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- 09.12.2019
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Aus der Tiefe
Sennya betrachtete die schweren Maschinen vor der untergehenden Sonne. Vor ihr lag die staubige Fläche, die für die erste Stadt auf Opal Drei vorbereitet wurde. Morgen früh würden sie beginnen, die Kanalisation zu graben.
Sie genoss die kühle Abendluft, bevor sie in ihren Wohncontainer ging um mit ihrem Bruder zu sprechen. Bevor sie die Verbindung herstellte, betrachtete sie das Holobild über dem Nachttisch. Es zeigte sie und ihren Zwillingsbruder Tarmm, kurz bevor sie auf die Akademie gingen. Zusammen mit ihren Eltern bei einem Wochenendausflug, alle mit einer Angel in der Hand. Wenn alles gut ging, würden sie sich in einigen Monaten wiedersehen und gemeinsam erleben, was die Gewässer hier beherbergten.
Per Sprachbefehl aktivierte Sennya einen Holoscreen und forderte eine Verbindung zu Tarmm. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann erschien sein Gesicht auf dem im Raum schwebenden dreidimensionalen Bild. Wie meistens unrasiert und mit zerzausten Haaren.
„Hallo Bruderherz“, sagte Sennya. „Wie läuft´s da oben?“
„Alles gut hier. Perfekte Aussicht auf unser neues zu Hause. Die Drohnen sammeln fleißig Daten, könnte mir den ganzen Tag die Aufnahmen der Oberfläche ansehen. Warte mal, bis du die Strände siehst, schicke dir gleich mal ein paar Bilder.“
„Danke, dann hab ich heute Abend wenigstens was zu tun. Morgen starten wir die Maschinen für die Kanalisation.“
„Ja, warte mal kurz. Wir haben nochmal einen Detailscan gestartet, das natürliche Höhlensystem beginnt an eurem Standort schon nach zwölf Metern“, erklärte Tarmm.
„Na dann, mal sehen wie schnell die neuen Hochleistungsmaschinen dort hinkommen. Und wie geht’s dir, isst du gut und schläfst genug?“
„Klar, ich beachte brav deine Vorschläge. Hab die Bilder gerade abgeschickt, mache mich mal auf den Weg zur Kantine. Bis morgen, oder hast du noch was?“, fragte er.
„Nein, alles ruhig hier. Diese wildschweinähnlichen Kreaturen haben uns seit drei Tagen nicht mehr angegriffen. Das Geräusch eines Laserschusses reicht mittlerweile, um sie zu vertreiben. Dann iss mal schön und such mal nach einem Kamm oder einer Bürste.“
„Warum?“
Sennya lächelte und beendete die Verbindung.
Das Kollektiv bemerkte die Veränderung sofort. Ein leichtes Vibrieren. Der Ursprung befand sich weit oben. Jedes Element spürte es und gab die Information an die Königin weiter. Und wartete, bis sie einen Befehl gab.
Sennya und die restliche Bodencrew waren in dem größeren Container versammelt, in dem sie jeden Morgen und Abend die Meetings zum Stand der Arbeiten abhielten. Sie war immer wieder überrascht, wie wenige sie waren, hier am Boden und an Bord der Creator, um eine vollständige Stadt auf dem fremden Planeten aufzubauen. Aber letzten Endes taten sie kaum etwas anderes, als die intelligenten Maschinen zu koordinieren, die die eigentlichen Arbeiten erledigten. Von der Vorbereitung des Geländes bis zur abschließenden Inneneinrichtung der Gebäude und Räume. Wofür brauchte sie ihr langjährig erworbenes Ingenieurwissen? Die Kolonisten, die hier in einigen Monaten ankommen, können sich in ein gemachtes Nest setzen, dachte sie.
„Wir sind bei allen Arbeiten gut im Zeitplan, bisher ist keine der Maschinen ausgefallen oder auf ein Hindernis gestoßen“, erklärte Renoss, der Einsatzleiter der Bodenaktivitäten. „Das wars von meiner Seite für heute. Was wollten Sie uns noch zeigen, Sennya?“
„Eine der Tunnelmaschinen hat das natürliche Höhlensystem erreicht“, antwortete sie. „Vielleicht ist es nichts, aber sie sollten sich die Aufnahmen mal ansehen.“ Sie startete den Holoscreen und die Aufnahme der Tunnelmaschine per Sprachbefehl. Das Bild zeigte einen erleuchteten Tunnel, durch die glatten Wände war allen Anwesenden klar, dass es einer der kürzlich gegrabenen Gänge war. Die Maschine fuhr weiter, der Scheinwerfer befand sich oberhalb der Kamera und leuchtete das Umfeld gut aus. Nach einigen Metern veränderte sich der Tunnel, sie sahen die ersten Bilder des Höhlensystems, das sich nach umfangreichen Scans um den ganzen Planeten zog. Sie würden diese Höhlen noch durch kleine, fliegende Drohnen detailliert kartographieren lassen.
Alle Anwesenden begaben sich näher an das holografische Bild, als die Maschine weiter fuhr. Das Gestein wurde unebener, die Aufnahme blieb dennoch ruhig durch die Stabilisatoren. Auf dem Boden war ab und zu etwas zu sehen, das Sennya an Pferdemist erinnerte. Sehr viel weiter ging es nicht mehr, der Gang wurde zu flach. Am Ende des sichtbaren Bereichs schien sich der Tunnel weiter abwärts zu neigen. Die Maschine begann, rückwärts zu fahren. Kurz bevor die Aufnahme endete, war eine Bewegung zu sehen, an der Decke ganz am Ende des sichtbaren Stollens.
„Was war das?“, fragte Einsatzleiter Renoss. Er war noch näher an das Bild gegangen. Wie so oft in den letzten Tagen meinte Sennya, Alkohol in seinem Atem zu riechen.
„Ich weiß es nicht, es ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Warten Sie, ich fahre die Aufnahme nochmal etwas zurück und vergrößere“, sagte Sennya. Es war auch jetzt auf dem Standbild nur als eine dunkle Form zu erkennen, die sie an die Scheren eines Hummers oder Krebses erinnerte.
„Na, wer bist du denn?“, flüsterte Renoss und strich sich über den Bart. „Schicken Sie morgen ein paar der Aufklärungsdrohnen rein, Sennya. Ich möchte über meine Nachbarn hier Bescheid wissen.“
Das Vibrieren wurde stärker, näherte sich dem Kollektiv. Die Königin gab ihren Befehl an ein Dutzend Elemente. Kundschaften und berichten.
Die Sonne war fast untergegangen, die beiden Monde wurden sichtbar. Sennya beendete gerade rechtzeitig die abendliche Joggingrunde und betrachtete die Fläche, auf der bald die ersten Gebäude entstehen würden. Alle hierfür notwendigen Materialien lagerten in den riesigen Hallen der Creator. Sie würden sich erst für weitere Städte den Ressourcen des Planeten bedienen. Diese Welt war der Erde sehr ähnlich, dennoch spürte sie die Fremdartigkeit. Als hätte sie ein eigenes Bewusstsein, das die Eindringlinge beobachtete. Auf der Lauer lag.
Der aufkommende Wind wirbelte Staub auf. Sennya wollte gerade zurück zum Container, als sie eine Bewegung bemerkte. Etwas kam aus dem Zugang zur Kanalisation. Ein schwarzes, insektenartiges Bein, gefolgt von weiteren Beinen und einem ovalen Rumpf. Sie sah wie erstarrt zu, als das Geschöpf vollständig die Oberfläche erreichte und in ihre Richtung kam. Direkt dahinter kletterte bereits ein weiteres hervor, wie eine Kreuzung aus einer Spinne und einem Skorpion. Sie tastete an die Seite ihres Beines, aber sie hatte die Laserpistole schon wieder vergessen. Mit zitternden Beinen drehte sie sich um und lief zum Lager. Zum ersten Mal im Leben schrie sie laut um Hilfe.
Als sie das Lager erreichte, waren Einsatzleiter Renoss und einige andere aus ihren Containern gekommen. Alle hielten, alarmiert durch ihr Geschrei, die Laserpistolen bereit. Sie lief an ihnen vorbei und rief: „Schießt sie in Stücke!“ Nicht, dass es notwendig gewesen wäre, sie hörte hinter sich die Schüsse und ein hohes Fiepen. Bevor sie ihren Container betrat, sah sie zurück. Zwei der Kreaturen schienen schon erledigt worden zu sein, sie lagen reglos am Boden, einige ihrer acht Beine abgetrennt durch den Laserbeschuss. Sie konnte nur noch eine weitere erkennen, vor dem Container von Renoss, der wohl nach drinnen geflüchtet war. Es wurde von Laserschüssen eingedeckt, zwei seiner Beine flogen gegen die Containerwand. Der Rumpf wurde immer wieder durchlöchert, bis es zusammenbrach.
