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Aber ich muss doch meinen Vater lieben

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08.03.2017
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Aber ich muss doch meinen Vater lieben

Wir sitzen in der Küche. Wie zwei fremde. Schon immer so gewesen. Denke ich. Ich weiß es nicht.
Meine Mutter sagt es war anders. Früher da war ich klein. Viele Erinnerungen. Wenige an ihn. Mein Kopf ist voll. Man sagt man speichert Erinnerungen und kann sie abrufen. Ich kann. Bestimmt. Ich will aber nicht. Wir sitzen und schweigen. Niemand sagt etwas. Der andere würde eh nicht antworten. Wozu auch. Wir interessieren uns nicht füreinander. Er sagt nichts. Ich sage nichts. Die Tür geht auf. Erst der Hund , dann meine Mutter. Meine Laune bessert sich. Aber auch nicht. Widerspruch. Ich liebe sie. Aber sie ist nicht wie ich. Sie ist schwach. Lässt sich von ihm tyrannisieren. Ich nicht. Ich bin ausgezogen. Er weiß nicht wo ich wohne. Er besucht mich nicht. Das macht mir nichts. Wirklich. Meine Mutter redet. Wichtige Dinge . Ich gehe beruflich weg. Sie ist traurig. Er redet dazwischen. Immer. Ich hasse das. Unwichtige Dinge, Wetter und Benzinpreise. Was soll das. Dafür kann ich ihn noch weniger leiden. Er mag mich nicht. Meine Mutter redet gerne mit mir. Ich mit ihr. Er ist eifersüchtig. Denke ich. Vielleicht weiß ich es auch. Aber ich weiß nicht warum er wieder in der Küche sitzt. Er arbeitet. Manchmal. Er ist Beamter. Wenig Arbeit, viel Geld. Sagt man. Stimmt nicht. Er hat kein Geld. Er hat Schulden. Unendlich viele. Keine Übersicht. Niemand. Er schon gar nicht. Briefe zerreißt er. Heimlich. Denkt er. Wo das Geld ist. Niemand weiß es. Nur er. Spekulationen. Spielsucht, Bordelle wer weiß. Nur er. Ein bisschen wissen wir auch. Er trinkt. Oft und gerne. Und vor allem viel. Immer wann er Zeit hat. Er hat viel Zeit. Er arbeitet wenig. Er trinkt Bier wie Wasser. Halbe Liter. Manchmal sieben, manchmal acht, manchmal mehr. Unabsehbar. Manchmal ist er friedlich dabei. Manchmal nicht. Oftmals nicht. Er hört Musik und trinkt dabei. Schlager. Alte Lieder. Schrecklich. Auch dafür hasse ich ihn. Dann wird er aggressiv. Sehr. Er schreit. Er schlägt Türen. Er bedroht uns. Droht meiner Mutter. Er werde sie umbringen. Sich selbst erhängen. Ich bin traurig. Meine Mutter tut mir Leid. Ich bin wütend auf sie. Niemand soll sich so behandeln lassen. Sie tut es. Ich hasse sie dafür. Manchmal gebe ich ihr die Schuld. Sie soll gehen. Weg von ihm. Weit weg. Es gibt Institutionen die helfen. Bestimmt. Auch ihr. Sie ist ein guter Mensch. Barmherzig , lieb, lustig. Sie lacht gerne , schenkt gerne. Er nicht. Er ist nicht lustig. Lacht nicht. Ein Herz hat er nicht. Meine Mutter sagt früher war er anders. Glaube ich nicht. Ich weiß es nicht. Er ist geizig. Er kauft viel Bier. Nie gibt er meiner Mutter etwas. Alles muss sie selber kaufen. Nur manchmal. Manchmal darf sie einkaufen. Alles wird kontrolliert. Er kontrolliert wo sie hingeht. Wann. Zu wem. Mit wem. Er kontrolliert wer anruft. Jeden Tag. Immer wieder. Manchmal verbietet er wer anrufen darf und wer nicht. Meine Tante nicht. Sie weiß wie er ist. Er mag das nicht. Stellt sich gerne als guten Menschen dar. Vor anderen. Morgens holt er oft Brötchen. Aber nur für sich. Nie für meine Mutter oder meine Schwester. Brötchen und Mett. Alle denken er sei fürsorglich. Müsse für sich selbst sorgen . Der arme. Sie wissen nichts. Ich weiß mehr. Er denkt nur an sich. Wir sind ihm egal. Widerspruch. Meine Mutter darf nicht gehen. Sonst wird er sie umbringen. Sagt er. Manchmal wünsche ich er würde sich selbst umbringen. Meine