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Am Ufer des Euphrat

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16.06.2002
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Am Ufer des Euphrat

So sitze ich, Ahati, am Ufer des Euphrat. Schiffe fahren an mir vorbei. Ich blicke ihnen nach. Aus allen Ländern des Weltkreises kommen sie, schwer beladen mit Waren. Hier am Ende des Hafens sitze ich nun und betrauere mein Schicksal. Asche streute ich auf mein Haar. Tagelang saß ich in meinem Haus, konnte kaum das Bett verlassen. Die Diener jammerten ob meines Zustandes. Bleich war mein Gesicht. Unter den vom Weinen geröteten Augen lagen dunkle Schatten.

Heute erst habe ich mein Haus verlassen. Ich musste mich zum Einnehmen der Speisen zwingen. Mein treuester Diener begleitet mich, hält geduldig den kleinen Baldachin über mein Haupt. Die hängenden Gärten des Palastes konnten mein schweres Herz nicht erfreuen. Hier am Hafen, an der letzten Stelle vor der Stadtmauer, behagt es mir besser. Trübe ist der Fluss, Unrat schwimmt darin. Der faulige Geruch stört mich nicht. Mein Diener rümpft die Nase. Hier ist es ruhig, nur wenige gehen vorbei, maßregeln mich mit ihren Blicken. Eine Frau alleine mit ihrem Diener am Hafen sitzend, derlei sei ungeziemlich, heißt es.

Es bedeutet mir nichts. Mögen sie mich mit verächtlichen Blicken messen. Was hat jemand wie ich schon zu verlieren. Eine ehemalige Tempeldirne. Im Dienste der Ischtar stand ich und bereitete vielen Lust. Edle waren darunter, Händler, auch Beamte des Königs. Einigen sah ich wehmütig nach. Doch die Göttin verbat mir und auch ihnen, sich der Zuneigung hinzugeben.

Tausende von Silbertalenten erhielt ich für meine Dienste. Die Herren und der Tempel waren großzügig. Vor einem Jahr kaufte ich ein Haus mit einem kleinen Garten und drei Sklaven. Meine Schränke sind voll kostbarer Kleidung. Ich besitze erlesenen Schmuck. Eine Zeit lang wähnte ich mich glücklich.

Vor einigen Monaten blickte ich in zwei Augen. Auf der Straße zum Turm des hohen Tempels des Marduk. Seine Augen waren ein wenig heller, als sie hier üblich sind. Zwei Diener hatten ihn begleitet. Ein Gesandter vermutlich, aus dem Reich Mitanni möglicherweise. Zumindest erschien es mir so. Ich hörte ihn unsere Sprache sprechen, als er dem Händler Anweisungen gab, den Karren zu beladen. Meinen Diener hieß ich, ihm unauffällig zu folgen. Im Gewühl der Menge fiel dies nicht auf. Das Haus eines edlen Fremden sei es, berichtete er mir. Er hätte die Sklaven, welche das Tor zum Vorgarten bewachten, ausgefragt. Ich hatte Recht. Der Mann war einer der ständigen Gesandten des Reiches Mitanni. Mein schlauer Diener hatte sich verstellt, behauptete, er hätte sich verlaufen und einen Schwatz mit den beiden angefangen. So erfuhr ich, wer mich verzauberte.

Unruhig wurden meine Nächte. Ich konnte ich nicht davon ablassen, an ihn zu denken. Jeden Tag pflegte ich schließlich auf der Promenade zum großen Turm des Marduk zu wandeln, in der Hoffnung, ihn dort wieder zu sehen. An einem bestimmten Tag pflegt er mit seinen Dienern dort ein Handelshaus aufzusuchen. Vermutlich regelt er seine Geldgeschäfte. Einmal lächelte er mir zu. Ich verbarg mein Gesicht hinter meinem Schleier, ging eilends weg. Seither bin ich verloren.

