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Alle für einen

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15.01.2019
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Alle für einen

„Was nun?“, fragte Johann neben mir. Vor uns standen 168 Insassen. Nein! Nicht 168. 167!
Ich drehte mich zu Johann. „Wie ist er raus?“
„Hat sich in der Wäsche versteckt.“ Ich verzog das Gesicht. Natürlich war ich wütend. Aber ich mochte Johann. Er war ein guter Soldat. Er hatte eine weitere Chance verdient, sich mir zu beweisen.
„Was schlägst du vor?“, fragte ich. Einen Moment sah er mich verwirrt an. Er war es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen.
„Ähm … Nun … Suchen! Wir suchen ihn! Und wir befragen seine Mitbewohner.“
Ein Anfang! Aber nicht genug! „Was hältst du von einem Exempel?“
„Wenn wir ihn finden, dann werden wir …“ Er sah meinen Blick auf die Gruppe.
„Oh“, sagte er, „natürlich müssen wir auch seine Baracke zur Rechenschaft ziehen. Sie waren gewiss an der Flucht beteiligt.“
Ich lächelte ihn an. Er hatte einen blonden Seitenscheitel und blaue Augen. Ein Prachtexemplar.
„Wie würdest du mit ihnen vorgehen?“
Er dachte kurz nach. „In die Kammer!“
Ein Wimmern war zu hören. Ein kleiner Junge klammerte sich an seine Mutter. Ich bückte mich zu ihm herunter.
„Wie heißt du denn?“
Große grüne Augen blickten mich an. Eine Träne kullerte seine Wange runter, als er mit zittriger Stimme antwortete: „R-Rafael!“
Er war vielleicht sieben Jahre alt, aber an seiner Nase konnte man bereits sein wahres Wesen erkennen.
„Bitte“, flehte die dreckige Gestalt über ihm. Sie legte einen Arm um den Jungen und der gelbe Stern darauf fiel mir ins Auge.
„Er ist noch so jung“, bettelte sie. Eine abscheuliche Kreatur, winselte wie ein Hund.
„Gas wäre zu gnädig.“
Ich stand auf und klopfte mir ein bisschen Staub von der Uniform. „Pfahlhängen wäre angebracht. Fang mit dem Kleinen an!“
Mit einem geübten Handgriff riss Johann den weinenden Jungen weg von seiner Mutter. Er wand sich unter dem kräftigen Griff.
„Nein, Rafael!“, schrie die Mutter und stürzte sich auf Johann. Sie war schwach und hatte gegen einen Deutschen nicht viel auszusetzen. Mit einem einzigen Hieb wurde sie zu Boden gestoßen. Johann zog mit der freien Hand seine Waffe. „Wie wagst du es?“
„Mama!“, quietschte der Kleine und versuchte den Arm um sein Hals zu lockern.
„Halt!“, rief ich. Eine verdutzte Miene machte sich auf Johanns Gesicht breit. „So leicht willst du sie doch nicht davon kommen lassen? Sie hat deine Uniform ganz schmutzig gemacht mit ihren Dreckfingern. Sie soll noch ihrem Sohn zuschauen. Danach kannst du mit ihr machen, was du willst.“
Man muss den jungen Soldaten immer ein bisschen Gerechtigkeit beibringen.

 

Er war vielleicht sieben Jahre alt, aber an seiner Nase konnte man bereits sein wahres Wesen erkennen.

„Un pour tous, tous pour un“, heißt es nicht erst bei den „drei Musketieren“ oder als verfassungsmäßiges Motto der Schweiz und nicht nur im Dritten Reich wurde die darin verborgene Solidarität auf den Kopf gestellt zum kollektiven Zwang,

liebes Träumerle,

aber so oder so ähnlich kann es gewesen sein und wenn man sich umschaut, werden immer noch weltweit Kollektive für einen einzelnen in Haftung genommen, ob nun dem Einzelnen eine Schuld zugesprochen werden kann oder nicht.

