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2c2h5oh+2co2

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29.10.2010
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2c2h5oh+2co2

Ich kann ihnen von dem Abend selbst eigentlich nichts sagen, die eine Hälfte ist unwichtig, die andere Hälfte hab` ich vergessen und konnte sie nur wieder aus dem rekonstruieren, was am nächsten Morgen passierte.
Als ich aufwachte, hatte ich dieses pelzige Gefühl von zu viel Kippen und zu viel Bier im Mund. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mitten im Flur lag, noch, wie ich in meinen Schlafsack gekommen war. Natürlich hatte ich keine Isomatte und der Fliesenboden unter mir war eiskalt. Aber es war nicht die Kälte, die mich geweckt hat, sondern ein schrecklicher Nachdurst, der mich nach einem nächtlichen Besäufnis normalerweise immer früh morgens befällt und aus dem Bett, der Hängematte, dem Schlafsack oder was auch immer treibt, wenn alle anderen noch ihren Rausch ausschlafen können.
Schon während ich wacklig aufstand, schwante mir Übles: trübe Erinnerungen an eine Flasche Tequila überkamen mich und ich ahnte, dass mir vielleicht noch zwanzig Minuten bleiben würden, bevor ein mörderischer Kater mich niederstrecken würde. Es war der reinste Hürdenlauf bis in die Küche. Der Boden war übersät mit leeren oder halbvollen Flaschen und anderen Alkoholleichen, die bald das Pech haben würden aufzuwachen. Und in meinem Zustand war es nicht einfach, auf niemanden zu treten.
Die Küche sah noch verwüsteter aus, wie ich es befürchtet hatte und ich musste wertvolle Zeit damit verschwenden, auf der Suche nach Sprudel hin und her zu schlurfen. Als ich einen Liter Wasser auf Ex runtergeschüttet hatte und mein gröbster Durst gelöscht war, konnte ich endlich zu meiner Konterstrategie übergehen. Ich hatte schon am Vortag den Erste-Hilfe-Kasten zum Geheimlager umfunktioniert und eine Flasche Tabasco, eine Flasche Worcestersauce, einen Salzstreuer, eine Pfeffermühle und sogar ein Sträußchen Sellerie vor der Meute versteckt. Sogar eine Flasche Tomatensaft hatte ich im Kühlschrank hinter dem Bier versteckt, aber irgendeine zugedröhnte Tussi war wohl drüber hergefallen, deshalb wurde es ein reichlich strammer Bloody Mary. Als ich zum ersten Mal nippte hörte ich hinter mir eine von Alk und Kippen malträtierte Stimme krächzen: „Wer macht hier so`n Lärm?“
Es war Andi, der...
Andi? Andi wer?
Andi Gruber, aus Donsbach. Ich hab` ihn erst bei der Feier kennen gelernt. Er hat ständig Heike angebaggert, aber die ist mit ihrem Freund praktisch schon verheiratet. Ich hab` versucht ihm das klar zu machen, aber weil er sich den ganzen Abend über systematisch hat vollaufen lassen, war das ziemlich sinnlos. Aber ich greife vor, denn zu dem Zeitpunkt wusste ich das noch nicht.
Er lag unter dem Küchentisch in einem Berg von Kissen und Schlafsäcken hinter einigen leeren Bierkästen, weswegen ich ihn nicht gesehen hatte. Jetzt hob er mühsam den Kopf und sah aus wie der Tod persönlich.
„Verflucht, Michi! Was machst`n da?“ fragte er und sackte dann wieder kraftlos zusammen. „Frühstücken“ grinste ich. Aber Bloody Mary wirkt nur dann richtig, wenn man gleichzeitig was zwischen die Zähne bekommt. „Hast du `ne Kippe?“ fragte ich darum.
„Nee...“ nuschelte er aus seiner Burg heraus.
„Das gab`s ja noch nie“ meinte ich verblüfft. Andi qualmt wie niemand sonst, den ich kenne. Am Abend vorher hatte ich ihn nie ohne Kippe gesehen.
„Sie waren in der Jacke...“ murmelte er, und seine Stimme klang gedämpfter, als es durch die Decken und Kisten alleine der Fall gewesen wäre. Aber das gehört zu den Überlegungen, die man erst hinterher anstellt.