Schwester hat sich arrangiert. Sie lebt mit ihm. Mehr oder weniger. Ich liebe sie. Sie ist nicht wie ich. Sie ist still. Eingeschlossen in sich selbst. Was sie denkt weiß ich nicht. Weiß niemand. Sie spricht nicht. Wenn dann wenig. Oberflächliches. Nichts tiefgründiges. Stille Wasser sind tief. Sie tut als würde sie seine Ausraster nicht mit bekommen. Ich glaube ihr nicht. Sie kann schweigen. Über alles . Sie ist Vertrauensschülerin. Alles ist sicher bei ihr. Für mich wäre das nichts. Ich rede gerne. Und viel. Er beschimpft sie manchmal. Sie ist sitzen geblieben. Er sagt sie sei dumm. Ist sie nicht. Er ist nur gemein. Gemein zu ihr. Zu meiner Mutter. Gemein zu jedem. Dafür hasse ich ihn. Er hasst sich selber. Glaube ich. Er ist wütend auf sich. Seine Schulden. Schulden kommt von Schuld. Seine Schuld. Er sagt unsere Schuld. Kann nicht sein. Er war immer weg. Urlaube. Überall hin. Auf Kredit. Er hat viele Karten. Und viele gesperrte Karten. Unsere Schuld. Mich macht das wütend. Er lügt. Er lügt oft. Auch über uns erzählt er Lügen. Gemein. Es ist unfair. Es stimmt nicht was er sagt. Andere wissen das aber nicht. Woher denn. Nur ich rede. Davon ,dass wir uns nicht mögen. Dass er mich nicht mag. Dass ich ihn nicht mag. Das wir nicht reden. Uns nicht anrufen. Nie. Kein Anruf. Meine Mutter rufe ich oft an . Und gerne. Wie es ihr geht. Ihn nicht. Es interessiert mich nicht. Ich brauche ihn nicht. Er mich auch nicht. Das ist fair. Keiner fühlt sich benachteiligt. Wir schenken uns nichts. Nicht zu Weihnachten. Nicht zum Geburtstag. Meine Mutter und Schwester vermitteln. Sie schenken dem anderen in unserem Namen. Blödsinn. Ich weiß dass er mir nie etwas schenken würde. Und ich ihm. Wozu auch. Ihn interessiert nichts. Nur Bier. Oder sein Tablet. Alles andere nicht. Ich interessiere mich für viele Dinge. Rede gerne. Gehe unter Leute. Lache oft und gerne. Habe ein Herz. Er nicht. Nichts davon. Schon gar kein Herz. Einmal hat er den Hund getreten. Er war betrunken. Wie so oft. Ich hätte gerne ihn getreten. Ich möchte immer noch. Ich hasse ihn. Er hasst mich. Und doch sind wir uns ähnlich. Das ärgert mich. Wir sehen uns ähnlich. Dunkle Haare, dunkle Augen. Meine Mutter sagt früher war er hübsch . Ich habe Fotos gesehen. Es stimmte. Ich bin hübsch. Wir sind uns ähnlich. Irgendwie. Beide stur. Eigensinnig. Wollen immer Recht haben. Ich auch. Vor allem bei ihm. Er darf nicht im Recht sein. Unmöglich. Das ärgert mich. Wir regen uns beide furchtbar schnell auf. Über kleine Dinge. Manchmal frage ich mich wieso . Wieso regt er sich auf. Dann fällt es mir ein. Ich bin auch so. Kleinigkeiten können mich wahnsinnig machen. Ihn auch. Wir sind uns ähnlich. Er trinkt gerne . Bier . Ich trinke ab und zu. Wein. Schon sind wir uns nicht mehr ähnlich. Absichtlich. Er wird dann aggressiv. Ich müde. Und ich rede. Mehr als sonst. Wieder keine Ähnlichkeit. Manchmal habe ich Angst. Dem Alkohol zu verfallen. Wie mein Vater. Wie sein Vater. Er redet Schlecht über seinen Vater. Ich über meinen. Familientradition. Beides. Ich weiß es nicht. Es scheint so. Jede Familie hat doch eine. Unsere ist nicht schön. Aber es gibt sie. Zählt das nicht auch. Irgendwie muss das zählen. Er geht bald in Rente. Will auswandern. Sehr gut. Weit weg. In die Sonne. Nicht weit genug. Ich weiß nicht wohin aber es ist nicht weit genug. Ein Planet scheint für uns zu wenig. Dasselbe Sternzeichen. Hörner. Mit denen wir uns aufspießen wollen. Irgendwann schaffen wir das. Bestimmt. Ich bin mir sicher. Ich liebe meine Mutter . Über alles. Und meine Schwester. Aber ich muss doch meinen Vater lieben. Oder nicht. Ich weiß es nicht…

