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3. Stock, rechte Wohnung

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17.06.2008
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3. Stock, rechte Wohnung

3.Stock, rechte Wohnung

Dienstag, 15. August

Endlich, endlich, ENDLICH!
Nach monatelangem Suchen, nach ungezählten Besichtigungen und Absagen habe ich nun endlich eine Wohnung gefunden, in die ich mich sofort verliebt habe. Ich bin so aufgeregt!
Heute habe ich mich mit dem Wohnungsbesitzer, einem sehr elegant gekleideten Herrn in den Fünfzigern namens Kanzler und einer adretten Dame von der Hausverwaltung direkt an dem Mehrfamilienhaus getroffen, um die Wohnung zu besichtigen.

Es handelt sich um ein Haus mit insgesamt sechs Wohnungen, verteilt auf drei Stockwerke. In jedem dieser Stockwerke befinden sich also zwei Einheiten, jeweils eine rechts und links des Treppenaufgangs.
Ich werde ganz oben wohnen. Während wir die drei Stockwerke hochgingen (es gibt keinen Fahrstuhl – aber hey, ein bisschen Bewegung hat noch niemandem geschadet) fragte mich Kanzler ein wenig aus und ich antwortete der Wahrheit entsprechend. Ja, ich stehe in Lohn und Brot, wie er es ausdrückte. Nein, es macht mir nichts aus, Ihnen zu sagen, dass ich Frank Behrends heiße, als freischaffender Journalist meistens für Frauenmagazine arbeite, 36 Jahre alt und aktuell Single bin. Nein, ich glaube nicht, dass Sie schon etwas von mir gelesen haben, es sei denn, Sie möchten mit der Kartoffeldiät 48 Pfund abnehmen. Ja, ich habe ein Haustier, einen friedlichen, leider viel zu schweigsamen Papagei namens Jerry, aber der wird sicher keinen Nachbarn stören, versprochen.

Manchmal warf Frau Klein, die Dame von der Hausverwaltung, Kanzler Blicke zu, die ich nicht zu deuten wusste. Ich arbeite zwar für Frauenmagazine, jedoch hat mich dies der Entschlüsselung der Weiblichkeit keinen Schritt näher gebracht. Im Gegenteil, geben mir die Auftraggeberinnen für diverse Artikel doch fast im Tagesrhythmus immer wieder neue Rätsel auf.
Ich versuchte, so viel wie möglich in mich aufzunehmen, während wir die Treppen hinaufstiegen. Die Wände sind in schlichtem Weiß gehalten, ab und zu durch einen geschmackvollen Kunstdruck aufgelockert. Sehr sauber und ordentlich, wirklich ansprechend.

Im obersten Stockwerk angekommen, schloss Frau Klein dann die Tür zu meinem neuen Reich auf: erstmal ein kleiner Flur, von dem vier Türen abzweigen. Die erste Tür führt in das recht geräumige Schlafzimmer (in das ich auf jeden Fall ein Doppelbett stellen werde, ich gebe die Hoffnung ja nicht auf), dann eine Tür in ein Kinderzimmer (es gilt dasselbe wie für das Schlafzimmer – die Hoffnung wird nicht aufgegeben) eine in das Bad, welches laut Klein erst vorigen Monat saniert wurde, und schließlich eine Tür in das Wohnzimmer.

Und als ich diesen Raum betrat, wusste ich, dass ich hier einziehen wollte. Licht durchflutete den Raum, zum einen durch die seitlichen Fenster, zum anderen durch die Glasfront, in der auch eine Tür zum Balkon eingelassen ist und die sich gegenüber der Tür zum Flur befindet.
Eine Treppe läuft an der Innenwand des Wohnzimmers hinauf zu einer Art Galerie, wo ich meine Bücherwand heute schon stehen sehe, denn es ist der perfekte Platz für meine Sammlung. Eine weitere Tür verzweigt oben noch mal in einen Raum den man als Büro benutzen kann, und der sich direkt unter dem Dach befindet. Abgerundet wird dies durch ein kleines Gäste-WC mit Dusche. Und schlussendlich gibt es natürlich noch eine Küche, die man vom Wohnzimmer aus erreicht und für mich als Single und meisterhaften Zubereiter sämtlicher käuflich zu erwerbender Fertiggerichte völlig ausreichend ist.

Kurz gesagt: Ich wollte diese Wohnung!

Äußerlich ganz ruhig, innerlich Purzelbäume schlagend, wandte ich mich nach dem Rundgang an meine Begleiter, um noch einige Details zu klären. 800,- Euro Miete warm, drei Monatsmieten Kaution, direkt bewohnbar. Mehr um die Konversation am laufen zu halten, und zu zeigen, dass ich ein netter Kerl bin, fragte ich, warum die Vormieter denn ausgezogen seien, und bekam zur Antwort, dass diese sich vergrößern wollten, da das zweite Kind unterwegs sei. Wir plauderten noch ein wenig und ich erfuhr, dass es im Keller des Hauses noch einen gemeinsamen Waschraum, einen Raum für die Unterbringung von Fahrrädern sowie für jede Wohnung einen etwa 20 Quadratmeter großen Abstellraum gibt. Perfekt! Ich wollte diese Wohnung immer mehr! Ich sah mich schon auf einem Liegestuhl auf dem Balkon, ein Buch lesend und ein Radler trinkend, während mir die Sonne mächtig einheizt.
Dann fragte Kanzler mich, ob ich mir denn vorstellen könne, hier zu wohnen und da wusste ich, dass meine eingangs erwähnte Sucherei nun ein Ende gefunden hatte. Die Wohnung ist toll, die Miete ist angemessen und ich will einfach weg aus dem lauten Plattenbau, in dem ich jetzt wohne, weg von dem ganzen Lärm, dem Dreck und der überbordenden Kriminalität in der Großstadt, genau hier hin, eine halbe Stunde von Frankfurt entfernt auf dem Lande. Einfach zu erreichen, abgelegen und doch relativ zentral, ruhig und freundlich.
Ich sagte sofort zu, und Kanzler und ich schlugen ein, während die blonde Frau Klein neben uns stand und unsere Abmachung mit einem kühlen Lächeln quittierte.

Und noch mal : Endlich! Ab dem ersten September werde ich in einer neuen Wohnung leben. Ich glaube, heute Abend werde ich mich betrinken!


Sonntag, 27. August

Nicht viel Zeit zum Schreiben. Ich bin im Stress!
Die letzten zwei Wochen waren geprägt von Umzugsvorbereitungen und Renovierungsmaßnahmen rund um meine neue Wohnung. Zusätzlich hatte ich vor zwei Tagen Abgabetermin für meinen Artikel über Frauen, die dem JoJo – Effekt entgangen sind, indem sie Yoga – Übungen und autogenes Training machten. Der Artikel kam quasi mit dem letzten Glockenschlag in der Redaktion an.

Mittlerweile bin ich ziemlich weit fortgeschritten mit den Renovierungen. Das Schlafzimmer habe ich in einem hellen Grün gestrichen (Stichwort Hoffnung) das Kinderzimmer weiß belassen. Das Wohnzimmer habe ich mit roten Streifen aufgepeppt, und mich damit selbst übertroffen, denke ich. Der Kontrast aus dem Weiß und dem kräftigen Karmesinrot gibt echt was her. Oben im Büro habe ich den Teppichboden durch Laminat ersetzt und den Wänden ein helles zitronengelb spendiert. Das war dann aber auch fast alles, die Kleinigkeiten kann ich erledigen, wenn ich eingezogen bin.

Habe schon ein paar Hausbewohner getroffen und mich vorgestellt. Die Wohnung unter mir bewohnt eine ältere Dame, allein stehend. Ihr gegenüber, so sagte sie mir, wohnt eine junge Dame Anfang zwanzig, die man nur sehr selten sieht, da sie oft abends und nachts arbeitet. Unten im Erdgeschoß wohnt ein pensionierter Lehrer mit seiner Frau. Von ihm weiß ich schon so ziemlich alles, denn er ist ziemlich mitteilungsbedürftig. Seine Frau scheint eher zurückhaltend zu sein und nickt nur wenn sie mich sieht. In der anderen Wohnung unten lebt ein Rechtsanwalt, spezialisiert auf Arbeitsrecht. Meine direkten Wohnungsnachbarn habe ich noch nicht kennen gelernt, aber dass wird sich ja wahrscheinlich bald ändern.

Vieles von den Einrichtungsgegenständen, die ich bisher schon mit hierher genommen habe, parke ich erstmal unten in meinem Kellerraum. Die einzelnen Abstellkammern sind abgetrennt durch ein vom Boden bis zur Decke reichendes festes Metallgitter. Als ich das erste Mal verschiedene Dinge in meinen Kellerraum verfrachtet habe, fiel mir auf, dass meine Nachbarn ihren Raum komplett mit schwarzen Decken abgehängt haben, so dass man keinen Blick in ihren Raum werfen kann. Man scheint hier viel Wert auf seine Privatsphäre zu legen, aber das soll mir nur recht sein.
So, nun muss ich aber weitermachen, denn ich will fertig werden!


