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Das Heidengrab

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16.06.2015
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Das Heidengrab

Doch als er den Spaten in den Boden stemmte und das Eisen tief in die Erde fuhr, da war ihm, als fiele alle Spannung von ihm ab, und im Takt des pochenden Herzens grub sich Stück für Stück und Zoll für Zoll der Gräber in die Tiefe. Um ihn versank die Nacht in Schwärze, als er langsam in den Boden glitt und fahler Nebel ihn umhüllte. Mit zitternden Gliedern stach und hackte und bohrte sich er, der noch halb ein Jüngling war, hinab und tränkte mit dem Schweiß seiner Mühen den ungeweihten Moder. Noch manchen Stich rang er seinem geschundenen Leib ab, noch manche enge Luft presste er aus der Kehle, ehe er die Eichenbalken durchbrach und krachend in die Tiefe fiel.

Er war der Totenflamme gefolgt, die ihn schimmernd lockte, und hatte die Geister, die guten und die bösen, zu seinem Dienst gerufen. Er hatte geschwiegen, hatte verborgen, was er im Schilde führte, hatte sein Weib im nassen Bette gelassen und sich zur Mitternacht aufgetan, das Heidengrab zu öffnen. Er war arm, doch er wollte es nicht bleiben, er war jung und vom Leben längst ausgezehrt, und mit jedem neuen Morgen zeigte sich ein Traum von Gold am Himmel, der wieder in der Tiefe versank. Mit jedem neuen Tag lachte der Hügel zu ihm hinüber, den die Ahnen ihnen zum Mahnmal errichtet, und nur im Stillen wagte er sich zu fragen, was darunter lag. Mochten die Feiglinge auch warnen, mochten seine Brüder den Frevel an den Ahnen rügen und die Pfaffen seine habsüchtige Sünde verdammen, es war ihm gleich. Ausgepresst vom Mahlen der Mühsal, vom ewigen Getriebe seines kärglichen Daseins, versprach er sich nichts weniger als ein neues Leben von jenem Schatz im Berge. Seine Glieder waren kaum stark genug, die Schaufeln und Hacken zu tragen, als er in stiller Herbstnacht sich näherte. Als die Lichter des Dorfes am Firmament versanken, flackerte die Flamme der Toten wie ein Menetekel auf und wies ihm den Weg zum neuen Leben. Juliane, dachte er, dir wäre bang um mich, doch du lässt dich schaukeln von den Wogen des Schlafes, und wenn du erwachst, wirst du eine Andere sein.

Und so stand er nun da, ließ seinen Blick durch die Grube fahren und zeichnete ein Kreuz in den Dunst zu seinen Füßen. Wie Fallobst lagen die Opfergaben verstreut, Opfergaben für ihn, den Gräber, dem sie sich wohlfeil darboten wie eitle Dirnen. Er zögerte nicht, sich ihnen zu nähern, sie zu ergreifen und in Besitz zu nehmen, die Finger über ihre Formen gleiten zu lassen und ihre sündige Schönheit zu genießen. Er nahm sie an sich, die Töpfe, den Schmuck, die Waffen, das Einerlei, das ihm in die Hände kam. Uralte Werke von längst vergessener Hand, geschmiedet und getrieben aus den edelsten Gaben der Erde, funkelnd im Licht des Mondes, der mit scheuem Blick hinuntersah. Sie lagen dort für ihn, denn für niemand anderen hatten sie einen Zweck. Die Angst der letzten Stunden war dem Freudentaumel gewichen, die Furcht vor Strafe unterlag der Habgier dessen, der nicht genug bekam. In seiner Brust begann es zu rasen, als immer neue Gaben aus der Erde wuchsen, immer neue Formen aus dem Boden sprossen wie verzauberte Pilze. Der Sack wurde ihm schwer von den vielen Lasten, die Luft wurde ihm knapp vom gierigen Atem, als auf die Knie er sank und mit den Nägeln in die Tiefe schürfte. Mehr und mehr Güter warfen sich ihm in die Arme, mehr und mehr Reichtümer raffte er beisammen – glückliche Juliane, dein Gatte käme wie ein König nach Hause!

Es verließ ihn schon die Kraft, die Schätze zu tragen, da begannen die Wände zu beben, die Erde zu zittern, und der Boden tat sich auf. Ein Licht loderte hinab in den Urgrund, ein kleiner, heller Stern nur, der schwach im Fernen glomm. Er trieb die dürren Finger in den Spalt, riss mit letzter Kraft den Grund entzwei, bis dass ein Dröhnen in seine Ohren drang und eine Woge von Feuer ihn erfasste. Da quoll aus dem Moder eine Ader, heller als tausend Sonnen, da funkelte das reinste Gold, das je ein Mensch sah, im Schlamm am Grund der Kammer. Da brachen die Wände auseinander, es stürzte das Grab mit wütendem Gebrüll auf ihn hinab, und warm umschlang ihn der feuchte Morast, der ihn tiefer und tiefer dem ewigen Licht entgegentrieb. Oh Juliane, der Schatz, den ich suchte, ich fand ihn am Grunde des Grabes.

