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Serie Chaconne

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Beitritt
19.05.2015
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Anmerkungen zum Text

Unter den Quellenangaben findet ihr eine Interpretation des Stückes, über das ich schreibe.
Der Text ist ein Nachzügler der Serie des letzten Jahres und erzählt von den One-to-One-Konzerten, die es während des Lockdowns im letzten Jahr gab.

Chaconne

Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern, Drachen, Dämonen, Engelszungen, die den Himmel bevölkern wie eine eigene Welt. Inmitten der Türme steht der Kaiserdom, ein Versprechen aus einer anderen Zeit. Amelie läuft gemächliches Tempo, atmet, spürt die Muskeln, wärmt sie. Wenn ihr jemand entgegenkommt, weicht sie aus. Vom Fluss weht der Geruch von Algen und Diesel zu ihr.

Heißes Wasser rinnt über ihren Körper. Die Tropfen perlen. Sie trocknet sich ab, hüllt sich in weiches Frottee. Amelie hasst die Pusteln auf ihrem Gesicht, gibt der Maske, der abgestandenen Luft ihrer Dachgeschosswohnung ebenso die Schuld wie den Gedanken an die Seuche, die wie ein Sack Steine auf dem Rücken lasten, ob sie will oder nicht. Sie trägt Concealer auf. Ein Auftritt ist ein Auftritt ist ein Auftritt, die Künstlerin eine Rose. Die Musik wird schweben, hin und her, her und hin, ein Blumenstrauß, dessen Duft sich im Raum ausbreitet. Sie cremt die Hände ein, massiert die Finger, klappt die Kuppen ein, wieder aus, prüft die Gelenkigkeit, schließt die Augen, stellt sich das Tempo vor, die Stärke des auszuübenden Drucks im Lauf des Stücks, die totale Spannung während des Musizierens.

***

Der Drehverschluss hat sich verhakt, sitzt schräg. Karl muss Gewalt anwenden, reißt die Kappe von der Flasche und wirft sie weg. Sie glitscht über das Parkett, gibt Quietsch- und Knarztöne von sich und landet in der Ecke. Der Whiskey schmeckt scharf, nach Benzin, nach Lagerfeuer und Seetang. Er beugt sich zurück, setzt an, nimmt kräftige Schlucke. Stoff fürs Leben, Stoff, ohne den er nicht auskommt.

Karl öffnet den Kleiderschrank, prüft, welche Hemden zu der dunkelblauen Chino passen. Wenn du zu einem Konzert gehst, ziehst du dich anständig an, keine Jeans, kein T-Shirt - Hose, Hemd, Sakko, Lederschuhe, hört er die Säuselstimme seiner Mutter. Er lächelt, denkt an die Frau Doktor, die Smaragdaugen, mit denen sie ihn als Kind regierte. Wohin auch immer sie ging, er folgte ihr. Sie besaß ein Opern-Abonnement, lauschte der Musik inbrünstig, putzte die Schallplatten, bevor sie sich auf dem Teller drehten.

Karl nimmt ein Tuch und poliert die Budapester, bis sie glänzen. Verhüllt wie ein Astronaut hat er auf ihren erstickten Körper geschaut. Ihrem Blick begegnet er nur noch in den Träumen, fragt sich, was sie bei Bach und Beethoven, bei Mozart und Mussorgsky, bei Rachmaninoff und Ravel gesucht habe.

Er greift zum Smartphone, prüft die Mails: keine neuen Nachrichten, das Konzert nicht abgesagt, keine einzige Info darüber, was gespielt wird, wer musiziert. Stattdessen Regeln: pünktlich am vereinbarten Treffpunkt erscheinen, schweigen, der Musikerin in die Augen schauen, hinsetzen, zuhören, spenden, gehen.
„Klar, Karl, klar, du besuchst ein klassisches Konzert mit Orchester und Publikum, träum doch weiter.“ „Nee, nur für mich.“ „Na dann.“

***

Amelie kaut Gemüsestückchen, Salatblätter sorgfältig, tankt Energie. Alles spielt mit allem zusammen. So viel Zeit ist vergangen, so viel Angst hat sich ausgebreitet. Wie es anfing, darf es nicht enden. Weil sie sich fürchtete, hielt sie sich fern von Menschen, achtete auf Abstand, sagte den Freunden, sie könne sie nicht mehr sehen, nicht mit Maske, nicht per Videochat. Das Schicksal hatte es bestimmt. Kunst braucht Einsamkeit, hasst Ablenkung. Die Isolation sorgte dafür, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig war, das Innenleben, die Musik, totale Hingabe. Sie schloss die Wohnung ab, was sie brauchte, ließ sie sich liefern. Eine gute Zeit, um mit der Musik zu leben, nichts brauchte sie mehr. Bis die Alpträume kamen, die Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Musik braucht Raum, um sich auszubreiten, deshalb das Konzert, deshalb das Ende der Gefangenschaft.

Kostbar, so kostbar auf echte Menschen zu treffen, die Schwingungen zu spüren, die von einem lebendigen Geist ausgehen. Wer ihrem Musizieren zuhört, spielt keine Rolle, Mann, Frau, Divers, aber aus Fleisch und Blut, kein durch den Äther gejagter Impuls, die Illusion von Wirklichkeit in der Isolation. Dann werden die Töne nicht im Nirgendwo verhallen.

***

Der Wagen riecht nach Lavendel. Karl hat den Schmutz der letzten Jahre doppelt und dreifach weggeputzt, Leder und Plastik geschrubbt, zum Glänzen gebracht, Zigarettenkippen gefunden, die seit Jahren im Fond verrotten. Zur Sicherheit nimmt er eine Flasche Single Malt mit. Er verstaut sie im Netz hinter dem Rücksitz. Wenig Verkehr auf der vierspurigen Autobahn. In zwanzig Minuten erreicht er den Flughafen und kann sich den Parkplatz aussuchen. Er läuft die Gänge entlang, hört den eigenen Schritten zu, dem Echo, das von der Decke abprallt. Auf der Anzeigetafel werden ein paar Flüge angezeigt, keiner, der bald startet, London, Moskau, Madrid, Rom, Brüssel, kein einziger in die USA. Kurz bevor die Seuche die Macht ergriffen hat, war er in Las Vegas. Er erinnert sich an das grelle Lichtermeer, bizarre Hotelfassaden, als könnte man die Welt en miniature in einem Wüstenort abbilden, riecht das Weed, das durch die Straßen wabert, hört die Sounds der Automatenspiele und sieht die Leute mit Abenteuerblick vor sich. In Nevada werden Hitzerekorde aufgestellt, 54 Grad im Death Valley, 43 in Las Vegas, Ofentemperaturen, als wolle die Natur auch damit etwas beweisen. Die Kontinente driften auseinander, unendlich fern, schwer erreichbar wie vor Jahrhunderten. Normalerweise müssten hier Menschen in kurzen Hosen stehen, welche mit Plakaten in der Hand, Großmütter, Großväter, kleine Kinder mit Pausbacken, die in der Ankunftshalle auf einen Familienangehörigen warten, der von irgendwoher nach langer Zeit zurückkommt, von Atlantis vielleicht. Karl bleibt stehen, prüft die Wegbeschreibung auf dem Smartphone: Treffpunkt Terminal 1, Halle 3. Er schließt für einen Moment die Augen, sieht seine Mutter vor sich, eine zierliche Frau, jungenhaft, keine Schönheit, harte Züge, die sich in den Mundwinkeln festsetzen, schmale Lippen, geschmeidiger Gang, katzenhaft.

Als er den Treffpunkt erreicht, sieht er ein Absperrband, zwei übereinander gestapelte Europaletten, von einem Tuch bedeckt, eine Behelfsbühne, davor ein Schild mit dem Logo, das er aus dem Internet kennt, 1:1 in Serifenschrift. Auf der Bühne steht eine Erscheinung, die hier nicht hergehört, eine Frau im Abendkleid. Sie presst die Geige an den Hals, spielt ein paar krächzende Töne und dreht an den Wirbeln.

