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24. Dezember - Das Tor zur Hölle

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23.09.2001
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24. Dezember - Das Tor zur Hölle

An diesem Tag, am heutigen Tag, war es immer mein größter Wunsch, mich vom frühen Morgen bis zum Anbruch des nächsten Tages ohne die Möglichkeit mit der Zivilisation in Kontakt treten in der menschenleeren Wildnis aufzuhalten. Hauptsächlich da ich fürchtete, die Zivilisation könnte versuchen, mit mir Kontakt aufnehmen.

Ja, ich weiß, es ist Dezember, und die menschenleere Wildnis bringt die Kälte natürlich mit sich, aber selbst das erschien mir immer noch angenehmer zu sein als die Alternative. Wenn man sich aber in einer kleine, extra für diesen Zweck gemieteten Hütte aufhalten kann, die einen einfachen Holzofen besitzt, hat man die negativen Seiten dieses Plans schon eliminiert. OK, der Schwarzwald ist nicht gerade die menschenleere Wildnis schlechthin, aber immerhin eine Möglichkeit, sich aus Sicht- und vor allem Hörweite dieser Zeit zu bringen. Und wenn es der Job schon nicht zulässt, sich den ganzen Monat zu verkriechen, dann wenigstens an dem Tag, an dem er seinen beschissenen Höhepunkt hat. Diese ständige Präsenz von rotgekleideten Männern mit Bärten, süßen Engeln und Babys im Tierfutter sowie die rot-grün-glitzernde-Färbung, die alles anzunehmen scheint, ging mir gehörig auf den Sack. Nicht zu vergessen den Medienrummel um die ganze Sache, der diese scheinheilige Hysterie noch zu verstärken scheint. Und alles was man unter dem Strich durch dieses Traditionsbewusstsein erhält ist der ein oder andere Familienkrach.

Ich weiß nicht genau wann es passierte, aber es muss wohl das Weihnachtsfest gewesen sein, welches ich im Alter von 17 Jahren erlebte. Auch den Auslöser, den Tropfen der den Punsch zum Überlaufen brachte, kenne ich nicht. Ein mit einem Tannenzweig geschmücktes Geschenk zuviel, ein Zimtsstern mehr als einem bekommt oder vielleicht die Weihnachtsbotschaft des Papstes, die sich über den Hintergrund in mein Gehör schlich, was weiß ich. Jedenfalls wurde mir kotzübel, und ich löschte die Kerzen des Adventskranzes auf eher unkonventionelle Weise.
In den folgenden Jahren wurde der Monat Dezember zu meinem schlimmsten Alptraum. Ich zog mich zurück und versuchte den allgemeinen Zustand der restlichen Bevölkerung zu ignorieren. Fernseher und Radio blieben die meiste Zeit ausgeschaltet, und alle Geschenke besorgte ich schon lange bevor mich in den Geschäften die ersten Schokoladenweihnachtsmänner angrinsen konnten.
Geschenke erhielt und verteilte ich weiterhin mit Freude, aber ich versuchte mich von jeder Feier fernzuhalten, die zu viele typisch weihnachtliche Aspekte aufwies- vor allem die meiner Familie. So endete dieser 24-tägige Leidensweg meist mit einem gewaltigen Kater. Allerdings ist es etwas, über das ich nicht gerade gerne geredet habe.

Mein Untergang wurde wohl dadurch in die Wege geleitet, dass ich dieses Jahr auf Teufel komm raus keine Feier finden lassen wollte, die meinen Kriterien genüge tat. Meine Freunde planten entweder mit ihren Familien zu feiern oder gedachten sich auf rot-grün-glitzernde Partys zu begeben, zu denen ich obendrein noch keine Einladung hatte. Ich selbst wollte mich auf Grund meines eh schon fragilen Nervenkostüms keinem Organisationsstress aussetzen. So beschloss ich, dieses Jahr einen Tag lang zum Einsiedler zu werden und den 24. Dezember alleine in einer Hütte im Schwarzwald zu verbringen.
Meine Freunde sollten denken, dass ich in den Klauen meiner Familie stecke, während meine Familie glauben sollte, dass meine Freunde mich am Heiligabend in Beschlag nehmen würden. Einzig und allein Irene wusste von der Sache. Jetzt ist sie bei ihrer Familie, und morgen wollten wir unser eigenes Fest feiern. Natürlich mit Geschenken, einem guten Essen und viel Gemütlichkeit, allerdings ohne Baum, Kerzen und nur den geringsten Krümel eines Stollens.