Samstag, 02. September

So, die erste Nacht in meinem neuen Domizil habe ich hinter mir. Der Umzug hat wirklich gut geklappt, die Transportfirma war sehr zuverlässig und vorsichtig mit den ganzen Möbeln. Teilweise haben mir die armen Kerle schon ziemlich Leid getan, weil ja alles in den dritten Stock gebracht werden musste, aber die Packer haben das sehr routiniert und ruhig erledigt. Gestern Abend habe ich dann noch den Schlafzimmerschrank (was alleine echt eine Mordsplackerei ist) und zwei Wohnzimmerregale aufgebaut. Dann habe ich Jerry gefüttert, der sich scheinbar schon ein wenig eingelebt hat, er verhält sich zumindest genau so wie immer.

Später bin ich halb bewusstlos vor Erschöpfung in mein Bett gefallen. Gegen halb zwölf wachte ich auf, und nach einer kurzen Phase, in der ich orientierungslos dalag und mich zu erinnern versuchte, wo zum Teufel ich eigentlich gerade war, erkannte ich auch den Grund weswegen ich aus dem Reich der Träume gerissen worden war.
Aus der Wohnung meiner Nachbarn (die ich immer noch nicht kennen gelernt habe) drang Musik. Anscheinend ist es hier doch recht hellhörig, denn ich erkannte einen monotonen Singsang, auch wenn ich keine Worte verstehen konnte. Untermalt wurde der Gesang, der scheinbar aus mehreren männlichen Kehlen zu stammte, von Trommeln, die sich wie Bongos anhörten und sehr treibend wirkten. Sie ließen mich an Fieberträume und schwüle Nächte denken. Der Gesang schien jedoch in keinem erkennbaren Rhythmus mit den Trommeln zu verschwimmen, vielmehr wirkte es, als legten die Sänger es darauf an, zu jeder Zeit konsequent neben dem Takt zu liegen.

Kurz: Meine Nachbarn haben einen phänomenal beschissenen Musikgeschmack.

Eine Minute erwog ich, herüber zu gehen und mich über die Lautstärke zu beschweren, jedoch verwarf ich den Gedanken gleich wieder. Erstens wäre das ja wohl ein ziemlich schlechter Einstand als Nachbar gewesen und zweitens ist es doch Wochenende, wahrscheinlich waren dort junge Menschen am Feiern. Ich hatte mir für heute sowieso nur vorgenommen, den Balkon zu bepflanzen. Damit werde ich wohl jetzt gleich mal anfangen.


Montag, 04. September

Ich habe heute meine Nachbarn (die Claasens, wie ich dem Namensschild auf der Klingel entnommen habe) gesehen und mir läuft jetzt noch ein kalter Schauder über den Rücken wenn ich nur daran denke. Es war schon weit fortgeschrittener Abend, als ich Schritte mehrerer Personen im Treppenhaus vernahm, die sich dem dritten Stock näherten. Ich beendete meine Recherchearbeiten am Laptop über Bungee - springende Rentnerinnen und eilte in den Flur. Meine Haustür verfügt über einen Spion, und so beugte ich mich vor, um die Ankunft meiner Nachbarn zu beobachten und mich trotz der fortgeschrittenen Stunde vorzustellen. Die eine Hand auf der Türklinke, die andere mit einem Geschenkkorb voller Fressalien bewaffnet, den ich neben der Tür geparkt hatte, schaute ich durch die Linse in den Flur auf die gegenüberliegende Wohnungstür. Im Kopf ging ich verschiedene Begrüßungsformeln durch, auf der Suche nach einer nicht peinlichen Möglichkeit, mich vorzustellen. Die Perspektive wurde durch den Türspion seltsam verzerrt, etwa so, als würde man durch das falsche Ende eines Fernglases schauen. Die etwa vier Meter voneinander entfernten Wohnungstüren schienen einen längeren Sprint über den gekachelten Flur auseinander zu liegen. Das Sichtfeld ist auf wenig mehr als den gegenüberliegenden Eingangsbereich begrenzt, und langsam sah ich dann ein junges Pärchen, schätzungsweise Ende zwanzig, die letzte Treppenstufe erklimmen. So spät am Abend wird der Flur nur durch eine grüne Notausgangsleuchte erhellt, wenn man nicht gleich unten an der Eingangstür den Lichtschalter für den Flur betätigt, der auf jeder Etage ein kaltes weißes Licht erstrahlen lässt. Doch darauf haben meine Nachbarn verzichtet, und so fiel es mir schwer, bei dem bisschen konfusen grünen Licht und der Perspektivverzerrung durch den Türspion Einzelheiten zu erkennen.
Beide waren komplett in schwarz gekleidet, sie trugen schwere Ledermäntel und Stiefel. Auch die langen Haarmähnen waren schwarz und absorbierten den diffusen Grünschimmer der Notleuchte völlig. Auch schienen beide sehr blass zu sein, aber das konnte natürlich auch von den schlechten Lichtverhältnissen und den weißen Flurwänden herrühren.

Gerade, als ich sanft die Tür öffnen wollte, um die beiden nicht zu erschrecken, sah ich, wie der Mann sich in Richtung Treppe umdrehte und an einer Art Seil zog, dessen eines Ende er in der Hand hielt. Daraufhin vernahm ich ein zwar durch meine Wohnungstür gedämpftes, jedoch trotzdem deutlich zu vernehmendes Grunzen des Widerwillens, einen animalischen Laut, und ich merkte, wie sich jedes einzelne Härchen an meinem Körper aufstellte. Die Quelle des Geräuschs konnte ich nicht ausmachen, sie musste sich noch auf dem von mir nicht einsehbaren Teil der Treppe befinden. Mein Nachbar wickelte ein Stück Leine um seine Hand und zog fester und wieder hörte ich dieses Grunzen, vermischt diesmal mit einer Art heiserem Schrei. Ich fühlte mich unwohl, und das nicht nur, weil ich meine Nachbarn wie ein Voyeur beobachtete, und mir ein wenig schäbig vorkam. Nein, vielmehr hatte ich solche Laute noch nie zuvor gehört und konnte sie nicht einordnen, und das jagte mir einen gehörigen Schrecken durch meine Nervenbahnen. Ich schrieb weiter oben zwar etwas von animalisch, aber das trifft es nicht. Diese Laute hatten weder etwas Menschliches noch etwas Tierisches an sich. Trotz allem konnte ich mein Auge nicht von dieser seltsamen Szenerie abwenden, eine Art morbider Faszination hielt mich wie am Türspion festgeklebt. Der Winkel, wie die Hundeleine, oder was auch immer mein Nachbar hielt, von seiner Hand abstand, ließ mich darauf schließen, dass es sich bei dem Wesen am anderen Ende der Leine um etwas größeres handeln musste als einen Hund.

Trotzdem fiel mir buchstäblich der Fresskorb aus der Hand, der seinen Inhalt über den ganzen Flur verteilte, als ich sah, dass das Ende des Seils um den Hals eines ausgewachsenen Mannes gebunden war, der mit steifen Knien die letzte Treppenstufe erklomm. Der Mann blieb torkelnd stehen, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Er trug eine Stoffhose, soweit ich das erkennen konnte, und ein schmutziges Hemd. Außerdem trug er nur einen Schuh. Dann fiel mir sein Kopf auf, sein Gesicht war von mir abgewendet, so dass ich seinen Hinterkopf in Augenschein nehmen konnte. Dieser war komplett mit schwärenden Wunden übersät, einzelne Haarbüschel ragten aus der Kopfhaut wie verlorene Grasbüschel in einer vertrockneten Wüste. Ekel überkam mich. Ich war mir sicher zu sehen, wie aus einer Wunde etwas Glibberiges wie Gelee hinauslief und sich im Hemdkragen verfing. Dann drehte der Mann den Kopf, und ich sah sein Gesicht zwar nur im Profil, konnte mich aber schon davon überzeugen, dass seine Wunden sich nicht nur auf den Hinterkopf beschränkten. Er stieß die Nase in die Luft, so als würde er etwas wittern. Deutlich hörte ich ihn Luft einsaugen, wie als versuche er einen Geruch herauszufiltern, und langsam drehte er sein Gesicht in meine Richtung, was meinen Abscheu nochmals deutlich steigerte. Dann stieß er ein Geheul aus, und ich fühlte mich, als sei ich völlig unvorbereitet in eine Badewanne voller eiskalten Wassers gesprungen. Die Augen des Mannes waren komplett weiß, es war keine Iris zu erkennen, ebenfalls keine Pupillen. Und dann lief er auf meine Tür zu. Meine Nachbarin war derweil beschäftigt, in ihrer tiefen Handtasche den Haustürschlüssel zu suchen, und ihr Mann half ihr dabei, wodurch er seinen Freund an der Leine einen Moment außer Acht ließ. Und so stolperte der weißäugige, von schorfigen Blessuren übersäte Freak über den kurzen Flur auf mich zu, Grunzlaute ausstoßend, die ich keinen menschlichen Stimmbändern zugetraut hätte. Mein Nachbar merkte, kurz bevor das Ekel mit steifen Beinen an meiner Haustür war, eine Bewegung an der Hundeleine und riss ihn zurück, was den Freak dazu brachte, ein enttäuschtes, Zehennägel aufrollendes Geheul anzustimmen, das zuviel für mich war. Das letzte Bild, welches sich auf meine Netzhaut brannte, bevor ich rücklings vom Türspion torkelte, war dieses Etwas, wie es mit weißen Augen und ausgestreckten Armen versuchte, mich durch die geschlossene Tür zu erreichen.


