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Das Flüstern des Harmattans

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03.10.2020
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Das Flüstern des Harmattans

Nun brüllten die Dromedare den ganzen Abend lang.
Vor drei Wochen waren sie mit ihnen aus Adel Bagrou losgezogen. Die Tiere hatten sich mit Leichtigkeit an die Strapazen der Reise gewöhnt. Täglich ertrugen sie die Reiter gleichmütiger auf den eng gezurrten Kamelsatteln, Dutzende Kilometer über glühend heißen Sand, weiter nach Norden, der Grenze entlang. Die Méharistes hielten Ausschau mit einem Fernglas, aber niemand von ihnen konnte sagen, wo genau das Staatsgebiet der Republik Mali verlief, sie hielten sich an die wenigen Wegzeichen, meist in Form von Felsen oder sonstigen topografischen Auffälligkeiten.
Das Land war flach und karg, hie und da wuchsen verstreute Gruppen von Tamarisken. Büschel von Trockengras dienten den Méharistes zum Anfeuern, sonst fehlte jegliche Vegetation. Die Dromedare bewiesen in der Wüste den entscheidenden Vorteil gegenüber einem Fahrzeug: Sie wirbelten keine Staubwolken auf, die kilometerweit zu sehen wären.
Morgens mussten sie nur noch kurz eingelaufen werden und sie fühlten sich offensichtlich wohl bei ihrer Aufgabe. Aber irgendetwas beunruhigte sie. Sobald der Horizont im tiefen Sahara-Rot ertrank und sich darauf die Dunkelheit wie ein perlenbesetzter Vorhang über das Land senkte, lief ein Zittern durch die Tiere. Zeitweise sprang diese Nervosität auf die Männer über.
Abdelaid schlang sich wie die anderen Méharistes in weißes Segeltuch. Lose getragen hielt es die ärgste Hitze des Tages ab, wickelte er es eng um seinen Körper, schützte es nachts vor der Kälte. Trotz dieser zusätzlichen Schicht über der Uniform suchte er die Nähe des Feuers. Sie lagen auf ihren Fellen und rauchten nigrischen Tabak in kurzen Blättchen, der fast schwarz war und auf der Zunge nach gebrannter Melasse roch. Niemand konnte ein Auge zutun. Alles Zureden war vergebens. Die Tiere ließen sich mit den Rufen der Männer nicht beruhigen. So standen die Méharistes auf, zwangen die Dromedare in die Knie und banden sie fest.
„Was haben die?“ Das war Mamoudou.
„Ich weiß nicht“, antwortete Cheikh. „So habe ich sie noch nie erlebt.“
„Der Mond trägt einen Schleier. Vielleicht ein Omen.“
„Ich bin mir sicher, morgen werden sie sich beruhigt haben. Legt euch wieder hin.“
„Die haben Angst“, sagte Abdelaid.
„Vielleicht sind Feinde in der Nähe. Wir sollten wachsam bleiben.“
„Versucht zu schlafen“, insistierte Cheikh. „Wir können im Moment nichts für sie tun. Laut den aktuellen Berichten hat sich die Al-Qaida bis weit hinter die malische Grenze zurückgezogen.“
Also würden sie warten, bis die Sterne verblassten und unter dem zartmorgendlichen Violett des Himmels Tee in einer birnenförmigen Kanne kochen. In dieser Jahreszeit sank das Thermometer nachts bereits gegen null Grad.
„Denkst du oft an deine Frau?“, fragte Cheikh.
„Nein. Nicht mehr.“ Mamoudou hustete trocken.
„Das ist gut. Du solltest nicht zu viel nachdenken, so wie Abdelaid.“
Der würzige Duft von brennendem Akazienholz schwebte zwischen den Männern. Sie hatten noch zwei Bündel und mussten sparsam damit umgehen. Die Verpflegung war einfach. Eine Handvoll Nüsse, Datteln und etwas getrockneter Fisch aus Nouakchott. „Sprichst du ein bisschen Wolof für uns, Abdelaid?“, fragte Mamoudou und blickte in die Flammen. Seine Augen waren wässrig und die Falten auf der Stirn erinnerten an ein ausgetrocknetes Bachbett.
„Nein, ich bin zu müde. Ein andermal vielleicht.“
„Dein Vater war Senegalese, da wette ich fünfhundert Khoums drauf.“
„Ich würd’s dir sagen, wenn ich’s wüsste.“
„Kein Maure spricht so komisches Arabisch wie du. Das ist doch kein Hassania.“
Da lachten sie und Abdelaid lag auf seinem Schaffell, beobachtete den heller werdenden Himmel und dachte nach.

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Er wurde auf dem Erzzug zwischen Eisenstaub und Wüstensand geboren.
Seine Mutter stammte aus dem Herzen von Tiris Zemmour. Sie verkaufte Tabak und Tee auf den schwankenden Hochbordwaggons, die von den drei Dieselloks durch die Einöde gezogen wurden. Le Train, wie er schlicht genannt wurde, verband die Minen in Zouérat auf einer über siebenhundert Kilometer langen Strecke durch die Sahara mit der Küstenstadt Nouadhibou im Süden. Die Lebensader und das Haupttransportmittel für viele Menschen dieser unwirtlichen Gegend. Sie fuhren gerne auf ihm mit, wohlwissend, dass er den Reichtum des Landes zum Hafen transportierte, wo all das Erz in die Welt hinaus verschifft wurde und nichts außer dem Staub zurückblieb, für diejenigen, die danach wieder auf ihm saßen.
Schon aus weiter Ferne waren seine schwarzen Dieselrußfahnen zu erkennen. Die Menschen in den Dörfern gerieten in freudige Aufruhr und eilten ihm entgegen, wenn er weit entfernt am Horizont auf sie zuschnaufte. Wie oft Abdelaid zwischen Zouérat und Nouadhibou hin und her gereist ist, kann er heute nicht mehr schätzen.
Das ohrenbetäubende Rattern des Zuges ging bei seiner Geburt in Fleisch und Blut über und irgendwann wurden die Vibrationen so vertraut, dass er sich seltsam weich und schwerelos fühlte, wenn er von dem Ungetüm herunterkletterte. Die Waggons warfen selbst dann noch kühlenden Schatten, wenn die Sonne im Zenit stand. Bei den seltenen Haltestellen klopften die Reisenden den Staub aus der Kleidung und setzten sich hin, um etwas auszuruhen oder in Zimmerlautstärke miteinander zu plaudern, während emsige Verkäufer in bunten Obergewändern vor ihnen auf und ab wuselten.
Manchmal schickte ihn die Mutter für eine oder zwei Wochen in die Schule und sobald er arbeiten konnte, verdiente er sein Geld als Gleisbauer. Die schwere Ladung und der grobkörnige Sand setzten den Gleisen so zu, dass sie alle paar Monate ausgetauscht werden mussten. Aufgrund der langen Strecke gab es immer genug zu tun und er gewöhnte sich rasch an die schwere Arbeit. Abgeplatzte Schienenteile lagen wie Granatsplitter unter der Wüstensonne.
Mit siebzehn Jahren war er kräftig für sein Alter und dachte daran, in der Mine in Zouérat anzuheuern. Er hatte von Reisenden gehört, wie gefährlich die Arbeit dort sei und dass manchmal auch Leute zu Tode kamen, aber der Verdienst sprach für sich. Außerdem konnte er doch nicht sein ganzes Leben auf dieser eisernen Schlange verbringen.
Bevor er die Mutter über seine Pläne in Kenntnis setzen konnte, geschah ihr ein folgenschweres Unglück. Für einen Moment unachtsam beim Überqueren der Waggons, blieb sie mit dem Fuß an einer Kante hängen und fiel mitsamt ihren Waren vom fahrenden Zug.
Der Fall hätte sie nicht getötet, wurde Abdelaid berichtet, aber er wusste auch so, dass sie verloren war. Trotzdem stand er auf, streckte seine Arme aus, um die Balance zu halten, und blickte ihr nach, obwohl er ihren Körper neben den Gleisen schon längst nicht mehr ausmachen konnte. Hätte er damals doch nur den Mut gehabt, ihr hinterherzuspringen. Stattdessen starrte er die restliche Fahrt leer in die Wüste hinaus und grübelte, was jetzt aus ihm werden sollte. Erst später machte er sich Vorwürfe. Das Gefühl, sie für immer im Stich gelassen zu haben, hallte Jahre nach. Selbst dann noch, als das Rattern des Zuges längst in ihm verebbt war.