So gesehen war mein Plan also perfekt. Schon am Vormittag setze ich mich in mein Auto, die Verpflegung, lauter leckere Sachen, aber nichts was nach weihnachtlichen Gewürzen schmeckte, neben mir auf dem Beifahrersitz.

Aus der Stadt zu entkommen war mir fast unmöglich. Auch hier lachten mich diese Farben und Symbole von überall her an. Es fiel mir schwer den Brechreiz zu unterdrücken. Wenigstens lag kein Schnee.
So fuhr ich also Richtung menschenleere Wildnis bzw. tiefer Schwarzwald, und erreichte schließlich doch die Schneegrenze, glücklicherweise nach der letzten Ortschaft auf meiner Route. Hier machten mir die Tannenbäume nichts aus. Nur das Glatteis, welches stellenweise auftrat, störte mich ein wenig. Zu diesem Zeitpunkt rechnete ich noch damit, dass ich in wenigen Minuten alleine in der Hütte im Wald sitzen und mich ordentlich betrinken würde.

Das ging exakt bis zur der scharfen, engen Kurve gut, in der mir ein anderer Wagen, wohl noch mit Sommerreifen, viel zu schnell und leicht rutschend entgegen kam. Ich sah wie der Fahrer das Steuer herumriss, was zur Folge hatte, dass er mich nicht bloß streifte, sondern unsere Motorhauben frontal zusammenstießen.

Der Aufprall war hart und drückte mir die Luft aus den Lungen. Die Insassen des andern Wagens, der Mann, die Frau und die beiden Kinder schrieen vor Schreck. Der Tannenbaum, der auf ihrem Dach nur unzureichend befestigt war, riss sich los, durchschlug meine Windschutzscheibe und spießte die Verpflegungstüte auf.

Ich stieg aus und überprüfte erst mal die Funktionstüchtigkeit meiner Glieder. Es schien als wäre ich heil und somit noch recht glimpflich davongekommen. Aber in Wirklichkeit war mein Schicksal durch diesen Unfall besiegelt worden.

Die Anderen waren glücklicherweise ebenfalls unverletzt. Mir taten die Kinder leid, die trotz der Bemühungen ihrer Mutter nicht zu weinen aufhörten. Dem Vater allerdings war der Schaden an seinem Wagen mehr Aufmerksamkeit wert.

Dieser war allerdings beträchtlich. Es stand kaum zu vermuten, dass sich eines dieser Autos wieder aus eigener Pferdekraft von der Stelle rühren würde. Ich stellte nur noch schnell das Warndreieck auf, dann steuerte ich auf das Arschloch zu. Er versuchte jemanden per Handy zu erreichen. Als ich ihn erreichte schüttelte er den Kopf, murmelte etwas von Netzabdeckung und fragte mich, ohne auch nur den Hauch einer Pause einzulegen, was mir den einfiele, so schnell zu fahren.
Ich verkniff mir die Frage, was ihm den einfiele, so ins Rutschen und auf meine Fahrbahnseite zu geraten, und erkundigte mich stattdessen nach seinem Warndreieck.

Ein anderer Wagen, der wie er erst um die Kurve und dann ins Rutschen kam, beantwortete meine Frage an seiner Stelle.
Dieser Fahrer verzichtete allerdings auf heftige Lenkbewegungen, streifte den anderen Wagen nur geringfügig und kam dann zum Stillstand. Die Kinder fingen wieder zu weinen an, und der Vater wendete sich ohne Umschweife dem neuen Schaden an seinem Kleinod zu.

