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Ausscheidungen

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11.01.2021
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Ausscheidungen

Jesses Maria, ach du Scheiss.

Du willst wissen, wie es war? Ich will es dir erzählen. Ich bin ein guter Erzähler. Ich erzähle wahre Geschichten, aus meinem Leben.

Mit der Scheisse ist das so: die klumpt sich zusammen, in dir drin. Irgendwann muss sie weg. Wenn sie das nicht tut, kriegst du Bauchweh. Die Krämpfe drücken das Zeug raus - oder ballen den Mist in dir zusammen, bis er hart und unnachgiebig wird. Dann, glaubst du, hilft Flüssiges, je hochprozentiger, desto besser. Es gibt dir die Illusion von Weichheit, Sanftheit, Leichtigkeit. Das Beste was dir dann passieren kann, ist Dünnschiss. Den hatte ich schon lange nicht mehr. Aber jetzt, Madame, ich werde pressen. Ich drück das durch, und es wird stinken. Und es tut weh. Wir wissen das.

Ich bin 66. Kennst du das Lied? Mit 66 Jahren fängt das Leben an…. Stimmt so nicht wirklich. Ich hab vorher gelebt, ein gutes Leben. Trotz dem. Dem zum Trotz. Ich bin stark. Ich bin Finne.

Meine Mutter war auch Finnin. Sie war Kaputt in der Birne. Sie hat mit der Axt auf den Kopf meiner Schwester gehauen. Ich weiss nicht warum sie das getan hat. Meine Schwester Marja Ilona war ein gutes Mädchen, sie hat auf mich geschaut und wir haben gesungen, damals in Jyväskylä. Aber auf einmal war da die Axt in der Hand meiner Mutter. Ich weiss nicht, was in ihr vorgegangen ist, ich war vier. Vielleicht war sie wütend, innen drin, hat gebrannt, bis zur Weissglut. Vielleicht hat sie einfach gewollt dass es aufhört. ES, irgend etwas, Gedanken vielleicht, Erinnerungen, Ängste, jene die brennen.

Wenn der Glühfaden in der Birne weiss glüht, verdampfen Atome. Der hübsche kleine Draht, der so schön leuchtet, wird immer dünner, und irgendwann bricht er. Er unterbricht. Er baumelt in der Birne. Und dann ist da nichts, keine Verbindung, keine Klarheit, kein Licht, nichts, kaputt.

So war das, mit der Axt.

Und meine Schwester war weg.

Da war zwar noch ein kleiner Bruder, Tuomo. Von ihm weiss ich aber nichts, in meiner Erinnerung hab ich ihn vielleicht zweimal gesehen. Er war Tetraplegiker. Er konnte nur seinen Kopf bewegen und malte mit einem Pinsel in seinem Mund. Ich hab noch ein Foto: Unter einer Tanne steht ein weisses Kreuz mit einem Engel oben, einem unten und einem Blauen, der an einer Kette baumelt. Auf dem Grabkreuz steht

Maria Ilona Tuulikki *8.10.1951 - + 12.6.1957​
und darunter
Tuomo Jaakko Viherlehto *16.12.1955 - + 6.6.1964.​

Tuomo war neun, als er sich irgendwie vom Schlauch seines Beatmungsgerätes losgerissen hat. Ne, da hab ich nicht viel zu erzählen. Scheisse. Armer kleiner Bruder.

Auf jeden Fall: Meine Mutter war auch fort. Das heisst, sie war nicht wirklich weg, in meinem Kopf war sie immer drin, mit vier genauso wie mit 10 x vier. Als sie gestorben ist hab ich mir gedacht, jetzt ist es vorbei - aber das war es nicht. Im Mai ist ja Muttertag. Kennst du den Tucholsky?

Mutters Hände?
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm –
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht ...
alles mit deine Hände.

Hast de Milch zujedeckt,
uns Bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen –
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält ...
alles mit deine Hände.

Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch 'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben ...
Alles mit deine Hände.

