Was ist neu

Baby

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11.06.2015
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Baby

1

Noch während ich den Schlüssel im Schloss umdrehte, erhaschte meine Nase eine Ahnung von kaltem Rauch, die, sobald ich die Tür komplett aufgestoßen hatte, jegliche Dezenz verlor. Vor mir erstreckte sich der dunkle Flur meiner Heimat. Anders als noch vor ein paar Stunden, als eine Vielzahl von Mänteln die Garderobe im Eingang überfüllten, wirkte der Raum jetzt verlassen. Einzig der Mief, der schwer in der Luft hing, lies auf eine vergangene Party schließen. Eine Geburstagsparty, deren letztes Drittel wohl auch ohne ihre Gastgeber funktioniert hatte.
Wenige Sekunden nachdem ich die Türschwelle übertreten hatte, hörte ich Schritte, die aus der beleuchteten Küche am Ende des Flurs zu kommen schienen. Einen Moment später strahlte mich ein altes Gesicht aus dem Türrahmen an. "Und, wie geht es meinem Enkel? Wie heißt er?"
Ohne meine Antwort abzuwarten, preschte mein Vater auf mich zu und nahm mich in den Arm. Eine Hand hatte er dabei auf meinen Kopf gelegt, die andere klopfte ermunternd auf meinen Rücken. "Fantastisch! Wir haben ihm noch keinen Namen gegeben. Wir wollen nochmal eine Nacht über all unsere Vorschläge schlafen.", keuchte ich überrascht.
"Namenlos oder nicht, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue! Es ist fast so, als würde ich wieder Vater werden.", nuschelte er mir ins Ohr. Als er seinen Griff lockerte konnte ich spüren, wie ihm Freudentränen die Wangen herunterliefen. "Dir ist schon klar, dass ich ihn morgen direkt besuchen werde! Ich platze quasi vor Vorfreude."
"Ja, auf jeden Fall! Es ist ein überwältigendes Gefühl, weißt du das!"
"Ich habe das zwei Mal mitgemacht, ich weiß wovon du sprichst."
Dann gab es einen Moment des Schweigens, und ein paar Sekunden später lies er mich los. Das Gesicht meines Vaters war feucht, aber fröhlich.
"Komm ich kann mir vorstellen, dass du Hunger hast. Es ist noch etwas Kuchen da."
Bis auf den Gestank in der Luft, war das Haus blitzeblank.
"Du hast ganze Arbeit geleistet. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich davon ausgehen, dass du eine Reinigungsfirma engagiert hast, um hier klar Schiff zu machen. Wirklich sehr nett von dir, aber das wäre absolut nicht nötig gewesen.", sagte ich bevor ich mir das erste dicke Stück Kuchen in den Mund schob. Ich hatte tatsächlich Hunger.
Mein Vater zeigte keine Reaktion. Er war viel zu sehr damit beschäftigt ein großes Stück aus dem Rest der dunkelbraunen Schokotorte zu schneiden. Dabei zerstörte er die drei, die früher mal Bestandteil einer dreißig gewesen war, komplett, sodass noch ein nichtssagender Halbkreis übrige blieb. Gerade als ich mich damit abgefunden hatte keine Antwort mehr zu bekommen, sah er zu mir auf. "Ich weiß, Thomas. Aber das war wirklich kein Arbeit. Und abgesehen davon möchte ich, dass mein Enkel es schön hat, wenn er nach Hause kommt." Jetzt schob auch er sich eine gehäufte Gabel in den Mund, und grinste mich an. "Ich meine schöner als du es hattest wird er es auf jeden Fall haben".
Bitte lass uns nicht davon anfangen. Ich schwieg. Reagierte nicht darauf, weil ich keine Lust hatte, ihm wieder zu erklären, dass meine Kindheit nicht die Hölle war, zu der er sie gerne machte. Natürlich hatte er uns nicht den Lebenstandard bieten können, den er gerne für uns gehabt hätte. Dennoch hatte er alles gegeben, um uns über Wasser zu halten. Gerade nachdem unsere Mutter gestorben war.
Er schien meine Abneigung dem Thema gegenüber zu registrieren und widmetet sich wieder seinem Kuchen. Als wir aufgegessen hatten, bestand er darauf die beiden Teller von Hand zu spülen, weil die Spülmaschine gerade ihren Durchlauf gestartet hatte. Dann verabschiedete er sich mit einem erneuten versprechen morgen seinen, noch namenlosen, Enkel zu besuchen.
Erschöpft taumelte ich die Stufen zum Schlafzimmer hoch. Nachdem ich mich umgezogen hatte, schlenderte ich während des Zähneputzens durch die Wohnung und erledigte Kleinigkeiten, die mein Vater übersehen hatte. Melanie hasste es, wenn ich das tat. Sie glaubte ich könne fallen und mir dabei die Zahnbürste bis in mein Gehirn rammen. Das war natürlich richtig. Bloß hatte ich das immer schon getan, und schlechte Angewohnheiten sind nun mal schwer herauszubekommen. Außerdem war sie jetzt nicht hier. Auf dem Weg zurück ins Bad, kam ich am frisch eingerichteten Kinderzimmer vorbei. Ich schaltete das Licht an, und lies meinen Blick über die Möbel schweifen.
So ungern ich es zugab, musste ich mir dennoch eingestehen, dass mein Vater recht hatte. In der Mitte des, für einen Jungen klischeehaft blau gestrichenen, Zimmers stand ein großes weißes Babybett, ganz allein für meinen Sohn. Ich hatte mir mit meinem Vater und David, meinem älteren Bruder, so lange bis wir beide ausgezogen waren ein Zimmer teilen müssen. An Privatsphäre, oder geschweige denn Luxus, war in unserer zwei Zimmer Wohnung nicht zu denken, dennoch habe ich meinem Vater nie einen Vorwurf daraus gemacht. David schon. Immer wieder hat er seine eigene Unfähigkeit sein Leben in den Griff zu bekommen, damit entschuldigt, dass mein Vater uns angeblich in blechhüttenähnlichen Verhältnissen aufgezogen hatte. Dabei bin ich mir nicht einmal ganz sicher, ob Onkel Alkohol sein Gehirn mittlerweile nicht so weit zersetzt hat, dass er gar nicht registriert, dass er im Moment näher an einem Leben in einer Blechhütte dran ist, als er es jemals war.
Hinter dem Babybett befanden sich eine ebenfalls weiße Wickelkomode, ein Schrank und ein riesiger Vorrat an Windeln. Ansonsten stand an der Wand neben mir eine rote Kiste mit Spielzeug. Auch das waren unerreichliche Träume in meiner Kindheit.
Eine Mischung aus Zahnpasta und Speichel tropfte mir auf meinen nackten Fuß und holte mich zurück in die Gegenwart. Mit einem letzten Seufzer schaltete ich das Licht aus, und schloss nicht nur die Tür zum dunklen Kinderzimmer, sondern auch das Tor zu meinen dunklen Gedanken.


