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Serie (2) Der Fremde

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05.07.2021
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(2) Der Fremde

„Heute ist der Iraker gestorben. Oder vielleicht gestern, ich weiß es nicht. Ich habe ihn umgebracht.“

Gregor Meursel schrieb die Worte auf die Rückseite eines Aktiendepotauszuges, legte den Stift aus der Hand und ging zum Fenster. Er legte die Hand, die eben noch den Stift geführt hatte, auf die glatte Scheibe und sog die Kälte mit der Handinnenfläche auf. Er legte den Kopf an die Scheibe und begann leise zu schluchzen.

Heute hatte Gregor Meursel einen Menschen umgebracht oder vielleicht gestern. Er wusste es nicht.

Er war in seiner Stammkneipe gewesen. Er hatte getrunken, wie jeden Abend, getrunken und gepisst und gelacht und gesoffen und geredet über die „ganze Scheiße“ wie sie so sagten und dann fielen sie sich in die Arme: „Trink noch einen mit.“

Und wie jeden Abend hatte er sich in sein Auto gesetzt und war losgefahren. Nur ein paar Ecken. Aber er war faul. Gregor Meursel war eine faule Sau und als er an diesem Abend den obdachlosen Iraker mit seinem lächerlichen Einkaufswagen über den Haufen gefahren hatte, stockbetrunken über ihn drübergezuckelt war und nur deswegen angehalten hat, weil er den Motor dabei abgewürgt hatte, da hatte er sich gewundert in seinem Suff, wie ein Mensch so zucken konnte und wusste, für einen Moment nicht, ob es der Obdachlose war, der da so hilflos strampelte, der Einkaufswagen oder sein eigenes in Alkohol ertrinkendes Gehirn. Aber die Geräusche kamen eindeutig von dem Penner auf der Straße. Ganz tief hinten im Schlund hatte der Penner nur noch geröchelt. Atmen konnte man das ja nicht mehr nennen: Todesrasseln nannte man das. Meursel hatte aus seinen großen aufgequollenen Whiskeyaugen draufgeschaut und nichts begriffen. Zwei Ohrfeigen hatte er dem Sterbenden noch verpasst und ihn angelallt: „Hey Du, Du.. Komm sach was.. Nix sprechen? Nix sprechen Deutsch? Ach Scheiße!“ Dabei hatte er sich mit der anderen Hand am Porsche festgehalten, weil er so voll gewesen war, dass er drohte aus dem Stand umzukippen. Schließlich, als der Iraker keine Anstalten machte, die aufgerissenen Augen auf ihn zu legen und seine absurden Fragen zu beantworten, sondern nur krampfend und sterbend in den blanken Nachthimmel starrte, fluchte Meursel laut vor sich hin, stieg wieder ins Auto, startete den Wagen. Nach mehrmaligem heftigen Durchtreten des Gaspedals hatte er sich von dem sterbenden Mann freigefahren und keine zehn Minuten später war er verschwunden.

Auf der Straße lag Abbas Abdul Qasir, obdachlos, heimatlos. Erstickt an seinem eigenen Blut. Er war als Fremder in dieses Land gekommen und als Fremder war er gestorben. Er hatte Kirschen geerntet von der verlassenen Steinobstwiese hinter der Fabrik und war gerade im Begriff die Straße zu queren, als Meursel ihn mit seinem Porsche abgeschossen hatte. Viele Kirschen waren durch den Unfall geplatzt. Man fand ihn mit einem zerknüllten Zettel in seiner Hand. Darauf in schön geschwungener Schrift: Berlin Alexanderplatz, 01.10.1980.