Doch er kam nicht allzu weit, denn der Fahrer des dritten Unfallwagens stieg unverzüglich und wutentbrannt aus. Das Adrenalin in meinem Blut bewahrte mich vor dem Schlimmsten, aber trotzdem wurde mir beim Anblick dieser sacktragenden, rotgekleideten, weißbärtigen Gestalt etwas flau im Magen. Gott sei Dank benahm sich der Aushilfsweihnachtsmann nicht seiner Rolle entsprechend. Längst hat er begriffen das der Familienvater nicht brav gewesen war, und so schleuderte er ihm die Nüsse gezielt an den Kopf und lies noch ein paar deftige Beleidigungen folgen. Ein paar Sekunden lang freute ich mich sogar richtig über diesen Anblick. Eigentlich hätte mich das stutzig machen müssen, aber ich stand wohl unter Schock.

Ein weiterer Pluspunkt für den Verkleideten war die Tatsache, dass er ein Handy mit besserer Netzabdeckung mit sich führte. Nachdem die Polizei verständigt worden war schenkte er den Kindern sogar die Nüsse, die er nicht als Wurfgeschosse benutzt hatte. Die Beiden hatten den Schrecken dann schnell überwunden und stiegen aus dem Auto aus, um auch die Nüsse, die vom Kopf ihres Vaters abgeprallt und auf der Straße gelandet waren, einzuheimsen. Dabei unterhielten sie sich angeregt darüber, was wohl passiert wäre, wenn ich nicht nur eine Plastiktüte als Beifahrer gehabt hätte.

Meine eigentliche Tagesplanung hatte ich durch dieses Ereignis schon fast vergessen. Ein Blick auf mein Auto, speziell auf den Beifahrersitz, zeigte mir, dass das Vergessen wohl die beste Idee gewesen war. Die Chipstüten waren aufgeplatzt, die belegten Brötchen voll Tannennadeln, die unweihnachtlichen Kekse mit Glassplittern gespickt und die Whiskeyflasche zerborsten, ihr Inhalt ist im ganzen Wagen verteilt. Ihr Inhalt im ganzen Wagen verteilt. Ich blickte das Innere des Wagens an. Ich blickte an mir selbst herunter. Ihr Inhalt war im ganzen Wagen verteilt, auf den Scheiben, auf dem Boden und auf den Sitzen. Und auf mir

Wie immer war die Polizei pünktlich zur Stelle. Also genau zu dem Zeitpunkt, an dem ich entdeckte, das ich über und über mit einem alkoholischen Getränk bekleckert war und roch, als hätte ich seit letztem Sylvester nicht zu feiern aufgehört.
Die Polizei begann dann auch unverzüglich mit ihrer Arbeit. Als ich mit meiner Aussage an die Reihe kam war ich schon seit geraumer Zeit von misstrauischen Seitenblicken der Beamten beglückt worden. Mein wahres Reisevorhaben verschwieg ich ihnen. Stattdessen trug ich die Geschichte von einer familiären Weihnachtsfeier vor, die schon alle meine Freunde, ausgenommen Irene, gefressen hatten. Das schlucken die beiden Polizisten natürlich noch, aber bei der Frage, ob ich den Alkohol getrunken hätte, hakten sie zweimal nach. Ich erzählte ihnen von der zerbrochenen Flasche.
Sie verlangten, dass ich ins Röhrchen puste.
Ich zeigte ihnen die zerbrochene Flasche.
Sie bestanden mit Nachdruck darauf, dass ich ins Röhrchen puste.

Mit der leisen aber durchdringenden Stimme des Zweifels im Hinterkopf, die nicht recht glauben wollte, dass ich den Test bestehen würde, füllte ich meine Lunge und pustete meine verbrauchte Atemluft in das Röhrchen hinein. Natürlich war das Ergebnis das erwartete, 0,0 Promille, was zwar die Stimme des Zweifels ruhigstellte, nicht aber die Beamten zu befriedigen vermochte.

Und dann passierte es. Der Abschleppwagen kam an, und die Frau lief mit den (ihrem Mann schien sie gerade nicht allzu viel zu sagen zu haben) in Richtung des Weihnachtsmannmobils, dessen Fahrer angeboten hatte, sie schon einmal vom Unfallort weg zu bringen. In den Armen hielt sie zwei Tüten mit den Dingen, die im Kofferraum des Wagens verstaut gewesen waren. Als ich die in rot-grün-glitzerndes Papier eingepackten Geschenke sah, die teilweise leicht angestoßen und aufgerissen waren, spürte wieder dieses flaue Gefühl im Magen. Ihr Weg führt sie direkt an mir vorbei, und dann sah ich die aufgerissenen Pakete nicht nur, sondern konnte zu meinem Entsetzen auch deutlich riechen, dass mindestens eines von ihnen einen Christstollen enthalten musste.