Ein athletischer Kerl mit schwarzer Maske, der wie ein Bodyguard aussieht, entdeckt Karl, kommt auf ihn zu, stellt sich als Mark vor, erklärt die Regeln, betont, dass die Spende nicht als Bezahlung oder als Almosen gedacht ist, sondern der Solidargemeinschaft zugutekommt, all den MusikerInnen in Not, denen das Publikum fehlt.

***

Amelie ruft sich das Notenbild in Erinnerung, den Weg, den sie sich durch die Takte bahnen wird. Bachs Chaconne ist ein Berg aus Trauer und Wut in 256 Takten, vier bilden das Fundament. Doppelgriffe, zerbrechende Akkorde, eine pausenlose Hatz über die Saiten, die nie zu enden scheint, Variation der Variation der Variation. Die Grundstimme, ein schroffer Basston, schwingt auf und ab, wie das ganze Stück, bis zur Erschöpfung, ein Sinnbild für das, was gerade passiert, für eine Ausnahmesituation wie sie der Komponist selbst erlebt hat, als er das Stück schrieb, für das, was auf Bach einstürzte, als er nach monatelanger Abwesenheit zu Hause ankam und erfuhr, dass seine Frau gestorben war. Für sie hat er die Chaconne geschrieben.

Amelie nimmt das Instrument aus dem Kasten, presst die Violine an den Hals, spielt die Takte des Hauptthemas, setzt ab. Danach fühlt sie sich bereit, legt die Geige in den Koffer und schließt die Klappe.

Das Business-Parkhaus am Terminal ist verödet. Von der Verwaltung hat sie ein Zugangs-Ticket erhalten. Statt Bentleys, Ferraris, SUVs steht ein einsames Fahrzeug auf dem Parkdeck, ein Cinquecento mit derart verblichenem Lack, dass die Farbe nicht mehr erkennbar ist. Sie stellt die C-Klasse daneben, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat, steigt aus, geht los, schaut auf die Uhr: eine Stunde bis zum Auftritt.

Als sie in der Halle ankommt, ruft Mark an. Auf seiner Visitenkarte steht „Agentur für die besonderen musikalischen Momente. Vermittlungen weltweit. Ausgesuchte Künstler.“ Er hat rehbraune Augen, sehr smart.

„Alles vorbereitet. Dein Kunde ist noch nicht da.“ „Kunde“, wiederholt sie den Ausdruck und lacht. „Bin gleich da.“ Sie stülpt sich die Maske über, rückt sie zurecht. An einem einsamen Schalter sitzt eine uniformierte Frau und schaut ihr hinterher. Schwarze Masken sehen festlicher aus.
Auf der Glasfassade des Terminals spiegelt sich ihre Silhouette, die schmale Frau, das enge Paillettenkleid, das hier nicht hin passt.

Am Konzertort zeigt Marc ihr, was er hinter der Absperrung aufgebaut hat, das kleine Podest, den Notenständer. Sie besteigt die Bühne, öffnet den Kasten, entnimmt die Geige, keine Stradivari, kein historisches Instrument, das Mäzenen gehört, die den Wert steigern, indem sie es verleihen. Amelie berührt den Korpus, fährt über die Maserung des Holzes, erinnert sich an den Spaziergang mit der Geigenbauerin durch slowenische Wälder, an die fließenden Bewegungen Marias, die alle Möglichkeiten der Zeit nutzte, Software, Resonanzmessungen, um etwas Perfektes zu bauen, exakt abgestimmt auf die Art, wie Amelie spielt, wie viel Vibrato sie ansetzt, welchen Druck sie auf die Saiten ausübt. Als Amelie ihre Violine zum ersten Mal spielte, fühlte es sich wie eine Hochzeit an, auf Ewigkeit angelegt. Sie ergreift den Hals, prüft den Klang, dreht an den Wirbeln, um den Klang an die Umgebung anzupassen.

***

Die Frau im schwarzen Abendkleid winkt Karl zu sich, eine Geste wie ein Dirigent. Er bemerkt die feinen Hände, die rotlackierten Fingernägel, geht ihr entgegen und nimmt auf dem Stuhl vor der Bühne Platz. Ihre Pupillen weisen winzigen Einsprengsel auf gelbe Punkte. Sie streift die Maske ab. Wer Augenkontakt erträgt, kann bis zur Seele blicken. Ihre Stimme ist tief und melodisch, als würde sie rauchen: „Ich spiele die Chaconne von Bach. Viel Vergnügen“, sagt sie wider die Regeln. Dann nickt sie ihm zu. Die Gesichtszüge entspannen sich, die Verbindung steht. Neben ihrem linken Ohr hat sie ein Muttermal, auf den Backen Sommersprossen, rötliche Flecken breiten sich auf der makellos weißen Haut aus. Die Chaconne: sie hat das Wort auf eine Art betont, als wäre es etwas Heiliges. Wahrscheinlich hat sie den Namen des Stücks genannt.

Was ihn umgibt, Strömungen, Weltengemurmel, Blitzlichter des täglichen Lebens, verschwindet nach und nach in der Musik. Momente reihen sich aneinander, Töne drängen sich ihm entgegen, erzählen etwas, das er nicht festhalten kann, Konkretes unkonkret, Klares, ungeklärt. Was er hört, zwingt ihn vorwärts, weiter, weiter. Mag sein, dass er sein Leben ändern muss, aber Verweilen ist nicht erlaubt, Szenen reihen sich wie eine Diashow, der er nicht greifen kann, vom Rhythmus getrieben. Zeit spielt keine Rolle mehr.

Ein Fluss, eine gesperrte Brücke, von Soldaten bewacht. Auf der anderen Seite wartet jemand. Reißende Strömung, schwimmen unmöglich, aber wer kann schon schwimmen. Irgendwo weit entfernt eine freie Brücke, nur für Fußgänger. Autofahren ist verboten. Die andere Seite muss erreicht werden. Ein Vogel fliegt herbei, singt Vogellieder. Flieg über den Fluss, flieg, es ist ganz leicht. Die Arme ausbreiten, flattern, sich vom Wind treiben lassen. Menschen können nicht fliegen. Wer sagt das? Jeder kann fliegen. Der Vogel, ein Adler, ein Uhu, eine Meise, verschwindet. Jetzt gilt es; aufstehen, flattern, fliegen. Die Lüfte nähern sich.

***

Amelie schließt die Augen für einen Moment, sammelt sich und beginnt. Der dunkle Ton des Grundthemas stimmt auf das ein, was folgt, sendet einen Schauer durch Amelie, wärmt sie. Ihre Finger, der Arm, der den Bogen hält, bewegen sich losgelöst, jagen, verharren, gleiten, trillern. Die Chaconne führt ein Eigenleben, schwebt durch die Luft, spricht, jeder Takt ein Wort, ein Satz, eine Welt. Amelie wird zum Vehikel, zu einem Wesen, das mit seinem Gesang Botschaften versendet, für die das Hirn keinen Verstand braucht. Was sie spielt, erzählt von der Kraft des Lebens, dass aus jedem Moment ein neuer entspringt, dass der Prozess nie endet, wieder und wieder von vorne anfängt und dass derjenige, der das versteht, das Gewirr der Zeitläufte deuten kann.

Sobald die Variationen einsetzen, schlägt und streichelt und schwingt die Musik aus sich selbst heraus, sendet Botschaften aus, bringt Wesen hervor, die sich an der Luft materialisieren, jauchzen und lachen, weinen, schreien. Je länger sie spielt, desto mehr vergisst sie, wo sie sich befindet, wird Teil der Erzählungen, der Träume, die aus den Tönen hervordringen, der Welt, die darin steckt: Wolken, die sich von Augenblick zu Augenblick verformen, zu Einhörnern, Drachen, anderen Fabelgestalten werden; Gesichter, Riesenaugen mit glühenden Blicken; Häuser, die zum Himmel ragen, Berge mit bizarr geformten Gipfeln. Ein heimliches Glück durchdringt sie bis in die fernsten Ritzen ihres Körpers. Sie beginnt zu tanzen, schneller, schneller, schneller.