2

Als ich die Tür zu Zimmer 124 der Entbindungsstation öffnete, mussten sich meine Augen erst an die Finsternis gewöhnen. Draußen brach allmählich der Tag an, und der Krankenhausflur war, im Vergleich zu dieser Höhle, geradezu grell gewesen. Als erstes fiel mir auf, dass meine Frau nicht da war. Stattdessen fand ich ein leeres, aber gemachtes Bett vor, in dem ich ihre Handschrift erkennen konnte. Die Decke war längst und nicht quer gefaltet worden. Danach galt meine Aufmerksamkeit den Geräuschen zu meiner rechten. Ich hatte es beim hereinkommen nicht bemerkt, doch dort, wo sich gestern Abend eine ebenfalls frische, glückliche Mutter eingerichtet hatte, befand sich jetzt eine andere Frau. Diese jedoch war alles andere als glücklich.
Zwei Trauben aus mechanischen Gerätschaften waren um die beiden oberen Ecken des Bettes drapiert. Manche davon piepten, andere hingegen schienen schwer ein und aus zu atmen, und wieder andere machten keinen Ton. Alle jedoch waren sie an irgendeiner Stelle mit dem reglosen Körper der Frau verbunden. Sie war höchstens Mitte dreißig, wenn überhaupt. Das dunkelblonde Haar lag in kleinen Strähnen um ihr Gesicht herum. Insgesamt war sie sehr hübsch, das konnten sowohl die Schläuche, die aus ihrem Mund und Nasenlöchern ragten, als auch die Schrammen in ihrem Gesicht nicht ändern.
Ich holte tief Luft, und brauchte einen Moment, bis ich den Blick abwenden konnte. Was hat so ein Unglück, auf der Entbindungsstation zu suchen? Dann realisierte ich, dass hinter dem Bett, im anscheinend dunkelsten Bereich des Raumes, noch eine schemenhafte Gestalt saß.
"Guten Tag!", rief mir eine Männerstimme entgegen. Es schien als hätte sie mit der Begrüßung solange gewartet, bis ich ihre Präsenz wahrgenommen hatte.
"Guten Tag!", entgegnete ich. Dann herrschte Schweigen. Ein unangenehmes Schweigen. Keiner von uns beiden hatte einen Gesprächspartner und irgendwie verlangte mein Verstand es mir ab, mich mit dem Fremden zu unterhalten. Zumindest ein bisschen.
"Ist meine Frau schon lange weg?", fragte ich in Richtung der dunklen Ecke.
"Ihre Frau? Achso, Sie müssten sie eigentlich auf dem Flur getroffen haben. Ist ein paar Minuten bevor sie hereinkamen aus dem Raum gegangen. Meinte sie würde das Baby holen.". Er hielt für einen kurzen Moment inne. "Sie sind also der frischgebackene Vater? Herzlichen Glückwunsch!", fuhr er fort. Seine Stimme klang ehrlich, und es kam mir irgendwie absurd vor mich in Anbetracht dessen, was sich direkt vor seinen Augen befand, glücklich zu zeigen. Ich tat es dennoch, aus Höflichkeit. Kleine Tropfen Schweiß bildeten sich auf meiner Stirn. Erst jetzt fiel mir auf wie warm es in dem Raum war.
"Darf ich das Fenster vielleicht einen Spalt öffnen?", bat ich die Gestalt.
"Natürlich. Gerne auch ganz, wenn sie möchten."
Zuerst schob ich die dicken, staubigen Vorhänge zur Seite und lies Licht in das Zimmer. Dann öffnete ich das Fenster komplett und nahm einen Zug der frischen Luft. Jetzt konnte ich zum ersten Mal das Gesicht des Mannes sehen. Anhand seiner tiefen Stimme hätte ich ihn älter, geschätzt. Doch das Gesicht hatte nichts von einem alten Mann. Für einen Moment war ich so von der Diskrepanz zwischen Vermutung und Tatsache überrascht, dass ich mir gar nicht sicher war, ob dieser Mann überhaupt ein Alter hatte. Seine straffen, fast jugendlichen Gesichtszüge standen in krassem Kontrast zu seinem gründlichen weißen Anzug und der Erhabenheit, die in seinen Augen lag. Das erkannte ich, ohne dass er mich direkt anschaute. Generell schien er mich nicht wirklich wahrzunehmen. Sein Blick heftete sich an das Gesicht der Frau vor ihm.
Ich lies noch für einen Moment Luft hinein, dann setzte ich mich auf Melanie's Bett. Sie war nun schon wirklich lange weg. Vielleicht sollte ich gleich mal zu einer Schwester herübergehen. Erneut füllte unbehagliches Schweigen den Raum.
"Das tut mir Leid!", sagte ich und nickte in Richtung des Bettes. Noch im gleichen Moment, in dem ich die Worte ausgesprochen hatte, schämte ich mich dafür. Jetzt schaute er auf. Er spitze die Lippen für einen Moment, dann antwortete er. "Das muss es nicht, Sie können ja nichts dafür. Jenny ist hier keine unbekannte. Das ist nicht ihr erster Aufenthalt in diesem Haus, wahrscheinlich aber ihr längster. Ironisch, dass jemand der ein Leben auf der Überholspur führt, dann an Rollsplitt verenden soll, oder?" Ein kleiner Gluckser, und sein Tonfall bestätigten, dass er diesen Umstand tatsächlich lustig fand. Was für ein Angehöriger ist das.
"Die Ärzte sagen, dass sie nicht mehr aufwachen wird. Ich bin da anderer Meinung!" Er schaute mir direkt in die Augen, sprang dann förmlich von seinem Stuhl auf und ging um das Bett herum. "Sie sind so still. Glauben Sie mir etwa nicht?"
Was antwortet man auf so eine Frage? Wenn die Ärzte sagen, dass sie nicht mehr aufwachen wird, dann werden die da schon einen Grund für haben. "Es ist nie falsch das beste zu hoffen!", und mit diesen Worten zog ich mich aus dem Fettnäpchen-Minenfeld zurück. Doch mein Gegenüber hatte schon das nächste Bombardement geplant.
"Oh, ich rede nicht von Hoffnung. Ich rede von Gewissheit! Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass diese Frau noch viele Jahre vor sich hat, und zwar nicht in einem gammeligen Bett wie diesem hier, sondern draußen. An der frischen Luft." Sein Gesicht strahlte jetzt förmlich vor Freude während er begeistert seinen Vortrag hielt. Mir hingegen wurde die Situation von Minute zu Minute unangenehmer. Immer noch starrte er ununterbrochen in meine Augen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er, seitdem ich sein Gesicht erblickt hatte, ein einziges Mal geblinzelt hatte.
"Sie teilen meine Optimismus nicht? Warum auch. Sie denken sicher ich bin bloß ein trauernder Angehöriger, der die bittere Wahrheit nicht verkraften kann und sich deswegen jetzt in ungehaltene Fantasien der Glückseligkeit stürzt. Falsch! Diese Frau hat keine Angehörigen, und ich bin aus bloßen geschäftlichen Gründen hier, denn ich bin die Glückseligkeit in Persona! Fink mein Name!"
Der nachdenkliche Mann, der eben noch an dem Bett der Frau gesessen hatte, war nun komplett verschwunden. Stattdessen stand dort nun der Verschnitt eines Fersehmoderators und streckte seine Hand nach mir aus. Ich ergriff sie und er schüttelte kräftig.
"Wahrscheinlich halten sie mich jetzt für verrückt, aber so ist es nicht, das kann ich ihnen versichern.", sagte bevor er meine Hand los lies. Am liebsten wäre ich einfach gegangen, denn das ganze wurde von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. Im Nachhinein wäre es vielleicht das beste gewesen sofort aus dem Zimmer zu stürmen, und Melanie zu suchen. Ich hingegen war zu fasziniert von der Aura dieses Mannes. Er erinnerte mich an einen dieser Priester aus dem Fernsehn.
