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Das Buch von Sattelfiebart
Einleitung
Ich bin Libidel, lebe seit dreißig Jahren auf dieser Welt und werde in den nächsten Stunden endgültig sterben. Es ist nicht so, dass ich unglücklich darüber wäre. Mein Leben hatte durchaus einige schöne Aspekte zu bieten, doch letztendlich bin ich froh, dass es bald endet … meine Qualen werden vorüber gehen und ich werde Ruhe finden nach einem Leben, das mich von ganz unten nach ganz oben führte und dort abrupt endete. Ich habe den Tod verdient.
Ich schreibe dies nicht, weil ich meine Erinnerungen für mein nächstes Leben aufheben will, denn ich weiß, es wird kein zweites Leben geben. Die Existenz in diesem Universum ist einzigartig und unendlich wertvoll. Sie ist durch nichts zu ersetzen und einmal weggeworfen für immer verloren. Dies ist sozusagen mein Tagebuch, mein Abschiedsbuch, in dem ich all meine Erinnerungen an mein Leben bis heute zusammenfassen möchte. Auch wenn es wohl bald niemanden mehr geben wird, der es wird lesen können. Doch, veehrter Leser, lasst mich beginnen, wo alles anfing.
Kapitel I – Die ersten Jahre
Zu Beginn war es warm und dunkel. Ich machte mir nicht viele Gedanken darum, wo ich war oder was ich war. Ich fühlte mich wohl und das seit beinahe neun Monaten. Doch die Welt, in der ich wohnte, begann unruhig zu werden. Es fühlte sich an, als würde sie mit der Zeit immer weiter schrumpfen und schließlich erkannte ich deutlich, dass sie mich in Kürze abstoßen wird. Die sorglose Zeit war vorüber.
So entkam ich dem Leib meiner Mutter und hielt mir die Hände vor die Augen. Es war furchtbar hell und sehr kalt. Riesige glänzende Kreaturen sahen mich an. Eine dieser Kreaturen durchtrennte den letzten Faden, der mich mit der Welt, in der alles begann, verband. Ich schrie und man begann mich zu schlagen bis ich beinahe das Bewusstsein verlor.
Erst nach und nach wurde mir bewusst, was geschah. In der Zeit, in der ich lebte, war es einfachen Menschen verboten, sich zu vermehren. Unglücklicherweise war meine Mutter einer dieser Menschen und so versuchte man mich gleich bei der Geburt ihr wegzunehmen. Doch ich konnte entkommen und verließ das Gebäude durch einen Spalt in der Wand. Draußen war es angenehm dunkel.
Ich blickte zurück zu der Hütte, in der ich gerade geboren wurde, und sah einigen der Männer in eisernen Anzügen dabei zu, wie sie die Hütte in Brand steckten und laut lachten. Sie sagten etwas, doch ich verstand ihre Sprache nicht. Genau genommen verstand ich zu diesem Zeitpunkt keine Sprache, war klein und relativ hilflos einer so großen Gruppe Soldaten gegenüber. Da ich nicht einmal laufen konnte, kroch ich so schnell es mir möglich war in einen dunklen Wald.
Da es ohnehin tiefste Nacht war, suchten die Soldaten nur eine halbe Stunde vergeblich nach mir, dann stiegen sie auf gewaltige Vögel und flogen davon. Sie nahmen wohl an, ich würde von wilden Tieren gefressen werden.
Tierlaute waren überall im Wald zu hören, doch ich fürchtete mich nicht vor ihnen. Ich kannte sie schließlich nicht. Ich lag ein paar Stunden in einer Schlammgrube, als plötzlich ein Maul nach mir griff.
Ich rechnete bereits mit meinem Tod, doch das Maul biss nicht zu. Es trug mich stattdessen in eine Höhle in einem felsigen Abschnitt des Waldes. Erst am folgenden Tag sah ich, was mich rettete. Es war eine wilde Kreatur, etwa zwei Meter lang und mit einer Schulterhöhe von knapp anderthalb Metern. Aufgrund meiner geringen Größe wirkte das Tier gigantisch auf mich. Drei riesige Augen blickten mich liebevoll an, während eine lange, grünlich schimmernde Zunge den Schlamm von meinem nackten Körper wusch. Ich schrie, doch nicht vor Schmerz, sondern vor Verzweifelung.