Ich nehme an, als Icherzähler hastu den Lagerkommandanten gewählt, deren bekanntester – Rudolf Höß - ein sehr gebildeter Mann war, der gerne klassische Musik hörte und im Lichte einer Lampe las, deren Schirm aus Haut - Menschenhaut geschaffen war - oder einen Adjutanten. Ganz so gebildet wie Höß wird Dein negativer Held nicht sein (er holt sich zu viel „runter“ meine ich).

Aber es ist gut, dass das Thema immer wieder wach gehalten wird – und sei‘s als Miniatur.

Und weil wir uns das erste Mal begegnen,
ein herzliches Willkommen hierorts!,
für das es nie zu spät sein kann ...

Friedel

 

Aber es ist gut, dass das Thema immer wieder wach gehalten wird – und sei‘s als Miniatur.
Ich bin im Geschichtsunterricht auf die Idee gekommen, das hier zu schreiben. Wir haben uns eine Doku über Auschwitz angeschaut und ich habe versucht, diese Grausamkeiten zumindest ansatzweise in Wörter zu fassen.
Ich nehme an, als Icherzähler hastu den Lagerkommandanten gewählt, deren bekanntester – Rudolf Höß - ein sehr gebildeter Mann war, der gerne klassische Musik hörte und im Lichte einer Lampe las, deren Schirm aus Haut - Menschenhaut geschaffen war - oder einen Adjutanten. Ganz so gebildet wie Höß wird Dein negativer Held nicht sein (er holt sich zu viel „runter“ meine ich).
Es hätte sich zwar genau so abspielen können. Das Pfahlhängen und die kollektiven Todesstrafen kamen so tatsächlich vor. Aber sämtliche Figuren sind fiktiv.
Und weil wir uns das erste Mal begegnen,
ein herzliches Willkommen hierorts!,
für das es nie zu spät sein kann ...
Danke, ich habe auch schon ein paar von deinen Kommentaren gelesen. Schön, dass du bei mir mal reingeschaut hast.

Liebe Grüße,
Träumerle

 

Wir haben uns eine Doku über Auschwitz angeschaut und ich habe versucht, diese Grausamkeiten zumindest ansatzweise in Wörter zu fassen.

Hoppla, dann ist wahrscheinlich auch der Name "Höß" gefallen ... In einem Spielfilm wurde er übrigens durch Götz George dargestellt, ist einiges her, dass ich jetzt nicht auf den Titel komm.

Die amerikanische Serie "Holocaust" brachte es als erstes auf den Punkt und zur Zeit der Erstausstrahlung (Ende der 70-er Jahre) verdiente ich mein saures Geld an einem MPI und da ging es über die Serie hoch her.
Sollten die ARD am Stück zeigen und nicht zerstückelt. Immer noch sehenswert.

Das erste Buch überhaupt über ein KZ (exakt Buchenwald) schrieb ein ehemaliger Häftling, Eugen Kogon, "Der SS-Staat". Kogon hat das System messerschaf auseinandergenommen und damit einen sozialwissenschaftlichen Standard gesetzt.

Wie dem auch sei, ein solcher "Fliegenschiss" (wie nah mag Gauland einem Gauleiter sein?) darf sich nie wiederholen!

Bis bald

Friedel,
der noch einen schönen Sonntagabend wünscht!

 

Hallo Träumerle,

ich finde das mutig von dir, dass du dich mit diesem Thema auseinandersetzt. Auch insofern, dass es Menschen gibt, die den Holocaust leugnen oder zumindest verquerte Vorstellungen davon haben, was in der Nazi-Zeit wirklich passiert ist.
Der zentrale Punkt, der dann immer alle aufgeschreckt hat, war das massenhafte Töten von Menschen, nur, weil sie einen anderen Glauben haben. Und das bedingungslose Gehorchen von so vielen Soldaten, die dies einfach ausgeführt haben. Die nicht hinterfragt haben, was denn Menschenwürde ist, die nicht revoltiert haben - sondern hirnlos Befehle ausgeführt haben.

Du beschreibst in deinem kurzen Text nun diesen finalen Moment - Leser mit geschichtlichem Wissen können das recht schnell zuordnen, denke ich. Aber junge Leser doch vielleicht nicht?

