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Aaron

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24.05.2022
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Aaron

«Calla.»
Als ich die Stimme höre, erstarre ich. Aaron.
Ich bin gleichzeitig entsetzt, panisch und ein kleines bisschen glücklich. Letzteres gegen meinen Willen. Ich wusste nicht einmal, dass das überhaupt möglich ist.
Um ehrlich zu sein, rechne ich jeden Tag damit, ihn irgendwo anzutreffen. Schliesslich wohnen wir in der selben Stadt, da läuft man sich dann und wann einmal über den Weg. Wenn ich einen Auftrag in der Nähe seiner Arbeitsstelle oder seiner Wohnung habe, brauche ich morgens eine halbe Stunde länger im Bad. Nur zur Sicherheit. Damit mein Anblick ihn aus den Socken haut, sollte er per Zufall einen Blick aus dem Fenster werfen. Doch wir treffen uns nie. Selbst wenn ich absichtlich Orte aufsuche, an denen er sich gerne aufhält. Nie ist er da. Als würde das Schicksal höchstpersönlich unser Aufeinandertreffen verhindern. Und ausgerechnet jetzt. Jetzt wo ich todmüde bin, mein Kopf schmerzt wie die Hölle, ich verschwitzt und kaputt bin und nur noch nach Hause in mein warmes Bett kriechen will. Ausgerechnet jetzt begegne ich ihm? Das ist doch nicht fair.
Langsam drehe ich mich um.
Es ist düster um diese Uhrzeit, doch ich erkenne ihn sofort. Ich würde ihn immer und überall erkennen. Es gibt niemanden, der sich so bewegt wie er. Geschmeidig, leichtfüssig und selbstbewusst wie ein Panther.
Mit langen Schritten kommt er auf mich zu.
Wie immer haut mich sein Anblick um und wie immer frage ich mich, ob er diese Wirkung auf alle hat oder ob es nur mir so geht. Er ist gross, hat breite Schultern und dichtes, dunkles Haar. Rein objektiv betrachtet fällt er definitiv unter die Kategorie Heisser-Typ, jedoch eher auf eine coole, verwegene Weise, als auf diese perfekte, symmetrische Art, wie man sie von Models kennt. Sein Gesicht ist etwas zu breit, die Nase zu markant und seine Schneidezähne zu lang, aber die kleinen Makel verleihen ihm etwas draufgängerisches.
«Hey», sagt er lächelnd und lehnt sich vor, um mich auf die Wange zu küssen. Ein unaufdringlicher, frischer Geruch umgibt ihn und während ich mich verzweifelt frage, wonach ich selbst wohl rieche – bestimmt eine eklige Mischung aus Schweiss, kaltem Rauch und dem penetranten Parfum, das ich heute Abend aufgetragen habe – überkommt mich der absurde Drang, mich an seine Brust zu schmiegen und mein Gesicht in seiner Halsbeuge zu vergraben. Es ist wirklich peinlich.
«Hast du diese Woche Nachteinsatz?»
«Ja.» Ich spiele mit meinem Ring. Sobald er in der Nähe ist, bin ich unbeholfen wie ein Kleinkind. So ist es immer. Kaum sehe ich ihn, da verweigern meine Gehirnzellen den Dienst. Zack. Nur noch Leere. Ich weiss nicht, wohin mit meinen Armen, meinen Füssen oder meinem Blick. Ich verhalte mich seltsam und sage lauter seltsame Dinge.
Im Gegensatz zu mir wirkt Aaron so ungezwungen wie immer. Ich habe sogar den Eindruck, er freut sich mich zu sehen. Morgens um fünf Uhr, zerzaust, verschwitzt und gekleidet wie eine Nutte. Ich hasse ihn.
«Wieso hast du so was früher nie angezogen?», fragt er grinsend und sieht mich an, mit diesen lauernden, braunen Panther-Augen, bei denen man nie genau weiss, ob er einen umschmeicheln oder angreifen will.
