die Menschen nicht blind sind für Menschen, die anders aussehen. Im Gegenteil. Nur eine kleine Abweichung von der Norm, egal ob die Lippen zu voll sind, nach besseren Küssen ausschauen, oder jemandem ein Gesicht auf dem Gesicht klebt, das aus einem Alptraum gestolpert ist. Wie auf Maries Gesicht ein Gesicht klebt, das aus einem Alptraum gestolpert ist.

Willst du dich jetzt ewig verstecken? Ist das dein Plan?
Und Marie schaut nach unten, bohrt sich in Gedanken in den Asphalt. Begräbt sich selbst, still und beiläufig.
Schau mich an!
Beiläufig und still.
Marie! Schau mich an!
Und einen kurzen Moment gelingt es der schönen Marie schneller zu sein als der hässlichen und ich gucke in ein vertrautes Gesicht, in meine Marie, während die neue, hässliche Maske noch im Asphalt gräbt.
Schön sind nicht die, die schön aussehen, sondern schön sind. Das sagt niemand. Nicht David. Nicht Marie. Nicht ich. Das ist einfach da. Ein Flüstern vielleicht, das im Mülleimer liegt, weil jemand diesen Gedanken verworfen hat oder nicht gewagt hat, ihn auszusprechen.

Lass uns trotzdem gehen.
Okay, sage ich.

David nickt.
Die Wolken hängen wie traurige Gestalten vom Himmel. Marie sieht nur Kippen und Kaugummis. Und egal, in welchen Mündern die Kaugummis einmal waren oder welchen Geschmack oder welche Farbe sie hatten - irgendwann werden sie alle grau.
Ob die wie Bordstein schmecken?
Wer?
Ach. Egal.

Wir gehen nebeneinander, aber nicht miteinander. Sie lässt ihre linke Hand neben sich baumeln, berührt mich hin und wieder, beinah zufällig. Und ihre knochigen Finger schreien nicht Nimm meine Hand! Sie flüstern: Du kannst sie nehmen. Aber ich will nicht. Es wäre eine Lüge. Auch ohne Worte.

Die Jemands, die uns begegnen, lachen oder erschrecken oder lachen und erschrecken still. Nur ein kleines Mädchen verzieht beim Vorbeigehen ihr Gesicht, deutet auf Marie und sagt zu ihrer Mutter: Böser Storch, böser Storch! Und Marie bleibt stehen. Als stünde sie auf einer unsichtbaren Tretmine, die explodiert, sobald sie sich weiterbewegt. Das Mädchen macht eine Grimasse als wolle sie fauchen. Ich lege Marie meine Hand um die Taille, die nicht mehr straff und fest, sondern weich ist und meinem sanften Druck nachgibt. Zugleich möchte ich nach dem Mädchen greifen und ihren Kopf auf den Kaugummiasphalt drücken.
David? Bist du das?, fragt die Mutter des Mädchens und als ich der Stimme ins Gesicht schau, ist es Mirkos Tante.
Ja. Hallo. Den Namen hat sich David nicht gemerkt.
Entschuldigung, Anouschka hat das bestimmt nicht so gemeint!
Anouschka ist ja ein hässlicher Name.
Wie bitte?
Ach, nichts. Was machen Sie hier?
Ich wollte mit Anouschka (sie spricht den Namen dieses Mal leiser aus) Mirko besuchen. Und was machen Sie hier?
Spazieren.
Ist das ihre Freundin? Die schöne (sie spricht dieses Wort sehr leise aus, verschluckt es fast, zusammen mit einem Lachen) Freundin, von der Mirko so geschwärmt hat?
Die kleine Rotzgöre summt die Melodie von dem Stück, das Mirko letztens gespielt hat.
Exakt! Das ist meine schöne Freundin Marie. Und ich ziehe Marie zu mir. Spüre die Explosion. Wie sie innerlich zersplittert. Und die roten Tränen. Und das, Marie, ist jemand, der mich einen Scheißdreck interessiert. Ich verzichte auf die Reaktion meines Gegenübers, nehme Marie an der Hand, drehe mich um und gehe weiter. Als wir um die Ecke biegen, möchte ich Marie am liebsten meine Hand geben und wegrennen. Weit weg. Irgendwohin, wo es keine Wolken und keine Kaugummis gibt. Nur Mirkos Melodie.

Und was machen wir jetzt?, fragt Marie und rührt in dem Tee, den David ihr gekocht hat. Sie umklammert die Tasse mit beiden Händen. Aber das scheint sie nicht zu wärmen, sondern ihr die Wärme aus den Gliedern zu ziehen. Sie sitzt auf dem Bett und zittert und beißt sich auf die Zähne, weil sie nicht mit ihnen klappern will. Ihre blauen Wangen schreien nicht Kuschle mich! Sie flüstern: Du kannst mich kuscheln. Und ich setze mich zu ihr aufs Bett. Auf jene Stelle, auf der sie saß, als sie von den hässlichen Flecken auf der Brust erzählt hat. Und starre an die Wand. Als stünde dort etwas über plötzliche Hässlichkeit, wie man sie loswird oder so. Ihre Finger tasten nach meinen. Ich will sie wegziehen, aber David greift nach ihnen, umklammert sie und vertreibt die Kälte in ihnen und ich freue mich über das Lächeln in Maries traurigem Gesicht.

Ich rutsche etwas näher zu ihr.
Was hältst du davon, wenn wir morgen zu einem Arzt gehen?
Und der verschreibt mir dann eine Salbe und alles wird gut, oder was?
Vielleicht.
Schwachsinn!
Einen Versuch ist es doch wert. Schlimmstenfalls erwartet uns ein Achselzucken.
Oder die sperren mich weg.
Sag so was nicht.
Die Geschichte glaubt uns eh niemand. Die halten mich bestimmt für verrückt. Eine Irre, die nicht akzeptieren will, wie sie aussieht.
Lass es uns probieren. Wenn sie dich wegsperren, gehe ich mit.

Sie küsst mich. Mit roten Wangen. Danach habe ich ein Haar auf der Zunge.

Ist es okay, wenn ich heute auf der Couch schlafe?

Die Kerze am Frühstückstisch kann die Romantik, die vor kurzem noch in dieser Wohnung schwebte, nicht zurückholen. Immerhin riecht sie danach. Marie setzt sich und bläst sie aus. Blickt dem weißen Rauchfaden sehnsüchtig hinterher und sagt: Schade, dass du gestern nicht bei mir geschlafen hast. Ich will etwas sagen, aber da presst sie ihre Lippen auf meine. Guten Morgen!

Marie kaut noch auf ihrem Schokocroissant. Ich gehe ins Schlafzimmer und hole das Telefon, um einen Arzt anzurufen. Dass die Vorhänge noch zu sind und die Fenster geschlossen, fällt David nicht auf. Der greift nach dem Telefon und gibt eine der Nummern ein, die er gestern vor dem Schlafengehen aus einem Branchenbuch heraus geschrieben hat.

Was, kein Termin vor Juni?

Er gibt seine Nummer durch. Für den Fall, dass ein Termin frei wird. Mit einem Rückruf rechnet er allerdings nicht. Dieses Prozedere wiederholt sich mehrere Male. Nur der Monat verändert sich. Der frühste Termin wäre in vier Wochen. Aber auch den will David nicht haben. Ich schlage Marie vor, in die Notaufnahme zu fahren, aber da will sie nicht hin, weil ihre Schwester dort arbeitet. Ich will protestieren, aber da klingelt das Telefon.

Sie werden Mirko nicht länger unterrichten.
Okay. Ich tausche kurz die Sekretärin in einer Arztpraxis gegen Mirkos Mutter in viel zu langem Kleid. Sagen Sie ihm, dass ...
Das können Sie ihm selbst sagen. Ich schicke ihn noch einmal vorbei. Mit dem Geld für die letzte Stunde.
Ist recht.
Dann lege ich auf. Mit dem Gefühl, dass Mirkos Mutter ein bisschen schneller war.

Und?, fragt Marie.
Das war nur die Mutter eines Schülers.
Musst du heute noch weg?
Nein, ich habe allen abgesagt.
Wegen mir?
Auch.