Als vom Lärm geschreckt zwei Frauen aus dem Dorf herübereilten und mit ihren Laternen die Finsternis vertrieben, da lag das Heidengrab still in der herbstlichen Kälte, umschlungen von den Ranken der Buche, die seiner Kuppel entwuchs. „Nichts“, sagte Juliane. „Es liegt still wie stets. Niemand ist hier außer uns – und dem Heiden, der im Grabe liegt.“ Und so wandten sie sich ab und gingen heim, ließen die Schätze zu ihren Rücken liegen und legten sich in ihre nassen Betten, und am folgenden Morgen lachte der Hügel wie je ihren Männern entgegen.

 

Hallo pterodactyl,

Herzlich Willkommen bei uns! Dein Text erscheint durchdacht und sorgfältig geschrieben, aber ich bin leider noch nicht überzeugt davon.

Ich mag Märchen gern, und ich mag es auch, wenn sich der Stil den klassischen Märchen annähert. Ich denke, das hast du hier versucht. Aber ich habe leider das Gefühl, das viele Sätze hier vor allem für den Effekt geschrieben wurden - hier, das klingt schön altertümlich!

Es wirkt auf mich, als ob Geschichte, die du erzählst, und die Regeln der Sprache hinter dieser Effekthascherei zurückstehen müssen - und das halte ich für eine falsche Prioritätensetzung.

Ich will anhand von ein paar Beispielen erklären, was ich meine.

Doch als er den Spaten in den Boden stemmte und das Eisen tief in die Erde fuhr
Wie viele Geschichten kennst du, die mit "Doch" beginnen? Wenn man es so gebraucht wie hier, erfüllt das ja eine sehr ähnliche Funktion wie "aber", also es wird genutzt, um einen Widerspruch oder Kontrast zu zeigen.
Zum Beispiel: Er hatte geglaubt, er würde schnell fertig werden, doch am Abend wurde ihm klar, dass er den Aufwand weit unterschätzt hatte.

Nur funktioniert so eine Konstruktion natürlich nicht, wenn vorher gar nichts da ist, wozu ein Widerspruch bestehen könnte. Dein "doch" hängt in der Luft.

Kurzfassung: Du kannst nicht mit "Doch" anfangen - wenn der Satz so stehen bleiben soll, dann muss vorher schon etwas kommen, was dazu im Widerspruch steht.

und im Takt des pochenden Herzens grub sich Stück für Stück und Zoll für Zoll der Gräber in die Tiefe.
Nur weil du ein anderes Wort benutzt, heißt das nicht, dass es keine Wiederholung ist. Wiederholungen können ein Stilmittel sein, aber in dem Fall halte ich es einfach für redundant.

Um ihn versank die Nacht in Schwärze, als er langsam in den Boden glitt und fahler Nebel ihn umhüllte.
Um ihn versank das Wasser in Nässe ... :p

Auch der Rest des Satzes ist nicht so glücklich. Im Boden wird er nicht von Nebel umhüllt sein.

Mit zitternden Gliedern stach und hackte und bohrte sich er, der noch halb ein Jüngling war, hinab
Der Einschub wirkt unpassend, weil das inhaltlich nichts mit dem Rest des Satzes zu tun hat. Ich würde das weglassen - wenn dir sein Alter wichtig ist, kannst du es an anderer Stelle deutlich machen.

Noch manchen Stich rang er seinem geschundenen Leib ab, noch manche enge Luft presste er aus der Kehle,
Das geht einfach nicht. Mach mal einen Test: Lies das laut, und frag dich, was das heißt.
Was ist "enge Luft"? Und was bedeutet "manche Luft" - gibt es davon mehr als eine?
Nur weil etwas so klingt, als wäre es gehobener Stil, kannst du nicht einfach außer Acht lassen, ob es einen Sinn ergibt.

Er hatte geschwiegen, hatte verborgen, was er im Schilde führte, hatte sein Weib im nassen Bette gelassen und sich zur Mitternacht aufgetan, das Heidengrab zu öffnen.

Sich auftun bedeutet sich öffnen. Eine Tür kann das. Ein Mensch nicht - oder zumindest möchte ich mir das lieber nicht vorstellen. Ich denke, er hat sich aufgemacht. Klingt ähnlich, ist aber nicht das Gleiche.

Er nahm sie an sich, die Töpfe, den Schmuck, die Waffen, das Einerlei, das ihm in die Hände kam.
Wenn mir so was unterkommt, schaue ich gern, was die Duden-Website zu einem Wort zu sagen hat. Für Einerlei als Substantiv sagt sie: Gleichförmigkeit, Eintönigkeit, Monotonie. Das passt alles nicht so richtig in eine Reihe mit Töpfen, Schmuck und Waffen, oder?