Dienstag, 05. September

Nach einer unruhigen Nacht, die ich mehr wach und über Handlungsmöglichkeiten grübelnd als schlafend verbrachte, stand ich heute morgen auf, ohne einer Lösung näher gekommen zu sein.
Sollte ich die Polizei anrufen? Was hatte ich schon zu melden? Ich habe meine Nachbarn dabei beobachtet, wie sie einen ausgewachsenen Mann Gassi geführt haben. Einen Mann, der mir mit seinem Aussehen und Verhalten eine Scheißangst einjagte, so dass ich die ganze Nacht die Nachttischlampe angeschaltet ließ. Aber sollte ich deswegen die Polizei rufen? Ich wurde ja nicht angegriffen, und ich wurde nicht bedroht. Ich fütterte Jerry, während ich versuchte, abzuwägen was das Beste wäre, und entschied mich dann dazu, meinen Vermieter anzurufen um ihn ein wenig über meine Nachbarn auszufragen. Als Aufhänger würde ich die, übrigens auch heute Nacht wieder, Ruhestörungen nennen und darauf hoffen, dass er mir eine logische und wenig Angst einflössende Erklärung für das Schauspiel von gestern Abend liefern konnte. Leider konnte ich ihn nicht erreichen. Auch Klein, die Dame von der Hausverwaltung, konnte ich nicht erreichen, und so hinterließ ich eine Rückrufbitte.

Während ich ein wenig saubermachte, hörte ich die Haustür gegenüber ins Schloss fallen. Ich ging an den Türspion und verfolgte, wie meine Nachbarn und der, wenn das möglich war, noch zerrupfter als gestern aussehende Fremde, sich zur Treppe wandten, um hinunterzugehen. Durch das Oberlicht fiel die Sonne in den Flur, und ich konnte nun ein bisschen mehr als gestern Nacht erkennen, auch wenn ich gerne darauf verzichtet hätte. Das Etwas sah bei Tageslicht noch viel schlimmer aus. Jeder Zentimeter Haut, den ich sehen konnte, wurde von nässenden Wunden bedeckt, auch war sein Teint eine fahle Blässe, wie ich sie kaum zuvor gesehen hatte. Außer bei Toten, ging mir durch den Kopf. Ohne Vorkommnisse verließen alle drei meinen Sichtbereich und ich hörte wenig später die schwere Brandschutztür zum Keller zufallen. Da mussten sie ihn halten! Im Keller, deswegen war alles mit schwarzem Stoff abgehängt. Ich erwartete, meine Nachbarn würden, nachdem sie den Freak wieder eingesperrt hatten, wieder in ihre Wohnung zurückgehen, jedoch hörte ich vielmehr auf dem Parkplatz vor dem Haus ein Auto starten. Durch das Fenster konnte ich beobachten, wie beide wegfuhren, und ich fasste einen Entschluss.

Ich wollte wissen was hier los war, wollte wissen, wer der Freak war und warum meine Nachbarn ihn an einer Leine ausführten und scheinbar im Keller versteckten. Trotz allem verwundert mich meine Tat noch jetzt, denn Gesetzestreue ist eines meiner herausragenden Charaktermerkmale.
Wie dem auch sei, ich öffnete meine Balkontür. Dieser wurde nur durch eine zwei Meter hohe Mauer vom Balkon der Nachbarn getrennt. Es war ein ziemlich warmer Spätsommertag, das Außenthermometer zeigte achtundzwanzig Grad an und meine Kleidung bestand aus T-Shirt, Shorts und Hausschuhen. Ich zog mich an der Verbindungsmauer hoch, und schaute, ob die Verandatür meiner Nachbarn offen stand. Die Tür war zwar geschlossen, aber an der Stellung des Türgriffes erkannte ich, dass ich sie ganz einfach würde aufdrücken können. Oh mein Gott, wäre sie bloß verschlossen gewesen!

Auf jeden Fall schwang ich mich über die Mauer und landete hart auf der anderen Seite. Die Tür klackte, als ich sie sanft aus dem Rahmen drückte und schwang in ein schwarz gestrichenes Wohnzimmer auf. Sollte noch jemand zu Hause sein, hätte ich gesagt, ich hätte Schreie gehört, oder Rauch gerochen, oder etwas ähnlich Unglaubwürdiges. Ich betrat den Raum und fühlte sofort eine Beklemmung, die sich mit eisernem Griff um meinen Brustkorb legte. Die Wände des Wohnzimmers waren voll gestellt mit Regalen, und diese stellten die einzigen Möbelstücke im Raum dar. An einer Wand war eine Pinwand angebracht. Keine Couch, keine Schränke, nur Regale. Dann erkannte ich, dass die nächtlichen Trommelgelage wohl nicht von Band kommen, denn in einer Ecke standen Bongotrommeln. Ich schaute mich weiter um, horchte, ob ich ein Geräusch vernehmen konnte, ein Anzeichen, ob sich noch jemand in der Wohnung befand. Aber alles war ruhig. Mehrere Totenköpfe fielen mir auf, die auf verschiedenen Regalen abgestellt wurden. Eisige Finger schienen meine Wirbelsäule rauf- und runter zu fahren. Auf den Regalen standen ansonsten jede Menge Bücher. Ich trat an eines der Regale heran, darauf achtend, nichts zu berühren, nichts zu verändern, und las die Buchrücken. Ein Buch hieß „Die Yoruba-Religionen“, ein anderes „Tetrodotoxin“, und wieder ein anderes „Gilgamesch“. Mir sagte das alles herzlich wenig.
Schwarze Lampenschirme hingen von der Decke, ansonsten schien der Raum keine Beleuchtungsmöglichkeiten zu haben. Dieser Ort hatte definitiv eine böse Aura, und ich verfluchte mich, dass ich nicht einfach die Polizei angerufen hatte. Tausende Insekten krabbelten unter meiner Haut. Ich sah mir die Pinwand genauer an, und meine Kinnlade muss heruntergeklappt sein ähnlich die eines Nussknackers. Die Pinwand war übersät mit Dutzenden Fotos von – mir. Frank Behrends im Gespräch mit Kanzler. Frank Behrends im Flur, mit einem Wäschekorb in der Hand. Frank Behrends beim Post holen, in Hausschuhen und Jogginganzug. Hatte ich mich eben unwohl gefühlt, so erfuhr ich nun eine Potenzierung dessen. Ich taumelte wie ein angeschlagener Boxer zurück von der Pinwand in die Mitte des Raumes. Dann entdeckte ich auf dem Boden ein Pentagramm, dass ich vorher übersehen hatte. Es war mit feinpulverigem Sand auf den Teppich gestreut worden und hatte einen Durchmesser von knapp zwei Metern. Ich stand mittendrin. Mit einem entsetzten Aufschrei sprang ich heraus. Jetzt hatte ich wirklich genug von diesem Scheiß hier! Mein Herz schlug, als würde es sich aus meinem Brustkorb befreien und schnell das Weite suchen wollen. Und genau das hatte ich auch vor.

Ich drehte mich gerade wieder um zur Balkontür, als ich einen scharfen Schmerz an meinem linken Unterschenkel spürte. Ich schrie auf und entdeckte eine Katze, die ihre Krallen in mein Bein versenkt hatte und ihre spitzen Zähne in das weiche Fleisch meiner Wade grub. Mir traten Tränen in die Augen. Das tat höllisch weh! Ich schlug um mich, blind vor Wut und Schmerz, und versuchte, die Katze loszuwerden. Dann traf ich sie mit einem Faustschlag und stellte erleichtert fest, wie die Schmerzen etwas nachließen als das Tier zurück und gegen den Türrahmen geschleudert wurde. Ich liebe Katzen, und der einzige Grund, dass ich keine habe, ist Jerry. Deswegen fühlte ich mich zusätzlich zu meinen Schmerzen wie ein Arschloch, auch wenn mich diese Mieze angegriffen hatte. Dann schaute ich mir das Tier an, das benommen an der Tür zum Flur lag und Entsetzen packte mich. Dieses Vieh hatte mit einer Katze kaum Ähnlichkeit. Es war fast komplett haarlos, nur einzelne Büschel weißen Fells waren zu sehen. Die eine Hälfte des Gesichts war mit Fell bedeckt, die andere Hälfte war nackt, und der Schädelknochen schimmerte darunter hervor. Ich konnte Maden erkennen, die im Mund der Katze, der sich auf und zu bewegte, ihrem Werk nachgingen. Und dann die Augen, oh mein Gott, diese Augen, völlig weiß, ohne jegliche Farbschattierung. Die Katze sah aus wie das animalische Äquivalent des Mannes, den ich vergangenen Abend im Flur gesehen hatte. Was für eine Scheiße läuft hier eigentlich? Hätte ich nicht die blutenden Wunden als Beweis, ich hätte niemals für möglich gehalten, dass diese Kreatur mich vor einer Minute angegriffen hatte. Doch nun schüttelte das Tier den Kopf, und es sah ganz danach aus, als würde sie sich wieder berappeln, denn sie versuchte wieder auf die Beine zu kommen.

Ich wollte es nicht auf einen weiteren Kampf ankommen lassen, richtete mich auf, verzog das Gesicht, als ich das Gewicht auf mein verwundetes Bein legte, und ging auf den Balkon, zog die Balkontür wieder zu, und von dort wieder in meine Wohnung, wobei ich darauf achtete, keine Blutflecken zu hinterlassen. Dort musste ich mich vor Ekel übergeben und zwar so lange, bis ich nur noch Galle spuckte und ich mich wie ein leerer Blasebalg fühlte.
Später ging ich in ein Ärztehaus und ließ die Wunde säubern und mit Jod versorgen. Dann wurde mein Bein verbunden. Ich werde morgen mal nachschauen, wie es aussieht.

