Was ist neu

Das Aufwachen

Mitglied
Beitritt
05.07.2020
Beiträge
2
Zuletzt bearbeitet:

Das Aufwachen

Sie schaute mit einem Pokerface in meine Augen, streckte die Zunge heraus und schlängelte sich vorsichtig nach vorne. Ihre Haut leuchtete mal rot, mal grün, mal blau, und hatte durch ihre fließenden Bewegungen eine eigenartig hypnotisierende Wirkung. Sie war schön, das musste man ihr lassen. Aber noch viel wichtiger: Sie war tödlich. Bunt leuchtende Reptilien bedeuten selten etwas gutes für umliegende Menschen. Ich, ihre Beute, hatte mit einer Lähmung zu kämpfen, die nicht zu einem besseren Zeitpunkt hätte kommen können. Ich versuchte meine Arme zu bewegen: Nichts. Meine Beine: Keine Reaktion. Sie kam näher und mit jedem Zentimeter entwickelte sich meine Angst mehr zu einer unbändigen Panik. Als sie einen Schritt vor mir anhielt, ging für den Augenblick ein Gefühl der Erleichterung durch meinem beweglosen Körper. Doch dann brach sie den Augenkontakt und in dem nächsten Moment umklammerte sie schon meine Kehle.

Das war der Punkt an dem ich aufwachte. Es war noch dunkel draußen, doch der Mond leuchtete grell durch meine Fenster, für die ich noch immer keine Gardinen hatte. Es herrschte Chaos in diesem Raum, indem ich die meiste Zeit meines Lebens verbrachte. Klamotten waren wild auf dem Boden verteilt, Pizzakartons stapelten sich neben dem Schreibtisch und selbst meine Fender E-Gitarre, war seit Monaten nur am Staub fangen. Ein Blick auf die Uhr: Halb vier. Wäre es nicht schon die dritte Woche in Folge, dass ich so früh aufwache, hätte ich mich einfach umgedreht, doch inzwischen wusste ich: Der Schlaf würde nicht mehr zurückkommen. Also griff ich nach der Flasche neben meinem Bett und tat etwas gegen meinen dehydrierten Zustand. Vom Wasser belebt, warf ich meine Decke beiseite und stand auf. Was ich machen wollte war mir nicht klar. Hunger hatte ich morgens nie und Kaffee war auch nicht grad meine Lieblingsdroge.

Die ersten Nächte, in denen mich meine Traumwelt so früh rausschmiss, blieb ich noch stur im Bett liegen. Wie weise diese Entscheidung war entpuppte sich in den darauffolgenden Stunden, die ich inzwischen, ohne zu übertreiben, als die miserabelste Zeit meiner jüngeren Vergangenheit werte. Der bequemste Platz meines Alltags verwandelte sich zu einem Ort des Elends. Dabei waren das zu einem Stein mutiere Kissen und die heizende Decke nichtmal die schlimmsten Widersacher. Es war die Dunkelheit, die mich umringte und all meine negativen Gedanken fütterte. Jede Ablehnung, jede Peinlichkeit, jedes Scheitern krochen aus den tiefsten Ecken meines Verstands, der schon wegen des momentanen Versagens einer einfachen Aufgabe wie das Einschlafen merklich angeschlagen gewesen ist. Von diesen Erfahrungen geschädigt lernte ich relativ schnell diese Uhrzeit als den Anbeginn meines Tages zu betrachten, auch wenn dieser sich üblicherweise nicht besonders produktiv oder aufregend entwickelte.

Mehr erwartete ich auch von diesem Tag nicht, doch mit solchen Gedanken wollte ich mich nicht gleich nach dem Aufstehen befassen. Das mir kalt wurde, kam mir daher sehr gelegen, vor allem da die Lösung dieses Problems mir zu Füßen lag. Ich nahm eine schwarze Jogginghose aus dem Kleiderhaufen und durchsuchte mein Zimmer nach einem Sweatshirt, den ich neben meinem Kleiderschrank fand. Beim anziehen fiel mein Blick unwillkürlich in den daneben stehenden Spiegel, der schon die erste Ernüchterung des Tages für mich bereithielt. Ich war nicht fett, immerhin, doch von den Jahren die ich im Boxring verbracht hatte war auch nichts mehr zu erkennen. Mein pechschwarzes Haar zeigte in alle Richtungen und schrie gradezu nach einem Friseur. Ein drei-Tage-Bart bedeckte mein halbes Gesicht ohne es wirklich auszukleiden, er war vielmehr ein Schatten der sich vom Kinn bis zu den Ohren breit machte. Das Auffälligste jedoch waren die großen resignierten Augen, die scheinbar jedwede Freude vergessen hatten und sich der Frustration machtlos ergaben.