Uralte Werke von längst vergessener Hand, geschmiedet und getrieben aus den edelsten Gaben der Erde, funkelnd im Licht des Mondes, der mit scheuem Blick hinuntersah.
Das funktioniert für mich nicht. Klar, der scheue Blick des Mondes ist metaphorisch, ich weiß schon, dass ich mir keinen Zeichentrickmond mit vorsichtig linsenden Augen vorstellen soll. Nur: Was genau soll ich mir denn vorstellen?
Eine Beschreibung darf gerne stimmungsvoll sein, aber auch hier würde ich die Prioritäten anders anordnen als du. Priorität Nr. 1 ist: Der Leser weiß, worauf du hinaus willst. "Klingt irgendwie nett poetisch" kann Priorität Nr. 2 sein - aber das darf sich nicht in den Vordergrund drängen.

Der Sack wurde ihm schwer von den vielen Lasten, die Luft wurde ihm knapp vom gierigen Atem
Bitte auch einmal laut lesen. Die Luft wurde ihm knapp vom Atem? Die Luft wurde ihm knapp. Von der Luft, die er einatmete. Wirklich? :susp:

da lag das Heidengrab still in der herbstlichen Kälte, umschlungen von den Ranken der Buche
Äh, das sind fünf Punkte von Gryffindor für schlechte Botanikkenntnisse.
Das hier ist eine Buche. Man beachte die Abwesenheit von Ranken.

Ich denke, die Geschichte kann gut funktionieren - ein Schauermärchen über die Gier, die einem Grabräuber zum Verhängnis wird. Es gab auch Stellen, die mir gefallen haben - was jetzt bei meinem Genörgel vielleicht ein bisschen untergegangen ist - zum Beispiel der Vergleich der Schätze mit Pilzen, die aus dem Boden wachsen, das ist ein gutes Bild. Also lass dich nicht entmutigen. Emtrümple den Text ein bisschen. Wenn du die Stilblüten los wirst, dann kann das etwas werden. :)

Grüße von Perdita

 

Hola Pterodactyl,

die Stimme der Vernunft sprach bereits aus dem Munde Perditas.
Na klar, sie hat recht - ich sehe das auch so.
Aber ich sehe auch Deinen Mut, mal etwas zu präsentieren, das unüblich ist. Beim Lesen solcher Texte bin ich richtig wach, bei Normalliteratur weniger.
Das ist doch schön, wie Du in den alten Begriffen schwelgst, wirklich etwas kreierst, das die Aufmerksamkeit weckt. 'Sex sells' machen andere.

Ich hab's sehr gern gelesen.
Dennoch schließe ich mich meiner Vorrednerin an: Da musste noch mal ran!

Sei herzlich gegrüßt!

José

 

Doch als er den Spaten in den Boden stemmte …
Hier hat Perdita recht, zwar ist das „doch“ mehr als nur ein auf einen Gegensatz hinweisendes Adverb und die Kombination „doch als“ gibt’s ungezählte Male, aber in diesem Fall nähm’ es dem Satz nichts von seinem Sinn, das auf eine zeitliche Konstellation hinweisende „als“ alleine zu verwenden,

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts,

liebe/r/s pterodactyl,

aber schon stolper ich buchstäblich in eine - wie ich zunächst finde – schöne Sprache, die allerdings auch in der Sprachakrobatik sich verheddert

Mit zitternden Gliedern stach und hackte und bohrte sich er, …
(Stellungsfehler „und bohrte er sich …“)und die Mühsal der Mühle gleichsetzt
Ausgepresst vom Mahlen der Mühsal, …
, die ja auch eine Tretmühle des immer Gleichen sein kann.

…, und nur im Stillen wagte er sich zu fragen, was darunter lag.
(hier wäre der klanglich reizvollere Konjunktiv irrealis „läge“ einzussetzen)

Mehr und mehr Güter warfen sich ihm in die Arme, mehr und mehr Reichtümer raffte er beisammen –
Warfen sich? Beisammen? Vielleicht zusammen und die Güter gerieten ihm in die Arme, z. B.

umschlungen von den Ranken der Buche
Buchen tragen fadenartige Blätter?

Kurz:
Ein Grabraub, der offensichtlich schwerste Arbeit dem (Toten? -)„Gräber“ abverlangt, beschrieben im Stile des Poesiealbums … So wird schweißtreibendes, mutmaßlich verbotenes Tun buchstäblich schöngeredet. Ein erster Schritt wäre z. B. die Adjektivitis einzuschränken. Und was hat es mit dem nassen Bett auf sich? Ist das Zimmer feucht? Kühlt die Frau das Laken, weil der Hochsommer regiert? Sind sie beide oder ist nur einer Bettnässer?

Wenn Du das Ausufernde Deiner Sprache in den Griff kriegst, der poetischen Drangsal nicht allzu viel freien Raum lässt, bin ich guter Dinge, dass es was wird, meint der

Friedel,
der immer sagt, es sei noch kein Meister vom Himmel gefallen. Denn was hätte einer von seiner Meisterschaft mit gebrochenem Genick?

 

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