Ein Seufzer bricht aus ihr heraus, als sie das Grundthema anstimmt, mit dem die Chaconne begonnen hat. Sie treibt dem Finale entgegen, das alles verändert, die ganze Welt. Erst jetzt atmet sie wieder bewusst, presst Luft in die Lungen, als wäre sie sehr lange weg gewesen, braucht eine Weile, wartet, bis die letzten Töne in die Ritzen und Fugen der Wände gedrungen sind. Sie fühlt sich wie beim Erwachen nach einer langen Nacht, wenn sie die Umgebung in Umrissen, in einem merkwürdigen Nebel wahrnimmt und lange braucht, bis sie weiß, wo sie sich befindet, in welcher Welt.

Als sie sich umblickt, erinnert sie sich, dass jemand ihre Träume belauscht hat. Vielleicht hat sie nie besser Geige gespielt, nie. Obwohl sie in der Halle des Terminals steht, die Decke wenigstens zehn Meter über ihr liegt, obwohl der Tag noch nicht zur Neige gegangen ist, glaubt sie, Wolken zu erkennen, ganz nah, als wollten sie ihr eine Botschaft senden.

***

Es dauert lange, bis das Thema der ersten Takte wieder erklingt, ein einfacher Basston, der den Triumph des Lebens feiert. Erst als der letzte Rest der Musik von den Ohren zum Hirn gewandert ist, öffnet Karl die Augen, sieht, dass die Musikerin den Bogen absetzt, mit dem Instrument einen Halbkreis beschreibt, die Geige vom Hals nimmt. Ihre Augen richten sich ins Weite, dann treffen sich die Blicke von Amelie und Karl, verharren einige Augenblicke ineinander. Er weiß jetzt, was seine Mutter in der Musik gesucht und gefunden hat. Also verbeugt er sich tief, geht ein paar Schritte auf Amelie zu, bemerkt, dass sich ihr Brustkorb hebt und senkt, zieht die Maske vom Gesicht, schleudert sie auf den Boden, dreht sich um und geht.

***

Auf dem Weg zurück in die Stadt erblickt Amelie die Silhouette der Stadt. Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern, Drachen, Dämonen, Engelszungen, die den Himmel bevölkern wie eine eigene Welt.

***

Karl setzt sich ins Auto, zieht die Flasche aus dem Netz. Der Drehverschluss hat sich verhakt, sitzt schräg. Karl muss Gewalt anwenden, reißt die Kappe von der Flasche und wirft sie weg. Der Whiskey schmeckt scharf, nach Benzin, nach Lagerfeuer und Seetang. Er beugt sich zurück, setzt an, nimmt kräftige Schlucke, bevor er den Motor startet, fährt los und wirft die Flasche aus dem Fenster, hört noch, wie sie zerspringt.

***

Auf dem Weg zurück in die Stadt erblickt Karl die Silhouette der Stadt. Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern, Drachen, Dämonen, Engelszungen, die den Himmel bevölkern wie eine eigene Welt.

 

Hallo liebe Isegrims,

schöne Formulierungen, durch die man durch die Szenen geleitet wird wie in einem guten Film, machen das Lesen angenehm.
Auch, dass sich die Regeln und der Ort dieses Konzertes erst nach und nach erschließen, mag ich gerne.

Kleiner Tippfehler:

, hüllt sich in welches Frottee.
' ... weiches Frottee.'
Alles spielt mit allem zusammen. So viel Zeit ist vergangen, so viel Angst hat sich ausgebreitet. Wie es anfing, darf es nicht enden. Weil sie sich fürchtete, hielt sie sich fern von Menschen, achtete auf Abstand, sagte den Freunden, sie könne sie nicht mehr sehen, nicht mit Maske, nicht per Videochat. Das Schicksal hatte es bestimmt. Kunst braucht Einsamkeit, hasst Ablenkung. Die Isolation sorgte dafür, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig war, das Innenleben, die Musik, totale Hingabe. Sie schloss die Wohnung ab, was sie brauchte, ließ sie sich liefern. Eine gute Zeit, um mit der Musik zu leben, nichts brauchte sie mehr. Bis die Alpträume kamen, die Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Musik braucht Raum, um sich auszubreiten, deshalb das Konzert, deshalb das Ende der Gefangenschaft.
Die hier durch die Pandemie entstandene Entwicklung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Welche ( seuchenbedingte) Angst kann dazu führen, selbst Videochats zu vermeiden? Und wodurch verwandelte sich die kunstfördernde Isolation in Albträume? Dazu hätte ich gerne noch mehr erfahren.
Obwohl sie in der Halle des Terminals steht, die Decke wenigstens zehn Meter über ihr liegt, obwohl der Tag noch nicht zur Neige gegangen ist, glaubt sie, die Sterne zu erkennen, ganz nah, als wollten sie ihr eine Botschaft senden.
Dieser Sternenbezug kommt sehr unvermittelt und klingt irgendwie etwas 'gewollt' für mich. So, als sollte hier ein Bild um des Bildes willen und nicht für die Geschichte entstehen.

Interessant und irgendwie rhythmisch - daher passend zum Thema - finde ich die Wiederholungen, die deinen Text umschließen (Wolken über der Skyline / öffnen der Whiskyflasche).

War schön zu lesen :-).
Sonnige Grüße
Eva

 

Hallo Isegrims,

Es hat mir sehr gefallen, wie in deiner Geschichte Form und Handlung zusammenarbeiten. Interessant fand ich auch den sprachlichen Unterschied zwischen den Perspektiven von Amelie und Karl. Vielleicht würde ich den noch weiter ausarbeiten.

Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern, Drachen, Dämonen, Engelszungen, die den Himmel bevölkern wie eine eigene Welt.
Das ist ein schön pompöser Anfang, der mich an Fantasy denken lässt.
Ich frage mich, warum zum Schluss sowohl Karl als auch Amelie die Wesen sehen können. Steht das für ihre Verbundenheit, oder hat deine Erzählung ein apokalyptisches Ende? Vielleicht hat Amelie nicht ihre Kreativität mit der Geige entfaltet, sondern Aliens und Dämonen gechannelt.

eineinfacher Basston
ein einfacher Basston :)

Obwohl sie in der Halle des Terminals steht, die Decke wenigstens zehn Meter über ihr liegt, obwohl der Tag noch nicht zur Neige gegangen ist, glaubt sie, die Sterne zu erkennen, ganz nah, als wollten sie ihr eine Botschaft senden.
Da muss ich mich Eva anschließen. Eine Anspielung auf Wolken fände ich beispielsweise logischer für die Figur.

Insgesamt hat mir die Geschichte viel Spaß bereitet.

 

Hallo @Eva Luise Groh

schön von dir zu lesen, ich glaube, du warst einige Zeit nicht hier auf dem Forum aktiv.

schöne Formulierungen, durch die man durch die Szenen geleitet wird wie in einem guten Film, machen das Lesen angenehm.
Auch, dass sich die Regeln und der Ort dieses Konzertes erst nach und nach erschließen, mag ich gerne.
fein, das Konzept funktioniert.
Der Text ist ein bisschen ein Experiment. Mir ging es darum, dass die Chaconne, ihr Rhythmus, die Struktur der Musik, sich im Text wiederfindet.
Die hier durch die Pandemie entstandene Entwicklung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Welche ( seuchenbedingte) Angst kann dazu führen, selbst Videochats zu vermeiden? Und wodurch verwandelte sich die kunstfördernde Isolation in Albträume?
ja, da habe ich noch Keine Antwort, sicher könnte ich die Einsamkeit mit weiteren Bildern zeigen, muss ich drüber nachdenken, wie ich das gestalte.
Dieser Sternenbezug kommt sehr unvermittelt und klingt irgendwie etwas 'gewollt' für mich. So, als sollte hier ein Bild um des Bildes willen und nicht für die Geschichte entstehen.
In der Fantasie ist alles erlaubt, oder? Aber ja, ist vielleicht etwas süßlich, zu sehr Poesie.
Interessant und irgendwie rhythmisch - daher passend zum Thema - finde ich die Wiederholungen, die deinen Text umschließen (Wolken über der Skyline / öffnen der Whiskyflasche)
Was sich auch in dem Stück findet. Wenn das auch im Text funktioniert, umso besser: eine wichtige Erkenntnis auch für künftige Geschichten.

Viele Grüße aus dem sternlosen Nachmittag
Isegrims

 

Hallo @alexei

freut mich, dass du vorbeischaust, dich mit dem Text beschäftigst und ihn genießt.

