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07.01.2015
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Anna

Anna
Anna hasst es, nach Hause zu fahren. Ihr Elternhaus ist gefüllt mit Streit, Festbraten und Schweigen. Den ganzen Morgen schon hatte sie getrödelt, um den Abreisetermin zu verschleppen. Zweimal hatte sie den Hörer in der Hand um Gerda, ihre Mutter, anzurufen und abzusagen. Aber Anna konnte einfach nicht. Vielleicht konnte sie auch nicht die Vorstellung ertragen, in eine Salve von Vorwürfen und Bittstellungen eingewickelt zu werden. Und das wahrscheinlich für das verdammte nächste Jahr. Sie musste erstmal einen Prosecco trinken. Für den Kreislauf, für das Befinden und den Mut, gleich ins Auto zu steigen und endlich loszufahren. Die Treppen knarrten zum Abschied, als sie ihre herrschaftliche Altbauwohnung verließ. Sie huschte noch einmal in die Apotheke, die gleich parterre unter ihrer Wohnung lag. Seit mehr als hundert Jahren war sie nun im Familienbesitz, klar wurde sie Pharmazeutin, was sonst. Ihr Vater hatte es so beschlossen, vielleicht sogar schon der Großvater oder der Urgroßvater. Die Apotheke wirkte unbeleuchtet fast wie eine Bar. Eine freundliche Pappfigur winkte Anna aus dem Schaufenster zu. Man könnte am Tresen fast ein Bier bestellen und die Regale ebenso gut mit Spirituosen füllen. Anna war beschämt amüsiert, sie hatte wohl einen kleinen Schwips.
Es roch herrlich nach Frühling in dem abgedunkelten Raum. Gerlinde war ein Engel und die zuverlässigste Mitarbeiterin, die Anna hatte. Mit viel Liebe zum Detail putzte Gerlinde hier schon seit über zwanzig Jahren. Sie hatte schon unter den Argusaugen von Annas Vater geputzt.
Anna schaute auf ihre Armbanduhr, gleich sechs. Mist. Um sieben war sie zum Weihnachtsessen verabredet und die Strecke war noch weit, tanken musste sie auch noch. Niemals würde sie es pünktlich schaffen. Eilig, aber sorgfältig verschloss sie ihre Apotheke. Für einen Moment hielt sie inne, hatte sie nicht irgendetwas vergessen, fehlte nicht was?
Lioba, die große stattliche Kirche gegenüber schlug sechs. Es war Zeit aufzubrechen.
Schneeflocken tanzten wild vor Annas Windschutzscheibe. Anna verlor sich beim Fahren in Gedanken; in den wunderbaren Blumengarten, in den Duft von Lavendel und frisch gebackenem Brot. Eigentlich ein wunderbarer Ort, ihr Elternhaus, das Haus ihres Großvaters, gebaut von ihrem Urgroßvater, aber nur eigentlich. Wäre da nicht eine stets maulende Mutter, die mehr auf ihre Blumen achtete als auf ihr Kinder und einem bigotten Vater, der sich seine Moral und seine Prinzipien durch Scheinheiligkeit und konsequente Kirchenbesuche erkaufte.