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Es war früher Vormittag, als sie die Dromedare losbanden. Die Tiere blieben noch eine Weile liegen, während die Temperatur auf dreissig Grad Celsius kletterte und Cheikh den Tee in kleinen Gläsern hin und her goss. Sobald sich auf dem Getränk die vor dem Sand schützende Schaumschicht gebildet hatte und er sicher war, dass die Aromen sich entfalten konnten, reichte er es den Méharistes weiter.
„Danke. Uh, kochend heiß. Das ist gut für den Kopf“, sagte Abdelaid.
„Dann solltest du mehr davon trinken“, lachte Mamoudou. „Hast du etwas schlafen können?“
„Nein. Aber ich bin nicht müde.“
„Ich auch nicht. Wieso kratzt du dich ständig an der Brust?“
„Eine alte Wunde. Ist nie richtig verheilt.“
Cheikh ließ aufsitzen. Seit heute Morgen trug Mamoudou den Karabiner geschultert und hustete noch öfter als sonst. Abdelaids Gewehr war hinter ihm quer über den Tierrücken gebunden, so dass er nicht ständig mit ihm in Kontakt kommen musste. Trotz seiner Ausbildung bei der Armee hatte er sich nie an die Anwesenheit von Waffen gewöhnt.
Nach einer Weile nahmen sie ihre Käppis ab und wickelten sich hellblaue Stofftücher um die Köpfe und die verschwitzten Nacken. Sie waren noch nicht lange unterwegs, da zeichnete sich am Horizont eine Gruppe Dattelpalmen ab, die im Hitzeflimmer miteinander zu tanzen schienen. Cheikh streckte seine Hand in die Luft und sie zügelten ihre kleine Karawane. Aus einer Satteltasche nahm er das Fernglas, schirmte sich gegen die Sonne ab und blickte hindurch.
„Was siehst du?“, fragte Mamoudou.
„Das ist einer der Brunnen. Aber dahinter ist noch was anderes“, sagte Cheikh.
Ein Entwicklungsprojekt der Europäischen Union hatte die Wasserlöcher mit elektrischen Pumpen und Solarpanels ausgestattet. Es war Aufgabe der Méharistes, die Funktion der Pumpen zu überprüfen. Aber da niemand wirklich genau wusste, wie sie repariert werden konnten, verzeichneten sie die Ausfälle lediglich auf einem Notizblock.
„Was meinst du damit?“
„Staubwolken.“
„Kommen sie näher? Ein Fahrzeug?“
„Nein.“
„Vielleicht der Harmattan“, sagte Mamoudou.
„Um diese frühe Jahreszeit?“, zweifelte Abdelaid. „Das ist ausgeschlossen.“
„Die Welt verändert sich, gewöhn dich dran. Es ist unaufhaltsam. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich der Scirocco und der Harmattan vereinten und die Kinder dieses Landes dauerhaft in einem Sandsturm leben müssten.“
„Das glaube ich nicht.“
„Wartet. Da ist noch etwas. Ein Funkeln. Ein Blinken im Sonnenlicht.“
„Hör auf, ein Geheimnis draus zu machen. Wir sehen nichts.“
Abdelaid und Mamoudou sassen nebeneinander in ihren Sätteln und blickten angestrengt zwischen den Tüchern hervor. Außer wabernder Luft lag da vorne nur die einsame Stille des Wüstenbeckens.
„Doch, ein Fahrzeug. Aber es bewegt sich nicht. Es steht einfach dort unter den Palmen, als hätt’s jemand vergessen. Da ist niemand.“
„Oder sie verstecken sich.“
„Wir sollten nachsehen.“
„Hast du die Staubwolke vergessen?“, hakte Mamoudou nach.
„Cheikh?“
„Wir reiten näher.“

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Nach dem Tod seiner Mutter wollte er nichts mehr mit dem Zug zu tun haben.
Mit einem jungen Arbeitssuchenden aus Nigeria schlug er sich durch bis in die Vororte der Hauptstadt. Die Verständigung gestaltete sich schwierig und es war folglich mehr eine Zweckgemeinschaft. In Nouakchott lernte Abdelaid einen Mann kennen, der ihm versprach, aus ihm würde ein guter Reiter werden und dann könne er vielleicht zur Armee gehen. Außerdem versicherte er ihm, würde er für seine Ausbildung aufkommen, er besäße einen großen Hof im Süden und zweihundertzwanzig Dromedare. Er stellte sich als Syid Demba vor.
Abdelaid konnte sich nicht an dem glänzenden Meeresteppich sattsehen, an dessen Stränden sie mit dem Geländewagen entlangfuhren. Er erinnerte ihn an die Wüstennächte, wenn der Himmel sein prachtvolles Sternenzelt aufspannte. Erst später bemerkte er, dass sie die Grenze zum Senegal überquert hatten. Als sie ankamen, stand dort ein hohes Gebäude mit Veranda, die sich auf lange, weiße Säulen und verzierte Torbogen stützte. Auf Abdelaid wirkte das, als hätte man zwei Häuser übereinandergestapelt. Eine steinerne Treppe führte hoch zum Eingang.
Das Reiten lag ihm sofort im Blut und Syid Demba kümmerte sich gut um ihn. Abdelaid quartierte er im unteren Teil des Hauses ein und das zuvor seltsam anmutende Gebäude offenbarte bald seine Vorzüge: Es war großzügig bemessen und gemütlich eingerichtet. Syid Demba hatte eine Handvoll Angestellte, deren Wohlergehen ihm nicht so nahe ging. Sie waren dunkler als Abdelaid und selbst als Syid Dembas Frau, die ihn an eine knorrige, ebenholzfarbene Kartoffel erinnerte.
Sie mussten in einem schmucklosen Häuschen aus Brettern abseits des Hauptgeländes schlafen und kümmerten sich tagsüber um die Herde. Abends waren ihre Hände wund vom Striegeln der Tiere. In den Wintern lagen sie mit dem Rücken an den Steinwänden, um die darin gespeicherte Wärme aufzunehmen. Da ließ Abdelaid sie manchmal drinnen schlafen.
Syid Dembas Tochter Najya feierte ihren neunten Geburtstag. Aus ihr war ein hübsches Mädchen mit dunklen Augen und glattschwarzem Haar geworden. Abdelaid beobachtete, wie es von seiner Mutter mit fetthaltiger Kondensmilch gefüttert und immer dicker gemacht wurde. Mit zwölf musste sie mehrere Liter verteilt über den Tag trinken und er fragte sich, wie sie das durchhalten konnte und ob sie Schmerzen hatte. Als er einmal bei Syid Dembas Frau nachfragte, wozu das schreckliche Mästen gut sei, antwortete diese lachend: „Damit meine Tochter rasch zu einer Frau heranwächst und einen Mann findet.“
Es kam der Tag, da sagte ihm Syid Demba, seine Tochter sei nun bereit zu heiraten und ein Kind zu empfangen. Aber Abdelaid hegte keinerlei leidenschaftliche Gefühle für das gepeinigte Mädchen. In ihm war nichts außer einer ganzen Sandbank voller Mitleid, die sich bis obenhin anstaute und die er ihm am liebsten vor die Füße gekippt hätte. Also verweigerte er sich höflichst und Syid Demba baute sich drohend vor ihm auf. Zumindest so drohend, wie es ein alter, gebrechlicher Mann, dem beim Zetern die Spucke vom Mund herunterlief, bewerkstelligen konnte.
Er schrie ihn an, dass die Dunklen gefälligst nicht ins Haus gehörten, das hätte er schon lange bemerkt und ihm ausreden wollen, das seien keine Maghrebiner und schon gar nicht seine Freunde. Und was denn eigentlich sonst mit ihm alles nicht in Ordnung wäre, fragte er ihn. Ob’s da unten vielleicht Probleme gäbe, mit dem Ding zwischen seinen Beinen.
So lernte Abdelaid von Syid Demba etwas, das ihm kein Anderer hätte besser beibringen können. Nämlich dass er nicht länger an einem Ort leben wollte, wo eine Willkürlichkeit wie die dunklere Schattierung der Haut über jemandes Gesellschaftsrang entschied. Er musste dringend weg. Die Atmosphäre wurde immer unangenehmer. Seine Hausherren behandelten ihn jeden Tag mit wachsender Abschätzigkeit, Essensrationen wurden wahllos gestrichen und sie bezahlten ihm nur noch einen Bruchteil seines Lohns. Abdelaid wartete nicht, bis sie zwischen ihm und ihren Arbeitern keinen Unterschied mehr machten.
Die armen Leute aus dem Bretterhaus halfen ihm, als er eines Nachts das Dromedar sattelte. Als Dank für ihre Freundschaft hinterließ er ihnen einen Anteil seiner Ersparnisse, wenn auch nur einen kleinen, weil Syid Demba all die Jahre geizig gewesen war. Nicht ohne sie davor zu warnen, das Geld vor ihm und seiner Frau zu verstecken, aber am besten würden sie’s einfach nehmen und schleunigst verschwinden. Dann winkte Abdelaid ihnen zu und ritt fort von Syid Dembas Hof, zurück zur Grenze nach Mauretanien.