Ich war versteinert, erst jetzt wurde mir klar wie sehr mich die letzten Wochen, Monate, Jahre mitgenommen hatten. Es war eine bittere Erkenntnis und die Folgen nicht weniger unangenehm. Die Luft wurde dick, der Raum enger, Krämpfe sammelten sich im Magen und in dem Mund wich jede Flüssigkeit einer beißenden Trockenheit. Es war zu viel auf einmal, flüchten schien die einzig mögliche Option. Ich griff mit letzter Kraft nach meinem Mantel, stieg in meine Schuhe und stolperte in die Aussenwelt. Von jeglicher Koordination verlassen hangelte ich mich am Geländer die Treppen hinunter bis die Haustür mir den Weg in die Erlösung ebnete. Im Freien angekommen verließen mich auch die letzten mobilisierten Reserven. Als erstes gaben meine Beine den Geist auf und noch bevor ich die Bruchlandung zu spüren bekam, wurden meine Augen von einer undurchsichtigen Schwärze überfallen.

Als ich wieder zu Bewusstsein kam, lag ich ausgestreckt auf dem Boden, direkt vor meiner Haustür. Bis auf leichte Schrammen auf den Knien, schien ich relativ unbeschadet davongekommen zu sein, wenn man mal davon absieht, dass ich von meinem Spiegelbild aus der Wohnung gejagt wurde. Aber hier draußen aufzuwachen war eine deutlich angenehmere Erfahrung als direkt dem Elend in meinem Zimmer zu begegnen.

Der volle Mond bestrahlte die Nacht mit weißem Licht, während ein sanfter Wind mit Laub um sich warf. Jeder Atemzug hinterließ einen feucht-herbstlichen Geschmack in der Lunge und füllte meinen ausgetrockneten Körper mit frischer Lebenskraft. Aus der ferne war das einsame Heulen eines Wolfes zu hören, der auf wundersame Weise noch immer auf freiem Fuß war, obwohl seit zwei Monaten jeder Jäger in den umliegenden Gebieten die Wälder nach ihm durchsuchte. Sein Gejaule wirkte wie ein Wecker und mein ganzer Körper setzte sich in Bewegung. Ich stand auf, sah hoch zu meinem Fenster und wusste das ich jetzt nicht zurück konnte ohne wieder eine solche Episode zu erleiden. Also ging ich los, einfach geradeaus, wo auch immer mich das hinführen würde.

Kaum hatte ich meine Straße verlassen, fand ich mich am Anfang einer langläufigen Allee wieder. Es war eine schmale von gold-rotem Laub bedeckte Fahrbahn, die von hochgewachsenen Eichen umgeben wurde. Trotz der Jahreszeit bedingten Kälte, verbreiteten die Farben an diesem Ort eine Wärme, die ich noch nie auf diese Weise zu spüren bekommen hatte. Bis auf das Rascheln der Blätter und das Zirpen der Grillen herrschte absolute Stille. Von menschlichem Leben fehlte jede Spur. Die Welt schien noch zu schlafen, was mir sehr merkwürdig vorkam, denn zum ersten Mal seit sehr langer Zeit fühlte ich mich vollkommen wach. Es war ein Gefühl das ich fast vergessen hatte. Mit jedem Schritt löste sich mehr von der Blase auf, die mich ständig umhüllte um mir all diese Empfindungen zu verwehren. Meine Beine bewegten sich von selbst, während ich die Eindrücke auf mich einwirken ließ, die ausnahmsweise nicht von wild durcheinander gewürfelten Gedanken gestört wurden. Ohne es zu bemerken oder zu wissen wie, hatte ich einen meditativen Zustand erreicht, durch den ich ungefiltert und ohne jeglicher Wertung die Umgebung in mich aufnahm.

