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Bedarfshaltestelle feat. Jansen
„Herzlich Willkommen In Düsseldorf, Hauptbahnhof Bedarfshaltestelle, Sie haben Anschluss an den Intercityexpress 734 Christiansen nach Magdeburg über Nürnberg und Castrop Rauxel, planmäßige Abfahrt 23.59 Uhr.“
„Castrop Rauxel?“ Ich versuche erfolglos, meine verklebten Augen zu öffnen.
„Habe ich geschlafen?“ Die Blechstimme setzt ihr Geschwafel fort.
„Achten Sie bitte auf die Lautsprecherdurchsagen.“
Endlich schaffe ich es, meine trägen Lider auseinander zu zerren und muss feststellen, dass mir das sich bietende Bild nur allzu vertraut vorkommt.
„Bitte Vorsicht an Gleis drei.“
Mein Schlafzimmer, wer hätte das gedacht?
„Hat der Arsch von Baumgarten wieder seinen Fernseher ...?“
„Bitte beachten Sie folgenden Hinweis, nach Vorlage Ihres Tickets erhalten Sie eine Latte gratis.“ Ein mächtiges Brummen erfüllt mein Schlafzimmer und lässt die Glasfrösche in meinem Setzkasten erbeben.
„Mach die Kiste leiser, du Depp!“ Das Brummen schwillt an und wirft mich, an seinem Höhepunkt angelangt, zurück auf mein zerwühltes Bett. Dann wird es leiser und verschwindet schließlich in der Ferne.
Sollte er sich ein neues Heimkino zugelegt haben? Ein Sound wie im echten Leben.
Ich schäle mich erneut aus den Federn, schleppe mich zum Fenster, ziehe die Gardine zur Seite und ...
„Was zur ...?“
Wo sich vor ein paar Stunden noch Spatz und Schmetterling die Klinke in die Hand drückten, breiten sich nun Gleisanlagen und Bahnsteige in alle Richtungen aus, als sei es nie anders gewesen.
„Was geht hier vor sich?“
Am Gleis 1, das sich direkt unter meinem Fenster befindet, winkt mir ein Schaffner fröhlich zu.
„Guten Morgen!“, ruft er. „Gegen Vorlage ihres Tickets, kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten.“
„Es ist weder Morgen, noch ist irgendetwas gut! Was soll das hier alles, wo ist mein Garten?“
Kochendes Blut puckert in meiner Schläfe.
„Ihre Fragen beantworten wir Ihnen gerne am Informationsschalter in der Eingangshalle, oder Sie wählen die 555 3636.“
„Welche Eingangshalle? Ich habe gefragt, wo mein Garten hin ist!“
Irgendetwas mit „... Bedarfshaltestelle ...!“, ruft er noch, dann dreht er sich zu einem pakistanisch aussehenden Herren, der mit seiner Familie und Hunderten von Taschen auf der Suche nach seinem Anschlusszug zu sein scheint.
Ich wende mich von dem wahnwitzigen Schauspiel ab und beschließe, mich auf den Weg in die Eingangshalle zu machen, als ich die Rauchfäden bemerke, die sich durch das Schlüsselloch meiner Schlafzimmertür bemühen und sich ausbreiten, als sei es selbstverständlich.
Hastig reiße ich die Tür auf, was mich in Sekundenbruchteilen mit einem Raunen und einer Wand aus blauem Dunst konfrontiert.
Mein Wohnzimmer, sonst ein Ort der Zuflucht und Gemütlichkeit, ist nicht wiederzuerkennen.
Schulter an Schulter stehen hier Reisende aus aller Herren Länder und rauchen was das Zeug hält.
„Was soll das ...?“, schreie ich in die Wolke. „Hier wird nicht geraucht!“
In den neulich erst aufpolierten Türrahmen ist ein Schild gehämmert worden, die Aufschrift kenne ich nur zu gut.