Mir fehlt in dieser Szene ein emotionaler Aufhänger von den Personen, die nun aufgehängt werden sollen. So wirkt das sehr dokumentarisch (obwohl du die erste Person gewählt hast), weil für mich zu wenig erzählt wird, um eine Leserbindung zu einer Person aufzubauen.

Die Tatsache, dass Juden millionenfach vergast und erschossen worden sind, wissen wir vom Geschichtsunterricht (wenn dies auf dem Lehrplan stand). Das erzeugt dann vielleicht noch einen kleinen moralischen Schock, so in der Richtung: wie konnte das passieren ...

Wenn du nun diesen kleinen Rafael näher gezeigt, ihn mir als Leser vorgestellt hättest und ich dadurch ein paar Dinge von ihm weiß (wie geht es ihm im Lager, wer aus seiner Familie ist auch noch da, glaubt er, davon zu kommen oder was erzählen ihm die anderen von der ganzen aktuellen Situation, in der sie stecken?) - dann leide ich mit, dann bin ich bei ihm und dann berührt mich der Text vielleicht.

Diese Informationen über Rafael sollten aber nicht erzählt, sondern von dir als Autorin gezeigt werden. Also zwei, drei Situationen im Lager als Kind (das erfordert Recherche, da darfst du nichts aus der Phantasie schreiben). Friedrichards Hinweis zu "Holocaust" ist wirklich ein Stück Kinogeschichte. Da siehst du, wie gutbetuchte Familien plötzlich nur noch mit einem Koffer als einzige Habe in einem Zug stehen, in dem normalerweise Material oder Vieh transportiert wird.
Da erlebt man Lebensgeschichten und heult über die unglaubliche Anmaßung des Nazi-Regimes, über Leben zu richten und man ist ungläubig, dass so viele mitgeholfen haben.
Schlage doch der/dem Geschichtslehrer vor, dass ihr diesen Film vielleicht mal in einer langen Filmnacht in der Schule ansehen könnt. (oder an einem Wochenende - soviel Unterrichtszeit kann er nicht dafür hergeben).
Ein sehr ergreifender Spielfilm zu dem Thema ist auch: Das Leben ist schön (1997) – Wikipedia

Wir brauchen junge Menschen, die genau wissen, wie das damals so entstehen konnte, damit sie wach sind und heute so etwas oder ähnliches nie mehr passieren kann.

Liebe Grüße
bernadette

 

Wenn du nun diesen kleinen Rafael näher gezeigt, ihn mir als Leser vorgestellt hättest und ich dadurch ein paar Dinge von ihm weiß (wie geht es ihm im Lager, wer aus seiner Familie ist auch noch da, glaubt er, davon zu kommen oder was erzählen ihm die anderen von der ganzen aktuellen Situation, in der sie stecken?) - dann leide ich mit, dann bin ich bei ihm und dann berührt mich der Text vielleicht.
Ich wollte die Bindung an Rafael bewusst nicht zu stark ausgestalten, da ich immernoch die Sicht des Lagerkommandanten hervorheben wollte. Ich werde mich aber bald nochmal an den Text setzen und schauen, was ich machen kann.

Die amerikanische Serie "Holocaust" brachte es als erstes auf den Punkt und zur Zeit der Erstausstrahlung (Ende der 70-er Jahre) verdiente ich mein saures Geld an einem MPI und da ging es über die Serie hoch her.
Sollten die ARD am Stück zeigen und nicht zerstückelt. Immer noch sehenswert.
Die Serie wurde auch von meinem Lehrer erwähnt. Bernadettes Vorschlag, diese mal in einer Nacht mit der Klasse zu schauen finde ich super, meine Klassenkameraden aber wahrscheinlich nicht unbedingt.
Danke euch beiden auch für die anderen Empfehlungen. Die werde ich mir demnächst sicher mal anschauen.

Liebe Grüße,
Träumerle

 

Ich werde mich aber bald nochmal an den Text setzen und schauen, was ich machen kann.
Vielleicht eine andere Erzählperspektive?