Sennya konnte kein weiteres dieser Geschöpfe sehen, holte dennoch ihre Waffe aus dem Container und ging vorsichtig in Richtung der getöteten Wesen.
Die gesamte Bodencrew näherte sich den erledigten Angreifern. Sie sahen aus wie Spinnen, hatten jedoch einen harten, schwarzen Panzer. Die vorderen Beine endeten in Scheren, Sennya musste wieder an einen Hummer denken. Nur dass diese Wesen so groß waren wie ein Bodengleiter.
„Heilige Scheiße!“, meinte Renoss, als er wieder aus seinem Container kam.
Bevor er noch mehr sagen konnte, zeigte Sennya in Richtung der Stadtfläche und rief: „Dort sind noch mehr!“
Renoss zögerte keine Sekunde. „Niemand greift meine Maschinen an. Machen wir sie fertig!“
Neun weitere Kreaturen drängten sich um die bodenpräparierenden Maschinen, als würden sie von deren Lärm angezogen. An einer der Maschinen stand ein Crewmitglied. Als sie in diese Richtung liefen, erwachte er aus der Schockstarre und versuchte zu fliehen. Eine der Kreaturen umklammerte sein Knie mit der hummerartigen Schere und durchtrennte das Bein, als wäre es aus Butter. Der Verletze fiel zur Seite und schrie, drehte sich auf den Rücken und griff nach dem Beinstumpf. Die Kreatur setzte nach, griff diesmal seinen Hals und trennte den Kopf ab.
Sie stellten sich in einer Reihe auf, näherten sich dem Feind und begannen zu schießen. Die Geschöpfe reagierten nicht mit einem Gegenangriff, als wären sie nur auf die Maschinen und die Umgebung fixiert. Ihre Gliedmaßen flogen durch die Luft, immer wieder ertönte ihr hohes Fiepen. Es dauerte nicht lange und sie hatten alle erledigt.
„Zurück zum Transportshuttle!“, rief Renoss, nachdem sie in der näheren Umgebung keine weiteren Kreaturen ausmachen konnten.
Jeder Verlust schmerzte das Kollektiv und die Königin. Sie mussten sich vorbereiten, es gab eine Gefahr und sie konnte näher kommen. Die Königin gab den nächsten Befehl. An das gesamte Kollektiv. Sammeln in der Haupthalle.
„Wir haben den Zugang zur Kanalisation mit den selbstfeuernden Geschützen gesichert. Falls dennoch welche durchkommen, werden wir genug Zeit haben, mit dem Shuttle zu fliehen. Oder wir geben ihnen mit den Bordkanonen den Rest“, erklärte Sennya ihrem Zwillingsbruder über den Holoscreen. „Und wir haben die Drohnen in das Höhlensystem geschickt, werden also bald eine detaillierte Karte und genügend Aufnahmen haben.“
„Ich weiß nicht, Sennya, mir wäre es lieber, wenn ihr nicht in der Nähe bleibt. Diese Wesen geben kaum Wärme ab, sonst hätten wir sie früher bemerkt. Wir haben keine Information, wie viele dort unten hausen, es könnten tausende sein.“
Renoss schaltete sich ein: „Sie wissen nicht, dass wir hier drinnen sind. Sie werden dort unten in völliger Finsternis hausen, wahrscheinlich orientieren sie sich eher an ihrem Gehör. Vielleicht können Sie überhaupt nichts sehen, oder haben eine ähnliche Technik wie Fledermäuse. Falls noch mal welche rauskommen, werden wir entscheiden, ob wir angreifen oder fliehen.“ Seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass seine Entscheidung feststand, die Bodencrew war alleine seine Verantwortung.
Tarmm blickte erneut zu Sennya und sagte nach einigen Sekunden: „Bitte, aber haltet regelmäßigen Kontakt. Ich schicke euch die Kampfdrohnen runter und was wir sonst noch haben. Viel ist es nicht, sind ja keine Kampfmission. Wenn ihr die Informationen der Detailscans habt, können wir alles weitere entscheiden.“
„In Ordnung, Tarmm, bis später. Mach dir keine Sorgen, wir kriegen das schon hin“. Sennya beendete die Verbindung.
„Warten Sie hier“, sagte Renoss und ging ins Cockpit. Er war nicht nur der Einsatzleiter, sondern auch einer von drei ausgebildeten Piloten, sollte ein manuelles Eingreifen notwendig sein. Mit einer Whiskyflasche und zwei kleinen Gläsern in der Hand kam er zurück und setzte sich ihr gegenüber.
„Nun sehen Sie mich nicht so an. Wirkt genauso wie ein Beruhigungsmittel.“ Er stellte die Gläser auf den Tisch und schenkte ein. „Haben Sie sich verdient! Keine Widerrede, ist eine verpflichtende Maßnahme nach einem Kampf.“
„Dann scheinen Sie aber fast täglich zu kämpfen." Sennya band sich die schulterlangen rötlich-blonden Haare zusammen, die ihr seit dem Angriff immer wieder ins Gesicht fielen.
„Manche gehen fischen, um sich zu beruhigen, andere haben Medizin. Ist nicht viel jeden Tag, glauben Sie mir, ich arbeite deutlich schlechter ohne ab und zu einen Schluck. Ich weiß, dass sie es ohnehin bemerkt haben, also was solls? Jeder braucht seinen Ausgleich. Prost!“ Er nahm sein Glas und hielt es vor sich.
Sennya zögerte noch einen Moment, musste dann aber lächeln und nahm ebenfalls ihr Glas. Renoss war einfach ein herzensguter Mensch, mit seinem Vollbart und den kurzen, wirr abstehenden Haaren. Immer professionell und bei der Sache, trotz oder wegen seiner Medizin. „Na dann, Prost“, erwiderte sie. „Da haben die anderen ja Pech, dass sie sich bereits im Laderaum einen Schlafplatz gesucht haben.“
„Bleibt mehr für uns. Wir werden morgen früh als erstes die Karte und die Aufnahmen des Höhlensystems prüfen. Und wenn weiterhin alles ruhig bleibt, unseren Botaniker begraben. Alleine dafür haben diese Viecher den Tod verdient.“ Er schenkte beide Gläser nach.
„Wir sollten dennoch mit Bedacht vorgehen und diese Wesen nicht unterschätzen.“
„Warum? Dumme Riesenspinnen, mit den richtigen Waffen werden sie kein Problem sein. Und außerdem ...“
„Ich weiß, niemand greift ihre Maschinen an. Aber wenn es dort unten viele von ihnen gibt, wovon wir ausgehen können, warum haben sie dann nur zwölf hier hoch geschickt?“
„Vielleicht haben Sie sich verlaufen?“, antwortete Renoss und leerte erneut sein Glas.
„Das glaube ich nicht. Sieht für mich aus wie ein erster Aufklärungstrupp. Und nun ist diese Spezies alarmiert, da sie nicht zurückkamen. Also ist nun die Frage, was sie machen werden. Nur ihr unterirdisches Reich verteidigen, oder angreifen?“
Renoss musste früh aufgestanden sein, dachte Sennya. Die Whiskyflasche und die Gläser waren verschwunden und er hatte mehrere Kannen Kaffee und das übliche Frühstücksbuffet aufgestellt. Was bedeutete, dass er rausgegangen war zum Kantinencontainer. Sie standen wie eine übermüdete Pfadfindertruppe um den Holoscreen, der Kaffee überdeckte einen möglicherweise verbliebenen Alkoholgeruch.
Das dreidimensionale Bild zeigte das Höhlensystem in allen Details. Renoss erklärte: „Auch wenn sich solche Höhlen unter der gesamten Planetenoberfläche befinden, ist das System unter uns ein …“ Er schwankte leicht. „… ein geschlossenes System“, beendete er den Satz. „Es gibt von der untersten Ebene zwar einige kleine Tunnel zum Meer, aber sie sind so schmal, dass unsere neuen Freunde dort nicht durchpassen.“ Er deutete jeweils auf die Bereiche, über die er sprach. „Auffällig sind dieses zwei … Entschuldigung, diese zwei großen Kammern im Zentrum des Systems. Die größere hat einen Durchmesser von fast einem Kilometer, die kleinere liegt bei ungefähr dreißig Metern. Heute Nacht …“ Renoss starrte einige Sekunden vor sich hin, als fiele ihm nicht ein, was er sagen wollte.