"Sie sagten sie seien geschäftlich hier?", fragte ich. Ein kleines Lächeln fuhr ihm über die Lippen.
"Ja, das habe ich gesagt."
"Was für eine Art Geschäft ist das? Sind sie Arzt?"
Herr Fink schmunzelte. "Nein, das bin ich nicht. Mein Beruf ist sehr schwer zu erklären. Ich würde sagen, ich bin im Identitätsgeschäft." Er musterte mich einen Moment, fuhr sich mit seinen Fingern kurz über das schmale Kinn und bedeutete mir dann genau dort stehen zu bleiben. Schnellen Schrittes ging er wieder um das Bett herum und holte unter seinem Stuhl einen kleinen, verranzten, schwarzen Koffer zum Vorschein. "Tatsächlich glaube ich, dass ich etwas für sie haben könnte."
Eilig kam er zu mir hinüber und platzierte den Koffer auf Melanies Bett. Mit einer gekonnten Handbewegung fuhr er über die Schließmechanismen und der Deckel sprang auf. Es offenbarte sich uns ein Gewühl aus bedruckten Papieren.
"Sehen sie,", fing er an zu reden, während seine Hände in der Unordnung etwas zu suchen schienen, "die Frau dort drüben, Jenny, sie ist eine Kundin von mir. Wie ich schon gesagt habe lebt sie gerne etwas, nun ja, gefährlicher als der Rest von uns. Fallschirmspringen, schnelle Autos, Safaris auf eigene Faust, Klettern ohne Sicherung, so Sachen halt. Früher oder später müssen die meisten Menschen für so einen exklusiven Lebensstil bezahlen, bloß nicht Jenny. Die ist unzerstörbar. Wissen sie mit wie vielen Knochenbrüchen, Schleudertraumas, Gehirnerschütterungen ja sogar schon Erfrierungen das arme Ding im Krankenhaus gelegen hat, bloß um es dann gesünder denn je zu verlassen? Ich auch nicht, und ich war jedes Mal dabei. Schließlich habe ich dafür gesorgt, dass sie das Krankenhaus auf zwei Beinen verlässt." Immer noch in seinem Koffer wühlend blickte er kurz auf, um seinem Eigenlob das gewisse Etwas zu verleihen.
Für mich ergab das alles keinen Sinn. Mittlerweile hatte ich vom bloßen Zuhören Kopfschmerzen bekommen, und fühlte mich fiebrig. Trotzdem kam es mir nicht in den Sinn, das Weite zu suchen. Schließlich war ich zu gespannt zu sehen, was er mir andrehen wollte. "Sie wissen schon, dass ich ihnen nicht ganz folgen kann!", gab ich zu.
"Ja natürlich nicht, ich war ja auch noch nicht fertig. Wenn ich doch nur..... Ah, da sieh mal einer an, da haben wir es doch. Nummer 248: Vereinbarung auf Unversehrtheit des Leibes, bis in das hohe Alter." Er reichte mir einen Haufen in Kleinschrift bedruckter Papiere. "Das sind die Papiere, die Jenny's Mutter kurz nach ihrer Geburt bei mir unterschrieben hat. Jenny hat nicht einfach pures Glück, nein. Sie ist, wie ich sagte, unzerstörbar. Das ist Teil ihrere Identität, und ich habe ihr diesen Teil verkauft."
Die Kopfschmerzen hatten sich nun zu einem rhythmischen Pochen entwickelt.
"So wie ich das verstehe sind auch Sie erst vor kurzem Vater geworden. Ich habe bestimmt etwas im Angebot, für das ich Sie interessieren könnte." Der Fernsehpriester hatte sich in den Verkäufer einer Teleshopping Sendung verwandelt. Langsam verlor ich die Geduld. Das Pochen in meinem Kopf wurde immer schlimmer. Ich schmiss den Haufen Papier in meiner Hand zurück in den Koffer. Ich war verarscht worden. Dieser kleine Schmierlappen hatte meine Zeit für einen dämlichen Scherz vergeudet, bei dem ich bis jetzt nicht die Pointe entdecken konnte. "Wirklich sehr witzig, aber auf solche Späßchen habe ich jetzt gerade wirklich keine Lust." Der Ausdruck in seinem Gesicht blieb unverändert freundlich.
"Ich mache keinen Spaß. Oder sehen Sie die Möglichkeit ihrem Kind eine Chance im Leben zu geben als Spaß an? Jenny ist da nur ein Beispiel. Ich kann ihnen alles verkaufen. Reichtum, Liebe, Erfolg, Kreativität, Gesundheit! Mein Angebot ist unbegrenzt, dennoch können Sie sich nur auf eins festlegen, das ist eine Hälfte des Preises! Ich gebe ihnen sogar Garantie!"
Erneut hatte Herr Fink es geschafft mich, trotz des Unbehagens, in das mich seine Nähe versetzte, neugierig auf die Idiotie zu machen, die er mir hier zu verkaufen versuchte. "Was ist die andere Hälfte? Des Preises meine ich."
"Ihr Kind wird auf eine Teil seiner Identität komplett verzichten müssen. Sie werden nie erfahren welcher es ist. Sehen sie es als einen winzigen Wermutsropfen an, denn schließlich könnte es alles sein, vielleicht sogar etwas, dass ihr Kind niemals erstreben wird."
Er hält mich wirklich für so dämlich. "Sie glauben also allen Ernstes, dass ich ihnen diesen Humbug abkaufe? Sobald ich einen ihrer lustigen Verträge unterschrieben habe, bin ich dann wohl einzig und allein rechtmäßig meine Niere los. Wenn sie mich beeindrucken wollen würden, wieso beleben sie dann nicht ihre Klientin, hier und jetzt."
Fink's Augen funkelten mich an, trotzdem blieb sein Lächeln erhalten. "Ich bin kein Magier! Wir reden hier nicht über irgendwelche Taschenspielertricks.". Seine Hände imitierten das ausbreiten und zusammenfalten von Karten.
Der Schmerz in meinem Kopf war unaushaltbar, und mir wurde Schwindelig. Das alles kam mir auf einmal unglaublich surreal vor. Ein junger Mann mit alter Stimme, im weißen Anzug, mit einem Koffer voller komischer Verträge, der die traurige Gelegenheit einer sterbenden Frau ausnutzt um einen ahnungslosen Typen auszunehmen, der auf seine Frau wartete. Melanie. Keine Ahnung wie lange ich schon in diesem Raum gesessen hatte, die Zeit war mittlerweile ineinander verschmolzen, irrelevant geworden. Erneut fing ich an zu Schwitzen. Ich muss hier raus.
"Vielen Dank, aber ich glaube, dass mein Sohn auch ohne ihre selbstlose Hilfe eine Chance im Leben haben wird." Mit diesen Worten verabschiedete ich mich und torkelte Richtung Zimmertüre. Ich konnte nicht glauben, wie schnell diese Begegnung eskaliert war.
"Jeder von uns hat eine Chance! Die Frage ist nur, was wir damit machen. Nicht jeder entscheidet sich für die richtigen Wege. Manche versauern als Drogenjunkies oder Alkoholiker in der Trauer ihrer eigenen Existenz. Das sind auch Identitäten!" Fink lies nicht locker, und jetzt hatte er einen Punkt getroffen. Ich hielt inne. Sofort wanderten meine Gedanken rüber zu David, der wahrlich nicht viel mehr war als eine gescheiterte Identität. "Ich denke", antwortete ich, "dass wir das jedem selbst überlassen sollten." Ich griff nach der Türklinke. Das letzte was ich von Fink vernehmen konnte, bevor die Tür hinter mir ins Schloss fiel, war eine Warnung. "Das ist ein einmaliges Angebot. Sie werden noch oft an diese Begegnung zurückdenken. Früher oder später!"