Dort lag ich also nun … gerade erst ein paar Stunden auf der Welt und schon von den Menschen allein gelassen. Ich konnte weder sprechen noch laufen, trug keine Kleidung und wog nur wenige Kilogramm.
Die Kreatur, die mich rettete, erkannte schließlich, dass ich Hunger haben musste (den hatte ich tatsächlich) und verließ die Höhle für ein paar Stunden.
Ich nutzte die Zeit und sah mich ein wenig um. Ich war allein in der Höhle und lag in einem Nest, in dem sich neben mir einige Eier befanden, aus denen leise Klopfgeräusche zu hören waren. Es sah ganz danach aus, als würde ich bald ein paar kleine Geschwister bekommen.
Ich fragte mich, ob meine Mutter noch lebte. Ich sah, wie die Hütte niederbrannte, doch ich sah nicht, ob die Soldaten meine Mutter vorher noch herausholten oder sie in den Flammen verbrennen ließen. Aber das herauszufinden schwor ich mir. Ich musste nur so lange überleben, bis ich groß und stark genug war um mich zu rächen.
Während ich in Gedanken Pläne für meine ungewisse Zukunft schmiedete, kam die Mutterkreatur (offenbar die Mutter der Eier, die dort in der Höhle im Nest lagen) und drückte mir mit ihrer Schnauze einen fetten Käfer zwischen die Lippen. Zuerst weigerte ich mich, das krabbelnde Etwas in meinen Mund zu lassen, doch dann drückte ich mit meinem zahnlosen Gaumen kräftig zu. Es knackte leise, der Panzer des Käfers war weitaus dünner als ich erwartet hatte.
So schlürfte ich das Innere des Käferpanzers aus und spuckte die harte Schale auf den Boden. Meine erste Mahlzeit war zwar kein Königsschmaus, aber durchaus annehmbar. Und damals kannte ich schließlich noch nichts anderes.
So vergingen einige Wochen und jeden Tag brachte mir die Mutterkreatur einen dickeren Käfer. Ab und zu gab es sogar eine fette saftige Made, die so groß war, dass sie nicht in einem Stück in meinen kleinen Mund passte. Doch die Mutterkreatur erkannte das Problem und zerkaute die Made, bevor sie sie mir in den Mund drückte.
Im Laufe der Tage wurde das Klopfen in den Eiern neben mir lauter. Die dreiäugige Mutterkreatur sah mich an und ihr Blick sprach zu mir deutlicher als Worte nicht sein konnten: Die Kleinen würden schon bald schlüpfen.
Schließlich verließ sie erneut die Höhle, um etwas zu Fressen zu holen und blieb für einige Stunden fort. Das Klopfen in einem der Eier war so laut und penetrant geworden, dass ich mich nicht zurückhalten konnte. So begann ich mit meiner Faust auf das Ei einzuschlagen und ein kleiner, dicker, dreiäugiger Kopf rollte heraus.
Die Beine wuchsen bei diesen Kreaturen wohl erst später, aber Zähne besaß das Jungtier bereits und nutzte diese auch, um zu versuchen, mich zu beißen. Panisch griff ich den körperlosen Tierkopf und warf ihn fort, doch in diesem Moment schlüpfte eine weitere dieser Kreaturen und griff mich an. Sie gab ein lautes Krächzen von sich und zu spät merkte ich, dass sie sich in meiner linken Hand verbissen hatte.
Ich versuchte mich loszureißen, doch meine Kräfte reichten nicht aus. Die Kreatur begann an meiner Hand zu zerren und schließlich knackte es laut. Blut floss über das Nest und Fleischfetzen lösten sich von meiner Hand, während die Kreatur langsam den kleinen Finger von meiner Hand riss.
Ich schrie vor Wut und Schmerzen, während die Kreatur gierig schmatzend meinen Finger verschlang. Ich schaute auf meine blutige Hand und benutzte sie schließlich als Keule, um das kleine Wesen zu zertrümmern. Sein Schädel gab schließlich nach und die Kreatur blieb reglos liegen. Mit meiner rechten, unverletzten Hand griff ich hinein um meinen Finger zu suchen, doch ich fand nur halbverdaute Fleischfetzen und ein paar Knochensplitter. Schnell zog ich meine Hand wieder heraus, bevor auch diese von der aggressiven Magensäure des Wesens zersetzt würde.
