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Angriff im Morgengrauen
Simeon hatte sich wie jeden Morgen pünktlich um 0730 ins Netz eingeloggt und damit seinen Platz in der Kommandozentrale eingenommen. Er war der Oberkommandierende des Frontabschnitts C im Unisektor 7 „Schwan“. Wie jeden Morgen kam daher eine gewaltige Flut von Informationen auf ihn zu, und das, obwohl sein Stab bereits die unwichtigen herausgefiltert hatte. Dies war jedoch wiedermal eine der Situationen, wo Simeon sich gewünscht hätte, früher geweckt worden zu sein. Sein Adjudantenprogramm hatte das einfach nicht drauf und aus seinem Stab fühlte sich wohl keiner dafür verantwortlich.
„Yi Wu, was soll diese Sauerei. Wie kann es sein, das Simeon hatte sich wie jeden Morgen pünktlich um 0730 ins Netz eingeloggt und damit seinen Platz in der Kommandozentrale eingenommen. Er war der Oberkommandierende des Frontabschnitts C im Unisektor 7 „Schwan“. Wie jeden Morgen kam daher eine gewaltige Flut von Informationen auf ihn zu, und das, obwohl sein Stab bereits die unwichtigen herausgefiltert hatte. Dies war jedoch wiedermal eine der Situationen, wo Simeon sich gewünscht hätte, früher geweckt worden zu sein. Sein Adjudantenprogramm hatte das einfach nicht drauf und aus seinem Stab fühlte sich wohl keiner dafür verantwortlich.
„Yi Wu, was soll diese Sauerei. Wie kann es sein, dass wir innerhalb einer Nacht ein ganzes Cluster verlieren. Und dann auch noch Dieses.“
Simeons Schlafphasen dauerten nur sechs Stunden, und als er zu Bett gegangen war, hatte alles noch wie immer ausgesehen. Der Krieg dauerte nun schon 17 Monate und bisher hatte es keine Seite geschafft, einen entscheidenden Vorteil zu erringen.
„Die Strategen sitzen schon seit einer Stunde zusammen und sichten die Daten, die der Geheimdienst und die Aufklärung reingeschickt haben. Die Schlacht ist zwar entschieden, aber noch lange nicht vorbei. Toth ist vor Ort und versucht die Reste zusammenzukehren und neu zu formieren.“
„Ok, trotzdem, da ist was faul. Kein Cluster kann in weniger als sechs Stunden erobert werden. 600 Galaxien fallen nicht so einfach in die Hand des Feindes.“
Simeon lies die Informationen von seinem Adjudanten nocheinmal durchfiltern, wenigstens dafür taugte der Bot einigermaßen. Dann wurde ihm sehr schnell klar, dass hier nicht nur eine beispiellose Planung auf Seiten des Gegners, sondern auch ein erheblicher Aufwand an Spionage und Sabotage für das Desaster verantwortlich sein musste. Die Zahl der Wachhabenden im betroffenen Cluster war um das dreifache niedriger gewesen als vorgeschrieben. An ihrer Stelle hatten die Strategiecomputer übernommen.
Mit dieser Erkenntnis stellte Simeon Kontakt zu Killy her, er war der beste Programmierer den er kannte und er hatte ihn schon häufig um Rat gefragt. Killy klang verschlafen als er endlich antwortete. Simeon hasste die orangefarbene Ziffer, die die Realverzögerung eines Gesprächs anzeigte. Drei Minuten waren genug, um ihn auf die Palme bringen zu können.
„Killy, willst du nicht umziehen? Ich bitte den Administrator um eine Dienstunterkunft, du kannst frei wählen. Nur bitte irgendwohin, wo du eine bessere Anbindung hast.“
„Simeon, was gibt es denn nun schon wieder. Es ist hier mitten in der Nacht. Ich...“
„Sie kennen die Verhaltenssubroutinen unserer Stratcores. Sie...“
„Sie haben was?“ Diesmal war es Killy, der Simeon unterbrach. „Das ist unmöglich. Die Sicherheit...“
„Die Sicherheit hat keine Ahnung was passiert ist. Killy, hör mal. Die gesamte Front hat sich innerhalb von nur zwei Stunden auf einem Gebiet von sechzehn mal sechzehn Millionen Lichtjahren völlig aufgelöst. Wir haben ein ganzes Cluster rein rechnerisch schon verloren und das keine fünf Stunden nach Beginn der Offensive. Du musst sofort ins Netz und retten was zu retten ist. Die Berichte an die anderen Abschnitte sind schon raus und ich glaube nicht, dass sie in der nächsten Zeit das gleiche nochmal versuchen, aber tu mir bitte den Gefallen und ändere das Programm. Du hast alle Freiheiten, mein Code ist unterwegs.“
„Alles klar Simeon. Das interessiert mich jetzt doch brennend. Aber dann tu du mir auch nen Gefallen: Tritt deiner Spionageabwehr in den Arsch.“
Simeon antwortete darauf nicht mehr. Selbiges hatte er ohnehin vor. Mit einer gewissen Genugtuung nahm er dann zur Kennntis, das inzwischen 95% der Mannschaften online waren und sich sein Abschnitt, trotz des gewaltigen Lochs in seiner Mitte, langsam aber sicher zu formieren begann. Im Chat konnte er mitverfolgen, wie es in den Informationskanälen rumorte. Die Sprecher wussten kaum, wie sie ihre Informationen bewerten sollten und hatten so spezialisierte Channels eröffnet, die sich rasch mit Leuten füllten.