Ich versuche mir einzureden, dass Marie gar nicht so schlimm aussieht. Dass sie gar nicht so hässlich und abstoßend ist. Aber dann sehe ich ein Bild von ihr, wie sie auf einem Pferd sitzt und in die Kamera grinst, und merke, dass ich mir selbst der größte Lügner bin. Ich setze mich neben Marie auf die Couch, umarme sie und gucke mit ihr zusammen eine Serie, in der es um hübsche Mädchen geht, die über Handtaschen, Lippenstifte und Schwänze reden. Ich stehe nur auf, um auf die Toilette zu gehen oder die DVDs zu wechseln. Die Sonnenstrahlen ziehen sich zurück. Am Ende geht es nur noch um Schwänze.

Als es an der Tür klingelt, wird Marie nervös. Sie will ins Schlafzimmer. Ich sage ihr, dass sie sitzen bleiben soll. Sitzen bleiben kann. Ich öffne Mirko die Tür. Er hat mir einen Geldschein und eine Träne mitgebracht. Ich wische ihm die Träne aus dem Gesicht und stecke ihm den Geldschein ins Hemd. Er lächelt und als Marie niest, lehnt er sich zur Seite, um an mir vorbei schauen zu können. Er sagt Hallo, Marie und lehnt sich wieder zurück und schaut mich an.

Ich werde dich vermissen, David.
Ich dich auch, Mirko.

Dann geht er wieder und mit ihm der einzige Schüler, den ich wirklich gern unterrichtet habe. Bevor er in den Aufzug steigen kann, eile ich ihm nach und frage, ob ich ihn etwas fragen dürfe. Natürlich. Alles. Und ich frage ihn, ob das Stück, das er gespielt hat, anders klingen würde. Jetzt, wo er Marie so gesehen hat. Der Aufzug öffnet sich. Mirko geht hinein und sagt, kurz bevor sich der Aufzug schließt: Nein.

Heute schlafe ich wieder auf der Couch. Aber Marie auch. Ich umarme sie. Oder David Marie. Oder ich eine andere Marie. Dann küsse ich ihr in den Nacken und denke, eigentlich egal.

 

Meine Fresse!
So in der Art war mein Gedanke. Meine Fresse ist das gut geschrieben!

Und damit hi M. Glass

Obwohl ich auch gleich schon wieder tschüss sagen könnte, denn viel Konstruktives kommt jetzt bei diesem Kommentar nicht rum, fürchte ich.
Ich fand deine Geschichte so gut geschrieben, dass ich wirklich richtig mitgelitten habe. Das sage ich nicht nur so, meine das so! Ist mir echt so ein flaues Gefühl durch den Körper gesackt, als sie plötzlich weg - und dann auch noch "entstellt" war. Du hast dieses Glück so leichtfüßig und lebendig eingefangen, da bin ich mit abgehoben und das war ein herber Aufprall, den du dann serviertest.
Also, das hat schon was surreales, so ganz in der Realität scheint mir das nicht zu fußen, ein plus mehr für den Autoren, dass es dennoch so unmittelbar "greift".
Das hat schon diese Ebene drin, die gedeutet werden möchte; ist ja schon eine essenzielle Frage, die du hier aufwirfst, die wohl die meisten Liebespaare in der rosaroten Phase sofort mit "immer" beantworten würden. Wirst du mich noch lieben, wenn ... Das ist ja auch die Frage nach Bedingungslosigkeit und damit, einen Dreh weiter, die Frage nach der Wahrheit. Das finde ich einen schönen Kniff, das so plötzlich in diese Richtung zu falten. Ich war mir bis zum Ende sicher, dass du auch wieder zurückfalten wirst, aber das kam nicht. Also so einige Andeutungen dafür, dass das Enstellungs-Szenario nur vorgestellt ist (das Dösen auf dem Sofa und auch diese Fragen, wann er denn zurückkomme) sind ja durchaus drin. Aber du lässt den Leser in diesem Szenario zurück. Mit dem letzten Satz küsst du zwar de Hoffnung die Stirn, aber eine Lösung bietest du nicht an. Mal abgesehen von diesem Satz verbietest du ja quasi jede Möglichkeit des aktiven Aufbegehrens. Die Ärzte sind nicht verfügbar, das schöne, mit dem alten Leben verknüpfte (der Klavierschüler) bricht weg, er schläft auf der Couch. Okay, das Lied bleibt, was wohl für die Wahrheit steht, die "inneren Werte", was, so abgegriffen es auch klingt, eben die einzigen Werte sind, die wirklich zählen. Sehr viel geklärter scheint dein Prot am Ende zumindest nicht zu sein. David und er, die Aussöhnung verharrt im oder, die Einheit könnte man höchstens dem "egal" entnehmen, aber das ist keine Entscheidung, sondern genau das Gegenteil davon.
Nun ja, in meine Lesart wacht er jetzt auf - und alles ist zurückgefaltet ;)

Sehr gern gelesen
Grüßlichst
Weltenträumer

 
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Hey Nora,

sei beruhigt, ich habe die Kritik zu deiner Geschichte auch geschrieben, ohne deinen Kommentar zu meiner Geschichte vorher gelesen zu haben. Ich hab mich jedenfalls sehr gefreut über deine Kritik. Da hast du das gespannte Warten, dieses Ungewisse, ob die Geschichte was taugt oder jeden Leser vergraust - mit deinem ersten Kommentar vertrieben.

Wenn Märchenprinzen schreiben könnten, dann würden sie wohl solche Stories schreiben!
Wenn Märchenprinzen schreiben könnten, müsste wir lausigen Autoren ja in ihrem Märchen spielen. =) Der Vergleich hat mir sehr geschmeichelt, weil es auch dein Lob zusammenfasst, irgendwie. Ohne Kitsch (Märchenprinz) und ohne übertriebene Coolness (Stories) zu schreiben, ist immer ein großes Anliegen von mir. Dass ich das bei dir geschafft habe, freut mich. Auch fühle ich mich verstanden, wenn du von Kafkas Verwandlung sprichst oder von Die Schöne und das Biest, gar Pechmarie. Diese Anordnung wollte ich in die Moderne holen, in die Realität ziehen, ohne den Nabel ins Märchenhafte abzuschneiden.

So einfach kann man etwas unendlich Kompliziertes formulieren. So einfach und so schön.
Solch ein Lob lese ich wirklich mit einem Lächeln und ich ärgere mich manchmal, dass ich beim Lesen sitze und dann stehe auf und hüpfe, vielleicht nur in Gedanken, aber ich hüpfe. Es freut mich, dass dir mein Schreibstil zusagt, meine Bilder in deinen Kopf gelangen und dort wirken.

Dieses ganz wunderbar einfühlsame, präzis austarierte Spiel mit der eigenen fremden Identität.
Auch ich war mir nicht sicher, ob das Ganze aufgeht. Als meine Mutter den Text gelesen hat, hat sie mich gefragt, wer David sei. Das fand ich lustig. Du hast die Auseinandersetzung mit dem Ich heraus gelesen, eine Auseinandersetzung, die mit den Ungereimtheiten der eignen Person, des eigenen Wollens zu tun haben. Was will ich? Was soll ich wollen? Und manchmal ist es einfacher, die Schuld einem anderen zu geben (Das war David.) oder sich von einem anderen helfen zu lassen (Ich will meine Hand zurückziehen, aber David greift nach ihren Fingern und wärmt sie.) Auch das mit der Couch. Er schläft dann nicht mehr in Davids Bett.
In gewisser Weise habe ich das präzise (um dein Wort zu verwenden) konstruiert und manchmal ist David einfach reingerutscht. (Okay, sage ich. David nickt.)

Du greifst hier eine Ur-Angst auf, die sich ab der Pubertät in uns breit macht und womöglich erst im Alter wieder verschwindet, eine Angst, von der Frauen vermutlich noch immer stärker betroffen sind als Männer: Werden wir um unserer selbst willen geliebt oder bloß, weil wir schön und begehrenswert sind? Wird er/sie mich verlassen, wenn ich alt, hässlich, krank bin, usw.?
Das fasst einen Kerngedanken meiner Geschichte sehr gut auf, benennst es psychologisch mit einer (oder vielleicht der) Ur-Angst. Darum ging es mir.

Der ultimative Liebesbeweis ist also genau der, der hier in Deiner Geschichte so locker und mit kindlich reinem Herzen (vgl. Mirkos Schlusswort!) erzählt wird.
Sogar dieses Nein funktioniert. Ich bin echt überrascht.

