- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Das Gewicht der Schönheit
Die Hitze steht zwischen den Häusern. Chava verschwindet wieder in der Waschküche, den vollen Korb auf der Hüfte. Die Tür hängt schief in den Angeln und sie quietscht, als sie über den Boden schleift. Die letzten Zentimeter wird sie mit Gewalt zugezogen. Es kracht hörbar.
Ich husche die Treppe hinunter zum Hof. Die Waschküche hat zwei Fenster, und eins davon liegt verborgen hinter einem hohen Malvenbusch. Wenn man sich dahinter stellt, ist man vom Haus aus nicht zu sehen.
In dem kleinen Verschlag dampft es. Kondenswasser läuft an der Fensterscheibe hinunter. Chava steht mit dem Rücken zu mir am Becken; ihre weißen Ellbogen bewegen sich in den Schwaden auf und ab. Die Glut des Ofens und des Waschwassers greift durch die Wand nach mir, schwüler als die Nachmittagshitze. Eine Hummel summt durch den Hibiskus. Es riecht nach Staub, Seife und Hinterhof.
Chava ist ein Flittchen, sagt man. Ich weiß es besser. Die Herren, die das Zimmer unter dem Dach betreten, reden nur mit ihr. Sie sitzt auf dem Canapé, die Herren am Tisch. Es gibt Tee aus dem silbernen Samowar und dazu gelbe Zigarretten. Die Herren unterhalten sich oft eindringlich, aber immer respektvoll mit ihr, niemand fasst sie jemals an. Niemand außer Michael.
Von Chava geht Verwegenheit aus. Sie trägt Hosen und fährt jeden Morgen mit dem Motorrad in die Stadt. Ihr Blick und ihr Gang sind zielstrebig. Sie ist schön, auch wenn sie nie lacht. Ihr Haar fällt immer offen über ihre Schultern, nur jetzt, während der Arbeit, hat sie es unordentlich am Hinterkopf zusammengesteckt. Eine dünne Strähne löst sich und bleibt in der feuchten Kuhle ihres Nackens kleben. Zart ist dieser Hals mit der wirren Frisur darüber; ich muss an Tulpen denken, die im Wind nicken. Die geschwungene Linie verrät alles über Chava und ihre geheime Verletzlichkeit. Der Flecken weißer Haut, so schutzlos meinen Blicken preisgegeben, pflanzt Feuer in meine Brust. Dort dehnt es sich aus, süß und sehnsüchtig, ein sachter Schmerz.
Manchmal nimmt Michael Chavas Haar und wickelt es sich um die Hand, als packe er ein Pferd beim Schweif. Dann entblößt er den weißen Nacken und drückt seinen bärtigen Mund darauf. Nichts empört mich mehr als die gierige, gedankenlose Entweihung dieser verborgenen Anmut.
Ich öffne die Tür und stehe im feuchten Dampf. Im strengen Geruch der Lauge schwebt eine Ahnung süßen Schweißes und der verheißungsvolle, puderige Duft ihrer Haut. Chava sieht mich fragend an und wischt sich mit dem Unterarm über die feuchte Stirn. Ich atme tief ein und weiß doch schon, dass ich den Mut nicht habe; ich werde ihr niemals sagen können, dass ich sie berühren würde wie kein anderer es kann.
Sie wartet darauf, dass ich zu sprechen beginne. Als sie die Arme unter der Brust verschränkt, drehe ich mich um und gehe. Zu schwer wiegt das Gewicht ihrer Schönheit.