Während ich das heute Erlebte aufschreibe, versuche ich mir einen Reim darauf zu machen, was in meiner Nachbarwohnung vor sich geht. Doch mir fällt nichts ein, was das Ganze auch nur ansatzweise erklären könnte. Ich erreiche Kanzler nicht und ich erreiche Klein nicht. Soll ich nun endlich die Polizei anrufen? Ich kann schlecht erzählen was ich gesehen habe, ohne zuzugeben, dass ich unbefugt in die Nachbarwohnung eingedrungen bin. Und wenn man es eng sieht, bin ich damit der einzige, der eine Straftat begangen hat. Ich werde noch mal bis morgen warten.

Mittwoch, 06. September

Oh mein Gott! Es scheint als wäre jede Nacht schlimmer als die vorangegangene. Ich fühlte mich über lange Zeit wie in einem Zwischenstadium aus Wachen und Schlafen. Es war wie in einem Fiebertraum, und wieder hörte ich die Trommeln, die mit eiskalter Präzision in mein Hirn eindrangen und sich dort zusammen mit dem monotonen, nervtötenden Singsang, der ebenfalls mein Schlafzimmer erfüllte, zu einer Hochzeit des Grauens vereinigten. In meinem Wahn sah ich Kanzler und Klein, beide nackt auf meinem Bett tanzend, die Beine wild nach links und rechts werfend, während sie klagend gen Zimmerdecke schauten. Ich habe Kanzlers wild wackelnden Penis noch jetzt vor meinen Augen, auch Kleins Brüste kann ich mir ins Gedächtnis rufen, und unter anderen Umständen wäre dies eine Erinnerung, die zu erhalten sich lohnen würde. Claasens waren auch da, sie nackt bis auf ein paar Ketten, die im wilden Rhythmus ihrer Bewegungen klingend aneinander stießen, er halb hinter den Voodootrommeln verborgen, aber zumindest mit freiem Oberkörper. Das nette Rentnerehepaar aus dem Erdgeschoß waren ebenso anwesend wie die alte Dame aus dem ersten Stock und der Anwalt, außerdem noch eine junge Frau Anfang zwanzig, die sich ebenso nackt und tanzend durch mein Schlafzimmer bewegte, wie die anderen. Scheinbar ekstatisch warfen sie ihre Körper zu den temporeichen Trommelschlägen, die mein Nachbar mit verschwimmenden Handballen auf die bespannten Bongos hieb. Und dann war noch die Katze aus der Hölle anwesend. Mit eingeknickten Vorderpfoten hatte sie es sich auf meinem Brustkorb bequem gemacht und schaute mich aus ihren milchigen Augen stoisch an. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich an Armen und Beinen gefesselt war, und ich versuchte vergeblich mich zu befreien. Ohne Unterlass hämmerte Claasen auf die Trommeln, der Chor wurde immer lauter und Klein bestreute mich mit feinem weißen Sand, während ich mich hin und her warf, jedoch ausweglos gefangen in diesem Fieberwahn.

Irgendwann sah alles aus, als würde es in Zeitlupe ablaufen, alles wurde unscharf, so als würde mein Gehirn mit der Verarbeitung der von den Augen aufgenommenen Bilder nicht mehr mitkommen. Auch die Trommeln und der Singsang hörten sich nach und nach immer gedehnter und dunkler an, bis sämtliche Töne zuerst in einen tiefen Bass auf- und schließlich in eine vollendete Stille übergingen. Als ich das nächste Mal aufwachte, war ich allein im Zimmer, der Morgen graute und steckte seine ersten grauen Finger ins Schlafzimmer um mich im Tag willkommen zu heißen.

Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber ich fühle mich seit heute morgen, als hätte etwas in mir seine Augen geöffnet. Etwas mit einem wahnsinnigen Appetit. Wahrscheinlich die Nachwirkungen der Spritze, die der Arzt mir verabreicht hat. Natürlich kann diese Beklommenheit auch aus dem schrecklichen Traum heute Nacht resultieren.

Es ist jetzt Nachmittag und ich fühle mich fürchterlich. Schlafmangel. Und natürlich mein Unterschenkel, der sich seltsam kalt anfühlt. Ich habe ein taubes Gefühl wenn ich laufe, und auch dem Arzt gefällt die Wunde überhaupt nicht. Es könnte durchaus sein, dass ich mir von diesem Drecksvieh eine Infektion eingefangen habe. Der Arzt gab mir eine stärkere Salbe und Tabletten mit, außerdem verabreichte er mir eine weitere Spritze, bevor er einen neuen Wundverband um die schorfige und stinkende Wunde legte. Auch jetzt kann ich noch keine Verbesserung beim Laufen feststellen. Morgen soll ich zur Kontrolle wieder hin. Habe Kanzler und Klein wieder nicht erreicht. Werde mich wieder hinlegen.


Donnerstag, 07. September

In mir tobt ein fürchterlicher Hunger. Heute Morgen schon erwachte ich mit diesem nagenden Gefühl im Magen und so lief ich zu einem Supermarkt. Mein Bein wird immer schlimmer, und so humpelte ich mehr, als dass ich ging. Mittlerweile breitet sich die Kälte auf den Oberschenkel aus, und auch das Knie kann ich nicht mehr beugen wie früher, eher scheint es steif zu werden. Das sollte mich beunruhigen, und das tut es auch bis zu einem gewissen Punkt, jedoch war es mir wichtiger, den Hunger zu stillen. Ich halte mich selber für einen sehr wortgewandten Menschen, der seinen Sprachwitz nicht nur schriftlich, sondern auch verbal versprühen kann. So bekam ich es jetzt wirklich mit der Angst zu tun, dass ich der Dame an der Fleischtheke nicht antworten konnte. Es ging nicht. Ich konnte auf ihre Fragen (Was darf es sein? Auf was haben Sie Hunger?) nur unartikulierte Grunzer zur Antwort geben. So sehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es nicht, auch nur ein Wort ordnungsgemäß über meine Lippen zu bringen, und konnte nur durch Fingerzeige verständlich machen, dass ich 4 Steaks haben wollte. Trotz allem war die Tatsache, dass ich mein Ausdrucksvermögen scheinbar verloren habe, nur eine Randnotiz neben dem Hunger den ich verspüre, trotz das ich die Steaks noch auf dem Rückweg in meine Wohnung beim Gehen (Staksen, Humpeln) roh verzehrt habe. In mir fühle ich mich immer mehr, als sei ich nicht mehr alleine Herr in meinem Körper. Oder als wäre eine neue Facette meines Geistes aus dem Unterbewusstsein in den Vordergrund gerückt, eine Bestie, die mich zwingt zu fressen, und der es egal ist, dass ich mein Sprachvermögen verliere. Und das, was ich für mein eigenes, mein altes Ich halte, wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Es schreit dagegen an, gegen diese Mauer aus Hunger und der Gier nach Frischfleisch, ohne jedoch durchzudringen.


Freitag, 08. September

Die Taubheit hat jetzt fast meinen gesamten Körper erfasst. In mir regiert eine Kälte, die ich nicht durch Heizen der Wohnung besiegen kann. Es ist September, und es ist ein wunderschöner warmer Spätsommer, aber mir wird es nicht warm. Meine Gelenke werden immer steifer, ich kann meine Knie nicht mehr beugen und stakse mit stocksteifen Beinen durch die Wohnung. Auch meine Finger sind mittlerweile davon betroffen, und so schreibe ich, der früher blind mit allen zehn Fingern Texte verfassen konnte, meine Erlebnisse Buchstabe für Buchstabe mit den Zeigefingern auf. Und über allem steht der Hunger, dieser alles verzehrende Drang zu fressen, der mittlerweile meine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht. Ich komme gerade vom Supermarkt, wo ich mir zwei Kilo blutiges Steakfleisch kaufte. Noch auf dem Parkplatz habe ich das gesamte Fleisch in mich hineingestopft, jedoch habe ich auch jetzt noch Hunger. Wieder konnte ich mich an der Fleischtheke nicht artikulieren, wieder kamen nur missgebildet ausgestoßene Grunzlaute aus meinem Mund. Wohl aber nahm ich den besorgten Blick der netten Verkäuferin, die so gut nach Frischfleisch riecht, wahr.
Der Schal, den ich mir um den Kopf und tief ins Gesicht gezogen hatte, so dass nur noch meine Augen zu sehen waren, ist feucht als ich ihn abnehme. Feucht und voller Haare, die mir büschelweise ausfallen. Dieselbe Stimme in meinem Inneren, tief verborgen unter dem übermächtigen Drang nach Fleisch, sagte mir, ich solle zum Arzt gehen, doch sie vermochte sich nicht durchzusetzen.
Stattdessen ging ich ins Badezimmer, stellte mich vor den großen Spiegel, schaute mir in die weißen Augen, durch die ich alles wie durch einen Schleier aus Milch sehe, und betrachtete mich. Meine Haut ist von unzähligen, nässenden Wunden bedeckt. Mein linkes Ohr hängt in einem schrägen Winkel ab, und ich sah, dass mir nur noch einige vereinzelte Büschel Haare auf der schorfigen Kopfhaut geblieben sind. Ich versuchte, einfache Sätze ( Hallo! Mein Name ist Frank Behrends! Wie geht es Ihnen?) zu bilden. Vergeblich. Wie gehabt konnte ich nicht ein Wort artikulieren. Ich stieß einen Schrei aus, einen Schrei, den ich mir noch vor einer Woche nicht zugetraut hätte, und ich wusste nicht ob es ein Laut des Schmerzes, des Verlustes oder einfach nur der Drang nach Frischfleisch war, der mich dazu veranlasste ihn auszustoßen. Ein Backenzahn fiel mir beim Schreien aus dem Mund und fiel klimpernd ins Waschbecken. Ich fühle mich wie ein Statist in meinem eigenen Körper.