«Ich hätte nicht gedacht, dass du auf Lack und Leder stehst», sage ich mit einem kleinen Lächeln und liefere ihm damit die perfekte Steilvorlage, aber alles was er dazu sagt ist: «Die Corsage ist zu eng. Kannst du darin überhaupt atmen?» Nun komme ich mir dumm vor. Wahrscheinlich macht er das mit Absicht.
Er fährt damit fort, von seinem Abend zu erzählen, dem Geburtstag, den er mit seinen Freunden gefeiert hat. Die meisten Leute kenne ich und während ich zustimmend nicke und an den richtigen Stellen lächle, fühlt es sich an, als würde er mein Herz mit seinen blossen Händen zerquetschen. Ich versuche mich auf seine Worte zu konzentrieren, aber die Mimik seines Gesichts, der Ausdruck seiner Augen, die Gestik seiner Hände und der Klang seiner Stimme lenken mich ab.
Ich betrachte die kleinen Fältchen um seine Augen und frage mich, ob er die schon immer hat. Das kalte Licht der Scheinwerfer legt einen dunkelblauen Schatten auf sein Gesicht und lässt ihn älter wirken, als er in Wahrheit ist. Das Spiel von Licht und Schatten fasziniert mich. Ich würde ihn gerne malen. Genau so wie er hier steht. Das Funkeln in seinen Augen einfangen, den kühlen Farbton seiner Haut und den leicht geschwungenen Mund. Dunkelblau, Beige und Rotbraun.
Mein Blick bleibt an seinem Mund hängen, an den schnellen auf und ab Bewegungen seiner Lippen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, ihn zu küssen. Wie weich seine Lippen wären und wie stachelig sein Dreitagebart.
Frustriert reisse ich meinen Blick von seinem Mund los und starre auf einen Punkt schräg hinter ihm. Ich sollte nicht über solche Dinge nachdenken. Ich sollte überhaupt nicht über ihn nachdenken. Das ist einfach nur erbärmlich.
Er hält in seiner Erzählung inne und sieht mich an.
«Langweile ich dich?» Sein Tonfall ist scherzend aber ich höre den strengen Unterton. Es ärgert ihn, dass ich mit meinen Gedanken wo anders bin. Meine Verträumtheit hat ihn immer geärgert. Einer der Gründe, weshalb wir nicht mehr zusammen sind.
Natürlich bin ich zu stolz, um zuzugeben, dass ich mich in seiner Nähe nicht konzentrieren kann, also lache ich, als hätte ich die Schärfe in seinem Tonfall nicht gehört oder als interessierte sie mich nicht. «Du würdest mich niemals langweilen.»
Das ist die Wahrheit. Wahrscheinlich das wahrste, das ich heute Abend zu ihm gesagt habe aber ich lasse meine Worte leichtfertig klingen, als wären sie nur so dahingesagt und überspiele ihre Bedeutung mit meinem Lächeln.
Er erwidert mein Lächeln. Wahrscheinlich gegen seinen Willen. Und da, ganz plötzlich, wird mir bewusst, dass auch ich noch ein kleines bisschen Macht über ihn habe. Vielleicht immer haben werde. Doch es reicht nicht. Nicht für ihn.
Als er sich schliesslich verabschiedet und in die entgegengesetzte Richtung geht, starre ich ihm nach und versuche mir jedes Detail einzuprägen. Die Art wie er läuft, wie sich das dünne T-Shirt an seinen Schultern spannt. Wie vorteilhaft die dunkle Jeans seinen Hintern betont. Ich weiss, dass Aaron sich nicht besonders für Mode interessiert aber er ist immer gut angezogen.
Als würde er meinen Blick spüren, sieht er über die Schulter zurück und grinst mich an. Mein dummes Herz macht einen Satz. Dabei weiss ich, dass er mir die Sterne vom Himmel holen könnte, wenn er wollte. Er will nur nicht.