„Es blieb heute Nacht alles ruhig“, half ihm Sennya. „Keines der bewegungssensitiven Geschütze am Zugang zur Kanalisation wurde aktiviert. Die Aufklärungsdrohnen befinden sich am Übergang zu ihren Höhlen, auch dort ist es ruhig, wie die aktuellen Bilder zeigen.“ Sie wechselte per Sprachbefehl auf eine der Drohnenkameras. Das Bild zeigte einen verlassenen Gang. „Sehen wir uns mal die letzten Aufnahmen aus den beiden großen Kammern an. Die Drohne, die in die kleinere Kammer geflogen ist, wurde vernichtet.“
Sie wechselte erneut das Bild, es zeigte eine riesige, felsige Kammer. In Abständen von jeweils mehreren Metern hielten sich dort die spinnenartigen Kreaturen auf, sie schienen sich alle in Richtung des Zentrums der Kammer zu bewegen. Aus den angrenzenden Gängen kamen stetig weitere hinzu.
„Mein Gott, es werden immer mehr. Sammeln sie sich dort?“, flüsterte ein Kollege neben ihr.
„Ja, sieht so aus. Die Aufnahme ist drei Stunden alt“, bestätigte Sennya. „Ich wechsele noch zur Aufnahme der anderen größeren Kammer.“ Sie sahen einen weiteren Tunnel, der nach einigen Metern in die Kammer mündete. Der Zugang schien sich am Rand dieses Raums zu befinden, zunächst waren nur die Felswände zu sehen. Dann schwenkte das Bild nach links und es erschienen zwei längliche, dunkle Formen, zwischen denen genug Platz für die Drohne war. Als sie sich näherte und hindurch fliegen wollte, begannen sich die Formen ruckartig zu schließen. Das Bild wurde dunkel.
Einige Sekunden sagte niemand etwas, bis Renoss meinte: „Heilige Scheiße, waren das diese Scheren, die wir gestern bei den Angreifern gesehen haben? Wie groß muss dieses Vieh sein?“
„Die Führungskaste“, vermutete Sennya.
„Das Transportshuttle mit den Waffen ist heute Nacht gelandet, direkt neben euch. An Bord sind fünfzehn Kampfdrohnen und genügend schnellfeuernde Lasergewehre, sie sind deutlich besser als eure Pistolen“, erklärte Tarmm, der sich über einen weiteren, kleinen Holoscreen zugeschaltet hatte.
„Na toll, und warum bekommen wir die jetzt erst?“, wollte Renoss wissen.
„Seid froh, dass ihr überhaupt etwas habt. Unsere Auftraggeber hätten uns am liebsten ohne Waffen losgeschickt, wahrscheinlich hatten sie Angst, dass wir uns damit eher selbst umbringen“, entgegnete Tarmm.
„Am Zugang zu deren Höhlen ist es weiterhin ruhig. Ich habe eine der Aufklärungsdrohnen in die große Kammer geschickt, sie müsste mittlerweile angekommen sein.“ Sennya wechselte das Bild, alle wichen erschrocken ein Stück von der dreidimensionalen Darstellung zurück. Die Drohne kreiste in der Kammer, der gesamte Boden, teilweise auch Wände und Decke, waren mit den Kreaturen bedeckt.
„Sie sammeln sich dort sicher nicht, um sich nur wenn nötig zu verteidigen. Der Angriff wird bald erfolgen“, stellte Renoss fest.
„Wir könnten einfach den Zugang zu unserer Kanalisation zum Einsturz bringen“, schlug ein Crewmitglied vor.
Renoss überlegte kurz. „Das würde uns Zeit verschaffen, aber wahrscheinlich auch nicht viel. Diese Viecher scheinen ja gut im Tunnelgraben zu sein, so werden wir sie nicht lange aufhalten.“ Wieder überlegte er, alle warteten auf seine Entscheidung. Er sprach, als würde er laut denken: „Sie werden ohnehin die Oberfläche stürmen, sie können ja nicht wissen, ob wir da sind oder nicht. Und wir haben immer noch die Möglichkeit, zu fliehen, wenn die Kampfdrohnen und die Geschütze am Zugang sie nicht aufhalten können. Wir bringen die Drohnen am Übergang zur Kanalisation in Stellung, dieses Nadelöhr wird ihnen hoffentlich zum Verhängnis.“
„Ich habe noch einen Vorschlag“, sagte Sennya und rief nochmal das Modell des Höhlensystems auf. Sie deutete auf die Kammer, in der sie die Königin vermutete. „Wir lassen eine der Minenmaschinen von der Kanalisation aus nach unten graben, direkt in die Kammer der Königin, oder was auch immer es ist. Ich schätze, dass sie drei bis vier Stunden benötigen wird. Wenn wir Glück haben, wird dieses Vieh durch die fallende Maschine schon schwer verletzt. Und dann schicken wir einige der Kampfdrohnen hinein, ohne Gefahr, dass sie vorher durch die Kreaturen, ich nenne sie mal Soldaten, aufgehalten werden. Vielleicht sind die Soldaten dann keine Gefahr mehr, oder verlieren zumindest ihre Koordination und werden leichte Beute.“
Renoss sah sie an und grinste. „Sehr gut, ich sagte Ihnen doch, dass die Medizin hilft. Bereiten Sie die Minenmaschine und die Kampfdrohnen vor und nehmen sie sich alle ein Lasergewehr. Ich werde solange unseren Botaniker begraben, er wird unser einziges Opfer bleiben.“
Die Vibrationen gehen weiter. Der Feind ist noch da. Die Königin gibt ihren Befehl an das Kollektiv in der Haupthalle: Findet den Weg zur Oberfläche. Grabt neue Tunnel, wenn notwendig. Folgt jedem Geräusch und kämpft, bis es verstummt.
Dann wendet sie sich an die Elemente, die sie in ihre Kammer befohlen hat: Bleibt hier und beschützt eure Königin.
„Es geht los“, sagte Renoss. Der Holoscreen zeigte den Gang aus der Perspektive einer der Kampfdrohnen. An dessen Ende erschienen die ersten Soldaten, sie krabbelten an Boden, Wänden und Decke auf sie zu. Die Drohnen begannen ihre Laserbündel abzufeuern. Das Bild verwandelte sich in ein rotes Blitzgewitter, die Körperteile der Kreaturen flogen durch die Luft. Keine überlebte länger als ein paar Sekunden, die leblosen Körper sammelten sich im Gang. Weitere kamen nach, ein endloser, alptraumhafter Ansturm.
„Was macht die Minenmaschine?“, rief Renoss.
Sennya prüfte den Status auf einem separaten Screen. „Kommt gut voran, ungefähr ein Drittel ist geschafft. Ich schätze noch ca. zweieinhalb Stunden, dann ist sie durch.“
Mittlerweile lagen so viele tote Kreaturen im Korridor, dass die Nachkommenden kaum noch durchkamen. Plötzlich hielten die Geschütze inne, der Angriff schien zu stoppen.
Einige Sekunden sagte keiner etwas, sie beobachteten das Bild, bis Sennya sagte: „Das gefällt mir nicht, wir haben gerade mal einen Bruchteil erledigt.“
In den nächsten Minuten passierte nichts, dann wurde der Berg der getöteten Soldaten nach vorne geschoben. Die ersten erreichten die Drohnen.
„Steuern Sie zurück!“, befahl Renoss.
Sennya gab den Befehl, aber für die beiden vorderen Drohnen war es zu spät. Aus dem schwarzen Gewirr schnellten Scheren hervor, umklammerten die Angreifer und schlugen sie immer wieder gegen die Wand. Ihre letzten Schüsse trafen die Tunnelwand, Staub und Fels schwirrte durch die Luft, dann wurde das Bild dunkel. Sennya wechselte auf eine der hinteren Kameras und orderte die restlichen acht Kampfdrohnen weiter zurück, die Lasersalven begannen wieder. Die anderen fünf Drohnen befanden sich hinter der grabenden Minenmaschine, zur Not konnte sie auch diese noch herbeordern.
Die Kampfdrohnen waren nicht mehr weit vom Zugang zur Kanalisation entfernt, sie wurden von den Angreifern immer weiter zurückgedrängt. Sie näherten sich im Rückwärtsflug dem Ende eines weiteren Gangs, als plötzlich kurz nacheinander die hinteren drei ausfielen. Sennya drehte zwei Drohnen in die andere Richtung, sie begannen direkt auf die angreifenden Soldaten zu feuern.
„Wo zur Hölle kommen die denn her?“, fluchte Renoss.
Hilflos sahen sie zu, wie nach und nach die verbliebenen Drohnen vernichtet wurden, dem Ansturm von beiden Seiten konnten sie nicht standhalten.