Bevor die zweite neugeborene Kreatur zu mir zurückkehren konnte oder gar noch weitere schlüpften, kroch ich aus der Höhle heraus und sah zum ersten Mal das Tageslicht.
Ich entfernte mich so weit ich konnte von der Höhle, da ich annahm, dass die Mutterkreatur mich von Anfang an als Leckerbissen für ihre Jungen eingeplant hatte, und suchte mein Glück allein. Ich blieb vorerst in dem riesigen Wald und brachte mir alles, was ich wissen und können musste, selbst bei. Ich lernte laufen und mich selbst ernähren.
Ich wurde älter und größer und schließlich beschloss ich, meine Mutter zu suchen oder zumindest herauszufinden, was mit ihr geschah und wer ihr das angetan hatte.
Kapitel II – Wieder unter Menschen
Ich war knapp zwölf Jahre alt, als ich beschloss, dass ich groß und stark genug war, um mit meiner Suche und meiner Rache zu beginnen. Doch ich brauchte Kleidung wenn ich nicht von den Soldaten in den Dörfern getötet werden wollte. Ich lebte schließlich illegal auf der Welt und in den bis zu diesem Tag vergangenen zwölf Jahren belauschte ich heimlich genug Menschen um herauszufinden, dass solche wie ich kein Recht auf Leben hatten. So lernte ich mit der Zeit auch die Sprache der Menschen, auch wenn ich mich niemals gezeigt hatte um mit ihnen zu sprechen. Es war einfach zu gefährlich.
Also durfte ich unbekleidet von den Menschen oder gar den Soldaten gesehen werden. Ich wartete an einem verregneten Abend hinter einem Baum, als sich ein Holzfahrzeug auf der Straße näherte. Gezogen wurde das Fahrzeug von einem fetten grünen Nacktvogel, wie ich zuvor noch keinen gesehen hatte.
Doch dieses Holzfahrzeug musste meine Eintrittskarte in ein Leben unter den Menschen sein. Ich schaute auf meine linke Hand. Mein Finger ist nie richtig nachgewachsen, doch der Knochen, der aus meiner verkrüppelten Hand hing, wurde im Laufe der Jahre immer länger und stärker. Mit etwa 5 Jahren begann ich ihn mit Steinen zu bearbeiten um aus diesem Knochen eine tödliche Klinge zu formen. Mit den Jahren perfektionierte ich diese Klinge und tötete bereits viele Tiere mit ihr. An diesem Tag sollte sie zum ersten Mal Menschen töten.
Das von dem fetten Vogel gezogene Holzfahrzeug kam näher und ich erkannte zwei Personen, die darauf saßen. Ein junges Mädchen, etwa in meinem Alter, und ein alter Mann … sie würden eine leichte Beute sein. Alles was ich von ihnen brauchte, war ihre Kleidung. Damit wäre ein Anfang geschaffen um nicht sofort als illegal geborener Wilder erkannt zu werden.
Als das Holzfahrzeug direkt neben mir vorbei fuhr, sprang ich hinter dem Baum hervor, durchtrennte mit meiner Klinge rasch die Seile, mit denen der Vogel mit dem Fahrzeug verbunden war. So nahm ich den Menschen ihre Fluchtmöglichkeit. Dann sprang ich auf das Fahrzeug und war irritiert … das Mädchen zeigte die Zähne, wirkte dabei jedoch nicht bösartig … sie lächelte mich an.
Ich wurde neugierig, was dies zu bedeuten hatte und beschloss, erst den alten Mann zu töten. Ich rammte die Knochenklinge in seinen Brustkorb bis ein Pfeifen und ein Gurgeln daraus erklang. Mit meinem Fuß drückte ich seine Leiche von der Klinge herunter und das Mädchen sprang schreiend vom Fahrzeug herunter und lief in den Wald.
Ich sprang ebenfalls herunter und lief ihr hinterher. Doch sie war schneller als ich und schließlich verlor ich sie. Mit ungutem Gefühl kehrte ich zu dem Holzfahrzeug zurück und kaute gedankenverloren das Fleisch des alten Mannes von meinem Knochen.
Das Mädchen lächelte mich an, warum? Ich nahm der Leiche des alten Mannes die Kleidung ab und reinigte sie in einem kleinen See in der Nähe. Ich vergrub die Leiche im Wald und versenkte das Fahrzeug im See.
