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Das Fenster
Ich drückte die Blendladen auf und ließ das frühe Licht herein, kniff meine Augen zu kleinen Schlitzen und schaute auf das Haus mit den beiden toten Fenstern. Die Wohnung stand schon seit langem leer, obwohl sie einen schöneren Ausblick auf die nahe, kleine Hafenmole zuließ. Ich habe schon oft mit dem Gedanken gespielt die Wohnung zu wechseln, dort drüben einzuziehen, wegen der besonderen Aussicht.
Das terrakottafarbene Dach schimmerte herüber und tauchte die im Schatten liegende Fensterseite meiner kleinen Wohnung in ein warmes Licht, das sich durch die geöffneten Blendladen schlich und zärtlich an die gekalkten Schlafzimmerwände rekelte.
Begleitet von einem leisen Rauschen der Palmen durch den heran wehenden Passat, holte ich tief Luft.
Ich stützte mich eine Weile auf den Fensterrahmen, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. In der salzigen Luft gealtert, blätterte die weiße Farbe schuppig vom Untergrund und verabschiedete den Jugendstil, in dem das Haus erbaut war.
Trieb es mich hinaus zu den Menschen, zog ich mir eine schwarze Hose an, ein dünnes, weißes Hemd, schlüpfte in meine ausgetretenen Latschen, ging hinunter ins kleine Kaffee, setzte mich zu einem Espresso an den Tisch der alten Spieler, die ihre abgewetzten Karten mischten und sie mit drohenden, schmetternden Armbewegungen in die Mitte des Tisches klatschen ließen, als jagten sie Fliegen. Jeder tat es in einer unverwechselbar theatralischen Manier, egal wie hoch der Trumpf in seiner Hand war. Es war ihr Spiel. Sie schlugen die Zeit tot. Wie ich.
Ich schaute mir die Menschen an, die an mir vorbeiflanierten, auf der Mole saßen, die Netze flickten, den letzten Fang unter die Leute brachten, Fisch ausnahmen und ihn in großen Holzkisten auf Trockeneis gebettet, auf kleine Lastwagen stapelten. Fisch war hier allgegenwärtig. Wie das dunkelblaue Meer, der stete Wind und die schaukelnden Fischerboote.
Meine kleine Reiseschreibmaschine ließ ich dann alleine zurück. Ich machte es mir zur Gewohnheit, sie meiner Abwesenheit auszusetzen. Sie stand auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster und klapperte gelangweilt mit den Tasten, bis ich zurück war. Ich wusste, dass es der Wind war, der an den Blendladen rüttelte, als habe sie sich mit ihm verbündet.
So war es eine staubige Windböe, die mich bald an sie erinnerte, mich meinen Kaffee bezahlen ließ und wieder nach oben trieb. Ich hatte genug vom Leben, vom Treiben an der Mole mitbekommen und sammelte in den letzten Minuten meines Espressos meine Gedanken auf einem Stück Papier. Es sollte für ein paar Seiten Illusion genügen.
Wenn ich schreibend zu berichten begann, veränderte sich das Zimmer. Der Tisch wurde zu einer kleinen Jolle, das noch leere, eingespannte Blatt Papier zum weiten, dunkelblauen Ozean und zum Ruder meine kleine, ungeduldige Reiseschreibmaschine, sobald ich die Finger auf ihre Tasten legte.
Die Wände meiner Wohnung zerflossen zu einem weiten Horizont. Es fehlte nur noch der imaginäre Wind für mein Segel, auf den ich wartete.
Doch nahm die Flaute in meinen Gedanken ein jähes Ende, als ich eines morgens die Blendladen öffnete und einen Blumentopf in einem der toten Fenster erblickte. Es war wie der Aufbruch zu einem neuen Ufer.
Meine Neugierde war geweckt. Es war wohl jemand eingezogen.
So legte ich meine Finger abwartend auf die Tasten und betrachtete gebannt den leeren Blick der Fenster, welche allmählich zum Leben erweckt wurden.
Neben den kleinen Blumentopf hatte sich ein Kerzenständer gesellt. Ohne Kerze, sinnierte ich.
Sie passten irgendwie zusammen. Ein ungleiches Paar. Eine zierliche Hand hatte ihn aus dem schattigen Hintergrund zum Blumentopf hinzu gestellt. Nur die Hand war zu sehen, wenn sie sich auf das schmale Fensterbrett zubewegte und im Sonnenlicht erstrahlte.