Ohne Zögern kotzte ich den beiden Polizisten und dem Aushilfsweihnachtsmann vor die Füße.

Natürlich schlossen sie von den drei möglichen Ursachen für diese Reaktion auf die beiden falschen. Während der eine Polizist fragte, ob ich vielleicht etwas anderes als Alkohol zu mir genommen hätte, rief der andere einen Krankenwagen. Das ich weder unter Drogen stand noch schwer verletzt war, sondern nur an einer stark ausgeprägten Allergie gegen Weihnachten litt, zog keiner der Beiden in Betracht.
Als ich es ihnen offenbarte, auf alle möglichen dummen Bemerkungen gefasst und mit schlagfertigen Antworten im Gepäck, war es bereits viel zu spät. Meine kleine Lüge von vorhin war wieder aufgetaucht und trat mir in die Eier.
Wie könne ich den eine solche Weihnachtsallergie haben und dann zu einer familiären Weihnachtsfeier gehen? Und so etwas dummes wie eine Weihnachtsallergie sei ihnen noch nie untergekommen. Wie könnte ich es ihnen den beweisen, dass ich mir das nicht eben mal gerade schnell ausgedacht habe?
Wortlos deute ich auf die Lache vor ihren Füßen. Doch dieses Argument war ihnen offensichtlich keiner weiteren Diskussion würdig.

Zudem hatte dieser bescheuerte Aushilfsweihnachtsmann nun mich als Buhmann erkoren, und so bekam ich, während ich von dem besorgten Polizisten zum Niederlegen auf eine Rettungsdecke gezwungen wurde, in Ermangelung weiterer Nüsse eben einen leeren Sack an den Kopf geworfen

Der Krankenwagen brauchte einige Zeit um uns zu finden, und währenddessen ließen mich die Beamten nicht aus den Augen. Der Aushilfsweihnachtsmann hatte sich mit der Frau und ihren Kindern schon von den Socken gemacht, während der Vater noch immer damit beschäftigt war, die genau Tiefe der Lackschäden auszuloten und den Abschleppdienst zu behindern.

Die Fahrt im Krankenwagen war kurz und schmerzlos, obwohl mich die Sanitäter genau wie die Polizisten zum Hinlegen zwangen. Auch sie schienen nicht so recht zu glauben, dass der Alkoholgeruch einzig und allein von meinen Kleidern stammen würde. Die Geschichte mit der Weihnachtsallergie behielt ich diesmal für mich, aus Angst jemand könnte das als verwirrten Geisteszustand auslegen. Und kurz bevor wir im Krankenhaus ankamen dachte ich Trottel noch, dass ich das Schlimmste schon hinter mir hätte.


Ich wurde auf der Bahre in die Notaufnahme gefahren. Die Ärzte und Sanitäter schritten in einer ruhigen Eile voran, wobei sie Begriffe wie „Gehirnerschütterung“, „innere Verletzungen“ und „so breit das er nicht mehr durch die Tür kommt“ gebrauchten. Aber dann mussten sie mich natürlich ausgerechnet an dem Weihnachtsbaum vorbeischieben, der das Wartezimmer der Notaufnahme zierte und dabei von grauenhafter Weihnachtsmusik aus zwei krächzenden Boxen unterstützt wurde.

Ich musste mich wieder übergeben. Immerhin führte es dazu, dass ich schneller durch die Gänge geschoben wurde.

Die erste Untersuchung war schnell beendet, und danach waren sich alle Zweifler vollkommen darüber sicher, das ich weder an schwere inneren Verletzungen noch an fremden Substanzen in meinem Blut litt. Trotzdem musste ich noch eine Weile dort bleiben um die erlösenden Ergebnisse des Röntgenbildes abzuwarten.

