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Das kleine große Glück der Nacht

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06.06.2014
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Das kleine große Glück der Nacht

Warte, ich muss mein Bier noch exen. Man kann doch das schöne Kölsch nicht einfach verkommen lassen“, brülle ich, gut gelaunt und schon wieder leicht angeheitert, meiner Freundin Lara zu.
Während ich rede, merke ich, dass ich gerade alle vor der Kneipe stehenden Raucher und selbst einige unkostümierte, vollkommen nüchterne Passanten unterhalte. Um mir den Rest meines Wegbieres nicht vor den Security-Leuten hemmungslos hinter die Binde zu kippen, ziehe ich Lara mit leicht hüpfenden Schritten ein wenig aus dem Sichtfeld des Kneipeneingangs – vorbei an ein paar halbwüchsigen Jungs, denen die Kloschlange drinnen wohl zu lang war.
„Wenn die Schlange zum Männer Klo schon so voll zu sein scheint, dann will ich gar nicht wissen, wie es bei den Mädels aussieht...“ schlussfolgere ich, scharfsinnig wie ich nun mal bin.
„Ey, Wildpinkeln ist verboten“, ermahnt Lara die Jungs betont streng, kann aber ein Lachen nur schwer unterdrücken. Ihre neon-rosafarbene Perücke leuchtet im Schein einer Straßenlaterne, so dass sie von weitem zu erkennen ist. „Genau“, stimme ich ihr zu, „Das macht dann 30€“ füge ich kichernd hinzu und halte meine ausgestreckte Hand in die Richtung der Jungs.
Ziemlich verdutzt blicken sie uns nach, als wir ein paar Meter von ihnen entfernt stehen bleiben und ich den letzten Rest Bier herunterkippe.
„Boah, Anne. Du trinkst echt, als wären wir mitten in der tiefsten Wüste und nicht ungefähr fünf Meter vor ner Kneipe. Du hast wohl nen bisschen zu oft ´Die Karawane zieht weiter gehört“, kommentiert sie meinen nicht gerade besonders weiblichen Zug an der Flasche und streckt mir die Zunge raus. „Hier haste deine Oase. Lass jetzt langsam mal reingehen. Mir wird kalt und ich muss aufs Klo“, sagt sie und deutet in Richtung des Schildes ´Brauhus am Rhing.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen stelle ich gedanklich fest, dass mein nachmittägliches Energie-Tief nun wohl vollständig überwunden zu sein scheint. Gerade kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass mir noch vor einigen Stunden der Gang zum Kühlschrank, um mir das bei einem mordsmäßigen Kater lebensrettende Glas eiskalte Coke zu beschaffen, nicht minder schwierig, als die Besteigung des Kilimandscharo vorgekommen war. Nicht, dass ich jemals in Verlegenheit gekommen wäre einen Berg, höher als den Hügel, den ich als Kind mit meinem Schlitten heruntergedüst bin, zu besteigen. Nun frisch geduscht und wieder gestyled, vor allem nach einer ordentlichen Portion Currywurst mit Pommes und Mayo, und um nicht zu vergessen nach einem Klopfer sowie der großen ziemlich zackig getrunkenen Flasche Kölsch, bin ich definitiv wieder in Feierlaune.
„Danke, dass du mich überredet hast, mich heute nochmal aufzuraffen und mich nochmal in Karnevalsmontur zu werfen. Das wird dann wohl tatsächlich auf sechs Tage feiern hinaus laufen. Aber Karneval ist ja nur einmal im Jahr und wir sind ja auch nicht mehr ewig jung und vor allem gerade mal zur Abwechslung beide komplett ohne Männer so frei, wie es nur geht. Also. Vamos – auf geht´s! Quiero hacer fiesta y beber mucha cerveza.“ Ich realisiere, dass ich wie so oft im betrunkenen Zustand in den Spanisch Modus verfalle und die rudimentären Überbleibsel meines Schulspanisch zum Besten gebe. „Du bist die Beste“, füge ich ziemlich euphorisiert hinzu. Ich gebe Lara einen fetten Schmatzer auf die Wange, hake sie unter und ziehe sie durch die Menge Richtung Klo.

Schon lange bevor wir nur in die Nähe der Toiletten gekommen sind, lässt sich unweigerlich erkennen, wo sich denn der an Karneval von nahezu allen Frauen als erlösender und nahezu heilig empfundener Ort befindet. Eigentlich wollte ich nur zur Sicherheit mal lieber auch aufs Klo gehen und mich aus Solidarität einfach mit in die Schlange einreihen, doch plötzlich ertappe ich mich selber dabei, wie ich abwechselnd angespannt von einem Fuß auf den anderen trete und vehement die Knie zusammendrücke. Warum geht das bei mir eigentlich manchmal plötzlich so was von schnell? Wie soll das erst werden, wenn ich 70 oder so bin? geht es mir während ich mit aller Kraft meine Blase anflehe noch ein wenig durchzuhalten, durch den Kopf.
In dem Moment spricht Lara mir und vermutlich ebenso dem Rest der Mädels, die sich hier gerade im Kollektiv die Beine in den Bauch stehen, aus der Seele. „Fuck! Ich muss echt mega dringend. Also für Gelegenheiten wie diese, gibt es in Zukunft zwei Möglichkeiten. Entweder kaufe ich mir diese unglaublich sexy dicken Binden, die schon fast einer Windel gleichen, so dass ich damit zwar jeden Mann in die Flucht schlage, aber immerhin in solchen Situationen kein Stoßgebet mehr gen Himmel schicken muss, dass das unausgesprochene Gesetz zur Humanität aufm Frauen-Klo – nämlich die Klokabine nur so kurz wie möglich zu blockieren – wirklich bis zur letzten der Anwesenden durchgedrungen ist. Oder ich werde mir tatsächlich mal eine Urinella zulegen. Dann bräuchte ich nur auch ein größeres Party-Täschchen. Meine kleine Clutch bietet dafür ja wohl nicht genügend Stauraum.“
„Hast du etwa schon mal ne Urinella ausprobiert? Alle reden immer davon, aber irgendwie hat noch niemand, den ich kenne, schon mal eine benutzt. Ich würde ja schon mal gerne wissen, wie das so ist“, erkundige ich mich aufrichtig interessiert. „Nö, kann dir leider auch keinen Erfahrungsbericht liefern“, sagt Lara und in dem Moment öffnet sich die Toilettentür und Lara verschwindet mit einem Ausdruck purer Erleichterung im Gesicht dahinter.
Wie neu geboren stehen wir am Waschbecken.
„Das Gefühl endlich loszulassen und zu pinkeln ist manchmal echt fast besser, als nen Orgasmus“, gebe ich nun völlig erleichtert mal wieder ein wenig zu laut von mir.
Lara schließt sich meiner aufgekratzten Stimmung an. „Und jetzt ist wieder Platz für neue Flüssigkeiten. Also straight rüber zur Theke.“
Noch ein kurzer Blick in den Spiegel. Offensichtlich habe ich meinen Lippenstift vollständig an der eben geexten Bierflasche verteilt, denn auf meinen Lippen lässt sich nur noch ein Hauch von rot erkennen. Also nochmal rasch meinen Schmollmund in Szene setzen. Denn schließlich soll man ja, wie es so schön in den ganzen Frauenzeitschriften beschrieben steht, stets seine Vorzüge unterstreichen. Jetzt wo ich schon mal dabei bin, kann ich auch gleich kurz meine Nase nachpudern und nochmal eine extra Schicht Glitzer auflegen. Karneval kann man schließlich nie genug glitzern und um es mit den Worten einer Münchener Bekannten nach ihrer ersten Karnevalserfahrung auszudrücken: „Karneval ist ja wie die Wiesn, nur mit Glitzer.“
„Anne, mach hinne. Du bist schön genug. Du übertreibst es gerade. Spätestens nach fünf Liedern und drei Kölsch, sieht man eh nichts mehr von deinen Bemühungen.“
Ich entwirre noch schnell ganz provisorisch mit den Fingern meine Haare, rücke mein Paillettenhaarband und meine Federboa zurecht und bin gar nicht mal so unzufrieden, damit, was mir da im Spiegel entgegenblickt.