Erstaunlicherweise passte die Kleidung des alten perfekt, denn ich war für mein Alter sehr groß und kräftig. Vorsichtig zog ich einen schwarzen Lederhandschuh über meine linke Hand, damit niemand die Knochenklinge sehen konnte, die aus meiner verkrüppelten Hand wuchs.
Es war einfache Bauernkleidung, die ich trug. Dennoch oder gerade deswegen ließen mich die Soldaten vor dem nächsten Dorf durch das Tor. Das Dorf hieß Shattah, es lebten nur wenig mehr als einhundert Leute dort. Manche der Menschen fragten mich, woher ich käme, doch ich erfand immer wieder Ausreden oder glaubwürdige Lügen. Niemand war neugierig genug, meine Antworten in Frage zu stellen oder ihre Korrektheit zu überprüfen.
Auch fragte man mich, ob ich auf der Straße einem alten Mann auf einem Khyssrikus-Karren (so hießen die fetten nackten Laufvögel) begegnet sei. Ich verneinte diese Frage. Das Mädchen erwähnte niemand.
Ich suchte mir Arbeit in einer kleinen Schmiede, wo Werkzeuge und Khyssrikus-Schnabelringe gefertigt wurden und hörte mich unauffällig um. Im Laufe der Zeit fand vieles über das Land, in dem ich lebte, heraus.
Die Welt war das Auge einer riesigen kosmischen Spinne. Vor Millionen von Jahren jedoch platzte die Spinne aus unbekannten Gründen und ihre beiden Augen wurden in das Universum hinausgeschleudert. Ein dicker, kräftiger Faden Spinnenseide verband diese beiden Augen und diente als Verbindung zwischen den Welten, die auf den Augen entstanden.
Eines der Augen hieß Sattelfiebart, das andere nannte man Fiebartsattel. Ich lebte auf Sattelfiebart und diese Welt bestand aus nur einem Kontinent, auf dem etwa einhunderttausend Menschen lebten. Im Zentrum dieses Kontinentes gab es eine große Stadt, in der der finstere König Fiedebus über das Land herrschte und das Kunststück fertig brachte, gleichzeitig sein Volk zu tyrannisieren und das Land vor dem Untergang zu bewahren.
Sattelfiebart war weich und klebrig, wie es bei Spinnenaugen nun einmal üblich war. Der Kontinent, auf dem wir lebten, versank immer weiter darin. Je größer die Anzahl der Menschen war, die auf dem Kontinent von Sattelfiebart lebten, desto schwerer wurde dieser Kontinent und umso schneller begann er zu sinken. So musste der König die Bevölkerung so klein wie möglich halten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die wenigen Menschen in den wenigen Dörfern und Städten so hohe Steuern wie möglich zahlten, damit der König die teuren Luxusartikel vom anderen Spinnenauge, Fiebartsattel, kaufen konnte, die er so dringend zur Bekämpfung seiner Depressionen benötigte.
Zu diesem Zweck entstand A.B.U.I, die „Arme zur Beseitigung unerwünschter Individuen“. Diese Armee bestand aus genau fünftausend Soldaten, die stets in allen Städten und Dörfern auf Sattelfiebart dafür sorgten, dass die Geburtenrate gering blieb. Nur die Reichen und Starken durften sich fortpflanzen.
Dazu benötigte man eine Einladung von König Fiedebus persönlich. Einmal im Jahr versammelte der König die stärksten, reichsten und beliebtesten Menschen seines Reiches in seinem Palast und diese mussten sich zu seiner Unterhaltung in der Arena paaren. Meine Mutter hatte keine Einladung bekommen.
Ich ging den Soldaten der A.B.U.I. so gut ich konnte aus dem Weg und es gelang mir von dem Geld, das ich für diverse Schmiedearbeiten bekam, einem guten Fälscher einen Lebensschein abzukaufen. Dieses Dokument musste jedes Jahr einem Beamten der A.B.U.I. vorgezeigt werden, außerdem gab es zufällige Kontrollen von den A.B.U.I. Soldaten in den Städten und Dörfern. Verlor man seinen Lebensschein oder wurde dabei erwischt, dass man ihn nicht mit sich führte, so wurde man auf der Stelle exekutiert und auf dem Marktplatz an die Katzen verfüttert.