Nach nur einer halben Stunde und zahlreichen, kurzen Gesprächen mit allen möglichen Leuten, hatte er schließlich seinen Stab versammelt. Die Holografien der zwölf Männer und Frauen, die er teilweise seit mehr als zwanzig Jahren kannte, befanden sich nun am großen, runden Konferenztisch aus edlem, dunklen Holz. Rundherum standen nur Bildtafeln, die die aktuellen Entwicklungen einblendeten, die Decke war leicht gewölbt und erhellte den Raum durch ein sanftes Leuchten.
Simeon erteilte Cirrus, dem Chef der Reconabteilung das Wort. Ausnahmsweise, denn normal war es der Geheimdienst, der am besten informiert war und so die Sitzungen eröffnen durfte. Der drahtige Mann mit den flinken Augen und den nervös zuckenden Fingern sprach ruhig und sachlich, was Simeon immer wieder überraschte.
„Heute um 0550 IST startete der Feind eine großangelegte Offensive auf gleich drei nebeneinandergelegene Cluster: Venice, Bejing und Toronto. Die Angriffe auf die Letztgenannten stellten sich inzwischen als Ablenkungsangriffe heraus. Der Hauptschlag erfolgte im Venice Cluster, welches inzwischen rein rechnerisch bereits verloren ist. Die Details des Angriffs sind weniger interessant, da es sich um nichts anderes als ein Musterbeispiel aus dem Lehrbuch handelt. In allen Details, vom verwendeten Material bis zur Abfolge der Offensive. Die feindlichen Streitkräfte werden von ihrer Stärke her damit auf ungefähr +4 geschätzt.“
Simeon musste schlucken. „+4“ bedeutete, dass der Feind fünfmal so viele Einheiten zur Verfügung hatte wie das angegriffene Cluster zuzüglich seiner Reserven. Cirrus fuhr fort, nachdem er die letzten Worte hatte wirken lassen.
„Die Reconaissance Abteilung hat ihre sämtlichen, verfügbaren Informationen sofort an die zuständige Abteilung des Geheimdienstes weitergeleitet.“
„Cirrus, vielen Dank. Manoa, sie haben das Wort.“
Die dunkelhäutige Frau mit dem freizügigen Kleidungsstil war wohl die bestaussehendste Person in diesem Raum. Dennoch wirkte sie im Moment eher wie ein Haufen Elend, ihr sonst so sicheres Auftreten war nun eher zögerlich.
„Die informelle Aufklärung hat keine Erklärung für den Vorfall. Aber alles deutet auf Verrat in den eigenen Reihen hin. Die Daten der Recons können wir weder bestätigen noch dementieren, da uns schlichtweg sämtliche eigenen Informationen fehlen. Die einzige Sache die sicher scheint ist die, dass der Feind über detaillierte Informationen bezüglich der Verhaltensgrundlagen unserer Strategic Computer Cores verfügte und diese kombiniert mit einer gut organisierten Aktion von Saboteuren ausnutzte, das Venice Cluster aufzureiben.
Die Computer reagierten genau so, wie der Feind es wahrscheinlich berechnet hatte, nämlich indem sie sämtliche Kräfte zurückzogen um den Schaden zu begrenzen und neben dem scheinbaren, völligen Verlust des Clusters einen Totalverlust der Streitkräfte zu verhindern.“
Manoa setzte sich wieder und schlug die Augen nieder. Simeon kannte sie gut, er schätzte ihren Eifer und ihren Idealismus, umso mehr verstand er ihre Niedergeschlagenheit.
