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Asche

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11.07.2008
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Asche

Asche
Willkommen, mein Freund! Tritt näher und setz dich. Entspann dich und streck behaglich deine Beine aus. Es gibt nichts schöneres, als an einem nasskalten Abend neben mir zu sitzen und sich die schwere, drückende Kälte aus dem Körper scheuchen zu lassen, glaub mir. Ich mag es so gerne, wenn du deine Hände in meiner Nähe reibst und die Wärme zwischen ihnen verteilst wie flüssige Watte. Es freut mich, wenn dich das Knacken und Bullern in meinen Eingeweiden in einen sanften, wohligen Schlummer wiegt. Alles, was ich dafür von dir will, ist, dass du von Zeit zu Zeit meine Tür aufmachst und etwas Holz oder Kohle in meinen Rachen wirfst. Ich nehme das, was du mir gibst und verwandele es in Wärme, Licht und Behaglichkeit. Und alles, was ich zurücklasse, ist Asche. Graue, leere Asche.
Soll ich dir eine Geschichte in deinen Träumen zuflüstern, mein Freund? Wenn du eingeschlafen bist, dann kannst du meine Stimme im Feuer hören. Jedes leise Zischen und Rascheln erzählt dir von den Dingen, die ich gesehen und gehört habe. Das heiße Brennen in meinem Inneren kann dir über vieles berichten, wenn du magst.
Ich habe schon so viele Jahre lang immer wieder fremde Orte, unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Zeiten und Generationen kommen und gehen gesehen. Aber etwas war immer gleich – das Feuer, dass in mir brennt, an die Innenseite meiner Wände und Tür leckt und sich danach verzehrt, aus mir herauszukommen. Du, mein Freund, wirst früher oder später wieder im dunklen Nebel der Zeit verschwunden sein. Aber das Feuer wird bei mir bleiben. Die Hitze ist mein ewiger Begleiter. Und wenn der Taumel der Glut, das Spiel der Flammen und die Erinnerung an Licht und Wärme verblasst sind, so wird mein Vermächtnis an euch immer nur das Eine sein – graue, leere Asche!

Irgendwann, vor Jahren über Jahren, wurde ich aus der weißglühenden Hitze eines Ofens geboren. Mein Körper wurde aus Eisen gegossen, die Brennkammer mit stahlharter Hand geschmiedet und meine Name mit einem metallenen Donnern in meine Tür gestanzt. Dann fügte man mir die Adern und Venen meines Körpers in Form von Rohren und Klappen hinzu, bis ich das unzerstörbare Herz einer jeden menschlichen Gemeinschaft wurde. Sie bauten Wände um mich herum, ein Dach über mein Haupt und schließlich eine lange Luftröhre aus Backsteinen, die in einem Kamin endete. Und niemals werde ich jenen Tag im Spätsommer des Jahres vergessen, als ich zum ersten Mal seit meiner Geburt das Feuer und die erwachende Hitze in mir fühlte. Das erste zaghafte Streicheln der Flammen an den Innenseiten meiner Seele, das Aufbrausen der Wärme in meinem Herzen und die befreiende Erleichterung, als ich den feurigen Geist der Glut mit fauchendem Atem durch den Kamin sandte.
Man erhitzte Wasser in Töpfen auf mir. Ich sorgte dafür, dass Kaffee heiß und stark seinen würzigen Duft zusammen mit der Wärme meines Feuers durch alle Räume des Hauses trug. Und ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich Wäsche und Kleidung mit Seifenwasser wieder rein und duftend gemacht habe. Oft wurden blutgetränkte Laken aus grobem Leinenstoff durch mich wieder leuchtend weiß, nachdem auf ihnen unter Schmerz und Freude ein neuer Mensch in meinem Hause geboren worden war. Und wenn ich an außerordentlich kalten Tagen besonders viel Wärme spendete, wurde ich oft gelobt und man pries mich für meine Existenz. Einer der Menschen in meiner Gemeinschaft stickte neben mir in vielen Stunden winterlicher Handarbeit eine kleine Spitzendecke mit der geschnörkelten Aufschrift: „Eigner Herd ist Goldes wert!“ Ich war glücklich und zufrieden.
Aber ich habe auch aufgehört zu zählen, wie oft ich mit meiner glühenden eisernen Tür oder den heißen Wänden meines Körpers das weiche, vergängliche Fleisch meiner Menschen verbrannt habe. Ich hörte jeden ihrer Schmerzensschreie und ich konnte fühlen, wie sich ihre Haut unter meiner feurigen Berührung zusammenzog und Risse und Blasen warf. Dann fluchte man auf mich und belegte mich mit Schimpfworten. Aber mein Feuer brannte unaufhörlich weiter in mir und die Flammen verzerrten jeden Hass und Kummer, der gegen mich geschleudert wurde.
Auch an jenem Abend war ich glücklich, als einer der Bewohner, um die ich mich sorgte, vergaß, meine Tür richtig zu schließen. Ausgerechnet jene liebevoll gestickte Spitzendecke, die in meiner Nähe lag, fing die hervorstiebenden Funken meines Feuers zu einem leuchtenden Tanz ein. Wie eine Welle der Erregung durchlief es meine Seele, als sich die Glut aus meinem Körper ihren Weg in eine kurze, vergängliche Freiheit erzwang und dabei nichts als Hitze und Zerstörung hinterließ. Die Flammen fraßen alles, das ihnen in den Weg kam. Holzböden und Dielen vergingen im Schein des Brandes. Hausrat und Möbel wurden zu Fackeln. Teppiche und Gardinen verwandelten sich in Flüssen aus Feuer. Und inmitten dieses Reigens wanden und schrieen und leuchteten meine Menschen wie Funken in meinem Inneren. Und übrig blieb irgendwann außer mir und den Steinen nur Asche.