Heiß warn se un kalt.
Nu sind se alt.
Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.​


Ja, meine alten Mütter, die haben mich immer wieder auf die Beine gebracht.

Nein, das Ende ist nicht zu Ende, nie, bis jetzt. Jetzt ist nur danach. Willst du jetzt wissen, wie es ist, danach?

Ich lebe jetzt in Schweden. In Skandinavien ist der Sommer von süsser Intensität, wie eine Ferienliebe. Ganz leicht und schaukelnd, gleich den Booten auf glitzerndem Wasser. Dann werden die Tage rasch kürzer, das Moos im Wald ist feucht und es duftet nach Pilzen und vermoderten Blättern. Und dann kommt der Winter. Er ist lang, dunkel und kalt. In Schweden weniger als in Finnland.

Manchmal ist Dunkel Angst, oder einfach dieses Gefühl von - ich weiss nicht was - ES. Das, was die Äxte niedersausen und die Gewehre knallen lässt, das warum man sich prügelt, hurt und säuft. Ich habe Dummheiten gemacht, viele. Ich bin nicht stolz darauf, aber Scheisse ist nicht meine Erfindung. Ich hätte sie erfinden können, klar, ich bin ja nicht dumm. Das heisst, ich dachte mal, ich wär nicht dumm. Ich hab immer leicht gelernt. In meiner Birne hat es funktioniert, es hat Verbindungen hergestellt, erkannt. Daraus haben sich Vorstellungen ergeben, es sind Träume erwachsen. Und ich war neugierig. Gierig wohl, vor allem – ist ein Privileg der Jugend. Das ist sehr wichtig.

Kann schon sein, dass meine Birne irgendwann einen Sprung gekriegt hat, aber der Glühfaden, der ist nie durchgebrannt, Licht war da, immer, und sei es nur das der Dämmerung, und eine kleine Wärme im Herzen, die ist auch nie ausgegangen. Sie hat mich gerettet vor dem Irrsinn.

Zuerst war da der Irrsinn der Weiber. Den meiner Mutter eben, das weisst du ja. Aber da war noch ihre Schwester. Bei der habe ich einige Zeit gelebt, danach. Ihr Mann war ok, der war gut zu mir. Er hat gesoffen, aber er war gut zu mir. Das Blöde war, die hatten ein Gewehr. Ein Scheissding. Was der sich wohl dachte, der das Teil erfunden hat? Hat sich kaum vorgestellt, dass dumme Weiber damit auf ihren Mann schiessen. Einfach so. Das war eine Riesensauerei.

Auf jeden Fall war ich dann erstmal eine Weile im Waisenhaus. Daran kann ich mich nicht wirklich erinnern. Ich hab einfach geheult, immer. Ich hab mich unter einem Bett zusammengerollt, wie ein verletztes Tier, unbeweglich und still, ohne zu schluchzen. Die Härte des Bodens hat meinen Schmerz wahrhaftig gemacht und zum Trost hab ich meinen Rücken an die kühle Wand gedrückt. Es war halbdunkel unter dem Bett. Da gab es wenig Platz um sich zu (ver-)irren, aber genug um zu Träumen.

Wenn man mich aus meinem Versteck hervorgezogen hat, hab ich geschrien: “Ich will nach Hause.»

Ich wollte meinen Garten, meine Beeren, mein grünes Hühnerhaus, mein kleines Salatbeet mit den schleimigen Spuren der Schnecken, den grossen Apfelbaum mit dem Vogelnest und, am Ende des Gartens, mein Bienenhaus mit den farbigen Klappen. Ich wollte den kühlen, dunklen Keller mit den Regalen voller Einmachgläser. Ich wollte meine Katze, die sich neben meinen Kopf gelegt und mich weich beschnurrt hat, und die Kröte mit den grossen Pusteln auf dem Rücken, die unter den Wurzeln des Birnenspaliers wohnte.

«Du hast kein Zuhause”, haben die gesagt. “Dein Haus wurde verkauft”.