Mit einem Schmunzeln dachte Anna an Pola, ihr tschechisches Kindermädchen. Pola war warm, wie der erste kraftvolle Sonnenstrahl nach einem langen kalten Winter. Sie war Annas Zuflucht und das frisch gebackene Brot, mit dem sie jahrelang überlebte. Unbemerkt pflückten sie im Sommer Blumen aus Gerdas Garten und sie flochten sich wunderschöne bunte Blumenkränze, die sie heimlich trugen. Auf dem Dachboden trockneten sie Lavendel und Johanneskraut. Pola mischte Vater stets eine Prise von jedem Kraut ins Essen, „zur Beruhigung“ hörte Anna Pola sagen und erinnerte sich an ihr verschmitztes Lächeln.
Als Anna in die Auffahrt fuhr, stand Gerda schon im Eingangstor. Anna fühlte sich besser, wenn sie ihre Mutter mit Vornamen ansprach. In einer Hand ein Glas Rotwein, mit der anderen Hand eine vorwurfsvolle Geste: „Wir haben schon zweimal gebetet und die Suppe gegessen! Wo bleibst Du?“ Anna hauchte Gerda einen flüchtigen Kuss auf die Wange und achtete darauf, sie nicht zu berühren. Im Esszimmer warteten ihr Vater, ihr Bruder Jonas und das gute Geschirr. Jonas schien sich zu freuen, wagte es aber nicht, den Platz zu verlassen. „Ich habe für dich gebetet“ sagte Vater und wies ihr ihren Stuhl zu. Dann wurde geplaudert, höflich gefragt, verlegen gelächelt. Gerda bediente, Vater dozierte und Anna dachte an den vorzüglich italienischen Prosecco in ihrem Handschuhfach, der inzwischen herrlich durchgekühlt war. Gerda tischte auf, ohne eine Miene zu verziehen. Anna hasste Fisch, schon immer, schon immer jede verdammte Weihnachten. Ausgerechnet heute kam sie auf die Idee, ihn nicht zu essen. Eine wunderbare Idee. Jonas schaute irritiert und Anna bemerkte das erste Mal seine kleinen Fältchen um die Mundwinkel. Feine Linien, die ihn zu einem traurigen Clown machten. Nie hatte sie sich ihn in alt vorgestellt. Und da war es wieder, das Schweigen. Das Schweigen, das schwer und breit die Luft zum Atmen nahm, das jedes Verlegenheitslächeln einfror und aus den Gesichtern Fratzen formte.
Der Fisch starrte Anna an, Jonas starrte den Tisch an und Vater faltete die Hände zum Gebet. Gerda flüchtete in die Küche. „Warum hast du Pola damals eigentlich rausgeschmissen?“ Anna hörte sich selbst sprechen. Noch einmal fuhr ihr der Schmerz wie eine feine kleine Nadel über die Haut. Sie erinnerte sich an die durchweinten Nächte und die Lavendelsäckchen mit denen sie sich in den Schlaf wiegte, nachdem Pola eines Abends nicht mehr da war. Gerda hatte Jonas und Anna das Nachfragen nach Pola stets untersagt. Mit Nachdruck.
„ Pola war es nicht mehr würdig in meinem Haus zu leben“, Vater schaute nicht vom Teller auf. Auch nicht als Anna den Raum verließ. Schneeflocken kühlten ihre Wangen, der Winter kroch unter ihr Kleid und bereitete ihr Gänsehaut am ganzen Körper. Der Prosecco war eisgekühlt und befreite Anna von einem großen Durst. Anna kehrte zurück zum Haus und war stolz darauf, den Fisch nicht gegessen zu haben. Vor dem Esszimmer bog sie ab und ging die breiten alten Holzstufen hinauf zum Dachboden. Jene Stufen, die sie als Mädchen nur schleichend betreten durfte. Die Standuhr schlug zehn. Als Kind hatte sie sich vor der Uhr gefürchtet. Erst als Pola ihr