Niemals würde er einer ehemaligen Tempeldirne seine Gunst erweisen. Die Sitte verbietet es, der Anstand hat gewahrt zu bleiben. Meine Diener rieten mir ab. Ich dachte daran, einen Schreiber zu holen, mich zu erkennen zu geben, die Nachricht dem Angebeten zukommen zu lassen. Die Sklaven brachen in lautes Wehklagen aus. Niemals hätte es solch einen Verstoß gegen die Gesittung gegeben. Ich ließ davon ab. Am nächsten Tag besuchte ich den großen Tempel des Marduk, brachte Opfer dar, befragte einen Priester ob meiner Angelegenheit.
„Tochter der Ischtar", brummte dieser erbost, „Du hast dein Leben der Göttin geweiht. Derlei Verlangen sind dir untersagt. Erfreue dich der Reichtümer, die sie dir schenkte."

Am selben Tag berichtete mir mein Diener, er habe ihn mit einer Frau zusammen gesehen. Daraufhin sei er zu dem Haus gelaufen, um mit einem der Türwächter einen Schwatz zu halten. Im Gespräch erfuhr er, dass mein Angebeteter eine Edle aus angesehener Familie ehelichen würde.

Es war, als ob ein Messer tief in meine Brust stäche. Unerträglich wurde mir der Schmerz. Seitdem habe ich das Haus nicht verlassen. Bis heute. Ich trage nur ein Kleid aus einfachem Stoff. Schmuck lege ich nicht mehr an. Mein Haar ist ausgefranst. Meine Diener dürfen es nicht schneiden. Auch schämen sie sich für mich. Ihre Herrin, sagen sie, solle ihre Habe zur Schau stellen, damit sie stolz sein können.

Es bedeutet mir nichts. Tand, nichts als Tand all die feine Garderobe, der Schmuck. Jeden Tag bade ich in feinsten Duftwassern. Nicht weil ich möchte, sondern weil meine Diener es vorbereiten. Mein Schmerz begleitet mich stets. In der Nacht wird er milder, sanfter. Der Tag ist mir ein Gräuel. Die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel. Ihre grellen Strahlen blenden mich, lassen den Schmerz in mir auflodern.

Es ist nicht die verlorene Liebe, welche den Schmerz Tausender Messerstiche in mir hervorruft. Nie geliebt zu haben, auch nicht die geringste Aussicht darauf, lieben zu dürfen, ist der Grund meiner unerträglichen Pein. Die Händler grüßen mich ehrerbietig, nicht da sie mich schätzen, sondern weil meine Diener viel Silber bei ihnen lassen. Jene, welchen ich Lust bereitete drehen den Kopf weg, wenn sie mich sehen. Haben sie doch im Tempel der Ischtar der Wollust mit mir gefrönt, ohne dass ihre Frauen davon erfuhren.

Meine Diener versichern mir stets, wie sehr sie mich achten. Doch sie tun dies, da sie mein Wohlwollen brauchen, ihre Nahrung, ihr Obdach und keinen neuen Herren wollen, der sie schlagen könnte.

Meine Mutter hatte mich weggeben in jungen Jahren. Sie hatte mich beim Tempel stehen lassen und ging. Was aus meinen Geschwistern wurde, weiß ich nicht. Es ist so lange her. Die Priesterinnen nahmen mich auf, unterwiesen mich. Ich war sehr schön, beherrschte die Kunst des Beischlafs, des Tanzes, des Leierspiels. Deshalb wurde ich reich beschenkt, häufte mir ein Vermögen an. Jetzt sind leichte Falten in meinem Gesicht, so manch graues Haar auf meinem Haupt. Jener Angebetete hat in mir das erweckt, wonach jeder Mensch sehnsüchtigst strebt, doch war es mir nicht vergönnt.

Ich werde mich an den Schmerz gewöhnen. Er wird mein ständiger Begleiter sein. Irgendwann werden die Messerstiche zur Gewohnheit. Ich werde mit dem Schmerz sprechen, jeden Tag. So wird er zu meinem treuen Begleiter. Ist er doch besser als die unendliche Leere, die bis zu jenem Tag, als ich ihn sah, in meiner Seele war. Jetzt habe ich zumindest den Schmerz ob der fehlenden Liebe.