Samstag, 09. September

Jerry ist tot.
Mein Freund und Begleiter für mehrere Jahre ist tot. Heute Morgen war noch alles in Ordnung. Er saß in seinem Käfig auf der Stange und beobachtete mich wie immer mit einer gewissen Neugier in seinen schwarzen Augen und leicht schief gestelltem Kopf. Ich ging hölzern wie Pinocchio durch das Wohnzimmer in die Küche und stellte fest, dass diese vollkommen demoliert ist. Völlig auseinander genommen, als hätte darin ein Punk-Konzert stattgefunden. Ich kann mich nicht erinnern, diesen Raum derart hinterlassen zu haben, zweifele aber keine Sekunde daran, dass ich im Wahn auf der Suche nach etwas Essbarem, wahrscheinlich Fleisch ausgerastet bin.
Danach ging ich wieder ins Wohnzimmer und öffnete Jerrys Käfig, umfasste sein buntes Federkleid mit beiden Händen. Wir schauten uns in die Augen. Dann biss ich ihm den Kopf ab. Ich tat es ohne nachzudenken. Ich öffnete den Mund und biss ihm den Kopf ab. Einfach so. Etwas in mir rebellierte, trat um sich, versuchte zu mir durchzudringen, aber mein Hunger war stärker. Und noch jetzt warte ich darauf, dass ich Bedauern fühle, Schmerz über den Verlust eines Freundes, eines Tieres, dass mir so viel Freude bereitet hat, und mich treu über die Jahre hinweg begleitet hat. Doch da ist nichts. Ich spüre nichts außer dieser inneren Kälte, dieser Arktis in meinem Brustkorb, wo ein Herz und Wärme sein sollte. Noch nicht einmal Ekel fühle ich über meine Tat. Da ist nichts. Und die innere Stimme schweigt.
Das Schreiben fällt mir schwer, und mich auf einen Text zu konzentrieren, noch mehr. Ich werde jetzt in den Supermarkt gehen. Ich brauche Fleisch.


Samstag, 10. September

Heute haben sie mich abgeholt und alles, was ich jetzt noch besitze, sind ein kleiner Notizblock und ein stumpfer Bleistift.
Doch der Reihe nach:
Heute Morgen lag ich im Bett. Ich habe nicht geschlafen und nur auf eine grüne Zimmerdecke, die durch meine Augen jetzt fast weiß wirkt, gestarrt. Ich hörte das bekannte Trommeln und Singen sowie den Verkehr auf der Straße. Auch konnte ich das Fleisch der Insassen der vorbeifahrenden Autos riechen und ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzustehen und mir draußen Fleisch zu suchen. Mein Riechorgan scheint als einziger meiner Sinne geschärft zu sein, während alle anderen abgestumpft sind. Der Verlust meiner Sinne ist jedoch nicht vergleichbar mit dem Verlust dessen, was einen Menschen ausmacht. Glaube ich jedenfalls, genau kann ich das nicht sagen, da die Taubheit nun vollständig ist und der Hunger ein schreiendes Monster, das gezähmt werden will, immer und immer wieder.
Ich lag da und fragte mich, wie lange ich noch würde widerstehen können, einem wildfremden Menschen anzufallen und ihm Stücke Fleisch aus seinem Körper zu reißen, als ich bemerkte, dass mein Herz nicht mehr schlug. Ich tastete mit einer Hand am Unterarm, auf der Suche nach dem so beruhigenden Pochen – und fand nichts. Dann versuchte ich es am Hals, mit demselben Ergebnis. Und auch jetzt, während ich im Keller sitze und gerade genug Bewegungsfreiheit habe, diese Zeilen zu schreiben, kann ich keinen Puls bei mir erfühlen.
Nachdem ich vergeblich versuchte, mir einzureden, dass ich zwar einen schwachen, aber nichtsdestotrotz einen Herzschlag habe, den ich nur gerade nicht fühlen konnte, weil ich so viel Hunger hatte, klingelte es an der Tür. Unbeholfen schaffte ich es nur mit einiger Mühe, mit meinen steifen Gelenken aus dem Bett aufzustehen. Aus reiner Gewohnheit (scheinbar sind menschliche Gewohnheiten nicht so leicht auszulöschen) griff ich den Schreibblock sowie den Bleistift vom Nachttisch, verstaute beides in der Hemdtasche, und ging mit steifen Beinen zur Tür und öffnete sie.
Davor standen Klein und Kanzler, beide in ihrer gewohnt adretten Kleidung.

„Herr Behrends“, sagte Kanzler. „Es wird Zeit für Sie.“

Hinter Kanzler trat mein Nachbar Claasen hervor, den ich vorher nicht gesehen hatte, ganz in schwarz gekleidet und mit einer Hundeleine in der Hand. Noch bevor ich mich wehren konnte, hatte Claasen mir die Leine über den Kopf gelegt und sie um meinen Hals festgezurrt. Ich versuchte, ihn zu beißen, ihm ein Stück Fleisch herauszureißen, jedoch trat Klein blitzschnell vor und rammte mir einen Elektroschocker in die Seite. Claasen entglitt meinem Biss und ein Stöhnen entfuhr mir.
Dann setzten die drei sich in Bewegung, und zogen mich hinter sich her, die Treppen hinunter. Gefesselt und an einer Leine gezogen brauchte ich ewig für jede einzelne Stufe.
Als wir den zweiten Stock erreichten, stand die nette alte Dame, in ihrer Wohnungstür und lachte Kanzler an.

„Na, ist er so weit?“, fragte sie.

Kanzler nickte nur, und in der anderen Wohnungstür sah ich das hart arbeitende junge Mädchen, welche ich schon einmal im vermeintlichen Fiebertraum in meinem Schlafzimmer gesehen hatte. Sie lachte nicht, sie schaute mehr interessiert aus, und sie roch unglaublich gut.

„Bei ihm hat es länger geadauert als beim ersten, oder?“, fragte sie und Klein drehte sich zu ihr um und nickte. Es lag unverkennbar Stolz in ihren Augen, in ihrem ganzen Ausdruck.

"Ja", sagte er. "Er scheint ganz schön dagegen gekämpft zu haben."

Ich versuchte, die Frau zu erreichen, spürte jedoch direkt wieder den Elektroschocker, der mich diesmal verzweifelt aufschreien ließ. Claasen riss fester an der Leine und ich wurde wieder Richtung Treppen gezogen.

„Sie sind unser zweiter geglückter menschlicher Versuch.“, sagte Kanzler, als hätte ich ihn gefragt. Die Katze war unser erstes Tier, welches wir dem Tode entreißen konnten.“

Ich wollte das nicht hören. Ich konnte kaum folgen, meine Gedanken waren immer noch bei der jungen Frau um deren saftiges Fleisch ich eben gebracht worden war.

„Den ersten menschlichen Versuch haben Sie ja schon gesehen, nicht wahr? Das ist übrigens Ihr Vormieter. Hat die Wohnung aber in gutem Zustand verlassen, oder?“

Klein und Claasen amüsierten sich königlich, während Kanzler mich aufzog.
Ich grunzte, wusste jedoch nicht, was ich damit ausdrücken wollte. Die Worte prallten an mir ab, gingen nicht unter die Oberfläche um zu wirken. Ich wünschte mir, die beiden würden aufhören zu reden und mir etwas zu fressen geben.
Mittlerweile waren wir im Keller angekommen und der pensionierte Lehrer aus dem ersten Stock hielt die schwere Brandschutztür auf. Ein Funkeln lag in seinen Augen, den ich als Begeisterung interpretierte. Begeisterung, dabei sein zu dürfen, bei was auch immer hier vor sich ging.

„Herr Behrends, Sie dürfen von Anfang an dabei sein. Wir werden Sie und andere Krieger einsetzen um unsere Forderungen durchzusetzen.“

Durch die zweite Zwischentür, aufgehalten diesmal von der schweigsamen Frau des pensionierten Lehrers, und weiter hinein in Richtung der Abstellräume.

„Sie sind auf der Seite der Guten, Herr Behrends!“ Kanzlers Gesicht glühte förmlich, als er sich zu mir umdrehte und zu mir sprach. „Auf der Seite der Guten.“, bekräftigte er.

Mittlerweile sind wir beim mit schwarzem Stoff abgehängten Abstellraum meiner Nachbarn angekommen, dessen Tür offen stand. Ich wurde hineingezogen und sah den Anwalt für Arbeitsrecht, wie er eine große Kette hielt, die für meinen Hals bestimmt war. Auch meine Hände und meine Beine wurden fixiert. Ich stieß einen Schrei der Wut aus und erst da sah ich meinen Vormieter in der anderen Ecke des Raumes stehen. Auch er brüllte.