Später am Tag erfuhr ich, dass das Krankenhaus in vielen Abteilungen überfüllt war, weswegen man Jenny, die sich mittlerweile in einem stabilen Zustand befand, für kurze Zeit auf die Entbindungsstation verlegt hatte. Die letzen Maßnahmen, die die arme Frau am Leben erhielten, hatten Melanie in der Nacht zuvor fast um den Schlaf gebracht. Deshalb war sie am nächsten Morgen auf eigenen Wunsch verlegt worden. Zwei Stunden bevor ich das Krankenhaus betrat.


3

Zwei Tage später hatte ich die Begegnung mit dem Irren aus Zimmer 124 schon fast vergessen. Es versprach ein sonniger, warmer Tag zu werden. Perfekte Umstände also, um Melanie und unseren Sohn, wir hatten uns am Tag zuvor auf den Namen "Jan" geeinigt, aus dieser sterilen Vorhölle zu befreien, und nach Hause zu bringen. Als ich auf die großen Flügeltüren, die die Entbindungsstation von dem Hauptflur abtrennten, zuging fing das Desaster an. Im ersten Moment registrierte ich nicht, was ich dort vor mir sah. Am Ende des Ganges fuhr eine tote Frau Rollstuhl, und zwar genau in meine Richtung.
Jennys Haare hingen immer noch in kleinen fettigen Strähnen um ihr Gesicht herum, die Schrammen in ihrem Gesicht hingegen waren fast komplett verheilt. Mit offenen Augen, und ohne Schläuche im Gesicht, sah sie sogar noch atemberaubender aus.
Ich fühlte mich als wäre mein Schädel explodiert, und mein Gehirn würde sich nun in klitzekleinen Einzelteilen hinter mir auf der Wand ausbreiten. Viel zu perplex um in irgendeiner Weise auf das. was passierte zu reagieren, ließ ich die unzerstörbare Frau an mir vorbeirollen. Was hätte ich auch sagen sollen? Hey, ich hab gesehen wie Sie im Koma lagen. Sah ziemlich final aus. Schön, dass sie wieder da sind.
Es dauerte mehrere Minuten bis ich mich gefangen hatte. Mit zittrigen Beinen und dem Gefühl, dass sich schon wieder der Rhythmus von pochenden Schmerzen in meinem Kopf ausbreitete, trat ich den Weg Richtung Zimmer an. Was ich vorfand war ein leeres Bett. Nein, nicht schon wieder! Sofort verließ ich fluchtartig den Raum. Ich hatte aus meinen Fehlern gelernt. Statt mich wieder der Gelegenheit auf Diskussionen mit geistesgestörten Voodoo-Teleshopping-Priestern hinzugeben, beschloss ich an der Information nach Melanie zu fragen. Bevor man mir jedoch Auskunft darüber erteilen wollte, wo sich meine Frau aufhielt, stellten die Schwestern fest, dass sie noch vor einer Viertel Stunde versucht hatten mich zu Hause zu erreichen. Die einzigen Worte, die ich verstand bevor ich mich meinen ohnehin wackeligen Beinen hingab, waren: Plötzlicher Kindstod.

