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Am Strand
Wären wir Vögel, würde ich mich aus unserem Nest erheben und gen Süden fliegen. Was hält mich davon ab?
"Rod, schau nur! So schöne Steine!" Lan hebt einen und befreit ihn vom restlichen Sand auf seiner Oberfläche. "Wie fein er sich anfühlt, so schön kühl und glatt!" Lächelnd streicht sie mit dem Stein über ihre Haut.
Rod legt den Kopf in den Nacken und blickt nach oben. "Schön, dass Sie Dir gefallen.", erwidert er teilnahmslos.
Lans gute Laune scheint das nicht zu schmälern. "Und das hier, schau! Was für ein tolles Fossil!"
Rod dreht sich zu ihr um und blickt auf die Versteinerung, die sie ihm stolz wie ein Kind unter die Nase hält. "Was ist das?", fragt er.
"Ein versteinertes Lebewesen, oder zumindest ein Teil davon! Sieh Dir das an! Das ist vielleicht Millionen Jahre alt! Viele Millionen wahrscheinlich!"
"Du übertreibst wahrscheinlich mal wieder. Und macht das überhaupt einen Unterschied? Ist doch egal ob Millionen oder viele Millionen. Das ist eine Ewigkeit her. Tot ist tot und Stein ist Stein. Ich verstehe nicht, was Du daran findest."
"Aber diese armen Lebewesen!", erwidert sie. "Glaubst Du nicht, dass sie auch gerne gelebt haben? Was ist damals nur geschehen, frage ich mich manchmal."
"Was passiert ist? Asteroiden, Flutwellen, Vulkanausbrüche und andere Katastrophen eben. Das weißt Du doch! Und sowas wird auch das Ding da erledigt haben", erwidert er fast ungeduldig. Nach einer kurzen Pause fährt er mit sanfter Stimme fort: "Gegen Naturgewalten sind wir eben machtlos. Damit müssen wir leben." Er geht einen Schritt auf Lan zu.
"Meinst Du, uns könnte es genauso gehen?"
"Es sieht nicht danach aus, als ob uns bald ein Asteroid trifft oder größere Vulkane einfach mal so ausbrechen", antwortet er lächelnd. "Aber ja, irgendwann wird unsere Spezies auch nicht mehr hier leben. Aber wer weiß, vielleicht auf einem anderen Planeten wenn unsere Sonne längst verloschen ist, in vielen Milliarden Jahren."
"Aber was, wenn diese Lebewesen", sie hält die Versteinerung hoch, "wenn sie selbst Schuld haben, dass sie nicht mehr sind?" fragt sie traurig.
Rod weicht zurück. "So ein Unsinn! Schau Dir doch an was Du da gefunden hast. Was soll das? Glaubst Du, die hatten unsere Technologien? Hatten unser Wissen? Kultur? Religion? Staaten? Schulen? Krankenhäuser? Fortbewegungsmittel wie wir?" Er wird lauter. "Das waren einfache, primitive Kreaturen, die sich auf dem Land fortbewegten wie viele andere zuvor und danach auch und dann durch irgendein blödes Unglück ausgelöscht wurden."
"Rod, weshalb regst Du Dich so auf?"
"Es ist immer dasselbe. Du machst aus allem eine Riesendiskussion. Wollten wir heute nicht einfach mal ausspannen? Hier? In Ruhe?"
"Aber Rod, das tun wir doch!", sagt sie. Unverständnis liegt in ihrer Stimme. "Jedenfalls bisher.", ergänzt sie trotzig.
"Willst Du wieder über dieses Märchen von der Krise reden? Musst Du uns den Abend verderben?" Ein Vorwurf schwingt in seiner Stimme mit.
"Rod, hör bitte auf! Wieso musst Du nur so laut werden? Ich habe doch gar nichts gesagt!" Lan dreht sich wütend um.
Nach einigen Sekunden Stille wendet sie sich ihm zu. "Du sagst, es ist ein Märchen, dass sich die Temperaturen die letzten Jahre verändern und dass wir vieles dazu beitragen?"
"Das ist doch überhaupt nicht bewiesen! Es können auch einfach Messfehler sein! Und überhaupt, siehst Du? Du fängst doch wieder damit an!"
"Du glaubst, dass all die Daten der letzten Jahrzehnten in allen Ländern einfach mal so gefälscht wurden?"
"Nein, aber das sind doch einfach nur Schwankungen der Sonne! Mehr nicht!"
"Achso, klar. Und wieso sind die Auswirkungen zum Beispiel nicht nur im Sommer messbar, sondern mehr noch an den Temperaturen im Winter und in den Nächten? Hast Du darauf eine Antwort?"