„Wir werden Euch jetzt alleine lassen.“ Klein wandte sich zum Gehen, die anderen ebenso. Sie ließen uns alleine, und bis jetzt kamen sie nicht wieder. Ich sitze hier gefesselt im Kellerraum und versuche, alles möglichst vollständig und verständlich in meinem Notizbuch festzuhalten. Es erfordert eine unglaubliche Menge an Konzentration, es ist brutal, sich dem Hunger zu widersetzen. Doch ich muss es versuchen. Ich muss durchhalten. Das Schreiben hilft mir, denn es ist meine letzte Verbindung zu meinem alten Leben.
Meine letzte Verbindung zum Leben als Mensch.

Immer noch angekettet. Jeden Tag Fleisch fressen. kann kaum schreiben, immer rollt Stift aus Hand. Hör Tür schlagen. Dann Licht nebenan. Muss Nachmieter sein. kann Fleisch riechen. Ich habe Hunger. Hunger!

 

Hey. Die Geschichte ist nicht übel, obwohl sie mir bekannt vorkommt. Dein Stil ist auch gut. Nur hat die ganze Sache einen Haken (wie ich finde): Die Tagebuch-Erzählweise. Ich glaube vieles, aber nicht, daß ein solcher Zombie, der, wie Du schreibst, nicht einmal mehr in der Lage ist, sich richtig zu bewegen und nur noch die Gier zu Fressen kennt, solch wohlfeile Sätze niederschreiben könnte und alles fein säuberlich mit Datum^^
Außerdem würde ein möglicher Nachmieter (und er selbst auch) im Keller zumindest irgendwelche Geräusche hinter dem Verhang wahrnehmen.
Was glaubst Du: Würde jemand, der beobachtet, wie zwei komische Vögel einen älteren, offenbar schwer kranken Mann an einer Hundeleine herumschleifen die Polizei rufen?

 

Klasse Geschichte!
Das Lesen hat mich gegruselt und stellenweise auch amüsiert.
War spannend und unterhaltsam, auch wenn mein Vorposter natürlich Recht mit seinem Einwand hat. Die Erzählweise nach dem Biss ist in dieser Form (leider!) nicht glaubwürdig.
Aber egal, ich habe diesen Makel ignoriert und mich auch so auf die Geschichte einlassen können.

Danke!
Vor allem, dass es mir jetzt weitaus schwerer fallen wird, einzuschlafen. Das ist Dein Verdienst! Und das kannst Du wohl als Kompliment sehen.. ;)

 

Hallo Berzerk,

Herzlich Willkommen auf kg.de. Ich habe deine Einstandsgeschichte mit Vergnügen gelesen. An ein paar Stellen hast du es geschafft, mir einen kalten Schauer den Rücken runter zu jagen. :thumbsup:
Ein bisschen Feilen ist imho aber schon nötig, um die Geschichte zu richtig gut zu machen (Vorschläge unten), insbesondere am Schluss. Für diese Arbeit am eigenen Text kann kg.de eine riesengroße Hilfe sein, also gut, dass du hierher gefunden hast :).
Einen wichtigen Punkt haben meine Vorkritiker schon angesprochen: Die Tagebuchform wird am Ende sehr unglaubhaft. Ein frischfleischfixierter, nicht mehr zur Artikulation fähiger Zombie, der in dermaßen gewählten Worten seine Geschichte erzählt? Du könntest überlegen, ob du am Ende einen Abschnitt einfügst, der in der dritten Person geschrieben ist und nicht mehr zum Tagebuch gehört, oder (das würde mir besser gefallen), ob du einen Tagebuchabschnitt des auf Behrends folgenden Mieters einfügst, aus dem irgendwie deutlich wird, was passiert sein könnte ... bei dieser Variante würde allerdings vieles offen bleiben.
Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass die Tagebuchform beibehalten wird. Du könntest versuchen, herauszuarbeiten, dass in dem zombiefizierten Körper noch immer der Verstand des alten Frank Behrends steckt, der verzweifelt gegen seine Zombienatur ankämpft - aber nach und nach verliert. Das sollte sich dann vielleicht auch in der Sprache niederschlagen - indem etwa die Sätze immer kürzer und einfacher werden, der Wortschatz immer mehr abnimmt, während Fehler zunehmen, etc. Diese Variante ist vom schriftstellerischen her die Anspruchsvollste, denke ich, aber es würde sich bestimmt lohnen, wenn du dahingehend überarbeitest.
Eine andere Sache, an der ich dir raten würde noch ein bisschen zu feilen, ist die Sprache. Du hast einen Stil gewählt, der zeigt, dass dein Protagonist relativ gebildet ist und einen sehr guten Ausdruck pflegt, was wegen seines Berufs auch wunderbar passt. Aber zwischendurch hast du diesen Stil nicht immer durchgehalten, da schleichen sich manchmal so umgangssprachliche Sätze oder ungelenke Satzkonstruktionen ein, die nach meinem Eindruck nicht zum Erzähler passen.

Details:

Nein, es macht mir nichts aus, Ihnen zu sagen, dass ich Frank Behrends heiße, als freischaffender Journalist meistens für Frauenmagazine arbeite, 36 Jahre alt und aktuell Single bin. Nein, ich glaube nicht, dass sie schon etwas von mir gelesen haben, es sei denn, sie möchten mit der Kartoffeldiät 48 Pfund abnehmen.

Hier bin ich mir nicht sicher, ob du "Sie/Ihnen" als Anrede gemeint hast, also quasi den Dialog der beiden zitierst, oder ob du "ihnen" als Personalpronomen für den Herrn Kanzler und die Frau Klein gemeint hast, weil du "Ihnen" im ersten Satz groß und "sie" danach klein geschrieben hast. Da solltest du dich auf eine Variante festlegen.

. Ja, ich habe ein Haustier, einen friedlichen, bunten, leider viel zu schweigsamen Papagei namens Jerry

Ein bunter Papagei ist ein bisschen wie nasses Wasser, meinst du nicht? ;)

. Die Wände sind in schlichtem weiß gehalten

Weiß muss hier groß geschrieben werden

Die erste Tür führt in das recht geräumige Schlafzimmer (in das ich auf jeden Fall ein Doppelbett stellen werde, ich gebe die Hoffnung ja nicht auf), dann eine Tür in ein Kinderzimmer (es gilt dasselbe wie für das Schlafzimmer - die Hoffnung wird nicht aufgegeben) eine in das Bad, welches erst vorigen Monat saniert wurde laut Klein, und schließlich eine Tür in das Wohnzimmer.

Das fette ist so ein Beispiel, das ich für einen etwas missglückten Ausdruck halte. Klar, in seinem Tagebuch achtet man nicht so penibel auf jeden Satz, weil man das in der Regel ja nur selber liest, aber er arbeitet täglich mit der Sprache, und er lässt später erkennen, dass er stolz ist auf seine Wortgewandtheit - darum denke ich, er würde das nicht so schreiben.

Vorschlag: das laut Klein erst letzten Monat saniert wurde (oder, etwas gehobener: "Frau Klein zufolge")

Ich sah mich schon auf einem Liegestuhl auf dem Balkon (der zwar zur Straße hinausführt, aber das wird schon, ich bin Lärm gewohnt),

und ich will einfach weg aus dem lauten Plattenbau, in dem ich jetzt wohne, weg von dem ganzen Lärm, dem Dreck

Lärm: schlimm oder nicht so schlimm?, das ist hier die Frage ...

Die letzten knapp zwei Wochen waren geprägt von Umzugsvorbereitungen und Renovierungsmaßnahmen rund um meine neue Wohnung.

Das knapp stört den Lesefluss und ist keine wesentliche Information (ob's nun 14 oder 12 Tage waren, interessiert die Leser nicht), also streich das.

. Das Schlafzimmer habe ich in einem hellen grün gestrichen (Stichwort Hoffnung)

Die Farbwörter groß schreiben, wenn ein Artikel davorsteht (ein Grün, ein Zitronengelb)

Ihr gegenüber, so sagte sie mir, wohnt eine junge Dame Anfang 20,

Die Zahl kannst du ruhig ausschreiben, sieht schöner aus.

Unten im Erdgeschoß wohnen ein pensionierter Lehrer mit seiner Frau.

Entweder er wohnt mit seiner Frau oder "wohnen ein pensionierter Lehrer und seine Frau"

Gestern Abend habe ich dann noch den Schlafzimmerschrank (was echt eine Mordsplackerei alleine ist) und zwei Wohnzimmerregale aufgebaut.

Das klingt auch nicht so gut, finde ich. Besser: "was alleine wirklich ..."

Untermalt wurde der Gesang, der scheinbar aus mehreren männlichen Kehlen zu stammen schien

doppelt hält besser? :)

Erstens wäre das jawohl ein ziemlich schlechter Einstand als Nachbar gewesen und zweitens ist es doch Wochenende

auseinander: ja wohl

Gerade, als ich sanft die Tür öffnen wollte, um die beiden nicht zu erschrecken, sah ich, wie der Mann sich in Richtung Treppe umdrehte und an einer Art Seil zog, deren eines Ende er in der Hand hielt.

dessen (das Seil)

Der Winkel, wie die Hundeleine, oder was auch immer mein Nachbar hielt, von seiner Hand abstand, ließ mich darauf schließen, dass es sich um ein größeres Wesen als einen Hund am anderen Ende handeln musste.

Vorschlag: "dass es sich bei dem Wesen am anderen Ende um etwas größeres handeln musste als einen Hund"
(wobei es wirklich riesige Hunde gibt ...)