Ich wollte gerade in den Warteraum der Notaufnahme dackeln, als mir die Sache mit dem gemarterten Baum und dem infernalischen Singsang wieder einfiel. Deshalb blieb ich einfach auf dem Gang stehen, weit entfernt vom Ort dieses festlichen Grauens.
Der einzige Zeitvertreib, der mir auf die Schnelle einfiel, war alle Vorkehrungen, die ich nach der Ankunft in meinem Heim ergreifen wollte, zu planen. Und zwar in alphabetischer Reihenfolge. Ich fürchtete nichts mehr, als gerade dann daheim anzukommen, wenn die Familie von nebenan mit ihrem Blockflötenkonzert beginnen würde.

Bei T wie Telefonanschluß kappen sah ich wieder auf die Uhr und stelle fest, dass seit dem Ende der Untersuchungen schon eine Menge Zeit vergangen war. Mir kam dann urplötzlich, dass es vielleicht doch keine so besonderst gute Idee gewesen war, im Gang zu warten, denn die medizinische Bestätigung meiner körperlichen Unversehrtheit hätte ich eigentlich längst erhalten haben müssen. So machte ich mich auf die Suche nach dem Arzt, der mich untersucht hatte. Ich suchte eine halbe Stunde und fragte eine Menge Leute, aber niemand konnte mir weiterhelfen.

Keine Sekunde stand ich wieder auf dem Gang vor dem Wartezimmer, da kam der gesuchte Arzt vorbei und wunderte sich über meinen Anblick. Von ihm erfuhr ich dann, dass die Röntgenaufnahmen nichts zeigten und schon seit einer halben Ewigkeit fertig gewesen waren. Da ich nicht im Wartezimmer war, hatte man angenommen, ich sei schon nach Haus gegangen. So verlies ich dann am Nachmittag die Notaufnahme, um zuhause alles nötige für einen geruhsamen Tag vorzubereiten, von Aussicht verhängen bis zuschließen, Tür.

Fast hätte ich den Rest des Tages an der Bushaltestelle vor dem Krankenhaus verbringen müssen, doch in im Rückblick schier unerklärlicher Geistesgegenwart hatte ich meinen Geldbeutel nach dem Unfall vom Beifahrersitz in meine Tasche verlagert. So verfügte ich über genug Bares, um die Busfahrt nach Hause, auf die ich eine ganze Weile warten musste, zu bezahlen.

Die paar Meter von der Bushaltestelle zu meiner Wohnung waren ein regelrechter Spießrutenlauf. Jedes Fenster konnte einem Weihnachtsstern, einem Adventskranz oder irgendeinem anderen festlichen Schmuck Unterschlupf bieten, und praktisch von überall her konnte mich diese besinnliche Musik anfallen. Als ich dann endlich vor dem Eingang meiner Wohnung stand, war ich geradezu erleichtert. Für ungefähre zwei Sekunden, denn dann holte die Realität mich wieder ein.

Mir schwante nämlich plötzlich, dass es mit meiner Geistesgegenwart vielleicht doch nicht ganz so weit hergewesen war. Natürlich hatte ich den Autoschlüssel für den Abschleppdienst im Zündschloss stecken lassen. Und dieser hing unglücklicherweise am selben Schlüsselbund wie meine restlichen Schlüssel, z. B. der für meine Haustür.

Ich hatte absolut keine Lust, wieder ewig auf einen Bus zu warten. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich zu Fuß auf die Suche nach meinem Wohnungsschlüssel zu machen. Zwar versetzte mich schon allein der Gedanke daran in einen leichten Angstzustand, da dieser Weg mich in die Nähe des Weihnachtsmarktes führen würde, aber ich sah keine andere Möglichkeit die Sache hinter mich zu bringen.

Es stand natürlich außer Frage, dass meine ersten Schritte in Richtung Werkstatt von heftigen Windböen und den ersten paar dekorativen Schneeflocken begleitet wurden. Den Weihnachtsmarkt umging ich großräumig. Zwar waren die Buden schon längst geschlossen, doch zwischen ihnen quetschten sich noch die letzen paar gutgelaunten Menschen, die ihre Geschenke kurz vor Ende besorgen mussten, hindurch. Oder, schlimmer noch, es erfolglos versucht hatten.

Der Marsch durch die Innenstadt war auch so schon eine Tortur. Jedes Schaufenster versuchte sich festlicher zu geben als das nächste, und wenn ich nicht Gegenmaßnahmen ergriffen hätte, wären die Straßen dieser Stadt schon um ein paar Lachen reicher geworden. Einige besinnlichen Weihnachtslieder, denen ich auf dieser Strecke chancenlos ausgesetzt war, in Liedchen voller Gewalt und Zerstörung umzudichten, bewahrte mich noch vor dem endgültigen Nervenzusammenbruch.