Natürlich wurde ich aus den rauchenden Trümmern geborgen. Ich bin unvergänglich. Aus Feuer wurde ich geboren, im Feuer liegt der Sinn meiner Existenz und kein Feuer dieser Welt kann mir ein Ende bereiten.

Auch in meinem neuen Zuhause war ich glücklich. Ich kam in eine alten Gartenlaube, wo ich einige Jahre damit zubrachte, das welke Laub der Bäume und die toten Äste der Hecken und Sträucher in meinem Inneren zu verzehren. Mein neuer Mensch sammelte die Überreste meiner Asche auf und streute sie auf seine Beete und Pflanzen. Ich verbrannte tote, abgestorbenen Dinge und trug damit zu neuem Leben und Wachstum bei. Ein herrlich ausgewogener Kreislauf. Wie gesagt, ich war glücklich. Ich kochte auch Dinge. Keine Wäsche, sondern Gerste und Getreide. Das Gebräu dampfte und siedete durch mich, bis es schließlich anfing, ätzende Dämpfe zu spucken. Mein Besitzer nahm diese Flüssigkeit dann von meiner Kochstelle und trank von ihr, nachdem sie erkaltet war. Die Dämpfe stanken entsetzlich und ich merkte, dass das Feuer in meinen Wänden immer dann besonders gierig wurde, wenn es diese Dämpfe schmeckte. Normalerweise öffnete mein Mensch das Fenster, wenn er auf mir kochte, aber oft schlief er auch nach dem Genuss seines Getränks auf einem Sessel neben mir ein. Eines Tages merkte ich wieder, wie sich die Flammen in mir wanden und versuchten, sich aus meinem Griff zu befreien. Und schließlich ließ ich ihre Zügel los. Mit einem höllischen Donnern wölbten sich die Wände der Gartenlaube, als die Dämpfe und der Druck der Töpfe und Behälter ihre Umarmung mit dem Feuer eingingen. Mein Leib ist aus Eisen, und so verspürte ich die wallende Hitze der Explosion wie den warmen Hauch einer Sommerbrise, die durch das offene Fenster wehte. Der Körper meines damaligen Besitzers dagegen war weich und nachgiebig. Er hob sich wie eines der welken Blätter im heißen Wind der Flammen empor, bevor er unter den brennenden Trümmern der Wände begraben wurde.