Verkauft? Was ist das?

Es ist ein Tausch, hat die Frau gesagt. Man tauscht Besitz und kriegt Geld. Damit kauft man einen neuen Besitz, man be-sitzt etwas anderes. Das heisst, du sitzt darauf, wie auf einem Stuhl. Er gehört dir nicht wirklich, nie. Du kannst ja nicht ewig darauf hocken bleiben, irgendwann stehst du auf, gehst weg, oder wirst runtergeschubst. Und der Platz wird frei für jemand anders. Dein Haus hat dir nie gehört, es war geliehen. Es war deins, und doch nicht deins, wer vor dir war, es war auch nicht seins, wer nach dir kommt muss auch raus, sag lieber Freund, wem gehört das Haus?

Unter dem Bett habe ich mich dafür entschieden, nicht zu besitzen, unbewusst, ohne zu wissen, nur mit einer kleinen Angst und einer unbestimmten Ahnung von Mittellosikeit. Ich bin eingeschlafen, die Hände unter dem Hemd. Die Wärme der Haut hat mich getröstet und mir hat geträumt, ich spiel in einem anderen Garten….. dem getauschten Garten.

Die Frau im Waisenhaus, eine Lehrerin, hat mir dann meinen Namen gegeben, ich war auf einmal Jemand. Matheus. Von Gott gegeben - Gottes Geschenk. Ich wusste nicht mal, wer Gott war. Ich weiss es noch heute nicht. Es ist nicht wichtig. Matheus schon, ist hier wichtig, sein Zeichen ist Mensch. Im Matheus-Evangelium scheint etwas geschrieben zu stehen, über Hoffnung, irgendwelche Heilszeit, die Änderung der Verhältnisse und den Anbruch einer neuen Welt. Ich kenne mich da nicht aus, ich bin nur Matheus geworden, noch unvollendet, aber Matheus, ein Geschenk eben.

Ich hab später mal Jerusalem getroffen. Der hat nicht sowiel Glück gehabt.

Seinen Name hab ich nie gewusst, ich hab ihn nur Jerusalem genannt, weil er ein Zeuge Jehowas war, also, er hat gewusst wer Gott ist. Er war gross, grösser als ich, dünn, braun und wütend und er war irgendwo aus dem Süden gekommen. Dort ist das Licht grell, die Hitze brennend, die Kontraste scharf und die Gefühle stark. Man kann auch da Irre werden, nicht ganz dicht. Durchlässig. Innen und Aussen vermischen sich zu einer cremigen Masse und trocknen im Wind, lösen sich auf unter der Sonne, zu undurchsichtigem Dunst. Jerusalem ist immer am Rand der Wege gegangen, wie die Schwachen. Aber er war nicht schwach, er war wütend. Er hat stets eine Hacke auf seinen Schultern herum getragen und wenn die Kinder ihn gehänselt haben, ist er ihnen nachgerannt und hat ihnen mit dem Teil gedroht. Wie schwer wiegt eine Hacke? Wie hart ist steiniger, gefrorener Boden? Er hat sein Leben lang die Hacke herumgeschleppt und in den Boden gehauen. Dabei ist er kerzengerade geblieben, hat sich nicht gebeugt. Die Leute sagten, er wäre mal ein reicher Bauer gewesen, im Süden. Er habe sich in verliebt, aber das Weib hat sich erhängt und die Mafia hat seinen Hof angezündet, mit all dem Vieh und dem schönen Traktor. Er ist nach Norden gekommen, weiss der Teufel warum, hat irgendwie Jehowa getroffen. Er solle die Bösen verfluchen und auf dass die letzten Tage bald kommen mögen, um die Schlechten von den Guten zu trennen. Niemand hat Jerusalem die Klagemauer gezeigt.

Gottes Wege sind unergründlich, sagt man.