Eine Antwort wie „Danke, aber was kann ich dafür, wie ich aussehe oder nicht?“ mag zwar ganz sympathisch wirken und den Frager tatsächlich verliebt machen, aber eigentlich ist sie ja Quatsch. Denn Schönheit ist kein moralisches Verdienst, ebenso wenig wie Klugheit, Sensibilität, Güte usw.
Da muss ich dir ein bisschen widersprechen, aber auch ein bisschen zustimmen. "Schönheit ist kein moralischer Verdienst" schreibst du. Und ich finde - bis auf Sixpack und straffem Po und so - ist die Schönheit überhaupt kein Verdienst, sondern ein Geschenk. Während Herzenswärme, Humor oder ein ausgesprochen detailliertes Wissen über die Märchen des 16. Jahrhunderts schon ein Verdienst ist. Verstehst du, was ich meine? Schönheit ist eine sehr geringfügig beeinflussbare Größe im Leben eines Menschen. Die äußre zumindest. (Clueso singt: Wie kann jemand der so schön ist, nur so hässlich sein?) Und das trifft's.

Die moderne Psychologie und Soziologie hat uns klar gemacht, dass wir sehr wenig dafür können, wie wir sind – zumindest in jungen Jahren. Im Alter mag das etwas anders aussehen.
Dieser Determinismus stimmt schon, aber ich finde, ein Mensch kann sich trotz Sozialisation und genetischen Prädispositionen auch immer entscheiden. Was wäre sonst der Unterschied zu Automaten, wenn der freie Wille nur noch Einbildung ist? Und zum freien Willen gehört auch, ob ich nett bin oder ein Arschloch.

Wird hier der kleinen, dummen Marie womöglich eine Lektion erteilt? Soll sie endlich lernen, sich über ihre Schönheit zu freuen, diese wenigstens retrospektiv als Wert anzuerkennen?
Der schönen Marie, der es egal ist, dass sie schön ist. Auf diese Frage wären eindeutige Antworten schlechte Poesie. Ich will deine Theorie nicht ausschließen, vor allem weil sie die Verwandlung bis zu einem gewissen Grad auch selbst herbei führt. Wetten, du würdest mich nicht mehr lieben, wenn ... Außerdem habe ich zwei Sachen im Text versteckt, die eine Erklärung liefern für Maries "Verwandlung". Da fällt mir auf: was hätte David gemacht, wenn er einen Käfer hätte küssen müssen?

Warum schreibst Du diese Story im Präsens bzw. warum sind so viele Kurzgeschichten hier im Forum im Präsens?
Ob eine Geschichte nun in Präsens oder Imperfekt geschrieben werden will, sagt sie mir. Das klingt jetzt doof, aber wenn ich eine Geschichte in Vergangenheitsform schreibe und ich merke, das gefällt mir nicht, das passt so nicht, wechsle ich eben. Und bei Ich-Erzählern ist es meistens Präsens bei mir. Ein Nachteil der Vergangenheitsform ist, dass der Leser weiß, der Ich-Erzähler hat das alles schon erlebt, der ist schon weit weg, in Sicherheit. Gewiss bietet sich dann die Möglichkeit mit der Chronologie zu spielen oder kluge Sachen einzuwerfen, neu zu deuten, aus der Retroperspektive, aber das nimmt einer Erzählung immer auch ein Stück Unmittelbarkeit. Deswegen.

Liebe Nora, einen schönen ersten Kommentar hast du mir da unter die Geschichte geklebt. Vielen Dank dafür!

Beste Grüße
markus.

Meine Fresse!

Lieber weltenläufer,

Entschuldigung - weltenträumer: da hab ich kurz Angst bekommen. Nach so einem Ausruf kann ja alles kommen, von "Wie kann man sich nur so einen Scheiß zusammenreimen?" bis "Meine Fresse - im Sinne von sprachlos." Zum Glück haben deine restlichen Zeilen mich aus diesen Moment des Schreckens zurückgeholt.

Meine Fresse ist das gut geschrieben!
Stell dir einen Smiley vor, der ein bisschen rot anläuft, ungläubig dreinschaut, dann doch hüpft und im Fall vergisst, die Mundwinkel herabzuziehen. Herzlichen Dank für dieses Lob!

Obwohl ich auch gleich schon wieder tschüss sagen könnte, denn viel Konstruktives kommt jetzt bei diesem Kommentar nicht rum, fürchte ich.
Zum Glück bist du dageblieben. Du schreibst auch vom Surrealen, das ich - manchmal bemüht - in meine Geschichten baue. Einmal hat man mir gesagt, "Ist dir klar, dass du aus deiner Geschichte eine Geistergeschichte machst" und der Einwand war berechtigt. Dass du hier rein gerissen wirst in die Erzählung, nicht weißt, ob du das jetzt für echt halten sollst oder für einen Traum, weil sich alles echt anfühlt, aber auch wie ein Traum, das freut mich.

Du hast dieses Glück so leichtfüßig und lebendig eingefangen, da bin ich mit abgehoben und das war ein herber Aufprall, den du dann serviertest.
=)

eine essenzielle Frage, die du hier aufwirfst, die wohl die meisten Liebespaare in der rosaroten Phase sofort mit "immer" beantworten würden. Wirst du mich noch lieben, wenn ...*
Genau um diese Frage geht's. Dabei antworten die, die sich am wenigstens gesehen haben, in Bezug auf die innere Schönheit, am schnellsten. Ich finde es interessant, dass du in meiner Erzählung nach seiner Antwort suchst und unfündig bleibst, obwohl du einige Sachen erkannt hast. Das "eigentlich egal" am Ende ist keine Entscheidung, sondern das Gegenteil, schreibst du - und da darf ich nichts dazu sagen.

Okay, das Lied bleibt, was wohl für die Wahrheit steht, die "inneren Werte", was, so abgegriffen es auch klingt, eben die einzigen Werte sind, die wirklich zählen.
Sehr schön formuliert.

Nun ja, in meiner Lesart wacht er jetzt auf - und alles ist zurückgefaltet.
Es ist schön, wenn du das so liest. Genug in diese Richtung habe ich ja in die Geschichte gepackt, also ist es nur verständlich, wenn du die Augen öffnest und anfängst zu träumen.

Hab mich sehr über deinen Kommentar gefreut!

Beste Grüße
markus.

 

Hieß es im September noch

„sie will mich,
sie will mich nicht“,​

so heißt es heute
Ich könnte den Konjunktiv ins Klo schmeißen und runterspülen, …
ja wat'ne unfrohe Botschaft für'in konjunktiefgespültes Klo aber auch mich und ming Aap (oder in der Lingua franca me and my monkey),

lieber markus,

vom Bierchen ganz zu schweigen. Nach’m ersten Versuch – bei neun Seiten Manuskript engzeilig unter 12 pt. Times New Roman - hätt’ ich nicht gedacht, dass ich den Text hier vor Ort zu Ende lesen würde (denn die Bildschirme plappern schon mit Aufzeichnungen (!) von Spielen aus weiß Gott welchen Ligen und eine Stunde hier vor Ort ist schnell rum, obwohl mit mir gerade mal drei Manneken hier im Café hocken.

Aber’t hätt geklappt!, auch noch Noras kluger Kommentar (jetz’ isset an’r Zeit, da ma’ vorbeizuschau’n)hinterdrein, dann aber ran ans Werk! Aber im Ernst: 's kehrt sich nun der spätsommerliche Zwozeiler um „will er mich / er will mich nicht/erwill mich doch“, wie der Perspektivwechsel nun der Rollentausch, was der olle Lord Dahrendorf schon im betriebs- und industriesoziologischen Frühwerk miteinander verglich: Theater und Leben. Dass mir albernem Kerl die verspielte Eingangsszene,

Albern irgendwie, aber schön auch
heißt's da mal, zum Sitzfleisch und verhalf wäre schon mal’n Teilerfolg, aber der Rest hat’s dann in sich und mich mehr als halten können. Da wird dann auch klar, dass wir nicht umsonst im germanistischen Sprachraum zwischen Liebe und Verliebtheit (boshaft füg ich sogar die Libido mit an) unterscheiden. Und darum noch’n paar Zeilen zu Liebe und Freundschaft.