Erneut kam ich in ein anderes Haus. Dieses Mal war es eine herrschaftliche Villa mit vielen Räumen, langen Fluren und hohen Decken. Ich allein war nicht imstande, für das Wohl meiner Menschen zu sorgen, und so kam ich in den Keller der Villa, um dort nur noch selten benutzt zu werden. Nur in einigen besonders kalten Wintern erinnerte man sich an mich und steckte gelegentlich etwas Kohle oder einige wenige Holzscheite in meinen Körper. Die meiste Zeit jedoch verbrachte ich mit den Träumen an das Feuer, dass in mir loderte und der Erinnerung an die Flammen. Und ich wartete, denn irgend wann würde ich wieder brennen können. Im Taumel der Hitze habe ich gelernt, geduldig zu sein.
Und eines Tages war es dann soweit, dass ich endlich wieder das Feuer in mir zum Leben erwecken konnte. Doch dieses Mal brannte kein Holz in meiner Brennkammer. Statt dessen stopfte mein Besitzer Papier in meinen Rachen. Dann tränkte er es mit einer übel riechenden Flüssigkeit und in wildem, unzähmbarem Getöse schoß die Glut in mir hoch. Immer mehr Blätter, Seiten und Akten wurden mir vorgeworfen. Blätter mit Zahlen, Listen mit Namen, Dokumente mit Bildern. Ich las von fremden Orten, Befehlen und Geheimnissen. Von Transporten und von Lagern. Und ich las viel von Öfen. Sehr viel! Und dann begann ich, Fotos und Bilder zu schlucken. Fotographien von meinem Besitzer mit anderen Menschen. Lachende Freunde, die einander im Arm hielten, während hinter ihnen Zäune und Türme zu sehen waren. Dann warf mein Besitzer Kleidung in meine Brennkammer. Uniformen und Mützen. Kleine silberne Totenköpfe und Ledergürtel mit blitzenden Schnallen. Sogar ein großes Ölgemälde mit dem Abbild eines Mannes mit kaltem Blick und hasserfülltem Zug um die Mundwinkel verwandelte sich unter meiner Berührung in Asche und Rauch. Stunde um Stunde nahm ich diese merkwürdigen Dinge in mich auf. Als mein Mensch sein Werk schließlich getan hatte, verließ er fluchtartig meinen Keller. Nur wenige Tage später spürte ich außerhalb meines Hauses heftige Erschütterungen und hörte von draußen den Gesang des Feuers. So, wie es ein jedes Mal in meinem Herzen und meiner Seele nach Freiheit und Zügellosigkeit schrie, so erklang es nun von allen Seiten. Und irgendwann wurde die Tür zu meinem dunklen Keller aufgerissen und die Menschen meines Hauses stürzten zu mir herein. Sie weinten und schluchzten, während das Feuer immer lauter und heftiger wurde. Ich konnte fühlen, wie es von allen Seiten heranbrandete. Dazwischen war ein Pfeifen und Heulen zu vernehmen, dass von donnerndem Bersten, Krachen und Brüllen begleitet wurde. Dann endlich war es soweit. Mit einem gewaltigen Schlag wurde das Haus, seine Räume mit den hohen Decken, die Flure und schließlich auch der Keller vom Sturm der Flammen und den Urgewalten dieses Infernos erfasst. Alles Leben, egal wie sehr es vor Angst schrie und in Panik brüllte, wurde von den Flammen erfasst. Das einzige, was man fand, war Asche.

Die Jahre vergingen. Ich wurde herumgetragen, man hängte Decken über mich, ich spendete in zerstörten Ruinen Wärme und Licht. Neue Heime und moderne Häuser wurden gebaut. Es kam neues Licht und neue Wärme, ohne Holz und Kohle. Im Laufe der Generationen wurde ich immer weniger und weniger benutzt. Kein Feuer brannte in mir. Viele Jahrzehnte lang schwieg ich und träumte. Irgendwann warf man mich in einen alten Schuppen und dort setzte ich Staub an, der immer dicker und höher wurde. In meinem Inneren sammelten sich Spinnweben und die Überreste der Erinnerungen an die unbändige Gier des Feuers. Doch mein Leib ist aus Metall, und ich bin unvergänglich. Genauso wie das Feuer. Menschen hingegen verschwinden im Lauf der Geschichte.
Zuerst kam eines Tages erneut der Gesang der Flammen und der Windstoß der Hitze. Stärker und blendender als jemals zuvor. Das Donnern und der Lärm war selbst für mich völlig neuartig. Zum aller ersten Mal während meiner so langen Existenz spürte ich, wie die Hitze und das Feuer nach mir griffen und mich nicht unbeschadet ließen. Ich warf an einigen Stellen Blasen und an der Seite, wo die Größte Hitze auf mich einprasselte, wurde das tiefe Schwarz meines gusseisernen Körpers etwas heller als an den anderen Stellen. Aber nun ist es endlich wieder wie früher. Ich gebe wieder Licht und Wärme. Es kommen nicht mehr so viele Menschen wie damals. Es werden tatsächlich von Jahr zu Jahr weniger. Aber noch spüre ich in mir das Feuer und bin glücklich. Und wenn es eines Tages einmal für immer erlöschen sollte, so hinterlasse ich nur graue, leere Asche.