 

Hallo Shelly Tho,
freut mich, den ersten Kommentar zu Deiner ersten Geschichte hier zu schreiben. Ein interessantes Experiment, was Du damit wagst. Ja, wagst. Weil natürlich der Stil der Erzählung, wenn man den Gedankenfluss so nennen mag, schon extrem ist. Der will stockend sein und ist das auch konsequent, will sich nicht anbiedern, nicht sprachlich nett daherkommen, sondern die ausgetrocknete Beziehung zum verhassten Vater auch in einer fast verödeten Sprache zum Ausdruck bringen. Das hat was. Im Verlauf lässt der Effekt nach und man hängt in dem Satz- und Wortgehämmer ein wenig durch. Dann ist die Frage nach einer Handlung, wenn man eben den Begriff Geschichte verwenden will. Das ist der Text im Grunde nicht. Da denkt eine Tochter (zumindest habe ich so eine vor Augen) darüber nach, warum sie den Vater hasst, versucht sich über Gefühle klar zu werden, um am Schluss festzustellen, dass sie nichts spürt, obwohl es anders sein müsste. Also ist es mehr ein innerer Monolog, eine Seelenerforschung, die sich aus verschiedenen Handlungspartikeln zusammensetzt. Wie gesagt, ich finde das am Anfang interessant, ermüde dann etwas, wo der Sprachduktus immer gleich bleibt. Vielleicht wäre es interessant, den Stil am Ende in eine andere Richtung zu führen hin zu zusammenhängenderen Wortgebilden, die am Schluss ausufern. Aber das war ja nicht Deine Intention. Du hast Dich bewusst beschränkt bis zum Ende. Dadurch bekommt der Text auch eine karg-poetische Note.
Ein paar Rechtschreibfehler findet man und unklare Zeichensetzungen.
Beispiele:

Wie zwei fremde
Wichtige Dinge . Ich
Aber ich weiß nicht warum er wieder in der Küche sitzt.
Sie lacht gerne , schenkt gerne.
Mir ist noch aufgefallen, dass oft gehasst, geliebt und so weiter wird. Vielleicht (ich schränke das bewusst ein, weil ich es selbst nicht genau weiß) könnte man auch den Text nur durch die knappen Bilder wirken lassen, ohne so viel emotional zu erklären. Die Trostlosigkeit seines Saufens, der billigen Schlager, der Gewalttätigkeit käme so durch die Anschauung heraus und würde nicht verdoppelt durch die Gefühlsbegriffe. Das könnte auch der Ermüdung entgegenwirken. Aber, wie gesagt, ein interessantes Experiment.
Also: Guten Tag bei den Wortkriegern und schönen Gruß
rieger

 

Hallo Shelly Tho,
der Anfang hat mich sofort gepackt. Mit kurzen knappen Sätzen schaffst Du es, vor meinem inneren Auge einen lebendigen Charakter entstehen zu lassen, der immer wütender wird.
Ab der Mitte hab ich dann aber eine Wende vermisst, irgendetwas, was aus diesen Gedanken entsteht. Es hätte zu einer Szene kommen müssen, in der die Gedanken weiterentwickelt werden anhand der Handlung. Mich hätte interessiert, wie Deine Protagonistin in einer Situation agiert. Vielleicht verhält sich die Prot völlig konträr zu den Gedanken, agiert plötzlich selbst wie der Vater oder die Mutter, ohne es zu merken. Oder sie merkt es und ärgert sich darüber oder leidet drunter, je nachdem. Das würde die unsichtbare Schlinge, die sie um den Hals spürt, noch weiter zuziehen und die Geschichte auf einen Höhepunkt treiben. Wenn der noch drin wär, wäre sie für mich rund.
Ein paar Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen:
"... Immer wann er Zeit hat ..." = wenn
"... Er redet Schlecht ..." = schlecht
Insgesamt ein spannender Einstieg. Bin gespannt auf mehr.
Gruß, Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo, Shelly Tho,

herzlichst hier, bei Wortkrieger!