Die Goten kannten neben dem liufs für lieben und „gern tun“ das Verb frijon und der frijons war der Kuss, frijond/i (es gilt die gleiche Lautung wie heutigentags bei uns – und man hört, ohne je eine Zeile Wulfila der den Goten mehr war als der olle Luther) den/die Freund/in heraus. Und – vielleicht hastu den Namen bewusst ausgesucht: das hebräische David ist der Geliebte/Liebling.

Bissken Korrektur wäre hier – knapp und wenig genug - anzubringen (bei einem Text dieser Länge ist das schon erstaunlich wenig, zumindest nach’m ersten Durchgang)

… und ein bisschen so[,] als versuche sie meine Blicke abzuschütteln.
Nie[,] außer heute.
Auf jene Stelle, auf der sie saß[,] als sie von den hässlichen Flecken auf der Brust erzählt hat.

Und eine Zusammenführung (dem Texte angemessen)
Die Kerze am Frühstückstisch kann die Romantik, …, nicht zurück holen.
Zurückholen

Jetzt nehm ich den Text mit nach Hause und guck ma’ …

Gruß

Friedel,
ist sicherlich nicht der letzte Besuch ...

 

Lieber Friedelfrijond,

schön, dass du vorbei schaust und wieder vorbei schauen willst. Den Zweizeiler hab ich umgekehrt, schreibst du. Und ich sage: Du deinen auch:

gestern schrieb:
Also steige ich sturer Bock in den Text und komm nicht einmal auf die Hälfte des Textes, als ich aufgegeben hab – vielleicht zu früh.
heute schrieb:
Nach’m ersten Versuch – bei neun Seiten Manuskript engzeilig unter 12 pt. Times New Roman - hätt’ ich nicht gedacht, dass ich den Text hier vor Ort zu Ende lesen würde. (...) Aber’t hätt geklappt!

Es freut mich und ein bisschen tut es mir leid, dass du den Text gelesen hast. 9 Seiten, 12 pt., engzeilig - klingt sehr nach Folter. Du bist der erste, der die Länge anspricht und ich bin ganz verwundert, dass du sie nicht kritisierst; sondern brav gelesen hast. Erst war es die Albernheit, die dich gepackt hat, dann irgendetwas, das du mir vielleicht noch verraten wirst.

Deine Ausschweifung ins Gotische fand ich interessant, überhaupt wie Zwischenmenschliches Zwischenbuchstabliches wird, sich die Wirklichkeit auf und in die Sprache drückt. Dahrendorf kenn ich leider nicht, liegt wohl an den Quoten.

Über deine Korrekturen habe ich mich (geärgert) gefreut. Du hast eben doch noch die Augen eines Neugebornen! Hab isch gleich integriert.

Vielen Dank für deinen Kommentar! Finde immer gut, wie du Geschichten in Zweizeiler packst. Da kann man den Kopf noch so tief vergraben - du triffst ihn.

Beste Grüße
markus.

 

Lieber markus,
du schreibst so, dass ich stinkend neidisch werde. Gefällt mir total gut. Die Bilder, die Vergleiche. Wunderschön.

Deine Idee, die Idee, sich auch noch zu lieben, wenn man aussieht wie ein Schandfleck, zur Geschichte zu machen, ist auch wunderschön.
Ich finde das Ende toll. Alles.
Aber: Trotzdem setz ich einen Gegenpart zu den anderen.

Für einen Ich-Erzähler kenne ich mich eigentlich zu wenig, aber wenn ich schreibe, sie küsst David, klingt das so, als küsse sie einen anderen. Und das tut sie nicht. Sie küsst mich. Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf. Auch wenn es Davids Bett ist, in dem wir liegen.

Als du mit diesem Absätzchen anfingst, hab ich gedacht, ok, jetzt kommt die dritte Geschichte über das Schreiben. Von daher war mir klar, wer David ist, dennoch finde ich, deine Mutter ist eine kluge Dame, dass sie dich gefragt hat, wer David ist.
Ich weiß nicht, was die Ich-Spielerei soll. Ich entdecke einfah nicht den Nutzwert. Was bringt es für die Geschichte? Die Charaktere? Das ist wirklich eine ernst gemeinte Frage, ich kapiere es einfach nicht. Ich bin jedesmal beim Lesen darüber gestolpert und hab es nicht verstanden, was es geschichtentechnisch bringt. Aber vielleicht entgeht mir ja einfach was. Im Moment empfinde ich es wie gesagt als Spielerei, als etwas Technisches. Gut gemacht vielleicht, aber als etwas Technisches.

Mit sehr viel Freude gelesen, weil du so schön schreibst, aber auch mit der ernst gemeinten Frage auf meiner Leserseele nach Davids Schizo-Spielchen
Ganz liebe Grüße Novak

 

Hallo markus, ist die schöne Marie plötzlich krank geworden? Vielleicht sogar Leukämie? Ich glaube David ekelt sich vor ihr. Hätte er sie nicht anders gekannt, hätte er wohl einen großen Bogen um sie gemacht. LG, GD

 

Hallo markus. Ich habe die Geschichte heute Morgen noch einmal lesen müssen.
Dieses Hin und Herr mit dem Ich, sprich mit David soll die Psychologie des Ekels erklären. Eigentlich sorgte das den Ekel erregende Objekt, das ist Marie, für den Lustgewinn. Entweder ist Marie magisch schön gedacht und in Wirklichkeit hässlich. Oder sie war schön und wurde krank und der Ekel war hinterher da. Oder David hat plötzlich seine Perversion wahrgenommen. Auf jeden Fall hat mir die Geschichte unglaublich gut gefallen. LG, GD

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Markus,


Für einen Ich-Erzähler kenne ich mich eigentlich zu wenig, aber wenn ich schreibe, sie küsst David, klingt das so, als küsse sie einen anderen. Und das tut sie nicht. Sie küsst mich. Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf. Auch wenn es Davids Bett ist, in dem wir liegen
.
:thumbsup:

Dieser Absatz gefällt mir in mehrfacher Hinsicht. Einmal durch die inhaltlichen Zuordnungen, die auch sprachlich sehr schön gelöst sind, so dass ich den Erzähler sofort verstehe. Dann auch aufgrund der Satzlängen, die - grob gesehen - wie eine Spiegelung von lang auf kurz auf lang wechseln. Das gibt eine ansprechende Dynamik beim Lesen und im Zentrum: Sie küsst mich. Sehr schön.

[/I]Und sie sagt, dass man den so wenig photographieren kann wie schmutzige Gedanken. Ich versuche es trotzdem.

Irgendwann wird ihr das Geblitze zu blöd.

Für mich ist z.B. dieser Wechsel von einem schlagfertigen Vergleich zu einer umgangssprachlichen Beschreibung ein Punkt, wieso der Text sehr gut bei mir ankommt. Die Protagonistin erhält nur schon durch diese drei Sätze Profil.


Jedenfalls schlüpft sie aus der Decke und geht zum Fenster, nackt und ein bisschen so, als versuche sie meine Blicke abzuschütteln.
Aus der Decke schlüpfen hat mich gebremst. Ich schlüpfe aus dem Schlafsack oder unter der Decke (her)vor.

Dann öffnet sie das Fenster und lehnt sich hinaus und ich sehe, wie ihr eine Gänsehaut entgegen fliegt.

Ich schau mir die Fotos an und sehe sie, aber getroffen habe ich sie nicht.
Sehr schön!

Nur ihr Gesicht, das um ihre Lippen gewachsen zu sein scheint, die lächeln und küssen und lieben.
:confused:
Hier bin ich gestolpert. Der Bezug des letzten Satzdrittels bezieht sich doch auf das Gesicht, da wir es doch mit einem einer eingeschobenen Erklärung zu tun haben, oder? Für mich verständlich wäre:

Nur die Lippen, um die das Gesicht gewachsen zu sein scheint, die lächeln und küssen und lieben.


Kann ein Duschgel ablaufen?
In den Abfluss?
Naja.


Ihr Haar tropft und an ihrem Ohrläppchen klebt etwas Salbe, weil sie gestern irgendwo mit ihrem Ohrring hängen geblieben ist und sich das entzündet hat.
Die fette Ergänzung würde ich streichen, das macht den Satz unelegant.
Vielleicht könntest du statt Salbe Heilsalbe schreiben, dann wird es auch klarer.