Nun stürzen wir uns nun endlich ins Party-Getümmel und machen uns auf den Weg zur Theke.
„Ein Kölsch und einmal Kölsch-Cola, bitte“, gebe ich unsere Bestellung bei der schon vollkommen erschöpft wirkenden Kellnerin hinter der Theke auf.
Während sie an der Zapfanalage beschäftigt ist, wende ich mich wieder Lara zu.
„Ich verstehe echt nicht, wieso du, als echtes kölsches Mädcher kein reines Kölsch magst. Schon mal was vom Reinheitsgebot gehört...“
„Ja, ja. Ich schäme mich auch schon ganz fürchterlich“, mimt sie die Zerknirschte.
In dem Moment werden ein wunderschönes Kölsch mit perfekter Schaumkrone oben drauf und ein etwas weniger schönes Glas Kölsch-Cola vor uns abgestellt.
Lara erhebt ihr Glas und hält es in meine Richtung. „Auf einen tollen Abend, auf alle schönen Männer dieser Welt, auf unsere geliebte Heimatstadt und vor allem auf uns und auf unsere Freundschaft – Prost.“
Gut gelaunt stoßen wir ziemlich schwungvoll mit unseren Gläsern an.

Die Gläser fest in der Hand bahnen wir uns einen Weg von der Theke mitten auf die Tanzfläche. Sehen und gesehen werden, so lautet die Devise. „Der liebe Gott weiss, dass ich kein Engel bin, so´n kleiner Teufel steckt doch in jedem drin...“, grölen wir begeistert das nächste Liede mit.
„Ne, Engel sind wir in der Tat nicht“, kommentiert Lara den Liedtext.
„Stimmt, die Zeiten sind vorbei“ pflichte ich ihr. „Aber egal, denn das mit dem Himmel, das kriegen wir schon hin“, füge ich die nächste Textzeile des Liedes an.
Lara blickt sich suchend um und wendet sich dann wieder mir zu: „Und, hast du schon nen tollen Kerl gesehen?“
„Ne, leider nicht. Alles nur 08/15 Typen da“, antworte ich ihr während ich mich aber noch einmal umblicke, um auch ja keinen verkleideten Adonis zu übersehen.

„Hey. Krass, dass du auch hier bist.“ Mit diesen Worten umarmt eine kleine Indianerin Lara.
„Ich würde eher sagen, krass, dass du hier bist - wir sind jedes Jahr sonntags hier“, entgegnet Lara und stellt mich und die Indianerin, deren Namen ich sofort wieder vergessen habe, einander vor.
Nun sind wir nicht mehr zu zweit, sondern befinden uns mitten in einer Gruppe von zwei Hawai Mädchen, einem Piraten und einer ganz stilecht schon ziemlich betrunkenen Version von Axl Rose von Guns N´ Roses.
„Kennst du die alle?“, wende ich mich Lara zu.
„Nö, nur Mimi, die Indianerin. Und so gut kenne ich sie eigentlich auch nicht. Wir haben kurz zusammen Päda studiert, bevor ich zu Anglistik gewechselt habe.“
Das nächste Lied erklingt und wir liegen uns alle in den Armen und grölen einvernehmlich den Text mit: „Hey Kölle - do ming Stadt am Rhing,
he wo ich jroß jewode ben.
Do bes en Stadt met Hätz un Siel.
Hey Kölle, do bes e Jeföhl!“ „Deshalb liebe ich Karneval so“, brüllt Lara mir ins Ohr. „Und jetzt neue Runde?“, mit dieser Aufforderung schwenkt sie ihr leeres Kölschglas vor meinem Gesicht hin und her.