„Wie lange noch, bis die Minenmaschine durch ist?“, fragte Renoss.
„Nicht mehr lange, vielleicht … zwanzig Minuten, so in etwa“, antwortete Sennya.
„Sehr gut, wir geben jetzt nicht auf. Wenn sie an die Oberfläche kommen, werden sie die nächste Überraschung erleben, an den Geschützen müssen sie erst mal vorbei. Ich werde das Shuttle starten und über dem Zugang schweben, wir decken sie zusätzlich mit den Bordkanonen ein.“
Schon wenige Minuten später befanden sie sich einige Meter über dem Kanalisationszugang und sahen, wie die ersten Soldaten an die Oberfläche drangen und von den fest stationierten Lasergeschützen auseinander geschossen wurden. Auch hier begannen sie nach und nach, sich den Geschützen zu nähern, in dem sie sich hinter den getöteten Kreaturen versteckten und diese nach vorne schoben.
Renoss begann, mit den Bordkanonen auf die Öffnung zu schießen. Zusätzlich öffnete er die Luke des Shuttles, so dass die Crewmitglieder mit den Lasergewehren feuern konnten. Kein Leben entkam dieser Todeszone, die Kreaturen wurden in unzählige Stücke geschossen.
Welche Ironie, dachte Sennya. Den Feind, den die Kreaturen bekämpfen wollten, konnten sie ohnehin nicht erreichen. Wieso haben wir nicht daran gedacht, die Maschinen abzuschalten und zu warten, ob sie dann überhaupt etwas machen? Aber natürlich kannte sie die Antwort: Einer ihrer Kameraden war gefallen und sie wollten Vergeltung. Sahen eine Möglichkeit, diese ganze Brut zu vernichten. Selbst an diesem fernen Ort, an dem die Menschheit gerade erst angekommen ist, wiederholt sich die Geschichte.
Sie prüfte die Daten der Minenmaschine. Sie war dabei durchzubrechen, schnell schaltete sie auf die entsprechende Kamera. „Renoss?“, rief sie, er würde sie über das Kommunikationssystem hören.
„Ja, was gibts?“, halte es aus dem Lautsprecher über ihr.
„Die Maschine erreicht die Kammer und …“
„Ich sehe es hier auf meinem Screen.“
Sennya sah immer mehr von der Kammer, die Maschine würde gleich in den Raum fallen. Einige Soldaten warteten an der Decke und griffen an, wurden aber von dem großen, rotierenden Bohrkopf, der mit unzähligen kleinen Laserklingen bestückt war, sofort in Stücke gerissen. Dann ging alles sehr schnell. Die Maschine begann zu fallen, sie erkannte den riesigen, ovalen Körper am Boden der Kammer. Das Bild näherte sich dem vorderen Teil dieses Körpers, dann wurde das Bild dunkel.
Sie wechselte zu einer der fünf Kampfdrohnen, die oben an der Öffnung schwebten und gab den Befehl zum Angriff. Die Drohnen schwebten in den Raum. Zwei von ihnen schossen auf die zahlreichen Soldaten, die sich in der Kammer befanden. Sie stellten keine Gefahr dar, die Drohnen hielten einen sicheren Abstand und erledigten sie nach und nach.
Die anderen drei konzentrierten sich auf die Königin. Sie sah den Soldaten sehr ähnlich, nur war ihr Panzer dunkelrot. Sennya schätzte ihre Länge auf ungefähr zehn und die Höhe auf fünf Meter. Die Minenmaschine hatte sich in ihren Körper gegraben, war dabei jedoch zur Seite gefallen und hatte sich notabgeschaltet. Der Laserbeschuss richtete sich auf ihren Kopf, der Panzer konnte jedoch die ersten Schüsse abhalten. In ihrer Panik rannte sie zum Ende der Kammer, zu dem kleinen Eingang für die Soldaten. Sie versuchte, mit ihren Scheren den Zugang zu vergrößern. Die Drohnen folgten ihr, schossen weiter auf den Kopf, bis sie den Panzer durchdrangen. Die Schüsse zerstörten das Gewebe darunter, das Gehirn. Die Königin brach zusammen und blieb mit zuckenden Gliedmaßen liegen.
Die Geschütze hatten aufgehört zu feuern. Renoss hielt das Shuttle noch einige Minuten in der Luft, aber es blieb ruhig und er landete nahe dem Zugang zur Kanalisation.
„Ich schicke die restlichen Kampfdrohnen in die Hauptkammer“, rief Sennya.
Renoss kam grinsend aus dem Cockpit. „Kaum ist die Chefin erledigt, verziehen sich die Arbeiter. Zeit für etwas frische Luft.“ Er ging zu der noch offenen Luke, kurz bevor etwas von der anderen Seite das Shuttle rammte. Er fiel nach vorne auf den harten Boden und schaffte es gerade noch, die Arme vor sich zu halten, um den Sturz abzufedern. Als er sich auf die Knie erhob, umklammerten von der Seite zwei schwarze Scheren seinen Oberkörper und drückten zu. Er begann zu schreien, versuchte, die Scheren mit den Händen zu lösen. Doch sie drängten immer weiter zusammen, Blut und Eingeweide quollen hervor.
„Renoss!“, schrie Sennya, Sie und die anderen Crewmitglieder griffen ihre Lasergewehre, rannten zur Luke und begannen zu feuern. Sie erledigten die Kreatur innerhalb von Sekunden, doch für Renoss war es zu spät. Sein Oberkörper war vollständig durchtrennt und kippte nach vorne. Weitere Soldaten kamen nach, die Crew wich zurück und erschoss sie, als sie versuchten, durch die Luke ins Innere des Shuttles zu gelangen. Sennya hatte mit einem andauernden Ansturm gerechnet, aber schon nach wenigen Minuten war es vorbei. Sie blickte auf den Holoscreen, auch in der riesigen Kammer wurden die letzten Soldaten von den Kampfdrohnen getötet.
Sie schloss die Luke und setzte sich auf den Boden, bevor die zitternden Beine nachgaben. Auch die anderen Crewmitglieder setzten oder legten sich kraftlos hin, als ihnen bewusst wurde, dass es vorbei war. Sie hatten gewonnen, das Nest eliminiert. Nur fühlte es sich nicht wie ein Sieg an, nicht nur wegen der eigenen Verluste. Ausdruckslos blickten sie vor sich hin, niemand sagte etwas.
„Du musst deinen Frieden finden“, sagte ihr Vater, der auf seinem Angelstuhl neben ihr saß. Er blickte aufs Meer, genau wie sie.
Sennya betrachtete die ruhige Wasseroberfläche und die Vögel, die darüber kreisten. Alles wirkte friedlich und harmonisch. Dennoch hatten sie und die Crew hier vor drei Jahren das Grauen erlebt. Oder es heraufbeschworen. Nach einer Weile sagte sie: „Ich würde wieder so entscheiden. Diese Kreaturen schienen nichts anderes im Sinn zu haben, als uns zu vernichten. Dennoch sind wir diejenigen, die in ein fremdes Ökosystem eingedrungen sind und unzählige Geschöpfe getötet haben. Um selbst hier sicher leben zu können. Und es ist erst der Anfang, die Menschen werden auch diesem Planeten viel Leid zufügen. Bis wir irgendwann wieder weiterziehen.“
Ihr Vater sah zu ihr rüber. „Ich meine nicht, dass ich es gut finde. Aber auch ich sitze hier und versuche meine letzten Jahre zu genießen. Versuch es zu akzeptieren, die Menschen würden in unserer Zeit nicht mehr existieren, wenn sie anders handeln würden. Und du solltest damit aufhören!“ Er zeigte auf die Whiskyflasche, die neben ihrem Stuhl stand.
„Wahrscheinlich ist es nun für mich etwas anderes, da ich ein Teil dieser Mission war.“ Sie blickte zu ihm rüber und versuchte zu lächeln. Etwas weiter saßen Tarmm und ihre Mutter, sie lachten über etwas. „Ich bin froh, dass ihr hier seid.“
Sennya lehnte sich in dem Stuhl zurück und schloss die Augen. Nur für einen Moment.
Sie fuhr ruckartig hoch, wie lange hatte sie geschlafen? Ihre Eltern und Tarmm hatten die Augen geschlossen, sie schienen zu schlafen, oder genossen einfach nur die Stille.
Weit links bemerkte sie eine Bewegung, ein Junge rannte aus dem Wasser. Er schrie, kaum hörbar auf diese Entfernung. Hinter ihm tauchte etwas aus dem Wasser auf, sie erkannte die Formen direkt. Die hummerartigen Scheren, der spinnenähnliche, gepanzerte Körper.