„Dieses Problem müssen wir zurückstellen. Alle Sofortmaßnahmen wurden ja schon getroffen. Spencer, ich hoffe du hast erfreulichere Informationen. Sag uns doch zuerst einmal, wie Toth die Lage einschätzt.“
Spencer, Toths Stellvertreter sah müde aus. Er hatte den Angriff von Anfang an miterlebt und seinen Vorgesetzten aus den Federn geholt.
„Toth ist der Ansicht, dass wir wenigstens einen Brückenkopf rund um Nimodena halten können. Mit ein wenig Unterstützung könnte es sogar gelingen, eine zweite Basis im Zentrum zu halten. Für diesen Versuch hat er bereits begonnen, dort Einheiten zusammenzuziehen. Er geht von deiner Zustimmung aus. Ansonsten weicht die Einschätzung kaum von der allgemeinen ab. Das Cluster ist verloren, in zwei Monaten wird der Feind gut 40% der Galaxien kontrollieren und nocheinmal so viele belagern.“
Zwei Monate. Eine unvorstellbar kurze Zeit. Selbst auf der Erde hatten die Kriege, die so schnell entschieden werden konnten, zu den Ausnahmen gezählt. Und hier, im Weltraum mit seinen kosmischen Entfernungen und trotz Hypertechnologie waren zwei Monate so, als würde ein Krieg in der Vergangenheit der Erde bereits gewonnen sein, bevor er richtig anfing.
„Toth ist weiterhin der Auffassung, dass es sich um eine ganze Gruppe von Verrätern sowohl innerhalb des Venice Clusters als auch außerhalb handeln muss. Die wenigen Informationen, die bisher zu dem Thema zusammengetragen worden sind, hält Toth unter Verschluß.“
„Das ist verständlich.“ Simeon schätzte Toth sehr. Er war einer der wenigen Clusterkommandanten, die vom zuständigen Militäradministrator ohne großes Murren bestätigt worden waren.
Zwei Stunden dauerte die Sitzung noch, dann hatten sie einen mehr oder weniger soliden Plan erstellt, der weitgehend dem entsprach, was Toth vorgeschlagen hatte. Nun galt es nur noch, diesen auszuführen und zu retten, was zu retten war. So lange bis die Strategen zu einem Entschluss gekommen waren, was man langfristig unternehmen könnte und welche Auswirkungen das Ereignis insgesamt auf den Kriegsverlauf haben würde.
Simeon schaute auf die Uhr. Vorerst gab es nichts mehr für ihn zu tun. Er hatte delegiert und delegiert und nun war keiner mehr übrig, auf den er noch direkt Einfluß nehmen konnte und der noch nicht beschäftigt war. Zufrieden lehnte er sich zurück. Noch war nicht aller Tage Abend.
Das flaue Gefühl der Niederlage konnte er jedoch auch dann nicht abschütteln, als er offline ging um ersteinmal etwas zu essen. Währendessen würde er Professor Evans vom Insitut für strategische Raumkriegsführung informieren. Simeon war sich sicher, dass das für die Forscher ein gefundenes Fressen sein musste. Die hatten ja vermutet, dass eine initial weitgehend gleiche Verteilung strategischer Vorteile sowie gleicher wirtschaftlicher, materieller und personeller Grundlagen, einen Konflikt auf das Geschick der Strategen reduzieren würde. Dabei hatten sie aber nicht bedacht, dass es einigen ihrer Spieler eventuell langweilig werden würde, wenn nur die Strategen mit ihren ewigen Rechnereien und langfristigen Planungen den Ton angaben.
Simeon vermisste die früheren, weniger realisischen Runden aber kaum. Damals hatte es selten große Überraschungen gegeben und das Setting war stets fiktiv gewesen. Da war es doch viel spannender, zwar auch nur virtuell, die eigene Galaxie verteidigen zu müssen. Einziges Manko war eben, dass es kein echter Krieg war. Niemand war bedroht, lediglich die investierte Zeit stand auf dem Spiel. So sabotierten diese Verräter auch weniger ihre Seite, sondern vielmehr das Spielsystem.
Gedankenversunken schlürfte er seine Milch und merkte kaum, dass seine Frau heruntergekommen war. Erschrocken fuhr er herum, als sie ihren Arm um seinen Hals legte. „Marianna, bitte.“
„Nein, komm. Wir haben das Wochenende doch schon so lange geplant. Du kannst Sybill nicht so einfach enttäuschen.“
Simeon seufzte innerlich. Eine Sache würde die Menschheit nie geregelt bekommen. Das Hobby, und war es noch so sehr zugleich auch Beruf, mit dem alltäglichen zu verbinden.