Nachdem Gregor Meursel seinen Rausch ausgeschlafen hatte und er in den verdunstenden Bildern der letzten Stunden nach etwas Brauchbarem suchte, war ihm das sterbende Gesicht des obdachlosen Irakers mit seinem lächerlichen Einkaufswagen voller Habseligkeiten wie ein Blutmond über seiner Seelenödnis aufgegangen und seitdem nicht mehr untergegangen. Meursel war eine faule Sau, er war ein Opportunist. Nachdem sein Vater, der Bankdirektor, gestorben war und ein so großes Vermögen hinterlassen hatte, dass Meursel nie wieder arbeiten musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war Meursel auch nie wieder einer regulären Arbeit nachgegangen. Stattdessen hatte er das Geld seines Vaters verhurt, versoffen, verfressen und es war immer noch genug da: „Weil ich die Hände von Drogen lasse“ hatte Meursel immer in der Kneipe doziert: „Weil ich die Hände von Drogen lasse“.

Wenn er gefragt wurde: „Was sind sie von Beruf?“ Dann zeigte er dieses feiste, breite Grinsen von einem, dem materielle Sorgen nichts mehr bedeuteten und dann lehnte er sich zurück und über die Stoppeln seines Doppelkinns raunte er bedeutungsschwanger: „Hedonist” und mit theatralisch aufgerissenen Augen ließ er, der abgebrochene Philosophiestudent, den Weisen aus dem Kneipenland heraushängen: „Ich bin EXISTENZIELLER Hedonist. Und Sie?“

Meursel war zum Totschläger geworden, zum „Mörder“ wie sie in der Kneipe sagen. Die juristischen Unterschiede zwischen Mord und Totschlag kannte man dort nicht. Sie interessierten dort auch niemanden. Wer jemanden „um die Ecke gebracht hat“ der war ein Mörder. Also war Meursel zum „Mörder“ geworden. Aus dem banalsten aller Gründe: aus Desinteresse.

Desinteresse an den Normen der Gesellschaft, in der er lebte, Desinteresse an seinen Ängsten und Sehnsüchten, Desinteresse an seinen Süchten und der Gefahr, die für andere Menschen davon ausging. Desinteresse an anderen Menschen und deren Schicksalen. Meursel hatte sich in seiner moralischen Beliebigkeit zu völliger Verantwortungslosigkeit aufgelöst. Ihm war alles egal. Auch er selbst. Gerade er selbst.

Seit heute war Gregor Meursel ein „Mörder“. Möglicherweise sogar schon ein GESUCHTER „Mörder“ denn er hatte zusätzlich etwas begangen, was man im klassischen Kneipenjargon gerne als „Unfallflucht“ bezeichnete- und vermutlich war er bei seinen dilettantischen Versuchen, den sterbenden Penner zum Reden zu bringen von irgend jemandem beobachtet worden.

„Scheiße“, schluchzte er, den Kopf an die Scheibe gelegt, die Augen geschlossen: „Ach Du Scheiße“ und: „So eine Scheiße“.

Was hätte seine Mutter gesagt? Diese gutmütige Frau, die immer nur „das Beste“ für ihren kleinen Georg wollte. Wahrscheinlich hätte sie nichts gesagt. Hätte einfach nur an den Fingernägeln gekaut und ihn angeschaut und den Kopf geschüttelt und dann aus dem Fenster geblickt und geseufzt hätte sie, leise geseufzt: „Ach Schorschi, ach Schorschi.. Zum Glück muss der Papi das nicht mehr erleben“.

Dann hörte man Bewegungen an der Tür, so als wenn jemand den Schlüssel ins Schloss steckt. Meursel schreckte von der Scheibe hoch: „Jetzt haben sie mich. Jetzt haben mich die Schweine. Die Arschlöcher“, so dachte er bei sich und kalter Angstschweiß trat ihm auf die Stirn: „Die haben ihr scheiß Bullenwerkzeug mit dem sie überall reinkommen. Die müssen nicht mal mehr klopfen diese Arschlöcher. Ach Du Scheiße!“

Ein Schlüssel wurde gedreht, das Schloss sprang auf. Jemand öffnete die Tür.

Ein Mann im grauen Anzug betrat die Wohnung. Er rauchte eine Zigarre und schaute ziemlich verdutzt, als er Georg Meursel sah.