Sie stellt mir vielleicht eine Szene zusammen, einen Wink für meine leeren Gedanken, kam es mir in den Sinn. Meine Finger waren kurz davor das Ruder zu führen, als ein Stapel Bücher auf dem Fensterbrett auftauchte. Die Seiten waren bereits vergilbt. Alte, zerzauste Bücher waren es. Wohl zu lieb gewonnen, um sie wegzugeben.
Die tief stehende Nachmittagssonne warf allmählich einen Blick durch die Fenster und gab den Räumen gegenüber ein Gesicht.
Eine zierliche Gestalt huschte durch die Zimmer, tauchte mal vor dem einen, dann wieder vor dem anderen Fenster auf und manchmal als langer Schatten auf dem Fußboden. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht, als sie für einen Augenblick auf die enge Gasse schaute und dann zu mir herüber. Ich saß im weißen Hemd vor der Schreibmaschine und klapperte auf ihr. Ein schöner Lichtblick, dachte ich, schaute hinüber, und dann war sie auch schon wieder verschwunden.
Endlich wieder Leben da drüben. Die letzte Bewohnerin war vor kurzem verstorben. Neunundneunzig Jahre war sie alt geworden. Die Menschen wurden alt hier. Lag wohl am Klima und am Fisch.
*
Wenn ich joggte, ließ ich meine Gedanken frei. Sie schwebten dann schwerelos aus der Umklammerung meines Bewusstseins ins nirgendwo. Es tat gut auf meinen Atem zu hören, die aufgehende Sonne zu fühlen und den wolkenlosen Himmel zu beobachten, den die Sonnenstrahlen in allerlei Rottöne tauchte. Dann hatte ich den Eindruck, ich sei nur ein unendlich winziger Teil der erwachenden Natur.
Ich versuchte alle Gedanken loszulassen. Aber es gelang mir nicht immer.
Entgegen des rhythmischen Mantras meiner Atemstöße, waberten mir allerlei unsinnige Metaphern durch den Kopf.
Wenn die Sonnenstrahlen sechs Minuten zur Erde brauchen, dann erlebe ich jetzt die Sonne, wie sie vor sechs Minuten gewesen ist. Wenn die Sonnenstrahlen das Meer berühren und wenige Millisekunden benötigen, in meinen Augen zu reflektieren, um dann von meinem Gehirn in wenigen Nanosekunden zur Wahrnehmung konstruiert zu werden, dann sehe ich immer die Vergangenheit. Denn in der Zeit, die es braucht, um in mir wahrgenommen zu werden, hat sich der beleuchtete Gegenstand schon wieder verändert. Ich sehe nur, wie es war, nicht, wie es ist. Ich laufe gegen die Vergangenheit an, dachte ich. Ich bin zwar im Hier, aber nie im Jetzt und somit immer nur in der Reflexion meiner Vergangenheit anwesend.
So verrückt ging es dann in meinem Kopf zu. Ich konnte es nicht verhindern. In Wahrheit jedoch dachte ich an meine letzte Beziehung, die ich immer noch aufarbeitete. Sechs Monate waren es bereits. Ich benötigte immer viel Zeit, ging nie oberflächlich zu Werke, maß jeden Schritt und versuchte mit mir selbst vorwärts zu kommen.
Gegen die Vergangenheit lief ich an. Gegen eine Zeit, die ich nie einholte, denn sie war immer schon vor mir da. Auf diese Weise sah ich nur ihre Spuren, die sie in mir hinterließ.
Meine Schritte traten gegen die Erde, stießen sich an ihr ab, wie eine Maus am Laufrad. So stand es um mich. Mein Herz drohte zu einem Käfig zu werden.
Nein, ich wollte keine mehr hinein lassen. Vorerst. Zumal es nicht mehr so groß ist, dachte ich und mühte mich auf einem staubigen Weg eine Anhöhe hinauf. Jede hat ein kleines Stück meines Herzens erhalten. Freiwillig gab ich es, doch für manche war es eine Trophäe. Die eine oder andere hätte es ganz haben können. Egal, es sollte halt nicht sein.
Gewöhne dir ab, zu viel Gefühl hinein zu interpretieren. Aber mein Aufruf an mich selbst, entsprach nicht meiner wahren Natur. Ich war ein unverbesserlicher Alkoholiker, der sich an der Liebe besoff. Leider blieben die Nebenwirkungen nicht aus.