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„Wieso ist deine Frau gestorben?“, fragte Abdelaid.
„Sie bekam die Masern. Zumindest sagte das der Arzt. Sie unterrichtete an der Universität, weißt Du. Da gab’s auch Weiße damals. Vielleicht hatte sie’s von denen. Ist lange her.“
„Ich traf nie eine. Eine zum heiraten, mein ich.“
„Tut mir leid. Hier draußen sind wir alle einsam.“
„Ich frage mich manchmal, wo mein Haus mit den hellblau angestrichenen Türen und Fenstern steht, von dem ich ständig träume, und wo meine Kinder geblieben sind. Als würde ich über ein Leben nachdenken, das ich nie gelebt habe. Und das niemals mir gehören kann.“
„Du bist Méhariste geworden.“
„Seid mal still“, unterbrach Cheikh. „Etwas mehr Konzentration bitte. Verschiebt eure Lagerfeuergespräche auf später.“
Nachdem sie die Umgebung intensiv mit dem Fernglas abgesucht hatten, ritten sie die letzten paar hundert Meter bis zum Brunnen. Stiegen ab und banden die Tiere fest. Unter den Dattelpalmen stand ein weißer Jeep mit platten Reifen. Auf seiner Motorhaube prangte ein rotes Kreuz in einem Kreis, eine Tür stand offen und auf dem Beifahrersitz lag ein Rucksack. Das Fahrzeug war nicht lange verlassen, im Fußraum fanden sie eine angebrochene Flasche Wasser, deren Inhalt noch frisch aussah. Vor dem Wagen im Staub lag ein Schuh. Musste von einem Ausländer stammen, die Leute hier trugen mit Nägeln beschlagene Sandaletten. Am Horizont ballten sich die Staubwolken bedrohlich auf, verdichteten sich zu einer riesigen Faust, die bald über die Senke hinwegdonnern würde.
Mamoudou hustete und spuckte in den Sand.
„Der ist vom Croix Rouge. Ist von drüben gekommen. Schaut euch um, vielleicht finden sich Kampfspuren.“
„Wieso hat die Person ihren Schuh verloren?“, murmelte Abdelaid.
„Vielleicht wurde er absichtlich dort platziert und sie beobachten uns. Wägen ab, wann sie zuschlagen sollen.“ Mamoudou blickte dem Sandsturm entgegen. Noch war keinerlei Bewegung in der kochenden Luft, aber die ockerrote Wand kam mit jeder Minute näher. Er nahm den Karabiner von der Schulter und ging um das Fahrzeug herum.
„Hier hinten sind mehrere Abdrücke im Sand. Keine weiteren Spuren. Keine Hülsen, kein Blut, nichts. Sie haben den Fahrer mitgenommen.“
Cheikh bückte sich und untersuchte die Reifen. „Die wurden von irgendwas aufgestochen. Der Gummi ist völlig zerschlissen.“
Aus den Schatten unter dem Wagen erschien eine Hand, gefolgt von einem Arm. Die Hand wollte Cheikhs Knöchel packen, aber er reagierte instinktiv. Er drückte mit seiner Sandale die tastenden Finger in den Sand, verlagerte sein Gewicht und zielte mit dem Karabiner unter das Fahrzeug. Als nichts weiter geschah und auch niemand protestierte, lockerte er seinen Fuß.
„Komm raus!“
Darauf folgte keine Reaktion.
„Zeig dich, verdammt.“
Wieder nichts. Also packte er den Arm, bemerkte, dass Blut an ihm klebte, und zog einen Mann mittleren Alters unter dem Wagen hervor, mit sandverkrustetem Haar und Bart, ein verschwitztes, kurzärmeliges Hemd und weiten Stoffhosen am Körper. Auf Brusthöhe saß ein fransiges Loch im Stoff. Abdelaid fand, es sah aus wie eine der Blumen mit den tiefroten Blütenblättern, die er mal in Küstennähe gesehen hatte. Das war damals, auf einem Ausflug mit Syid Demba. In einem anderen Leben.
Der fremde Mann war von heller Hautfarbe und schien kurz vor dem Tod. Mit scheinbar letzter Kraft brabbelte er einen fremdartig artikulierten Wortschwall, während ihm Blut aus den Mundwinkeln tropfte, das kleine Krater im Sand zurückließ. Aber etwas verstanden sie alle. „Al-Qaida“, sagte er.
Den Rest verschluckte der nun aufbrausende Wind. Irgendwo peitschte ein Schuss. Innerhalb Sekunden waren sie umgeben von flirrendem Rot.

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Und so meldete sich Abdelaid bei der Armee in Nouakchott.
Erst verlangten sie einen Pass, aber mit ausreichend Durchhaltewillen und vielleicht auch etwas Glück nahm ihn ein alter Ausbilder der französischen Fremdenlegion unter seine Fittiche. Er gab an, ein Waise aus Zouérat zu sein, weil Terroristen seine Eltern umgebracht hätten, und er fühle sich deshalb der mauretanischen Armee verpflichtet, wolle bei der Landesverteidigung helfen und sonst wüsste er ja nicht recht wohin.
Houssan war gezeichnet vom Wüstenleben und vom Krieg und er lehrte ihm die Handhabung einer AK-47. Sein monatelanges Überlebenstraining, dessen Grundlage sich stark an der nomadischen Lebensweise orientierte, absolvierte Abdelaid mit Wissbegierigkeit. Obwohl er einige der wichtigsten Regeln bereits kannte, lernte er von Houssan doch, dass der Teufel in den Details lag und diese Kniffe im Ernstfall entscheidend sein konnten.
Dass er ein geübter Reiter war, machte sich nun bezahlt. Es hatte etwas Romantisches, mit den Männern auf die Missionen loszuziehen, in dieses riesige, ungewisse Land hinaus. Dabei floss auch etwas Geld in seine Taschen, aber das nahm er höchstens als angenehmen Nebeneffekt wahr. Er kaufte sich Tabak oder mal eine Macadamia-Schnitte beim Bäcker, wenn sie in einer größeren Stadt ankamen.
Einmal ritten sie zum Guelb er Richat hinaus. Houssan erklärte, die ringförmigen, konzentrischen Stufen des riesigen Kraters seien selbst aus dem All zu sehen und dienten dort als Orientierungspunkt für Astronauten. Im Ausland sei er als das Auge der Sahara bekannt. Es sei einer der heißesten Orte der Welt und wenn sie hier zweiundsiebzig Stunden überlebten, wäre ihr Training vorerst abgeschlossen. „Der Harmattan kommt“, sagte er ihnen noch. „Hört ihr das? Im Guelb er Richat solltet ihr vor dem Schlimmsten geschützt sein.“
Tags wurde es fast fünfzig Grad heiß. Die Hitze machte den Männern schon nach den ersten Stunden zu schaffen und sie verkrochen sich unter ihrer kakifarbenen Kleidung. Bei ihnen befand sich auch ein junger Berber. Er war es, der die Kontrolle verlor.
Zitternd und mit den Zähnen klappernd, als wäre ihm kalt, stolperte er am Morgen des zweiten Tages kopflos im Krater herum. Die anderen unternahmen nichts, um den Burschen zu retten, aber Abdelaid konnte nicht noch einmal jemanden sterben lassen. Er verfolgte ihn, rief ihm zu, er solle stehen bleiben. Der andere antwortete ihm nur in einem fremdartigen Kauderwelsch. Abdelaid wurde zornig und brüllte ihn an, dass er hier sein Leben lassen würde, das sei es doch nicht wert und es gäbe bestimmt viele Leute, die ihn vermissen würden, wenn er jetzt nicht kehrtmachte. Aber da war er verschwunden.
Abdelaid rief weiter nach dem Jungen, bis seine Stimmbänder so trocken waren, dass er nicht mehr Schlucken konnte vor Schmerzen. Lief den Krater ab, kämpfte sich über den Sand, der immer weicher zu werden schien. Schließlich sah er etwas vor sich liegen, erst erkannte er den Gegenstand nicht, dann sah er, dass es sich um einen Schuh des Burschen handelte. Er kniete sich hin, nahm ihn an sich und da drückte ihn von hinten etwas grob zwischen die Schulterblätter. Bevor Abdelaid realisierte, was geschah, zog der Bursche am Abzug und ein Schuss rollte durch den Guelb er Richat.