4

Sie fragen sich jetzt sicher wieso ich ihnen diesen unerfreulichen Schwenk aus meinem Leben erzähle, und dann auch noch zehn Jahre nachdem er passiert ist. Nun ja, nach dem Tod meines Sohnes haben wir alle versucht weiter zu leben. Es war, nein, es ist ein schwieriger Weg. Das Haus haben wir verkauft. Es war zu groß für zwei Personen. Melanie hat es komischerweise am schnellsten wieder auf die Beine geschafft. Ich habe nie auch nur in Erwägung gezogen ihr von dem Treffen mit Herrn Fink zu erzählen. Melanie und ich haben schon seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr, doch als ich mich das letzte Mal mit ihr unterhalten habe schien sie glücklich zu sein. Zumindest wollte sie, dass ich das glaube. Ich habe mich in die Arbeit geflüchtet, als das erste Jahr vorüber war, und ich meine Gedanken wieder annähernd sortieren konnte. Mittlerweile habe ich in meiner Abteilung die stellvertretende Leitung. Und wenn man den Gerüchten glauben schenkt, dann möchten die Firmenvorsitzenden, dass ich ab nächstem Jahr die Ruder komplett in der Hand halte. Am schlimmsten von uns hat es meinen Vater getroffen.
Kurze Zeit nachdem sich das Unglück ereignete, fiel der Mann geistig auseinander. Er fing an ununterbrochen wirres Zeug zu reden, seine Haare wurden nicht grau, sondern direkt weiß, und ein halbes Jahr später, nach seinem ersten Unfall in der Badewanne, entschied ich, dass es das beste wäre ihn in ein Heim ziehen zu lassen. David habe ich vorher nicht einmal gefragt. Meine Erfahrung mit alten Leuten und gerade mit Demenz halten sich in Grenzen, dennoch sagen die Ärzte, dass der Verstand meines Vaters schneller verödet ist als bei jedem ihrer bisherigen Patienten. Dann kamen die Krankheiten der Alten und Gebrechlichen, und schließlich der Krebs. Seitdem, also genau seit 5 Jahren, besuche ich ihn zwei Mal die Woche. Heute mit sechsundsechzig ist er nur noch ein Schatten seiner Selbst. Er hat aufgegeben. Das sagen zumindest die Pfleger, und ich kann ihnen nicht widersprechen.

Anders als sonst wurde ich letzte Woche nicht von Gebrabbel, einem leeren Blick, und dem eingeschalteten Fernseher empfangen. Mein Vater saß aufrecht in seinem Bett, und alleine seine Haltung machte mir klar, dass ich ihn schon seit Jahren nicht mehr so gesammelt erlebt hatte. Doch was er dann sagte, zog mir nicht nur einfach den Boden unter den Füßen weg, sondern brachte mich auch dazu in der schmerzhaften Vergangenheit zu kramen, die ich so dringend zu vergessen versuchte. "Es tut mir leid, Thomas!", seine Stimme war nur ein wimmern und ich musste ganz genau zuhören um jedes Wort zu verstehen. "Ich habe deinen Sohn umgebracht."

Was er mir dann erzählte lässt mir bis zu diesem Moment einen Schauer über den Rücken fahren. Er holte unheimlich weit aus. Erzählte mir von seiner Kindheit, seinen Brüdern, den Umständen in denen er gelebt hatte. Er erzählte mir von David. David, der immer, schon als kleines Kind, nicht verstanden hatte wieso er nicht das haben konnte, was die anderen Kinder hatten. David, der sich nach eigenen Angaben nie von der Armut erholt hatte. Und er erzählte von mir und meiner Geburt. Er erzählte mir von einem Mann, im weißen Anzug, mit einem schwarzen zerfledderten Koffer, und dem Angebot, dass alles besser werden würde. Er erzählte mir, wie er versucht hatte mir ein sorgloses Leben zu schenken, ganz gleich welchen Preis er dafür zahlen musste. Was er nicht bedachte war, dass ich diese Schuld begleichen müsse. So wartete er sein Leben darauf, dass der Mann im weißen Anzug kommen und seine Bezahlung einfordern würde. Und als er sein übereifriges Geschäft fast vergessen hatte, wurde der Auktionshammer geschwungen, und das Leben seines Enkels verkauft. Er führte die Sachverhalte trocken aus, schweifte kaum ab, und als er zum Ende seiner Geschichte kam entschuldigte er sich ein letztes Mal. Dann gab es einen Moment der Stille, bis das zusammenhangslose Gebrabbel wieder anfing, und mein Vater seinen Verstand ein weiteres Mal verlor.

Jetzt sitze ich hier im dunkeln, wie ich es schon so viele Nächte lang getan habe und denke über das nach was war. Was hätte kommen können. Würde ich heute anders reagieren? Hätte es einen Unterschied gemacht? Wäre ich glücklicher? Wäre mein Sohn glücklich? Dann denke ich über das nach was noch kommen wird, und mich packt eine Welle der Depression, die mich an den Rande der Belanglosigkeit spült. Glauben sie mir ich habe über Selbstmord nachgedacht, doch ich bin nicht so ein Mensch. Vielleicht bin ich jemand, der trotz alledem weiter macht. Vielleicht ist das ein Teil meiner Identität. Vater zu sein ist es nicht.