Die Augen des Mannes waren komplett weiß, es war keine Iris zu erkennen, ebenfalls keine Pupillen. Einfach nur milchig weiß.

Streich den fetten Satz. Die Wiederholung schwächt die Wirkung des vorhergehenden Satzes ab.
Allgemein muss ich aber sagen, dass dir die Beschreibung des Mannes wirklich sehr gut gelungen ist, mich hat's da echt geschüttelt :thumbsup:

Aber sollte ich deswegen die Polizei rufen? Ich wurde ja nicht angegriffen, und ich wurde nicht bedroht.

Nun ja, aber es handelt sich doch offensichtlich um Freiheitsberaubung, wenn ein Mensch an die Leine gelegt wird. Ich denke, es wäre schon der logische Schritt, die Polizei anzurufen. Könnte ja sein, dass mit seinem Telefon was nicht stimmt :naughty:

Während ich das heue Erlebte aufschreibe

heute

Ich konnte als Antwort auf ihre Fragen (Was darf es sein? Auf was haben Sie Hunger?) nur unartikulierte Grunzer zur Antwort geben.

das erste "als Antwort" streichen

und konnte nur durch Fingerzeige verständlich machen, dass ich 4 Steaks haben wollte.

Zahlen bis zwölf in Geschichten immer ausschreiben! :teach:

und so schreibe ich, der früher blind mit allen zehn Fingern Texte verfassen konnte, meine Erlebnisse Buchstabe für Buchstabe mit den Zeigefingern auf.

Das lässt ja darauf schließen, dass er sein Tagebuch am Laptop tippt. Später ist aber die Rede davon, dass er es in den Keller mitnehmen darf und mit einem Stift schreibt ...

, teils weil eine leise Stimme in mir schrie, dass ich ohne nicht auf die Straße gehen könne

eine leise Stimme, die schreit? Ja, nicht unmöglich, klingt aber trotzdem seltsam. Das leise würde ich streichen.

Ich ging hölzern wie Pinocchio durch das Wohnzimmer in die Küche und stellt fest,

stellte

. Noch nicht einmal fühle ich Ekel über meine abscheuliche Tat. Da ist nichts.

1.: Noch nicht einmal Ekel fühle ich ...
2.: Er fühlt keinen Ekel, sagt aber, es ist eine abscheuliche Tat? ... Hier ist zwar schon ein Ansatz erkennbar zu dem was ich oben meinte, dass der alte Frank Behrends und der neue, zombifizierte Frank Behrends miteinander ringen, aber es wird nicht so rübergebracht, dass ich dir das abkaufe. Da müsstest du noch dran arbeiten.

. Ich versuchte den Hunger auszublenden und horchte in mich hinein, aber nein, mein Herz schlug nicht.

vom in sich reinhorchen kann man das doch aber schlecht sagen. Ich meine, selbst wenn es ganz still ist, hört man seinen eigenen Herzschlag nicht oder kaum, und wenn all seine Sinne schlechter werden außer dem Geruchssinn ... ich denke, sinnvoller wäre es, nach dem Puls zu tasten.

"Sie haben es uns sehr einfach gemacht, Herr Behrends.", sagte Klein, das Gesicht mir über ihre Schulter zugewandt, und in ihrer Stimme konnte ich triefenden Sarkasmus erkennen. "Das Sie sich freiwillig beißen ließen, rechne ich Ihnen hoch an.",

Also diese Rede "Haha, sieh nur, wie toll wir alles einfädelt haben", würde ich kürzen oder sogar streichen. Ich weiß nicht genau, wie ich es am besten erklären soll ... Das wirkt so wie die Schurken in James Bond-Filmen, die immer ihre ganzen Pläne zur Erringung der Weltherrschaft vor dem Protagonisten ausbreiten, wenn sie ihn in ihrer Gewalt haben. Das ist einfach doof.
Die Leser sind ja auch nicht dumm. Die können sich manches selber denken, ohne dass es ihnen Herr Oberbösewicht noch mal ganz genau erklärt.

Ja, die Geschichte mit der Familie die sich vergrößern wollte, war doch wirklich glaubwürdig, oder?", fuhr er fort. "Wissen Sie, warum wir Sie ausgewählt haben? Sie haben keine Familie. Sie haben keine Kollegen. Sie haben keine Freundin. Sie haben vielleicht ein paar lose Bekanntschaften, aber niemanden, der Sie vermissen wird. Sie sind ein moderner Eremit!"

Das finde ich besonders schlimm. Den Absatz würde ich komplett rausschmeißen.

"Herr Behrends, Sie dürfen von Anfang an dabei sein. Wir werden Sie und andere Krieger einsetzen um unsere Forderungen durchzusetzen."

Das hier ist für den Leser wichtig, warum die Hausbewohner das überhaupt machen! Warum sie Behrends ausgewählt haben, und dass der Zombie, den er gesehen hat, sein Vormieter ist, das weiß ich auch so.

"Sie sind auf der Seite der Guten, Herr Behrends!" Kanzlers Gesicht glühte förmlich, als er sich zu mir umdrehte und zu mir sprach. "Auf der Seite der Guten.", bekräftigte er.

Auch nicht schlecht. Das würde ich betonen, dass die alle dran glauben, einer guten Sache zu dienen. Das widerspricht sich dann aber mit dem hämischen "Haha, du bist drauf reingefallen" am Anfang von Kanzlers Rede. Noch ein Grund, das zu streichen.

"Herr Claasen, bitte bringen Sie Herrn Behrends sein Tagebuch. Seine Aufzeichnungen können sehr aufschlussreich für weitere Krieger sein."

Nee, das ist einfach unglaubwürdig. Die "Krieger" sind doch ziemlich hirnlose Kreaturen, die wird man wohl kaum mit Aufzeichnungen über irgendwas unterrichten. Behrends könnte doch einfach so ein kleines Notizbuch, wo ein kleiner Stift dransteckt, in seiner Hosentasche habe, ist doch nicht unüblich für einen Journalisten, und da drin Tagebuch schreiben, und die Hausbewohner haben das einfach nicht bemerkt. Und er versucht mit Hilfe seiner Aufzeichnungen, bei Verstand zu bleiben...

Ja ... ich hoffe, du nimmst das ganze Herumkritisieren nicht übel, ich denke wirklich, dass diese Geschichte mit etwas Überarbeitung richtig super wird - und sie hat mir wie gesagt schon in der jetzigen Form gut gefallen, darum habe ich mir ja die ganze Arbeit gemacht. Ich hoffe, wir können hier bald mehr von dir lesen!

Grüße von Perdita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo!

Vielen Dank für Eure Kommentare! Habe mich sehr über die Rückmeldungen gefreut, und werde mal auf einige Punkte eingehen:

@ all:

Ich habe mir gedacht, dass man den Stil des tagebuches so sehr schwer akzeptieren kann, wenn der Schreiber sich in einen Zombie verwandelt. Und ich hatte alle drei Varianten von Perdita auch als Möglichkeit durchdacht: Zuerst, die Geschichte aus einer dritten Person weiter zu erzählen. Aber das kam mir irgendwie nicht richtig vor, eine Gefühlssache. Den Nachmieter erzählen zu lassen, auch über ein Tagebuch, war mir schon lieber. Ich hatte sogar überlegt, ob ich den Protagonisten nicht Tagebuchaufzeichnungen des Vormieters hinter Fußleisten versteckt beim Renovieren finden lassen sollte. Aber das verwarf ich dann auch. Ich hatte überlegt, die Tagebuchaufzeichnungen fortschreitend mit der Verwandlung des Prots dann immer kürzer und verworrener zu machen, aber das wäre um es interessant zu gestalten meiner Meinung nach höllisch schwierig.
Also habe ich mich dafür entschieden, dass der Prot quasi alles verliert: seine Motorik, seine Artikulationsfähigkeit, seine Menschlichkeit, seinen Herzschlag - aber nicht seine Intelligenz. Das empfand ich als richtig schlimm. Das er bei vollem Bewußtsein mitbekommt, was mit ihm passiert. Seine Motivationen verschieben sich zu knapp 100 % in Richtung Frischfleisch, aber seine Intelligenz sollte er behalten.
Ich fürchte, mir ist diese Darstellung nicht sonderlich geglückt. Ich werde es nochmal über- und versuchen herauszuarbeiten.

@Felix-Florian

Das mit dem Keller stimmt. Man hätte bestimmt was gehört. Jetzt ist man zwar nicht allzu lange im Keller meistens (zumindest vermeide ich es länger als 5 Min da zu sein) und es gibt immer einige Hintergrundgeräusche wie Waschmaschinen, anspringende Heizungen usw. aber Du hast recht. Das hätte ich irgendwie besser lösen müssen. Aber schön, dass Dir der Stil gefallen hat :)

@maddin.com: Vielen Dank für Dein Kompliment! Aber will ich wirklich an Deinen Augenringen Schuld sein, wenn Du erst spät zum Schlaf findest? Hmm, achja das gehe ich ein :) Nochmals Danke!

@Perdita: Leider habe ich das mit der Zitier-Funktion nicht raus, aber Du schreibst, dass kg.de eine riesengroße Hilfe sein kann. Das kann ich nach Deinem Posting nur unterstreichen. Ich danke Dir ganz herzlich für Deine Mühe und muß feststellen, dass Du mit allem was Du angekreidet hast absolut recht hast!