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„Er ist getroffen!“, schrie Mamoudou. Cheikhs Antwort bestand aus unverständlichen Flüchen. Abdelaid spürte ein Brennen in der Brust, wie ein Buschfeuer, das sich bis in die Wirbelsäule ausbreitete. Er begriff nicht, was passiert war und ob er noch auf seinen Füssen stand oder schon am Boden lag. In der Luft tanzte und wirbelte der rote Sand.
Der Schuh, dachte er, ich habe einen Schuh gefunden. Er gehört dem Berberjungen! Ich darf ihn nicht sterben lassen, habe es ihm doch versprochen. Niemand darf mehr sterben, das habe ich mir selbst geschworen, aber da liegt nur dieser tote, weiße Mann, den kenne ich nicht, den habe ich noch nie zuvor gesehen, was macht der plötzlich hier? Aber am wichtigsten: Wo ist der Junge? Er ist nicht mehr Herr über sich selbst und wird hier draußen sterben, im Guelb er Richat!
Und er stellte sich vor, wie er nach oben schwebte, hoch bis über die Wolken, hinauf zu den Astronauten in ihren Raumschiffen, die dieses Naturwunder, das Auge der Sahara, zur Orientierung nutzten, und da flog einer in der Schwerelosigkeit und Abdelaid fühlte sich wie damals, wenn er vom Zug hinunterstieg und der Andere trug einen dickgepolsterten Anzug, aus dem ein Schlauch hing und er zeigte nach unten und sprach in perfektem Wolof: „Houston, wir haben unsere Position falsch eingeschätzt. Da unten tobt ein ganz schöner Sturm.“
Irgendwo peitschte ein Schuss. Abdelaid stürzte zurück zur Erde und schlug ungebremst im Wüstensand auf. Er streckte die Arme aus, um sich vorwärts zu ziehen, doch seine Finger waren taub und bekamen nichts zu fassen außer feine Körner. Mit tränenden Augen krallte er sich in den heißen Untergrund, schaufelte Sand beiseite und wühlte immer tiefer, grub hinab, auf der Suche nach diesem Leben, wo er ein Haus mit hellblau angestrichener Türe besaß, in dem seine Frau mit den Kindern wartete. Bis er eine Grube ausgehoben hatte, und in ihr drinlag, wie in einem Grab. Er wollte einschlafen, aber da erschien ihm das uralte Antlitz von Houssan unter dem Sand.
Als dieser sich erhob, rieselte ihm der Staub vom bandagierten Gesicht und von der Uniform, eine lebende Mumie, die sagte, das Training sei jetzt abgeschlossen, er solle seine AK-47 niederlegen und woanders hingehen, denn zum Töten sei er ja nicht gemacht und hätte nicht mal diesen Jungen umlegen können. Vielleicht wären ja die Méharistes etwas für ihn, dort würden nämlich alte, unbrauchbare Männer gerne angenommen, damit sie wenigstens noch irgendeinen Zweck erfüllten.
Aber er habe doch einen Zweck gehabt, protestierte Abdelaid. Er hätte anderen Menschen helfen wollen, deshalb sei er ja auch zur Armee gegangen, nur die Mittel dazu wären halt manchmal ein Problem gewesen, und außerdem seien Syid Dembas Arbeiter vielleicht mit dem Geld abgehauen und heute freie Leute. Vor ihm schoss das riesige Haus mit der Veranda und den weißen Torbögen aus dem Sand, aber es stand auf dem Kopf und alle die schönen und bequemen Möbel purzelten in die Wüste.
Syid Dembas Arbeiter setzten sich lachend darauf, klopften auf den Polstern herum, dass der Staub in schwarzen Wolken stob, schwärzer noch als sie selbst, genau so schwarz wie der Eisenstaub, von dem ihm ständig die Nase lief, und Syid Dembas Frau, die knorrige Kartoffel, rannte im Kreis und wusste weder ein noch aus. Der alte Syid Demba selbst stand da wie angewurzelt, mit verbittertem Mund und schmerzgezeichneten Augen und er streckte die Hände nach ihm aus und sagte: „Meine Tochter ist sehr einsam, weil du sie nicht geheiratet hast.“ Hinter ihm schnappte Najya quäkend nach Luft.
Doch Abdelaid hörte gar nichts mehr, weil er in dem Geländewagen vom Croix Rouge an der Küste entlangfuhr und aus dem Fenster sah, hinunter auf das Meer aus Sternen, denn er verließ den Senegal, fuhr hoch nach Nouakchott, wo er nach dem Jungen aus Nigeria sehen wollte und ob dieser vielleicht am Hafen Fische räucherte. Er war jedoch nirgends zu finden und Abdelaid verlief sich in dem Labyrinth aus Bretterbuden, bis er am Bahnhof stand, wo die riesige Erzschlange Dieselfahnen in den Himmel schnaufte und es blutrote Blütenblätter aus ihren Schornsteinen regnete.
Abdelaid bestieg das eiserne Ungetüm und bemerkte, dass seine Hände geschrumpft und weniger sehnig geworden waren. Am Bahnsteig gingen Händler in langen Gewändern auf und ab und boten Pickel und Schaufeln feil. Als der Zug anrollte, rannten sie ihm scharenweise hinterher und schrien ihm nach: „Geh und arbeite in der Mine, kleiner Abdelaid.“
Auf einem der Waggons saß seine Mutter und sie lachte über das ganze Gesicht und sie zeigte ihm, wie toll sie über den schwankenden Zug balancieren konnte, ohne dass sie herunterfallen würde, das sei doch ganz leicht und er müsse keine Angst haben.
Irgendwo peitschte ein Schuss.
Abdelaid krümmte sich zusammen und fiel in den Staub. Blickte dem ratternden Zug hinterher, bis er die Silhouette seiner Mutter nicht mehr sehen konnte und die eiserne Schlange am Horizont verschwunden war. Aber da wusste er, sie war auf dem Zug und ihr würde es gut gehen.
„Haben wir alle erwischt?“, fragte irgendjemand in gebrochenem Arabisch.
„Der hier lebt noch“, antwortete ein anderer, nah und doch ganz weit weg.
Abdelaid wollte schreien, aber er schluckte nur Staub. Das Letzte, was er hörte, war das Flüstern des Harmattans und das entfernte Gebrüll der Dromedare in seinem Zentrum.

 

Moin @deserted-monkey,

danke für Deine Geschichte.

Meh.
Ich weiß nicht recht, was ich davon halten, bzw. wie ich sie aufzunehmen habe. Es mag daran liegen, dass ich so gar keine Ahnung von der Materie, dem Setting, der Geografie und dem „Schlag Menschen“ habe, die Du in diese Geschichte über das Leben und Sterben flechtest.
Viele der Orte und manche einzelnen Wörter ( Adel Bagrou, Méharistes, Nouakchott, Wolof, Tiris Zemmour, Guelb er Richat) kannte ich nicht und dann waren es mitunter so viele, dass ich nicht andauernd stoppen und nachschlagen wollte.
Ich will damit sagen, dass ich vielleicht nicht der geeignetste Wortkrieger bin, wenn es darum geht, diese Geschichte konstruktiv zu kritisieren. Ich mach´es trotzdem. ;)

Sie lagen auf ihren Fellen und rauchten nigrischen Tabak in kurzen Blättchen, der fast schwarz war und auf der Zunge nach gebrannter Melasse roch.
Der Tabak roch auf der Zunge? Müsste das nicht schmeckte heißen? Ich weiß, Mund-Nase-Verbindung und so. Hat sich für mich trotzdem seltsam gelesen.


Das ohrenbetäubende Rattern des Zuges ging bei seiner Geburt in Fleisch und Blut über und irgendwann wurden die Vibrationen so vertraut, dass er sich seltsam weich und schwerelos fühlte, wenn er von dem Ungetüm herunterkletterte.
Das liest sich so, als hätte der Prota das bereits bei seiner Geburt festgestellt. Ich würde es vielleicht in „seit seiner Kindheit“ (oder so) ändern?


In Nouakchott lernte Abdelaid einen Mann kennen, der ihm versprach, aus ihm würde ein guter Reiter werden und dann könne er vielleicht zur Armee gehen. Außerdem versicherte er ihm, würde er für seine Ausbildung aufkommen, er besäße einen großen Hof im Süden und zweihundertzwanzig Dromedare. Er stellte sich als Syid Demba vor.
Warum macht Syid Demba das? Später schreibst Du über die Absichten, dass er den Prota mit seiner Tochter verheiraten will. War das hier bereits seine Absicht? Dieses Samariter-hafte kam mMn irgendwie aus dem Nichts.

Abends waren ihre Hände wund vom Striegeln der Tiere. In den Wintern lagen sie mit dem Rücken an den Steinwänden, um die darin gespeicherte Wärme aufzunehmen. Da ließ Abdelaid sie manchmal drinnen schlafen.
Hier habe ich mich gefragt: Das kann der jetzt alleine entscheiden? Welche Stellung hat er denn am Hof? Hat mich ein wenig verwirrt zurückgelassen.


Es kam der Tag, da sagte ihm Syid Demba, seine Tochter sei nun bereit zu heiraten und ein Kind zu empfangen. Aber Abdelaid hegte keinerlei leidenschaftliche Gefühle für das gepeinigte Mädchen. In ihm war nichts außer einer ganzen Sandbank voller Mitleid, die sich bis obenhin anstaute und die er ihm am liebsten vor die Füße gekippt hätte.
Siehe oben. Und der erste Satz stellt nicht die Absicht Syids im zweiten heraus. Nur weil er dem Prota diese Gegebenheit mitteilt, heißt es ja noch nicht, dass er auch ihn für diese Idee vorgesehen hat. Und wieder: warum wird der Prota dazu von Syid ausgewählt?? Einfach so? Habe ich nicht verstanden.

Houssan war gezeichnet vom Wüstenleben und vom Krieg und er lehrte ihm die Handhabung einer AK-47.
Den Namen erwähnst Du vorher nicht. Hat mich irgendwie rausgerissen. Generell sind es viele Namen, vor allem am Anfang und in den Abschnitten der Dromedar-Reiter.

Ich möchte die Geschichte gut finden, doch sie kriegt mich leider nicht gepackt. Ich kann Dir gerade gar nicht sagen, woran genau es liegt. Vielleicht einfach am Eingangs erwähnten fehlenden Zugang?
Was ich sagen ist, dass Du den Erz-Zug gerne noch szenischer hättest beschreiben können, denn bei dem Abschnitt hattest Du mich am ehesten am Haken.

War nicht so meins, nichts für ungut.
Beste Grüße
Seth

 
Zuletzt bearbeitet:

Nun brüllten die Dromedare den ganzen Abend lang.

Ist sicher ein Kandidat für beste erste Sätze seit langem hier. Ist geschickt gemacht, weil es mehrere Dinge impliziert: Zeit ist vergangen, die Situation hat sich in dieser Zeit verändert, und man ist gespannt, wie es weitergeht.
Vor drei Wochen waren sie mit ihnen aus Adel Bagrou losgezogen. Die Tiere hatten sich mit erstaunlicher Leichtigkeit an die Strapazen der Reise gewöhnt.