 
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Hallo ElDrazen,

Herzlich Willkommen im Forum! Mir gefällt die Idee zu deiner Geschichte, und auch den Aufbau finde ich zum großen Teil gelungen. Aber ich werde gleich sehr pingelig einen Haufen Kleinigkeiten kritisieren. Lass dich davon nicht entmutigen - meistens bin ich dann besonders mäkelig, wenn ich das Gefühl habe, eine Geschichte könnte richtig glänzen, wenn jemand noch mal gründlich poliert. :)

Bevor ich zu den Details komme, habe ich aber noch einen allgemeineren Kritikpunkt: Meiner Meinung nach solltest du dir für das Ende mehr Zeit nehmen. Das wirkt ziemlich gehetzt, als wärest du aus Versehen auf die Vorspultaste gekommen. Natürlich würde die Geschichte länger werden, wenn du das letzte Gespräch mit dem Vater richtig erzählst, anstatt es nur zusammenzufassen, und vielleicht bist du davor zurückgeschreckt, weil der Text insgesamt schon recht lang ist. Aber wenn das der Grund ist, finde ich, du sparst am falschen Ende. In den Szenen davor lässt sich bestimmt einiges kürzen - aber die Stelle, als der Vater enthüllt, dass er selbst bei der Geburt des Erzählers einen Handel mit Fink abgeschlossen hat, würde ich wirklich lieber in Dialogform sehen.

Einerseits, weil ich glaube, dass es dann eine stärkere emotionale Wirkung auf den Leser hätte. Aber andererseits auch, weil ich die Zusammenhänge nicht ganz verstanden habe. Als der Erzähler mit Fink spricht, sagt der ihm ja, der Preis für seine Verträge wäre ein Teil der Identität des Kindes, für das der Vertrag abgeschlossen wird. Also er hätte seinem Sohn Reichtum erkaufen können, aber dafür hätte der vielleicht nie sein künstlerisches Talent ausgelebt, so als Beispiel.
Aber das Ende legt nahe, dass der Handel ganz anders funktioniert, dass nämlich unbeteiligte Dritte den Preis zahlen müssen. Also es würde mich interessieren, was genau der Vater des Erzählers mit Fink ausgehandelt hat.
"Ein sorgloses Leben" sagt der Text, aber das hat er ja nun wirklich nicht erworben - sein Baby erleidet einen plötzlichen Kindstod, seine Ehe geht in die Brüche, der Vater wird früh zu einem Pflegefall und er selbst wird depressiv. Und es scheint auch noch so, als wäre letzten Endes das Leben des Enkels der Preis für dieses "Angebot" von Fink gewesen.
Also meine Vermutung ist, der Vater des Erzählers war so unglücklich, dass er seinen Kindern keine materielle Sicherheit bieten konnte und sein erster Sohn da so drunter gelitten hat, dass er für den zweiten Sohn eben diese materielle Sicherheit erkauft hat. Und der Preis - also der Teil der Identität des Erzählers, der dafür geopfert wurde - war vielleicht das glückliche Familienleben. Aber das ist halt eine Interpretation, im Text kommt es nicht so richtig raus.
In einem Dialog zwischen dem Erzähler und seinem Vater könntest du das stärker herausarbeiten.

Details:

Hmm ... also das ist nicht mein Lieblingstitel, muss ich sagen. Die Titelwahl ist ja immer schwierig, aber ich finde halt, das Baby ist ja eigentlich gar nicht das zentrale Thema der Geschichte. Der Leser bekommt es nicht mal zu sehen. Also falls du eine andere Titelidee hast, sag bescheid, man kann das nicht selber ändern, da brauchst du Moderatorensuperkräfte. :D

Noch während ich den Schlüssel im Schloss umdrehte, erhaschte meine Nase eine Ahnung von kaltem Rauch, die, sobald ich die Tür komplett aufgestoßen hatte, jegliche Dezenz verlor.
Der Satz gefällt mir nicht so, der strengt sich zu sehr an, literarisch zu klingen. :p
Das bläst diese simple Wahrnehmung - ein Geruch, der stärker wird, unheimlich auf, und dabei ist das gar nicht bedeutungsvoll, das spielt ja auch im Rest der Geschichte keine Rolle mehr.

Vor mir erstreckte sich der dunkle Flur meiner Heimat.
Das klingt für mich so, als wäre da ein ganzes Land hinter der Wohnungstür. "Heimat" beschreibt ja in der Regel eine geographische Region. "der dunkle Flur meines Heims/Zuhauses" oder "meiner Wohnung" wäre passender.

Einzig der Mief, der schwer in der Luft hing, lies auf eine vergangene Party schließen.
ließ - das ist mehrmals falsch im Text, am besten machst du einmal suchen/ersetzen in Word

Eine Geburstagsparty, deren letztes Drittel wohl auch ohne ihre Gastgeber funktioniert hatte.
Den Satz würde ich streichen. Er nimmt das wohl an, weil es sich um seine eigene Party gehandelt hat - aber so wie der Satz dasteht, erweckt es den Eindruck, dass er immer noch aus dem Geruch schließt, und wirkt deshalb etwas komisch. Außerdem kann er das ja nicht wissen, wenn er nicht dabei war - vielleicht haben sich ja alle Gäste verzogen, sobald er auf dem Weg ins Krankenhaus war.

Wenige Sekunden nachdem ich die Türschwelle übertreten hatte, hörte ich Schritte, die aus der beleuchteten Küche am Ende des Flurs zu kommen schienen.
Das ist super-umständlich mit dem "schienen" - woher sollen die denn sonst kommen? Vorschlag: "hörte ich Schritte aus der beleuchteten Küche am Ende des Flurs" Punkt.

"Fantastisch! Wir haben ihm noch keinen Namen gegeben. Wir wollen nochmal eine Nacht über all unsere Vorschläge schlafen.", keuchte ich überrascht.
Das ist ein Fehler in der Zeichensetzung bei wörtlicher Rede, denn du auch ein paar mal drin hast: Wenn nach den Ausführungszeichen der Satz weiter geht mit "sagte xy" oder ähnlichem, und das Gesagte ist ein Aussagesatz, dann fällt der Punkt weg - nur ein Ausrufezeichen oder Fragezeichen würde stehen bleiben. Geh die Dialoge noch mal durch mit einem Auge darauf, ich will das nicht jedes Mal zitieren, wenn es vorkommt.

Das Gesicht meines Vaters war feucht, aber fröhlich.
Ab und zu muss man ja auch mal was loben zur Abwechslung: Der Satz gefällt mir sehr gut. :thumbsup:

"Komm ich kann mir vorstellen, dass du Hunger hast.
Komma nach "komm"

"Du hast ganze Arbeit geleistet. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich davon ausgehen, dass du eine Reinigungsfirma engagiert hast, um hier klar Schiff zu machen. Wirklich sehr nett von dir, aber das wäre absolut nicht nötig gewesen."
Das ist sehr umständlich formuliert für wörtliche Rede - so wortreich redet kein erschöpfter, hungriger Mann, behaupte ich mal. :)
Vorschlag: "Wow, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du hast eine Reinigungsfirma engagiert. Das wär doch nicht nötig gewesen".

