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Anstoß

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08.01.2018
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Anstoß

Anstoß mit fünfzehn Minuten Verspätung. Der Rauch hatte sich verzogen, die in Schwarzgelb bauten ihren ersten Angriff gegen die Blauweißen auf. Schuster und Lasig stießen mit ihren Plastikbechern an.

„Scheiß aufe Woche, is Samstach“, fand Schuster.
„Sach ich dir! Haste Pyro mit?“ Lasig dehnte seinen Hosenbund und warf einen verheißungsvollen Blick darauf.
„Klar, Alter!“
Sie stießen noch einmal an, streckten die Faust in die Höhe und grölten im Chor mit der Kurve.

Die erste Halbzeit war ein gegenseitiges Abtasten auf dem Platz und drumherum. Schlachtgesänge, Rauch und ausgestreckte Arme. Der Stadionsprecher war kaum zu verstehen, redete über das träge Spiel und auf die sich aufschaukelnden Ränge ein.

Halbzeitpause. Fünftes oder sechstes Bier, wer zählte da schon mit? Lange Schlangen an den Getränkebuden, Currywurst, Pommes. Schreie über Gitter hinweg, Flaggen, die einander entgegengestreckt wurden. Schweiß, Schwüre, Schwanken und Schwindel. Samstagabend. Da zählten nur Durchhaltevermögen und Standfestigkeit.

Keine Minute vor dem Wiederanpfiff zog ein Tross unauffällig gekleideter Damen über die Tartanbahn ins Stadion ein, positionierte sich vor der heimischen Fankurve und suchte die darin befindlichen Gesichter ab.

„Alter!“, schimpfte Lasig, „wat wollen die Schabracken hier?“
„Wat geht denn hier ab?“, wollte Schuster wissen und zeigte auf eine sich verteilende Gruppe der Damen. „Dat is meine Mutter!“
„Wat?“
„Na, da! Hat sich richtich in Schale geworfen.“
„Tatsache! Wat macht die denn hier?“
„Wat weiß ich?“

Der Stadionsprecher war wieder zu verstehen und verkündete den Stolz der Ausrichtenden über den Besuch einiger ... wohl eher latenter Anhängerinnen, die von nun an dem Spiel und der Freude der Zusehenden folgen wollten. Einige der Damen winkten in die Kurve, Schuster hob zögernd die Hand und formte ein schiefes Lächeln.

Zehn Minuten vor Spielende konnte es auf ein Unentschieden hinauslaufen. Die Auswärtigen quittierten das mit Beschimpfungen, die ungewöhnlich zurückhaltende Reaktionen provozierten. Schuster erntete skeptische Blicke, folgte aufmerksam jedem Spielzug und wünschte sich eine Bratwurst in die freie Hand. Aus den Augenwinkeln betrachtete er von Zeit zu Zeit die Tartanbahn.

Lasig zog etwas aus seiner Hose und hielt Schuster seinen Becher hin. Der wollte anstoßen, aber Lasig schüttelte den Kopf, steckte die Fackel zurück und kramte ein Feuerzeug aus der Hosentasche.
„Lass den Scheiß!“ Schusters Augen verengten sich und er machte keine Anstalten, den Becher entgegenzunehmen.
„Wat is?“, wollte Lasig wissen. „Is doch gleich Schluss.“
„Mann, wenn du dat Dingen anzündest, is dat Brett vorm Kopp Brennholz, dat sach ich dir!“
„Wieso?“
„Alter! Da steht meine Mutter!“
„Ja, is ja jut.“ Lasig ließ die Stange in der Hose.

Das Spiel plätscherte der neunzigsten Minute entgegen. Laut war es, ruhig im Vergleich zu sonst.
„Wat is nach dem Spiel?“ Lasig sah Schuster mit großen Augen an.
„Kommt drauf an.“
„Meinste, die kommen mit?“
„Glaub nich.“
„Also wie verabredet?“
„Weiß nich.“
„Wat weißte nich?“
„Alter, halt doch einfach mal die Fresse!“
„Frag ja nur.“

Abpfiff. Torloses Unentschieden. Die Damen winkten beidarmig, und wem der tosende Applaus galt, konnten weder Lasig noch Schuster sagen. Sie nahmen den Weg in Richtung Innenraum-Zugang und warteten, nicht das erste Mal, diesmal jedoch aus anderen Gründen.

Der Bus mit den winkenden Damen war befremdlich und erleichternd zugleich. Lasig winkte mit einem Grinsen, Schuster ohne.
„Also wie üblich?“, versicherte sich Lasig.
„Diesmal nich. Ich hau ab. Nächstes Mal wieder. Dat bringt heute nix.“ Schuster winkte ab.

 

Ja, das ist eher Flash fiction. Es beginnt zumindest in medias res, ohne lange Einleitung :Pfeif:, gleich mit Dialog, das mag ich. Nun war ich nie in einem Fußballstadion (zumindest nicht zum Fußball), kann mir durch deine Geschichte aber gut vorstellen, was da abgeht. Aber müssen Mütter herhalten, um ihre erwachsenen Söhne in Schach halten zu helfen? Arme Gesellschaft.

Die Auswärtigen quittierten das mit Beschimpfungen, die ungewöhnlich zurückhaltende Reaktionen provozierten.
"provozieren" passt vor allem bei heftigen Prädikaten. Zu sagen, Sylvester Stallone hievte eine Daunenfeder aufs Podest, klänge wohl auch etwas komisch, du verstehst?
Sie nahmen den Weg in Richtung des Innenraum-Zugangs
Der Genitiv wirkt hier etwas sperrig als der einzige im ganzen Text und passt überhaupt nicht, ginge nicht auch: "in Richtung Innenraum-Zugang"?