So kam bei der Werkstatt an, entdeckte meinen Wagen auf dem Parkplatz, aber kein Licht im angrenzenden Gebäude. Ein Blick in den Briefkasten zeigte mir meinen Schlüsselbund, der für meine vor Kälte tauben, tastenden Finger unerreichbar war. Ich machte mich auf die Suche nach einer Telefonzelle. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen hatten die paar weißen Flocken mittlerweile einige Kumpels zur Hilfe geholt Ich irrte durch einen regelrechten Schneesturm.

Der Besitzer der Werkstatt war zu Hause bei seiner Familie, und obwohl er viel lieber weiterhin Glühwein getrunken hätte, machte er sich in einem fast schon selbstlosen Akt weihnachtlicher Güte und Nächstenliebe auf dem Weg zu mir.
Während ich vor Kälte zitterte stieg er mit roten Bäckchen aus seinem geheizten Auto aus, wünschte mir ein frohes Fest und ging zu den Förmlichkeiten über. Nachdem er sich sicher war, dass der Schlüsselbund mir gehörte rückte er ihn gleich heraus und entschuldigte sich dafür, dass er mir nicht getraut hatte. Man müsse in diesen Zeiten ja so vorsichtig sein. Er bot mir dann auch an, mich nach Hause zu fahren, aber ich lehnte dankend ab. Als er einstieg um wegzufahren hörte ich für weitere drei Sekunden den weihnachtlich angehauchten Schlagerkanal, den er über sein Autoradio liefen lies. Mir war so kalt, dass ich für ein paar Sekundenbruchteile in Versuchung geriet, meine Meinung zu ändern.

Wieder auf dem Fußweg zurück bedachte ich denjenigen, der das elektrische Licht erfunden hatte, sowie insbesondere die Person, die auf die glorreiche Idee kam es für Weihnachtsschmuck einzusetzen, mit uralten, unheilvollen und unaussprechlichen Flüchen. Die Dunkelheit hätte so schön sein können, wenn es nicht überall geflackert, geblinkt und geleuchtet hätte.

Und ich fror erbärmlich.

Einige Straßen von meiner Wohnung entfernt hetzte der rachsüchtige Weihnachtsgott schon seinen nächsten Todesengel auf mich. Nicht das ich Michael an irgendeinem anderen Tag des Jahres als Todesengel bezeichnet hätte, aber er war nun einmal einer von denen, die mich im trauten Kreis meiner Familie wähnten.
Meine Tarnversuche, Straßenseite wechseln und Kragen hochschlagen, waren trotz der schneebedingt schlechten Sicht kläglich fehlgeschlagen, und so wurde ich von ihm begrüßt und darüber ausgefragt, wie ich es denn geschafft hätte, meiner Familie zu entkommen. Eine Einladung zu der Feier, die er gerade ansteuerte, folgte sofort.
Einen Moment lang war ich bereit zuzusagen, doch als er die leckeren Weihnachtsplätzchen erwähnte, die es dort mit einem Becher Glühwein zusammen geben würde, kam es mir wieder hoch.

Ich hatte Glück im Unglück, denn zusammen mit der mich umgebenden Alkoholwolke, die so penetrant war, dass man meinte sie müsste den Schnee um mich zum Schmelzen bringen, gewann er diesmal den richtigen falschen Eindruck.

Mittels einiger Beteuerungen, es die paar Schritte bis nach Hause schon zu schaffen, gelang es mir, mich aus seinem stützenden Griff zu befreien. Ich verabschiedete mich. Er wünschte mir freundlich gute Besserung und trotzdem ein frohes Fest. Diesmal konnte ich es unten halten, bis er um die Ecke gebogen war.

Vor meiner Haustür entdeckte ich dann die nächste Katastrophe. Nicht das ich meinen Nachbarn, dem Par mit dem Blockflötenkind, den guten Willen abstreiten will, doch die mit einem Tannezweig und einer kurzen Nachricht versehene Packung Spekulatius auf meiner Fußmatte hatte eine Wirkung, die sich vor einem Schlag unter die Gürtellinie nicht zu verstecken brauchte.