„Was machen Sie in meiner Wohnung?” Fragte der ganz in Grau gekleidete Mann und stellte seinen grauen Aktenkoffer auf Meursels Schreibtisch ab. Dort fiel sein Blick auf den Aktiendepotauszug und das handgeschriebene Schuldanerkenntnis. Ehe Meursel protestieren konnte,las er den Satz den Meursel darauf geschrieben hatte, faltete das Blatt feinsäuberlich und steckte es sich in die Innentasche seines altmodischen Dreiknopf-Sakkos.

Er nahm behutsam den grauen Trilby vom Kopf und legte ihn auf den Schreibtisch. Dann strich er sich über die Glatze und trat an Meursel heran: „Jetzt nochmal für Schwachsinnige wie Dich“ flüsterte er bedrohlich: „Was machst Du in MEINER Wohnung?“

„Das ist meine Wohnung Arschloch“ sagte Meursel: „Wer bist Du überhaupt ?“

„Ich bin Georg Meursel und das ist meine Wohnung“ sagte der graue Mann. Dann zückte er seinen Schlüsselbund und sein Portemonnaie: „Und das hier sind meine Wohnungsschlüssel und das hier sind meine Kreditkarten und mein Personalausweis“ und mit diesen Worten zog er den Ausweis aus Meursels Portemonnaie.

„Scheiße“ keuchte Meursel: „Ach Du Scheiße, das ist doch MEIN Portemonnaie“. Meursel griff sich instinktiv in die Gesäßtasche, wo er sein Portemonnaie immer aufbewahrte, aber die Tasche war leer. Hektisch begann er, auf dem Beistelltisch zu suchen: „Scheiße, irgendwo hab ich es hingelegt“. Dann hielt er plötzlich inne und riss die Augen auf: „Moment, Moment Arschloch.. Du… Du hast mir das Portemonnaie und die Schlüssel geklaut, als ich den Unfall hatte gestern. So muss es gewesen sein. Ach Du Scheiße! Was für eine Scheiße! ICH bin Georg Meursel, ich bin Georg Meursel“.

Der graue Mann lachte leise: „Ich habe Dir gar nichts geklaut du Witzfigur! Du hast Dich doch selbst beklaut! Sieh dich doch mal an. Eine wandernde Ausrede, eine einziges Fragezeichen. Im Grunde bist du eine bemitleidenswerte Kreatur. Und jetzt Schieb ab, Hau ab aus meiner Wohnung du Streuner. Zurück unter die Brücke, wo du herkommst, zurück in den Gulli aus dem du gekrochen bist. Und wenn Du es nochmal wagst, dich mit MEINEM Namen auszugeben werde ich dich allein dafür in den Knast bringen“.

Meursel konnte es nicht fassen, dass jemand versuchte, nur mit einem Schlüssel, einem Ausweis und einem Portemonnaie bewaffnet, sein Leben zu kapern.

„Ich ruf die Bullen Arschloch, dann werden wir mal sehen, wer hier zurück unter die Brücke geht“. Meursel kramte nach seinem Handy.

„Suchst Du das hier ?“, sagte der graue Mann und hielt das Handy hoch: „Das ist MEIN Handy.“

„Ach Du Scheiße!“, entfuhr es Meursel: „Scheiße, scheiße.. Du hast auch noch mein Handy geklaut ? Glaubst Du, Du kommst damit durch Arschloch?“

Der graue Mann lachte jetzt laut auf. Er musterte Meursel mitleidig und flüsterte mehr zu sich selbst als zu Meursel: „Du armesliges, bemitleidenswertes Geschöpf“.