Finde ich gut, es wirkt bis jetzt sehr exotisch, um es mal so zu sagen. So bewertende Adjektive wie erstaunlich etc, da wäre ich bei so einer Erzählanlage vorsichtig, denn es wirkt so einmischend, und ich zumindest empfinde das ein wenig als aufdringlich. Du schilderst die Atmosphäre auch so sehr gut, da hast du dieses Draufzeigen gar nicht nötig.
Die Méharistes hielten Ausschau mit einem Fernglas, aber niemand von ihnen konnte sagen, wo genau das Staatsgebiet der Republik Mali verlief, sie hielten sich an die wenigen Wegzeichen, meist in Form von Felsen oder sonstigen topografischen Auffälligkeiten.
Ja, echt gut. Meharistes oder so, ich muss nicht genau wissen, was oder wer die sind, aber irgendwie klingt es gut und es klingt echt, ich will mir eine Senoussi anstecken und mir wird automatisch warm. Ich würde hier noch mehr show betreiben, was genau sind die topografischen Auffälligkeiten denn?, hier nicht stehenbleiben sondern die Situation komplett entpacken. Und haben sie nur ein Fernglas? So liest es sich, als würde die alle durch EIN riesiges Fernglas schauen. Und sie schauen ja nicht nach dem Verlauf des Staatsgebietes Mali, sondern nach der Grenze, oder? Ich würde es dann auch so nennen und es aus dem Satz davor streichen.

Die Dromedare bewiesen in der Wüste den entscheidenden Vorteil gegenüber einem Fahrzeug: Sie wirbelten keine Staubwolken auf, die hier kilometerweit zu sehen wären.
Auch hier: show. Kurzer Dialog oder so. Ist natürlich Geschmackssache, aber so bist du in der Erzahlung, du arbeitest direkt am Glutkern, du beschreibst nicht von Außen.

Was haben die?“ Das war Mamoudou.
„Ich weiß nicht“, antwortete Cheikh. „So habe ich sie noch nie erlebt.“
„Der Mond trägt einen Schleier. Vielleicht ein Omen.“
„Ich bin mir sicher, morgen werden sie sich beruhigt haben. Legt euch wieder hin.“
„Die haben Angst“, sagte Abdelaid.
„Vielleicht sind Feinde in der Nähe. Wir sollten wachsam bleiben.“

Mamoudou müsste nichts sagen, sondern eine Geste machen, ein Achselzucken. Was ist mit den Tieren los? Cheikh sagt dann: So habe ich sie noch nie erlebt.
Den Rest könnte man kürzen. Dass die Tiere Angst haben und das die Männer wachsam vor Feinden sein müssen - das steckt da schon alles drin. Das subtil zu halten und EBEN NICHT alles direkt aussprechen, bzw die Figuren alles sagen lassen, das ist hier die Kunst.
Bei den seltenen Haltestellen klopften die Reisenden den Staub aus der Kleidung und setzten sich hin, um etwas auszuruhen oder in Zimmerlautstärke miteinander zu plaudern, während emsige Verkäufer in bunten Obergewändern vor ihnen auf und ab wuselten.
Zimmerlautstärke klingt hier irgendwie seltsam und unpassend. Eventuell gedämpfte Lautstärke etc?

Der Fall hätte sie nicht getötet, wurde Abdelaid berichtet, aber er wusste auch so, dass sie verloren war.
Sehr hart, aber ich würde mir doch etwas mehr hier wünschen. Wenn er die Strecke regelmässig fährt, warum hört er nie wieder etwas von ihr? Fragt er nie nach? Das verstehe ich nicht. Abgesehen davon, finde ich den zweiten Teil bis jetzt sehr gut, da würde ich gerne mehr von lesen. Da entsteht ein richtiger Sog, das ist gut und bildhaft gemacht.
Sobald sich auf dem Getränk die vor dem Sand schützende Schaumschicht gebildet hatte und er sicher war, dass die Aromen sich entfalten konnten, reichte er es den Méharistes weiter.
So was auch, mit der Schaumschicht - da hast du Autorität über deinen Stoff, sehr toll. Ich les nachher weiter, muss eben noch was arbeiten.

Gruss, Jimmy

 

„Die Welt verändert sich, gewöhn dich dran. Es ist unaufhaltsam. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich der Scirocco und der Harmattan vereinten und die Kinder dieses Landes dauerhaft in einem Sandsturm leben müssten.“
Manchmal sind die Dialoge etwas gestelzt und klingen ein wenig künstlich. Das ist hier denke ich umso schwerer umzusetzen, weil du in dieser fremden Atmosphäre arbeitest und niemand so genau weiß, wie die da sprechen. Vielleicht solltest du hier über eine Art Kunstsprache nachdenken, die einen eigenen Rhythmus und eine eigene Melodie hat, dass muss gar nicht einfach zu lesen sein, aber so wirkt es auch schon etwas wie ein Stellvertreterdialog, ein Einschub: die Welt verändert sich! Das ist 100% Autor, oder?

Als er einmal bei Syid Dembas Frau nachfragte, wozu das schreckliche Mästen gut sei, antwortete diese lachend: „Damit meine Tochter rasch zu einer Frau heranwächst und einen Mann findet.“
Im nächsten Satz zeigst du uns das, da wird es eine unveränderbare Realität, Mästen und Heiraten hängt zusammen, das wird klar und sinkt so viel tiefer und schwerer ein. Nicht noch extra erwähnen lassen.

Nämlich dass er nicht länger an einem Ort leben wollte, wo eine Willkürlichkeit wie die dunklere Schattierung der Haut über jemandes Gesellschaftsrang entschied.
Wir leben in woken Zeiten, aber dunklere Schattierung? Er meint doch: die Farbe seiner Haut entscheidet darüber, ob und wie er aufsteigt und wo er in der Gesellschaft steht. Ich weiß nicht, warum man da drumherumreden muss? Das ist doch nichts Wertendes.
„Ich traf nie eine. Eine zum heiraten, mein ich.“
„Tut mir leid. Hier draußen sind wir alle einsam.“
„Ich frage mich manchmal, wo mein Haus mit den hellblau angestrichenen Türen und Fenstern steht, von dem ich ständig träume, und wo meine Kinder geblieben sind. Als würde ich über ein Leben nachdenken, dass ich nie gelebt habe. Und das niemals mir geh
Auch hier, dieser Dialog. Einsamkeit müsste man zeigen und das mit dem Dialog verweben. Dieser Traum und so, alles sehr offensichtlich. Es kommt mir so vor, als ob du das dem Leser unbedingt mitteilen möchtest, was diese Männer denken und fühlen, aber so nimmst du ihnen diese Schwerkraft, es wirkt leichtfertig, wie die reden, und auch wie so ein emotionaler Infodump.
Sein monatelanges Überlebenstraining, dessen Grundlage sich stark an der nomadischen Lebensweise orientierte, absolvierte Abdelaid mit Wissbegierigkeit.
Ach, das würde ich gerne lesen, davon mehr, von dem Überlebenstraining und der nomadischen Lebensweise. Wie sieht die aus, was genau ist das, warum ist die vorteilhaft, wie muss ich mir die vorstellen? Hier verschenkst du leichtfertig Potential.
Es hatte etwas Romantisches, mit den Männern auf die Missionen loszuziehen, in dieses riesige, ungewisse Land hinaus. Dabei floss auch etwas Geld in seine Taschen, aber das nahm er höchstens als angenehmen Nebeneffekt wahr. Er kaufte sich Tabak oder mal eine Macadamia-Schnitte beim Bäcker, wenn sie in einer größeren Stadt ankamen.
Moment, auch hier geht mir das etwas zu schnell. Eben war er noch auf dem Zug, dann verliert er seine Mutter, geht zur Armee, reitet (!) bewaffnet durch die Wüste etc, verdient Geld oder nimmt es als Backschisch; das beschreibst du mit: es hatte etwas Romantisches. Ich glaube das, aber das musst du mir im Text beweisen, und nicht nur behaupten. Das ist auch etwas lazy, hinzugehen und das einfach so zu schreiben, weil es einen Resonanzraum aufmacht und ich sofort an Western denke, weites Land und Kautabak und Männergespräche am Feuer, nur hier eben auf einem anderen Kontinent, aber es ist ein wenig wie Fast Food, es macht nicht satt, ich will mehr, ich will etwas wirklich Substanzielles, ein fettes Steak.

„Der hier lebt noch“, antwortete ein anderer, nah und doch ganz weit we
Man weiß es ja schon, es kann nicht anders sein. Ist auch nicht das Problem, ich mag Texte, die sich organisch entwickeln, bzw zu einem organischen Ende hin, da würde ich es eher befremdlich finden, wenn da jetzt noch ein Plottwist kommt und das total seltsame Züge annimmt, wie es ja oft so ist. Also insofern konsequent, live by the sword, die by the sword.

Ich muss gestehen: Das Alternierende hätte ich nicht gebraucht. Diese eine Perspektive von Abdelaid ist in der grossen Strecke die bessere, die ist gesättigt mit sinnlichen Eindrücken und auch echter Tragik, da würde ich mir mehr von wünschen. Diese Sache mit den Meharistes und den Terroristen, ich weiß nicht. Ich denke da an so französische Filme wo es um Algerien geht, da ist auch oft ein Punkt, wie zerrissen die Bevölkerung da war, welche Konflikte es nicht nur zwischen der Armee gab, wer sich wie und wann wem gegenüber loyal verhalten hat; das kann man machen. Aber ich glaube, die lohnenswertere Geschichte ist diese Perspektive von Abdelaid; wie er sich durch das Leben schlägt. Da muss gar nicht viel passieren, keine AK 74 und keine Terroristen, finde ich, da könntest du dich ganz auf den Charakter konzentrieren und deine eigene Erfahrung einbringen. Man muss das nicht machen, aber ich fände es interessant, weil man diese Geschichte schon kennt, das ist so eine Assoziationskette, Armut, Armee, Tod, aber hier, wenn du bei Abdelaid bleibst, dann ist es wirklich individuell, da lässt du dich ganz auf den Charakter ein, alles andere kann ja trotzdem passieren, nur mit einer anderen Gewichtung, hier verschenkst du einen großartigen Protagonisten quasi zu einem kleinen Preis, das würde ich mir überlegen.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @deserted-monkey!