Es hat mir sehr gefallen, wie in deiner Geschichte Form und Handlung zusammenarbeiten. Interessant fand ich auch den sprachlichen Unterschied zwischen den Perspektiven von Amelie und Karl. Vielleicht würde ich den noch weiter ausarbeiten.
wenn der Unterschied der Perspektiven deutlich wird, habe ich schon ein Ziel erreicht. Form, Handlung und Musik sollten zusammenspielen, so mein Plan, gut, dass das bei dir klappt.
Das ist ein schön pompöser Anfang, der mich an Fantasy denken lässt.
Ich frage mich, warum zum Schluss sowohl Karl als auch Amelie die Wesen sehen können. Steht das für ihre Verbundenheit, oder hat deine Erzählung ein apokalyptisches Ende? Vielleicht hat Amelie nicht ihre Kreativität mit der Geige entfaltet, sondern Aliens und Dämonen gechannelt.
für was auch immer das steht: ich lese es als eine Verbindung der beiden durch die Musik. Und mit der Musik ruft man eben auch Dämonen hervor.
Da muss ich mich Eva anschließen. Eine Anspielung auf Wolken fände ich beispielsweise logischer für die Figur.
habe ich geändert.

Vielen Dank und viele Grüße
Isegrims

 

Hallo @Lupius Mohnschein

eine schöne Geschichte über das Leben im Lockdown und menschliche Nähe.
freut mich, dass dir die Geschichte etwas gibt.
Mir sind manchmal diese langen, relativ abgehakten Beschreibungen negativ aufgefallen. Ich verstehe schon, dass beide Figuren aufgeregt sind, dass deshalb die Eindrücke auf sie hereinprasseln.
Klar, aneinandergereihte Beschreibungen fordern LeserInnen. Trotzdem will ich zeigen, wie die beiden denken, eben asymmetrisch, sprunghaft; Form und Inhalt sollen sich fügen. So denke ich mir das.
Ansonsten sehr schöne Beschreibungen, ich mag auch, wie du die beiden Hauptcharaktere abwechselnd sprechen lässt.
fein, dass die Struktur mit den beiden Charakteren funktioniert.
Wiederholung :)
ein Auftritt ist ein Auftritt ist ein Auftritt: habe ich bewusst gedoppelt: als (verstecktes) Zitat auf: A Rose is A Rose is A Rose von Gertrude Stein.

viele Grüße aus dem Taunus
Isegrims

 

Hallo @Isegrims :-)

Ich schreibe dir einfach meinen Eindruck von deiner Geschichte!
Geschmackssachen, sofern sie vom restlichen Eindruck zu trennen sind, habe ich in blauer Schrift gehalten.

Der Mensch in der Welt (oh', welche hohes Wort ich sprach, haha)

In der Welt deiner Geschichte sind die Menschen der Welt ausgesetzt. Die Menschen leben unter einem Himmel von Dämonen und Engelszungen (keine Unterwelt, kein Rückzug ins Psychische, nein, den Himmel bevölkern sie). Eine Skyline wird aus der Ferne gesehen, die Aktivitäten von Menschen werden ins Nichts reduziert, Skyline ist statisch, man hat sie zu akzeptieren. Die Bewegungen des riesigen Himmels kann ein kleiner Mensch nicht kontrollieren, er muss sie ebenso akzeptieren. Den meteorologischen Geschehnissen am Himmels ist der Mensch ausgeliefert. Ähnlich den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie ... auch hier können deine Protagonisten nur reagieren, nicht kontrollieren, das Verständnis ihrer Gesetzmäßigkeiten nie erlernt oder zu komplex, die Welt wird rätselhaft. Irgendwo taucht da eine vage Spur Schicksal auf. Obwohl ...

Exkurs!

Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern,

Text ist im Präsens -> Der Satz befindet sich zum Zeitpunkt t=0
Der nächste Moment ist definiert als: M_t+1 = t+1
Jeder nächste Moment bedeutet: Es gibt eine beliebige Anzahl an Momenten, die als nächstes folgen können.
Was mich vollkommen umgehauen hat. Es gibt nicht beliebige Formen, die folgen, sondern Momente.
Also auch beliebige Zukunftsformen. Plusquamfutur. Perfektfutur. Präperfektfutur II.
Ich denke, mit solchen Sätzen öffnest du diese Innenseite der Universumsmembran.
Jetzt dreht es sich in meinem Kopf.
Exkurs Ende.

Ich kann mir eine sehr gute, alternative Kulissen für deine Geschichte vorstellen: Der Naumburger Dom. Meißen. Prag. Kyoto. Florenz. Timbuktu. Münster. Cuzco. Eine Stadt mit kulturell reicher Geschichte, die jedoch in ihrer ökonomischen Macht von anderen überholt wurde.

Der sozioökonomische Status

Was ich an Deinen Texten zu schätzen gelernt habe, ist der dezidierte Gestus Deiner Welt: Die Menschen trinken Wein, hören Bach, schätzen sicher Klassikradio, mögen die fein geschliffenen Kanten ihrer Glastische und suchen nach qualitativ hochwertigen Konzepten zum Gestalten ihrer Innenräume. Schlichtes Design aus ausgesuchten Materialien, ein Luxus, der nicht nach Luxus ausschaut - da kostet eben der Holzblock 250 Euro und dient als Accessoire der Bekräftigung eigener finanziellen Macht: "Ich habe was erreicht im Leben". Wenn man diese finanzielle Macht erreicht hat. Dann bleibt eben nur das "Laben" am Kultiviertheitsstil. Brotlose Kunst also, wie bei Amélie, die aber die Macht besitzt, Wirkung zu entfalten (die C-Klasse von der Großmutter, das würde ich streichen. Die meisten Menschen in hohem Alter erleben noch die Abgabe des Führerscheins und ein, zwei Jahrzehnte ohne Auto. Vielleicht eher vom Vater geschenkt?).

Als ich angefangen habe, deine Texte zu lesen, fühlte ich mich wie ein Zoobesucher, da mir diese Welt am ehesten in Derrick-Wiederholungen im Nachtfernsehen begegnet ist. Ich hatte da immer ein bisschen Spott auf den Lippen, jetzt sehe ich das anders, ich lese hier die Welt, wie sie mir Isegrims bietet, und ich mag sie! Ja, ich mag sie wirklich! Aber das satirische Potential bleibt (hätte in diesem Sinne Lust, eine deiner Geschichten mal copyzuwriten).

Rein subjektiv sind mir manchmal die Hinweise auf Träume, Triumph der Musik, etwas too much. Da bin ich mir unsicher, ob eine Tiefe suggeriert wird, die gar nicht da ist. Aber, hey, wenn's anderen gefällt, dann gefällt es anderen, alles gut!

Die Geschehnisse und die Charaktere

Dein Text folgt einem tête-à-tête zwischen Karl und Amélie. Ihre Gemeinsamkeit spielt sich auf einer abstrakten Ebene ab: Karl scheint etwas von ihrem Violinenspiel zu brauchen, eine Art Bewältigung seiner Konflikte? Amélie wiederum braucht das Konzert aus finanziellen Gründen (?). Gut finde ich ihre Reaktion auf "Kunde". Hier ändert sich was, ein neues, pragmatisches Verständis zum Gebrauchswert ihrer Kunst (?). Generell bleibt aber vieles in der Beziehung zwischen Amélie und Karl undeutlich (besteht erotisches Interesse?), auch die Emotionen Amélies auf diese spezielle Konzertform kann ich mir nur indirekt interpretieren. Ist es demütigend für sie? Sie scheint sich in die Kunst zu flüchten ob ihrer desolaten finanziellen(?) und psychischen(?) Lage und diese Flucht perfektioniert zu haben. Ich frage mich, wie empathisch Amélie ist - weiß sie, welches Stück sie für Karl zu spielen hat oder besser, kann sie das einschätzen? Bestand schon vorher Kontakt? Uff, schwierige Fragen!