die Geschichte von den „sieben Geißlein“ erzählte, konnte sie sie ertragen. Die Tür zum Dachboden war wie damals verschlossen und der Schlüssel steckte noch immer hinter dem Bild der heiligen Jungfrau Maria. Die Tür knarrte vertraut, auch der modrige Geruch nach Schimmel und altem Holz war geblieben. Hier oben war lange Zeit niemand gewesen. Alles war voll Staub, gleichmäßig zugedeckt, fast zärtlich umhüllt. Um einen Balken waren noch die Überreste von getrockneten Blumen und Kränzen zu sehen. Annas alte Blockflöte lag im Notenständer wie zu einem Dornröschenschlaf mit Spinnenweben überzogen. Und da war Pola. Ein Familienbild. Es lag einfach so auf einem alten Koffer. Gerda und Vater, Jonas und Pola, die die kleine Anna fest an sich gedrückt hielt. Im Hintergrund das mächtige Anwesen. Anna konnte sich an dieses Bild nicht erinnern und wischte mit ihrem Ärmel das Glas sauber. Als sie das Bild in ihre Tasche stecken wollte, zerbrach es. Vorsichtig zupfte Anna die kleinen Scherben vom Foto. Da war noch etwas. Hinter dem Familienbild war noch ein Foto, ein viel kleineres. Anna betrachtete es. Das war Pola, ganz jung, mit langem dunklem Pferdeschwanz. Anna erinnerte sich an das nach Pfirsich duftende Haar, in das sie sich damals so gerne vergrub. Pola hatte ein Kind auf dem Arm. Anna stutzte, im ersten Moment dachte sie, sie sei es selbst. Sie wendete das Foto. Anna erkannte die Schrift sofort. Das war Vaters Schrift. In großen kaligraphischen Lettern stand dort „ Pola und Gerlinde, 1973“.
Wie konnte das möglich sein. Anna war 1973 geboren, Pola war von Anfang an bei ihr. Nie hatte sie davon gehört, dass Pola ein eigenes Kind hatte. Dann fiel Anna auf einmal ein, dass ihre Standuhr in der Apotheke heute nicht geschlagen hatte. Keinen Mucks. Dann dachte sie wieder an Pola, an die sieben Geißlein, an Pfirsichduft und Lavendelsäckchen. Ihr war wirr zumute, ihr Kopf war einfach zu schwer.
Anna verließ den Dachboden und polterte die Stufen hinab ins Esszimmer. Forsch wedelte sie mit dem Foto vor Vaters Augen. Er stand auf und Anna war darüber verwundert, wie klein er war. „Es ist besser, du gehst jetzt!“ sagte er still, aber bestimmt. Wieder Schweigen. Ein Schweigen, das die Luft verpesstete. Jonas wurde schlecht und Anna bekam keine Luft mehr. Sie flüchtete aus dem Esszimmer, aus dem Haus mit der großen schweren Tür, fest entschlossen, niemals mehr zurückzukehren. Sie setzte sich in ihr Auto und griff ins Handschuhfach. Als sie die Flasche mit einem Zug leerte, klopfte es auf einmal an ihr Fenster. Gerda: „Du kennst Gerlinde, du kennst sie schon lange Zeit.“ Gerda sah traurig aus und unendlich müde. Sie drehte sich um, richtete ihre Schürze und ging zurück zum Haus und wurde von dem großen Eingangstor gnadenlos verschluckt.
Anna fuhr los. Sie dachte an ihre Apotheke, an Gerlinde, an die Standuhr und daran, dass sie niemals mehr an diesen Ort zurück kommen würde.