Deine Geschichte hat mir insgesamt gut gefallen, ich mochte auch den Wechsel zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart und dann die Vermengung der Erinnerungen mit der Gegenwart am Ende der Geschichte. Ich habe die anderen Kommentare nur überflogen, also entschuldige eventuelle Dopplungen bei den Zitaten. :)

Sie wirbelten keine Staubwolken auf, die hier kilometerweit zu sehen wären.
das "hier" könntest du streichen.

„Versucht zu schlafen“, insistierte Cheikh. „Wir können im Moment nichts für sie tun. Laut den aktuellen Berichten hat sich die Al-Qaida bis weit hinter die malische Grenze zurückgezogen.
Der Satz fühlt sich so an, als wäre er nur für mich als Leser nachgeschoben.

Manchmal schickte ihn die Mutter für eine Woche oder zwei in die Schule
Das liest sich nicht so schön, vielleicht eher "für eine oder zwei Wochen"

Aufgrund der Länge der Strecke, gab es immer genug zu tun
Auch hier liest sich das nicht ganz so schön: "Aufgrund der langen Strecke"

Der Fall hätte sie nicht getötet, wurde Abdelaid berichtet, aber er wusste auch so, dass sie verloren war. Trotzdem stand er auf, streckte seine Arme aus, um die Balance zu halten, und blickte ihr nach, obwohl er ihren Körper neben den Gleisen schon längst nicht mehr ausmachen konnte. Hätte er damals doch nur den Mut gehabt, ihr hinterherzuspringen. Stattdessen starrte er die ganze restliche Fahrt leer in die Wüste hinaus und grübelte darüber, was jetzt aus ihm werden sollte. Erst später machte er sich Vorwürfe.
Mit dem Absatz hatte ich große Probleme. Zum einen lässt mich der Anfang glauben, dass Abdelaid nicht dabei war, als seine Mutter gefallen ist, später aber wirkt es so, als wäre er da gewesen; außerdem kann ich das ganze zeitlich nicht so gut einordnen. Dass er dann "damals gerne hinterhergesprungen" wäre, verstehe ich so, dass er es gesehen hat; also anwesend war und nicht gesprungen ist, wodurch der erste Satz von den Berichtenden wohl eher als Aufmunterung zu verstehen wäre - also als ein "du hättest sie nicht retten können, auch wenn du nachgesprungen wärst" - aber das musste ich mir so zusammenreimen und ich frag mich halt auch, wie sie dann gestorben ist - ist sie vom Zug überfahren worden? Dann wäre es ja dumm gewesen, nach zu hüpfen oder was genau ist da passiert?

"Der Fall hätte sie nicht getötet, wurde Abdelaid berichtet, aber er wusste auch so, dass sie verloren war. Trotzdem stand er auf, streckte seine Arme aus, um die Balance zu halten, und blickte ihr nach, obwohl er ihren Körper neben den Gleisen schon längst nicht mehr ausmachen konnte. " - das "Trotzdem stand er auf", verstehe ich nicht ganz, hat er in dem Moment Angst, selbst zu fallen oder bezieht sich das auf das Nachsehen?

Die Verständigung gestaltete sich schwierig und es war folglich mehr eine Zweckgemeinschaft.
"folglich mehr" klingt mir ein wenig zu statisch. Vielleicht kannst du den Satz auch vor dem "und" beenden. Dass sie sich nicht unbedingt nahe stehen kommt eh aus der Szene selbst heraus.

Abdelaid konnte sich nicht an dem glänzenden Meeresteppich sattsehen, an dessen Stränden sie mit dem Geländewagen entlangfuhren und er erinnerte ihn an die Wüstennächte, wenn der Himmel sein prachtvolles Sternenzelt aufspannte.
Hier würd ich statt dem "und" einen Punkt machen und dann beginnen mit "Er erinnerte ihn (...) - so bin ich nämlich drüber gestolpert. :)

Syid Dembas Tochter Najya feierte ihren neunten Geburtstag und aus ihr war ein hübsches Mädchen mit dunklen Augen und glattschwarzem Haar geworden.
Hier das gleiche, vor dem "und" ein Punkt und dann mit einem neuen Satz beginnen. Das "und" wirkt hier "nicht verbindend" (?) Kann man das so sagen? ^^"

Als Dank für ihre Freundschaft hinterließ er ihnen einen Anteil seiner Ersparnisse, wenn auch nur ein kleiner, weil Syid Demba all die Jahre geizig gewesen war.
"einen kleinen"

Als Dank für ihre Freundschaft hinterließ er ihnen einen Anteil seiner Ersparnisse, wenn auch nur ein kleiner, weil Syid Demba all die Jahre geizig gewesen war. Nicht ohne sie davor zu warnen, das Geld vor ihm und seiner Frau zu verstecken, aber am besten würden sie’s einfach nehmen und schleunigst verschwinden.
Das fettmarkierte hat sich hier für mich ein wenig unnatürlich gelesen. Der erste Halbsatz "weil Syid Demba all die Jahre geizig gewesen war" liest sich so als würde entweder er sich selbst rechtfertigen wollen dafür oder als ob der Erzähler noch einmal sagen will: Wenns möglich gewesen wäre, hätte er eh mehr gegeben, aber er hats ja selbst nicht. Die Sätze die danach kommen hätt ich persönlich nicht mehr gebraucht, es kommt mir ein wenig vor wie: Ja, er hat sich wirklich toll um sie gekümmert, hat ihnen noch erklärt, was sie tun sollen und dass es ihnen besser ginge, wenn sie abhauen. -> dadurch hab ich mich halt gefragt, ob sie selbst nicht denken können, und ob sie selbst nicht auf die Idee kommen würden, abzuhauen, wenn er es ihnen nicht noch sagt. Und wieso er ihnen das nicht schon zuvor geraten hat, weil offensichtlich wurden sie schon immer schlecht behandelt. Und wenn er es ihnen jetzt aber sagt, sind sie dann nur aus freien Stücken hier? Also zwingt sie nichts zu bleiben - haben sie Zukunftsperspektiven? Das müsste er doch wissen.

„Hier hinten sind mehrere Abdrücke im Sand. Keine weiteren Spuren. Keine Hülsen, kein Blut, nichts. Sie haben den Fahrer mitgenommen.“
Wieder nichts. Also packte er den Arm, bemerkte, das Blut an ihm klebte,
Der fremde Mann war von heller Hautfarbe und schien kurz vor dem Tod. Mit scheinbar letzter Kraft brabbelte er einen fremdartig artikulierten Wortschwall, während ihm Blut aus den Mundwinkeln tropfte, das kleine Krater im Sand zurückließ.
Das ist jetzt nur eine Kleinigkeit über die ich mir vermutlich zu viele Gedanken mache, aber dadurch, dass zuvor eben kein Blut und nichts da ist, hab ich mich zwei Dinge gefragt, nämlich 1) wie haben die das Blut weggekommen, nachdem sie den Mann so verletzt haben und wenn er sich schwer verletzt unters Auto gezogen hätte, müsste es doch da auch spuren im Sand geben und 2) war das eine Falle? Also haben sie den Mann absichtlich am Leben gelassen und wenn ja, wie konnten sie wissen, dass er noch lange genug überlebt?

Der Schuh, dachte er, ich habe einen Schuh gefunden. Er gehört dem Berberjungen! Ich darf ihn nicht sterben lassen, habe es ihm doch versprochen.
Das fand ich sehr gut.

den kenne ich nicht, den habe ich noch nie zuvor gesehen, was macht der plötzlich hier? Aber am wichtigsten: Wo ist der Junge? Er ist nicht mehr Herr über sich selbst und wird hier draußen sterben, im Guelb er Richat!
Das war mir wiederum ein wenig "over the top"

Abdelaid fühlte sich wie damals, wenn er vom Zug hinunterstieg und der Andere trug einen dickgepolsterten Anzug, aus dem ein Schlauch hing und er zeigte nach unten und sprach in perfektem Wolof: „Houston, wir haben unsere Position falsch eingeschätzt. Da unten tobt ein ganz schöner Sturm.“
Irgendwo peitschte ein Schuss. Abdelaid stürzte zurück zur Erde und schlug ungebremst im Wüstensand auf.
Das fand ich auch sehr gut, überhaupt, die ganze Sterbeszene gefiel mir sehr gut.

Als dieser sich erhob, rieselte ihm der Staub vom bandagierten Gesicht und von der Uniform, eine lebende Mumie, die sagte, das Training sei jetzt abgeschlossen, er solle seine AK-47 niederlegen und woanders hingehen, denn zum Töten sei er ja nicht gemacht und hätte nicht mal diesen Jungen umlegen können. Vielleicht wären ja die Méharistes etwas für ihn, dort würden nämlich alte, unbrauchbare Männer gerne angenommen, damit sie wenigstens noch irgendeinen Zweck erfüllten.
Hier gefiel mir auch, dass man noch den Rest erfährt, wie genau er jetzt eigentlich bei den Méharistes gelandet ist.