Dabei zerstörte er die drei, die früher mal Bestandteil einer dreißig gewesen war, komplett, sodass noch ein nichtssagender Halbkreis übrige blieb.
übrig

"Ich weiß, Thomas. Aber das war wirklich kein Arbeit.
keine

"Ich meine schöner als du es hattest wird er es auf jeden Fall haben".
Da stimmt die Zeichensetzung nicht:

Ich meine, schöner als du es hattest, wird er es auf jeden Fall haben."

oder, weniger umständlich: "Ich meine, schöner als du wird er es auf jeden Fall haben."

Er schien meine Abneigung dem Thema gegenüber zu registrieren und widmetet sich wieder seinem Kuchen.
registrieren klingt irgendwie roboterhaft. "zu spüren" oder ähnliches fände ich passender.

Dann verabschiedete er sich mit einem erneuten versprechen morgen seinen, noch namenlosen, Enkel zu besuchen.
Versprechen groß, nach dem Wort Versprechen ein Komma, dafür können die anderen Kommas weg

Bloß hatte ich das immer schon getan, und schlechte Angewohnheiten sind nun mal schwer herauszubekommen.
Es ist zwar klar was gemeint ist, aber "herausbekommen" passt nicht so ganz, "loszuwerden" wäre eine gute Alternative.

Ich hatte mir mit meinem Vater und David, meinem älteren Bruder, so lange bis wir beide ausgezogen waren ein Zimmer teilen müssen.
Klingt umständlich, Vorschlag zum Umstellen: Ich hatte mir mit meinem Vater und meinem älteren Bruder David ein Zimmer teilen müssen, so lange, bis wir beide auszogen.

An Privatsphäre, oder geschweige denn Luxus, war in unserer zwei Zimmer Wohnung nicht zu denken
Zweizimmerwohnung

Dabei bin ich mir nicht einmal ganz sicher, ob Onkel Alkohol sein Gehirn mittlerweile nicht so weit zersetzt hat, dass er gar nicht registriert, dass er im Moment näher an einem Leben in einer Blechhütte dran ist, als er es jemals war.
Der Satz ist umständlich und mühsam zu lesen, und das liegt vor allem daran, dass dein Protagonist sich so unsicher ist. Lass den ruhig mal selbstbewusst etwas behaupten. "Dabei hat der Alkohol sein Gehirn mittlerweile so zersetzt, dass er im Moment näher an einem Leben in der Blechhütte dran ist als jemals zuvor, und er merkt es nicht mal." Vielleicht tut er David mit so einer rigorosen Aussage ja unrecht, aber diese vorsichtig tastende Formulierung, die du da hast, ist beim Lesen viel anstrengender. :)

Auch das waren unerreichliche Träume in meiner Kindheit.
unerreichbare

Ich hatte es beim hereinkommen nicht bemerkt,
Hereinkommen groß

Dann realisierte ich, dass hinter dem Bett, im anscheinend dunkelsten Bereich des Raumes, noch eine schemenhafte Gestalt saß.
wieso anscheinend? Das sieht er doch, welche Ecke am dunkelsten ist.

"Guten Tag!", rief mir eine Männerstimme entgegen. Es schien als hätte sie mit der Begrüßung solange gewartet, bis ich ihre Präsenz wahrgenommen hatte.
Die Personifizierung der Stimme finde ich komisch, ich denke du kannst im zweiten Satz ruhig mit "er" arbeiten.

Ist ein paar Minuten bevor sie hereinkamen aus dem Raum gegangen.
groß

Anhand seiner tiefen Stimme hätte ich ihn älter, geschätzt.
kein Komma

Für einen Moment war ich so von der Diskrepanz zwischen Vermutung und Tatsache überrascht,
Das fette kannst du streichen, die vorhergehenden Sätze machen doch schon deutlich, welche Diskrepanz er meint.

Seine straffen, fast jugendlichen Gesichtszüge standen in krassem Kontrast zu seinem gründlichen weißen Anzug
Was ist denn ein gründlicher Anzug?

"Es ist nie falsch das beste zu hoffen!", und mit diesen Worten zog ich mich aus dem Fettnäpchen-Minenfeld zurück.
Fettnäpfchen

Sie teilen meine Optimismus nicht?
meinen

Sie denken sicher ich bin bloß ein trauernder Angehöriger, der die bittere Wahrheit nicht verkraften kann und sich deswegen jetzt in ungehaltene Fantasien der Glückseligkeit stürzt.
ungehalten heißt verärgert, der meint bestimmt "unhaltbare" Fantasien oder etwas in der Richtung

"Wahrscheinlich halten sie mich jetzt für verrückt, aber so ist es nicht, das kann ich ihnen versichern.", sagte bevor er meine Hand los lies.
Sie/Ihnen groß; Punkt weg; sagte er, bevor
Das mit der Großschreibung von Sie als Anrede ist noch öfter im Text, ich werde nicht alle Fälle zitieren, schau in der Hinsicht also selbst noch mal drüber

Im Nachhinein wäre es vielleicht das beste gewesen sofort aus dem Zimmer zu stürmen, und Melanie zu suchen. Ich hingegen war zu fasziniert von der Aura dieses Mannes.
Die Formulierung passt nicht so ganz, das "hingegen" nutzt man ja bei einem direkten Vergleich (meine Schwester wollte Erdbeereis, ich hingegen wollte Schokolade), also hier wäre eher "aber" angebracht, weil er ja sagt, dass er halt nicht das gemacht hat, was vielleicht das beste gewesen wäre.

Früher oder später müssen die meisten Menschen für so einen exklusiven Lebensstil bezahlen, bloß nicht Jenny.
Na ja, so ganz stimmt das ja nicht. Sie stirbt zwar nicht, aber ich würde sagen, mit schweren Verletzungen und einem Aufenthalt im Krankenhaus "bezahlt" sie schon für die Risiken, die sie eingeht. Ich würde das umformulieren, dass die meisten Menschen bei so einem Lebensstil bald tot wären, denn sonst würde Fink hier ganz offensichtlich zu viel versprechen.