Es scheint, dass Karl in einem Flughafenterminal Amélie für ein exklusives Privatkonzert gebucht hat (stimmt das?). Du schilderst die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Charaktere. Dabei legst du den Schwerpunkt auf die Reaktion Amélies. Sie isoliert sich und sucht in der Kunst einen Ausweg, mit dem Lockdown umzugehen. Anders bei Karl. Er scheint in seinen Reiseaktivitäten eingeschränkt zu sein, aber nicht Covid-19, sondern seine Isolation, unbewältigte psychische Konflikte und vielleicht auch der Eindruck, in dieser Welt verloren zu sein, treiben ihn zu diesem Konzert (bin mir aber unsicher!). Ein Individuum, mehr nicht. Du schreibst, er sei verhüllt wie ein Astronaut - ist sein Aussehen, seine Kleidungswahl, nur eine Schutzhülle? Ein Astronaut braucht seinen Anzug, er überlebt nicht im lutfleeren Raum.

Mein Lieblingscharakter ist aber der Mark. Mark macht seinen Job. Ich mag den Mark, der pragmatisch reagiert, der sich nicht zurückzieht oder mit Whiskey auf Autobahnfahrten frühkindliche Konflikte betäubt. Mark ist da, Mark sagt, was passiert. Aber klar, nur eine Nebenfigur.

Stellensuche

Sie trägt Concealer auf, um perfekt auszusehen.
Brauchst nicht begründen, du charakterisierst sie präzise.

Exkurs: Ich bin generell kein Freund vom "um". Aber das ist subjektiv. Das Schriftbild des "um"s entsprich einer Kuh auf der Weide. "um um um um", hier trotten die Kühe in Reihe zum Futtertrog. Stärker als das Schriftbild stört mich aber die Phonation: "um" haut in jeden Satz eine tiefe Mulde in die Satzmelodie. Das ist nicht einfach eine kausale Konjunktion, das ist ein Nebensatz, der über den Hauptsatz hinausreichen will. Aber okay, jetzt spinne ich ein bisschen. Muss' auch mal sein. Entschuldige!

Amelie kaut den Salat, die Gemüsestückchen sorgfältig, tankt Energie.
Hm, hm, "kauen" und "tanken" in einem Satz für Amélie ... vielleicht etwas "feinmotorischeres"?

Generell: Amélie vielleicht mit Akzent schreiben? Amelie ist das angeborene Fehlen mehrer Gliedmaßen :-(

Zigarettenkippen gefunden, die seit Jahren im Fond modern
Modern, ja, hier eher im Sinne von Alter, Dunkelheit, versteckt ... hm ja, ich verbinde mit "modern" immer mit organischem Material.
als könne man die Welt en miniature in einem Wüstenort abbilden,
Schwierig, weil du Welt schon mit Dämonen assoziierst und Las Vegas eine perfekte Welt vorspiegelt: Chlorfrei gebleichtes Wasser, staublos, sauber, ordentlich, ein Venedig, das nicht stinkt sondern eines, in dem Goldfische zwischen Gondeln Paarunstänze veranstalten ...
54 Grad im Death Valley, 45 in Las Vegas, Ofentemperaturen,
Ich weiß, was du beschreiben möchtest, aber ich kann mir diese Steilvorlage nicht verkneifen: Bei 45 Grad wasche ich meine Buntwäsche!
Der Wagen riecht nach Lavendel.
Hätte hier eher ein "Moschus" erwartet, nicht Lavendel, etwas maskulineres.
Ein athletischer Kerl mit schwarzer Maske, der wie ein Bodyguard aussieht, entdeckt Karl, kommt auf ihn zu, stellt sich als Mark vor, erklärt die Regeln, betont, dass die Spende nicht als Bezahlung oder als Almosen gedacht ist, sondern der Solidargemeinschaft zugutekommt, all den MusikerInnen in Not, denen das Publikum fehlt.
Ich liebe ja solche Szenen! Mark, wie gesagt, mein Lieblingscharakter.
„Alles vorbereitet. Dein Kunde ist noch nicht da.“ „Kunde“, wiederholt sie den Ausdruck und lacht. „Bin gleich da.“ Sie stülpt sich die Maske über, rückt sie zurecht. An einem einsamen Schalter sitzt eine uniformierte Frau und schaut ihr hinterher. Schwarze Masken sehen festlicher aus.
Auf der Glasfassade des Terminals spiegelt sich Ihre Silhouette, die schmale Frau, das enge Paillettenkleid, das hier nicht her passt.
Hm hm, vielleicht sollte Amélie in einem Glaskasten spielen.
an die fließenden Bewegungen Marias, die alle Möglichkeiten der Zeit nutzte, Software, Resonanzmessungen, um etwas Perfektes zu bauen, exakt abgestimmt auf die Art, wie Amelie spielt, wie viel Vibrato sie ansetzt, welchen Druck sie auf die Saiten ausübt.
Ich mag dieses mathematische Moment in deiner Story, die Schönheit einer perfekten Korrelation oder eines eleganten Programmcodes ... das verbindet die Dämonen sehr gut mit den Covid-19-Maßnahmen ... dieses ausgesetzt sein einer mathematischen oder mystischen Macht ... hilfe, ich spinne jetzt sehr ...
und gefunden hat.Also verbeugt
Leerstelle!

Das war's!
Lg
kiroly

 

Alles spielt mit allem zusammen. … Weil sie sich fürchtete, hielt sie sich fern von Menschen, achtete auf Abstand, sagte den Freunden, sie könne sie nicht mehr sehen, nicht mit Maske, nicht per Videochat.
...
Sie besteigt die Bühne, öffnet den Kasten, entnimmt die Geige, keine Stradivari, kein historisches Instrument, das Mäzenen gehört, die den Wert steigern, indem sie es verleihen.

Schön der Hinweis, dass Kunst – eigentlich gleich, welcher Art – des Mäzenatentums bedarf, bis sie sich und vor allem ihren Schöpfer „selbst“ ernähren kann. Aber ach,

lieber Ise,

gerät der schöpferische ÜBERschwang (ich nenn’s mal so) ins UnÜBERrsichtliche, dass der „Schöpfer“ die Übersicht verliert, doch der Reihe nach in der Folge des je ersten Autfritts, der mit dem durchgängigen Gezeitenwechsel in temporären Sätzen spielt, wie hier das erste Mal:

Ihrem Blick begegnet er nur noch in den Träumen, fragt sich, was sie bei Bach und Beethoven, bei Mozart und Mussorgsky, bei Rachmaninoff und Ravel gesucht hatte
dabei hätte der Gezeitenwechsel geschickt bereits schon durch indirekte Rede vermieden werden können, etwa der Art

„… fragt sich, was sie bei Bach und Beethoven, bei Mozart und Mussorgsky, bei Rachmaninoff und Ravel gesucht habe.“

...: pünktlich am vereinbarten Treffpunkt erscheinen, schweigen, der MusikerIn in die Augen schauen, hinsetzen, zuhören, spenden, gehen.
Warum an falscher Stelle gendern, wenn sie eh eine „Musikerin“ ist? (Nebenbei zeigt die Passage, welch ein Aufwand die Genderei erfordert, weil vorm „der“ noch ein „dem“ (beides dritte Fälle) stehen müsste.
Aber Verwaltungen sind eh umständlich – als Beispiel wähl ich immer wieder gerne die „Wechselblinkanlage“ die im täglichen Verkehr sich auf fünf Buchstaben beschränkt, "Ampel"

„Klar, Karl, klar, du besuchst ein klassisches Konzert, mit Orchester und Publikum, träum doch weiter.“
erstes Komma weg!,

Ne, nur für mich.“ „Na dann.“
Besser „nee“, weil eine auch schon mal ’ne klingt

Er erinnert sich an das grelle Lichtermeer, bizarre Hotelfassaden, als könne man die Welt en miniature in einem Wüstenort abbilden, riecht das Weed, …
Unser Lieblingsthema bei typischer als-ob(-man-etwas-könnte-was- eher- unwahrscheinlich oder gar unmöglich ist:
Also besser „könnte“ ...

Da wird die Übersicht verloren

Normalerweise müssten hier Menschen in kurzen Hosen, welche mit Plakaten in der Hand, Großmütter, Großväter, kleine Kinder mit Pausbacken, die in der Ankunftshalle auf einen Familienangehörigen warten, der von irgendwoher nach langer Zeit zurückkommt, von Atlantis vielleicht.
Wie’s da steht, gehts um die Notdurft … Versuch’s mal mit „in kurzen Hosen stehen/sein“.