Vielleicht sollte ich mich auf Verhältnisse konzentrieren, die zwar den Anschein von Liebe haben, so tun, als ob es so sei, deren Wirklichkeit nur einem potemkinschen Dorf entspricht, sinnierte ich atemlos.
Der Preis für meine Liebe jedoch war unbezahlbar, und alles andere, erschien mir zu billig. Beziehungen hätte ich in dieser Form genug haben können. Aber es genügte mir eben nicht. Ich konnte mich nicht belügen. Ficken aus Eigennutz, war für mich so erotisch, wie mit einem Korkenzieher eine Weinflasche zu öffnen. Banal, unabhängig davon, wie der Wein schmeckte. So ein Abgang ist nur auf Zeit, egal, wie lange man ihn genießt.
Ich dagegen wollte alle Zeit.
Du bist ein unverbesserlicher Idiot, mache es doch wie andere, dachte ich und erreichte die Anhöhe.
Aber es blieb dabei. Ich war nur ich selbst. Finde dich damit ab, ermahnte ich mich.
Ich bog in einen steinigen Feldweg ein, der von Mauern aus Basalt eingefasst, wie ein Belt hinab zur Küste führte.
Von weitem sah ich schon den Kleinwagen, neben dem eine zierliche Gestalt stand und gegen einen Hinterreifen trat.
Ich unterbrach meine Gedanken, als ich sie erreichte, blieb neben ihr stehen und schaute auf das luftleere Dilemma. Dem Reifen geht es wie mir, sinnierte ich.
„Ich werde ihnen helfen“, sagte ich und schaute sie an. Sie wirkte zerbrechlich und hilflos.
„Danke, das ist wirklich nett von ihnen“, erwiderte sie, setzte sich in die Nähe auf einen der großen Lavafelsen am Rande des Feldweges und schaute mir schweigend zu.
Ich ging ans Werk.
Hin und wieder warf ich ihr Blicke zu, die sich mit meinen Erinnerungen verbanden. Der frische Wind zerzauste ihr Haar und plusterte mit seinem frivolen Hauch ihren weißen Rock auf, den sie schüchtern mit den Händen zwischen ihren Oberschenkel klemmte und so zu bändigen suchte, was meine Gedanken längst erfasst hatten.
Nach einer Weile war das Ersatzrad montiert und der luftleere Pneu im Kofferraum verstaut.
Sie hüpfte vergnügt von ihrem Aussichtsturm und trat auf mich zu.
„Kann ich mich bei ihnen revanchieren“, fragte sie, ohne zu ahnen, wie wichtig wir für einander werden würden.
„Das müssen sie nicht, das war selbstverständlich“, antwortete ich.
„Na dann, vielen Dank nochmals“, erwiderte sie, lächelte mich glücklich an, stieg in ihr Auto und setzte ihren Weg fort.
Einen Moment hielt ich inne, schaute dem schaukelnden Vehikel nach, dann auf meine staubigen Schuhe, nahm sogleich mein rhythmisches Mantra auf und lief wieder gegen die Zeit an.
*
Nach dem Duschen war es an der Zeit für ein kleines Frühstück.
Milchkaffee, ein Stück Weißbrot zum Eintunken, etwas Rührei und danach etwas Obst. Mein Stammplatz war in einer Ecke des kleinen Kaffees, mit Blick auf die Szenerie. Ich beobachtete gerne, machte mir manchmal auf einem Zettel Notizen, malte schnelle Wortskizzen und blieb an jenem Tag nicht unbeobachtet.
Sie stellte mir einen Kaffee auf den kleinen Tisch, als ich über einen Zettel gebeugt schrieb. Ich schaute verdutzt auf.
Jene zierliche Revanchistin lächelte mich an.
„Das ist das Mindeste“, meinte sie.
„Danke“, erwiderte ich verblüfft und konzentrierte mich nun ganz auf sie.
„Was machen sie, wenn sie nicht joggen oder ungeschickten Frauen beim Radwechsel zur Hand gehen, sie sehen mir nicht wie ein Tourist aus“, fragte sie unverhohlen und schaute auf das Stückchen Papier.
„Dann versuche ich Bilder mit Worten zu malen“, antwortete ich schmunzelnd.
Sie lächelte.
„Ich habe sie gestern am Fenster sitzen sehen, vor ihrem Tisch. Das rhythmische Klappern hatte mich neugierig gemacht.“
Ich schaute sie verwundert an. Sie war es also.
„Dann betreiben sie so etwas wie Wortmalerei“, kommentierte sie meine Antwort nicht ohne Ironie.