Abdelaid bestieg das eiserne Ungetüm und bemerkte, dass seine Hände geschrumpft und weniger sehnig geworden waren. Am Bahnsteig gingen Händler in langen Gewändern auf und ab und boten Pickel und Schaufeln feil. Als der Zug anrollte, rannten sie ihm scharenweise hinterher und schrien ihm nach: „Geh und arbeite in der Mine, kleiner Abdelaid.“
Auf einem der Waggons sass seine Mutter und sie lachte über das ganze Gesicht und sie zeigte ihm, wie toll sie über den schwankenden Zug balancieren konnte, ohne das sie herunterfallen würde, das sei doch ganz leicht und er müsse keine Angst haben.
Irgendwo peitschte ein Schuss.
Auch eine sehr starke Szene. auch das mit dem Schuss, den er zwar vernimmt, der ihn aber nicht ganz aus der Watte raus holt.

Also insgesamt hat mir die Geschichte gut gefallen :)

LG Luzifermortus

 

Hallo @Rob F

Vielen Dank für deine Zeit, das Lesen und deinen Kommentar. Freut mich sehr, dass Du auch diese Geschichte gelesen hast und sie bei Dir soweit gut angekommen ist.

Es ist zwar ein ganz anderer Inhalt, aber der Text erinnert mich von der Art her dennoch ein wenig an deinen vorherigen Palmendiebe.
Ja, gibt natürlich Paralellen. Das afrikanische Setting habe ich seit Palmendieb so ein wenig für mich entdeckt, gibt noch viele weitere Geschichten von dort zu erzählen und es fällt mir insofern auch leicht, weil ich eigene Erfahrungen/Erlebnisse/Beobachtungen mit einflechten kann. Auch die Erzählweise, zumindest in den Rückblicken, deckt sich, glaube ich, soweit mit Palmendieb. Scheint so mein Ding zu sein :D

Hierbei ist dir aber mE besser gelungen, auch die Geschichte von jemandem zu erzählen, trotz der Erzählart wirkt es inhaltlich rund. Sehr gefallen hat mir auch das Ende, die Szene mit der Mutter.
Danke Dir!

Einen Kritikpunkt habe ich nur bezogen auf zu viel Detailverliebtheit. Ehrlich gesagt wirkt es teilweise schon etwas, als wolltest du als Autor unbedingt zeigen, dass du das kannst.
Das ist dann deine ganz persönliche Wahrnehmung. Es ging mir hierbei nicht darum, mein Wissen über diesen Teil der Welt zur Schau zu stellen, sondern die Details sind hauptsächlich da, damit man sich als LeserIn Mauretanien und die Mauren vorstellen kann, was herrscht dort für eine Atmosphäre, was machen die so, wie leben die etc. Vielleicht habe ich es an der ein oder anderen Stelle übertrieben, das kann schon sein. Jimmy bspw. hat sich ja bei ein paar Stellen noch mehr Details gewünscht. Also wie gesagt, meine Intention war das nicht.

Möglichst schnell in die Handlung einsteigen, wodurch dann manche Beschreibungen eher zu kurz kommen. Aber es gibt ja auch den Mittelweg ... das zumindest als Anregung.
Das nehme ich mir gerne mit. War mir ja auch ziemlich unsicher mit diesem Text hier: Ist der Einstieg zu langfädig? Passiert da überhaupt genug, damit Spannung entstehen kann und man weiterliest? Jetzt weiss ich, dass das offenbar unbegründete Sorgen waren, aber im Nachhinein ist man ja meist schlauer ;-) Bei dieser Geschichte waren mir wie oben gesagt die Details schon wichtig, um die LeserInnen in diese fremde Welt mitzunehmen, jedoch ohne übererklärend zu wirken, und ich habe so das Gefühl nach den bisherigen Rückmeldungen, dass mir dies nicht allzu schlecht gelungen ist. Danke für deine Anregung!

Fast alle deiner Zitate habe ich direkt übernommen, vor allem die das - dass Sache und das mit dem ß. Die Füllworte habe ich ebenfalls entfernt. Vielen Dank fürs Aufzeigen.

Hallo @Seth Gecko

Auch Dir danke für deine Zeit, fürs Lesen der Geschichte und das Feedback. Schade, konnte ich Dich mit dieser Story nicht erreichen, aber dass Du sie trotzdem zu Ende gelesen hast, freut mich dennoch.

Viele der Orte und manche einzelnen Wörter ( Adel Bagrou, Méharistes, Nouakchott, Wolof, Tiris Zemmour, Guelb er Richat) kannte ich nicht und dann waren es mitunter so viele, dass ich nicht andauernd stoppen und nachschlagen wollte.
Ich weiss nicht, ob das wichtig ist, dass man da die Orte und Begriffe alle kennen muss. Meiner Meinung nach wird das Wichtigste im Text erzählt/erklärt, so dass man folgen können sollte. Aber vielleicht war Dir das ja zu viel, kann ich schon irgendwo nachvollziehen.

Warum macht Syid Demba das? Später schreibst Du über die Absichten, dass er den Prota mit seiner Tochter verheiraten will. War das hier bereits seine Absicht? Dieses Samariter-hafte kam mMn irgendwie aus dem Nichts.

Siehe oben. Und der erste Satz stellt nicht die Absicht Syids im zweiten heraus. Nur weil er dem Prota diese Gegebenheit mitteilt, heißt es ja noch nicht, dass er auch ihn für diese Idee vorgesehen hat. Und wieder: warum wird der Prota dazu von Syid ausgewählt?? Einfach so? Habe ich nicht verstanden.
Das sind gute Anregungen. Ja, Du hast recht, da fehlt etwas. Werde ich noch ergänzen, damit Syid Dembas Motivation nachvollziehbar(er) wird. Danke fürs draufzeigen :-)

Hier habe ich mich gefragt: Das kann der jetzt alleine entscheiden? Welche Stellung hat er denn am Hof? Hat mich ein wenig verwirrt zurückgelassen.
Mmmh, er wohnt ja unten. Da dachte ich, er lässt sie bei sich drinnen schlafen und schickt sie frühmorgens wieder raus, damit Syid Demba und seine Frau nichts merken. So war das gedacht. Also er hat da keine sehr hohe Stellung am Hof, er macht das heimlich.

War nicht so meins, nichts für ungut.
Das macht nichts. Man kann es ja nie allen recht machen ;-) Ich danke Dir auf jeden Fall trotzdem für deine Rückmeldung. Auch fürs Aufzeigen bei den beiden Szenen mit Syid Demba, dass ich da noch was ergänzen muss. Hast mir weitergeholfen! Vielen Dank.

Rob F und Seth Gecko: Danke nochmals für euer Feedback und euch beiden einen guten Wochenstart.

Gruss,
d-m

 

Hallo @jimmysalaryman

und vielen Dank für deine Zeit und deine beiden Kommentare. Habe mich sehr gefreut, dass Du kommentiert hast.

Ist sicher ein Kandidat für beste erste Sätze seit langem hier.
Da ich mir gerade beim Anfang der Geschichte recht unsicher war, ist das ein schönes Feedback, danke Dir.

So bewertende Adjektive wie erstaunlich etc, da wäre ich bei so einer Erzählanlage vorsichtig, denn es wirkt so einmischend, und ich zumindest empfinde das ein wenig als aufdringlich.
Gekauft. Also der Satz liest sich erstens ohne das Wort viel besser und zweitens kann ich auch sehen, was Du mit bewertend meinst, ich werde den Text mal noch nach solchen Dingern abklappern und mir das auch für die Zukunft hinter die Ohren schreiben.

Ich würde hier noch mehr show betreiben, was genau sind die topografischen Auffälligkeiten denn?, hier nicht stehenbleiben sondern die Situation komplett entpacken.
Ok, werd's versuchen! Danke für den Input. Ja, allgemein muss ich das mit dem Show und dem Tell noch besser verinnerlichen, da habe ich den Dreh noch nicht so ganz raus.

Mamoudou müsste nichts sagen, sondern eine Geste machen, ein Achselzucken. Was ist mit den Tieren los? Cheikh sagt dann: So habe ich sie noch nie erlebt.
Den Rest könnte man kürzen. Dass die Tiere Angst haben und das die Männer wachsam vor Feinden sein müssen - das steckt da schon alles drin. Das subtil zu halten und EBEN NICHT alles direkt aussprechen, bzw die Figuren alles sagen lassen, das ist hier die Kunst.
Danke fürs Aufzeigen. Du schreibst auch später, dass die Dialoge zu gestelzt klingen und auch teilweise nach emotionalem Infodump. Ja, ist auch so eine Baustelle von mir, werde da dranbleiben und auch mal genauer darauf schauen, wie andere AutorInnen das so machen. Auch deinen Vorschlag, da eventuell eine Kunstsprache zu verwenden, halte ich für eine gute Idee, weil ich habe mir schon so gedacht, ja, die sprechen hier irgendwie zu gewöhnlich und dass das dann eher aus dem Text rausreisst. Das mit der Subtilität/die Figuren nicht alles direkt sagen lassen: Leuchtet ein. Werd mir Mühe geben und auch das ist etwas, was ich mir mitnehme, nicht nur für diesen Text hier, sondern auch für weitere.

Zimmerlautstärke klingt hier irgendwie seltsam und unpassend. Eventuell gedämpfte Lautstärke etc?
Jepp, klingt nicht gut. Werde was Passenderes suchen.

