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Abschiednehmen
Als Marius den Hügel hinaufstieg, um mit Danielle zu reden, ahnte er nicht, dass er der erste sein würde, der eine Antwort bekommen würde. Marius hatte Danielle 2 ganze Jahrzehnte nicht mehr gesehen. 20 Jahre ohne eine Nachricht von ihr. Umso erschreckender fand er, was er kurz nach seiner Ankunft gehört hatte. Danielle solle seit 10 Jahren, jeden Abend kurz nach Sonnuntergang auf diesen Hügel steigen, sich oben auf das Gras setzen und ins Nichts starren. Kurz vor Sonnenaufgang kam sie erst wieder herunter, um in ihrer Gruft sich schlafen zu legen. Nicht ganz ungefährlich für eine Vampirin. Auch nicht für eine so starke wie es Danielle war.
Für Danielle war es nichts neues, jemanden hochkommen zu hören. Sie fühlte lange im Vorraus, wenn jemand auf sie zutreten wollte. Heute war es jemand besonderes. Sie spürte wie die großgewachsene und muskulöse Gestalt von Marius den Hügel hinaufkam. Und als sie merkte, dass er hinter ihr stand, begann sie zu sprechen, ohne dass er sie dazu auffordern musste. Zögernd und leise sprach sie, als spräche sie nicht mit einem anderen, sondern mit sich selbst: „Siehst du den Mond dort? Er ist gerade erst aufgegangen. Und trotzdem leuchtet er mit einer solchen Kraft, als käme er morgen nicht wieder. Wir waren einmal genauso… Damals… Erinnerst du dich noch an damals? An unsere erste Nacht? Vor so vielen Jahrzehnten? Ein Jahrhundert ist so schnell vergangen, nicht wahr? Unsre erste Nacht, als wir den Mond zum ersten Mal auf diese Weise leuchten sahen.“ Marius schwieg, er spürte, sie wollte noch weiter reden. „Es war alles so neu und unfassbar. Es war geil ein Vampir zu sein. Wenn wir uns nachts unter sie mischten. Unter die Normalsterblichen und mit ihnen tanzten und lachten und sie dann in eine kleine stille Ecke lockten, um sie dort zu beißen, sie auszusaugen, bis kein Blut mehr in ihnen war. Wir waren gefährliche Raubtiere unter so vielen Schafen.“
Schweigen breitete sich aus. Danielle würde von sich aus nichts mehr sagen. Also stellte Marius die Frage, die so viele vor ihm schon gestellt haben: “Bist du jetzt schon des Schattenlebens überdrüssig? Sitzt du hier seit einem Jahrzehnt Nacht für Nacht, weil dich dein Leben jetzt schon langweilt? Wirst du eines Morgens nicht ins Dunkle gehen und auf die Sonne warten?“ Die letzte Frage stellte er nur ganz leise, er hatte sich nicht halb so gut im Griff wie er es gern gehabt hätte. Längst verdrängte Gefühle kamen in ihm hoch, die Bilder aus den vergangenen Tagen. Aus der Zeit als es noch Marius und Danielle gab. Stumm stand er hinter ihr, betrachtete ihren Rücken. Im Geist durchlebte er noch einmal die Nacht in der alles endete. Ihre gemeinsame Jagd, ihre gemeinsame Zeit und ihre gemeinsame Liebe. Die Nacht in der er alles zerstörte. Die Nacht, die die schlimmste seines Lebens war und die er zutiefst bereute. Er erinnerte sich daran, wie sie vor ihm gestanden hat, in diesem atemberaubenden roten Kleid, dass mehr von ihrem Ausschnitt preisgab, als zu verdecken. Wie ihre blassgrünen Augen funkelten, als er ihr sagte, er liebe sie nicht. Wie ihre Wangen feuerrot wurden, als er ihr sagte, er ertrage sie nicht mehr. Und wie ihre roten Lippen wuterfüllt bebten, als er ihr Lebewohl sagte. Wie konnte er sie damals nur gehen lassen? Wie hatte er es nur fertig gebracht, nicht hinter ihr her zu gehen und zu erklären, warum er ihr das antat. Warum er ihr nur so das Herz brechen musste. Der Schmerz, den er seit dieser Nacht mit sich trug brach hervor. Blutige Tränen quollen leise seine Wangen herunter. Er wollte ihr so gern erklären was damals geschehen ist, aber er blieb stumm. Stumm obwohl es ihn quälte, die Geheimnis mit sich zu tragen. Stumm obwohl er wusste, dass sie nur aus Schmerz wegen ihm hier saß.