„Ich merke echt, dass ich keine 18 mehr bin. Vor ein paar Jahren hatte ich am vierten Abend noch wesentlich mehr Energie. Ich glaub, ich muss mehr trinken. Ex, oder Kelly Fan. Ach ne, das waren wir ja früher wirklich mal“, füge ich kichernd hinzu und nehme mein halbvolles Glas in die Hand. „Aber egal, trotzdem exen – kann ja nie schaden. Prost!“ Nach vollendetem Werk stellen wir die Gläser auf den Tresen. „Für uns das Gleiche nochmal“, ordert Lara und schon stehen wieder zwei neue Gläser vor uns.
Mit unseren nun schon wieder aufgefüllten Gläsern verweilen wir ein bisschen an der Theke und sondieren in alter Checker-Manier die Anwesenden.
„Hey, wie findest du den Typ da vorne links in der Ecke mit der Mütze auf dem Kopf?“, frage ich und nicke so bemüht unauffällig in die Richtung des Mützenmannes, so dass es schon wieder auffällig ist.
Lara blickt sich suchend in der Menge um. Nun scheint sie wohl zu erkennen, wen ich meine.
„Na ja, es geht so... Der ist doch noch viel zu jungenhaft – noch gar kein richtiger Mann.“
„Für dich muss ein Mann ja auch schon mindestens einmal verheiratet gewesen sein und am besten schon einen mittelschweren Bandscheibenvorfall, als Folge seine hohen Alters gehabt haben“, entgegne ich und schneide eine nicht gerade vorteilhafte Grimasse. Zum Glück stehe ich gerade so, dass nur Lara und der etwa 100jährige Kellner hinter der Theke diesen Gesichtsausdruck sehen. „Also, ich finde, dass er unglaublich süß ist. Und er trägt so eine stylische Mütze, bei Männern mit Hüten oder Mützen bin ich ja direkt hin und weg.“
„Komm, wir gehen wieder tanzen“, meint Lara, nimmt meine Hand und zieht mich durch die Menge wieder in Richtung der Indianerin-Gruppe.

Während wir uns einen Weg durch die Menge bahnen und dabei die Herausforderung meistern müssen, das gute Bier nicht zu verschütten, versuche ich noch einmal einen Blick auf den Mützenmann zu erhaschen, um abzuchecken, ob er wirklich so unmännlich ist, wie Lara behauptet, oder ob wir tatsächlich einfach eine vollkommen unterschiedliche Männer-Wahrnehmung haben. Ich entdecke ihn neben zwei Kumpels, die beide auch nicht gerade schlecht aussehen. In der einen Hand hält er ebenfalls ein Glas Kölsch, in der anderen sein Handy, das er nun aber wieder in seiner Hosentasche verschwinden lässt. Nachdem sein Smartphone wieder sicher verstaut ist und bevor er sich wieder seinen Kumpels zuwendet, kreuzen sich unsere Blicke. Ich grinse ihn an und er erwidert meinen Blick mit einem Lächeln. Keine Ahnung, ob es am vielen Bier, oder an dem Lächeln des Mützenmannes liegt, mit einem Mal fühlen sich meine Knie ziemlich weich an. Mit einem wie eingemeißelten Lächeln auf dem Gesicht, zufrieden mit mir und der Welt, lasse ich mich von Lara weiter durch die Menge ziehen.

Wieder bei der Clique von der Indianerin, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, angekommen, finde ich mich mit einem Mal eingehakt zwischen Lara und einem der Hawai-Mädchen wieder.
Ich beuge mich zu Lara rüber. Eigentlich war meine Absicht zu flüstern, doch dies ist bei der Laustärke einfach nicht möglich und so brülle ich ihr ins Ohr: „Ich hab ihn eben im Vorbeigehen angelächelt und er hat mega süß zurück gelächelt.“
„Ja, das hab ich gesehen. Na, da hast du ja schon den Startschuss gegeben“, brüllt Lara zurück und durchwuschelt liebevoll meine Haare.
„Ey, wenn meine Haare so kacke aussehen, ist da nix mit Startschuss und so“, kommentiere ich das kleine Attentat auf meine ohnehin schon problematischen Haare.
Irgendwann zwischen dem elften und dem vierzehnten Kölsch, zwischen Viva Colonia, Drink doch ene mit und Et jitt kei Wood habe ich jegliches Zeitgefühl verloren. Leider habe ich währenddessen auch den Mützenmann irgendwie aus den Augen verloren. Von der Clique der Indianerin sind mittlerweile die ersten Leute nach Hause gegangen, auch Laras und meine Bewegungen sind nicht mehr ganz so schwungvoll und energiegeladen.
„Lass´ mal ne Cola trinken gehen. Ich glaube, das wäre jetzt gerade nicht die schlechteste Idee.“
„Was? Seid wann bist du so vernünftig? Aber ich bin dabei“, kommentiert Lara meinen Vorschlag und zieht mich Richtung Theke.

Wie zwei Verdurstende stürzen wir die Coke runter. „
Das hat gut getan. Aber weißt du, worauf ich jetzt richtig Lust hätte? Nen schönen Jägermeister. Wie sieht´s bei dir aus?“, mit einem schelmischen Grinsen blickt Lara mich erwartungsvoll an.
„Du bist gemein. Ich sollte eigentlich besser keinen nehmen, aber wenn du mich so lieb anguckst, kann ich ja nicht nein sagen. Also gut.“
Eine Augenblick später stehen schon zwei Jägermeister vor uns auf dem Tresen.
„Na dann, meine Liebe. Prost, würde ich sagen. Aber immer schön in die Augen gucken. Du weißt ja, was sonst passiert.“, fordert Lara mich zum Anstoßen und Trinken auf. „Ich bin langsam echt platt, gerade merke ich doch wieder mein Tief vom Nachmittag...“, murmele ich vor mich hin und gähne dabei völlig ungeniert.
„Los! Komm! Nicht schlapp machen. Noch ne halbe Stunde oder so und dann machen wir uns auch auf den Rückweg.“ „Einverstanden, Chefin“, grinse ich und folge Lara.

Wir bahnen uns einen Weg, durch die, mittlerweile nicht mehr ganz so dichte, Menge, als scheinbar die Hosentasche meiner abgeschnittenen Jeans reißt, denn genau in meinem Umkreis klimpert es verdächtig und jede Menge Kleingeld verteilt sich auf dem klebrigen Kneipenboden.
„Ach, kacke. War ja klar, dass diese Hose irgendwann komplett den Geist aufgibt. Super, jetzt hänge ich hier aufm Boden und spiele Aschenputtel, indem ich Münzen von Scherben zu unterscheiden versuche“, fluche ich ziemlich genervt vor mich hin. Ich rappele mich, weiterhin vor mich hin motzend, auf und blicke mich suchend nach Lara um, kann sie jedoch nicht entdecken.

