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Das Heidengrab
Doch als er den Spaten in den Boden stemmte und das Eisen tief in die Erde fuhr, da war ihm, als fiele alle Spannung von ihm ab, und im Takt des pochenden Herzens grub sich Stück für Stück und Zoll für Zoll der Gräber in die Tiefe. Um ihn versank die Nacht in Schwärze, als er langsam in den Boden glitt und fahler Nebel ihn umhüllte. Mit zitternden Gliedern stach und hackte und bohrte sich er, der noch halb ein Jüngling war, hinab und tränkte mit dem Schweiß seiner Mühen den ungeweihten Moder. Noch manchen Stich rang er seinem geschundenen Leib ab, noch manche enge Luft presste er aus der Kehle, ehe er die Eichenbalken durchbrach und krachend in die Tiefe fiel.
Er war der Totenflamme gefolgt, die ihn schimmernd lockte, und hatte die Geister, die guten und die bösen, zu seinem Dienst gerufen. Er hatte geschwiegen, hatte verborgen, was er im Schilde führte, hatte sein Weib im nassen Bette gelassen und sich zur Mitternacht aufgetan, das Heidengrab zu öffnen. Er war arm, doch er wollte es nicht bleiben, er war jung und vom Leben längst ausgezehrt, und mit jedem neuen Morgen zeigte sich ein Traum von Gold am Himmel, der wieder in der Tiefe versank. Mit jedem neuen Tag lachte der Hügel zu ihm hinüber, den die Ahnen ihnen zum Mahnmal errichtet, und nur im Stillen wagte er sich zu fragen, was darunter lag. Mochten die Feiglinge auch warnen, mochten seine Brüder den Frevel an den Ahnen rügen und die Pfaffen seine habsüchtige Sünde verdammen, es war ihm gleich. Ausgepresst vom Mahlen der Mühsal, vom ewigen Getriebe seines kärglichen Daseins, versprach er sich nichts weniger als ein neues Leben von jenem Schatz im Berge. Seine Glieder waren kaum stark genug, die Schaufeln und Hacken zu tragen, als er in stiller Herbstnacht sich näherte. Als die Lichter des Dorfes am Firmament versanken, flackerte die Flamme der Toten wie ein Menetekel auf und wies ihm den Weg zum neuen Leben. Juliane, dachte er, dir wäre bang um mich, doch du lässt dich schaukeln von den Wogen des Schlafes, und wenn du erwachst, wirst du eine Andere sein.
Und so stand er nun da, ließ seinen Blick durch die Grube fahren und zeichnete ein Kreuz in den Dunst zu seinen Füßen. Wie Fallobst lagen die Opfergaben verstreut, Opfergaben für ihn, den Gräber, dem sie sich wohlfeil darboten wie eitle Dirnen. Er zögerte nicht, sich ihnen zu nähern, sie zu ergreifen und in Besitz zu nehmen, die Finger über ihre Formen gleiten zu lassen und ihre sündige Schönheit zu genießen. Er nahm sie an sich, die Töpfe, den Schmuck, die Waffen, das Einerlei, das ihm in die Hände kam. Uralte Werke von längst vergessener Hand, geschmiedet und getrieben aus den edelsten Gaben der Erde, funkelnd im Licht des Mondes, der mit scheuem Blick hinuntersah. Sie lagen dort für ihn, denn für niemand anderen hatten sie einen Zweck. Die Angst der letzten Stunden war dem Freudentaumel gewichen, die Furcht vor Strafe unterlag der Habgier dessen, der nicht genug bekam. In seiner Brust begann es zu rasen, als immer neue Gaben aus der Erde wuchsen, immer neue Formen aus dem Boden sprossen wie verzauberte Pilze. Der Sack wurde ihm schwer von den vielen Lasten, die Luft wurde ihm knapp vom gierigen Atem, als auf die Knie er sank und mit den Nägeln in die Tiefe schürfte. Mehr und mehr Güter warfen sich ihm in die Arme, mehr und mehr Reichtümer raffte er beisammen – glückliche Juliane, dein Gatte käme wie ein König nach Hause!
Es verließ ihn schon die Kraft, die Schätze zu tragen, da begannen die Wände zu beben, die Erde zu zittern, und der Boden tat sich auf. Ein Licht loderte hinab in den Urgrund, ein kleiner, heller Stern nur, der schwach im Fernen glomm. Er trieb die dürren Finger in den Spalt, riss mit letzter Kraft den Grund entzwei, bis dass ein Dröhnen in seine Ohren drang und eine Woge von Feuer ihn erfasste. Da quoll aus dem Moder eine Ader, heller als tausend Sonnen, da funkelte das reinste Gold, das je ein Mensch sah, im Schlamm am Grund der Kammer. Da brachen die Wände auseinander, es stürzte das Grab mit wütendem Gebrüll auf ihn hinab, und warm umschlang ihn der feuchte Morast, der ihn tiefer und tiefer dem ewigen Licht entgegentrieb. Oh Juliane, der Schatz, den ich suchte, ich fand ihn am Grunde des Grabes.
Als vom Lärm geschreckt zwei Frauen aus dem Dorf herübereilten und mit ihren Laternen die Finsternis vertrieben, da lag das Heidengrab still in der herbstlichen Kälte, umschlungen von den Ranken der Buche, die seiner Kuppel entwuchs. „Nichts“, sagte Juliane. „Es liegt still wie stets. Niemand ist hier außer uns – und dem Heiden, der im Grabe liegt.“ Und so wandten sie sich ab und gingen heim, ließen die Schätze zu ihren Rücken liegen und legten sich in ihre nassen Betten, und am folgenden Morgen lachte der Hügel wie je ihren Männern entgegen.