Erst als ich das Ende der Straße erreichte, bemerkte ich diesen Zustand unter dem ich eine beachtliche Strecke hinter mich gebracht hatte. Mehr als eine solche Erkenntnis benötigte mein untrainierter Geist jedoch nicht. Diese kleine Ablenkung führte zur nächsten und ehe ich mich versah rutschte ich wieder in das ursprüngliche Durcheinander. Ich wollte mich aufregen, irgendetwas zerstören, mich einer hemmungslosen Wut ergeben, doch wie ich zu meiner Verwunderung feststellte, verschwand dieses Gefühl genau so schnell wie es aufflammte. Der Kurztrip in die Ausgeglichenheit hatte Spuren hinterlassen, etwas Struktur in meinen Kopf gebracht. Es war eine nette Abwechslung.

Diese Entwicklung beschäftigte mich so sehr das ich zuerst gar nicht bemerkte, dass mich der Weg vor einen Wald geführt hatte. Erst als mir eine Eichel vor die Füße fiel registrierte ich all die emporragenden Bäume, die nicht mehr einer geraden Straße entlang wuchsen sondern mein ganzes Sichtfeld ausfüllten. Es war schon fast etwas gruselig. Hier war kaum noch etwas von der bunten Vielfalt des Herbstes zu sehen. Die wenigen verbliebenen Blätter konzentrierten sich auf das obere Drittel der Bäume und ließen so nur sehr wenig Licht hindurch, was dem vom Laub bedeckten Boden all seine Schönheit nahm. Ein matschiger Gehweg markierte den Eingang diesen Waldes. Das mangelnde Licht verunsicherte mich zu Anfang, doch nachdem ich mich daran gewöhnte, konnte ich alles grobe im umkreis von drei Metern erkennen. Der Pfad schien nicht besonders bewandert zu sein. Überall lagen gefallene Äste die den Weg versperrten, während sich Rasen von beiden Seiten über die Grenzen schlich. Schritt für Schritt trat ich tiefer in den Wald und beobachtete wie sich der Pfad unter meinen Füße auflöste, bis ich wegen einem quer vor mir liegenden Baum anhalten musste.

Er war riesig. Schon allein der Stamm war so breit, dass er mir bis zur Brust reichte. Das wahre Hindernis bildete aber das dichte Gestrüpp seiner Äste, welches mir nicht ermöglichte zu sehen was sich dahinter verbarg. Ich hatte keine Lust mich durch dieses Gewirr wuseln, doch weil der Baum über den Gehweg hinaus auch meine Sicht behinderte, wurde ich neugierig. Diese Blockade wirkte so als würde sie etwas verstecken, etwas kostbares, etwas das ich nicht sehen sollte. Es führte kein Weg dran vorbei, ich musste hindurch, besonders weil ich es nicht einsah mich, nach der ganzen Reise, von einer so bezwingbaren Aufgabe schlagen zu lassen. Die ersten paar Schritte waren einfach, ich konnte gebückt unter einen großen Ast hindurch gehen. Danach erst begann der problematische Teil. Ich schob eine Handvoll kleinerer Äste beiseite um daran vorbei zu gehen und war jetzt komplett von dem Baum umringt. Vor mir kreuzten sich zwei große Äste, die so aussahen als könnte man sie leicht beklettern. Ich suchte mit meinem rechten Fuß eine sicheres Trittbrett und stieg hoch. Mit meinen Händen hatte ich jetzt die Oberseite erreicht, die mir eine Menge stabiler Einkerbungen zum hineingreifen bot. Die gesamte Energie auf meine Arme konzentriert, zog ich meinen restlichen Körper nach oben, wo ich mich erst einmal hinsetzte.