Stattdessen steht mir plötzlich der Mützenmann gegenüber. „Suchst du irgendwen, oder irgendwas?“, fragt er und blickt mich mit diesem geradezu unverschämt süßen Grinsen an. „Ehrlich gesagt, suche ich beides. Mein gesamtes Kleingeld liegt hier im Umkreis von drei Metern verstreut und ich habe meine Freundin irgendwie verloren“, gebe ich ihm darüber Auskunft, weshalb ich gerade so ziemlich orientierungslos mitten im Raum stehe.
Es erfordert einiges an Konzentration, von dem Mecker- in den Flirtmodus zu schalten. Doch mein nun an ihn gewandtes Lächeln scheint nicht vollkommen missglückt zu sein, denn er legt mir den Arm um die Schultern und da gerade ein ziemlich lautes Lied beginnt, muss er mit seinem Gesicht ganz nahe an mein Ohr kommen, so dass ich verstehen kann, was er sagt. Seinen Atem so nah bei mir am Ohr zu spüren, löst einen wohligen Schauer in mir aus.
„Weißt du was? Ich helfe dir jetzt schnell dabei alles aufzusammeln und dann gebe ich dir nen Kölsch aus. Dafür hörst du auf so grimmig zu gucken und lächelst wieder so nett, wie am Anfang des Abends. Deal?“, fragt er mich auf eine verschmitzte Art und Weise und hält mir dabei die Hand zum Einschlagen hin.
Mist, ist vorhin mein Lächeln wohl doch nicht so super gelungen, denke ich und gelobe innerlich Besserung.
„Deal!“, gebe ich mein Einverständnis zu diesem Vorschlag und schlage ein und starte einen erneuten Versuch, ihm doch noch mein strahlendstes Lächeln zu schenken.

Nach nicht einmal fünf Minuten haben wir mein Kleingeld eingesammelt und wir machen uns auf den Weg zur Theke.
Ganz selbstverständlich, so als würden wir uns schon ewig kennen, greift er nach meiner Hand. Seine Hand ist rau und warm. Fühlt sich schön an.
Warum haben Männer eigentlich immer so warme Hände und Frauen schleppen stets zwei Eisklumpen mit sich herum, geht es mir im Kopf herum.
Während er unsere Bestellung aufgibt, entdecke ich Lara bei der Indianerin – Mimi, wenn ich mich recht erinnere. Sehr gut. Dann kann ich mich also ohne schlechtes Gewissen, dem Mützenmann widmen.
Ich nutze die Gelegenheit ihn nochmal ausgiebig zu mustern. Klassische Anzugsschuhe, graue Stoffhose, weißes Hemd, Hosenträger und nicht zu vergessen: die Mütze. Er ist ziemlich groß, was ihm direkt nochmal ein paar extra Pluspunkte einbringt. In den letzten Monaten so als Single musste ich mit Erschrecken feststellen, wie viele kleine Männer es doch gibt. Er ist eher der schlaksige, als der kantige Typ. Hellbraune leicht wuschelige Haare, blaue Augen. Keinen Plan, was Lara da meinte, aber er ist definitiv nicht unmännlich. Ne, genau richtig.
„Bitte sehr, Gnädigste“, reicht er mir mit gespielter Ernsthaftigkeit eines der beiden auf dem Tresen stehenden Kölsch Gläser. „Ein, unter Einsatz meines Lebens, beschafftes Glas flüssiges Gold. Ich hoffe, es ist genehm.“
„Danke! Es ist perfekt. Prost, du Spinner!“
Wir gucken uns in die Augen und lassen unsere Gläser gegeneinander klirren.
Während ich den ersten Schluck Bier nehme, fällt mir plötzlich auf, dass ich überhaupt nicht weiß, wie er heißt.
„Wie heißt du denn eigentlich? Vielleicht sollten wir nochmal zum Anfang zurückspulen und uns vorstelle, oder was meinst du?, wende ich mich leicht feixend an ihn.
„Ja, das wäre wohl den allgemeinen Normen entsprechend und der richtige Weg. Also darf ich mich vorstellen? Ich bin Lukas“, mit diesen Worten deutet er im Spaß eine kleine Vorbeugung an. „Und du?“
„Sehr erfreut. Ich bin Anne.“ Um ihm in nichts nachzustehen, deute ich eine Art Knicks, oder zumindest eine knicksähnliche Bewegung an.
Den Rest des allgemeingültigen Fragebogens absolvieren wir allerdings auf die dem 21. Jahrhundert entsprechende Art und Weise.
„Was machst du denn so, wenn du nicht gerade an Karneval dein Kleingeld aufm Kneipenboden verstreust, um dann irgendwelche liebenswürdigen Männer aufzugabeln, die den Schaden wieder gut machen?“
„Ach, mir passieren auch in allen anderen Situationen genügend blöde Sachen, bei denen die Hilfe so liebreizender Männer stets willkommen ist. Aber davon abgesehen studiere ich Soziale Arbeit“, gebe ich ihm die gewünschte Information. „Aber ich studiere schon recht lange und brauche wohl auch noch ne Weile“, gebe ich mehr Info, als verlangt ist. Was wohl da dran liegt, dass ich doch schon ziemliche viele Bierchen getrunken habe, denn dann werde ich immer ganz besonders redselig. „Und was machst du so, wenn du dich nicht gerade als Retter in der Not erweist?“
„Ich studiere Medientechnik an der FH in Deutz. Und um dich zu beruhigen. Ich bin auch nicht mehr gerade ein Frischling an der Uni, ich bin 28 und werde wohl erst mit 29 fertig sein. Aber egal. Man ist ja nur einmal jung und das Studentenleben ist ja auch nicht gerade das schlechteste“, er grinst mich schelmisch an und wirkt dabei dann doch recht jungenhaft.
So ganz unrecht hatte Lara dann wohl doch nicht, doch ich find´s toll. Ich hoffe, er bemerkt meinen schmachtenden Blick nicht, denn er soll mich ja schließlich nicht für einen schwärmenden Teenie oder so halten.
„Stimmt, das Studentenleben ist echt nicht gerade schlecht“, pflichte ich ihm bei und halte ihm meine Handflächen hin. „Check!“ Meine rechte Hand klatscht nicht so ganz präzise gegen seine linke Hand. Die Koordination der Hände ist zu später feuchtfröhlicher Stunde in der Tat schon eine große Herausforderung.
„Außerdem mit Zivi und Erasmus geht schon so seine Zeit ins Land. Da kann man ja gar nicht unter 25 komplett mim Studium durch sein.“
„Näää, du hast auch Erasmus gemacht. Krass! Voll cool! Ich auuuuuch!!!“, noch bevor ich zu Ende gesprochen habe, merke ich, dass meine Begeisterung ein wenig übertrieben und dem Dämon, genannt Alkohol geschuldet ist, denn wenn man sich die Zahlen derjenigen, die pro Jahr über Erasmus ins Ausland gehen, anschaut, ist es nicht gerade unwahrscheinlich auf jemanden zu treffen, der ebenfalls diese Erfahrung gemacht hat.
„Ja, ich war in Polen – ein Jahr. War echt hammer. So viele neue Leute aus so vielen verschiedenen Ländern zu treffen, mit denen man die Nacht zum Tag macht, ist einfach ne super tolle Sache.“
„Erasmus ist echt sooo toll. Ich bin mega froh, dass ich das gemacht habe. Allerdings war ich nur fünf Monate in Bulgarien. Im Nachhinein wäre ich gerne viel länger geblieben. Na ja, irgendwann muss ja der Ernst des Lebens wieder los gehen“, führe ich unsere Lobeshymne auf das süße Erasmus Leben fort. „Zumindest so halbwegs geht der Ernst des Lebens dann weiter“, füge ich hinzu.
„Biste denn eigentlich so nen ganz echtes kölsches Mädcher, oder bist du nur fürs Studium hier hin gezogen?“
„Ganz echt, super original und authentisch“, antworte ich auf seine Frage und werfe den Kopf lachend in den Nacken.
„Und du? Bist du nen Immi?“, möchte ich nun von ihm wissen.
„Na ja, im engeren Sinne schon. Allerdings hatte ich es jetzt nicht so wahnsinnig weit. Leverkusen.“
„Du kommst aus Leverkusen? Ich wusste gar nicht, dass man da wohnen kann. Ich dachte, da gäbe es nur das Bayerwerk.“
„Ne, da kann man tatsächlich wohnen“, Lukas gibt mir einen leichten klaps auf den Hinterkopf. „Da hast du wohl noch einiges zu lernen. Komm! Trink dein Kölsch aus und dann möchte der Immi mal mit einem echten kölschen Mädcher zu Karnevalsliedern tanzen.“