"Na und? Die paar Grad werden uns nichts anhaben. Im Gegenteil! Manche unserer Pflanzen werden in Zukunft besser wachsen und als heute! Also hör doch bitte endlich auf mit diesem Thema!"
"Und wie sollen die Pflanzen besser wachsen? Durch die vermehrt auftretenden Unwetter? Ohne fruchtbares Land auf dem sie wachsen können?"
"Selbst wenn Du recht hättest und unser Klima sich so sehr ändert, dass es gefährlich für uns werden würde, können wir doch nicht wirklich etwas dagegen tun! Wie stellst Du Dir das vor?"
"Wir können zumindest mal endlich die Beschleunigung verhindern und uns Zeit verschaffen! Wir kennen ja die Ursachen, also können wir auch was dagegen tun."
"Hör Dir doch mal zu! Alles was Du und Deine Freunde so an Vorschlägen habt, sind teure Hirngespinste, Verbote und Gängeleien. Alles viel zu teuer und nicht praktikabel. Als ob wir gerade nicht wichtigere Probleme haben! Hunger, Krankheiten. Wieso engagierst Du Dich nicht dafür?"
"Du bist do ein Heuchler! Wenn Du Durch Geld Dein Leben retten könntest, dann wärst Du bereit dafür, oder?" Lan war endgültig in Rage. "Aber Du hast ja Glück, denkst Du. Es trifft nur die Anderen, weit weg oder noch gar nicht geboren! Du denkst nur an Dich und Deinen eigenen Wohlstand, nur an heute, nicht mal zehn oder zwanzig Jahre weiter."
"Lan, wir müssen abwarten bis wir genau erforscht haben, was wir dagegen tun können. Und wir müssen an Geoengineering und so arbeiten, um wirklich etwas erreichen zu können!"
"Wie kannst Du nur bestreiten, dass unser Planet sich abkühlt? Wir wissen doch, woran das liegt. Wie kannst Du das nur bestreiten? Und auf eine Wundermaschine die alles wieder repariert, ist keine Option!"
"Ach, Lan! Diese Abkühlung hat schon vor zwei Jahrzehnten geendet. Es gab niemals die Krise, von der Du und Deine Freunde immer reden!" Rod klang schriller. "Du, Ihr lasst Euch verführen, belügen und für dumm verkaufen und Ihr werdet absolut nichts erreichen, weil es einfach nichts zu erreichen gibt! Wir werden nicht aussterben, die Welt geht nicht unter! Verstehst Du das?" Seine letzten Worte gleichen einem Kreischen.
Lan ist verstummt.
Plötzlich scheint ihr, dass ihr beider Schicksal mit dem der Erde verwoben ist. Das Eis breitet sich von beiden Polen weiter und weiter über die Meere aus, saugt, einem Schwamm gleich, das Wasser auf und lässt die Meeresspiegel immer tiefer sinken, bis es ihnen unmöglich ist dort zu überleben.
Ihre Welt wird seit langer Zeit kälter. Nie zuvor verspürt sie dies deutlicher als gerade in diesem Moment. Ihre Freundschaft ist nur noch eine hohle Schale, die Liebe in Ihrem Inneren durch all die Enttäuschungen, den ständigen, fruchtlosen Streit zugedeckt, erstickt und erfroren.
Es gibt kein 'wir beide' mehr. Sie weiß nicht, wie lange schon, aber die Klarheit dieser Erkenntnis ist befreiend.
Das Schweigen dauert zu lange.
"Ich gehe nach Hause.", sagt Rod. "Ich weiß, wir hatten etwas anders vor, aber mir ist nicht mehr danach."
Erwartet er nun eine Entschuldigung? Ein Zeichen des Bedauerns? "Mach das, Rod."
"Sollen wir morgen nochmal reden?"
"Mal sehen. Komm gut nach Hause, ich mach mich schon mal fertig."
Rod schüttelt beim Umdrehen fast unmerklich den Kopf und entfernt sich schnell ohne sich nochmals umzudrehen.
Sie sind extra so nah an den Strand gefahren. Den Sonnenuntergang will sie sich nicht entgehen lassen. So sehr hat sie sich darauf gefreut. Nein, sie will sich das nicht nehmen lassen!
Den Sonnenschutz über die Augen ziehen, die Ausrüstung prüfen. Dann spant sie ihre Muskeln und stößt sie sich kräftig mit Beinen und Schwanz vom Meeresboden ab. In wenigen Minuten wird sie an der Oberfläche sein und die durch Dunst und Staub rot gefärbte Sonne am Horizont versinken sehen. Ihre Kiemen vibrieren vor Aufregung. Sie hat sich schon so lange darauf gefreut.
Ich werde nicht fliehen. Ich werde mich den vielen anderen, die wie ich denken, anschließen.