Ich tat seine Antwort mit einem Achselzucken ab und verließ die Küche um draußen frische Luft zu schnappen. Ich stakste wie ein Storch durch den Salat um niemandem früher als absolut nötig Kopfschmerzen zu bereiten. Als die Tür hinter mir zufiel, atmete ich zum ersten Mal frische Luft und in diesem Moment lief mein Countdown ab und ich musste mich gegen die Wand stützen, als ich einen unkontrollierten Schritt zur Seite wankte. Ich setzte mich auf die Bank, die an der Hauswand rechts von der Tür steht, um meinen Bloody Mary zu trinken und die Drehbewegungen in meinem Kopf unter Kontrolle zu bringen.
Das Feuer am Waldrand glomm noch vor sich hin und der harte Kern der vergangenen Nacht saß noch drum herum. Sie hatten wahrscheinlich durchgemacht und standen allesamt kurz davor, an Nikotin- und Teervergiftung einzugehen. Ganz zu schweigen vom Alkohol.
Ich hatte etwa zehn Minuten dort gesessen, als ich hörte, wie die Tür sich öffnete und jemand sich neben mich setzte. Ich ersparte es meinem Kopf, ihn zu drehen und erkannte Gudrun erst an ihrer Stimme: „Na, gut geschlafen?“ es war genau die Art Ironie, die einem in so einer Situation nur auf den Sender geht.
Bevor sie fragen: Gudrun Grebe aus Wiesdorf. Geht in meine Parallelklasse und sieht leider genauso aus, wie sie heißt.
„Wie ein Toter“ entgegnete ich.
„Hast du `ne Ahnung, wie spät es ist?“
„Zu früh zum Trinken und zu spät zum Kotzen.“
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander, bis Gudrun fragte: „Habt ihr euch noch eingekriegt?“
Ich schaute sie stirnrunzelnd an und meinte nur: „Wovon redest du?“
„Na du und Andi, ihr habt euch gestritten.“
„Wann war`n das?“ ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete.
„So um zwölf, viertel nach oder so. Sag` bloß, du weißt das nich` mehr? Ihr habt euch fast geprügelt!“
„Muss`n Filmriss haben. Worum ging`s?“
„Um Heike.“
„Heike?“ damit hatte ich als letztes gerechnet, normalerweise hatte ich mit der nicht viel zu tun.
„Ihr habt euch gegenseitig wegen eures `Benehmens` angemacht und jeder hat dem anderen vorgeworfen, er wäre ihm in den Rücken gefallen und lauter so Zeug.“
„Soso, dann hab` ich die Ehre einer Jungfrau verteidigt?“ die Vorstellung amüsierte mich einfach.
„Da warst du wohl `n paar Jahre zu spät.“
Ich musste mir ein wahrscheinlich schmerzhaftes Lachen verkneifen und Gudrun ging nach ein paar Minuten wieder nach drinnen. Sie hatte es so eilig, dass ich annahm, sie würde sich ihr Frühstück noch mal durch den Kopf gehen lassen.
Ich hatte meinen Bloody Mary erst zur Hälfte geleert – es war ein wirklich großes Frühstück – stand aber dennoch vorsichtig auf, weil ich mich ein bisschen bewegen musste. Da es kein sonderlich interessantes Ziel zu geben schien, tappte ich auf das Lagerfeuer zu.
Sofie, Johann, Karl und Alex hatten allesamt Glimmstängel in den Fingern, vergaßen aber, auch an ihnen zu ziehen. Sie saßen auf umgedrehten leeren Bierkästen, Eimern und Holzstücken und hielten sich nur gerade so eben noch aufrecht.
„Also doch noch zur Hütte entkommen?“ fragte Karl grinsend und schnitt eine dreckige Grimasse. Er ist einer von den Leuten, die betrunken unausstehlich werden.
Ich muss wohl ein dämliches Gesicht gemacht haben, denn Alex setzte nach: „Er kann sich an nichts mehr erinnern, wahrscheinlich hat Andi ihn ziemlich rangenommen!“ die vier prusteten los und Karl konnte gerade noch einen Würgereflex unterdrücken.
„Du bist gestern Andi in den Wald hinterhergerannt“, erklärte Sofie, „ihr habt wie ein Paar ausgesehen, das sich gerade gefetzt hat.“
Wieder lachten sie dreckig und ich drehte mich entnervt um und schlenderte zur Hütte zurück. Am frühen Morgen nach einer durchzechten Nacht kann ich auf so eine Scheiße wirklich verzichten. Ich hörte nur noch, dass sie sich in die Haare gerieten, ob ich Andi oder er mir hinterhergerannt war.
Mir war das alles ziemlich schnurz und ich war nur froh, als ich wieder auf meine Bank sinken konnte.