Dann trat er nah an Meursel heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Das sage ich jetzt nur einmal also hör gut zu. Du wirst jetzt aus meiner Wohnung und meinem Leben verschwinden und nie wieder kommen. Ich weiß nicht, wer Du bist und woher du kommst aber wenn du meinst, Dich hier einfach als ich ausgeben zu können, Dich in meiner Wohnung breit zu machen, aus meinem Kühlschrank zu essen, in mein Klo zu scheißen, mein Leben zu leben, dann wirst du mich kennen lernen Du Penner.“

Meursel schaute ihn ungläubig an. Der graue Mann musste wahnsinnig sein. Er hatte so überzeugend gesprochen, dass Meursel selber kurzzeitig daran zweifelte, wirklich Meursel zu sein.

Doch Meursel war keineswegs bereit, sein Leben so einfach aufzugeben. Flink hatte er dem grauen Mann das Handy aus der Hand gerissen und hielt ihn jetzt mit ausgestrecktem Arm auf Distanz, während er gleichzeitig versuchte die Notrufnummer zu wählen. Das wäre jedoch gar nicht nötig gewesen. Der graue Mann kicherte und setzte sich in den Ohrensessel. Er machte keinerlei Anstalten, Meursel aufzuhalten. Dann schlug er die Beine übereinander und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre.

„Ja ist da die Polizei ? Ja .. Hier ist jemand in meine Wohnung eingedrungen.. Bitte schicken sie sofort jemanden vorbei.. Ja.. Genau.. Ich.. Ja Meursel. Martha, Emil, Ulrich.. Ja Meursel genau. Berliner Straße 80. Danke, bitte beeilen sie sich”. Meursel legte auf und lächelte triumphierend: „So Arschloch.. Jetzt kommen die Bullen und dann werden sie DICH hier raus schmeißen.“

„Werden sie das? Ich glaube nicht. Aber warten wir es ab. In der Zwischenzeit erlaube mir eine Frage: Wie fühlt es sich an, ein „Mörder“ zu sein? Ist das ein gutes Gefühl? Man sagt ja, es sei wie eine Beißhemmung loszuwerden. Beim ersten Mal ist es noch schwer, beim zweiten und dritten Mal wird es einfacher. Wirst du heute Abend wieder losfahren und unschuldige Menschen umnieten im Suff?“

Meursel durchlief es heiß und kalt gleichzeitig. Er schluckte: „Du hast mich beobachtet gestern oder vorgestern Abend nicht? Du hast alles mit angesehen Ich habe ihn nicht absichtlich umgebracht“, brüllte Meursel und heiße Tränen schossen ihm aus den Augen: „Scheiße.. Ich habe ihn nicht absichtlich umgebracht. Er ist einfach.. Er war einfach plötzlich da.. Das Licht.. Die Laterne hat mich geblendet.. Ich habe ihn nicht gesehen!“

Wieder lachte der graue Mann: „Natürlich hast du ihn gesehen. Du hast ihn in jeder Nacht gesehen in der du besoffen ins Auto gestiegen bist. Mach dir nichts vor. Du bist ein gewöhnlicher Mörder, wie jeder andere Mörder auch. Nicht besser aber auch nicht schlechter. Weißt Du was der Mann gemacht hat ? Er hat Kirschen gesammelt ! Kirschen! Er ist in den Baum geklettert und hat die gottverdammten Kirschen einfach gepflückt und weißt Du, was er damit machen wollte ? Er wollte sie am Alexanderplatz an die anderen Obdachlosen verteilen. Er wollte sie nicht einmal selber essen!“

Meursel keuchte. Er wollte etwas entgegnen, als es plötzlich an der Tür klingelte.

„Ahhh“ machte der graue Mann: „Da sind unsere Freunde von der Polizei. Willst Du aufmachen oder ich ? Wo sie doch wegen meines Anrufs gekommen sind.“

Meursel schaute ihn nur ungläubig an und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Der graue Mann ging zur Tür und öffnete. Zwei Polizisten betraten die Wohnung: „Haben sie uns gerufen?” Fragten sie den grauen Mann.