Katzen waren mir zu Anfang unheimlich, sie wirkten stets friedlich auf mich, doch ich fühlte mich von ihnen beobachtet. Während der Arbeit in der Schmiede, die sich direkt neben dem Fluss befand, der durch das Dorf und über den Marktplatz führte, sah ich ihnen zu, wie sie auf dem Wasser schwammen. Wie sie mit ihren Flügeln flatterten und seltsame, quakende Geräusche von sich gaben.
Meine Paranoia war jedoch unbegründet, wie ich später herausfand. Katzen waren einfach nur furchtbar neugierig und hassten das Geräusch, das entstand, wenn der Schmiedehammer auf den Amboss traf. Ich hasste die Katzen und wenn ich einen schlechten Tag hatte, ertränkte ich eine von ihnen im Fluss. Das tat meiner Seele gut und der Schmiedemeister und seine beiden Frauen freuten sich über das Fleisch.
Ich lernte sehr viel von meinem Meister und im Laufe der Jahre übernahm ich die meisten Arbeiten in der Schmiede.
Ich war siebzehn Jahre alt, als der Meister eines Abends die Schmiede verließ, um beim Schlachter Fleisch zu kaufen. Ein paar A.B.U.I. Soldaten kreuzten seinen Weg und fragten ihn nach seinem Lebensschein. Er hatte ihn in der Schmiede vergessen.
Am Tag darauf waren die Katzen viel dicker als sonst und wirkten merkwürdig zufrieden und satt. Was geschehen war, erfuhr ich erst ein paar Tage später.
Ich war verständlicherweise frustriert, all die Arbeit würde nun an mir allein hängen bleiben. So verließ ich das Dorf und ging hinaus in den Wald, um ein paar Tiere zu töten. Ich war schließlich hungrig und überaus schlecht gelaunt … und nachdem die Katzen meinen Meister zu fressen bekamen, wollte ich die nicht unbedingt auf meinem Teller sehen.
Ich setzte mich in einem Waldstück ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes an den Fluss und schälte einen Busbur, ein einäugiges Wurzeltier mit furchtbar vielen Armen, dessen Fleisch sehr würzig und lecker schmeckte. Nachdem ich mir das Blut von meiner Knochenklinge gewaschen hatte, pfiff ich ein leises Lied.
Dann spürte ich plötzlich Blicke in meinem Nacken. Ich dachte erst, es wäre eine dieser neugierigen Katzen, die mir hierher in den Wald hinterher geflattert war, doch als ich mich umsah, erstarrte ich. Dort stand eine junge Frau und lächelte mich an. Sie kam mir sehr bekannt vor.
„Ich kenne dich“ sagte sie leise; „du hast mich vor einigen Jahren vor dem Tod gerettet, erinnerst du dich?“
Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals jemanden gerettet zu haben. In diesem Augenblick fiel mir nicht ein, wo ich diese junge Frau schon einmal gesehen hatte oder wo ich sie gar gerettet haben soll. Ich sah sie noch einmal an, während ich dem Busbur einen Arm abriss und daran zu knabbern begann. Dann fiel es mir wieder ein … der Khyssrikus-Karren, der alte Mann und das Mädchen auf der Straße draußen vor dem Dorf fünf Jahre zuvor. Sein Fleisch war zäh, ihres durfte ich nicht kosten, sie war mir entkommen.
„Ich wollte dich töten, genau wie ihn“ sagte ich und sie lächelte wieder. Warum nur lächelte sie mich stets an? Ich überlegte, ob ich sie jetzt töten sollte. Schließlich wusste sie, dass ich ein illegal Geborener war, das hatte sie schon damals zweifellos erkannt. Aus irgendeinem Grund entschied ich mich dagegen. Dass ich mich in sie verliebt hatte, kam mir damals noch nicht in den Sinn.
In der Nähe waren plötzlich Stimmen von Holzfällern zu hören. Die junge Frau sah mich mit einem Blick an, der mir Übelkeit bereitete. Dann lief sie fort. Ich warf den Rest des toten Busburs in den Fluss, denn mir war der Appetit vergangen. Das Mädchen sah ich für einige Monate nicht wieder.