 
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Gerlinde war ein Engel und die zuverlässigste Mitarbeiterin, die Anna hatte.

Haha! Ich habe deine andere Geschichte gelesen und einen "Ooooooooh"-Effekt gehabt. *g*

In einer Hand ein Glas Rotwein, mit der anderen Hand eine vorwurfsvolle Geste: „Wir haben schon zweimal gebetet und die Suppe gegessen! Wo bleibst Du?“

Ich würde sehr gerne wissen, wie diese Geste aussah. Stand sie da in der Auffahrt und hat den Satz wild gestikuliert? Wenn sie dabei keinen Wein verschüttet hat, hat die Frau meinen höchsten Respekt verdient. Das einzige Problem daran ist, dass Anna wohl keine GSG9-Ausbildung absolviert hat und kein einziges Handzeichen ihrer Mutter verstehen wird.
To make a long story short: Mir gefällt die Trennung mit einem Doppelpunkt nicht.

„Ich habe für dich gebetet“ sagte Vater

Komma für das Meckerhänsel!

„ Pola war es nicht mehr würdig in meinem Haus zu leben“, Vater schaute nicht vom Teller auf.

Hier hast du dagegen einen abgeschlossenen Satz und musst kein Komma setzen. Das sind zwei eigenständige und in sich abgeschlossene Aussagen.

„Es ist besser, du gehst jetzt!“ sagte er still, aber bestimmt.

Wieder ein Komma und ich würde den Satz mit einem Punkt abschließen. Für eine stille, bestimmte Aussage reicht er aus. Aber das ist nitpicking.

Jonas wurde schlecht und Anna bekam keine Luft mehr.

Woher weiß sie, dass Jonas schlecht wurde? Wurde er grün? Hats ihn gehoben? Mutmaßt sie das?

klopfte es auf einmal an ihr Fenster. Gerda:

Absatz!

***

Fazit:

Ich verstehe nicht ganz, wieso sich dort jedes Jahr alle treffen, wenn sich keiner der Anwesenden wirklich mag. Ja, klar, Weihnachten und die ganze chose, die Familie, yipyipyap. Aber warum in Gottes Namen fährt man dahin, wenn man weiß, dass es absolut unangenehm und scheiße wird?

Von allen handelnden Akteuren ist mir Jonas noch am sympatischsten. Er macht nicht viel und versucht freundlich zu sein. Die Eltern sind ein starkes Stück und verbergen etwas vor ihrer Tochter und die gute Anna verhält sich postpupertär. Alles in allem eine Bande, die man nicht gern haben kann. Ob das beabsichtigt ist, weiß ich nicht.

Allerdings muss ich gestehen, dass ich die Bildsprache in der Geschichte sehr schön fand. Ganz besonders das hier

Eine freundliche Pappfigur winkte Anna aus dem Schaufenster zu. Man könnte am Tresen fast ein Bier bestellen und die Regale ebenso gut mit Spirituosen füllen.

hat mir sehr gut gefallen.

Alles in allem eine runde Geschichte, die wirklich Wirkung zeigt, wenn man den Vorgänger(?) gelesen hat. Ein paar marginale Fehlerchen stecken drin, aber dafür sind wir ja da. *g* Die Sachen, über die ich gemeckert habe, sind rein subjektiv.

 
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Hallo Bienendame, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Ich wünsch dir jedenfalls viel Spaß bei uns.
Im Unterschied zu NWZed habe ich irgendeine Vorgängergeschichte nicht gelesen, und trotzdem würd ich dir sagen, he, duBiene, schreib auf jeden Fall mal weiter, ich mags nämlich vom Prinzip her. Auch wenn da eine große, große Menge Ruckler drin sind.

Mir gefällts, dass du viele Sinne einbeziehst, wenn du was beschreibst, das Brot zum Beispiel oder die Blumenkränze und dass du dich um farbige Charaktere bemühst. Da ist es mir dann wurscht, wenns ab und an holpert. Aber daran solltest du schon arbeiten. Das Holpern betrifft kleine Unlogeleien im Ablauf oder die Beobachtung der Ereignisse und ihre Beschreibung. Und manchmal sind es auch rein sprachliche Mängel.
Einiges hat dir NWZed schon aufgeschrieben. Vielleicht finde ich ja auch noch ein paar Stellen.

Einen sehr sehr wichtigen Punkt hat NWZed angesprochen, der ist mir auch aufgefallen. So wirklich klar wird es nicht, warum sich die Heldin der Geschichte den Besuch antut, obwohl sie weiß, was sie erwartet. Vielleicht gibt es ja irgendeinen Zwang, der sie zum Elternbesuch nötigt? Irgendwas mit der Leitung der Apotheke bespielsweise und ihrer Rolle in der Familie? Wieso leitet der Jonas die nicht?