Den Tannezweig lies ich unauffällig ein paar Stockwerke in die Tiefe stürzen, den Rest des Geschenkes nahm ich mit in die Wohnung. An sich ein Frevel, doch extra noch einmal nach unten zu laufen, um den Müll zu entsorgen erschien mir auch übertrieben. Es sollte mir zum Verhängnis werden.

Der Deckel der Mülltonne war kaum zugefallen, da hatte ich mich schon meiner stinkenden Kleider entledigt und mich auf dem Sofa breit gemacht, um die gemütliche Wärme meiner Behausung zu genießen. In diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als dass Irene bei mir wäre. Leider war der nächste Laut den ich vernahm nicht der eines Schlüssels, der sich im Türschloss drehte, sondern der Auftakt des Blockflötenkonzerts, zu dem mir mein Kumpel dünne Wand eine Eintrittskarte geschenkt hatte.

An die Auswahl der Gegenmusik verschwendete ich nicht allzu viele Gedanken. Ich stellte auf dem Weg in die Küche einfach die Stereoanlage an und lies mich überraschen. Diese Entscheidung erweist sich als brillant, und so begleite ich mit meinem Magengrummeln die ersten Töne von Metallicas „The Call of the Cthulluh“.

Weniger brillant oder vielleicht auch nur um einiges böswilliger erwies sich allerdings das Timing jener göttlichen Macht, die es heute auf mich abgesehen hatte, denn zehn Sekunden nachdem ich feststellten musste, dass sämtliche Lebensmittel die sich im Haus befanden weiterer Zubereitung bedurft hätten, fiel der Strom aus.
Nicht einmal Brot konnte ich finden, nicht eine einzige vertrocknete Kante. Alles Essbare, das ich besessen hatte, war im Verlauf des Tages von einem nadelbaumförmigen Geschoss aufgespießt worden. Auch die Lage im Bereich der alkoholischen Getränke sah mau aus, von meinen Kleidern einmal abgesehen.

Doch der Hunger trieb mich zum Äußersten, und so tastete ich nach dem Mülleimer, fischte die Packung mit den Keksen heraus und bewegte mich vorsichtig in Richtung Sofa zurück.
Meine Nachbarn schienen ausreichend Kerzen aufgestellt zu haben, den kaum hatte ich das Sofa erreicht, begann das gequälte Gefiepe von nebenan aufs neue.

Das alles musste ich heute erdulden, und so sitze somit nun im Dunkeln auf meinem Sofa, stocknüchtern, und lausche einer unerträglichen Interpretation von „Ihr Kinderlein, kommet“, die nur von dem Geräusch, das meine Zähne beim zerbeißen der Kekse machen, übertönt wird. Gerade habe ich mich dabei ertappt, wie ich die Melodie leise mitsummte.

Weiterhin beunruhigt mich noch, dass ich die Kekse ohne Probleme vertrage. Wenn ich die Wahl hätte würde ich zwar lieber etwas anderes zu mir nehmen, aber langsam gewöhne ich mich an den Geschmack, so weihnachtlich er auch sein mag. Und als ich mir plötzlich vorzustellen versuche, wie dieser Raum wohl mit einem geschmückten Weihnachtsbaum voller brennender Kerzen aussehne würde, weis ich, dass ich hoffungslos verloren bin.

Am Ende schnappt das Christkind uns alle.

Flieht, solange ihr noch könnt.

[Beitrag editiert von: yann am 23.12.2001 um 16:13]

 

Nachdem ich mich durch den grauenvollen ersten Absatz gequält hatte, wollte ich eigentlich nicht weiterlesen. Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, es doch zu tun.
Wie auch immer:
Der gesamte Stil der Geschichte ist grauenvoll und äußerst schludrig geschrieben, aber inhaltlich wirklich amüsant. Weihnachtsallergie...echt witzige Idee.
Ich rate dir, diese Geschichte schnellstmöglich zu überarbeiten (editieren), damit nicht auch andere gleich abgeschreckt werden. Es wäre schade um die eigentlich recht witzige Geschichte.

Gruß.....Ingrid

 

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