Da sind viele Sachen dabei, die einfach nur komplett logisch sind, und ich mich frage, warum ich nicht früher darauf gekommen bin. Zum Beispiel mit dem Herzschlag. Ich meine, ich lasse ihn in sich hineinhorchen, aber komme nicht auf die Idee ihn sich erfühlen zu lassen, oder es halt zu versuchen. Manchmal habe ich ein Brett vor dem Kopf.

Oder die Wortwiederholungen, eine meiner ständig wiederkehrenden Lieblinge. Beim Überarbeiten habe ich etliche rausgekickt, trotzdem noch welche übersehen - vielen Dank für den Hinweis.

Zu dem Schluß, wo Kanzler und Klein erzählen - ich weiß was Du meinst. Habe lange gekämpft mit dem, wie es ablaufen sollte, ich wollte etwas erklären, aber eben nicht zu viel. Werde mir Gedanken machen um es "runder" zu machen.

Auch die Geschichte mit dem Tagebuch. Das ist eine richtig schlüssige Sache mit dem Notizblock und dem Bleistift in der Kleidung. Das werde ich in diese Richtung verändern!

Und auch ein Danke für die netten Worte, schön dass ich Dir ein wenig Unbehagen bereiten konnte.

Alles in allem: Nochmal vielen Dank für die Kommentare und die viele viele Arbeit!

Viele Grüße und einen schönen Abend wünscht

Berzerk

 

Hey Berzerk,

freut mich, dass du meine Kritik hilfreich findest.

Also habe ich mich dafür entschieden, dass der Prot quasi alles verliert: seine Motorik, seine Artikulationsfähigkeit, seine Menschlichkeit, seinen Herzschlag - aber nicht seine Intelligenz. Das empfand ich als richtig schlimm. Das er bei vollem Bewußtsein mitbekommt, was mit ihm passiert. Seine Motivationen verschieben sich zu knapp 100 % in Richtung Frischfleisch, aber seine Intelligenz sollte er behalten.

Genau, das ist eine echte Horrorvorstellung, fand ich auch. Ich hab mir schon gedacht, dass du das auch so beabsichtigt hast, aber in der jetzigen Version kommt es noch nicht ganz so rüber. Aber das wird bestimmt noch :)

Leider habe ich das mit der Zitier-Funktion nicht raus

Pass auf, das ist ganz einfach :teach:

Wenn du eine Antwort schreibst, sind über deinem Textfenster doch diese kleinen Symbole. B (für fetten Text), I (für kursiv), U (zum Unterstreichen), Globus (URLs) und dann diese viereckige Sprechblase - das ist die Zitierfunktion.

Draufklicken - [quote][/quote] erscheint.

Zwischen die eckigen Klammern den Text einfügen, den du zitieren willst, so:

[quote]Zitierter Text[/quote]

Wenn du dann auf Antworten klickst, wird das automatisch umgewandelt in

Zitierter Text

(damit es das nicht macht, gibt es dann wieder einen anderen code, aber den braucht man bloß, um die Zitierfunktion zu erklären :))

Fett, Kursiv, etc. funktionieren genauso.

Viel Spaß noch auf kg.de!

 

Hallo Ihr!

So, habe in den letzten Tagen die Story nochmal verändert, und ich hoffe, ich konnte einige Schwachstellen ausmerzen, und das alles ein wenig "runder" gestalten.

Vielen lieben Dank nochmals für die Anregungen und die Hilfe, auch für das Erklären der Zitierfunktion :D

Pass auf, das ist ganz einfach

Habe es verstanden :thumbsup:

Viele Grüße und auf bald

Berzerk

 

Hallo Berzerk,

Jetzt liegt die neue Fassung deiner Geschichte hier schon 'nen Monat rum und es konnte dir immer noch keiner sagen, ob du hier verbessert oder verschlimmbessert hast.
Na, ich fürchte, ich werde dir in diesem Punkt auch nicht weiterhelfen können, da ich lediglich diese zweite Fassung gelesen habe. ;)
Mein Eindruck davon ist aber sehr positiv. Gefallen hat mir vor allem, wie du den Protagonisten vermittels des Gesprächs eingangs mit Kanzler und Klein charakterisierst. Da erfährt man eine Menge, ohne dass gleich die Handlung stehen bleibt und außerdem: der Protagonist kommt sympathisch rüber, was das Mitleiden mit ihm deutlich leichter macht. Besonders den Tod von Jerry empfand ich daher als erschreckend.
Müsste ich was an der Geschichte aussetzen, so wäre es vermutlich das immer mal wieder beim Leser auftauchende Gefühl von "Ja, das hab' ich schon 'n paar mal gesehen". Die enthaltenen Elemente sind gut arrangiert aber allesamt absolut klassisch.
Dennoch: Wirklich eine spannende Geschichte, die dir da gelungen ist!
Jetzt noch ein paar Details:

Nein, es macht mir nichts aus, Ihnen zu sagen, dass ich Frank Behrends heiße,
Das ist ein wenig komisch - seinen Namen sollten sie doch wohl schon kennen? Und wenn nicht, so ist die Frageform komisch: "Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihren Namen zu nennen?"

Abgerundet wird dies durch ein kleines Gäste - WC mit Dusche.
Das ist so eine generelle Sache: Du verwendest Gedanken- statt Bindestrichen. Vor und hinter dem Strich sollten keine Leerzeichen stehen.

Später bin ich halb bewusstlos vor Erschöpfung in mein Bett gefallen. Gegen halb zwölf wachte ich auf,
Daraus könntest du vielleicht "halb zwölf am Morgen" machen. Iach dachte nämlich, er sei am selben Abend noch aufgewacht, was später dann für Verwunderung sorgte.

Auch schienen beide sehr blass zu sein, aber das konnte natürlich auch durch die schlechten Lichtverhältnisse und die weißen Flurwände herrühren.
Ich weiß nicht, ob deine Variante falsch ist, aber "von etwas herühren" ist geläufiger und klingt viel besser.

Mein Nachbar merkte, kurz bevor das Ekel mit steifen Beinen an meiner Haustür war, eine Bewegung an der Hundeleine und riss ihn zurück, was den Freak dazu brachte, ein enttäuschtes, Zehennägel -aufrollendes Geheul anzustimmen,
Wie man das jetzt schreibt (einfach Zehennägel aufrollendes?) weiß ich auch nicht sicher, aber so dürfte es falsch sein. :D

Es scheint als wäre jede Nacht schlimmer als die vorhergegangene.
Ist jetzt so ein Ding zwischen Spitzfindigkeit und Spinnerei, aber "vorhergegangene" klingt für mich komisch. Es sieht zwar als Partizip II korrekt aus, mit "vorhergehende" als Partizip I, aber würde man nicht eher vorangegangene sagen?

Auch meine Finger sind mittlerweile davon betroffen, und so schreibe ich, der früher blind mit allen zehn Fingern Texte verfassen konnte, meine Erlebnisse Buchstabe fürBuchstabe mit den Zeigefingern auf.
Da fehlt dir ein Leerzeichen.

So viel dazu!


Gruß,
Abdul

 

Hallo Berzerk,

ich muss Abdul dafür danken, dass er die Geschichte noch mal gepusht hat, ich hatte zwar gesehen, dass du sie geändert hast, aber dann ist es mir irgendwie wieder entfallen ... in letzter Zeit ist hier so viel los in der Horrorrubrik, was einerseits schön ist, weil es viel zu lesen gibt, aber andererseits komme ich nicht mehr hinterher.
Ich habe aber auch gar nicht viel zu sagen, das hier ist nur die Bestätigung, dass mir der neue Schluss im Vergleich zur ersten Version viel besser gefällt und ich die Geschichte jetzt richtig rund finde. Aber ich dachte, so eine Rückmeldung solltest du schon noch bekommen :)

Grüße von Perdita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo AbdulAlhazred, hallo Perdita,

sorry für die späte Rückmeldung, ich habe ein paar Tage fernab jeglicher Internetverbindung verbracht.

Zuerst einmal vielen Dank für das (nochmalige) Lesen und Kommentieren der Geschichte. Das alleine hat mich schon sehr gefreut.

@AbdulAlhazred

Die enthaltenen Elemente sind gut arrangiert aber allesamt absolut klassisch.

Vielen Dank für das Lob. Die Story sollte sehr klassisch sein, eine altmodische Gruselgeschichte, die sich langsam anschleicht und zwei oder drei mal böse zubeißt, wie zum Beispiel beim armen Jerry.

Mein Eindruck davon ist aber sehr positiv.
Dennoch: Wirklich eine spannende Geschichte, die dir da gelungen ist!

Ich bedanke mich dafür. Es freut mich sehr, dass Dir 3.Stock, rechte Wohnung gefallen hat und es gibt mir sehr viel Auftrieb für weitere Projekte.

Vielen Dank auch für die Vorschläge und Verbesserungen, ich werde gleich an die Arbeit gehen :).

@Perdita

Ich habe aber auch gar nicht viel zu sagen, das hier ist nur die Bestätigung, dass mir der neue Schluss im Vergleich zur ersten Version viel besser gefällt und ich die Geschichte jetzt richtig rund finde

Vielen Dank, dass Du mir nochmal geschrieben hast, wie Du das neue Ende findest, und sehr schön, dass es Dir gefällt. Das es nun rund ist ist zu einem großen Teil Deiner Kritik zu verdanken. Übrigens gefällt mir das Ende jetzt auch besser :)

Nochmals vielen Dank und viele Grüße

Berzerk

 

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