Nach einer Weile entschloss ich mich, wieder nach drinnen in den Mief zu wanken, weil ich die ersten Stimmen hörte, und stemmte mich mühsam wieder hoch.
In der Hütte stakste ich in den Hauptraum und räumte einen Stuhl frei, um mich zu setzen. Die ersten setzten sich schon in ihren Schlafsäcken auf und sahen aus verquollenen Augen desorientiert um sich. Die ersten leisen Gespräche ergaben sich, aber ich starrte nur vor mich hin und versuchte verzweifelt, mich zu erinnern, was ich in der letzten Nacht gemacht hatte. Ich kann mich immer noch nur noch daran erinnern, wie Andi mir gegen halb elf eine Flasche Tequila in die Hand drückte. Danach ist absolute Funkstille. Aber mittlerweile hatte ich ja erfahren, dass ich mich um ungefähr viertel nach zwölf mit Andi gestritten hatte und irgendwann waren wir zusammen in den Wald gerannt. Ich kam mir vor wie in einer Raymond Chandler Story.
„Scheiße Mann, wie siehst`n du aus?“
Ich brauchte einen Moment, bis ich aus meinen Grübeleien aufgewacht war und erkannte, dass Schnulli mit mir redete.
Schnulli?
Stefan Stressmann. Er hat den Spitznamen, weil er mit `nem Bier in der Hand wie ein zufriedenes Baby aussieht.
Er lag neben mir auf dem Boden und sah mich aus den Tiefen eines Bundeswehrschlafsacks heraus an.
„Wie soll ich aussehen?“
„Wie nach `ner zünftigen Prügelei.“
Überrascht betastete ich mein Gesicht und bemerkte erst da, dass meine Lippe angeschwollen und aufgeplatzt war und dass ich verschorfte Kratzwunden hatte.
„Was is`n mit dir passiert?“ fragte Schnulli.
„Keine Ahnung“ entgegnete ich verblüfft. „Ich hab `n Filmriss.“
„Mach dir da besser was drauf Mann, “ meinte er, „das sieht ziemlich tief aus.“ Damit drehte er sich zur Seite und dämmerte in wenigen Augenblicken weg.
Ich stand also wieder auf und wankte in die Küche zum Erste Hilfe Kasten und suchte Desinfektionsmittel. Andi war mittlerweile aus seiner Trutzburg verschwunden, aber Gustl – Gustav Obermeier aus Hiesbüttel – saß auf der Arbeitsplatte und schüttete das erste Konterbier hinunter.
Im Spiegel des Erste-Hilfe-Kastens sah ich erst, wie übel ich wirklich zugerichtet war. Gudrun war wohl ziemlich nachsichtig gewesen, dass sie nichts gesagt hatte. Gustl musterte mich von der Seite, während ich die Kratzer mit einem nassen Taschentuch säuberte und hinterher mit zusammengebissenen Zähnen Desinfektionsmittel draufsprühte.
„Also in der Hütte hast du das nicht gekriegt“ sagte er.
„Ich hatte `nen Filmriss und weiß von gar nichts mehr,“ schnauzte ich ihn genervt an, es ging mir langsam auf den Wecker, dass jeder besser über das, was ich letzte Nacht gemacht hatte, Bescheid zu wissen schien als ich.
„Na, du hattest Zoff mit Andi.“
„Wann denn nun schon wieder?“
„So um elf. Aber ich weiß nicht um was es ging, in der Hütte war es zu laut. Scheiß No Angels...“
Gustl machte nicht den Eindruck, noch mehr zu wissen, also schnappte ich mir auch ein Bier und ging wieder. Ich war nun wirklich neugierig auf letzte Nacht geworden. Es war zwar nicht der erste Filmriss meines Lebens und sicher nicht der längste, aber der erste, in dem ich mich geprügelt hatte. Außerdem musste ich Andi gehörig den Kopf waschen, falls er Scheiße gebaut und mich vermöbelt hatte.
Gudrun hatte erzählt, dass ich mich um etwa viertel nach zwölf mit Andi über Heike gestritten habe. Also war die Person, die wahrscheinlich am besten wusste, wer Mist gemacht hatte, Heike Amman. Ich wusste, dass sie nicht in der Hütte geschlafen, sondern mit Thorsten in einem Zelt übernachtet hatte. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo sie es aufgeschlagen hatten, aber da es das einzige Zelt auf der ganzen Feier war, würde es sicher nicht schwer zu finden sein.