„Ja ich war das“, antwortete dieser: „Dieser Mann dort“ und damit zeigte er auf den Namenlosen: “Befindet sich widerrechtlich in meiner Wohnung. Mein Name ist Georg Meursel und ich fand heute diesen offensichtlich Obdachlosen in meiner Wohnung vor. Ob er eingestiegen ist oder ich die Tür offengelassen hatte, kann ich Ihnen wirklich nicht mehr sagen”

„Können sie sich ausweisen?” Fragte der Polizist.

Der graue Mann reichte ihm den Ausweis. Der Polizist verglich die Bilder und nickte: „Danke. Stellen Sie Strafanzeige ? Er scheint sich ja recht ruhig zu verhalten“ und damit zeigte der Polizist auf den Mann in Unterhemd und Jogginghose, der seine Hand nun wieder aufs Fenster gelegt hatte.

„Nein. Er ist im Grunde friedlich. Entfernen Sie ihn nur bitte schnell aus meiner Wohnung und aus meinem Leben“, sagte der graue Mann.

Die Polizisten gingen zu dem ausdruckslosen Mann mit dem Doppelkinn: „Guten Tag. Wie es aussieht halten sie sich widerrechtlich in dieser Wohnung auf. Wenn sie jetzt gehen, werden wir keine Anzeige aufnehmen, da der freundliche Wohnungsbesitzer, Herr Meursel hier, darauf nicht besteht. Wenn sie sich weigern müssten wir die Anzeige aufnehmen und ihre Personalien ebenfalls.“

Der Mann, der einmal Georg Meursel geheißen hatte, schwieg.

In Sekundenbruchteilen zog sein bisheriges Leben an ihm vorbei. Dann nickte er ausdruckslos.

„Nein ist schon gut.. Ich weiß selber nicht, wie ich hier her gekommen bin”, sagte er. Seine Stimme war ein Strich: monoton und leer.

Die Polizisten begleiteten ihn bis auf die Straße. Dort überließen sie ihm seinem Schicksal.

Namenlos geworden schlüpfte der Fremde in den Schlund einer quälend weiten Straße und verschwand.

 
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Hallo @Dionysos von Enno

Ich fand die Idee deines Textes nicht schlecht. Die Geschichte ist mMn auch nicht schlecht geschrieben
Du kannst sie jedoch so nicht stehen lassen, du hast viel zu viele Lehrstellen zwischen den Wörtern und noch andere Fehler.

zB.

Trink noch einen mit..
Auslassungspunkte: Trink noch einen mit …
Nix sprechen ?
Nix sprechen? Ohne Leerstelle
Deine Zeilenumbrüche solltest du dir auch noch einmal anschauen.
Das ist jetzt nur ein kurzer Eindruck. Bevor du im Korrektur Center landest.
Vielleicht kannst du ja ein Rechtschreibprogramm zu Hilfe nehmen.

Liebe Grüße CoK

 

Hallo Dionysos von Enno,

mir hat die Geschichte in ihrer tragischen Absurdität gut gefallen. Der "doppelte Meursel", ohne Erklärung, einfach so, als hätte sein eigenes Gewissen die Strafe selbst manifestiert.

Sehr gute Geschichte. Auf die Schreibfehler bist Du ja schon hingewiesen worden.

Deshalb ein paar inhaltliche Anmerkungen von mir:

„Heute ist der Iraker gestorben. Oder vielleicht gestern, ich weiß es nicht. Ich habe ihn umgebracht“
Das gefällt mir gut. Der Einstieg nimmt mich gleich 'rein, in Deine Geschichte.

Gregor Meursel schrieb die Worte auf die Rückseite eines Aktiendepotauszuges, legte den Stift aus der Hand und ging zum Fenster. Er legte die Hand, die eben noch den Stift geführt hatte, auf die glatte Scheibe und sog die Kälte mit der Handinnenfläche auf. Er legte den Kopf an die Scheibe und begann leise zu schluchzen.
Auch das ist gut. Der "Aktiendepotauszug" ist schon ein Vorgeschmack auf die Lebensgeschichte, die Du später entwirfst.