Normalerweise war dies der Moment, in dem sie aufwachte.
Sie genoss die kühle Abendluft, bevor sie in ihren Wohncontainer ging um mit ihrem Bruder zu sprechen. Bevor sie die Verbindung herstellte, betrachtete sie das Holobild über dem Nachttisch. Es zeigte sie und ihren Zwillingsbruder Tarmm, kurz bevor sie auf die Akademie gingen. Zusammen mit ihren Eltern bei einem Wochenendausflug, alle mit einer Angel in der Hand. Wenn alles gut ging, würden sie sich in einigen Monaten wiedersehen und gemeinsam erleben, was die Gewässer hier beherbergten.
Per Sprachbefehl aktivierte Sennya einen Holoscreen und forderte eine Verbindung zu Tarmm. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann erschien sein Gesicht auf dem im Raum schwebenden dreidimensionalen Bild. Wie meistens unrasiert und mit zerzausten Haaren.
„Hallo Bruderherz“, sagte Sennya. „Wie läuft´s da oben?“
„Alles gut hier. Perfekte Aussicht auf unser neues zu Hause. Die Drohnen sammeln fleißig Daten, könnte mir den ganzen Tag die Aufnahmen der Oberfläche ansehen. Warte mal, bis du die Strände siehst, schicke dir gleich mal ein paar Bilder.“
„Danke, dann hab ich heute Abend wenigstens was zu tun. Morgen starten wir die Maschinen für die Kanalisation.“
„Ja, warte mal kurz. Wir haben nochmal einen Detailscan gestartet, das natürliche Höhlensystem beginnt an eurem Standort schon nach zwölf Metern“, erklärte Tarmm.
„Na dann, mal sehen wie schnell die neuen Hochleistungsmaschinen dort hinkommen. Und wie geht’s dir, isst du gut und schläfst genug?“
„Klar, ich beachte brav deine Vorschläge. Hab die Bilder gerade abgeschickt, mache mich mal auf den Weg zur Kantine. Bis morgen, oder hast du noch was?“, fragte er.
„Nein, alles ruhig hier. Diese wildschweinähnlichen Kreaturen haben uns seit drei Tagen nicht mehr angegriffen. Das Geräusch eines Laserschusses reicht mittlerweile, um sie zu vertreiben. Dann iss mal schön und such mal nach einem Kamm oder einer Bürste.“
„Warum?“
Sennya lächelte und beendete die Verbindung.
Das Kollektiv bemerkte die Veränderung sofort. Ein leichtes Vibrieren. Der Ursprung befand sich weit oben. Jedes Element spürte es und gab die Information an die Königin weiter. Und wartete, bis sie einen Befehl gab.
Sennya und die restliche Bodencrew waren in dem größeren Container versammelt, in dem sie jeden Morgen und Abend die Meetings zum Stand der Arbeiten abhielten. Sie war immer wieder überrascht, wie wenige sie waren, hier am Boden und an Bord der Creator, um eine vollständige Stadt auf dem fremden Planeten aufzubauen. Aber letzten Endes taten sie kaum etwas anderes, als die intelligenten Maschinen zu koordinieren, die die eigentlichen Arbeiten erledigten. Von der Vorbereitung des Geländes bis zur abschließenden Inneneinrichtung der Gebäude und Räume. Wofür brauchte sie ihr langjährig erworbenes Ingenieurwissen? Die Kolonisten, die hier in einigen Monaten ankommen, können sich in ein gemachtes Nest setzen, dachte sie.
„Wir sind bei allen Arbeiten gut im Zeitplan, bisher ist keine der Maschinen ausgefallen oder auf ein Hindernis gestoßen“, erklärte Renoss, der Einsatzleiter der Bodenaktivitäten. „Das wars von meiner Seite für heute. Was wollten Sie uns noch zeigen, Sennya?“
„Eine der Tunnelmaschinen hat das natürliche Höhlensystem erreicht“, antwortete sie. „Vielleicht ist es nichts, aber sie sollten sich die Aufnahmen mal ansehen.“ Sie startete den Holoscreen und die Aufnahme der Tunnelmaschine per Sprachbefehl. Das Bild zeigte einen erleuchteten Tunnel, durch die glatten Wände war allen Anwesenden klar, dass es einer der kürzlich gegrabenen Gänge war. Die Maschine fuhr weiter, der Scheinwerfer befand sich oberhalb der Kamera und leuchtete das Umfeld gut aus. Nach einigen Metern veränderte sich der Tunnel, sie sahen die ersten Bilder des Höhlensystems, das sich nach umfangreichen Scans um den ganzen Planeten zog. Sie würden diese Höhlen noch durch kleine, fliegende Drohnen detailliert kartographieren lassen.
Alle Anwesenden begaben sich näher an das holografische Bild, als die Maschine weiter fuhr. Das Gestein wurde unebener, die Aufnahme blieb dennoch ruhig durch die Stabilisatoren. Auf dem Boden war ab und zu etwas zu sehen, das Sennya an Pferdemist erinnerte. Sehr viel weiter ging es nicht mehr, der Gang wurde zu flach. Am Ende des sichtbaren Bereichs schien sich der Tunnel weiter abwärts zu neigen. Die Maschine begann, rückwärts zu fahren. Kurz bevor die Aufnahme endete, war eine Bewegung zu sehen, an der Decke ganz am Ende des sichtbaren Stollens.
„Was war das?“, fragte Einsatzleiter Renoss. Er war noch näher an das Bild gegangen. Wie so oft in den letzten Tagen meinte Sennya, Alkohol in seinem Atem zu riechen.
„Ich weiß es nicht, es ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Warten Sie, ich fahre die Aufnahme nochmal etwas zurück und vergrößere“, sagte Sennya. Es war auch jetzt auf dem Standbild nur als eine dunkle Form zu erkennen, die sie an die Scheren eines Hummers oder Krebses erinnerte.
„Na, wer bist du denn?“, flüsterte Renoss und strich sich über den Bart. „Schicken Sie morgen ein paar der Aufklärungsdrohnen rein, Sennya. Ich möchte über meine Nachbarn hier Bescheid wissen.“
Das Vibrieren wurde stärker, näherte sich dem Kollektiv. Die Königin gab ihren Befehl an ein Dutzend Elemente. Kundschaften und berichten.
Die Sonne war fast untergegangen, die beiden Monde wurden sichtbar. Sennya beendete gerade rechtzeitig die abendliche Joggingrunde und betrachtete die Fläche, auf der bald die ersten Gebäude entstehen würden. Alle hierfür notwendigen Materialien lagerten in den riesigen Hallen der Creator. Sie würden sich erst für weitere Städte den Ressourcen des Planeten bedienen. Diese Welt war der Erde sehr ähnlich, dennoch spürte sie die Fremdartigkeit. Als hätte sie ein eigenes Bewusstsein, das die Eindringlinge beobachtete. Auf der Lauer lag.
Der aufkommende Wind wirbelte Staub auf. Sennya wollte gerade zurück zum Container, als sie eine Bewegung bemerkte. Etwas kam aus dem Zugang zur Kanalisation. Ein schwarzes, insektenartiges Bein, gefolgt von weiteren Beinen und einem ovalen Rumpf. Sie sah wie erstarrt zu, als das Geschöpf vollständig die Oberfläche erreichte und in ihre Richtung kam. Direkt dahinter kletterte bereits ein weiteres hervor, wie eine Kreuzung aus einer Spinne und einem Skorpion. Sie tastete an die Seite ihres Beines, aber sie hatte die Laserpistole schon wieder vergessen. Mit zitternden Beinen drehte sie sich um und lief zum Lager. Zum ersten Mal im Leben schrie sie laut um Hilfe.
Als sie das Lager erreichte, waren Einsatzleiter Renoss und einige andere aus ihren Containern gekommen. Alle hielten, alarmiert durch ihr Geschrei, die Laserpistolen bereit. Sie lief an ihnen vorbei und rief: „Schießt sie in Stücke!“ Nicht, dass es notwendig gewesen wäre, sie hörte hinter sich die Schüsse und ein hohes Fiepen. Bevor sie ihren Container betrat, sah sie zurück. Zwei der Kreaturen schienen schon erledigt worden zu sein, sie lagen reglos am Boden, einige ihrer acht Beine abgetrennt durch den Laserbeschuss. Sie konnte nur noch eine weitere erkennen, vor dem Container von Renoss, der wohl nach drinnen geflüchtet war. Es wurde von Laserschüssen eingedeckt, zwei seiner Beine flogen gegen die Containerwand. Der Rumpf wurde immer wieder durchlöchert, bis es zusammenbrach.