 
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Ich habe sogar den Eindruck, er freut sich mich zu sehen. Morgens um fünf Uhr, zerzaust, verschwitzt und gekleidet wie eine Nutte. Ich hasse ihn.

Ich stelle mir vor, wie es wäre[,] ihn zu küssen. Wie weich seine Lippen wären und wie stachelig sein Dreitagebart.

Meine Güte, da arbeitet einer mehr als 19 Jahre in einem – wenn auch katholischen und zum Schluss im Krieg mit der Geschäftsleitung und dem (damaligen) frommen Eigentümler – Krankenhaus und muss hier nun die romantische Einfalt des Arzt-Heftchen-Romans erlesen – und alles nur wegen des Titels, hinter dem ich alter, gebrechlicher Mensch den alttestamentarischen Namen des mosaischen Bruders während des Auszuges aus Ägypten zu erkennen meinte.

Aber kein Grund,

liebe @Sejee -

oder doch „Calla“?,

aufzugeben – man, in dem speziellen Fall halt ich, muss immer aus seiner Erwartungshaltung raus, letztlich ist alles halb so wild und findet einen angenehmen Schluss. Kein Grund aufzugeben, aber es bleibt viel zu tun hinsichtlich der Grammatik, die – wie eigentlich jede Regel – schlicht und einfach Komplexität reduzieren soll. Stell Dir vor, jeder könnte eine Lautfolge (der Laut aus der schriftlosen Zeit bestimmt auch unsere Schreibregeln) schreiben, wie er wollte – ein „autsch“ ist was anderes als ein „tschau“ -

und damit herzlich willkommen hierorts!

Als ich die Stimme höre[,] erstarre ich. Aaron.
...
Um ehrlich zu sein[,] rechne ich jeden Tag damit, ihn irgendwo anzutreffen.

Rein objektiv betrachtet fällt er definitiv unter die Kategorie Heisser-Typ, …
Klingt ein bisschen überheblich … was ist in subjektiven Dingen schon objektiv?
Du bist Schweizerin (alternativ könnte sein, dass Du auf einer angloamerikanischen Tastatur arbeitest)?!

Sein Gesicht ist etwas zu breit, die Nase zu markant und seine Schneidezähne zu lang[,] aber die kleinen Makel verleihen ihm etwas draufgängerisches.

Ich weiss nicht[,] wohin mit meinen Armen, meinen Füssen oder meinem Blick.

«Wieso hast du so[...]was früher nie angezogen?», fragt er …
so was immer auseinander, weil eigentlich ein verkürztes „so etwas“

«Ich hätte nicht gedacht, dass du auf Lack und Leder stehst», sage ich mit einem kleinen Lächeln und liefere ihm damit die perfekte Steilvorlage[,] aber alles was er dazu sagt ist:

«Die Corsage ist zu eng. Kannst du darin überhaupt atmen?».
Punkt nach den auslaufenden Gänsefüßchen weg!

Ich versuche mich auf seine Worte zu konzentrieren[,] aber die Mimik seines Gesichts, …
(kommt nochmals vor. Vor musstu selber schauen. Für „aber“ Suchfunktion mit „aber“ nutzen.
Hier nun

Ich betrachte die kleinen Fältchen um seine Augen und frage mich[,] ob er die schon immer hatte.

musstu zusätzlich – zumindest im Satz – auf die Einheit der Zeitenfolge achten, also besser „… betrachte … frage … ob … hat.

(Schau mal unter Duden.de unter "Komma.de" nach, direkt nach der Rechtschreibreform wurden alle Variationen zur Kommasetzung da durchgekaut - und kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Ich bin auch nicht fehlerfrei ...