Ich öffnete die Bierflasche mit irgendeinem Feuerzeug, das auf einem der Tische im Hauptraum herumlag und ging wieder nach draußen. Langsam fing ich wieder an, mich wie ein richtiger Mensch zu fühlen. Die Gestalten um das Lagefeuer schienen sich keinen Zentimeter bewegt zu haben. Von hier aus konnte ich kein Zelt entdecken, also umrundete ich die Hütte langsam. Die frische Luft und das unglücklicherweise nur leidlich kalte Bier taten mir gut und ich wurde immer klarer im Kopf.
Das Zelt war auf der rückwärtigen Seite der Hütte aufgeschlagen worden, neben dem Parkplatz.
Ich kam mir irgendwie blöd vor, da jetzt reinzustürmen, schließlich wusste ich ja nicht, ob die beiden schon wach waren, oder was sie gerade tun könnten. Also tigerte ich eine Weile ziellos zwischen den geparkten Autos hin und her und gab mir Mühe, nicht auf halb im Matsch versunkenen Flaschen auszurutschen. Ich war ziemlich überrascht, hier plötzlich eine Stimme zu hören, auch wenn sie eher klang wie eine rostige Kreissäge.
„Oooooh Gooootttttt.....“ ächzte jemand und es war klar, dass es demjenigen um einiges schlechter ging als mir vor noch einer halben Stunde. Die halboffene Beifahrertür eines Opel Vectra wurde vollends aufgestoßen und der Oberkörper einer Leiche sackte kraftlos heraus.
„Scheiße, Frank“ meinte ich, „was säufst du auch so?“
„Was soll ich machen?“ jammerte er, „Es is` ihre Schuld, warum vögelt sie auch mit so einem Arschloch?“
Frank Ernbrecht, er hat seine Freundin mit einem anderen quasi in flagranti erwischt und seitdem lässt er sich völlig gehen.
„Gottverdammt, Mann. Das is` schon drei Monate her“ herrschte ich ihn an und hievte ihn in den Sitz zurück. „Wo ist der Autoschlüssel?“
Frank hatte die Augen halb geschlossen und kämpfte mit seinem Brechreiz, wusste aber noch, dass der Schlüssel immer noch im Türschloss steckte. Ich sperrte damit den Kofferraum auf, weil ich wusste, dass Frank nie ohne einen Kasten Sprudel zu einem Besäufnis fährt. Ich nahm eine Flasche, fummelte aus einem vor Unrat starrenden Handschuhfach eine Schachtel Aspirin heraus und zwang Frank, eine Tablette zu schlucken und die komplette Flasche hinterher zu schütten. Danach setzte ich mich neben ihn in den Fahrersitz und wartete, bis die Tablette wirkte. Es waren schließlich schon Leute am eigenen Erbrochenen erstickt.
Irgendwann schlug Frank die Augen wieder auf und kicherte leise. „Was ist los, du Verrückter?“ fragte ich, beruhigt, dass er wieder auf dem Damm zu sein schien. Mehr oder weniger zumindest.
„Ich bin vielleicht verrückt, aber du bist ein Schläger“ grinste er.
„Wieso?“
„Na du hast dich doch mit Thorsten geprügelt.“
„Wann?“ Schon wieder jemand, der mehr wusste als ich.
„So um viertel vor zwölf. Zu mir Verrückter sagen aber selbst `n Filmriss haben...“
„Worum ging`s denn?“
„Woher soll ich das wissen? Erinner du dich mit `ner Flasche Jacky im Kopf mal an Einzelheiten!“
„Ist Thorsten auf mich losgegangen?“
„Glaub` schon.“
„Ist der Papst auf mich losgegangen?“
„Kann schon sein. Verdammt, lass mich in Ruhe sterben!“
Grinsend verließ ich Frank, aber innerlich kochte ich vor Wut. Wenn ich eins und eins zusammenzählte, dann hatte ich laut Gudrun um viertel nach zwölf einen Streit mit Andi, weil ich ihn von Heike fernhalten wollte und laut Gustl hatte ich auch um elf Zoff mit ihm und jetzt kam Frank mit dieser Story, die zeitlich genau dazwischen lag.
Um elf muss Andi sich völlig knülle an Heike rangemacht haben und ich hab` ihn weggezerrt, dass war das, was Gustl gesehen hatte. Frank sah, wie ich mich um viertel vor zwölf mit Thorsten geprügelt habe, und weil der Heikes Freund ist, kann`s nur so gewesen sein, dass er eigentlich auf Andi los ging und ich dazwischen geriet. Und um viertel nach zwölf hatte ich wieder einen Streit mit Andi, in dem ich ihn zur Rede stellen wollte.