Er legt den Arm um meine Schulter und wir bewegen uns vom Thekenbereich Richtung Tanzbereich. Gerade geht Superjeile Zick von Brings zu Ende und ich erkenne die ersten Töne von Buenas Dias Mathias. Normalerweise ist das nicht gerade mein Lieblingslied an Karneval und meistens nutze ich die drei Minuten, die der Song dauert, um aufs Klo zu gehen.
Doch gerade passt der Rhythmus des Liedes perfekt. Lukas nimmt meine Hand und er dreht mich auf eine gewisse Art und Weise, so dass man mit viel gutem Willen den Ansatz eines Disco Fox erkennen könnte.
Der nächste Move bringt uns in die Position, so dass wir uns genau gegenüber stehen. Wir lächeln uns an. Dieses Mal ist es von uns beiden kein ironisches oder verschmitztes, sondern ein stilles zufriedenes Lächeln.
Es folgt die nächste Drehung und plötzlich sind wir so positioniert, dass er von hinten die Arme um mich legt und mich fest an sich drückt.
Doch schon ist das Lied zu Ende und der späten Stunde entsprechend, gibt die Playlist des DJs nun eher ein paar ruhigere Tracks her. Nemm mich su wie ich ben ertönt es durch die Kneipe.
Lukas zieht mich nun enger an sich. Er legt mir die Arme um die Schultern und auch ich verschränke meine Arme irgendwo auf seinem Rücken. So stehen wir ganz nah aneinander und bewegen uns im Takt der Musik. Mein Gesicht ist direkt an seinem Hals und ich rieche einen Mix aus dem Geruch seines Waschpulvers, der vom Kragen seines Hemdes ausgeht, die leicht salzige Note von frischem Schweiß und ein herbes männliches Parfüm.
Wie ich so dastehe, an Lukas gekuschelt und seinen Duft einatme, scheine ich wohl ein wenig abwesend gewirkt zu haben...
„Hey, hier wird nicht geschlafen“ sagt Lukas und zwickt mich ein wenig in die Seite. Er streicht mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und dann küsst er mich – und ich küsse zurück. „Ich musste dich doch wachküssen. Oder funktioniert das heutzutage nicht mehr so, wie zu Dornröschens Zeiten?“, murmelt er mir zwischen zwei Küssen ins Ohr, um mich direkt wieder zu küssen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lösen wir uns voneinander und blicken uns leicht verlegen an.
Was nun? Etwas sagen? Nen flapsigen Spruch liefern? Einen auf cool machen? Grinsen? Oder einfach weiter knutschen?
Im gegenseitigen Einvernehmen entscheiden wir uns dafür, da weiterzumachen, wo wir aufgehört haben.
Warum auch immer alles verkomplizieren, wenn man sich doch einfach küssen kann, denke ich im Stillen und so befinden wir uns die nächsten vier Lieder im Dauer-Knutsch-Modus.
Als wir es dann nach einer ganzen Weile, tatsächlich geschafft haben, uns für mehr als ein paar Sekunden voneinander zu lösen, fragt Lukas mich: „Wollen wir noch nen Bier trinken gehen? Vom Knutschen bekomme ich immer total den Durst.“
„Klar, gerne. Gute Idee“, antworte ich, um noch im selben Augenblick zu merken, dass noch ein weiteres Kölsch ganz und gar keine gute Idee ist.

Doch noch während ich mir über gute und schlechte Ideen Gedanken mache, befinde ich mich schon wieder an der Theke und zwei frisch gezapfte Kölsch stehen vor uns.
„Na dann, noch auf ein paar schöne Stunden“, kommt es von Lukas.
Wir stehen einander gegenüber, mein linkes Bein befindet sich dabei zwischen seinen Beinen und sein Arm spüre ich irgendwo an meinem Rücken.
Als ich einen großen Schluck Bier genommen habe und mein Glas abgestellt habe, blickt Lukas mich an, um mich mit einem Mal wieder zu küssen. „Du hattest da ein wenig Schaum vom Bier genau da an der Oberlippe“, er blickt mich entschuldigend, jedoch gleichzeitig mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, an, um mich sofort wieder zu küssen. „Du schmeckst voll nach Bier“, kommentiere ich seine kleine Kussattacke und verziehe showmäßig das Gesicht, so als wäre der Geschmack von Bier, etwas, das ich überhaupt nicht ausstehen kann und als hätte ich den ganzen Abend nur frisches Quellwasser zu mir genommen.
„Ach ne. Und du schmeckst nach Himbeersirup, oder was? Lass´ mich nochmal probieren.“ Schon spüre ich wieder seine Lippen auf meinen Lippen. „Ok. Ein klein wenig Flavour ist tatsächlich dabei. Ich würde aber wohl doch eher auf Erdbeer- und nicht auf Himbeer Aroma tippen.“
„Siehste! Sag´ich doch“, erwidere ich, grinse ihn leicht süffisant an, klaue ihm seine Mütze und verwuschele ihm die Haare.
Anschließend setze ich mir die Mütze selber auf. Die Wand hinter der Theke ist leicht verspiegelt und ich betrachte meinen neuen Look. Zusammen mit dem pinken Paillettenhaarband bildet die graue Schiebermütze einen sehr innovativen Style.

