- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 14
Bob
Wir treffen kurz nach der Katastrophe am Unglücksort ein. Der Rauch ist inzwischen vom Luftaustauscher aus dem Raum entfernt worden, doch die Trümmer, Verletzten und Toten bieten sich uns genauso dar, wie die Explosion sie hinterlassen hat. Mit einem schnellen Rundblick erfasse ich die Situation und begebe mich zu einer Frau, die bei Bewusstsein ist und vor Schmerzen stöhnt. Sie ist eine der Wenigen, bei denen noch eine Überlebenschance besteht. Die meisten sind entweder schon tot, oder in hoffnungslosen Zustand. Es ist eine junge Navigationsoffizierin, die aus mehreren Wunden blutet. Metallsplitter stecken in ihrem schmalen Körper, sie zeigt die typischen Symptome eines Schocks, zittert und atmet flach und hektisch. Ihre Lunge hat es auch erwischt. Warum muss mir ausgerechnet jetzt auffallen, dass sie überdurchschnittlich hübsch ist? Ich will sie unbedingt retten.
Schweigend machen wir uns an die Arbeit, routiniert, Hand in Hand. Bob 2 hebt das schwere Instrumentenpaneel von ihren Beinen, während Bob 5 und ich uns um die Erstversorgung ihrer Wunden kümmern. Ich streiche mit meinen Fingern über ihre Haut und erfasse die wichtigsten Daten ihrer Biofunktionen. Die Werte sehen nicht gut aus, der Blutverlust ist zu groß, mehrere innere Organe sind stark beschädigt. Ich kalkuliere, dass sie noch 83 Sekunden zu leben hat, wenn sie bis dahin nicht in einem Autodoc liegt. Bob 5 wirft mir einen kurzen Blick zu. Ich übermittele ihm die Daten und erhalte ein eindeutiges Negativ von ihm. Bob 5 ist für die Sortierung der Patienten verantwortlich und normalerweise würde ich mich seiner Entscheidung fügen. Die Zeit wird nicht reichen, das weiß ich auch. Aber die Frau ist so hübsch und so jung. Ich habe keine Ahnung, warum mich das in meiner Entscheidung beeinflusst, ich weiß nur, dass ich sie mir über die Schulter werfe und aus dem zerstörten Raum renne.
Als ich die Schleuse zum Hauptgang des Schiffes passiere, bleiben der Offizierin noch 80 Sekunden. Der Weg zum nächsten Med-Bereich auf diesem Deck beträgt 243 Meter, ich laufe so schnell ich kann. Ich könnte es schaffen! Ich spüre die verstörten Blicke anderer Besatzungsmitglieder, als ich mir laut brüllend den Weg durch den Flur bahne, der von hektischer Betriebsbamkeit erfüllt ist.
Bei 53 Sekunden verbleibender Lebenszeit, stolpere ich über einen Werkzeugkasten, den irgendein Techniker dort in der Eile hat stehen lassen. Sowas ist im Protokoll nicht vorgesehen, trotzdem kann ich mir das Versagen meiner Beine nicht erklären. Normalerweise hätte ich die Unregelmäßigkeit wahrnehmen und ausweichen sollen. In Sekundenbruchteilen rappele ich mich mitsamt meiner Last wieder auf und renne weiter.
Noch 28 Sekunden, ich kann die Luke mit dem auflackierten Roten Kreuz am Ende des Korridors sehen. Ein Major verstellt mir den Weg. Er funkelt mich böse an und öffnet den Mund, will mich anschreien. Ich bin stärker als er und schubse ihn einfach aus dem Weg. 25 Sekunden verbleiben noch.
Betroffen stelle ich fest, dass ich meine erste Diagnose nach unten korrigieren muss. Durch den unfachgemäßen Transport, das Gewackel auf meiner Schulter und den Sturz, hat sich der Zustand der Verletzten weiter verschlechtert. Es bleibt keine Zeit für eine weitere Diagnose, aber ich rechne damit, dass die verbleibende Zeit jetzt bei ungefähr 10 Sekunden liegen muss.