Das würde heißen, dass Thorsten mich so zugerichtet hatte. Der blöde Pisser konnte auch nicht viel nüchterner als Andi gewesen sein.
Das ging mir alles durch den Kopf, während ich auf das Zelt von Heike und Thorsten zustürmte. „Seid ihr wach?“ schnauzte ich schon aus einiger Entfernung. „Thorsten, wir müssen reden.“
Es kam keine Antwort, nicht mal eine Bewegung war drinnen zu hören und sauer wie ich war, öffnete ich kurzerhand den Reißverschluss des Zelteingangs und steckte den Kopf hinein.
Drinnen war überhaupt niemand. Und nicht nur das, es schien so, als wäre nie jemand drin gewesen. Zwei Schlafsäcke lagen säuberlich zusammengerollt und verpackt an den Seiten, neben ihnen ein paar penibel zusammengefaltete Decken.
Verblüfft hockte ich vor dem Zelt und fragte mich, wo die beiden wohl sein mochten. Kein Mensch würde bei der Kälte irgendwo ohne Schlafsack übernachten und auch zu zweit war es unter freiem Himmel noch verflucht kalt.
„Du bist gestern Andi in den Wald hinterhergerannt.“
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fiel mir der Satz Sofies wieder ein. Und ich dämlicher Esel hatte völlig vergessen, zu fragen, wann das gewesen war! Ich sprang auf und spritzte dabei den Rest Bier über das Zelt und an die Hauswand. Die Flasche ließ ich achtlos fallen und rannte über das nasse Gras schlitternd wieder um die Hütte herum auf das Lagerfeuer zu.
Die vier saßen noch immer bewegungslos herum und ließen sich von ihren Kippen die Fingerspitzen ansengen. „Wann bin ich Andi in den Wald hinterhergerannt?“ rief ich mit rasselndem Atem, erntete aber nur verblüffte und ratlose Blicke. „Wann sind wir in den Wald gerannt?“ herrschte ich sie an.
„So um viertel nach zwölf“ meinte Sofie tranig. „Du bist vielleicht `ne halbe Stunde später gekommen.“
„Neee“, machte Alex, „Michi war der erste und Andi ist ihm...“ Aber ich habe den Rest des Satzes schon nicht mehr gehört, ich war schon auf dem Weg in den Wald.
Wenn man nach einer durchzechten Nacht einen Dauerlauf macht, schlägt einem das Herz bis zum Hals und es wird einem leicht schwarz vor Augen, weil der Kreislauf die Doppelbelastung – Kater und Frühsport - einfach nicht verkraftet. Ich bin trotzdem irgendwie zum Wald gekommen ohne umzukippen oder zu kotzen.
Ich wusste eigentlich nicht genau, was ich suchte, als ich minutenlang durch das Halbdunkel stolperte, aber irgendwie führten meine Schritte mich automatisch zum Weiher. Es ist ein kleiner Teich im Wald, nicht sehr tief, aber so trübe, dass man eigentlich nie bis zum Grund sehen kann.
Ich stand dort bestimmt fünf Minuten und starrte auf die Schleifspuren und das aufgeweichte Päckchen Zigaretten.
Das in der Jacke gewesen war?
Ja. Pall Mall. Das rauchen nicht viele Leute. Könnt ich wohl `ne Kippe kriegen?
Natürlich.
Danke.
Ich weiß eigentlich nicht genau, wieso, aber ich bin den Spuren nachgegangen. Sie waren in dem ganzen Laub und den Fichtennadeln ja auch mehr als deutlich. Sie führten zum Waldrand zurück und endeten neben einem alten Baumstumpf in einer Masse anderer Spuren. Ich bin kein Fährtenleser oder so, aber es war ziemlich klar, dass....
Lassen sie sich Zeit.
...dass es hier so eine Art Kampf gegeben haben musste. Ich bin völlig kopflos davon gestolpert... aber nicht zum Waldrand sondern in die andere Richtung. Ich ging noch tiefer in den Wald hinein, bis ich durch irgendein Gebüsch brach und schließlich über etwas stolperte und hinfiel... Es war eine Art Hügel. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Wie verrückt fing ich an zu graben, ich hab` mir die ganzen Hände verschrammt. Aber schließlich ...hab` ich seine Jacke zu fassen gekriegt und Thorsten herausgezogen. Ich hab` ihn nur an den Kleidern erkannt, sein Gesicht war nur noch...
Und dann sind sie zurück zur Hütte gerannt und haben die Polizei gerufen?
M-hm.