Langsam kann man die übrig gebliebenen Gäste, die sich noch im Brauhaus befinden, an zwei Händen abzählen. Der Rausschmeißer Summer of 69 ertönt und die letzten Feierwütigen schlurfen langsam alle Richtung Garderobe.
Auch Lukas und ich schließen uns, Hand in Hand, der Wanderung Richtung Garderobe an.
Der Mann an der Garderobe scheint auch fix und fertig zu sein, denn als er mir Jacke und Handtasche rüberreicht, blickt er mich aus müden Augen an.
Wenig später stehen wir ein wenig orientierungslos vor dem Kneipeneingang.
„Boah, ist das Scheißkalt“, stoße ich hervor und klappere unablässig mit den Zähnen.
Lukas schlingt die Arme um mich und blickt mich fragend an: „Und jetzt?“
„Ich weiß nicht...“, entgegne ich.
Ich kann förmlich sehen, wie Lukas Gehirnzellen rattern. „Ich bin auf jeden Fall noch viel zu voll, um zu schlafen. Ich muss erst einmal wieder klar kommen.“
„Joar, das könnte wohl nicht schaden.“ Ich grinse ihn an, umarme ihn und gebe ihm einen Schmatzer auf die Wange.
„Also bei mir in der WG sind noch nen paar Tiefkühpizzen und ich hab Eistee da. Die Kombi hilft meist ganz gut beim klarkommen. Also wenn du magst, das Angebot steht“, erwartungsvoll blickt er mich an.
In meinem Kopf gehe ich schnell alle möglichen Szenarien durch und wende mich dann wieder Lukas zu: „Du wohnst in ner WG, hast du gesagt? Sind deine Mitbewohner denn zu Hause?“ „Also, Felix, mein Mitbewohner, war auch feiern und pennt jetzt bei seiner Freundin, wo er eh meistens ist. Aber Kati ist zu Hause. Für sie ist Karneval dieses Jahr ausgefallen, da sie mitten im Examen steckt. Jura. Das heißt jede Menge Lernkram.“
„Ok. Das Angebot Pizza und Eistee klingt schon ziemlich gut und wenn tatsächlich deine Mitbewohnerin zu Hause ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du dich dann hinter verschlossener Tür als perverser Psychopat entpuppst, doch eher gering. Ich denke also, dass ich das Riskio eingehen kann. Oder?“, fragend blicke ich ihn an. „Aber falls das nicht stimmt, kannst du dich auf etwas gefasst machen.“ Mit einer gespielten Drohgeste blicke ich ihn ernst an, um dann aber in Lachen auszubrechen.
„Du bist mir ja ne ganz Skeptische. Hast wohl zu viele Filme gesehen... Dann lass´ mal versuchen nen Taxi zu bekommen.“

Arm in Arm gehen – oder eher torkeln - wir durch die Nacht auf der Suche nach einem Taxi. Doch an Karneval ein Taxi zu bekommen, ist fast so schwierig wie an Silvester und so kommen wir nach ner halben Stunde schließlich doch zu Fuß in seiner WG im Griechenviertel an.

Lukas schließt die Haustür auf und nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir es geschafft die Treppen in die fünfte Etage zu erklimmen.
„Dass du so weit oben wohnst, hättest du mal vorher sagen müssen. Dann hätte ich mir das nochmal anders überlegt“, beschwere ich mich vollkommen erschöpft, halb ernst und halb gespielt.
„Ich weiß, das kann echt stressig sein. Aber dafür gibt´s ja jetzt gleich Pizza“, er blickt mich mit einem Ausdruck leichter Besorgnis an.
Ich folge ihm in die Küche.
„So, was hätten wir denn da? Pizza Tonno, Cuatro Stagioni und Hawai. Was darf ich der Signora servieren?“
„Tonno wäre super.“
„Lässt sich einrichten“, antwortet er und schenkt uns aber erst einmal zwei Gläser eisgekühlten Pfirsisch Eistee ein. „Dann zum gefühlten hundertsten Mal diesen Abend: Prost! Ich hoffe dieser Service, lässt dich die Strapazen der Treppenbesteigung zumindest ein wenig vergessen.“
„Alles wieder super“, beruhige ich ihn.
Plötzlich hören wir die Klospülung und wenig später den laufenden Wasserhahn. Ich sehe ein paar Füße mit lackierten Zehennägeln den Flur entlanghuschen und hinter einer der Türen wieder verschwinden.
„Siehst du. Ich hab keinen Mist erzählt. Kati ist wirklich zu Hause.“
„Da kannst du ja froh sein, sonst wäre ich ganz schnell wieder weg“, kontere ich und strecke ihm dabei die Zunge raus.
„Du kannst es dir dann, wenn du möchtest, in meinem Zimmer auch schon mal gemütlich machen und chillen. Ich kümmere mich dann mal hier um die Pizzen“, schlägt er mir vor.
Das Angebot nehme ich dankend an, denn ich bin wirklich fix und alle.