Wie könntest du mir Ich liebe dich sagen, wenn du weißt, dass ich keine Zähne mehr habe und lisple und stottre und spucke dabei.
stottere

Ich ziehe sie an ihrem Handtuch zu mir ins Bett und packe sie aus wie ein unschön verpacktes Geschenk.
WW - evtl. unschön eingewickeltes Geschenk, einwickeln klingt auch schon liebloser.


Durch das Fenster weht kalte, dunkle Luft. Ich schlüpfe in meine Jogginghose, schließe das Fenster und stolpre durch die Wohnung.
hm, hier noch mal stolpre statt stolpere - also ist es wohl Absicht von dir. Ich finde die Verkürzung jedenfalls auch zum Lesen stotterig oder stolperig.

Ich schließe meine Augen, lasse heißes Wasser über meine Handflächen fließen, und Gedanken.
Ist diese Nachstellung notwendig? Deine Intention wird mir klar, aber ich finde das keine gute Lösung. Vielleicht denkst du noch mal über eine andere Satzstellung oder sonstige Veränderung nach.

Als ich die erste Szene mit Mirko las, als dieser etwas naseweis und in seinem Verhalten so extrovertiert, jedenfalls so ungewöhnlich dahergekommen ist, dachte ich, dass das nicht in die Geschichte passt, weil es aufgesetzt wirkte. Auch die weitere Szene mit seiner Tante finde ich nicht stimmig.
Da versuchst du, zusätzlich noch den gnadenlosen Blick von außen zu zeigen, dabei gibt es - jedenfalls für mich - schon genügend von denen.

Mal von Mirko abgesehen, den ich unglücklich charakterisiert finde, reizt mich die Geschichte sehr, denn sie gibt einige Interpretationen her. (Der müsste nicht ganz weg, sich aber in der Klavierstunde nicht so extrem verhalten). Ob David nun anfangs einen verklärten Blick auf Marie hatte und irgendwann aufgewacht ist, oder von außen zwischenzeitlich Impulse kamen, die ihn Marie anders haben sehen lassen - oder ob Marie tatsächlich anders geworden ist - vieles ist möglich.

Ein sehr interessantes Sujet hast du damit für mich aufgegriffen.

Das Wechselspiel vom Ich zu David finde ich sehr plausibel. Er ist sich doch selbst seiner grade nicht sicher, hadert und weiß, dass er sich positionieren muss. Dazu braucht es auch einen Blick von außen, zudem schützt dieser auch vor zuviel Intimität.

Gerne gelesen,
viele Grüße
bernadette

 

Hallo Markus,

meine erste KG, die ich von dir lese. Meisterlich geschrieben, finde ich, sehr guter Stil. Ehrlich gesagt, habe ich sie dreimal gelesen, und ich fürchte, immer noch nicht ganz geblickt, worum es geht, aber natürlich heißt das nichts, ich bin da nicht so repräsentativ:D. Ich muss sie auch nicht gänzlich verstehen, um sie zu gerne zu lesen, und ich denke, diesen leicht surrealen Appeal, der war ganz beabsichtigt. Starkes Stück, gerne gelesen, zu den Figuren sage ich noch was, da suche ich gerade nach den richtigen Worten.

Gruss, Jimmy

 

Lieber Markus,

irgendwie hadere ich noch immer mit den Perspektivwechseln, aber vor so viel geballter Frauenpower weiche ich dann doch, vielleicht liegt es an meiner Dussligkeit:

Zitat von Nora zu meinem Kommentar

Davids „Schizospielchen“ (ich mag’s total, wie Du Probleme auf den Punkt bringst…) lese ich als (notwendigen) Spiegel und Gegengewicht zur Spaltung von Marie. Das funktioniert (zum Glück!) nicht so symmetrisch, dass Ich und Marie1 ein Paar und David und Marie2 das andere Paar bilden, aber ich glaube, ohne diese leise, spielerisch listige Selbstentfremdung käme die Begegnung mit der phantastischen Veränderung der Geliebten viel zu naiv-eindimensional daher. Erst als Gespaltener, als Märchenprinz von Ambivalenzien, kann David alias Ich den Wunderlichkeiten seiner Marie adäquat, nämlich liebend begegnen, während der andere Teil von ihm, Ekel & Furcht, erhalten bleibt.

Zitat von Bernadette

Das Wechselspiel vom Ich zu David finde ich sehr plausibel. Er ist sich doch selbst seiner grade nicht sicher, hadert und weiß, dass er sich positionieren muss. Dazu braucht es auch einen Blick von außen, zudem schützt dieser auch vor zuviel Intimität.

Den anderen ist es völlig klar, wie der Perspektivwechsel zu verstehen ist, von daher liegt es wohl an mir, wenn ich da Schwierigkeiten habe, durchzusteigen. Wie gesagt, nimm mein Unverständnis als eine gute Portion Novak-Dussligkeit oder was auch immer.

Ih habe die Geschichte heue noch mal gelesen. Und ich finde sie sprachlich gesehen immer noch/schon wieder überaus schön.
Hätte ich mehr Zeit, ich würde dir einen Haufen Beispiele rauszimmern, welche mich sehr sehr angesprochen haben.
Mensch, so jung bist du noch, und schreibst jetzt schon so schön. Was wird das werden?!? :)
Was ich auch interessant fand, und das muss man bei einer Geschichte erst mal hinkriegen: Sie weckt schon sehr viele unterschiedliche Interpretationen.
Ich zum Beispiel nehme dieses surreale Moment, dass da plötzlich eine verpelzte Frau sitzt, einfach als gegeben hin. Jetzt hat die sich halt mal verwandelt. Irgendjemand schrieb von Kafkas Käfer. So ähnlich seh ich das auch. Ich nehm das einfach als merkwürdiges Märchen und dass da der David Probleme kriegt, wenn er nun auf einmal einen Fleckenpelz (klingt fies gell) zur Freundin hat, das find ich auch so was von klar. Vielleicht ist das ja der Grund, warum ich den Perspektivwechsel unnötig oder technisch finde. Ich bin jedenfalls auf positive Weise von den Kommentaren überrascht und find sie sehr spannend zu lesen.
Bis denn
Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Gefällt mir total gut. Die Bilder, die Vergleiche. Wunderschön.

Deine Idee, die Idee, sich auch noch zu lieben, wenn man aussieht wie ein Schandfleck, zur Geschichte zu machen, ist auch wunderschön.
Ich finde das Ende toll. Alles.*

Liebe Novak,

herzlichen Dank für deine schönen Worte. Es freut mich, dass dir meine Bildersprache und die Erzählung gefallen haben. Dein Kommentar hat mich richtig glücklich gemacht.

Als du mit diesem Absätzchen anfingst, hab ich gedacht, ok, jetzt kommt die dritte Geschichte über das Schreiben.
Dein Gegenpart hat mich auch gefreut, ist es doch die erste Anmerkung gegen meine Geschichte. Und wenn nicht dagegen, dann zumindest nicht dafür. "Ich-Erzähler" - dieses Wort in einem Text zu verwenden, muss - zugegeben - recht technisch erscheinen. Du schreibst, von dieser Stelle an war dir klar, wer David ist und du schreibst es so, als wäre das nicht beabsichtig. Das stimmt so nicht. Ich wollte bereits von Anfang an klar machen, dass es beide gibt: Ihn, den Ich-Erzähler, und David. Eine dritte Geschichte über das Schreiben ist es allerdings nicht, aber das hast du, glaube ich, auch nicht gesagt.