Der Polizeibeamte drückte auf die Stop-Taste des Aufnahmegerätes, das zwischen ihnen auf dem schmucklosen Tisch in dem schmucklosen Verhörzimmer des Polizeireviers stand. Michael nahm zum ersten Mal seit Beginn seiner Erzählung den Pappbecher mit dem mittlerweile kalten Kaffee und trank hastig. Dann zündete er sich mit fahrigen Bewegungen eine weitere Zigarette an und inhalierte tief.
„Ich dachte immer nur den einen Satz: Andi, was hast du getan?“ sagte er, nur um die Stille zu vertreiben. „Es erscheint mir alles so unwirklich. Es ist mir klar, dass ich Andi geholfen haben muss, Heikes Leiche in seine Jacke zu wickeln und im Teich zu versenken. Ich muss Andi in den Wald gefolgt sein, und ihn bei was auch immer er gerade tat, erwischt haben. Und dann war ich zu betrunken um das Richtige zu tun und wir haben gemeinsam Heikes Leiche versenkt und Thorsten irgendwo verscharrt...“ Er verstummte und massierte sich nervös die Schläfen.
Eine Tür ging hinter Michael auf, aber er drehte sich nicht um. „Der Bericht ist da, Kurt“ sagte ein anderer Beamter und eine Hand schob sich in Michaels Blickfeld um eine hellbraune Mappe auf den Tisch zu legen und sich dann wieder zurückzuziehen. Der Mann, der Michael verhört hatte schlug die Mappe auf und fing an zu lesen. Minuten vergingen und die Falten auf seiner Stirn wurden immer tiefer. Michael rauchte fünf Zigaretten, bis der Beamte mit dem Studium des Berichts fertig war und die Mappe wieder auf den Tisch legte. Er strich sich das schüttere Haar glatt und sah Michael einige Sekunden lang zweifelnd an. „Und sie erinnern sich an nichts, Herr Gerstmann?“
„Das sagte ich doch schon. Seit Andi mir die Flasche gab, weiß ich nichts mehr bis zu dem Zeitpunkt, mit dem meine Aussage beginnt.“
Wieder herrschte einige Sekunden lang Stille. Michael fragte sich, ob der Polizist ihn zermürben wollte, aber nach dem heutigen Morgen kam er da reichlich zu spät. Außerdem: was hätte er für einen Grund gehabt?
„Ich habe hier den vorläufigen Autopsiebericht von Heike Amman“, sagte er und tippte mit dem Finger auf die Mappe vor sich. „Demnach wurde sie vor ihrem Tod vergewaltigt.“
Michael sog heftig an seiner sechsten Zigarette.
„Außerdem wurden unter drei Fingern ihrer rechten und vier Fingern ihrer linken Hand Hautpartikel gefunden.“
Michael starrte in Gedanken versunken vor sich hin und bemerkte erst nach einer Weile das anhaltende Schweigen des Beamten. Seine Hand schoss zu seinem Gesicht und tastete über seine Wangen: vier Striemen auf der rechten Seite und drei auf der linken.
Vor seinen Augen drehte sich das Verhörzimmer und die herunterfallende Asche seiner Zigarette verbrannte ihm die Handfläche ohne dass er es bemerkt hätte. Er hörte die Stimme des Polizisten nur noch wie aus weiter Ferne.
„Außerdem wurde Wasser in ihrer Lunge entdeckt. Sie lebte noch, als man sie in die Jacke gewickelt und versenkt hat.“
Michael beugte sich zur Seite und kotzte sich die Seele aus dem Leib.