Als Lukas mir sein Zimmer gezeigt und wieder in der Küche verschwunden ist, suche ich in meiner braunen Umhängetasche nach meinem Handy, doch es scheint nicht dort zu sein. „Fuck, wo kann das nur sein?“, murmele ich leise vor mich hin und kippe hektisch den Inhalt der Tasche neben mir aus. Neben meinem Schlüssel, Kaugummis, Puder, Schminkpinsel, Erdbeerlippenbalsam, einer kleinen Bürste, einer so wie es scheint halben Kronkorkensammlung, zwei Haargummis und meinem mit Perlenn bestickten Portemonai, befindet sich zum Glück auch doch mein iphone auf dem Stapel. Nachdem ich mein Hab und Gut wieder systematisch in der Tasche verstaut habe und es mir wie ich voller Stolz feststelle sogar gelungen ist, den Verschluss zuzumachen, entriegele ich mein Handy. Vier verpasste Anrufe. Alle von Lara. Neben der whatsapp App blinkt eine rote eins auf. Eine neue Nachricht – ebenfalls von Lara, gesendet um 1.27Uhr. Ich blicke auf die Uhrzeitanzeige aufm Display; es ist 3.42Uhr.
„Na, du alte Schnapsdrossel. Wenn du dich einmal warm getrunken hast, kennst du wohl echt kein Halten mehr. Egal! War nen lustiger Abend – nahezu legendär. :-D Ich hab dich irgendwann verloren und hab dann zum Glück Mimi getroffen. Als ich dich irgendwann wiedergesehen habe, hattest du auch schon nette Gesellschaft gefunden. Na ja, ich bin jetzt im Bus nach Hause. Du warst eben so beschäftigt, da hab ich lieber auf eine angemessene Verabschiedung verzichtet. Ich glaube, das konntest du in den Armen deiner Eroberung verschmerzen. Ihr habt übrigens ganz schön süß ausgesehen. Wünsche dir noch eine tolle Nacht – egal was noch folgt... Ich will morgen alles wissen – und damit meine ich alles. ;-) Küsschen PS: Viel Spaß morgen mit deinem Kater. haha“

Kurz darauf kommt Lukas mit zwei Pizzen ins Zimmer rein. „Voilá“, reicht er mir die Tonno Pizza. „Leider nen bisschen angebrannt. Irgendwie ist es bei diesem steinzeitlichen Ofen unmöglich den Zeitpunkt zu erwischen, zu dem etwas schon gar, aber noch nicht verbrannt ist.“
„Egal. Ich bin gerade so hungrig, da würde ich alles essen.“ Gierig beiße ich ein Stück von der heißen Pizza ab, wobei ich mir leicht die Zunge verbrenne.
„Sehr charmant von dir“, wird meine Aussage von Lukas kommentiert.
Einvernehmlich schweigend sitzen wir auf seinem Bett und futtern unsere Pizza. Lukas linker Arm ist leicht um mich gelegt.
Als ich aufgegessen habe, stelle ich den Teller auf dem Fußboden ab und ich strecke mich wohlig – satt und zufrieden - der Länge nach auf dem Bett aus. Lukas tut es mir gleich.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, liegen wir ganz eng aneinander gekuschelt, immer noch im Karnevalskostüm, da.

 

Hallo,

gefühlte achttausend Mal das Wort Kölsch. Ich komme auch aus dem Rheinland, aber ich fürchte, es ist doch zu viel des Guten. Also, dein Text ist für das, was es erzählt, eindeutig zu lang. Du berichtest im Prinzip über den Karneval in Kneipen und die Umstände, und bis sie den Typen trifft, passiert da nicht viel. Danach passiert auch nicht viel, und hier liegt das Problem: Warum soll ich das dann lesen? Ich meine, das passiert doch wirklich jedes Karneval tausendmal. Mann trifft Frau. Wenn sich die Frau jetzt sofort unsterblich in den Typen verliebt hätte. Wenn sie ausgeraubt worden wären oder sonstwas, aber so bleibt es einfach: Und dann essen wir ne Pizza und schlafen ein. Bitte? Und wenn du seine Ritterlichkeit betonen möchtest, so nach dem Motto: Der hat ja gar nicht versucht, mich flachzulegen - dann tu das doch auch! So läuft das einfach an einem vorbei.

Ich denke, schreiben kannst du. Dein Stil holpert noch, du benutzt arg viele Adjektive, aber im Endeffekt kannst du daran feilen. Du bist oft redundant und wiederholst dich. Viele Dinge interessieren auch den Leser nicht. Das fällt natürlich besonders auf, da du keinen erzählerischen Kern im eigentlichen Sinne hast; du berichtest vielmehr. Ich würde dem Leser versuchen, mehr zu zeigen, merh von den Figuren, von der Umwelt, und dann einen Konflikt oder etwas wirklich Herausragendes, etwas, das dem Text einen Alleinstellungsmerkmal gibt.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

danke für deinen Kommentar und die Tipps. :-)
In Bezug auf die zu häufige Erwähnung des Wortes Kölsch. meinst du dabei tatsächlich das Wort, oder die Tatsache, dass ich den Vorgang des Trinkens zu häufig beschreibe? Hab mir da auch, als der Text fertig war, Gedanken drüber gemacht...
Mir ist auch bewusst, dass die Handlung in dem Sinne jetzt nicht gerade spannend ist. Mir ging es auch eher darum die Stimmung einzufangen und die Charaktere bzw. das Verhältnis der Charaktere zueinander zu beschreiben... Aber dann hätte ich mich wohl wirklich kürzer fassen müssen. Ich glaube, ich habe mich dann selber in den Beschreibungen und in der Karnevalsstimmung ein wenig verloren und bin zu ausschweifend geworden.
Dieser Text sowie der andere Text, den ich hier hochgeladen habe, sind bisher auch die einzigen beiden Texte, die über die ersten zwei Seiten hinausgekommen sind... Hast du den Text "Vielleicht gibt es doch noch ein Happy End..." auch gelesen? Ich hab einfach drauf los geschrieben und mir vorher kein Konzept überlegt. Das sollte ich wohl beim nächsten Text machen. ;-)
Als ich aber gemerkt habe, dass ich da wohl keine super spannende Handlung mehr rein bekommen, habe ich mir aber gedacht, dass ich nicht immer alles nach super wenigen seiten verwerfen sollte und wollte den Text dann als Schreibübung nutzen und versuchen nen paar nette Dialoge und Situationen zu erfinden.
Zu dem Ende: Ich wollte eben keine zu kitschige Liebe auf den ersten Blick da draus machen, die sich anbahnende Romanze zwischen den beiden, sollte aber eben auch nicht zu nem One Night Stand verkommen... Deshalb habe ich es so ein bisschen offen gestaltet...
Was meinst du denn genau mit den Adjektiven? Ich dachte ehrlich gesagt immer, dass ich dadurch alles anschaulicher und lebendiger gestalten kann und dass die Adjektive eben der besseren Beschreibung dienen.
Über ne kurze Rückmeldung würde ich mich mega freuen.