Hier fehlts ein bisschen harmloser

Bachs Chaconne ist ein Berg aus Trauer und Wut, besteht 256 Takten, vier bilden das Fundament.
„…, in 256 Takten“ oder „bestehend aus ...)

Auf der Glasfassade des Terminals spiegelt sich Ihre Silhouette, die schmale Frau, das enge Paillettenkleid, das hier nicht her passt.
Warum hier die Höflichkeitsform?, und statt „her“ besser „hin“passt

Ihre Pupillen weisen winzigen Einsprengsel auf gelbe Punkte.
„winzige“ und evtl. „aufweisen“ statt ohne Präfix … Mein Vorschlag, wie ich es halt versteh „Ihre Pupillen weisen winzige Einsprengsel auf aus gelben Punkten.“

Der Whiskey schmeckt scharf, nach Benzin, nach Lagerfeuer und Seetang.
Erstes Komma weg!

So - jetzt muss ich erst mal Kagel oder Cage hören. Aber nee, Bach ist mit den zwo anderen Bs immer noch die Krönung!

Schönen Restsonntag wünscht der

Freatle

 

Hallo @kiroly

was für ein interessanter Kommentar, besonders die Außensicht auf mein Schreiben, welche Themen ich wie bearbeite.

In der Welt deiner Geschichte sind die Menschen der Welt ausgesetzt. Die Menschen leben unter einem Himmel von Dämonen und Engelszungen (keine Unterwelt, kein Rückzug ins Psychische, nein, den Himmel bevölkern sie).
Ich glaube, dass ist die Grunderfahrung durch die Seuche und wahrscheinlich auch ein Ausblick auf die Zukunft durch die Folgen des Klimawandels und die Reaktionen von Mensch und Politik. Der kontrollierte Mensch, in Konkurrenz zu künstlicher Intelligenz, der sich bestenfalls auf die Engel und Dämonen verlassen kann.
Text ist im Präsens -> Der Satz befindet sich zum Zeitpunkt t=0
Der nächste Moment ist definiert als: M_t+1 = t+1
Jeder nächste Moment bedeutet: Es gibt eine beliebige Anzahl an Momenten, die als nächstes folgen können.
ist es nicht so, dass in unseren Köpfen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit in ein Wirrwarr geraten?
Ich kann mir eine sehr gute, alternative Kulissen für deine Geschichte vorstellen: Der Naumburger Dom. Meißen. Prag. Kyoto. Florenz. Timbuktu. Münster. Cuzco.
kann ich mir auch gut vorstellen, weil diese Orte aus sich selbst heraus, aus ihrer Geschichte eine Wirkung entfalten.
Was ich an Deinen Texten zu schätzen gelernt habe, ist der dezidierte Gestus Deiner Welt: Die Menschen trinken Wein, hören Bach, schätzen sicher Klassikradio, mögen die fein geschliffenen Kanten ihrer Glastische und suchen nach qualitativ hochwertigen Konzepten zum Gestalten ihrer Innenräume.
dem widerspreche ich zumindest teilweise, nicht in jeder meiner Geschichten wird die verruchte Upper-class geschildert, o nein, Amelie gehört ihr auch hier nicht an, lebt für ihre Kunst, Marc wahrscheinlich auch nicht.
Wenn man diese finanzielle Macht erreicht hat. Dann bleibt eben nur das "Laben" am Kultiviertheitsstil. Brotlose Kunst also, wie bei Amélie, die aber die Macht besitzt, Wirkung zu entfalten (die C-Klasse von der Großmutter, das würde ich streichen.
das ist Kulturverachtung, bäh:sealed::D okay, die C-Klasse streiche ich vielleicht, ist aber ein Detail, das ganz gut passt, deshalb denke ich noch mal darüber nach
Ich hatte da immer ein bisschen Spott auf den Lippen, jetzt sehe ich das anders, ich lese hier die Welt, wie sie mir Isegrims bietet, und ich mag sie! Ja, ich mag sie wirklich! Aber das satirische Potential bleibt (hätte in diesem Sinne Lust, eine deiner Geschichten mal copyzuwriten).
kannst auch außer der Reihe coypwriten
Rein subjektiv sind mir manchmal die Hinweise auf Träume, Triumph der Musik, etwas too much. Da bin ich mir unsicher, ob eine Tiefe suggeriert wird, die gar nicht da ist. Aber, hey, wenn's anderen gefällt, dann gefällt es anderen, alles gut!
ich weiß nicht, ob du auf den Link geklickt hast, der bringt dich auf YouTube zu einer Einspielung der Chaconne von Hillary Hahn, hör dir das mal an. Meine Idee bei dieser Geschichte ist, das Musikstück mit Literatur zu verbinden.
Generell bleibt aber vieles in der Beziehung zwischen Amélie und Karl undeutlich (besteht erotisches Interesse?), auch die Emotionen Amélies auf diese spezielle Konzertform kann ich mir nur indirekt interpretieren. Ist es demütigend für sie? Sie scheint sich in die Kunst zu flüchten ob ihrer desolaten finanziellen(?) und psychischen(?) Lage und diese Flucht perfektioniert zu haben. Ich frage mich, wie empathisch Amélie ist - weiß sie, welches Stück sie für Karl zu spielen hat oder besser, kann sie das einschätzen?

Kunst erfordert Einsamkeit, braucht Raum, Zeit, existentielles Minimum

Es scheint, dass Karl in einem Flughafenterminal Amélie für ein exklusives Privatkonzert gebucht hat (stimmt das?).
1:1 Konzerte
Hier das Konzept
Anders bei Karl. Er scheint in seinen Reiseaktivitäten eingeschränkt zu sein, aber nicht Covid-19, sondern seine Isolation, unbewältigte psychische Konflikte und vielleicht auch der Eindruck, in dieser Welt verloren zu sein, treiben ihn zu diesem Konzert (bin mir aber unsicher!).
dem ist langweilig, sein Leben aus der Reihe geraten und er erinnert sich an seine Mutter
Ein Individuum, mehr nicht. Du schreibst, er sei verhüllt wie ein Astronaut - ist sein Aussehen, seine Kleidungswahl, nur eine Schutzhülle? Ein Astronaut braucht seinen Anzug, er überlebt nicht im lutfleeren Raum.
eine Verhüllung, die Schutz bietet, aber isoliert, insofern passt das Astronautenbild
Mein Lieblingscharakter ist aber der Mark. Mark macht seinen Job. Ich mag den Mark, der pragmatisch reagiert, der sich nicht zurückzieht oder mit Whiskey auf Autobahnfahrten frühkindliche Konflikte betäubt. Mark ist da, Mark sagt, was passiert.
ja, der Mark:Pfeif:
Exkurs: Ich bin generell kein Freund vom "um". Aber das ist subjektiv. Das Schriftbild des "um"s entsprich einer Kuh auf der Weide. "um um um um",
ok, habe ich gestrichen, hast du im Grunde recht, bei um... zu Konstruktionen zu überlegen, ob sie sinnvoll sind.
Generell: Amélie vielleicht mit Akzent schreiben? Amelie ist das angeborene Fehlen mehrer Gliedmaßen :-(
Amelie geht auch ohne Accent
:D
okay, bin gerade bisschen faul das zu ändern.
Schwierig, weil du Welt schon mit Dämonen assoziierst und Las Vegas eine perfekte Welt vorspiegelt: Chlorfrei gebleichtes Wasser, staublos, sauber, ordentlich, ein Venedig, das nicht stinkt sondern eines, in dem Goldfische zwischen Gondeln Paarunstänze veranstalten ...
Las Vegas erlaubt die perfekte Illusion, übrigens von Deutschen gegründet
aber ich kann mir diese Steilvorlage nicht verkneifen: Bei 45 Grad wasche ich meine Buntwäsche!
okay, 43 Grad, das kannst du an der Waschmaschine nicht einstellen
Hätte hier eher ein "Moschus" erwartet, nicht Lavendel, etwas maskulineres.
der Karl hat das Auto doch geputzt, dazu nimmt er kein Putzmittel, das nach Moschus riecht
Ich mag dieses mathematische Moment in deiner Story, die Schönheit einer perfekten Korrelation oder eines eleganten Programmcodes ... das verbindet die Dämonen sehr gut mit den Covid-19-Maßnahmen ... dieses ausgesetzt sein einer mathematischen oder mystischen Macht ... hilfe, ich spinne jetzt sehr ...
Bach hat mathematisch komponiert, drei Töne hoch, drei runter, vier in die Richtung, vier in die andere, immer mit mathematischer Präzision, das ist das Geniale an Bach und erschafft den besonderen Sound

Toller Kommentar, Dankeschön!
Viele Grüße von den Flugzeughorizonten
Isegrims

Hi Friedel

bin ja froh, dass die Fehlerquote nach all den Jahren hier, deutlich geringer wird :D Danke für die Hinweise, die ich bis auf eine Stelle (siehe unten) umgesetzt habe.