Kapitel III – Knechthild
Die Jahreszeit des Krötenregens begann. Die Luft war furchtbar feucht und überall zerplatzten diese widerlichen, ungenießbaren Viecher auf den Straßen. Dann kamen sie: Etwa einhundert Soldaten, geschickt von König Fiedebus. Sie versammelten alle Dorfbewohner auf dem Markplatz und exekutierten wahllos ein paar Leute.
Der Kommandant der Soldaten ließ die Leichen schließlich zu einem Haufen zusammenlegen, stellte sich wichtigtuerisch darauf und verkündete, dass des Königs Schaf ein Ungleichgewicht auf Sattelfiebart spürte. Es lebten zu viele Menschen in der Umgebung um Shattah, des Dorfes in dem ich arbeitete und lebte.
König Fiedebus verteilte die Menschen auf dem Kontinent haargenau auf die Dörfer, damit das Land nicht in der weichen, matschigen Oberfläche von Sattelfiebart versank oder kippte. Die Dorfbewohner sollten innerhalb eines Monats die überzähligen, illegal Geborenen finden und den Soldaten übergeben, ansonsten würden sie alle getötet werden.
Des Königs Schaf wusste zwar, dass zwei Menschen zu viel in dieser Gegend wohnten, doch es wusste nicht, um wen es sich handelt oder wo genau sie sich befanden. Das brachte mir einen Vorteil.
Mit dem Versprechen, in einem Monat zurückzukehren, verließen die Soldaten das Dorf. Gleichzeitig später verließ auch ich Shattah. Würden die anderen Dorfbewohner herausfinden, dass ich ein illegal Geborener war, würden sie versuchen mich zu töten um sich selbst zu retten, und ich wollte nicht das falsche Blut vergießen müssen.
Ich zog mich in den Wald zurück, wo sie auf mich wartete. Ihr Name war Knechthild. Sie war wie ich. Sie erzählte mir, wie sie nach ihrer Geburt vor den Soldaten fliehen musste und zusah, wie ihre Mutter von ihnen vergewaltigt, in Stücke gehackt und dann noch mal vergewaltigt wurde.
Der Alte auf dem Karren war nicht ihr Vater oder Großvater … er war ein getarnter Agent des Königs, der das Land durchstreifte, um illegal Geborene zu finden und dem König persönlich zur Hinrichtung zu präsentieren. Der Agent hatte Knechthild erkannt, als sie ohne Lebensschein Shattah verließ und wollte sie mit dem Khyssrikus-Karren in die Hauptstadt fahren, wo sie in der Arena hingerichtet werden sollte.
Wäre er an diesem Tag nicht mit ihr draußen gewesen und ich mit der Kleidung eines anderen ins Dorf gegangen, hätte er mich vermutlich ohne einen Lebensschein erwischt. Ich hatte Glück, ich tötete am richtigen Tag den richtigen Mann. Hätte ich auch sie getötet, hätte ich niemals die Liebe kennengelernt.
Einen Monat später sahen wir uns aus sicherer Entfernung das Gemetzel in Shattah an … man hatte uns nicht gefunden. Dann gingen wir zurück in den Wald. Für einige Jahre ließ man uns in Ruhe. Wir waren glücklich, Knechthild und ich, auch wenn wir nur zu zweit waren. Politik und das Gleichgewicht der Welt interessierten mich nicht mehr. Auch die Suche nach meiner Mutter hatte ich inzwischen aufgegeben. Für mich zählte nur noch Knechthild.
Es war schön, sie in meiner Nähe zu haben, ihre Liebe zu spüren, die ich so dringend brauchte. Doch gleichzeitig spürte ich eine Leere in mir. Ich wollte mehr.
Mehr für uns beide. Wir wohnten in diesem Wald und es veränderte sich nichts. Wir hatten, was wir brauchten um zu leben, wie wir es gewohnt waren. Dennoch wuchs die merkwürdige Leere in mir. Die Klinge an meiner Hand war im Laufe der Jahre härter geworden, ich war inzwischen beinahe zwei Meter groß und hatte die Kraft eines Khyssrikus.
Eines morgens erkannte ich, was ich wollte. In mir war diese Kraft, dieser Wille sie einzusetzen und Knechthild etwas zu schenken, was ihr niemand anders außer mir geben konnte.