Wie auch immer an der Stelle hier geht es jedenfalls zu rasch:

Zweimal hatte sie den Hörer in der Hand um Gerda, ihre Mutter, anzurufen und abzusagen. Aber Anna konnte einfach nicht. Vielleicht konnte sie auch nicht die Vorstellung ertragen, in eine Salve von Vorwürfen und Bittstellungen eingewickelt zu werden. Und das wahrscheinlich für das verdammte nächste Jahr.
Sie hat erst den Hörer in der Hand, um abzusagen, dann tut sie es doch nicht. Aber warum? Das fehlt. Dann setzt du nach, aber nicht mit irgendeinem Hinweis, warum sie trotzdem hinfährt, sondern mit einem Bericht, was sie zu erwarten hat, setzt also fort mit dem Grund, warum man NICHT hingehen sollte. Jetzt wundert man sich noch mehr, dass sie da freiwillig hingeht, obwohl sie sich die volle Schwipsproseccodröhnung geben muss.
Das widerspricht sich oben einfach und der Grund, warum Gerda zu der Familie fährt trotz aller Ambivalenz, wird nicht klar genug.

Was mir persönlich dann zum Schluss hin unrund war, das waren dann die tatsächlichen Verwandtschaftsbeziehungen. Man gewinnt den Eindruck, sie wäre Polas Kind. Schließe ich aus der Fotosache. Aber ich weiß nicht mal genau, ob du es so gemeint hast. Und was soll die Gerlinde? Etwas verunsichert leite ich mal zu den sprachlichen Details weiter:

Anna hasst es, nach Hause zu fahren. Ihr Elternhaus ist gefüllt mit Streit, Festbraten und Schweigen.
Also das ist entweder super oder eine Stilblüte. Für "super" hättest du vermutlich den Braten nach hinten setzen müssen und ihn ein wenig konkretisiert, so gewinnt man den Eindruck, du setzt einfach unvergleichbare Dinge in eins. Ich hab schon Probleme, wenn du schreibst, dass das Elternhaus mit Streit und Schweigen gefüllt ist, weil man gefüllt einfach so nicht genbraucht, aber wenigstens sind das zwei zusammenpassende Abstrakta. Aber wenn du da jetzt noch den Festbraten reinhaust, weiß man nicht, ob du ein schelmischer Schreiber sein willst oder es einfach nicht besser weißt. Also der Schweinsbraten (ja ich weiß schon Festbraten) passt da eigentlich gar nicht rein, um ehrlich zu sein. Das würde alles nur gehen, wenn man sich der sprachlichen Ebenen sehr, sehr sicher ist. Und den Eindruck, vermittelst du hier nicht. Also Tipp: Ich würde den Satz auseinanderbauen und den Braten nicht mit dem Beziehungskram vermengen. Oder die Abfolge der Wörter verändern, so dass der Schweinebraten ganz nach hinten rutscht.

Vielleicht konnte sie auch nicht die Vorstellung ertragen, in eine Salve von Vorwürfen und Bittstellungen eingewickelt zu werden.
Das heißt verwickelt zu werden.

Sie huschte noch einmal in die Apotheke, die gleich parterre unter ihrer Wohnung lag. Seit mehr als hundert Jahren war sie nun im Familienbesitz, klar wurde sie Pharmazeutin, was sonst.
Parterre
sie - Du meinst doch bestimmt die Apotheke, so wie du es schreibst, bezieht sich das "sie" aber auf die Wohnung.

Es roch herrlich nach Frühling in dem abgedunkelten Raum.
Hä? Ist das Gerlindes Putzmittel? Das ist ein wenig knapp geschildert.

Wäre da nicht eine stets maulende Mutter, die mehr auf ihre Blumen achtete KOMMA als auf ihre Kinder und einem bigotten Vater, der sich seine Moral und seine Prinzipien durch Scheinheiligkeit und konsequente Kirchenbesuche erkaufte.
ein bigotter Vater

Sie war Annas Zuflucht und das frisch gebackene Brot, mit dem sie jahrelang überlebte.
Wolltest du das sagen, dass Pola das Brot war? Einerseits eine gute Idee, anderersiets wäre das als Bild fast ein wenig ruppig.