Jetzt sah ich sie, die ganze Welt die mir dieser Baum vorenthalten wollte. Von dem Weg war dort nichts mehr zu erkennen. Wo ich auch hinsah blickte ich auf einen unberührten Wald. Als ob keine Menschenseele jemals einen Fuß in diese Landschaft gesetzt hätte. Weiter hinten war eine etwas größere freie Fläche, die die volle Bestrahlung des Mondes genoss und dabei all ihre rot, orange und goldenen Farben zurückwarf. Ein beständiger Wind pustete die wenigen verbliebenen Blätter von den Bäumen, die wie große goldene Schneeflocken durch die Luft segelten. Es war ein Anblick der mehr einem alten Gemälde entsprach als dem realen Leben. Meine von regelmäßigem Regen genährten Feindseligkeiten, dem Herbst gegenüber, verrauchten genauso schnell wie mein warmer Atem in der kalten Waldluft. Nachdem ich diesen Anblick in mich hineingesogen hatte führte ich meine Erkundungstour fort und setzte mich wieder in Bewegung. Der große Stamm war inzwischen das einzige Hindernis das mich von der anderen Seite trennte. Von meiner derzeitigen Position konnte ich ganz einfach auf ihn springen und mit einem weiteren Satz landete ich schon auf dem weichem Boden der anderen Seite.

Damit mein Körper sich wieder aufwärmt lief ich in langsamem Tempo los. Meine Beine bewegten sich leichtfüßig und locker. Selbst als ich die Geschwindigkeit erhöhte und mein joggen sich zu einem Sprint entwickelte glitt ich über den sanften Boden. Einen Augenblick später lief ich in das Meer der golden-roten Blätter. In der Mitte angekommen setzte ich zu einer Vollbremsung an und stolperte unkontrolliert in den Stillstand. Ich wollte mich grad in den Laub legen als knisternde Schritte meine Aufmerksamkeit erregten. Als ich zu den Bäumen auf der anderen Seite des Laubmeeres sah, versteifte sich mein ganzer Körper bis nichts mehr von der Lockerheit meines Laufs übrig blieb. Was ich sah hatte ich hier nicht erwartet, obwohl diese Begegnung überhaupt nicht unwahrscheinlich gewesen ist.

Er kam mir auf seinen vier Pfoten entgegen. Ließ mich keine Sekunde aus seinen Blutroten Augen. Sein Fell war schwarz wie Kohle mit lauter kleiner grauer Flecken. Er war deutlich größer als jeder Hund den ich jemals gesehen hatte. Seine aufrechter Gang und die geschmeidige Eleganz mit der er sich fortbewegte gaben ihm eine hoheitliche Aura. Der einzige Wolf in dieser Gegend, die Jäger finden ihn nicht und ich lauf ihm einfach so über den Weg. Die Kraftverhältnisse waren offensichtlich. Einen Kampf hätte ich definitiv nicht überlebt. Selbst wenn ich noch meine früheren Box-Fertigkeiten besessen hätte wäre es ein sehr kurzes und einseitiges Match gewesen.

Ich war überfordert. Meine Gliedmaßen hatten sich inzwischen komplett abgemeldet, wodurch selbst das Atmen zu einer Herausforderung wurde. Weglaufen war keine Option. Von meiner Starre ganz abgesehen, war mein Höchsttempo nicht annähernd konkurrenzfähig. Schritt für Schritt trat er näher. Von Schüchternheit oder etwa Angst war nichts zu sehen. Er hatte alles unter Kontrolle und das war ihm bewusst. Auf meiner Seite sah es anders aus. Meine Bewunderung die es schaffte mich kurzweilig abzulenken, musste wieder der panischen Angst weichen. Es war ein Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Jede Sekunde zog sich in beunruhigende Länge. Zum ersten mal in meinem Leben war ich mit meiner Sterblichkeit konfrontiert. Noch nie hat es sich so greifbar angefühlt, so real, wie etwas echtes und nicht nur eine abstrakte Vorstellung.

Etwa einen Meter vor mir blieb er stehen. Ich hoffte durch meine passive Haltung würde er das Interesse verlieren, doch von Langeweile war nichts zu erkennen, im Gegenteil, er blickte gebannt durch meine Augen. Es war erbärmlich. Ich hatte absolut keine Kontrolle, nicht über meinen Körper und noch weniger über die Lage in der ich mich befand.

Er könnte mich ganz einfach umbringen... Ich will aber weitereben... Ja, genau, Ich will noch Leben.