Das ist Teil ihrere Identität, und ich habe ihr diesen Teil verkauft."
ihrer

"Ihr Kind wird auf eine Teil seiner Identität komplett verzichten müssen.
einen

Sie werden nie erfahren welcher es ist.
Auch das ist ein Versprechen, dass Fink anscheinend nicht einhält, denn der Vater von Thomas erfährt ja, dass der Preis bei seinem Sohn dessen Familienleben ist, wenn ich das Ende richtig verstanden habe.

Der Schmerz in meinem Kopf war unaushaltbar, und mir wurde Schwindelig.
unerträglich oder nicht zum aushalten; schwindelig klein

Manche versauern als Drogenjunkies oder Alkoholiker in der Trauer ihrer eigenen Existenz.
Gibt es noch andere Sorten Junkies? Also klar, man sagt manchmal "Fernsehjunkie" oder so was, wenn man das Verhalten von Leuten beschreiben will, was einem exzessiv vorkommt. Aber in dem Kontext erscheint mir "Drogenjunkies" überflüssig.

Bevor man mir jedoch Auskunft darüber erteilen wollte, wo sich meine Frau aufhielt, stellten die Schwestern fest, dass sie noch vor einer Viertel Stunde versucht hatten mich zu Hause zu erreichen.
Viertelstunde

Sie fragen sich jetzt sicher wieso ich ihnen diesen unerfreulichen Schwenk aus meinem Leben erzähle, und dann auch noch zehn Jahre nachdem er passiert ist.
Warum spricht der Erzähler hier den Leser direkt an? Manchmal ist das ja ein passendes Stilmittel, wenn man zum Beispiel ein Interview als Rahmenhandlung für eine Geschichte hat oder so. Aber für deine Geschichte ist das doch unnötig. Und ich finde, das bringt einen immer raus aus dem Erzählfluss, also ich würde dir raten, das weg zu lassen. Gerade, weil du an der Stelle einen Zeitsprung machst, wo man sich quasi erst mal orientieren muss als Leser, würde ich darauf verzichten.

Dann denke ich über das nach was noch kommen wird, und mich packt eine Welle der Depression, die mich an den Rande der Belanglosigkeit spült.
Rand - aber die Formulierung "an den Rand der Belanglosigkeit spült" würde ich insgesamt noch mal überdenken. Es klingt bedeutungsschwanger, aber es ist eher undeutlich, was das heißen soll.

Das Ende würde ich ja wie gesagt insgesamt noch mal anders gestalten, nicht so im Zeitraffer. Über weite Strecken in deiner Geschichte gelingt es dir ganz gut, Sympathie für Thomas und für seinen Vater zu wecken, ihr Verhältnis und ihre Vorgeschichte sind gut rausgearbeitet. Aber die Stellen, wo du eigentlich die besten Gelegenheiten hättest, richtig viel Dramatik und Emotion hineinzupacken, hast du irgendwie vernachlässigt - oder dir vielleicht selbst nicht zugetraut, sie richtig umzusetzen?
Die Stelle, an der er vom Tod des Babys erfährt, ist extrem schnell abgehakt - man sieht kaum etwas von der Reaktion des Protagonisten, und die Mutter bekommt überhaupt keinen Auftritt zugestanden. Und das Gespräch mit dem Vater, wo er enthüllt, dass für Thomas selbst so ein Vertrag abgeschlossen wurde, und dass das wahrscheinlich der Grund für den Verlust seines Kindes ist, gibst zu nur als Rückblende in der Zusammenfassung wieder. Dabei wäre das doch eigentlich super geeignet als das große Finale deiner Geschichte! Da verschenkst du einfach Potenzial, finde ich.

Also wenn du am Anfang ein bisschen straffst, ein paar umständliche Formulierungen glättest und die kleinen Fehler ausbesserst, und dann diese Teile noch etwas ausbaust, wird das eine richtig gute Geschichte. Viel Spaß dabei!

Grüße von Perdita

 

Hallo Perdita,

vielen Dank, dass du dir so viel Mühe gemacht hast! Finde es schön eine objektive Meinung zu hören. Ich nehme mir die Verbesserungen und Kritikpunkte wirklich zu Herzen. Ich weiß, dass ich gerade in Sachen Zeichensetzung und Rechtschreibung noch einiges verinnerlichen muss. Vor allem, wenn ich tippe. :)

Wenn ich ehrlich bin, habe ich nie darüber nachgedacht das Ende als Dialog zu schreiben. Wenn ich es aber jetzt mit Augen des Lesers betrachte, macht das durchaus Sinn. Da war ich wohl zu sehr in meiner eigenen Geschichte drin, und habe nicht bedacht, dass einige Punkte ein wenig unglücklich formuliert sein könnten. Ich kenne meine Geschichte nun mal. :)

Um das Ende nur kurz zu erklären: Mit "sorgloses Leben" ist - wie du vermutet hast - materielle Sicherheit gemeint. Wäre eine bessere Wortwahl gewesen. Der Vater musste für den "Deal" selbst keinen Preis bezahlen, sondern verpflichtete seinen Sohn dazu, für ein Leben ohne Geldsorgen einen Teil seiner Identität zu opfern. Ob es nun wirklich die Identität als "Familienvater" war, die er damit verkauft hat, das weiß er auch am Ende nicht sicher, geht aber stark davon aus. Daher seine Schuldgefühle.

Ja, und der Titel ist auch so eine Sache. Ich weiß, dass der nicht gerade bombastisch ist, bloß hatte die Geschichte die Zeit lang, die sie nun auf meiner Festplatte verstaubte, keinen Namen. Habe also nie darüber nachgedacht, bis ich heute morgen an meinem Post gewerkelt habe. Werde mir aber definitiv noch mal Gedanken drüber machen!

Wie gesagt vielen Dank für deine Antwort. Es hat mich sehr gefreut, und das tut es auch jetzt noch. :) Werde, sobald ich die Tage Zeit dafür finde, die Geschichte erneut durchgehen, und deine Verbesserungen anwenden!

Und natürlich freue ich mich diese Forum hier gefunden zu haben. Hoffe, dass ich bei Zeiten ebenfalls jemandem behilflich sein kann!

Schöne Grüße!
ElDrazen

 

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