Im Esszimmer warteten ihr Vater, ihr Bruder Jonas und das gute Geschirr.
Den Satz finde ich übrigens cool. Da hast du wieder so eine Abfolge nicht zusammenpassender Dinge: zwei Menschen und das Geschirr, das ja eigentlich nicht warten kann wie die Menschen, aber hier stimmt einfach die Steigerung. Das mag ich gern,.

Gerda bediente, Vater dozierte und Anna dachte an den vorzüglich italienischen Prosecco in ihrem Handschuhfach, der inzwischen herrlich durchgekühlt war.
vorzüglichen

Ausgerechnet heute kam sie auf die Idee, ihn nicht zu essen. Eine wunderbare Idee.
Warum nicht? Ein klein bisschen mehr, was sie zu ihrer wunderbaren Idee gebracht hat, den Fisch zu meiden, bräuchts schon. Oder in anderen Worten: diese Idee etwas besser in Szene setzen.

Das Schweigen, das schwer und breit die Luft zum Atmen nahm, das jedes Verlegenheitslächeln einfror und aus den Gesichtern Fratzen formte.
Schön, sogar die Alliteration mit den F.

Der Fisch starrte Anna an, Jonas starrte den Tisch an und Vater faltete die Hände zum Gebet.
Super

So - und jetzt muss ich leider mal aufhören. Bin nicht nur müde, sondern muss auch morgen früh zum Job.
Also - Frau Biene. Viel Spaß noch hier.
Viele Grüße von Novak

 

Eine schöne Geschichte zu Erkenntnissen über eine Mittelstandsfamilie, zeitgerecht zum Weihnachtsfest und Festessen platziert – genau in die Zeit gelegt, da Familienbande den zwoten Teil ihrer Zusammensetzung als latent mafiöse Bandenstruktur offenbaren (nicht so sehr im kriminellen, als der gutbürgerlichen Doppelmoral) incl. Geheimnis, das ich hier nicht lüften werde (wenn's nicht schon ein Vorredner ausgeplaudert hat) – soll jeder selbst drauf kommen, aufs unheilige Spiel, wiewohl Anna (Du kennst ja schon meinen Hang zur Etymologie), der titelgebende Name der Protagonistin, anderes verheißt (hebr. channah bedeutet Gnade, Huld), die aber die Wirklichkeit nur mit einem prickelnden und sprudelnden Schaumwein bestehen kann. Gleichwohl einige Vorschläge

liebe Biene:

Zeichensetzung (da musstu vor allem gucken, manchmal klappts, aber hier halt nicht)

Zweimal hatte sie den Hörer in der Hand[,] um Gerda, ihre Mutter, anzurufen und abzusagen.
(Infinitiv mit „um“ verlangt das Komma. Mein Vorschlag: Selbst wenn die Infinitivgruppen zum Großteil vom Komma inzwischen befreit sind, ist es wegen der Vielzahl an Ausnahmen ratsam, dennoch ein Komma zu setzen, was nicht verboten ist und zudem das aufwendige Merken der Fußfallen erübrigt, die auch im folgenden lauert)
„ Pola war es nicht mehr würdig[,] in meinem Haus zu leben“, …

Wäre da nicht eine stets maulende Mutter, die mehr auf ihre Blumen achtete als auf ihr Kinder[,] und einem bigotten Vater, …
(hier ist zwar der Beginn des Relativsatzes korrekt angezeigt, nicht aber das Ende, im folgenden dagegen umgekehrt)
Sie erinnerte sich an die durchweinten Nächte und die Lavendelsäckchen[,] mit denen sie sich in den Schlaf wiegte, nachdem Pola eines Abends nicht mehr da war.

Es ist besser, du gehst jetzt!“[,] sagte er still, …
(der „übergeordnete“ Satz wird nach der wörtl. Rede weitergeführt)
„Ich habe für dich gebetet“[,] sagte Vater und wies ihr ihren Stuhl zu.
(Ende der wörtl. Rede beim Aussagesatz. Aber warum das unschöne „ihr ihren“) – nun gut, der Mittelstand achtet Eigentumsordnung und Besitz, aber der Artikel würde wohl genügen, der Leser begreifen, dass es Annas Stuhl ist für die Zeit, da sie auf „seinem“ Eigentum, des Vaters Stuhl sitzt.)