Okay, das war jetzt eine typische Gegenkritik und wird wohl mit einigem Augenverdrehen bedacht. Ich kann allerdings versichern, mit dem Autor weder verwandt noch verschwägert, oder auch nur anderweitig bekannt zu sein zu sein, zumindest nicht wissentlich. :D

 

Hi @wörtherr und danke für deinen Besuch!

Die Auswärtigen quittierten das mit Beschimpfungen, die ungewöhnlich zurückhaltende Reaktionen provozierten.
"provozieren" passt vor allem bei heftigen Prädikaten. Zu sagen, Sylvester Stallone hievte eine Daunenfeder aufs Podest, klänge wohl auch etwas komisch, du verstehst?
Hm, denke ich drüber nach, wobei ich die Beschimpfungen schon provokativ genug finde. Ah, okay, du beziehst dich auf "ungewöhnlich zurückhaltende Reaktionen", kapiert. Mal sehen, ob mir da noch eine bessere Idee kommt.
Der Genitiv wirkt hier etwas sperrig als der einzige im ganzen Text und passt überhaupt nicht, ginge nicht auch: "in Richtung Innenraum-Zugang"?
Und ob das geht. Besser sogar. Danke! :thumbsup:

Liebe Grüße
Joyce

 

Meine Jüte, wie lang war ich nich' mehr aufm Stadion. Ah, ich erinner mich, mit nem gebürtigen Saarländer im Niederrheinstadion, RWO gegen FC Saarbrücken ... Da erfuhr ich das taube Ohr auch als eine Gnade ...,

liebe Joyce,

aber ganz kurz: Weiß gar nicht, was am Genitiv sperrig sein soll, lieber @wörtherr. Denn was ist die vorgeschlagene Ellipse anderes als - im Genitiv. Natürlich wirkt eine Ellipse eher wie ein Brandbeschleuniger als ein vollständiger Satz, und passte dann auch zu einem flotten Spiel.

Aber dann doch noch ne Frage:

Die erste Halbzeit war ein gegenseitiges Abtasten, auf dem Platz und drumherum.
Wenn Du das Komma begründen kannst (bitte nicht mit dem Lesefluss!), lass es stehen. Der geltenden Grammatik nach wüsst ich keine ...

Gern gelesen & Euch beiden einen schönen Restsonntag vom

Friedel

 

Lieber Friedel,

Die erste Halbzeit war ein gegenseitiges Abtasten, auf dem Platz und drumherum.
Wenn Du das Komma begründen kannst (bitte nicht mit dem Lesefluss!), lass es stehen.
welches Komma? :D
Wenn du mir schon die fadenscheinige Begründung untersagst, will ich auch keins. Da bin ich eigennsichtig. Stimmt natürlich. Ein Bindestrich wäre regelkonform, aber bei genauer Betrachtung nicht zwingend. Also versuche ich es mal ohne Leseanweisung.

Danke und schönen Abend
Joyce

 

Hi @sevas und danke für deinen Besuch!

ich habe den Fehler gemacht, zuerst den verlinkten Artikel über die Brasilianer zu lesen. War dumm von mir, denn so habe ich mich selbst um den großen Whoat?!-Effekt deiner Geschichte gebracht.
Kein Fehler, sonst wärs ja meiner. Der "Whoat"-Effekt ist gar nicht so wichtig. Dass die Idee der mütterlichen Intervention keine nachhaltige ist, deutet sich ja schlussendlich an.
Dein Text hat mir sehr gefallen, denn auch ich zähle zu den Fußball- bzw. Stadionabstinenzlern und durfte so doch einmal Stadionluft schnuppern.
Das freut mich! Stadionluft habe ich allerdings auch schon lange nicht mehr geschnuppert, und das aus gutem Grund, wenn nicht gar Überzeugung.
Besonders gefallen haben mir der Dialekt und die Sprüche (kannte viele davon nicht, da ich aus dem kleinen Nachbarland im Süden stamme). So las ich die Geschichte also mit einem Dauergrinsen im Gesicht :thumbsup:
Und das freut mich noch mehr. Ich war nicht sicher, ob dieses Spiel mit dem Regiolekt funktioniert. Aber mittlerweile sind da mehrere Versuche geglückt. Das stimmt mich zuversichtlich.
Bisschen viel Gestrecke in diesem Abschnitt ;)
Stimmt. Das einzig passende Synonym wäre laut Duden das "Recken", was es nicht besser macht. Vielleicht eine mäßige Ausrede, also halte ich das mal im Hinterkopf. Bei den Fahne mag noch was gehen.

Im ersten Teil beschreibst du die Damen als unauffällig gekleidet, aber dann behauptet Schuster, dass sich seine Mutter so richtig in Schale geworfen hat. Die Mutter war doch auch Teil dieser Gruppe?
War sie. Und "in Schale geworfen" heißt nicht, dass sie eines englischen Hutes oder eines (wem oder wozu auch immer) passenden Kleides habhaft geworden wäre. "Für ihre Verhältnisse" wäre eine erklärende, aus meiner SIcht aber unpassende Erläuterung.

Danke dir und liebe Grüße
Joyce

 

Hi Joyce,

schöner Text, Stimmung gut eingefangen. Auch das Auftauchen der Mutter finde ich sehr lustig. Aber was machen die Damen da?

Verstehe ich nicht ganz. Auch das Ende kann ich mir nicht erklären . Doch keine Schlägerei weil Mutti da ist ? Das Ende finde ich leider unbefriedigend. Könnte aber nich eine tolle und lustige Geschichte werden !
BG
Nico

 

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