So verließ ich den Wald allein. Es war ein kühler Morgen und sie schlief tief und fest, als ich ging. Ich wusste, sie war dort, wo sie war, sicher. Ich wusste auch, ich würde zurückkehren und ihr das größte aller Geschenke machen … die ganze Welt. Eine Königin hatte ich bereits, es fehlte mir nur noch der Thron.
Während ich mich der Hauptstadt im Zentrum näherte hatte ich stets ihr Lächeln vor Augen … natürlich nur in meinen Gedanken. Jede Nacht träumte ich von ihr. Sie war so wunderschön, und kein anderes Geschenk wäre gut genug für sie.
Kapitel IV – Der neue König
Ich sah in den Himmel. Der große Leuchtkäfer am Horizont beleuchtete nicht nur Sattelfiebart, sondern auch Fiebartsattel. Der einzige Kontinent auf Sattelfiebart war so klein und instabil. Fiebartsattel dagegen hatte eine komplett massive Oberfläche. Dort bestand keine Gefahr, im Schleim des Auges zu versinken. Es war eine reiche Welt, eine weit fortgeschrittene Welt, doch niemand von Sattelfiebart war je dort gewesen oder würde je dort hin dürfen. Die einzige Verbindung der Welten war der große Spinnenfaden, der von der Hauptstadt aus in den Himmel hinauf ragte.
Wenige haben versucht hinüberzuklettern, doch sie alle kamen um. Die Wenigen, die nicht von den Soldaten des Königs erwischt wurden, fielen eines Tages vom Himmel. Man erzählte sich, sie wären erstickt. Vermutlich gab es zwischen den Welten keine Luft zum Atmen oder furchtbare Kreaturen würgten all jene bis zum Tode, die versuchten von Sattelfiebart nach Fiebartsattel zu klettern.
Lediglich ein Bewohner von Fiebartsattel kam regelmäßig einmal im Jahr in den Palast des Königs, um diesem gegen Bezahlung seine Luxusartikel zu bringen und sich die Massenpaarung in der Arena anzuschauen. Ob er über die Verbindung aus Spinnenseide kam, oder auf anderem Wege reiste, war nicht bekannt.
Ich erreichte die Hauptstadt und es gelang mir, in den Palast zu kommen und eine Stelle als Diener anzutreten. Ich musste fast ein Jahr auf den richtigen Moment warten. Immer wieder dachte ich an Knechthild, dachte darüber nach, was sie gerade tat oder ob sie überhaupt noch lebte.
Eines Nachts war es soweit: Ein panischer Thronwächter eilte in die Dienerkammer, in der ich schlief und verkündete, dass König Fiedebus wieder einmal unter schweren Depressionen litt.
Man schickte mich in die Kammer der Dinge, in der sich all die Luxusartikel befanden, die der König im Laufe von vielen hundert Jahren angesammelt hatte, und sagte mir, ich solle dem König etwas bringen, das ihn glücklich machte.
Wir alle wissen doch, was gegen Depressionen wirklich hilft … der Tod. So versetzte ich einige der bunten Pillen, die ich in der Kammer der Dinge fand, mit einem langsam und unauffällig wirkenden Gift und brachte sie dem König.
In den darauf folgenden Tagen sah ich genüsslich zu, wie König Fiedebus schwächer wurde. Schließlich sackte er endgültig in seinem Thron zusammen. Ich stürzte auf den fallenden König zu und die Thronwachen des Königs stürmten hinterher, um mich aufzuhalten. Sie waren zu langsam.
Ich entriss Fiedebus seine Krone und setzte sie mir selbst auf den Kopf. Niemand hatte je einen solchen Fall bedacht, es stand nur Eines fest: Der Träger der Krone ist König von Sattelfiebart.
Die Soldaten verbeugten sich vor mir und ich nahm auf meinem Thron platz. Dann ließ ich das Schaf exekutieren, denn ich hasste es. Es wusste zu viel und brachte beinahe mir und meiner zukünftigen Königin den Tod.
Als erste Amtshandlung als König vom Sattelfiebart ließ ich verkünden, dass alle illegal Geborenen zu verschonen und in das öffentliche Leben zu integrieren seien wie jeder andere Bewohner von Sattelfiebart.
Ich reiste persönlich mit meinen treuesten Kriegern in den Wald von Shattah und Knechthild nahm einige Tage später ihren Platz als Königin neben mir ein. Fiedebus Körper warf man in den Burggraben und alles schien so zu verlaufen, wie ich es geplant hatte.