Der Gedanke kam mir vorher noch nie. Ich hab einfach gelebt, weil ich nicht gestorben bin. Ob ich es tatsächlich wollte hab ich mich so nicht gefragt. Die Antwort war eindeutig. Es war so als hätte diese Erkenntnis einen Schalter umgelegt. Ich spürte wie Adrenalin meinen Körper wiederbelebte. Langsam kehrte etwas Kontrolle in meine Arme zurück. Ich formte eine Faust... und lockerte sie wieder. Langsam ging ich in die Knie und streckte ihm meine Hand entgegen. Zum ersten mal seit unserer Begegnung wirkte er etwas zögerlich. Mit aller Vorsicht kam er näher und begann an meiner Hand zu schnüffeln. Was er roch schien ihm zu gefallen, denn im nächsten Moment fing er an meine Hand abzulecken. Er wirkte immer noch einschüchternd, aber jetzt auch auf eine liebenswürdige Weise. Einen Augenblick später wanderte sein Blick abrupt nach rechts, zu den Bäumen. Ich nahm an, dass seine riesigen Ohren etwas interessantes gehört hätten. Seine Aufmerksamkeit war nun vollkommen von etwas anderem eingenommen. Für meine Anwesenheit hatte er mittlerweile völlig das Interesse verloren. Langsam drehte er sich von mir weg und ging mit eiligen Schritten dem Wald entgegen. Ohne einmal zurückzuschauen verschwand er hinter den Bäumen.

Als hätte ich die letzten Minuten Unterwasser verbracht spürte ich jetzt das starke Bedürfnis mich mit einem tiefen Atemzug wieder zu beleben, bevor ich an irgendetwas anderes denken konnte. Bis sich meine Atmung wieder normalisierte, stand ich in der Mitte dieser mit buntem Laub bedeckten Wiese und starrte gedankenlos in den Himmel.

Jetzt spürte ich die Wanderung in meinen Beinen. Es wurde also an der Zeit mich wieder auf den Rückweg zu machen. Während sich der hinweg ziemlich kurz angefühlt hatte, obwohl es durchaus keine kurze Strecke gewesen ist die ich hinterlegte, war die Rückreise so gut wie nicht der redewert. Es fühlte sich so an als wäre ich direkt aus dem Wald vor meine Haustür gelangt. Mit letzten Kräften ging ich die Treppen hoch, schloss die Tür auf und ließ mich, sobald ich mein Zimmer betrat, in einen Tiefen erholsamen Schlaf fallen.

 

Hi @Azlan,

Rob F hat schon einiges zu Deinem Text gesagt und ich kann mich dem anschließen.

Eigentlich schreibst Du ja stellenweise ganz solide. Am besten hat mir der erste Absatz gefallen. Dann formulierst Du aber wieder eher umständlich: Viele Adjektive, die mich beim Lesen stocken lassen; Substantivierungen, die eher Distanz vermitteln. All das bringt mich nicht gerade in die Handlung "hinein". Auch, was Dein Prota erlebt, das konnte ich oft nicht wirklich mitfühlen - als Beispiel, die Szene, in der er sich im Spiegel betrachtet:

Mein pechschwarzes Haar zeigte in alle Richtungen und schrie gradezu nach einem Friseur. Ein drei-Tage-Bart bedeckte mein halbes Gesicht ohne es wirklich auszukleiden, er war vielmehr ein Schatten der sich vom Kinn bis zu den Ohren breit machte. Das Auffälligste jedoch waren die großen resignierten Augen, die scheinbar jedwede Freude vergessen hatten und sich der Frustration machtlos ergaben.
Würdest Du sagen, dass jemand so über sich denkt, wenn er sich im Spiegel betrachtet? Oder würde er sich eher sagen: "Mensch, schau ich heute wieder scheiße aus! Meine Haare! Oh Gott, ich muss wieder mal zum Frisör ..." Wenn es Dich stört, dann lass Gott und das Fluchen weg, aber wie Du es schreibst, klingt für mich nicht wie etwas, das sich jemand denkt. Das ist eher eine Nacherzählung, die mich die Gefühle des Protas nicht miterleben lässt.