Ich lebte als Kind im Dorf. Du musst dir das ansehen. Dort ist es richtig schön. Dort war meine Heilszeit, meine kleine Wärme im Herzen wurde dort in mein Sein gebrannt, auf dass sie nie mehr vergehe. Später ist sie dann - manchmal, für einige Zeit - auch übergesprungen auf andere. Brüder, Weiber, Kumpels, und eben, Kinder, wie wir, und andere.

Das Dorf, das war echt gut. Das war heile Welt. Ich wusste ja nicht, dass es das gibt: kein Dunkel in der Nacht, keine Kälte im Schnee, keine Angst, das ES nur ein Phantom. Die putzigen Holzhäuser mit den vielen Blumen auf dem Fensterbrett, die grünen Wiesen voller friedlich grasender Kühe, unser Fussballplatz, die Bäume und Sträucher mit Früchten und Beeren, das Schulhaus, die Andachtshalle, das Schwimmbad, der nahe Wald mit dem Weiher, die grünen Hügel, das war ein richtiges Zuhause. Und da waren meine Brüder. Da waren ein Haufen Kinder. Wir haben gespielt und gestritten. Finnen, Deutsche, Italiener, Engländer, Tibeter, Griechen, Tunesier, viele Welten. Keine Nationalitäten, das sind sowieso nur Zuschreibungen. Nationalität heisst, man gehört dazu, man kommt von irgendwo her, von einem Ort, der auch eine Zuschreibung ist. Politische Kacke, sie sagt nichts darüber aus wer die Menschen sind, wohin sie gehen und wo sie bleiben - oder nicht.

Das Wissen, dass jeder Ort seine Seele hat, die in Wechselwirkung steht mit den Leuten die da sind, hat mir geholfen mich nirgends wirklich fremd zu fühlen. Immer war irgendwo einer wie ich. Einer, der in den Abgrund der menschlichen Seele geschaut hat, das Elend des Seins erahnt hat - und dann den Blick gehoben hat um die blinkenden Sterne in der schwarzen Nacht zu sehen. Er hat gelacht und geweint, hat gespielt und gelernt, sich geprügelt und vieles verflucht und, wenn’s ging, mit den Weibern rumgemacht. Manchmal war war er verliebt, manchmal wurde man geliebt.

Es gab da ein Mädchen. Alle haben gesagt, die spinnt. Aber sie war nur ein Mädchen, das träumt. Unter dem grünen Mantel mit dem goldenen Reissverschluss trug sie einen Minirock, sie hatte eine Schultasche unter dem Arm und wartete auf mich. Sie stand einfach da, an der Bushaltestelle, mitten unter den Leuten. Sie schaute auf die grosse Uhr über der gegenüber liegenden Post und zählte auf 600. Das sind 10 Minuten. Sie wusste dass ich kommen würde. Ich wäre dann da, wir würden schmelzen, uns verlieren. Dabei ging es darum, zu finden. Sich. Anderes. Was wohl aus dem Mädchen geworden ist? Ich hoffe irgendwann hat es aufgehört zu zählen und zu warten.

Weisst du, mit Brüdern, ist das anders, die findet man nicht, die verliert man nicht, die sind einfach da, gleich wie du. Und sie bleiben, auf den ganzen Globus verteilt, die Lebenden wie die Toten. Es gibt einige Orte auf der Welt, da sind Türen an die ich klopfen kann, Hallo, ich bin da. Und ich krieg was zu trinken und ein Bett, und wenn ich besoffen bin, schleppt mich jemand die Treppe hoch. Man besorgt mir einen Rollstuhl wenn’s sein muss, und meine Medikamente. Und wenn ich dann rüber geh, dann bin ich nicht fremd, dann kommt jemand der mich begrüsst, mich rumführt und sagt, du gehörst zu uns. Schön ist das. Das heisst, ich weiss ja nicht wie es ist, drüben, aber der Gedanke, der ist gut.

Da gibt es andere. Gedanken, meine ich. Ich denke viel. Nach.

Ich denke, also bin ich. Ich bin geworden.

Matti.

Alle haben mich Matti gerufen, aber dann bin ich es geworden. Vielleicht mit dem Unfall. Wir hatten uns ein Motorrad „ausgeliehen“. Das war lustig, wir freuten uns auf den Kick. Er wollte fahren. Ich war nicht wirklich einverstanden, aber ich setzte mich hinten drauf. Es war ja kein richtiges Motorrad, Harley Davidson oder so. Nur ein kleines Mofa, das knatternd und stinkend den Hügel hinaufkroch. Runter war toll: wehende Haare, die Luft im Gesicht und das Sausen des Blutes in den Ohren. Er hat die Kurve nicht gekriegt. Wir sind gegen den Zaun geknallt, darüber geflogen und den Hang hinuntergekollert, ohne Helm. Aus, tot. Ich merkte das nicht gleich, ich hab mich hochgerappelt und bin auf allen Vieren die Böschung raufgeklettert um Hilfe zu holen. Der Dorfarzt ist mit seinem kleinen Wagen gekommen. Ganz beduselt war ich. Ich hätte einen Schock, und eine Hirnerschütterung, hat er gesagt.

Von anderen Erschütterungen hat er nicht gesprochen. Aber später haben sie gesagt, der Matti, der hat einen Knall. Verrückter Finne.

Ver-rückte müssen sich neben dem kleinbürgerlichen Kunstledersofa platzieren. Sie ziehen ein Sofa aus der Brockenstube vor und sich sie setzen sich nicht auf den Rand. Nicht rand-ständig. Randständig ist eine Erfindung, eine Zuschreibung. Am Rand wovon denn, bitte? Der Rand von irgendwas ist doch wohl die Mitte von etwas anderem, soweit ich das beurteilen kann. Wie auch immer, meine verrückte Zeit war eine gute Zeit. Da war nicht nur Mord und Totschlag, da war Tanz, Gesang und Heiterkeit.

Wir waren Hippies. Ich war ein Hippie. Lange Haare, Schlaghosen, geblümte Hemden, Musik und Träume von Frieden-Freude-Eierkuchen. Bruce Springsteen. Manchmal bin ich nostalgisch. Melancholisch.

Am Tod von Noura zum Beispiel, da hab ich schwer zu kauen. Er ist einfach abgehauen. Letztes Jahr. Scheiss Araber. Ist das ganze Leben auf der Welt herumgekurvt, hat Kühlschränke am Nordpol verkauft und war auch sonst nicht greifbar. Wie der Sand der Sahara, aus dem er geboren wurde. Er hätte sich abmelden können. Wir hätten uns nochmal getroffen. Irgendwo auf der Welt, in einer kleinen Wohnung, vielleicht in Griechenland. Ich stelle mir das schön vor, in Griechenland. Blau und warm, leicht und hell, mit Mounir und all den Anderen.

Und ein paar Weiber, schön wie die Sonne, die lachen und schmusen. Wie früher. Wir würden uns alle volllaufen lassen, ich würde Mundharmonika spielen zu „The Boss“ aus Bruce Springsteen’s Live-Konzert, und wenn wir Hunger kriegen, würden wir wieder ein Schaf klauen, irgendwo, auf einer Weide. Wir würden über den Zaun klettern, ein Vieh zwischen die Beine klemmen, es irgendwie hochheben und in die Wohnung schaffen. Vielleicht könnten wir es diesmal braten, statt es in der Badewanne zu deponieren und dann wieder zurück auf die Weide, armes Vieh!

Noura, ich vermisse dich. Good Flight, good sailing, JETZT bist du frei – denk ich mir…

Freiheit. Ich weiss nicht recht….

Irgendwie schon….. aber auch nicht…..

Ich hab ein Herz, so weich wie Butter, so schwer wie Blei. Passt physikalisch nicht zusammen, stimmt aber. Muss irgendwie quantenphysisch sein. Kein Vorgang, nur Zustand, nicht permanent, mal hüpfend und hopsend oder stolpernd, stauend und stockend auch. Wie Liebe, zum Beispiel. Das kennst du doch, nicht wahr?