 

Hallo Träumerle,

ich finde auch, das ist ein mutiges Thema. Insgesamt gelingt es dir gut, die kurze Szene so zu gestalten, dass die Figuren und Szenerie rüberkommt - was mir irgendwie fehlt ist eine neue Idee, ein neuer Kniff oder Dreh bei der Szene.

Mit freundlichen Grüßen,

JuJu

 

Vielleicht eine andere Erzählperspektive?
Nicht in dieser Geschichte. Ich habe bewusst die Perspektive des Kommandanten genommen, da ich mit diesen grausamen Gedanken ein bisschen spielen wollte. Der Rassismus, die Abscheu und der Sadismus des Protagonisten sollten Mittelpunkt der Geschichte sein. Aus einer anderen Perspektive kann man das glaub ich nicht so gut darstellen.
Eventuell schreibe ich demnächst noch eine ähnliche Geschichte aus einer anderen Perspektive, aber hier ändere ich diesen Aspekt nicht.
Wenn du nun diesen kleinen Rafael näher gezeigt, ihn mir als Leser vorgestellt hättest und ich dadurch ein paar Dinge von ihm weiß (wie geht es ihm im Lager, wer aus seiner Familie ist auch noch da, glaubt er, davon zu kommen oder was erzählen ihm die anderen von der ganzen aktuellen Situation, in der sie stecken?) - dann leide ich mit, dann bin ich bei ihm und dann berührt mich der Text vielleicht.
Ich habe nun auch versucht Rafael und seine Mutter deutlicher zu charakterisieren. Ich hoffe, das ist ungefähr, was du meintest.
was mir irgendwie fehlt ist eine neue Idee, ein neuer Kniff oder Dreh bei der Szene.
Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, in ein KZ komplett neue Elemente zu bringen, falls es das ist, was du mit neue Idee meinst. Es soll ja immerhin nicht mit Vorstellungskraft, sondern mit Realismus schocken. Mein neuer Aspekt, den ich hier einbauen wollte war, alles aus der Sicht des Kommandanten zu schildern. Kann aber auch sein, dass ich deinen Kommentar einfach nur falsch verstanden habe.

Danke für eure Kommentare und Ideen,
Träumerle

 

Ja, das kann man als was Neues sehen ... aber ich seh da nichts Neues, du schilderst das genauso, wie man denken würde, wie sich so ein KZ-Typ verhält - er ist böse und sadistisch, ja, gut -- wer hätte das jetzt gedacht? Der Text ist kurz, okay beschrieben, aber ich seh leider keinen originellen Gedanken. Das ist jetzt auch nicht schlimm, man schreibt sich da vielleicht auch ran.

MfG

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich nochmals, wenn ich darf, denn jetzt weiß ich wieder (dank MetaGer) den Titel des Films, in dem Götz George auf geniale Weise (er hat öfters „Verbrecher“ selbst einem Kühlschrank wie mir ergreifend dargestellt) Rudolf Höß darstellte: „Aus einem deutschen Leben“

Was auf jeden Fall, wenn man schon mal dabei ist, auch sehen sollte ist „Schindlers Liste“ von St. Spielberg über Oskar Schindler, der 1.200 Juden vor Auschwitz retten konnte. Wer mit dem Wolf tanzt hab ich sogar 4-mal gesehen, davon 2 x im Original, auf die Weise gleich engl .und l
Lakota lernend) - auch da geht es um Völkermord,
was der weiße Amerikaner gerne verdrängt.

Bis bald

Friedel

 

Hallo,

Ich dachte ehrlich gesagt, dachte ich unter dem Titel bekomme ich jetzt was über Musketiere. Natürlich die echten mit den Musketen. Nicht die von Dumas, dass wäre Fanfiction. Überraschender Weise, fand ich in mich in einem Gefängniss wieder. Erst als die Kammern erwähnt wurden, habe ich kapiert, dass es ein Konzentrationslager ist.

Echt super geschrieben.

Der arme kleine Junge. Aber die kannten keine Gnade. Nicht alle, aber einige.

Sehr gut geschrieben.

 

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