Manchmal war die Handlung für mich auch nicht ganz logisch. Zum Beispiel

Als ich wieder zu Bewusstsein kam, lag ich ausgestreckt auf dem Boden, direkt vor meiner Haustür. Der volle Mond bestrahlte die Nacht mit seinem weißen Licht, während ein sanfter Wind mit Laub um sich warf. Jeder Atemzug hinterließ einen feucht-herbstlichen Geschmack in der Lunge und füllte meinen ausgetrockneten Körper mit frischer Lebenskraft. Aus der ferne war das einsame Heulen eines Wolfes zu hören, der auf wundersame Weise noch immer auf freiem Fuß war, obwohl seit zwei Monaten jeder Jäger in den umliegenden Gebieten die Wälder nach ihm durchsuchte. Sein Gejaule wirkte wie ein Wecker und mein ganzer Körper setzte sich in Bewegung. Ich stand auf, sah hoch zu meinem Fenster und wusste das ich jetzt nicht zurück konnte ohne wieder eine solche Episode zu erleiden. Also ging ich los, einfach geradeaus, wo auch immer mich das hinführen würde.

Im vorhergehenden Absatz beschreibst Du noch wie Deinem Prota die Beine versagen, ihm schwarz vor Augen wird, er das Bewusstsein verliert und hinknallt. Und als er wieder erwacht, bedarf es nur ein paar erfrischender Atemzüge, der Wolf heult, er putzt sich ab (sag ich jetzt einmal) und marschiert einfach wieder los. Hmm? Das erscheint mir nicht sehr logisch.

Ich habe den Text bis zum Ende gelesen, mich dann aber gefragt, worauf Du damit hinaus willst. Ich vermute, die Begegnung mit dem Wolf hat Deinen Prota in irgendeiner Weise "belebt", er konnte dann ja wieder schlafen. Warum die Begegnung mit dem Wolf diese Wirkung auf den Prota hatte, kann ich allerdings nicht sagen. Kam für mich aus dem Text nicht heraus. Aber vielleicht ist es ja gar nicht so wichtig ...

Lieber Azlan, ich finde, Du schreibst stellenweise schon ganz solide. Viele Deiner Formulierungen sind dann aber wieder etwas umständlich. Aus meiner Sicht kannst Du vor allem Adjektive in Deinem Text streichen. Rechtschreibung und Zeichensetzung solltest Du Dir auch noch einmal genau ansehen.
Versuche Deinen Prota so darzustellen, dass man mit ihm mitfiebern, ihm gefühlsmäßig auch folgen kann.

Ich hoffe, ich konnte Dir etwas weiterhelfen.
Servus,
Walterbalter

 

Moin jungs,

Danke für die ausführliche Bewertung. Ihr habt Recht: Zeichensetzung muss ich tatsächlich noch üben und auch Korrekturlesen ist (noch) nicht eine meiner Stärken. Was den Schreibstil angeht versteh ich eure Bedenken, aber tatsächlich wollte ich es wie eine Nacherzählung schreiben. Hab scheinbar mit dem ersten Absatz einen falschen Eindruck vermittelt. Aber ehrlich gesagt wusste ich auch nicht was ich schreiben würde als ich anfing. Es war die erste"Geschichte", die ich wirklich bis zum Ende geschrieben hab und meine eher willkürliche Herangehensweise habt ihr (leider) ziemlich gut herausgelesen. Naja, ich danke für die Kommentare, vielleicht fallen sie bei der nächsten Geschichte ja ein bisschen besser aus.

Viele Grüße

Azlan

 

Hallo @Azlan
Ich schließe mich der Meinung der bereits verfassten Kommentare an.
Ebenfalls ein 'Schreibneuling' auf dieser Seite, fand ich es besonders interessant deinen Text zu lesen.
Mir gefiel der ruhige, nachdenkliche Erzählstil. Jedoch fände ich ein 'geschlosseneres' Gesamtkonzept gut, in dem Anfang und Ende noch besser harmonieren.
Wie du die Natur beschreibst, gefiel mir am Besten. Jedoch war der Anfang deiner Erzählung etwas zäh, für mich persönlich.
Einige Stellen fühlten sich für mich nicht realistisch an (die Ohnmacht und auch die Begegnung mit dem Wolf), aber vielleicht ging es dir ja auch um eine etwas surreale Beschreibung, die mehr auf die Darstellung eines Gefühls abzielt.

Freundliche Grüße und viel Glück für deine nächsten Geschichten

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom