Auf das der Tod euch scheide
Wie lange sitze ich nun schon vor deinem Krankenbett, und starre auf deinen sich hebenden und senkenden Brustkorb? Wie lange scheint das langsame, mittlerweile gewohnte Piepsen des EKGs, ständig hoffend, dass es sich nicht zu einem langem, kaltem Ton entwickelt? Ist das die Realität? Nennen wir so etwas Leben? Hat Gott uns dafür geschaffen, solche Situationen auszuhalten? Warum habe ich nichts bemerkt, als wir zusammen auf der Veranda in Hamburg saßen, Arm in Arm gekuschelt, und den Sternenhimmel betrachteten? Den Sternenhimmel, der an diesem Tag so unheimlich klar, und mit leuchtenden Punkten übersät war? War es ein Tausch? Die eine Schönheit gegen die andere? Meine Gedanken schweifen ab...
Ich wache auf als ein Arzt an dein Bett gerannt kommt. Er spricht zu mir, aber alles was ich höre ist dieser lange, kalte Ton. Bevor mir klar wird, was er bedeutet stehe ich wortlos auf, und laufe den langen, weißen Gang entlang in die Arme deiner Mutter. Dein Vater starrt mich mit traurigen, leblosen Augen an, während dein Bruder in einer zusammengekauerten Haltung auf dem Stuhl im Wartezimmer sitzt. Wortlos laufe ich auch an ihnen vorbei, und reagiere nicht auf ihre Versuche mit mir zu kommunizieren. Alles um mich herum wird schwarz, und ich nehme die Leute, Patienten, Krankenschwestern und Familien nicht mehr war. Sie alle sind belanglose Objekte in meiner kleinen, schwarzen Welt. Kraftlos schreite ich durch die Drehtür des Krankenhauses. Hätte ich dich retten können? Hätte ich bemerken sollen, wie deine Hände zitterten als ich sie hielt? Ich glaube nicht, dass ich so einen Gedanken überhaupt wahrgenommen hätte. Und nun, 15 Stunden später kommt nun endlich die Erkenntnis, dass wir uns nie wiedersehen werden...
Ich laufe über den Parkplatz, und achte nicht auf die Kälte. Ich weiß ohnehin nicht, ob sie physisch oder geistig ist, es könnte beides der Fall sein. Die Autotür öffnet sich langsam, und ich steige ein. Ich will nicht weinen. Auch nicht jetzt, wenn ich alleine bin und niemand mich hören würde. Ich will keinen Abschied nehmen, und Tränen scheinen mir ein relativ eindeutiges Zeichen, dass jemand erkannt hat, was der Tod bedeutet. Der Motor startet, und ich warte immer noch, dass du einsteigst. Ach ja richtig...
Ich fahre los, und schaue geistesabwesend auf die lehre Straße vor mir. Ist es nicht lächerlich, dass genau jetzt kein anderer Mensch die, normalerweise gut befahrene, Straße nutzt? Ist das ein Zeichen von dir? Ist es ein Zeichen, um mir den Weg zu zeigen? Willst du mir sagen, dass wir doch zusammen sein können? Wieder? Vor meinem Auge blitzt ein Bild von deinem leblosem Körper auf, bedeckt mit Schläuchen, gebunden an dieses Leben durch Maschinen. Deine Schönheit so makaber verzerrt. Ich werde schneller. Ich nehme es nicht wahr, aber es geschieht. Ich sehe das schwache Licht der Laternen eine Kurve andeuten. Wieder, ein Bild. Von uns beiden. Vereint im Licht des schönen, wolkenlosen Himmels. Die Kurve kommt näher, und ich nehme meine Hände vom Lenkrad. Der Schmerz. Das Leid. All das, was mir die letzten Stunden aufgebürgt haben verschwindet. Ich schließe meine Augen, und denke ein letztes mal an dich, an dein Lächeln, an alles was an dir so perfekt war, ich spüre den Druck des Aufpralls noch einige Momente, bevor mir nun doch eine Träne entweicht. Vereint, für immer, Sarah.