 

Das hier ist aber doch ein Forum, in dem es darum geht, an seinen Texten zu arbeiten! Schreiben, kommentieren, verbessern, klasse Schriftsteller werden!

Ich empfehle erstmal, an Rechtschreibung und Zeichensetzung zu arbeiten. Man sollte schon gucken, was man seinen Lesern anbietet.

 

Hallo Kata Strophe,

mehrere Dinge haben mir an diesem Text gefallen: die Art, wie die Personen auftauchen und der Erzähler ihre Eigenarten mit wenigen Worten charakterisiert, als würde einem ein Ratgeber zuraunen, mit wem man es gerade zu tun hat, etwa:

„Scheiße, Frank“ meinte ich, „was säufst du auch so?“
„Was soll ich machen?“ jammerte er, „Es is` ihre Schuld, warum vögelt sie auch mit so einem Arschloch?“
Frank Ernbrecht, er hat seine Freundin mit einem anderen quasi in flagranti erwischt und seitdem lässt er sich völlig gehen.
„Gottverdammt, Mann. Das is` schon drei Monate her“ herrschte ich ihn an und hievte ihn in den Sitz zurück.

Auch die Bewegung des Erzählers im ersten Teil: wie er mit diesem grausamen Kater aufwacht, herumgeht, Dinge benutzt und versucht, herauszufinden, was denn nun passiert ist. Zu meiner Schande muss ich zugeben, in dieser Vielfalt von Namen und Umständen nicht genau mitbekommen zu haben, warum und wie Andi Heike ermordet hat und warum (um Gottes Willen) Michael ihm dabei geholfen hat.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Vielen Dank für die Blumen :-)

Ich muss im Nachhinein allerdings sagen (wie gesagt, ist recht alt), dass ich speziell den Anfang schon ziemlich maniriert finde: Stilistisch sicher aber hemmungslos überdreht.

 

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