Als die Stille so unerträglich war, dass beiden das Herz fast brach, fragte Danielle: „Warum?“ Nichts weiter. Nur „warum?“ Und doch beinhaltete es soviel mehr, als eine schlichte Frage nach dem Grund. Sie wollte wissen warum sie litt, sie wollte wissen warum er gegangen ist, sie wollte wissen was sie trennte und sie wollte wissen, warum es so brutal geschehen musste. Sie wollte verstehen können, sie wollte Frieden finden können, sie wollte nicht mehr die Fehler bei sich suchen wollen.
Marius dachte an die Nacht, in dem sein Leben eine neue Wendung nehmen sollte. Er dachte an dich Nacht, in der er die frisch erweckte Danielle fand, in der sie Freundschaft schlossen und Liebe fanden. Als sie gebissen wurde und sich verwandelt hatte, hatte sie Panik bekommen und ist weggelaufen und so hatte er sie völlig verstört in einer Seitengasse gefunden. Sie hatte geweint und am ganzen Körper gezittert. Sein erster Gedanke war, dass irgendein Schwein sie geschändet hatte. Er hatte schon immer Mitleid mit solchen Mädchen, anders als die meisten, empfand er Mitleid mit Opfern… Ob nun seinen Opfer, Opfern von anderen oder Opfern von völlig andren Verbrechen. Doch als er die kleinen aber feinen Bisswunden an ihrem Hals sah, wusste er bescheid… Seit dieser Nacht waren sie unzertrennlich, er war es der ihr zeigte wie man jagte. Er brachte ihr bei was heißt als Vampir zu leben. Und er liebte sie, wie sie nie in ihrem Leben zuvor geliebt wurde. All das hatte er zerstört.
Auch Danielle begann jetzt zu weinen, leise bahnte sich die erste Träne ihren Weg über ihre Wange und hinterließ eine blutige Spur, auf der sonst so makellosen Haut. Marius setzte sich neben sie, nicht nur um sie zu trösten, auch um sich selbst zu trösten. Er bedaurte sehr was er getan hat und litt, ebenso wie sie litt…
Es war ein schönes Bild wie sie da so saßen. Von weitem waren sie einem Liebespaar, dass eine schöne Vollmondnacht genoss ähnlich.
„Ich weiß es ist zu spät, aber ich hatte gute Gründe damals.“ Begann Marius leise. „Ich hab sie noch heute. Aber du solltest wenigstens wissen, dass du alles richtig gemacht hast. Du warst mein Dreh und Angelpunkt. Du hast meine Welt zusammen gehalten. Du warst meine Welt. Du bedeutest mir mehr, als ich dir klar machen kann. Noch heute. Ich hab dich nie vergessen. Doch auch indem ich dies heute alles sage, mache ich es nicht wieder gut. Du wirst mir nie verzeihen, oder? Du hasst mich heute.“ Stumm schüttelte Danielle den Kopf. Sie dachte nach. Sie dachte daran, warum sie hier saß. „Als du mich aus deinem Leben gestoßen hast, war ich verletzt und ich wollte dir beweisen, das ich ohne dich leben kann. Und ich habe es versucht. Ich suchte mir Gespielen, die ich verstoß sobald sie mich liebten. Nur damit sie ebenfalls litten, so wie ich. Ich war brutal, wenn ich jagte und ich genoß es wenn meine Opfer unnötig lange litten. Ich war dieses Spiel irgendwann Leid. Jede Nacht ohne dich, ließ mich mehr daran zweifeln, ob ich für ein solches Leben und außerdem noch ohne dich, geschaffen sei. Eines Abends fand ich hier her und der Gedanke eines Morgens hier den Sonnenaufgang zu erleben, beängstigte mich nicht mehr. Ich fühlte ich hatte wenigstens einen Punkt in meinem entsagungsreichen Leben im Griff.“
Dieses Gespräch hatte lange gedauert. Der Morgen graute bereits, bald würde die Sonne aufgehen. Doch keiner von beiden machte eine Anstalt zu gehen. Und als die Sonne begann aufzugehen, murmelte Marius: „Man drohte mir dich zu töten, wenn ich dich nicht verlasse. Du wärst nie gegangen, wenn ich ehrlich gewesen wäre.“ Danielle seufzte noch einmal und die beiden erstarrten, als wären sie zu Stein geworden.
Als später ein wenig Wind aufkam, zerblies er die beiden zu Staub. Zurück blieb nur eine blasse Erinnerung an die beiden in den Köpfen der anderen!