Nehmen wir an das Weib heisse Magdalena. Weder Madonna noch Hure. Schön nur für besondere Augen. Jene die ihren noch biegsamen Körper wahrnehmen, den seidenen Schimmer ihrer Haut und die Energie, die aus ihren Bewegungen fliesst. Es braucht den Blick, der die Sprache der Narben versteht, der in den silbernen Reflexen auf den Hüften und dem etwas schlaffen Bauch die Zeichen der Fruchtbarkeit sieht. Die Zeit und die Zärtlichkeit leben in Marias Händen. Sie schaut dich an, mit der Süsse und der Duldsamkeit die aus Leidenschaft und Schmerz hervorgegangen sind. Sie ist das Weib für Nochmal, für die Sehnsucht nach gut und stark und die Kraft der Gefühle. Du wirst wie Wasser, alles durchdringend, fliessend, mal glitzernd und klar, mal tief und unergründlich, mal stürmisch und gefährlich….

Mein pochendes, weiches, schweres, blutrotes Herz ist jetzt bleicher und dünner, wie meine Haare. Nicht mehr so unbändig und stürmisch wie früher. Meine Hände sind nicht mehr fordernd, voller Wünsche. Sie streicheln scheu, sanft und dankbar über zarte Weiberhaut.

Weiber sind auch ein quantenphysisches Thema. Diese Begegnungen mit Wesen, die sich berühren, wie schwebende Teilchen, ohne sich zu vereinen. Sie haben sich aufeinander zubewegt, einfach so, ohne Zwang und doch nicht „frei“, sie sind aneinander geraten, zufällig – sie sind einander zugefallen, gemäss dem Gesetz der Schwerkraft. Sie haben sich nicht angekoppelt, nur berührt. Sie gehören nicht zusammen, fortan gehen sie weiterhin gem-einsam. Frei…. irgendwie, aber auch nicht…..

Das mit der Freiheit ist ein paradoxes Ding. Einerseits ist da der Drang zu gehen - andererseits der Wunsch zu bleiben. Wie soll das denn funktionieren?

Wie damals in der DDR. Die Össis wollten raus - und die Studenten rein. Ich hab dort studiert und meine wilde Zeit gehabt. Mein Kampf mit den Blumen, mein Sein als Teilchen. Und Welle. Und auf einmal war ich Arzt und irgendwann hatte ich zwei Kinder. Teile von mir, die heute eigentlich abgelegt sind, und die doch wie Larvenhüllen an meiner Erinnerung kleben, als Beweis für die Metamorphose….. und weisst du, was mir jetzt in den Sinn kommt?

Die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling.

Auch von der Larve zum Bandwurm.

Bandwürmer im Larvenstadium bezeichnet man als Finnen. Sowohl die Larve als auch die geschlechtsreifen Würmer ernähren sich dabei im Wirt. Finnische Finnen hocken im Birkenholz, ernähren sich davon, sind selbst aus hartem Birkenholz. Ob das hält? Bei mir sieht’s nicht schlecht aus, trotz dem Suff und dem ganzen Rest. Ich bin bloss doofer geworden und bald ist Weihnachten

Wieder mal Zeit an die Millionen von Jesuskindern zu denken. Die armen Teufel, liegen im eigenen Dreck, mit geschwollenen Bäuchen und Extremitäten, dünn wie Birkenzweige, mit grossen, feuchten Pferdeaugen, voller Fliegen. Die sehen nie die Sonne am Zenit. Letzte verblassende Strahlen spiegeln sich in ihren blinden Augen und dann kommt die grosse Frage: warum? Warum? Ich habe nichts getan……

Ja, eben, ICH habe nichts getan. Weder dafür, noch dagegen.

Feliz Navidad.

Ich bin ein glücklicher Mensch. Ein bisschen Tanzen und Singen, essen, ein Glas Wein, und auch mal Schnauze halten.