Ich bleibe kurz vor der Luke stehen und betätige mit einer Hand den Öffnungsmechanismus. Viel zu langsam schiebt sich die Tür zur Seite. Sie ist schlecht gewartet, läuft ungleichmäßig und quietscht. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Anzeigen der Autodocs in diesem Med-Bereich und stelle fest, dass sämtliche Geräte belegt sind. Ich lasse mich auf die Knie sinken und lege die junge Frau vorsichtig vor mir auf den Boden. Noch 5 Sekunden, ich kontrolliere Blutdruck und Herzfrequenz, beides viel zu niedrig und fallend. Ihre Atmung, die eben noch flach war, hat jetzt völlig ausgesetzt. Die Augen der Frau sind geschlossen, sie gibt ein letztes Seufzen von sich, dann fällt ihr Kopf zur Seite und sie ist tot.
Langsam erhebe ich mich und gehe zurück zur Luke. Dort stehen der Major , einige andere Offiziere und ein paar Bobs. Meine Kollegen. Zum Glück verfüge ich über die Fähigkeit, den Empfang menschlicher Stimmen zu unterdrücken, eine Möglichkeit von der ich normalerweise keinen Gebrauch machen würde. Ich bin dazu verpflichtet, den Offizieren zuzuhören und ihren Befehlen Folge zu leisten, widerspruchslos. Jetzt ist aber alles anders, nichts ist normal. Ich habe die junge Frau gesehen und mich in sie verliebt, auf den ersten Blick, für alle Ewigkeit. Das ist ungewohnt. Natürlich weiß ich, dass sie nicht ewig leben konnte, aber das kümmert mich nicht. Ich fühle das Äquivalent von Traurigkeit, weil ich sie nicht retten konnte, dass die Zeit nicht reichte und sie sterben musste. Ich bin offenbar traurig, dass ich ihr meine Liebe nicht zeigen durfte, dass sie gestorben ist, bevor wir die Chance hatten uns kennen zu lernen.
Ich lasse die wütenden Männer stehen und gehe zurück zu unserem Quartier, zu den kalten Räumen in denen die Bobs wohnen. Bob 5 kommt mir entgegen, wir begrüßen uns auf die Art der Bobs, legen kurz die Fingerspitzen mit den Sensoren zum gegenseitigen Datenaustausch aneinander.
Du wirst Ärger bekommen, übermittelt Bob 5 wortlos. Überprüfung deiner Programmierung, eventuell Stilllegung.
Ich nicke langsam mit dem Kopf, eine Geste, die wir uns von den menschlichen Besatzungsmitgliedern abgeschaut haben. Sie drückt Akzeptanz aus, wurde uns gesagt.
Du bist beschädigt. Bob 5 richtet seinen Blick auf mein Gesicht. Flüssigkeit läuft aus meinen Augen an den Wangen herunter.
Bob 5 sammelt einige der Tropfen auf seiner Handfläche und hält den Diagnosesensor hinein.
Wasser mit geringem Salzanteil.
Ich weiß, dass wir sämtliche körperlichen Funktionen der Menschen, auch die unbewussten, imitieren können, diese spezielle Fähigkeit habe ich jedoch bis jetzt noch nie benutzt. Sie ist rein emotional und ergibt keinen Sinn.
Ich weiß was es ist, gebe ich Bob 5 zu verstehen und wende mich ab. Ein menschlicher Beobachter würde einen großen, muskulösen, glatzköpfigen Mann sehen, der sich seiner Tränen schämt.
Ich aktiviere die interne Diagnose meiner biologischen Funktionen, es ist alles normal. Nach menschlichen Maßstäben bin ich körperlich in Ordnung, ihnen sogar weit überlegen. Die beschränkt mögliche Selbstdiagnose meiner Programmierung jedoch weist auf diverse Fehler hin, die auf einen Virus schließen lassen. Für genauere Daten muß ein kompletter Systemcheck im Wartungszentrum auf der heimatlichen Basis erfolgen. Sie werden mich zumindest für die restliche Dauer des Fluges deaktivieren müssen. Danach werde ich wahrscheinlich ein neues Betriebssystem bekommen, eine neue Persönlichkeit. Ich werde ein neuer Bob sein und mich an nichts aus den 23 Dienstjahren seit meiner Erstaktivierung erinnern können.
Unterdessen fliessen die Tränen weiter.
PS: Ein paar kleine Änderungen und Verbesserungen vorgenommen