Nie durfte ich sie leben. Wenn sie in mir dann und wann aufflackerte, würgte ich sie ab. Es durfte nicht sein. Ischtar hat es so befohlen. Die Sitte will es so. Vielleicht werde ich den Tand wieder anlegen. Dem Leben das Antlitz entgegenhalten. Meinen Schmerz trage ich in mir, man wird ihn nicht sehen. Er gehört nur mir allein.

Kein Lachen, keine Freude, nur der Schmerz. So ist mein Leben, im Namen der Ischtar. So sitze ich am Ufer des Euphrat, blicke auf die Schiffe, hier im Hafen von Babylon. All das Treiben. Aus allen Ländern des Weltkreises fahren sie ein, bringen fremde Waren und Menschen. Es bedeutet mir nichts. Ich sehe zu. Es ist, als ob man mir eine Geschichte vorläse. Ich höre nur zu, bin nicht Teil davon. Nur mein Schmerz ist wirklich.

Ab nun werde ich mit ihm leben. Und an manchen Tagen werde ich wieder hier sitzen, am Ufer des Euphrat.

 
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Hallo Echnaton,

schließe mich meinem Vorredner an. Wenn jemand seinen Stil nicht suchen muss, dann du. Was für eine Sprache! Melodie und Rythmus in jedem Satz, unbeschreiblich schön. Kein Wort zuviel, kein Wort zu wenig. Und der Plot (was für ein hässliches Wort in Bezug auf deine Geschichte ;) ) is net so wirklich ganz neu (was keine Kritik sein soll, ehrlich, worüber wurde noch nichts geschrieben), aber was du daraus machst ...!!!!
Chapeau.

"Meine Mutter hatte mich weggegeben in jungen Jahren" - da ist ein Tippfehler.

Gleichermaßen beeindruckte wie begeisterte Grüße
Fran

 

Servus Blackwood,

danke fürs Lesen. Freut mich, daß Dir die geschichte gefallen hat. Deine Kritikpunkte laß ich mir sicher noch durch den Kopf gehen. Ich empfinde die Liebe als etwas, das man einfach als menschliches Wesen hat. So jeder weiß was sie ist, wie sie sich "anfühlt". Ahati tötet sie ja ab, als sie noch Tempeldirne ist.

Beim Schluß weiß ich noch nicht wie ich das machen werde. jede geschichte wird von mir ja zig Male nahchbearbeitet. Die Sehnsucht als Mittelpunkt... Wird sicher noch was kommen.

läse ist der Konjunktiv 2, lese, der Konjuntiv 1. Bei Sätzen so als ob, kommt meistens der Konjuntiv 2, also läse.

siehe Grammatik, Duden, S. 136

Danke nochmals für Deinen Kommentar

liebe Grüße

Echna


Servus Fran,

danke Dir fürs Lesen. Freut mich, daß es Dir gefallen hat. Wie schon oben erwähnt bleibt bei mir fast nichts so wie es ist. Den Tippfehler werd ich gleich ausmerzen (passiert doch immer wieder, selbst bei kürzeren Texten, seufz!).

Danke Dir nochmals und

liebe grüße

Echna

 

Salve Echnaton.

Deine Geschichte ist echt gut, besonders dein Stil gefällt mir. Man will gar nicht mehr aufhören zu lesen.

Der einzige Kommentarpunkt von mir, ist folgende Formulierung:

Ich konnte ich nicht davon ablassen, an ihn zu denken.

Ansonsten immer weiter so.

Vale

Creusa

 

Am Ufer ...

Hi Echnaton,

eine gefühlfolle und tragische Geschichte, die mir sehr gut gefallen hat. :)

Deine Prot hat nie Liebe leben dürfen, sei es für einen Partner oder ein Kind.
Was nutzt da aller materieller Luxus, wo die Liebe doch der größte Reichtum ist.
Ihre Sehnsucht danach muß unermesslich sein, doch als Tempeldienerin kann sie ihrem Schicksal nicht entfliehen. (oder doch) :hmm:

Was mir nicht gefällt, ist die häufige Wiederholung des Wortes -Schmerz- :shy:
Kannst ja mal sehen ;)

lieben Gruß, coleratio

 

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