Nun zum Nutzwert von Davids-Schizospielchen:
3 Zitate aus den bisherigen Kommentaren:

M. Glass schrieb:
Du hast die Auseinandersetzung mit dem Ich heraus gelesen, eine Auseinandersetzung, die mit den Ungereimtheiten der eignen Person, des eigenen Wollens zu tun haben. Was will ich? Was soll ich wollen? Und manchmal ist es einfacher, die Schuld einem anderen zu geben (Das war David.) oder sich von einem anderen helfen zu lassen (Ich will meine Hand zurückziehen, aber David greift nach ihren Fingern und wärmt sie.) Auch das mit der Couch. Er schläft dann nicht mehr in Davids Bett.
Nora Frizzante schrieb:
Davids „Schizospielchen“ (…) lese ich als (notwendigen) Spiegel und Gegengewicht zur Spaltung von Marie. Das funktioniert (zum Glück!) nicht so symmetrisch, dass Ich und Marie1 ein Paar und David und Marie2 das andere Paar bilden, aber ich glaube, ohne diese leise, spielerisch listige Selbstentfremdung käme die Begegnung mit der phantastischen Veränderung der Geliebten viel zu naiv-eindimensional daher. Erst als Gespaltener, als Märchenprinz von Ambivalenzien, kann David alias Ich den Wunderlichkeiten seiner Marie adäquat, nämlich liebend begegnen, während der andere Teil von ihm, Ekel & Furcht, erhalten bleibt.
bernadette schrieb:
Das Wechselspiel vom Ich zu David finde ich sehr plausibel. Er ist sich doch selbst seiner grade nicht sicher, hadert und weiß, dass er sich positionieren muss. Dazu braucht es auch einen Blick von außen, zudem schützt dieser auch vor zuviel Intimität.
Wahrscheinlich hast du das eh schon gelesen, aber ich finde Nora und bernadette haben das ganz gut durchschaut, wobei es nicht so einfach ist, dass der Ich-Erzähler liebt und David sich ekelt. Sie widersprechen sich genauso wie sie sich einig sind. "Okay, sage ich. David nickt." Das Hadern, dieses Positionieren, was bernadette anspricht, trifft es eher. Ich habe es einmal ohne David geschrieben und dann fehlen mir Stellen, die mir sehr wichtig sind. Es wäre tatsächlich zu eindimensional, wie Nora sagt. Außerdem lässt es die Erzählung ein bisschen wackeln, den Leser unsicher sein, was das jetzt ist, was das jetzt soll und dieses Gefühl wollte ich zwischen die Zeilen schreiben, weil es dem David ja nicht anders geht. Wenn es bei dir nicht so funktioniert hat, finde ich das schade. Und wenn du mit stolpern, stören meinst, ist das fatal.

Mit sehr viel Freude gelesen, weil du so schön schreibst
Tausend Dank!!!

Liebe Grüße
markus.

***

Liebe Nora,

vielen Dank für deine Überlegungen zu dem Perspektivspielchen. "Märchenprinz von Ambivalenzien" - diese Umschreibung hat mir sehr gut gefallen. Aber nicht jeder Effekt einer Geschichte kann wirken bzw. bei jedem wirken. Was du richtig gelesen hast, ist, dass es da keine Symmetrie gibt. Das habe ich oben schon geschrieben. Der Ich-Erzähler ist schon gespalten, aber das ist keine gerade Linie. Der Teil liebt, der andere ekelt sich. Die Rollenverteilung verschwimmt und sie wechseln sich ab, ziehen an einem Strang, ab und zu widersprechen sie sich komplett.

Nichts gegen Markus’ Mutter, sie ist gewiss eine kluge Frau, sonst hätte sie nicht so einen Sohn, aber vielleicht liegt ihr das Wohl ihres Sohnes mehr am Herzen als das seiner Geschichten …
Bei diesem Satz musste ich sehr schmunzeln. Und an meinen Geschichte liegt ihr nicht viel. Nur daran, dass ich schreibe.

Auch dir noch einmal Danke für deine Auseinandersetzung mit dem Text!

Beste Grüße
markus.

***

Liebe Goldene Dame,

ich finde den Namen ja auch jedes Mal cool, irgendwie. Da stell ich mir immer eine Schachpartie vor und der eine fragt: Willst du weiß oder schwarz. Und der andere antwortet: Ich will gold. Wegen der Goldenen Dame. Aber nun zurück zu deinem Kommentar (eigentlich sind es ja zwei), der mich gefreut hat. Auch die Tatsache, dass du dich noch einmal mit meinem Text beschäftigt hast. Das ist ja nichts Selbstverständliches.

ist die schöne Marie plötzlich krank geworden? Vielleicht sogar Leukämie?
Krank geworden, hässlich geworden oder einfach nur anders wahrgenommen. Diese drei Optionen kann ich dir anbieten. Leukämie ist es nicht. Meintest du wegen den Haaren?

Ich glaube David ekelt sich vor ihr.
Das stimmt wohl, dabei darf man nicht vergessen, dass Ekel selten eine Entscheidung ist. Studien haben bewiesen, dass wir beim Anblick von entstellten oder Menschen, die anders aussehen, keine Nase haben, oder denen der Unterkiefer fehlt, oder die eine ganz böse tumoröse Veränderung, vor allem im Gesicht, haben - sobald wir so etwas sehen, gibt es eine Aktivität in der Amygdala, die Teil des limbischen Systems und zuständig ist für Angst, Ekel, teilweise sogar Aggression. Angst und Ekel - das hat David natürlich auch. Aber das ist nur menschlich.

Hätte er sie nicht anders gekannt, hätte er wohl einen großen Bogen um sie gemacht.
Er hätte einen großen Bogen um sie gemacht oder sie kennen lernen müssen. Kaum jemand würde wohl ohne Weiteres auf einen so stark entstellten Menschen zugehen, das ist nur menschlich. Und auch wenn man höflich ist, passiert das meist nur aus Mitleid. Aber wenn man sich einen Ruck gibt, gegen die biologisch Komponente, die die Nähe verhindert, ankämpft, dann kann man den schönen Menschen in der abstoßenden Hülle auch mögen, gar lieben. Aber dieses Annährungsspiel wird ja hier nicht behandelt, viel mehr geht es um das Wiedererkennen, durch die äußere Hülle hindurch.

Entweder ist Marie magisch schön gedacht und in Wirklichkeit hässlich. Oder sie war schön und wurde krank und der Ekel war hinterher da. Oder David hat plötzlich seine Perversion wahrgenommen.
Das finde ich, sind sehr interessante Gedanken. Es freut mich, dass die Geschichte so unterschiedlich gelesen wird und du und auch die anderen mir das mitteilen. Das ist so, als würde man mit mehreren Köpfen lesen. Dass Marie schon immer so ausgesehen hat, könnte man denken, weil Mirko am Beginn der Geschichte und am Ende gleich sieht. Klara sagt "Das ist Marie, du Arschloch!", usw ...

Auf jeden Fall hat mir die Geschichte unglaublich gut gefallen.
Vielen Dank dafür!

Beste Grüße
markus.

***

Liebe bernadette,

als ich gesehen habe, dass du meine Geschichte kommentiert hast, habe ich mich schon auf deinen Kommentar gefreut. Und als ich ihn gelesen habe, war ich in meiner Vorfreude bestätigt. Lob, das fröhlich macht, und wieder deinen Finger, der auf Sachen zeigt, die ich so nicht gesehen habe.

Für mich ist z.B. dieser Wechsel von einem schlagfertigen Vergleich zu einer umgangssprachlichen Beschreibung ein Punkt, wieso der Text sehr gut bei mir ankommt. Die Protagonistin erhält nur schon durch diese drei Sätze Profil.
Bei dem konkreten Beispiel, das du ansprichst, habe ich - zugegeben - nicht bewusst mit diesem Kontrast gearbeitet. Umso schöner ist es dann, wenn man auch im Nachhinein Dinge erfährt, die das Unterbewusstsein macht. Eine große Absicht bei diesem Text, was die Sprache betrifft, war für mich etwas Widersprüchliches zu schreiben, was sich nicht widerspricht. Und das alleine ist ja auch ein Widerspruch, aber dabei ist eben so etwas herausgekommen.

Aus der Decke schlüpfen*hat mich gebremst. Ich schlüpfe aus dem Schlafsack oder unter der Decke (her)vor.
Ich liebe deine sprachliche Genauigkeit. Aber: Jedenfalls schlüpft sie unter der Decke hervor, würde heißen, dass sie ganz verdeckt ist von der Decke und: Jedenfalls wirft sie die Decke beiseite, klingt so hart. Da muss ich mir noch etwas überlegen.

Nur die Lippen, um die das Gesicht gewachsen zu sein scheint, die lächeln und küssen und lieben.
Nur ihre Lippen, die lächeln und küssen und lieben.
Das werde ich jetzt so schreiben. Allerdings könnte ein pingeliger Leser dann schreien: Ich dachte, er wollte ihre Augen fotografieren!!! Aber ich denke, das geht in Ordnung.

Das Naja wegen dem "Kann ein Duschgel in den Abfluss ablaufen?" ist völlig gerechtfertig. Aber manchmal erwidern wir Typen auf ernst gemeinte Fragen so einen Schwachsinn. Er will sie necken.