… und ging die breiten[,] alten Holzstufen hinauf
(bloße Aufzählung von Adjektiven; Probe: Ein „und“ ließe sich problemlos dazwischenschieben, machte aber zwo Zeichen mehr aus, als das Komma, so auch hier)
, mit langem[,] dunklem Pferdeschwanz.

Anna dachte an den vorzüglich italienischen Prosecco
Soll sich das „vorzüglich“ tatsächlich auf das zwote Adjektiv beziehen? Aber was ist „vorzüglich“ italienisch? Besser
Anna dachte an den vorzüglich[en,] italienischen Prosecco
Oder noch besser – ist doch m. W. die Erzeugung des Prosecco an eine italienische Landschaft gebunden
Anna dachte an den vorzüglich[en …] Prosecco

Auch nicht[,] als Anna den Raum verließ.
(Elliptischer Hauptsatz, der seinen Sinn direkt aus dem ihm vorhergehenden Satz zieht)

Verschiedenes

Vielleicht konnte sie auch nicht die Vorstellung ertragen, in eine Salve von Vorwürfen und Bittstellungen eingewickelt zu werden.
(Ist da „einwickeln“ das richtige Verb? Dann müsste da „einer Salve“ stehen. Übrigens ist da das Komma zur Infinitivgruppe korrekt gesetzt – war zuvor alles Flüchtigkeit oder hier ein Glückstreffer?)
Anna hasste Fisch, schon immer, schon immer jede verdammte Weihnachten.
„Weihnachten“ ist ursprünglich die Pluralform von Weihnacht, wird aber heute selbst als Singular angesehen, dann aber sächlich, also besser „jedes … Weihnachten“)

Nie hatte sie sich ihn in alt vorgestellt.
Hoppla, ein geballter Auflauf von Pronomen mit einem in jedem Fall entbehrlichen Präposition. Vorschlag: „Sie hatte sich nie ihn alt vorstellen können.“

Als Kind hatte sie sich vor der Uhr gefürchtet. Erst als Pola ihr die Geschichte von den „sieben Geißlein“ erzählte, konnte sie sie ertragen.
Ich stell bei meinen Geschichten oft fest, dass Leser oft zwo Sätze, die hintereinander stehen, nicht verstehen oder sich auch nur merken können oder wollen. Jede Wette: Hier wird es einige geben, die hier das letzte „sie“ nicht auf die Uhr beziehen und in Verwirrung fallen … Besser vielleicht „…, konnte sie die Uhr vertragen.“

Anna erinnerte sich an das nach Pfirsich duftende Haar, in das sie sich damals so gerne vergrub.
Besser Dativ: „in dem sie sich … gerne vergrub.“

Zum Schluss auch mal ohne Komm.

…, das die Luft verpes[…]tete.

Genug für heute vom

Friedel

 
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Vielen Dank NWZed
Ich habe gehofft, das beide Geschichten unabhängig voneinander funktionieren. Denn die Gerlinde ist tatsächlich eben "die Gerlinde".
Mit deinen Tipps kann ich arbeiten. Und das mit der Geste und dem Wein in der Hand, das klappt. Echt jetzt. Beim nächsten Weinchen denkst du mal an "Gerda" und probierst es aus ;-)
Im übrigen sind einige Dinge aus "Gerlinde" in "Anna" zu finden, das ist gewollt. Die Pappfigur hat Gerlinde auch schon zugewunken.
Tolle Rückmeldung. Alles Liebe dieBiene

 

Hallo Biene,

ich habe deine erste Geschichte, "Gerlinde", bereits gelesen, konnte aber ehrlich gesagt noch nicht wirklich viel damit anfangen. Auch wenn sie mir vom Stil und ansatzweise auch vom Inhalt gut gefallen hat.