Als erstes möchte ich Dich auf einen großen Fehler hinweisen. Nicht, dass Du schlicht und einfach alle Kommas übersehen hast, sondern dass Du in einem Satz nur einmal ein Komma gesetzt hast. Diese Kommasetzung ist richtig und ist das einzige Komma im ganzen Text. Ich würde es trotzdem (obwohl es richtig ist, an dieser Stelle ein Komma zu setzen) streichen. Vor mindesten 30 übersehenen Kommas wirkt dieses Komma wie etwas besonderes, wie ein Hinweis, ein Wink mit dem Zaunpfahl (der es leider nicht ist oder?). Also, wenn ich deinen Text als ein Organismus ansehe, dann enthält er einen wichtigen Organ nicht (Komma). Nur Punkte! Warum? Das ist die erste Frage, die mich hier beschäftigt hat! Leider keine Antwort zusammenreimen können! Komma dient dazu, große Satzkörper zu kleineren besser verständlichen Körpergliedern zu werden: Hier ist ein Arm, hier ein Bein, hier der Kopf. Bei Dir will der Satz als etwas Ganzes/Einheitliches/Unzertrennliches sein, immer mit einem bestimmenden fetten Punkt am Ende: Basta! War das so gewollt?

Dein Text - kurze Sätze - ist einheitlich gut: kaum Adjektive, nichts unnötiges, Störendes. Der Leser wird eingesaugt von diesem Rhythmus, diesem Takt. Wenn ich mir aber diesen Text etwas menschlicher ansehen, so entsteht bei mir schon die nächste Frage: wer spricht eigentlich mit solchen Sätzen? Kleine Kinder oder Erwachsene mit einem bescheidenen eingeschränkten Vokabular/Fantasie. Oder vielleicht jemand, der in sich vor Wut oder Verzweiflung zurückgekehrt ist, sich von der Welt abgekapselt hat - und nun rum stänkert, nach Problemen ausserhalb seiner selbst suchen.

Deine KG ist eine gute primitive Introspektion in die Welt einer gekränkten Person, die sich zwischen Liebe und Hass eingeklemmt fühlt! Das sind die Gefühle, die ziemliche primitiv und oberflächlich dargestellt werden, ohne großartig in die Materie tiefgründiger einzugehen! Warum hasst sie den Vater? Warum liebt sie die Mutter?

Für mich ist diese Person jemand, der gerade in die Selbstständigkeit entlassen wurde und nach Selbstständigkeit, (Ab)lösung sehnt, weg von der starken Vaterfigur. Jemand, der schwächere Menschen als sie selbst bevorzugt und sie "liebt" und "stärkere" hasst. Eine Mentalität, die keine weitere Alternative zulässt! Also, eine 16-19 Jahre alte Person! An sich noch ein Kind!

Der Titel ist auch symbolträchtig, hat etwas biblisches, archaisches. Er setzt eine Antwort voraus, die ich im Text nicht beantwortet bekomme. Leider! Titel umdenken vielleicht!

Für mich ist das Wort "Hassen" synonym für "nicht verstehen". Es geht letztendlich in dieser Geschichte darum, ob man bereit oder nicht bereit ist, für jemand anders Verständnis einzubringen. Mir fehlt im Text die Frage "Warum?" Warum hasst sie diesen Vater! Nicht, weil er trinkt oder die Mutter schlägt, kontrolliert... Warum fehlt im Text die Frage warum? Es wird nur fahrlässig konstatiert und nicht kritisch hinterfragt, wie im Titel angekündigt etc.

Deine KG hat auch ein Prätext: "Jüngling"!!! Wenn Du Zeit hast, liest die erste 5 Seiten von diesem gigantischen Roman von Fjodor Dostojewski!!! Und Du wirst an einigen Stellen deinen Text wiedererkennen! Nur mit richtiger Kommasetzung und etwas mehr Adjektiven, und einer überraschenden Lösung des Problems, untypisch für Dostojewskij...

Viele Grüße
Herr Schuster

 

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