Bis bald

Friedel

 
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Wow, vielen Dank für das sorgfältige Lesen und die Korrekturen. Insbesondere, da du ja ein anderes Thema erwartet hast. An dieser Stelle: Tut mir ausserordentlich leid, dir meinen Groschenroman aufgezwungen zu haben. ? Umso mehr freut es mich natürlich, dass du nicht aufgegeben und dich bis zum Ende durchgekämpft hast. Tatsächlich habe ich sehr viele verschiedene Kurzgeschichten, zu unterschiedlichen Themen geschrieben, dachte mir aber, ich starte mein Debüt mit etwas leichtem, mit dem ich nicht viel falsch machen kann (bis auf diese verflixten Kommas leiderleider).
Liebe Grüsse
Sejee

 

Hallo Ronnie

Vielen Dank auch dir, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Geschichte zu lesen und für deine Verbesserungsvorschläge. Freut mich ganz besonders, dass dir meine Art zu schreiben gefällt. Ich habe noch nie jemandem einen meiner Texte zu lesen gegeben, deshalb bin ich dankbar für jede Rückmeldung.

Liebe Grüsse
Sejee

 
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Hallo Sejee,
da muss ich Friedrichrichard wiedersprechen. Für mich ist das kein Groschenroman. Da ist von echten Gefühlen die Rede. Vielleicht fühlt man das als Frau mehr als die Männer. Obwohl es sich alles kitschig anhört, ist es wirklich so mit der Liebe. Du suchst ihn an Orten, wo Du denkst, dass Du ihn treffen kannst und findest ihn nie. Das ist übrigens im Hohelied Salomons sehr gut dargestellt. Im allerungünstigsten Augenblick begegnest Du ihm. Das ist schon hart, wenn man merkt, dass der andere nur freundschaftliche Gefühle für einen hegt. So geht es mir mit einer platonischen Liebe zu jemandem, mit dem ich leider nie was hatte. Alle paar Jahre laufen wir uns über den Weg. Einmal musste ich schon bei Aldi an der Kasse plötzlich an ihn denken. Als ich vor dem Supermarkt am Fahrradständer stand, hörte ich Schritte hinter mir. Er war es. Leider öffnete sich sofort die Automatiktür, und er war mal wieder für ein paar Jahre verschwunden. Natürlich bin ich jetzt auch nicht mehr verliebt, aber immerhin war er meine längste unglückliche Liebe.
Gruß Frieda

 
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Hallo @Frieda Kreuz,

ich weiß, eigentlich uncool, im Komm einem Komm zu widersprechen, aber hier muss ich was zu sagen:

Vielleicht fühlt man das als Frau mehr als die Männer.
Quark, wir leben im friggin' 21. Jahrhundert, irgendwann muss doch mal mit diesem gegenseitigen Sexismus Schluss sein! Friedel hat das noch zart, untertrieben ausgedrückt, ich gehe voll mit (obwohl ich Eierstöcke hab, das muss einem ja nicht gleich das Hirn wegblasen).

Emotionen sind Emotionen und Kitsch ist Kitsch - letzteres macht ersteres billig, stumpf, unintelligent, klischeehaft, langweilig und uninspiriert. Kitschige Texte vermitteln keine echten Gefühle (selbst, wenn diese beim Schreiben eine Rolle gespielt haben sollten), sie drücken etwas eigentlich sehr Individualistisches in platten, tausend Mal gelesenen Phrasen aus und das verhindert, dass es authentisch wird. Kitsch ist entweder Kommerz, oder man schafft es nicht, Gedanken adäquat rüberzubringen. (Mit Kitsch kann man Geld machen, so man das will, aber keine tatsächlich spannenden, interessanten Texte schreiben.)

Fun fact: Emotionen und Gedanken funktionieren genau gleich, über Chemie, elektrische Impulse / Synapsenverbindungen. ;)

Herzlichst,
Katla

 

Hallo Zusammen
Danke für die Rückmeldungen. Ich denke, diese Art Kurzgeschichte ist wohl wirklich Geschmacksache, da sie einfach nicht sehr komplex, resp. aussergewöhnlich ist. ? Ich werde bald einen neuen Text veröffentlichen, der in Tonalität und Thema ziemlich von meinem ersten Text abweicht. Da bin ich dann ganz besonders auf die Rückmeldung derer gespannt, die mit der aktuellen Geschichte nicht viel anfangen können.
Liebe Grüsse
Sejee

 

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