Sennya konnte kein weiteres dieser Geschöpfe sehen, holte dennoch ihre Waffe aus dem Container und ging vorsichtig in Richtung der getöteten Wesen.
Die gesamte Bodencrew näherte sich den erledigten Angreifern. Sie sahen aus wie Spinnen, hatten jedoch einen harten, schwarzen Panzer. Die vorderen Beine endeten in Scheren, Sennya musste wieder an einen Hummer denken. Nur dass diese Wesen so groß waren wie ein Bodengleiter.
„Heilige Scheiße!“, meinte Renoss, als er wieder aus seinem Container kam.
Bevor er noch mehr sagen konnte, zeigte Sennya in Richtung der Stadtfläche und rief: „Dort sind noch mehr!“
Renoss zögerte keine Sekunde. „Niemand greift meine Maschinen an. Machen wir sie fertig!“
Neun weitere Kreaturen drängten sich um die bodenpräparierenden Maschinen, als würden sie von deren Lärm angezogen. An einer der Maschinen stand ein Crewmitglied. Als sie in diese Richtung liefen, erwachte er aus der Schockstarre und versuchte zu fliehen. Eine der Kreaturen umklammerte sein Knie mit der hummerartigen Schere und durchtrennte das Bein, als wäre es aus Butter. Der Verletze fiel zur Seite und schrie, drehte sich auf den Rücken und griff nach dem Beinstumpf. Die Kreatur setzte nach, griff diesmal seinen Hals und trennte den Kopf ab.
Sie stellten sich in einer Reihe auf, näherten sich dem Feind und begannen zu schießen. Die Geschöpfe reagierten nicht mit einem Gegenangriff, als wären sie nur auf die Maschinen und die Umgebung fixiert. Ihre Gliedmaßen flogen durch die Luft, immer wieder ertönte ihr hohes Fiepen. Es dauerte nicht lange und sie hatten alle erledigt.
„Zurück zum Transportshuttle!“, rief Renoss, nachdem sie in der näheren Umgebung keine weiteren Kreaturen ausmachen konnten.
Jeder Verlust schmerzte das Kollektiv und die Königin. Sie mussten sich vorbereiten, es gab eine Gefahr und sie konnte näher kommen. Die Königin gab den nächsten Befehl. An das gesamte Kollektiv. Sammeln in der Haupthalle.
„Wir haben den Zugang zur Kanalisation mit den selbstfeuernden Geschützen gesichert. Falls dennoch welche durchkommen, werden wir genug Zeit haben, mit dem Shuttle zu fliehen. Oder wir geben ihnen mit den Bordkanonen den Rest“, erklärte Sennya ihrem Zwillingsbruder über den Holoscreen. „Und wir haben die Drohnen in das Höhlensystem geschickt, werden also bald eine detaillierte Karte und genügend Aufnahmen haben.“
„Ich weiß nicht, Sennya, mir wäre es lieber, wenn ihr nicht in der Nähe bleibt. Diese Wesen geben kaum Wärme ab, sonst hätten wir sie früher bemerkt. Wir haben keine Information, wie viele dort unten hausen, es könnten tausende sein.“
Renoss schaltete sich ein: „Sie wissen nicht, dass wir hier drinnen sind. Sie werden dort unten in völliger Finsternis hausen, wahrscheinlich orientieren sie sich eher an ihrem Gehör. Vielleicht können Sie überhaupt nichts sehen, oder haben eine ähnliche Technik wie Fledermäuse. Falls noch mal welche rauskommen, werden wir entscheiden, ob wir angreifen oder fliehen.“ Seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass seine Entscheidung feststand, die Bodencrew war alleine seine Verantwortung.
Tarmm blickte erneut zu Sennya und sagte nach einigen Sekunden: „Bitte, aber haltet regelmäßigen Kontakt. Ich schicke euch die Kampfdrohnen runter und was wir sonst noch haben. Viel ist es nicht, sind ja keine Kampfmission. Wenn ihr die Informationen der Detailscans habt, können wir alles weitere entscheiden.“
„In Ordnung, Tarmm, bis später. Mach dir keine Sorgen, wir kriegen das schon hin“. Sennya beendete die Verbindung.
„Warten Sie hier“, sagte Renoss und ging ins Cockpit. Er war nicht nur der Einsatzleiter, sondern auch einer von drei ausgebildeten Piloten, sollte ein manuelles Eingreifen notwendig sein. Mit einer Whiskyflasche und zwei kleinen Gläsern in der Hand kam er zurück und setzte sich ihr gegenüber.
„Nun sehen Sie mich nicht so an. Wirkt genauso wie ein Beruhigungsmittel.“ Er stellte die Gläser auf den Tisch und schenkte ein. „Haben Sie sich verdient! Keine Widerrede, ist eine verpflichtende Maßnahme nach einem Kampf.“
„Dann scheinen Sie aber fast täglich zu kämpfen." Sennya band sich die schulterlangen rötlich-blonden Haare zusammen, die ihr seit dem Angriff immer wieder ins Gesicht fielen.
„Manche gehen fischen, um sich zu beruhigen, andere haben Medizin. Ist nicht viel jeden Tag, glauben Sie mir, ich arbeite deutlich schlechter ohne ab und zu einen Schluck. Ich weiß, dass sie es ohnehin bemerkt haben, also was solls? Jeder braucht seinen Ausgleich. Prost!“ Er nahm sein Glas und hielt es vor sich.
Sennya zögerte noch einen Moment, musste dann aber lächeln und nahm ebenfalls ihr Glas. Renoss war einfach ein herzensguter Mensch, mit seinem Vollbart und den kurzen, wirr abstehenden Haaren. Immer professionell und bei der Sache, trotz oder wegen seiner Medizin. „Na dann, Prost“, erwiderte sie. „Da haben die anderen ja Pech, dass sie sich bereits im Laderaum einen Schlafplatz gesucht haben.“
„Bleibt mehr für uns. Wir werden morgen früh als erstes die Karte und die Aufnahmen des Höhlensystems prüfen. Und wenn weiterhin alles ruhig bleibt, unseren Botaniker begraben. Alleine dafür haben diese Viecher den Tod verdient.“ Er schenkte beide Gläser nach.
„Wir sollten dennoch mit Bedacht vorgehen und diese Wesen nicht unterschätzen.“
„Warum? Dumme Riesenspinnen, mit den richtigen Waffen werden sie kein Problem sein. Und außerdem ...“
„Ich weiß, niemand greift ihre Maschinen an. Aber wenn es dort unten viele von ihnen gibt, wovon wir ausgehen können, warum haben sie dann nur zwölf hier hoch geschickt?“
„Vielleicht haben Sie sich verlaufen?“, antwortete Renoss und leerte erneut sein Glas.
„Das glaube ich nicht. Sieht für mich aus wie ein erster Aufklärungstrupp. Und nun ist diese Spezies alarmiert, da sie nicht zurückkamen. Also ist nun die Frage, was sie machen werden. Nur ihr unterirdisches Reich verteidigen, oder angreifen?“
Renoss musste früh aufgestanden sein, dachte Sennya. Die Whiskyflasche und die Gläser waren verschwunden und er hatte mehrere Kannen Kaffee und das übliche Frühstücksbuffet aufgestellt. Was bedeutete, dass er rausgegangen war zum Kantinencontainer. Sie standen wie eine übermüdete Pfadfindertruppe um den Holoscreen, der Kaffee überdeckte einen möglicherweise verbliebenen Alkoholgeruch.
Das dreidimensionale Bild zeigte das Höhlensystem in allen Details. Renoss erklärte: „Auch wenn sich solche Höhlen unter der gesamten Planetenoberfläche befinden, ist das System unter uns ein …“ Er schwankte leicht. „… ein geschlossenes System“, beendete er den Satz. „Es gibt von der untersten Ebene zwar einige kleine Tunnel zum Meer, aber sie sind so schmal, dass unsere neuen Freunde dort nicht durchpassen.“ Er deutete jeweils auf die Bereiche, über die er sprach. „Auffällig sind dieses zwei … Entschuldigung, diese zwei großen Kammern im Zentrum des Systems. Die größere hat einen Durchmesser von fast einem Kilometer, die kleinere liegt bei ungefähr dreißig Metern. Heute Nacht …“ Renoss starrte einige Sekunden vor sich hin, als fiele ihm nicht ein, was er sagen wollte.