Ich fühlte mich unangreifbar. Die Luxusartikel, die ich mir von Fiebartsattel schicken ließ, verliehen mir eine Macht, die mich beinahe unsterblich werden ließ. Mir war damals nicht bewusst, wie angreifbar ich dennoch war. Denn das Wichtigste für mich war nicht meine Macht.
Kapitel V – Fast unsterblich
Wir betraten die Arena. Dort versammelte ich einmal im Jahr alle Bewohner von Sattelfiebart, um Gladiatorenkämpfe auszutragen. Die Kämpfe waren sehr beliebt, zumindest bei denen, die nicht das schwere Los zogen und als Gladiatoren in der Arena kämpfen mussten.
Wir hatten unsere eigene Loge, meine wunderschöne Königin und ich. Knechthild nahm neben mir Platz, als plötzlich Musik ertönte. Es war die Melodie von Fiedebus, das heilige Lied des toten Königs, das zu spielen ich unter Androhung der Todesstrafe verboten hatte.
Voll Zorn sah ich mich um, um herauszufinden, wer dort das verbotene Lied spielte. Dann flogen Pfeile, hunderte, durch die Arena auf mich und meine Königin zu. Es hatte sich ohne mein Wissen eine Rebellion gebildet, die mich als König nicht anerkannte und selbst einen neuen König bestimmen wollte.
Die Rebellen wussten jedoch nichts von meiner neuesten Lieferung von Fiebartsattel. Eine verzauberte Frucht, deren Kraft mich vor allen körperlichen Angriffen beschützte. So prallte ein Pfeil nach dem anderen von mir ab. Ich war in diesem Moment wahrhaftig unsterblich.
Der Angriff dauerte nur wenige Minuten, dann waren alle Pfeile verschossen. Ich stand von meinem Thron auf und befahl meinen Soldaten die Rebellen zu töten.
Starke Krieger in goldenen Rüstungen betraten die Arena, und man schlachtete einen Rebellen nach dem anderen ab. Es roch nach Blut und ich fühlte Genugtuung. Die Menschen in der Arena jubelten laut und sangen mein Lied, das Lied von König Libidel. Ich lächelte meine Königin an … meine wunderschöne Königin, mein Ein und Alles. So freundlich, so glücklich, stets hat sie gelächelt.
In diesem Moment lächelte sie nicht mehr. Acht Pfeile steckten in ihrem Körper, ihr Blut floss über den Boden.
Ich schrie und die Menge verstummte. Von da an jubelte niemand mehr. Ich hatte das verloren was mir am Wichtigsten war und mir blieb nur noch, was mir am zweitwichtigsten war … meine Macht. Und ich nutzte sie aus.
Mein Volk litt, doch auch das gab mir keine Befriedigung mehr. Mein Volk hat meine Königin nicht getötet, ich selbst bin es gewesen.
Das Leben unter König Fiedebus war hart. Viele mussten sterben damit, wenige leben konnten. Das war nötig, damit der Kontinent von Sattelfiebart nicht im Auge versank. Aber so hart das Leben auch war, ich hatte meinen eigenen Weg gefunden und ich war glücklich … wir waren glücklich.
Es war meine Gier nach mehr, die alles zerstörte. Ich wollte die Macht nicht für mich allein, ich wollte sie mit ihr teilen. Ich bekam die Macht. Doch stattdessen war es diese erworbene Macht, die dafür sorgte, dass ich das, wofür ich die Macht wollte, verlor.
Ich war nie ein guter Mensch, ich war nie ein guter König. Aber manchmal, vor diesem Tag in der Arena, der alles veränderte, glaubte ich tatsächlich, dass mein Volk unter meiner Herrschaft glücklich war. Doch meine Gesetze zur Legalisierung aller Geburten waren gleichzeitig das Todesurteil für die ganze Welt.
Ich wollte es nicht wahrhaben, doch in den Jahren, nachdem ich auf dem Thron platz nahm, begann der Kontinent zu sinken. Es ist nicht mehr aufzuhalten. All jene Luxusartikel von Fiebartsattel können dies nicht mehr verhindern.
Meine Königin ist tot, meine Welt liegt im Sterben und ich werde mit ihr untergehen.
Ich wollte einfach zu viel.
by Neawoulf