Und vielleicht war was ich getan habe doch nicht nichts. Der Schmetterling hat manchmal geflattert mit den Flügeln. Wie war das nochmal mit der Chaostheorie? Ein flatternder Schmetterlingsflügel in Brasilien löst einen Sturm aus in Afrika. Ich war noch nie in Brasilien, in Afrika schon. Ärzte ohne Grenzen. Da hab ich geflattert – ein bisschen. Es war heiss und grell. Nichts für Butterherzen. Ich hab gesoffen und von Schiffen geträumt, von Kühl und Streichel.

Streichel. Ich hatte mal einen Hund. Damals an der Grenze. Mit Hund und Gewehr. Hast du das Foto gesehen? Der Finne und der Hund gegen die Sputniks. Zusammen haben wir die Grenze „geschützt“. Dabei habe ich auf allen Wegen gute Companeros getroffen. Ivans, Kinder der Taiga. Manche hatten weh im Herzen, manche im Kopf und manche im Bauch. Da war einer, den habe ich bei meinen Runden immer wieder getroffen. Ich da, er dort. Eines Tages haben wir die Gewehre an einen Baum gelehnt und uns in den Schnee gehockt. Er hat seinen Fusel hervorgeholt. Den hatte ihm wohl seine Mamma geschickt. Er hat mir ihr Foto gezeigt. Sie sah aus wie eine Babuschka. Nastrovje! Ich mag keine Gewehre, Scheissdinger, schlecht für Irre und Politik.

Ich mag auch keine Politik.

Obwohl, die Johanna sagt nach wie vor, dass der Matheus noch immer auf dem Laufenden ist.

Jetzt, zum Beispiel, in der Corona-Zeit.

Viren sind auch Scheisse. Oder auch nicht. In der Schule und während dem Studium haben wir gelernt, Viren seien keine Lebewesen.
Kluge Köpfe überlegen sich nun, ob sie sich's nicht anders überlegen sollen. Die Dinger machen es genau wie wir: Sie suchen sich ein gemütliches Plätzchen zum Überleben, fressen und vermehren sich. Sie sind Killer, so wie wir. Vielleicht haben sie nicht unseren Spass dabei, mit Sex und so, aber auch nicht unsere Angst und unser Weh. Diese Gefühle gehören uns. Dir und mir. Viren schweben unberührt durchs Universum, wie Phagozyten in unserem Organismus, als Fresszellen, um den Schaden auf den Welten in Grenzen zu halten und sie waren vor uns da, lange vor uns, und wahrscheinlich gibt es sie noch wenn die Spezies Mensch ausgestorben ist.

Die Erde hat wohl keine Angst und kein Weh. Sie schwebt da, mitten im All, schön wie blau und unbewusst. Sie weiss nicht, dass sie ist. Ich bin ihr Virus, ihr innerer Feind. Sie hat mich rein gelassen und ihr Immunsystem überfällt mich, ohne Hass, ohne Gier, ganz im Gleichmut.

Ich bin ein bisschen durcheinander. Scheiss Fusel.

Ich sollte nicht so viel nachdenken.

I took all the sunshine and rain
All my happiness and all my pain
The dark evening stars
And the morning sky of blue
I sent it in my letter to you

Hallo Bruce! Wir sind alt geworden…..Manchmal bin ich müde……

I took all my fears and doubts
In my letter to you
All the hard things I found out
In my letter to you

Manchmal hab ich genug. Was soll ich hier noch? Ich könnte ausscheiden. Scheisse.

Vielleicht kannst du etwas anfangen mit meinen Gedanken, mit meinen Errinnerungen über mich und Andere. Könnte sein, dass es dir hilft zu wissen, dass du für dich ICH bist, und der andere das Andere

und für den anderen ist er das ICH und du das Andere.

 
Quellenangaben
Gedicht von Tucholsky
Liedertext von Bruce Springsteen

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