Schön der Hinweis, dass Kunst – eigentlich gleich, welcher Art – des Mäzenatentums bedarf, bis sie sich und vor allem ihren Schöpfer „selbst“ ernähren kann.
Ist ein wichtiges Thema: die KünstlerInnen aus der ersten Reihe schaffen es immer, leben gut, aber die anderen?
Der Whiskey schmeckt scharf, nach Benzin, nach Lagerfeuer und Seetang.
Erstes Komma weg!
mag rechtschreibtechnisch stimmen, aber hier braucht es die Trennung, allein wegen dem Rhythmus und weil sonst ausgedrückt wird, dass man Benzin im Mund hat ;)

Viele Ich-höre-nebenher-Bach Grüße
Isegrims

 

Stimmt, mit dem Benzin.

Als Mensch ohne Führerschein (haben doch genug Führer gehabt) denkt man nicht so schnell an die Variante.

Tschüss & bis bald

Friedel

 

Hallo @Isegrims

Wow!!! Ich muss Dir eine Lobeshymne schicken. Deine Geschichte hat mich direkt eingefangen, berührt, da hat jedes Wort gepasst, den Text zu lesen ist wie schweben. So herrlich poetisch und wie Du das Tempo wechselst. Wahnsinn! Weiß gar nicht, was ich sagen soll. Einfach absolut stimmig für mich. Hab jetzt noch Gänsehaut.

Hier einige Leseeindrücke:

Weil sie sich fürchtete, hielt sie sich fern von Menschen, achtete auf Abstand, sagte den Freunden, sie könne sie nicht mehr sehen, nicht mit Maske, nicht per Videochat.

Das "nicht per Videochat" hat mich etwas irritiert, da man sich ja darüber nicht anstecken kann, aber dann schreibst Du, sie sucht die Isolation für die Musik. So ganz schlau draus bin ich trotzdem nicht geworden.

Eine gute Zeit, um mit der Musik zu leben, nichts brauchte sie mehr. Bis die Alpträume kamen, die Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Musik braucht Raum, um sich auszubreiten, deshalb das Konzert, deshalb das Ende der Gefangenschaft.

Sehr authentisch. Absolut nachvollziehbar.

Kostbar, so kostbar auf echte Menschen zu treffen, die Schwingungen zu spüren, die von einem lebendigen Geist ausgehen. Wer ihrem Musizieren zuhört, spielt keine Rolle, Mann, Frau, Divers, aber aus Fleisch und Blut, kein durch den Äther gejagter Impuls, die Illusion von Wirklichkeit in der Isolation. Dann werden die Töne nicht im Nirgendwo verhallen.

Und auch das kann ich total verstehen. Ich finde es schön, wie Du das beschreibst. Gedanken zur Isolation, wie es Menschen damit geht, die Ängste, die entstehen.

Kurz bevor die Seuche die Macht ergriffen hat, war er in Las Vegas. Er erinnert sich an das grelle Lichtermeer, bizarre Hotelfassaden, als könnte man die Welt en miniature in einem Wüstenort abbilden, riecht das Weed, das durch die Straßen wabert, hört die Sounds der Automatenspiele und sieht die Leute mit Abenteuerblick vor sich. In Nevada werden Hitzerekorde aufgestellt, 54 Grad im Death Valley, 43 in Las Vegas, Ofentemperaturen, als wolle die Natur auch damit etwas beweisen. Die Kontinente driften auseinander, unendlich fern, schwer erreichbar wie vor Jahrhunderten. Normalerweise müssten hier Menschen in kurzen Hosen stehen, welche mit Plakaten in der Hand, Großmütter, Großväter, kleine Kinder mit Pausbacken, die in der Ankunftshalle auf einen Familienangehörigen warten, der von irgendwoher nach langer Zeit zurückkommt, von Atlantis vielleicht. Karl bleibt stehen, prüft die Wegbeschreibung auf dem Smartphone: Treffpunkt Terminal 1, Halle 3. Er schließt für einen Moment die Augen, sieht seine Mutter vor sich, eine zierliche Frau, jungenhaft, keine Schönheit, harte Züge, die sich in den Mundwinkeln festsetzen, schmale Lippen, geschmeidiger Gang, katzenhaft.

Diesen Absatz mag ich wahnsinnig gern. Jedes Wort passt. So schön geschrieben!

Amelie ruft sich das Notenbild in Erinnerung, den Weg, den sie sich durch die Takte bahnen wird. Bachs Chaconne ist ein Berg aus Trauer und Wut in 256 Takten, vier bilden das Fundament. Doppelgriffe, zerbrechende Akkorde, eine pausenlose Hatz über die Saiten, die nie zu enden scheint, Variation der Variation der Variation. Die Grundstimme, ein schroffer Basston, schwingt auf und ab, wie das ganze Stück, bis zur Erschöpfung, ein Sinnbild für das, was gerade passiert, für eine Ausnahmesituation wie sie der Komponist selbst erlebt hat, als er das Stück schrieb, für das, was auf Bach einstürzte, als er nach monatelanger Abwesenheit zu Hause ankam und erfuhr, dass seine Frau gestorben war. Für sie hat er die Chaconne geschrieben.

Und obwohl ich mich mit klassischer Musik kaum auskenne, fühle ich durch Deine Worte die Musik, kann mir vorstellen, worum es geht. Das hat mich sehr berührt.

Amelie berührt den Korpus, fährt über die Maserung des Holzes, erinnert sich an den Spaziergang mit der Geigenbauerin durch slowenische Wälder, an die fließenden Bewegungen Marias, die alle Möglichkeiten der Zeit nutzte, Software, Resonanzmessungen, um etwas Perfektes zu bauen, exakt abgestimmt auf die Art, wie Amelie spielt, wie viel Vibrato sie ansetzt, welchen Druck sie auf die Saiten ausübt. Als Amelie ihre Violine zum ersten Mal spielte, fühlte es sich wie eine Hochzeit an, auf Ewigkeit angelegt. Sie ergreift den Hals, prüft den Klang, dreht an den Wirbeln, um den Klang an die Umgebung anzupassen.

Wunderschöne Stelle!

Was ihn umgibt, Strömungen, Weltengemurmel, Blitzlichter des täglichen Lebens, verschwindet nach und nach in der Musik. Momente reihen sich aneinander, Töne drängen sich ihm entgegen, erzählen etwas, das er nicht festhalten kann, Konkretes unkonkret, Klares, ungeklärt. Was er hört, zwingt ihn vorwärts, weiter, weiter. Mag sein, dass er sein Leben ändern muss, aber Verweilen ist nicht erlaubt, Szenen reihen sich wie eine Diashow, der er nicht greifen kann, vom Rhythmus getrieben. Zeit spielt keine Rolle mehr.

Und auch hier passt jedes Wort. Keins zu viel, keins zu wenig. Ich finde den Wechsel zwischen Spielerin und Zuhörer sehr gut umgesetzt. Spannend! Die Begegnung, was beide empfinden. Das bringst Du sehr glaubhaft rüber.