Wir halten unsere Bahnhöfe sauber, bitte nur in den markierten Bereichen rauchen.
„Hier ist ein markierter Bereich“, spricht mich ein Mann mit übertrieben buntem Poncho an und bläst mir das krebsbringende Unheil direkt ins Gesicht.
Die aufkommenden Mordgedanken verwerfe ich schnell und versuche mir einen Weg durch die Masse zu bahnen, doch es wäre leichter, einen Gänseblümchenstiel in einen Bordstein zu pressen.
„Sie müssen jetzt alle verschwinden! Das ist Hausfriedensbruch!“ Das Raunen setzt wieder ein. „Ich rufe die Polizei!“
Die Menge sträubt sich, ein Trick muss her.
„Die Lounge wird nun wegen Gleisarbeiten geschlossen, bitte verlassen Sie auf der Stelle mein Haus, an der Information wartet ein Kaffee!“ Ich eigne mir einen professionell klingenden Tonfall an.
Und schon setzen sie sich in Bewegung, wie eine Herde Schweine auf dem Weg in den Transporter.
„Seit dem Streik vor fünf Jahren ist die Bahn auch nicht mehr das, was sie mal war.“ Der Mann mit dem Poncho schaut mich provozierend an.
„Was schauen Sie mich so an? Ich arbeite nicht für die.“ Jetzt muss ich mich auch schon rechtfertigen.
Ich schiebe die letzten Verbliebenen aus meinem Wohnzimmer, mein Flokati ist übersät mit Brandflecken und toten Kippen.
„Ihr Schweine!“
Aus meinem tränenfeuchten Augenwinkel erkenne ich ein Schild auf meiner Badezimmertür. WC 3 €
„Was zur ...?“ Ich reiße die Tür auf, was eine ältere Frau in blauem Kittel aufschrecken lässt, die gerade dabei ist, den Erlös der letzten Stunden zu zählen.
„Toilette drei Euro, alles tipptopp ...!“
„Raus!“ Ich ziehe sie hinter ihrem Klapptisch hervor, wobei ihr Tellerchen mit Münzgeld zu Boden fällt, welches sich klimpernd auf meinem Badezimmerboden verteilt.
Ich torkle rückwärts und stoße mir den Kopf an einem provisorisch befestigten Kondomautomaten.
„Mist ...!“ Kurz wird mir schwarz vor Augen.
Durch den sich lichtenden Nebel drängt sich mein Toilettenkalender mit Bildern verschiedenster Gartenkräuter in mein Blickfeld, der heutige Tag, rot umrandet, der 1. April 2012.
„Jetzt verstehe ich!“
„Was verstehen Sie, junger Mann?“
„Ach nichts.“
Ich schiebe sie zur Seite und haste zurück ins Wohnzimmer.
„Wo ist das blöde Telefon.“
Unter einem Haufen abgelesener Zeitschriften finde ich es.
Nach ein paar Minuten, Zeit, die mich die Beseitigung diverser Soßen von der Tastatur kostet, wähle ich die Nummer, die mir der Schaffner von Gleis 1 vorhin zugerufen hatte.
„5553636, das war’s!“
„...wir bitten Sie um einen Moment Geduld ...“
„Macht hinne, Ihr Arschgeigen!“
„Deutsche Bahn, Seiferts, was kann ich für Sie tun?“
„Ja, Jansen hier, ich ...“
„Moment bitte, Herr Jansen.“ Es ertönt ein Rascheln, gefolgt von einem leisen Klicken, dann bekomme ich einen gemischten Chor mit Harfenbegleitung zu hören, der in der Melodie von let it be die Worte „April, April“ singt.
Erleichtert lasse ich den Hörer sinken. „Ich wusste es!“
„Tja, Herr Jansen, da haben wir Sie ja mächtig drangekriegt. Sie hätten jawohl nicht wirklich geglaubt, dass wir hier Kaffee verschenken würden.
Herr Jansen ...?
Herr Jansen ... !“