Viele Grüße

 

Hallo,

ja, es ging mir hier eher um das Wort Kölsch. Too much.

Grundsätzlich finde ich, ein Text muss keine bestimmte Mindestlänge aufweisen. Wenn du es eben in zwei Seiten sagen kannst, dann tue es. Ich denke, du hast vielleicht versucht, hier endlich mal mehr draufzulegen, also diese magische Grenze von zwei Seiten zu überschreiten, aber leider fehlt es an Substanz. Das ist nicht schlimm: Wenn du dran bleibst, dann wirst du dich entwickeln und deine Geschichten werden ganz automatisch, organisch länger. Du lernst einfach, mehr zu erzählen. Auch hat es etwas mit der Entwicklung deines Personals zu tun, welche backstory deine Figuren haben, wie sie sich im Text bewegen.

Dieser Text ist weder Fleisch noch Fisch. Ich glaube, du müsstest ihm eine Richtung geben. Die Figuren müssen irgendwo hin, es muss eine Prämisse her. Stell dir die Lehre, die man aus deiner Story ziehen soll, als Buchstaben in Neonlicht vor, die beim Schreiben ständig aufleuchten. Für mich liest sie sich so, als wäre da viel Aufbau, die beiden Mädels, Karneval, Kölsch!:D, und dann am Ende, wo es interessanit wird, mit diesem Typen - zwei Absätze. Ja, okay, Pizza, Eistee, wir chillen und schlafen ein. Also, da hätte mich jetzt interessiert - schläft man so halb besoffen einfach neben einem Typen ein? Denkt die sich nichts dabei? Und das, wo der Typ noch aus Leverkusen kommt!:D Mir kommt da die Interaktion zu kurz, die Dynamik, und dann auch ein wenig die Magie dieser Momente. Es hat keinen Konflikt, und das Ende ist auch nicht wirklich offen.

Adjektive. Googel mal show, don't tell. Bsp: Du kannst sagen: Ich habe Angst. Oder du zeigst dem Leser, wie deine Figur reagiert, anstatt den emotionalen Zustand direkt zu beschreiben. Damit ziehst du den Leser viel tiefer in die Geschichte rein, weil er selber Empathie aufbringen muss, gefordert wird.

Du musst ja hier keine Romanze draus machen, und auch nichts im 50 shades Stil, aber es sollte einen eigenen Moment haben, etwas Besonderes.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

danke für deinen erneuten Kommentar.

Adjektive. Googel mal show, don't tell. Bsp: Du kannst sagen: Ich habe Angst. Oder du zeigst dem Leser, wie deine Figur reagiert, anstatt den emotionalen Zustand direkt zu beschreiben. Damit ziehst du den Leser viel tiefer in die Geschichte rein, weil er selber Empathie aufbringen muss, gefordert wird.
Der Hinweis ist super. Hab mir da noch nie wirklich Gedanken drüber gemacht und echt immer Adjektive genutzt. Werde versuchen beim nächsten Text mal auf diese Art und Weise zu beschreiben.

Hättest du denn einen Tipp für mich, wie ich in so einer Geschichte die Backstory der Figuren vernünftig einbringen könnte? Weil ich persönlich finde, dass es in dieser Story ja wirklich eher um den Moment geht...

Grundsätzlich sollte es bei dem Text gar nicht um eine Lehre oder so gehen. Ich wollte eher eine gewisse Leichtigkeit entstehen lassen. So nach dem Motto: Wir sind jung, genießen unsere Freundschaft, feiern und haben Spaß. Hab die Story ja "Das kleine große Glück der Nacht" genannt, da es eben wirklich um diese Momente einer Nacht geht, in denen man einfach glücklich ist und Spaß hat und es einem total unvorstellbar erscheint, dass auf so eine Nacht auch ein Morgen folgt, an dem man wahrscheinlich total verkatert aufwacht und sich schwört: "Nie wieder Alkohol!" ;-) Meinst du, dass man so etwas mehr herausstellen sollte?

Das Ende ist wirklich Schrott - da hast du schon recht. Ich fand es einerseits halt wirklich nett, dass insgesamt bis auf knutschen zwischen den beiden in der Nacht nix passiert, so dass der Leser sich noch vorstellen kann, dass die Geschichte auch jenseits der Nacht vielleicht noch weiter geht... Aber das hätte ich dann wohl anders darstellen müssen. Anderseits habe ich das Ende auch ganz einfach nicht so gestaltet, wie es vielleicht logischer wäre, weil meine Eltern mal lesen wollten, was ich so geschrieben habe und ich dann keine Liebesnacht beschreiben wollte. :-D

Insgesamt gibt die Handlung wohl tatsächlich wenig her... Ich habe beim Schreiben den Fokus auch eher auf die Dialoge und nen paar lustige Kommentare gelegt. Fällt dir in Bezug darauf noch etwas ein, dass ich beachten sollte?

Viele Grüße

 

Hallo,

ich geb dir eben meine Kontonummer per PN, nach Eingang eines dreistelligen Betrags hab ich auch noch ein paar Tips für dich!:D

Also, vielleicht bin ich auch der falsche Ansprechpartner für so eine Art von Text. Ist ein, wie ich finde, sehr weiblicher Text. Ich meine, dir ist schon bewußt, dass du keinen Schmachtfetzen abliefern willst, aber du solltest keine Angst vor Emotion haben. Und das mit den Eltern; die wissen schon, wies läuft. Du musst ja keinen Porno verfassen. Du spielst auch auf den Titel an: dieses kleine groé Glück, davon bekomme ich aber am wenigsten zu lesen. Es muss auch nicht viel sein, aber es muss den Moment treffen. Warum ist jetzt genau diese Begegnung das kleine große Glück - warum waren die anderen Momente, vielleicht aus vergangenen Fastelovenden (oder Straßenkarneval) nicht so gut, oder nicht so wie dieser? Da fehlt ein Gegengewicht. Es muss kein existenzieller Konflikt sein, aber da muss schon etwas vorhanden sein (finde ich) das Kontrast erzeugt. Deine Figuren nehmen keine Hürde, sozusagen.

Ich würde hier Überflüssiges kürzen und mich auf die beiden am Ende beschränken. Herausarbeiten, wie und warum sie zueinander finden. Du hast hier eine gute Skizze, in der eine noch bessere Geschichte steckt, aber du müsstest dich auf den Arsch setzen und dir was überlegen. :D

Gruss Jimmy

 

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