Jetzt, mit dieser Fortsetzung, beginnt das alles interessant zu werden. Ich hoffe, ich interpretier auch alles richtig, aber wenn das so ist, wie ich mir das alles zusammengereimt habe, dann bin ich gespannt auf eine weitere Fortsetzung. Aus Sicht des wohl sehr scheinheiligen Vaters vor allem, aber auch aus Gerdas und Polas Sicht. Und vielleicht ist ja auch Jonas, der Ruhige, einer eigenen Geschichte würdig.

Einige Fragen bleiben noch offen: Gerne würde ich erfahren, wie genau es zum Bruch in der Familie gekommen ist, vom "dunklen Geheimnis" wusste Anna ja bis dato nichts. Und was ihre Beweggründe sind, die im Familienbesitz befindliche Apotheke trotz der Antipathie zu ihren Eltern weiterzuführen. Vielleicht hilft das auch den anderen Lesern zu verstehen, warum sie Weihnachten trotzdem ihren Pflichtbesuch abstattet. Ich kann aber auch mit der Erklärung "an Weihnachten besucht man eben seine Familie" gut leben.

Also, Biene, ich frag dich ganz offen: Gibt es noch eine Fortsetzung? Ich denke schon, oder? Falls du keine geplant hast, dann mach sie doch bitte zumindest für mich.

Gruß,
rehla

 

Hallo Novak
Danke für deine Mühe. Es hat sich gelohnt. Ich werde mir meine Anna schnappen und überarbeiten. Du hast mir an manchen Stellen wirklich helfen können. Ich meine so, dass ich weiß wo ich ansetzten kann.

Ach ja, schön bei euch ;-) Liebe Grüße dieBiene

 
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Hallo Biene,

ich habe deine erste Geschichte, "Gerlinde", bereits gelesen, konnte aber ehrlich gesagt noch nicht wirklich viel damit anfangen. Auch wenn sie mir vom Stil und ansatzweise auch vom Inhalt gut gefallen hat.

Jetzt, mit dieser Fortsetzung, beginnt das alles interessant zu werden. Ich hoffe, ich interpretier auch alles richtig, aber wenn das so ist, wie ich mir das alles zusammengereimt habe, dann bin ich gespannt auf eine weitere Fortsetzung. Aus Sicht des wohl sehr scheinheiligen Vaters vor allem, aber auch aus Gerdas und Polas Sicht. Und vielleicht ist ja auch Jonas, der Ruhige, einer eigenen Geschichte würdig.

Einige Fragen bleiben noch offen: Gerne würde ich erfahren, wie genau es zum Bruch in der Familie gekommen ist, vom "dunklen Geheimnis" wusste Anna ja bis dato nichts. Und was ihre Beweggründe sind, die im Familienbesitz befindliche Apotheke trotz der Antipathie zu ihren Eltern weiterzuführen. Vielleicht hilft das auch den anderen Lesern zu verstehen, warum sie Weihnachten trotzdem ihren Pflichtbesuch abstattet. Ich kann aber auch mit der Erklärung "an Weihnachten besucht man eben seine Familie" gut leben.

Also, Biene, ich frag dich ganz offen: Gibt es noch eine Fortsetzung? Ich denke schon, oder? Falls du keine geplant hast, dann mach sie doch bitte zumindest für mich.

Gruß,
rehla


Hallo rehla,
ja es gibt eine Fortsetzung, die ist in Arbeit. Es sollen drei Geschichten sein, die unabhängig voneinander funktionieren, aber zusammen gehören.
Jetzt nehme ich mir aber erstmal meine zwei Damen Anna und Gerlinde vor.
Auch dir, vielen Dank !!! Tolle Rückmeldung!
Alles Liebe
dieBiene

 

Friedrichard
du bist zurzeit mein Kommaheld. Das gibts ja gar nicht. Toll!! Auch dir, danke ich sehr.

ach, ich muss es nochmal sagen, "schön bei euch ..."

alle Liebe
dieBiene

 

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