Heute hatte Gregor Meursel einen Menschen umgebracht oder vielleicht gestern. Er wusste es nicht.
Das klingt irgendwie wie eine Wiederholung. Das solltest Du ändern. Mehr aus seiner persönlichen Erinnerung heraus.

Und wie jeden Abend hatte er sich in sein Auto gesetzt und war losgefahren. Nur ein paar Ecken. Aber er war faul.
Das ist gut, wie auch der Abschnitt davor.

Gregor Meursel war eine faule Sau und als er an diesem Abend den obdachlosen Iraker mit seinem lächerlichen Einkaufswagen über den Haufen gefahren hatte, stockbetrunken über ihn drübergezuckelt war und nur deswegen angehalten hat, weil er den Motor dabei abgewürgt hatte, da hatte er sich gewundert in seinem Suff, wie ein Mensch so zucken konnte und wusste für einen Moment nicht, ob es der Obdachlose war, der da so hilflos strampelte, der Einkaufswagen oder sein eigenes in Alkohol ertrinkendes Gehirn.
Der Satz ist für mein Gefühl zu lang. Zuviel in einen Satz gepackt. Da sind mindestens drei verschiedene Themen. Dabei sind die einzelnen Bilder durchaus stark.

Ganz tief hinten im Schlund hatte der Penner nur noch geröchelt. Atmen konnte man das ja nicht mehr nennen: Todesrasseln nannte man das. Meursel hatte aus seinen großen aufgequollenen Whiskeyaugen draufgeschaut und nichts begriffen. Zwei Ohrfeigen hatte er dem Sterbenden noch verpasst und ihn angelallt: “Hey Du, Du.. Komm sach was.. Nix sprechen ? Nix sprechen Deutsch ? Ach Scheiße!” Dabei hatte er sich mit der anderen Hand am Porsche festgehalten, weil er so voll gewesen war, dass er drohte aus dem Stand umzukippen.
Spätestens hier fängt man dann an, Deinen Protagonisten zu verachten. Gefällt mir.

Schließlich, als der Iraker keine Anstalten machte, die aufgerissenen Augen auf ihn zu legen und seine absurden Fragen zu beantworten, sondern nur krampfend und sterbend in den blanken Nachthimmel starrte, fluchte Meursel laut vor sich hin, stieg wieder ins Auto, startete den Wagen. Nach mehrmaligem heftigen Durchtreten des Gaspedals hatte er sich von dem sterbenden Mann freigefahren und keine zehn Minuten später war er verschwunden.
Ich würde hier weniger das Gaspedal verwenden. Er muss ja irgendwie auch mit Gang und Kupplung arbeiten. Das kannst Du vermutlich besser.

Auf der Straße lag Abbas Abdul Qasir, obdachlos, heimatlos. Erstickt an seinem eigenen Blut. Er war als Fremder in dieses Land gekommen und als Fremder war er gestorben. Er hatte Kirschen geerntet von der verlassenen Steinobstwiese hinter der Fabrik und war gerade im Begriff die Straße zu queren, als Meursel ihn mit seinem Porsche abgeschossen hatte. Viele Kirschen waren durch den Unfall geplatzt. Man fand ihn mit einem zerknüllten Zettel in seiner Hand. Darauf in schön geschwungener Schrift: Berlin Alexanderplatz, 01.10.1980.
Dieser Abschnitt hat Wucht. Gut. Aber stimmt hier die Zeitform? Einschub? Rückblick? Erklärung.

"Es war Abbas Abdul Qasir gewesen, der ...

Und es ist schade, dass Du den Brief mit der schönen Schrift nicht mehr aufgreifst. Warum, wer, wann, wozu?