„Wenn sie so wollen.“
„Kann man davon leben?“
„Eher nicht, andere leben davon. Und, was machen sie, wovon man leben kann?“
„Ich bin Meeresbiologin, arbeite seit kurzem für ein Institut. Meine Erstanstellung. Ich bleibe ein paar Monate auf der Insel, um den Fischfang zu beobachten, werden immer weniger Altfische gefangen, ist ein Problem für die Population, wissen sie. Es werden leider zu viele Jungfische gefangen, zu enge Netze, dann wächst nichts Altes nach, was den Bestand hält, da kann sich die Population nicht so regenerieren, wie es sein müsste. Ich überprüfe die Fangquoten“, stenografierte sie.
„So, Altfische, dachte immer, es sei anders herum.“
Sie lachte herzhaft.
„Altfische sind wichtig."
Ich schmunzelte, schaute auf ihre schlanken Hände, die ihre Kaffeetasse hielten, betrachtete die filigranen Finger, die unlackierten Fingernägel.
Das tat ich bewusst. Unbewusst musterte ich ihre Brüste, ihren Bauch, ihren Schritt und ihre Hüften. Ich war wie alle Männer. Natürlich geeicht. Aber die Hände einer Frau waren für mich ein bewusstes Objekt meiner Wahrnehmung. Ich fragte mich, ob es mir wohl gefallen würde, mich von ihnen berühren zu lassen.
Ich beantwortete mir die Frage mit einer Aufforderung.
„Entschuldigen sie, bitte, setzten sie sich doch.“
Sie griff sich einen Stuhl und setzte sich zu mir an den Tisch.
Sie schien interessant zu sein. Sie war jünger als ich. Das war unerheblich. Sprich weiter, damit ich dich sehe, dachte ich.
„Sie sind also kein Schriftsteller“, fragte sie.
„Nein, nicht ganz, ich führe Tagebuch, aber anders, als es gemeinhin üblich ist. In anderer Form.“
Sie nahm einen Schluck Kaffee.
„Andere Form?“, hakte sie nach.
„Ich denke Geschichten aus, in denen ich mich spiegele. Allerdings weiß nur ich, wo ich mich darin sehe.“
„Sie spielen also verstecken mit sich selbst.“
„Wenn sie so wollen“, meinte ich und lachte. Sie gefiel mir.
„Es ist bei jedem Autor so, in jeder Geschichte steckt ein Teil seiner selbst. Und, wie ist es bei ihnen, führen sie Tagebuch?“.
„Nein, nicht mehr, keine Zeit“.
„Das Leben ist zu kurz, um keine Zeit zu haben“, antwortete ich.
Sie schaute mich nachdenklich an.
„Vielleicht werde ich ja in einer ihrer Geschichten auftauchen“, erwiderte sie schließlich.
Ich nahm mir ein paar Millisekunden Zeit, dachte an den Weg, den ich am Morgen gelaufen war, an meine tantrischen Gedanken während des Laufens, Gedanken, die mich nicht von der Stelle brachten und an den luftleeren Pneu an ihrem Auto.
„Ich weiß nicht, ob unsere Begegnung irgendeine Bedeutung hat“, antwortete ich ehrlich.
„Muss alles im Leben eine Bedeutung haben?“
„Alles im Leben bedeutet mir etwas“, antwortete ich.
„Dann sind ihre Geschichten wohl lang“, lächelte sie.
„Eher nicht, aber sehr dicht“.
Sie runzelte die Stirn.
„Dann wird unsere Begegnung möglicherweise nur einen Satz lang sein“, konstatierte sie salopp.
Ihr Blick forderte mich allerdings heraus.
„Ich habe schon längere Geschichten über einen kleinen Augenblick geschrieben“, antworte ich schmunzelnd.
Sie nippte an ihrem Kaffee.
„Was haben sie vorhin auf den Zettel geschrieben“, fragte sie neugierig.
Ihre direkte Art gefiel mir, obwohl sie persönlich wurde.
Ich schob ihr das Stück Papier herüber.
Sie las.
'Wann die Luft raus ist, sagen dir die Umstände'. 'Es ist Zeit für einen Radwechsel'. 'Maus', 'Käfig', 'Verschlusssache?'.
„Daraus lassen sich ein paar Sätze malen“, meinte sie nachdenklich.
Ihre Stimme klang nicht herablassend und ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass meine Notizen etwas in ihr berührt hatten, nicht nur ihren Verstand. Ihre Jugend fühlte mir nach.