Ein Fluss, eine gesperrte Brücke, von Soldaten bewacht. Auf der anderen Seite wartet jemand. Reißende Strömung, schwimmen unmöglich, aber wer kann schon schwimmen. Irgendwo weit entfernt eine freie Brücke, nur für Fußgänger. Autofahren ist verboten. Die andere Seite muss erreicht werden. Ein Vogel fliegt herbei, singt Vogellieder. Flieg über den Fluss, flieg, es ist ganz leicht. Die Arme ausbreiten, flattern, sich vom Wind treiben lassen. Menschen können nicht fliegen. Wer sagt das? Jeder kann fliegen. Der Vogel, ein Adler, ein Uhu, eine Meise, verschwindet. Jetzt gilt es; aufstehen, flattern, fliegen. Die Lüfte nähern sich.

Auch diese Stelle mag ich sehr!

Der dunkle Ton des Grundthemas stimmt auf das ein, was folgt, sendet einen Schauer durch Amelies, wärmt sie.

Amelie

Was sie spielt, erzählt von der Kraft des Lebens, dass aus jedem Moment ein neuer entspringt, dass der Prozess nie endet, wieder und wieder von vorne anfängt und dass derjenige, der das versteht, das Gewirr der Zeitläufte deuten kann.

Wunderschön!

Sobald die Variationen einsetzen, schlägt und streichelt und schwingt die Musik aus sich selbst heraus, sendet Botschaften aus, bringt Wesen hervor, die sich an der Luft materialisieren, jauchzen und lachen, weinen, schreien. Je länger sie spielt, desto mehr vergisst sie, wo sie sich befindet, wird Teil der Erzählungen, der Träume, die aus den Tönen hervordringen, der Welt, die darin steckt: Wolken, die sich von Augenblick zu Augenblick verformen, zu Einhörnern, Drachen, anderen Fabelgestalten werden; Gesichter, Riesenaugen mit glühenden Blicken; Häuser, die zum Himmel ragen, Berge mit bizarr geformten Gipfeln. Ein heimliches Glück durchdringt sie bis in die fernsten Ritzen ihres Körpers. Sie beginnt zu tanzen, schneller, schneller, schneller.

Auch dieser Absatz hat mich sehr beindruckt. Ich komme mir vor, als wäre ich selbst dabei, würde die Musik hören, die Gefühle empfinden.

Er weiß jetzt, was seine Mutter in der Musik gesucht und gefunden hat.Also verbeugt er sich tief, geht ein paar Schritte auf Amelie zu, bemerkt, dass sich ihr Brustkorb hebt und senkt, zieht die Maske vom Gesicht, schleudert sie auf den Boden, dreht sich um und geht.

Zwischen hat und Also fehlt ein Leerzeichen.

Diese Stelle hat Kraft. Sie ist wie ein Wendepunkt.
Schön, dass er endlich versteht, was seine Mutter in der Musik gesucht und gefunden hat.

Auf dem Weg zurück in die Stadt erblickt Amelie die Silhouette der Stadt. Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern, Drachen, Dämonen, Engelszungen, die den Himmel bevölkern wie eine eigene Welt.

Schön, wie Du Dich hier wieder auf den Einstieg beziehst.

Auf dem Weg zurück in die Stadt erblickt Karl die Silhouette der Stadt. Über der Skyline hängen Wolken, die jeden nächsten Moment die Form ändern, Drachen, Dämonen, Engelszungen, die den Himmel bevölkern wie eine eigene Welt.

Schön. Er sieht, was sie sieht. Die intime Begegnung hat Spuren hinterlassen.

Einfach ein wunderschöner Text. Vielen Dank dafür!

Ich wünsche Dir einen schönen Nachmittag und lasse ganz liebe Grüße hier,
Silvita

 

Guten Morgen @Silvita

ach, es freut mich sehr, dass dir der Text etwas gegeben, vielleicht sogar für die Musik begeistert hat.

Wow!!! Ich muss Dir eine Lobeshymne schicken. Deine Geschichte hat mich direkt eingefangen, berührt, da hat jedes Wort gepasst, den Text zu lesen ist wie schweben. So herrlich poetisch und wie Du das Tempo wechselst. Wahnsinn!
Ich wollte Text und Musik im selben Rhythmus gestalten, umso besser, wenn es gelingt und die Worte sich entfalten.
Das "nicht per Videochat" hat mich etwas irritiert, da man sich ja darüber nicht anstecken kann, aber dann schreibst Du, sie sucht die Isolation für die Musik
Ich kenne genug Leute, die während der schlimmsten Lockdown-Zeiten isoliert gelebt haben, so erlebt Amelie dies.
Und obwohl ich mich mit klassischer Musik kaum auskenne, fühle ich durch Deine Worte die Musik, kann mir vorstellen, worum es geht. Das hat mich sehr berührt.
Ich hoffe, du hast dir das Stück auch angehört: die Chaconne gehört zu dem großartigsten, was ich an Musik kenne.
Ich komme mir vor, als wäre ich selbst dabei, würde die Musik hören, die Gefühle empfinden.
weiß gar nichts zu sagen: mehr kann ich nicht erreichen wollen
Schön. Er sieht, was sie sieht. Die intime Begegnung hat Spuren hinterlassen.
Musik empfinde ich oft genug als etwas Intimes.

Dankeschön, fühlt sich gut an, wenn ein Text funktioniert, deshalb schreibe ich

Viele liebe Grüße sendet und einen chaconnefeinen Tag wünscht
Isegrims

 

Lieber @Isegrims

ach, es freut mich sehr, dass dir der Text etwas gegeben, vielleicht sogar für die Musik begeistert hat.

Das ist schön. Da freu ich mich auch :)
Ich hab mir die Charconne tatsächlich dann erst nach dem Lesen und Kommentieren angehört und leider ist das nicht so meins. Für mich hört sich das nach schiefen Tönen an. Aber wie gesagt, ich kenn mich nicht wirklich mit klassischer Musik aus. Ich mag den Bolero von Ravel sehr gerne. Interessanterweise hab ich aber während dem Lesen Deiner Geschichte Musik gehört und zwar sehr schöne.

Ich kenne genug Leute, die während der schlimmsten Lockdown-Zeiten isoliert gelebt haben, so erlebt Amelie dies.

Das bringst Du super rüber.
Ja, da hast Du leider Recht. Ich fand die Isolation auch schrecklich.

Ich hoffe, du hast dir das Stück auch angehört: die Chaconne gehört zu dem großartigsten, was ich an Musik kenne.

Das hab ich dann gemacht und meinen Geschmack trifft es nicht so. Aber das macht ja nichts. Hab mir dafür nochmal den Bolero angehört, hab ich seit Jahren nimmer.

Musik empfinde ich oft genug als etwas Intimes.

Das stimmt.

Dankeschön, fühlt sich gut an, wenn ein Text funktioniert, deshalb schreibe ich

Gern geschehen.
Das glaub ich Dir und freu mich mit Dir mit.
Und finde es super, dass Du schreibst.

Ganz liebe Grüße aus dem verregneten Freiburg,
Silvita

 

Liebe @Silvita

Ich hab mir die Charconne tatsächlich dann erst nach dem Lesen und Kommentieren angehört und leider ist das nicht so meins. Für mich hört sich das nach schiefen Tönen an. Aber wie gesagt, ich kenn mich nicht wirklich mit klassischer Musik aus. Ich mag den Bolero von Ravel sehr gerne. Interessanterweise hab ich aber während dem Lesen Deiner Geschichte Musik gehört und zwar sehr schöne.
das mit den scheinbar schiefen Tönen in der Chaconne ist ja das Moderne gerade dieses Stückes, die Wiederholung des Hauptthemas ein Prinzip, das Ravel viel später und weitaus radikaler durchgezogen hat.

Zur Chaconne: Bach kam nach mehrmonatiger Reise heim und fand seine Frau längst begraben auf dem Friedhof. Danach hat er die Chaconne komponiert.

Zum Bolero: Ravel fand es befremdlich, dass er mit einem Stück berühmt wurde, von dem er sagte, das sei gar keine richtige Musik, sondern nur ein paar Tonfolgen, permanent wiederholt.
Ich denke, der Bolero passt auch gut zu dem Text.

Und finde es super, dass Du schreibst.
dankeschön und immer weiter und weiter..

Viele Grüße aus der Taunussonne
Isegrims

 

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