Nachdem Gregor Meursel seinen Rausch ausgeschlafen hatte und er in den verdunstenden Bildern der letzten Stunden nach etwas Brauchbarem suchte, war ihm das sterbende Gesicht des obdachlosen Irakers mit seinem lächerlichen Einkaufswagen voller Habseligkeiten wie ein Blutmond über seiner Seelenödnis aufgegangen und seitdem nicht mehr untergegangen. Meursel war eine faule Sau, er war ein Opportunist. Nachdem sein Vater, der Bankdirektor, gestorben war und ein so großes Vermögen hinterlassen hatte, dass Meursel nie wieder arbeiten musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war Meursel auch nie wieder einer regulären Arbeit nachgegangen. Statt dessen hatte er das Geld seines Vaters verhurt, versoffen, verfressen und es war immer noch genug da: “Weil ich die Hände von Drogen lasse”, hatte Meursel immer in der Kneipe doziert: “Weil ich die Hände von Drogen lasse.”
Auch wieder gut. Nur der "Blutmond über der Seelenödnis" stört mich.

Meursel war zum Totschläger geworden, zum “Mörder”, wie sie in der Kneipe sagen. Die juristischen Unterschiede zwischen Mord und Totschlag kannte man dort nicht. Sie interessierten dort auch niemanden. Wer jemanden “um die Ecke gebracht hat”, der war ein Mörder. Also war Meursel zum “Mörder” geworden. Aus dem banalsten aller Gründe: aus Desinteresse.
Vor allem der letzte Satz ist klasse.

Seit heute war Gregor Meursel also ein “Mörder”. Möglicherweise sogar schon ein GESUCHTER “Mörder”, denn er hatte zusätzlich etwas begangen, was man im klassischen Kneipenjargon gerne als “Unfallflucht” bezeichnete- Und vermutlich war er bei seinen dilettantischen Versuchen, den sterbenden Penner zum Reden zu bringen von irgend jemandem beobachtet worden. “Scheiße”, schluchzte er, den Kopf an die Scheibe gelegt, die Augen geschlossen: “Ach Du Scheiße” und: “So eine Scheiße.”
Das ist ja eine Schlussfolgerung aus dem letzten Absatz. Ich würde da ein "also" einfügen.

Dann der Teil mit dem Fremden:

Dann trat er nah an Meursel heran und flüsterte ihm ins Ohr: “Das sage ich jetzt nur einmal also hör gut zu. Du wirst jetzt aus meiner Wohnung und meinem Leben verschwinden und nie wieder kommen. Ich weiß nicht, wer Du bist und woher du kommst aber wenn du meinst, Dich hier einfach als ich ausgeben zu können, Dich in meiner Wohnung breit zu machen, aus meinem Kühlschrank zu essen, in mein Klo zu scheißen, mein Leben zu leben, dann wirst du mich kennen lernen Du Penner.”
Er scheint mehr zu wissen.

“Werden sie das ? Ich glaube nicht. Aber warten wir es ab. In der Zwischenzeit erlaube mir eine Frage: Wie fühlt es sich an, ein “Mörder” zu sein ? Ist das ein gutes Gefühl ? Man sagt ja es sei wie eine Beißhemmung loszuwerden. Beim ersten Mal ist es noch schwer, beim zweiten und dritten Mal wird es einfacher. Wirst du heute Abend wieder losfahren und unschuldige Menschen umnieten im Suff ?”
Wieder er scheint mehr zu wissen, aber das ist nicht schlecht.

Der Namenlose schwieg.
Ich würde ihn nicht "Namenlos" nennen. Das passt nicht.

Vielleicht: "Der Mann, der einmal gedacht hatte Georg Meursel zu sein, schwieg."

Aber der Schluss ist wieder gut. Hier passt jetzt auch das "Namenlose".
Nur der "Schlund einer quälend weiten Straße" gefällt mir nicht wirklich.

Aber von diesen Korrekturen abgesehen, hat die Geschichte wirklich einen tragisch-absurden Tiefgang, den ich wirklich mag.

Herzliche Grüße, Gerald

 

Lieber @C. Gerald Gerdsen herzlichen Dank für Deine Einschätzung. Ich bin es gar nicht gewohnt, dass jemand mit dieser Beobachtungstiefe liest und dass Dir die Geschichte gefällt, freut mich natürlich sehr

 

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