„Es blieb heute Nacht alles ruhig“, half ihm Sennya. „Keines der bewegungssensitiven Geschütze am Zugang zur Kanalisation wurde aktiviert. Die Aufklärungsdrohnen befinden sich am Übergang zu ihren Höhlen, auch dort ist es ruhig, wie die aktuellen Bilder zeigen.“ Sie wechselte per Sprachbefehl auf eine der Drohnenkameras. Das Bild zeigte einen verlassenen Gang. „Sehen wir uns mal die letzten Aufnahmen aus den beiden großen Kammern an. Die Drohne, die in die kleinere Kammer geflogen ist, wurde vernichtet.“
Sie wechselte erneut das Bild, es zeigte eine riesige, felsige Kammer. In Abständen von jeweils mehreren Metern hielten sich dort die spinnenartigen Kreaturen auf, sie schienen sich alle in Richtung des Zentrums der Kammer zu bewegen. Aus den angrenzenden Gängen kamen stetig weitere hinzu.
„Mein Gott, es werden immer mehr. Sammeln sie sich dort?“, flüsterte ein Kollege neben ihr.
„Ja, sieht so aus. Die Aufnahme ist drei Stunden alt“, bestätigte Sennya. „Ich wechsele noch zur Aufnahme der anderen größeren Kammer.“ Sie sahen einen weiteren Tunnel, der nach einigen Metern in die Kammer mündete. Der Zugang schien sich am Rand dieses Raums zu befinden, zunächst waren nur die Felswände zu sehen. Dann schwenkte das Bild nach links und es erschienen zwei längliche, dunkle Formen, zwischen denen genug Platz für die Drohne war. Als sie sich näherte und hindurch fliegen wollte, begannen sich die Formen ruckartig zu schließen. Das Bild wurde dunkel.
Einige Sekunden sagte niemand etwas, bis Renoss meinte: „Heilige Scheiße, waren das diese Scheren, die wir gestern bei den Angreifern gesehen haben? Wie groß muss dieses Vieh sein?“
„Die Führungskaste“, vermutete Sennya.
„Das Transportshuttle mit den Waffen ist heute Nacht gelandet, direkt neben euch. An Bord sind fünfzehn Kampfdrohnen und genügend schnellfeuernde Lasergewehre, sie sind deutlich besser als eure Pistolen“, erklärte Tarmm, der sich über einen weiteren, kleinen Holoscreen zugeschaltet hatte.
„Na toll, und warum bekommen wir die jetzt erst?“, wollte Renoss wissen.
„Seid froh, dass ihr überhaupt etwas habt. Unsere Auftraggeber hätten uns am liebsten ohne Waffen losgeschickt, wahrscheinlich hatten sie Angst, dass wir uns damit eher selbst umbringen“, entgegnete Tarmm.
„Am Zugang zu deren Höhlen ist es weiterhin ruhig. Ich habe eine der Aufklärungsdrohnen in die große Kammer geschickt, sie müsste mittlerweile angekommen sein.“ Sennya wechselte das Bild, alle wichen erschrocken ein Stück von der dreidimensionalen Darstellung zurück. Die Drohne kreiste in der Kammer, der gesamte Boden, teilweise auch Wände und Decke, waren mit den Kreaturen bedeckt.
„Sie sammeln sich dort sicher nicht, um sich nur wenn nötig zu verteidigen. Der Angriff wird bald erfolgen“, stellte Renoss fest.
„Wir könnten einfach den Zugang zu unserer Kanalisation zum Einsturz bringen“, schlug ein Crewmitglied vor.
Renoss überlegte kurz. „Das würde uns Zeit verschaffen, aber wahrscheinlich auch nicht viel. Diese Viecher scheinen ja gut im Tunnelgraben zu sein, so werden wir sie nicht lange aufhalten.“ Wieder überlegte er, alle warteten auf seine Entscheidung. Er sprach, als würde er laut denken: „Sie werden ohnehin die Oberfläche stürmen, sie können ja nicht wissen, ob wir da sind oder nicht. Und wir haben immer noch die Möglichkeit, zu fliehen, wenn die Kampfdrohnen und die Geschütze am Zugang sie nicht aufhalten können. Wir bringen die Drohnen am Übergang zur Kanalisation in Stellung, dieses Nadelöhr wird ihnen hoffentlich zum Verhängnis.“
„Ich habe noch einen Vorschlag“, sagte Sennya und rief nochmal das Modell des Höhlensystems auf. Sie deutete auf die Kammer, in der sie die Königin vermutete. „Wir lassen eine der Minenmaschinen von der Kanalisation aus nach unten graben, direkt in die Kammer der Königin, oder was auch immer es ist. Ich schätze, dass sie drei bis vier Stunden benötigen wird. Wenn wir Glück haben, wird dieses Vieh durch die fallende Maschine schon schwer verletzt. Und dann schicken wir einige der Kampfdrohnen hinein, ohne Gefahr, dass sie vorher durch die Kreaturen, ich nenne sie mal Soldaten, aufgehalten werden. Vielleicht sind die Soldaten dann keine Gefahr mehr, oder verlieren zumindest ihre Koordination und werden leichte Beute.“
Renoss sah sie an und grinste. „Sehr gut, ich sagte Ihnen doch, dass die Medizin hilft. Bereiten Sie die Minenmaschine und die Kampfdrohnen vor und nehmen sie sich alle ein Lasergewehr. Ich werde solange unseren Botaniker begraben, er wird unser einziges Opfer bleiben.“
Die Vibrationen gehen weiter. Der Feind ist noch da. Die Königin gibt ihren Befehl an das Kollektiv in der Haupthalle: Findet den Weg zur Oberfläche. Grabt neue Tunnel, wenn notwendig. Folgt jedem Geräusch und kämpft, bis es verstummt.
Dann wendet sie sich an die Elemente, die sie in ihre Kammer befohlen hat: Bleibt hier und beschützt eure Königin.
„Es geht los“, sagte Renoss. Der Holoscreen zeigte den Gang aus der Perspektive einer der Kampfdrohnen. An dessen Ende erschienen die ersten Soldaten, sie krabbelten an Boden, Wänden und Decke auf sie zu. Die Drohnen begannen ihre Laserbündel abzufeuern. Das Bild verwandelte sich in ein rotes Blitzgewitter, die Körperteile der Kreaturen flogen durch die Luft. Keine überlebte länger als ein paar Sekunden, die leblosen Körper sammelten sich im Gang. Weitere kamen nach, ein endloser, alptraumhafter Ansturm.
„Was macht die Minenmaschine?“, rief Renoss.
Sennya prüfte den Status auf einem separaten Screen. „Kommt gut voran, ungefähr ein Drittel ist geschafft. Ich schätze noch ca. zweieinhalb Stunden, dann ist sie durch.“
Mittlerweile lagen so viele tote Kreaturen im Korridor, dass die Nachkommenden kaum noch durchkamen. Plötzlich hielten die Geschütze inne, der Angriff schien zu stoppen.
Einige Sekunden sagte keiner etwas, sie beobachteten das Bild, bis Sennya sagte: „Das gefällt mir nicht, wir haben gerade mal einen Bruchteil erledigt.“
In den nächsten Minuten passierte nichts, dann wurde der Berg der getöteten Soldaten nach vorne geschoben. Die ersten erreichten die Drohnen.
„Steuern Sie zurück!“, befahl Renoss.
Sennya gab den Befehl, aber für die beiden vorderen Drohnen war es zu spät. Aus dem schwarzen Gewirr schnellten Scheren hervor, umklammerten die Angreifer und schlugen sie immer wieder gegen die Wand. Ihre letzten Schüsse trafen die Tunnelwand, Staub und Fels schwirrte durch die Luft, dann wurde das Bild dunkel. Sennya wechselte auf eine der hinteren Kameras und orderte die restlichen acht Kampfdrohnen weiter zurück, die Lasersalven begannen wieder. Die anderen fünf Drohnen befanden sich hinter der grabenden Minenmaschine, zur Not konnte sie auch diese noch herbeordern.
Die Kampfdrohnen waren nicht mehr weit vom Zugang zur Kanalisation entfernt, sie wurden von den Angreifern immer weiter zurückgedrängt. Sie näherten sich im Rückwärtsflug dem Ende eines weiteren Gangs, als plötzlich kurz nacheinander die hinteren drei ausfielen. Sennya drehte zwei Drohnen in die andere Richtung, sie begannen direkt auf die angreifenden Soldaten zu feuern.
„Wo zur Hölle kommen die denn her?“, fluchte Renoss.
Hilflos sahen sie zu, wie nach und nach die verbliebenen Drohnen vernichtet wurden, dem Ansturm von beiden Seiten konnten sie nicht standhalten.
„Wie lange noch, bis die Minenmaschine durch ist?“, fragte Renoss.