„Wenn ich wollte, würde es ein Roman, habe da so meine Lebenserfahrung“, konstatierte ich und verwies bewusst auf unseren Altersunterschied
Sie schaute mich an.
„Ja, verstehe, aber wichtiger sind die Umstände. Bin ich die ´Maus´“, fügte sie lächelnd hinzu.
„Wir alle sind ´Mäuse´“, antwortete ich lachend.
Sie ist gescheit, dachte ich.
„Mäuse sehen nur ´Schwarz-Weiß´, das dürften sie wohl wissen“, erklärte sie herausfordernd.
„Daher versuche ich Farben hinein zu dichten, so gut es geht."
„Welche Farben fallen ihnen bei mir ein." Sie schaute mich herausfordernd an.
„Das fruchtig süße Apfelsinenrot der aufgehenden Sonne, als ich das Rad wechselte."
Sie schaute auf die Apfelsinenschalen auf meinem Teller und schmunzelte.
„Ja, gewiss, ich stand mit dem Rücken zur Sonne und habe sie ebenfalls beobachtete, als sie auf mich zu liefen“, gab sie zu verstehen.
Ich musterte ihre Augen und versuchte heraus zu finden, woran sie dachte.
„Ihre engen Kurztights schimmerten blau, wie das durchdringende Blau an einem Wimpelfisch“, meinte sie schließlich.
Ich lächelte und bekam das Gefühl, sie versuchte auf mich einzugehen.
„Einen solchen Satz würde ich in einer Geschichte verwenden, wenn es leise zu knistern beginnt“, warnte ich schmunzelnd. Ich wollte sie testen.
Sie lachte.
„Aha, erotische Augenblicke“, flüsterte sie. „Manche Fischarten setzten Farben ein, wenn es um die Fortpflanzung geht oder als Warnung vor einem Fressfeind."
„Mimikry“, antwortete ich mit fragendem Unterton.
„Ja, und als Meeresbiologin weiß ich Farben zu deuten, sie richtig einzuordnen. Ich kenne mich da aus, aber es ist wohl bei ihnen keine Warnung.“
„Ein wohl bedachtes Stilmittel in meinen Geschichten, es ist für mich weit mehr als Sex“, erwiderte ich offen und dachte an Altfische.
Was machst du hier eigentlich, dachte ich, höre auf damit. Sie ist zu jung für dich. Im gleichen Augenblick fragte ich mich, wer von uns beiden damit angefangen hatte.
Sie trank ihren Kaffee, nahm einen letzten Schluck und schaute mich an.
„Ich muss los, wenn sie wollen, werden wir uns wiedersehen, würde mich freuen. Sie sind ein interessanter Mann. Ich meine, es ist interessant mit ihnen zu plaudern.“
„Ich bin anscheinend ein bunter Fisch in einer Glaskugel."
Sie lachte herzhaft. Ihr Lachen war ebenso hübsch wie sie.
„Ich betrachte sie lieber in freier Natur. Hat mich gefreut.“
„Ganz meinerseits, hätte auch noch einige Fragen, was ´Altfische´ anbetrifft."
Sie schenkte mir erneut ein Lächeln, stand auf und ging.
„Bis dann.“ Sie winkte mir zu und verließ das Café.
Keiner kannte des anderen Namen. Es spielte keine Rolle. Wir verloren die Zeit aus den Augen. Es waren die Umstände.
Es wurde Nachmittag. Ich genoss die letzten Tage meines Aufenthaltes, flanierte durch die Gassen, wanderte an der Steilküste, beobachtete die Seevögel oder verdichtete in meiner kleinen Wohnung manche Seiten an Erinnerung. Es war die Ruhe vor dem alltäglichen Sturm, der mich zuhause erwartete.
Die unbeschwerte Zeit hier war dichter als Gold.
Hin und wieder sah ich sie an der Mole, zwischen den Fischern und ihren Netzen, den Fang begutachtend, in Gespräche vertieft, hörte ihr fröhliches Lachen aus der Ferne, während ich an einem Espresso nippte, mit weißem Hemd und schwarzer Hose bei den Spielern sitzend. Sie ahnte mich dort sitzen. Schaute manchmal zu mir herüber und lächelte. Wir suchten einander nicht. Dafür schien nicht die richtige Zeit. Es war nur eine zufällige Begegnung. Doch es war überraschend angenehm, wieder ein fröhliches Lächeln geschenkt zu bekommen, das Interesse signalisierte. Die Zeit lief langsamer.
*