Die fette Ergänzung würde ich streichen, das macht den Satz unelegant.
Vielleicht könntest du statt Salbe Heilsalbe schreiben, dann wird es auch klarer.
Hm ... ich verstehe dein Problem, aber das ist ein möglicher Hinweis, warum sich Marie - wenn sie sich verändert - verändert. Das entzündet ist mir deswegen an dieser Stelle schon wichtig. Allerdings ist die Variante mit der Heilsalbe sehr elegant. Muss ich mir überlegen.

WW - evtl. unschön*eingewickeltes*Geschenk, einwickeln klingt auch schon liebloser.
Diesen Vorschlag reiß ich dir aus der Hand. Danke für dieses Geschenk! Eingewickelt passt auch besser zu der Bettdecke.

Ich finde die Verkürzung jedenfalls auch zum Lesen stotterig oder stolperig.
Stottre und stolpre - ob das Geschmacksache ist. Vielleicht liegt das auch an den vielen Gedichten, die ich lese.

Danke für die Detailkritik, die hilft mir immer sehr, weil ich auch zu den Satzschraubern gehöre und wenn ich mich da verschraube, möchte ich das schon wissen.

Mal von Mirko abgesehen, den ich unglücklich charakterisiert finde
Schade, dass du die Geschichte mit Mirko als nicht in die Geschichte passend empfindest. Liegt es nur an der Charakterisierung? Es stimmt schon, dass der so etwas Symbolhaftes von mir in die Hand gedrückt bekommen hat und auch ein bisschen zu intelligent ist. Aber er ist auch irgendwo eine magische Figur, der die innere Schönheit von Menschen auf den ersten Blick erkennt, vielleicht. Überspitzt ausgedrückt.

Der müsste nicht ganz weg, sich aber in der Klavierstunde nicht so extrem verhalten.
Also bisschen mehr Kind, weniger Genie.

*Ob David nun anfangs einen verklärten Blick auf Marie hatte und irgendwann aufgewacht ist, oder von außen zwischenzeitlich Impulse kamen, die ihn Marie anders haben sehen lassen - oder ob Marie tatsächlich anders geworden ist - vieles ist möglich.
Das freut mich, wie schon bei der Goldenen Dame. Und dass eure Gedanken gar nicht so unähnlich sind.

Ein sehr interessantes Sujet hast du damit für mich aufgegriffen.
Das ist ein großes Kompliment! Danke! Und ganz ehrlich, jetzt kann ich es ja Mal sagen: meine größte Befürchtung war, dass ihr meinen Text stinklangweilig findet.

Deine Überlegungen zum Ich-Erzähler habe ich einfach mal mit hergenommen, um Novaks Leserseele das David-Schizospielchen näher zu bringen. Das hast du genauso gelesen, wie ich es geschrieben habe.

Danke für deine Lupe, für deine Menschen bzw. Figurenkenntnis, die Mirko entlarvt hat und deine lobenden Worte. Alles hat mich gefreut!

Liebe Grüße
markus.


Herzlichen Dank euch allen!!!

PS: Jetzt sehe ich gerade, dass du nachgefeuert hast, liebe Novak. Und jimmy. =) Fortsetzung folgt.

 

Liebe Novak,

du musst weder zurückweichen noch hadern. (Novak-Dussligkeit ist gut!) Jeder liest eine Geschichte anders und wenn dir das Perspektivspielchen nicht so zusagt, ist das nicht schlimm.

Ich habe die Geschichte heue noch mal gelesen. Und ich finde sie sprachlich gesehen immer noch/schon wieder überaus schön.*
Dieses "immer noch" und "schon wieder" ... DANKE!

Mensch, so jung bist du noch, und schreibst jetzt schon so schön. Was wird das werden?!?
Wow, wenn ich so etwas lese, werde ich ganz verlegen. Mal sehen, was wird. =)

Sie weckt schon sehr viele unterschiedliche Interpretationen.
Auch ich finde das sehr interessant. Ich hab sie bewusst nicht eindeutig geschrieben. Aber jeder findet eine andere Möglichkeit, sie zu lesen. Deine Sicht der Geschichte ist deine Sicht der Geschichte und so wie du sie siehst, habe ich sie auch geschrieben. Aber eben nicht nur. Dass dich die anderen Kommentare die Erzählung anders lesen lassen, freut mich sehr. Überhaupt, dass du dir das noch einmal durchgelesen hast.

Interessieren würde mich nur, ob dich der Perspektivwechsel gestört hat. Du hast geschrieben, dass du ihn fragwürdig findest. Aber auch störend?

Liebe Grüße
markus.

***

Hey jimmy,

vielen Dank für deinen knackigen Kommentar, hat sehr gut getan, ihn zu lesen. ;)

Meisterlich geschrieben, finde ich, sehr guter Stil.
Deswegen, zum Beispiel.

Starkes Stück, gerne gelesen ...
Und deswegen.

Aber auch, dass du es dir dreimal reingezogen hast. Und worum es in einer Geschichte geht, entscheidet auch immer der Leser mit. Dass du dich nicht so auskennst, bei meiner Erzählung, ist keine Schande. Das Surreale an ihr hast du ja benannt und das zeigt auch, dass es ein Märchen ist, das Wirklichkeit sein will, aber nicht sein darf, nicht sein kann.

Vielen Dank für deinen Kommentar! Und Sorry für den blöden Krawattenwitz, den ich jetzt schon zweimal gebracht habe.

Beste Grüße
markus.

 

Krank geworden, hässlich geworden oder einfach nur anders wahrgenommen. Diese drei Optionen kann ich dir anbieten. Leukämie ist es nicht. Meintest du wegen den Haaren?
Nein wegen des Hautausschlages, der haarigen Lippen (da habe ich mir feine Pilzfäden vorgestellt) der Stadt Halle, der stinkigen Luft ( giftige Emissionen durch Braunkohle) dem Gestank, der an Marie hängt.
Ich habe ja zunächst geglaubt, das Marie wirklich schön war. Erstt beim zweiten Lesen, kam mir der Gedanke, dass Marie nur magisch schön gedacht ist. LG, GD

 
Zuletzt bearbeitet:

Also bisschen mehr Kind, weniger Genie.

Genau.

Die Vorstellung, dass ein Kind dem Lehrer was vorspielt und ihm sagt, so sei seine Freundin, finde ich schon etwas an den Haaren herbeigezogen um der Handlung willen.
Ich fände es stimmiger, wenn z.B. David Mirko was zum Kennenlernen vorspielt, da fällt mir spontan von Robert Schumann "Von fremden Menschen (sic!) und Ländern" ein.
Das ist im Grundton fröhlich (G-Dur), hat aber eine fragende Note im Mittelteil und ist von der Literatur her von Kindern spielbar.

Nach dem Vorspiel könnte Mirko dann sagen, dass diese Melodie wie seine Freundin sei bzw. an seine Freundin erinnere. So in der Art fände ich es viel passender, dann könnte man den Rest meiner Ansicht nach auch laufen lassen.

spätes edit:
Mir kommt grade noch ein Gedanke:
Was wäre, wenn die Geschichte in Seltsam stünde?

 

Liebe Goldene Dame,

wegen der Stadt Halle
Tatsächlich ist mir die Idee zu der Geschichte gekommen, als ich durch Halle ging und es einfach überall stank. Krank macht die Stadt aber nicht mehr, denke ich, hoffe ich.

Beste Grüße
markus.

***

Liebe bernadette,

Nach dem Vorspiel könnte Mirko dann sagen, dass diese Melodie wie seine Freundin sei bzw. an seine Freundin erinnere. So in der Art fände ich es viel passender, dann könnte man den Rest meiner Ansicht nach auch laufen lassen.
Dein Vorschlag klingt sehr gut. Ich werde versuchen, dass so einzubauen, ohne das Kartenhaus einstürzen zu lassen. Vielen Dank für die Anregung!

Was wäre, wenn die Geschichte in Seltsam stünde?
Da könnte man sie gewiss auch hinpacken, aber in meinen Augen ist es eine Liebesgeschichte. Eine seltsame Liebesgeschichte. Aber wenn sie hier nicht bleiben darf, wegen dem Surrealen und so, kann ich das verstehen.

Beste Grüße
markus.

 

Aber wenn sie hier nicht bleiben darf, wegen dem Surrealen und so, kann ich das verstehen.