„Nicht mehr lange, vielleicht … zwanzig Minuten, so in etwa“, antwortete Sennya.
„Sehr gut, wir geben jetzt nicht auf. Wenn sie an die Oberfläche kommen, werden sie die nächste Überraschung erleben, an den Geschützen müssen sie erst mal vorbei. Ich werde das Shuttle starten und über dem Zugang schweben, wir decken sie zusätzlich mit den Bordkanonen ein.“
Schon wenige Minuten später befanden sie sich einige Meter über dem Kanalisationszugang und sahen, wie die ersten Soldaten an die Oberfläche drangen und von den fest stationierten Lasergeschützen auseinander geschossen wurden. Auch hier begannen sie nach und nach, sich den Geschützen zu nähern, in dem sie sich hinter den getöteten Kreaturen versteckten und diese nach vorne schoben.
Renoss begann, mit den Bordkanonen auf die Öffnung zu schießen. Zusätzlich öffnete er die Luke des Shuttles, so dass die Crewmitglieder mit den Lasergewehren feuern konnten. Kein Leben entkam dieser Todeszone, die Kreaturen wurden in unzählige Stücke geschossen.
Welche Ironie, dachte Sennya. Den Feind, den die Kreaturen bekämpfen wollten, konnten sie ohnehin nicht erreichen. Wieso haben wir nicht daran gedacht, die Maschinen abzuschalten und zu warten, ob sie dann überhaupt etwas machen? Aber natürlich kannte sie die Antwort: Einer ihrer Kameraden war gefallen und sie wollten Vergeltung. Sahen eine Möglichkeit, diese ganze Brut zu vernichten. Selbst an diesem fernen Ort, an dem die Menschheit gerade erst angekommen ist, wiederholt sich die Geschichte.
Sie prüfte die Daten der Minenmaschine. Sie war dabei durchzubrechen, schnell schaltete sie auf die entsprechende Kamera. „Renoss?“, rief sie, er würde sie über das Kommunikationssystem hören.
„Ja, was gibts?“, halte es aus dem Lautsprecher über ihr.
„Die Maschine erreicht die Kammer und …“
„Ich sehe es hier auf meinem Screen.“
Sennya sah immer mehr von der Kammer, die Maschine würde gleich in den Raum fallen. Einige Soldaten warteten an der Decke und griffen an, wurden aber von dem großen, rotierenden Bohrkopf, der mit unzähligen kleinen Laserklingen bestückt war, sofort in Stücke gerissen. Dann ging alles sehr schnell. Die Maschine begann zu fallen, sie erkannte den riesigen, ovalen Körper am Boden der Kammer. Das Bild näherte sich dem vorderen Teil dieses Körpers, dann wurde das Bild dunkel.
Sie wechselte zu einer der fünf Kampfdrohnen, die oben an der Öffnung schwebten und gab den Befehl zum Angriff. Die Drohnen schwebten in den Raum. Zwei von ihnen schossen auf die zahlreichen Soldaten, die sich in der Kammer befanden. Sie stellten keine Gefahr dar, die Drohnen hielten einen sicheren Abstand und erledigten sie nach und nach.
Die anderen drei konzentrierten sich auf die Königin. Sie sah den Soldaten sehr ähnlich, nur war ihr Panzer dunkelrot. Sennya schätzte ihre Länge auf ungefähr zehn und die Höhe auf fünf Meter. Die Minenmaschine hatte sich in ihren Körper gegraben, war dabei jedoch zur Seite gefallen und hatte sich notabgeschaltet. Der Laserbeschuss richtete sich auf ihren Kopf, der Panzer konnte jedoch die ersten Schüsse abhalten. In ihrer Panik rannte sie zum Ende der Kammer, zu dem kleinen Eingang für die Soldaten. Sie versuchte, mit ihren Scheren den Zugang zu vergrößern. Die Drohnen folgten ihr, schossen weiter auf den Kopf, bis sie den Panzer durchdrangen. Die Schüsse zerstörten das Gewebe darunter, das Gehirn. Die Königin brach zusammen und blieb mit zuckenden Gliedmaßen liegen.
Die Geschütze hatten aufgehört zu feuern. Renoss hielt das Shuttle noch einige Minuten in der Luft, aber es blieb ruhig und er landete nahe dem Zugang zur Kanalisation.
„Ich schicke die restlichen Kampfdrohnen in die Hauptkammer“, rief Sennya.
Renoss kam grinsend aus dem Cockpit. „Kaum ist die Chefin erledigt, verziehen sich die Arbeiter. Zeit für etwas frische Luft.“ Er ging zu der noch offenen Luke, kurz bevor etwas von der anderen Seite das Shuttle rammte. Er fiel nach vorne auf den harten Boden und schaffte es gerade noch, die Arme vor sich zu halten, um den Sturz abzufedern. Als er sich auf die Knie erhob, umklammerten von der Seite zwei schwarze Scheren seinen Oberkörper und drückten zu. Er begann zu schreien, versuchte, die Scheren mit den Händen zu lösen. Doch sie drängten immer weiter zusammen, Blut und Eingeweide quollen hervor.
„Renoss!“, schrie Sennya, Sie und die anderen Crewmitglieder griffen ihre Lasergewehre, rannten zur Luke und begannen zu feuern. Sie erledigten die Kreatur innerhalb von Sekunden, doch für Renoss war es zu spät. Sein Oberkörper war vollständig durchtrennt und kippte nach vorne. Weitere Soldaten kamen nach, die Crew wich zurück und erschoss sie, als sie versuchten, durch die Luke ins Innere des Shuttles zu gelangen. Sennya hatte mit einem andauernden Ansturm gerechnet, aber schon nach wenigen Minuten war es vorbei. Sie blickte auf den Holoscreen, auch in der riesigen Kammer wurden die letzten Soldaten von den Kampfdrohnen getötet.
Sie schloss die Luke und setzte sich auf den Boden, bevor die zitternden Beine nachgaben. Auch die anderen Crewmitglieder setzten oder legten sich kraftlos hin, als ihnen bewusst wurde, dass es vorbei war. Sie hatten gewonnen, das Nest eliminiert. Nur fühlte es sich nicht wie ein Sieg an, nicht nur wegen der eigenen Verluste. Ausdruckslos blickten sie vor sich hin, niemand sagte etwas.
„Du musst deinen Frieden finden“, sagte ihr Vater, der auf seinem Angelstuhl neben ihr saß. Er blickte aufs Meer, genau wie sie.
Sennya betrachtete die ruhige Wasseroberfläche und die Vögel, die darüber kreisten. Alles wirkte friedlich und harmonisch. Dennoch hatten sie und die Crew hier vor drei Jahren das Grauen erlebt. Oder es heraufbeschworen. Nach einer Weile sagte sie: „Ich würde wieder so entscheiden. Diese Kreaturen schienen nichts anderes im Sinn zu haben, als uns zu vernichten. Dennoch sind wir diejenigen, die in ein fremdes Ökosystem eingedrungen sind und unzählige Geschöpfe getötet haben. Um selbst hier sicher leben zu können. Und es ist erst der Anfang, die Menschen werden auch diesem Planeten viel Leid zufügen. Bis wir irgendwann wieder weiterziehen.“
Ihr Vater sah zu ihr rüber. „Ich meine nicht, dass ich es gut finde. Aber auch ich sitze hier und versuche meine letzten Jahre zu genießen. Versuch es zu akzeptieren, die Menschen würden in unserer Zeit nicht mehr existieren, wenn sie anders handeln würden. Und du solltest damit aufhören!“ Er zeigte auf die Whiskyflasche, die neben ihrem Stuhl stand.
„Wahrscheinlich ist es nun für mich etwas anderes, da ich ein Teil dieser Mission war.“ Sie blickte zu ihm rüber und versuchte zu lächeln. Etwas weiter saßen Tarmm und ihre Mutter, sie lachten über etwas. „Ich bin froh, dass ihr hier seid.“
Sennya lehnte sich in dem Stuhl zurück und schloss die Augen. Nur für einen Moment.
Sie fuhr ruckartig hoch, wie lange hatte sie geschlafen? Ihre Eltern und Tarmm hatten die Augen geschlossen, sie schienen zu schlafen, oder genossen einfach nur die Stille.
Weit links bemerkte sie eine Bewegung, ein Junge rannte aus dem Wasser. Er schrie, kaum hörbar auf diese Entfernung. Hinter ihm tauchte etwas aus dem Wasser auf, sie erkannte die Formen direkt. Die hummerartigen Scheren, der spinnenähnliche, gepanzerte Körper.
Normalerweise war dies der Moment, in dem sie aufwachte.
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