 

Hallo Eisenmann und Willkommen auf kg.de!

Die einzige Kleinigkeit, die mir ins Auge fiel:

Teppiche und Gardinen verwandelten sich in Flüssen aus Feuer.
Das "n" ist wohl überflüssig.

Ansonsten bleibt mir kaum mehr zu sagen, als dass mir dein Einstand hier wirklich gut gefallen hat. Du vermittelst gleich von Anfang an eine wirklich dichte Stimmung und besonders der Eindruck von Wärme beziehungsweise Hitze wird in der Geschichte regelrecht sinnlich erfahrbar.
Mögen Andere dir hierzu eine brauchbare Kritik schreiben - mir hat's einfach gefallen.


Gruß,
Abdul

 

Herzlich willkommen auf kg.de, Eisenmann.

Marvel-Fan, mh? :)

Zur Geschichte:

das Knacken und Bullern in meinen Eingeweiden

Das Problem mit einer allzu ernsten Herangehensweise: Man verrennt sich schnell in unfreiwilliger Komik. Das hier zum Beispiel klingt für mich irgendwie nach Blähungen.

Ansonsten finde ich deinen Stil recht hypnotisierend, das hat mir gefallen. Man liest und liest und liest ...

Der Inhalt wird natürlich das Publikum spalten. Deutsche Geschichte aus der Sicht eines Ofens. Das ist große Kunst für die einen, pseudo-gehaltvoller Mist für die anderen. Die Wahrheit liegt dann, wie immer, irgendwo in der Mitte.

Diese "das Feuer brennt ewiglich, der Mensch ist nur ein Jokus des Universums"-Sprüche würde ich streichen. Das ist so binsenphilosophisch.

Auch, wie und warum du dich für diese Rubrik entschieden hast, würde mich interessieren.

Aber unterm Strich: gern, leicht und flüssig gelesen.

Grüße
JC

 

Hi Eisenmann,

ganz so leicht bin ich zwar nicht durchgeglitten, weil es mir teilweise doch etwas zuu dick aufgetrage war, aber das ist wirklich Geschmackssache.

Du hast es aber schon geschafft, dass ich trotz der mir fehlenden Neigung zu solchen texten am Ball geblieben bin und es auch interessant fand, wie du hier was beschrieben hast.

und meine Name
das habe ich irgendwo gefunden und ich nehme mal an, dass hier nicht dein Pizzabäcker sprechen sollte ;)

Ach, und herzlich Willkommen!

Gruß
krilliam

 

Hallo zusammen!

Erstmal vielen Dank für eure Kommentare - das freut mich, dass euch meine Geschichte (im Großen und Ganzen) gefallen hat!

Ich war mir selbst nicht ganz sicher, in welcher Rubrik ich sie am besten unterbringen konnte. Aber aufgrund des insgesamt eher düsteren Tenors der Geschichte habe ich mich dann für die Horror-Sparte entschieden.
Meine Absicht war es zunächst, den Plot etwas anders zu spinnen. Ich wollte die Hauptperson -den Ofen - wie eine Art Monster darstellen, das seiner Umgebung nur Verderben bringt. Die Variante des stummen Betrachters hat mir dann aber besser gefallen. So betrachtete der Ofen lediglich seine Umgebung im Wandel der Zeit- für das Leid sorgten die Menschen dann mehr oder weniger von selbst. Inspiriert hat mich übrigens ein alter schwarzer Ofen aus Gusseisen, der in dem Haus stand, wo ich mit meinen Eltern mal gewohnt habe. Irgendwie fand ich das Ding immer etwas unheimlich!;)

Viele Grüße an euch alle und bis demnächst,
der EISENMANN (der in der Tat ein Marvel-Fan ist!):D

 

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