Sehr hart, aber ich würde mir doch etwas mehr hier wünschen. Wenn er die Strecke regelmässig fährt, warum hört er nie wieder etwas von ihr? Fragt er nie nach? Das verstehe ich nicht.
Auch hier gebe ich Dir soweit recht: Das geht zu schnell an der Stelle. Also in meiner Vorstellung passierte das Unglück, als Abdelaid sich auch auf dem Zug befand (er hat das nicht direkt gesehen, aber er steht ja dann auf). Aber klar, es könnte ja eine kleine Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sie in der Wüste überlebt hat und da müsste er natürlich nachfragen, ob irgendjemand sie gesehen hat. Ist notiert.

Im nächsten Satz zeigst du uns das, da wird es eine unveränderbare Realität, Mästen und Heiraten hängt zusammen, das wird klar und sinkt so viel tiefer und schwerer ein. Nicht noch extra erwähnen lassen.
Verstehe ich. Ist auch gekauft. Werde die Stelle anpassen.

Wir leben in woken Zeiten, aber dunklere Schattierung? Er meint doch: die Farbe seiner Haut entscheidet darüber, ob und wie er aufsteigt und wo er in der Gesellschaft steht. Ich weiß nicht, warum man da drumherumreden muss? Das ist doch nichts Wertendes.
Oh Mist, ja. Hab den Satz auch paar Mal gedreht und gewendet, aber hast Recht! Ich möchte da nicht mit Wokism oder so 'nem Shit in Verbindung gebracht werden, finde die ganze Bewegung ehrlich gesagt übertrieben und halte die auch für sehr aufdringlich, aber naja, wenn wir schon dabei sind: Der Text hier fällt dann wohl auch unter "kulturelle Aneignung", nicht? :D Bin ja auch nur so ein Weissbrot, dass hier in der warmen Stube sitzt und Zeugs in einen Rechner tippt, haha.

Ach, das würde ich gerne lesen, davon mehr, von dem Überlebenstraining und der nomadischen Lebensweise. Wie sieht die aus, was genau ist das, warum ist die vorteilhaft, wie muss ich mir die vorstellen? Hier verschenkst du leichtfertig Potential.
Ja, ich hatte da auch erst etwas mehr drin, aber das ist dann irgendwie einer Kürzung zum Opfer gefallen, weil es mir zu erklärend/ausschweifend erschien. Werde ich drüber nachdenken, das wieder reinzunehmen, danke.

das beschreibst du mit: es hatte etwas Romantisches. Ich glaube das, aber das musst du mir im Text beweisen, und nicht nur behaupten. Das ist auch etwas lazy, hinzugehen und das einfach so zu schreiben, weil es einen Resonanzraum aufmacht und ich sofort an Western denke, weites Land und Kautabak und Männergespräche am Feuer, nur hier eben auf einem anderen Kontinent, aber es ist ein wenig wie Fast Food, es macht nicht satt, ich will mehr, ich will etwas wirklich Substanzielles, ein fettes Steak.
Verstanden und ja, kann Dir zustimmen, das ist lazy. Ich merke ja gerade immer mehr, was in einem guten Text wirklich so an Arbeit und Überlegungen drinsteckt, auch was den Aufbau etc. betrifft, wenn ich mich hier im Forum so umsehe, und da muss ich halt schon zugeben, meine Stories entstehen innerhalb weniger Stunden und meist nicht wirklich mit einem Plan. Ich muss mir da wirklich einen Prozess überlegen, wie ich die besser austarieren kann und mich auch intensiver damit beschäftigen, wie man sowas macht. Ich danke Dir deshalb sehr, dass Du mir solches Feedback gibst, so Denkfutter. Ich muss mir das erstmal genauer anschauen.

Merci auch für deine abschliessenden Worte. Hat mich sehr gefreut, dass Du da die Perspektive von Abdelaid soweit gelungen fandest, ich war mir da wirklich unsicher, ob das funktioniert oder obs den Leser/die Leserin dann eher langweilt. Das mit den Méharistes und den Terroristen nehme ich mal so auf, kann das auch nachvollziehen, also vor allem das mit der Assoziationskette, die Du beschreibst. Ja, da kann man dann wwohl schon erahnen, worauf das hinausläuft und das ist natürlich nicht so optimal. Vielen Dank für deinen Beitrag, Jimmy, hat mich sehr gefreut!

Beste Grüsse,
d-m

@Luzifermortus Auch Dir vielen Dank für deine Ausführungen. Habe dich nicht vergessen! Bitte gib mir noch einen oder zwei Tage Zeit für eine Antwort :-)

 

Hallo @Luzifermortus

Danke Dir fürs Lesen und den ausführlichen Kommentar. Die meisten deiner vorgeschlagenen Änderungen habe ich direkt übernommen, danke fürs genaue Lesen.

Deine Geschichte hat mir insgesamt gut gefallen, ich mochte auch den Wechsel zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart und dann die Vermengung der Erinnerungen mit der Gegenwart am Ende der Geschichte.
Das freut mich natürlich als Feedback. Danke!

Mit dem Absatz hatte ich große Probleme. Zum einen lässt mich der Anfang glauben, dass Abdelaid nicht dabei war, als seine Mutter gefallen ist, später aber wirkt es so, als wäre er da gewesen; außerdem kann ich das ganze zeitlich nicht so gut einordnen. Dass er dann "damals gerne hinterhergesprungen" wäre, verstehe ich so, dass er es gesehen hat; also anwesend war und nicht gesprungen ist, wodurch der erste Satz von den Berichtenden wohl eher als Aufmunterung zu verstehen wäre - also als ein "du hättest sie nicht retten können, auch wenn du nachgesprungen wärst" - aber das musste ich mir so zusammenreimen und ich frag mich halt auch, wie sie dann gestorben ist - ist sie vom Zug überfahren worden? Dann wäre es ja dumm gewesen, nach zu hüpfen oder was genau ist da passiert?
Ja, das kann ich verstehen. Die Stelle ist noch nicht wirklich rund. Jimmy hatte auch was dazu angemerkt. Ich mache mir da nochmal Gedanken und werde das umschreiben. Gedacht war das so: Abdelaid befand sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf dem Zug, er hat den Unfall aber nicht direkt gesehen, es wurde ihm dann von anderen Reisenden/Freunden auf dem Zug davon berichtet. Deshalb steht er dann auch auf dem Waggon auf und blickt seiner Mutter nach, obwohl es halt schon zu spät ist und er sie gar nicht mehr sehen kann. Nein, sie wurde nicht vom Zug überfahren, sie hat den Fall ja überlebt, aber stell Dir vor, Du bist alleine in der Sahara ausgesetzt, die nächsten Dörfer hunderte Kilometer entfernt und der Zug kommt erst in zwei Wochen wieder vorbei. Da sind die Überlebenschancen ziemlich gering. Aber es stimmt schon, zumindest müsste Abdelaid nachfragen bei anderen Reisenden usw. ob sie etwas von seiner Mutter gesehen haben, denn eine geringe Hoffnung besteht ja. Wie gesagt, ich mache mir da nochmal Gedanken zu :-) Merci für deine Anmerkung.

-> dadurch hab ich mich halt gefragt, ob sie selbst nicht denken können, und ob sie selbst nicht auf die Idee kommen würden, abzuhauen, wenn er es ihnen nicht noch sagt. Und wieso er ihnen das nicht schon zuvor geraten hat, weil offensichtlich wurden sie schon immer schlecht behandelt. Und wenn er es ihnen jetzt aber sagt, sind sie dann nur aus freien Stücken hier? Also zwingt sie nichts zu bleiben - haben sie Zukunftsperspektiven? Das müsste er doch wissen.
Nein, sie sind nicht aus freien Stücken dort. Da besteht halt eine Abhängigkeit, es geht ja da um moderne Sklaverei. Heisst, die Arbeiter sind halt gezwungen, bei Syid Demba zu bleiben bzw. für ihn zu malochen, weil sie keinerlei Geld oder sonstige Mittel haben, um von dort wegzukommen. Betteln ist in solchen Ländern keine Option. Wer soll Dir da was geben, wenn fast niemand was hat? Und dann ist da ja noch die Wüste. Bei Syid Demba gibt es immerhin genug Nahrung, dass es gerade so zum Überleben reicht. Sie haben also keine Wahl. Das mit dem Geld sagt er ihnen, weil sich die Arbeiter vielleicht schon mit ihrem Schicksal abgefunden haben und er sie da ermutigen möchte, etwas gegen ihre Lebensumstände zu unternehmen. So war das jedenfalls gedacht.


Das ist jetzt nur eine Kleinigkeit über die ich mir vermutlich zu viele Gedanken mache, aber dadurch, dass zuvor eben kein Blut und nichts da ist, hab ich mich zwei Dinge gefragt, nämlich 1) wie haben die das Blut weggekommen, nachdem sie den Mann so verletzt haben und wenn er sich schwer verletzt unters Auto gezogen hätte, müsste es doch da auch spuren im Sand geben und 2) war das eine Falle? Also haben sie den Mann absichtlich am Leben gelassen und wenn ja, wie konnten sie wissen, dass er noch lange genug überlebt?
Danke auch für diese Kleinigkeit, wie Du das nennst. Ich kann deine Gedanken nachvollziehen und werde mir auch an dieser Stelle etwas überlegen, ich sehe den Einwand bzw. das da was nicht ganz stimmt.

Merci auch fürs Aufzeigen der Stellen, die Dir gefallen haben!

Schöne Woche und Beste Grüsse,
d-m

 

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