So war das nicht gemeint. Ich wollte einfach mal den Gedanken anregen, wie man sie wohl lesen würde, stünde sie in Seltsam. Würde man mehr über ihr Aussehen fantasieren, spekulieren - wäre der Fokus ein anderer, käme man vielleicht sogar zu einem anderen individuellen Ergebnis?

Aber natürlich ist sie in R/E gut aufgehoben.

 

Hallo Markus

Aussergewöhnlich, diese Geschichte, die du da wieder vorgelegt hast. Es ist die Art, wie der Ich-Erzähler es ausbreitet, die Gedanken, welche ein anderer vielleicht nie aussprechen würde, nur still in sich aufkommen lassend, denkend, niemand würde ihn verstehen.

Die ersten Worte, die Bahnfahrt, leiteten mich erst in die Irre. Ich denke, ein üblicher Beginn, da kippt es schnell zu einer ungewöhnlichen Wahrnehmung um, es stinkt, und der Protagonist leitet daraus eine Assoziation ab, die mich als Leser verblüffte.

Ich glaubte schon an eine Abschweifung, einen Bruch, als der Ich-Erzähler sich erklärt, warum er in dieser Form schreibt. Es ist eine egomanische Raffinesse, das Objekt seiner Begierde nicht teilen zu müssen, den Leser nur als Zuschauer zulassend, dasselbe gilt aber auch für den abgespaltenen David.

Nur hier zögerte ich, versuchte seine Empfindung und Interpretation nachzuvollziehen:

Aber als ich dann so auf dem Teppich vor der Dusche saß, mir verirrte Tropfen ins Gesicht spritzten, ihre kratzige und nasige Stimme von überall her ins Ohr hallte und sie sich meine Fingerabdrücke und Küsse abduschte, fand ich das komisch.

Ich denke es ist kein Verschreiben, keine Ausflucht, der Erzähler wollte den Klang so benennen. Es gelingt mir nicht, dieses kratzig und nasal zugleich ertönen zu lassen. Bei nasig ergibt es mir merkwürdigerweise ein Bild.

Als ich die Flecken auf ihrer Brust sehe, muss ich schlucken. Die sehen aus wie eine Mischung aus Schimmel, Rotz und Hackfleisch, nur härter.

Bei solchen Sätzen musste ich auch schlucken. Normalerweise würden sie jede erotische oder romantische Stimmung zerstören, ein Bild des Widerwillens erzeugen, nach Lichtlöschen verlangen. Doch hier geht es mit Akzeptanz durch, wie ein Synonym zur gezeigten Abwehr von Marie, sich als schön bezeichnen zu lassen, was ihr Natürlichkeit schenkte.

Du hast gesagt, dass du mich auch lieben würdest, wenn ich ein hässlicher Fleck wäre. Das hast du gesagt.

Diese Wandlung in ein hässliches Aschenputtel, ein hartes Stück, da ich mir aufgrund der Beschreibung unweigerlich ein Bild machte. Pure Abstraktion, die die Erzählung nun völlig auf eine surreale und/oder psychologische Ebene hebelt. Als Leser birgt es mir eine starke Herausforderung.

Und ich frage ihn, ob das Stück, das er gespielt hat, anders klingen würde. Jetzt, wo er Marie so gesehen hat. Der Aufzug öffnet sich. Mirko geht hinein und sagt, kurz bevor sich der Aufzug schließt: Nein.

Schöne, sinnige Frage und Antwort, die sich dann mit den Schlusssätzen verbindet.

Aussergewöhnlich meinte ich zu Beginn, und so war sie auch durchgehend. Eine Geschichte mit Tiefgang, über die ich wohl noch länger nachdenke.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Liebe bernadette,

Aber natürlich ist sie in R/E gut aufgehoben.
Das freut mich.

So war das nicht gemeint. Ich wollte einfach mal den Gedanken anregen, wie man sie wohl lesen würde, stünde sie in Seltsam. Würde man mehr über ihr Aussehen fantasieren, spekulieren - wäre der Fokus ein anderer, käme man vielleicht sogar zu einem anderen individuellen Ergebnis?
Ja, habe schon überlegt, ob du das so meinst, aber man geht manchmal vom Schlimmsten aus, deswegen. Was wäre anders? Wenn ich in der Rubrik "Humor" lese, möchte ich lachen, in "Philosophie" will ich zum Denken angeregt werden, in "Alltag" möchte ich mich wiedererkennen - wenn man das so klassisch pauschal sagen kann: wenn ich etwas in "Seltsam" lese, kann mich nichts schocken. Ob da jetzt ne Spinne ein Gedicht schreibt über die enttäuschende Ernte oder ein hübsches Mädchen hässlich wird ... Dieses Märchenhafte in meiner Erzählung würde schon vorherein ein bisschen verraten, man würde mit einer Entwicklung rechnen; weg von der Realität. Novak wäre wahrscheinlich nicht über den Ich-Erzähler gestolpert, hätte ihn einfach als Seltsamkeit akzeptiert und die Deutung in die Richtung, dass Marie nie schön war - die wäre greifbarer.

Aber am Ende entscheidet immer der Leser, was er liest.

Liebe Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Anakreon,

außergewöhnlich - so soll sie sein. Es freut mich, dass du in die Gedankenwelt des Ich-Erzählers eintauchen konntest. Dass das kein stilles Gewässer ist, hast du auch bemerkt. Du schreibst von Irreführung, Verblüffung, von Ekel und Herausforderung. Das zeigt, dass du viele Gefühle aus der Erzählung gelesen hast und das finde ich schön.


Ich glaubte schon an eine Abschweifung, einen Bruch, als der Ich-Erzähler sich erklärt, warum er in dieser Form schreibt. Es ist eine egomanische Raffinesse, das Objekt seiner Begierde nicht teilen zu müssen, den Leser nur als Zuschauer zulassend, dasselbe gilt aber auch für den abgespaltenen David.
Sehr interessant, wie du das liest. Die meisten lesen bisher einen inneren Kampf heraus, die Frage nach dem Was-Wollen, nach Ekel oder Liebe, die Frage nach der eigenen Identität und ob sie deckungsgleich ist mit dem eigenem Ich. Das Teilenmüssen hat bis jetzt niemand angesprochen. Allerdings behaupte ich, dass der Ich-Erzähler und David sich Marie teilen, aber trotzdem die Ganze haben, erleben dürfen. Nicht etwa die Hälfte. Erst durch die Annäherung aus mehreren Perspektiven erlaubt es David Marie so zu sehen, wie sie ist, nicht, wie sie aussieht.

Ich denke es ist kein Verschreiben, keine Ausflucht, der Erzähler wollte den Klang so benennen. Es gelingt mir nicht, dieses kratzig und nasal zugleich ertönen zu lassen. Bei*nasig*ergibt es mir merkwürdigerweise ein Bild.
Also ist nasig ein Bild in deinen Ohren. Äußerst interessant.

Bei solchen Sätzen musste ich auch schlucken. Normalerweise würden sie jede erotische oder romantische Stimmung zerstören, ein Bild des Widerwillens erzeugen, nach Lichtlöschen verlangen. Doch hier geht es mit Akzeptanz durch, wie ein Synonym zur gezeigten Abwehr von Marie, sich als schön bezeichnen zu lassen, was ihr Natürlichkeit schenkte.
Ja, du hast recht. Aber stell dir mal vor, er hätte das Licht ausgeknipst und sich an ihren Rücken geschmiegt, nicht an ihre Brust. Das wäre eine Flucht, die man nicht fliehen kann. Eine Flucht, die die Liebe nicht flieht.

Pure Abstraktion, die die Erzählung nun völlig auf eine surreale und/oder psychologische Ebene hebelt. Als Leser birgt es mir eine starke Herausforderung.
Ich hoffe, das hat den Lesegenuss nicht zu sehr getrübt. Ich weiß nicht, ob ich diese "starke Herausforderung" als "schwer zu lesen" oder "anspruchsvoll" verstehen soll.

Aussergewöhnlich meinte ich zu Beginn, und so war sie auch durchgehend. Eine Geschichte mit Tiefgang, über die ich wohl noch länger nachdenke.
Herzlichen Dank für deinen Kommentar, dein Lob und deine kritischen Anmerkungen. Ich merke, es gefällt dir vieles, du warst mit deinen Gedanken bei der Geschichte, aber diese surreale Erzählung liest du nicht ohne Fragen.

Hab mich gefreut!

Beste Grüße
markus.

 

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