Was ist neu

Das Leben von Hans und die Ansichten des Autors

Mitglied
Beitritt
02.03.2002
Beiträge
763

Das Leben von Hans und die Ansichten des Autors

„Hassema ne Maak?“ Der Angesprochene senkte den Blick, zog die Brille halb von der Nase und musterte den Bittsteller. Dann zögerte er nicht lange und schlug dem alten Penner mit geballter Faust auf die Nase, die mit Konsequenz und einem hässlichen Krachen ihre alte Form aufgab. Die Passanten, die das bemerkten gingen empört schneller oder guckten unter sich, ein lustiges Liedchen vor sich hinpfeiffend.

Hans, so heißt übrigens mein Protagonist, weil mir nichts anderes eingefallen ist. Im englischen: „James“, mit automatischer Assoziation des multikulturellen Lesers zu James (Bond). Der nur deutsch denkende assoziiert „Hans ( im Glück)“. Werde die Geschichte in Folge so schreiben, dass beide Gruppierungen sich mit ihrer Assoziation bestätigt fühlen. Dem Penner hab ich keinen Namen gegeben, nicht aus soziokulturellen Dünkeln, sondern weil ich keine Lust habe, mir wegen einem Penner ´nen Kopf zu machen
.

Hans rieb sich die Knöchel, schaute auf sein am Boden liegendes Opfer und murmelte: „Wenn du schon bettelst, zieh vorher die Rolex aus, du Cretin.“ Dann setzte er seinen Weg fort, als sei Nichts geschehen. Er musste ins Büro.

Wenn diese Geschichte mal verfilmt wird, und das wird sie sicher, muss Hans an dieser Stelle supergeil aussehen. Cool, so wie Humphrey Bogart in Casablanca. Statt dem blöden Hut und dem hochgestellten Kragen muss Hans ohne Kopfbedeckung gefilmt werden und mit Schal und Jacke von Versace.

Das Büro war im vierundachtzigsten Stockwerk eines Bungalows und die Lobby der ideale Raum für Schröders feindliche Agenten ihre wöchentliche Beseitigungsversuche zu starten. Hans blickte sich um. Rechter Hand ein Mann, der einen leeren Rollstuhl schob, eine nackte Mutter, die ihr Kind auf einer ausgebreiteten Decke liegend stillte, links ein Zirkusdompteur mit Papagei und ein Schornsteinfeger. Nichts Auffälliges also. Der Fahrstuhl kam, die Tür öffnete sich, zwei Monteure schauten Hans an. Er betrat die Kabine und bevor sich die fragenden Blicke der Beiden in fragenden Worten manifestieren konnten, fragte Hans: „Security, was machen Sie hier?“ Ein intuitiv von Hans hingeworfener Satz, mit immenser Wirkung. Die beiden wechselten kurz zwei Blicke, urplötzlich hatte einer von ihnen eine 39er in der Hand und richtete sie auf Hans. „An die Wand“, zischte der Fremde unbedacht, denn das waren seine letzten Worte. Im Wissen um den Ausgang der Situation hätte er wahrscheinlich nach mehr Licht verlangt, nach Brutus gefragt oder sich überlegt warum er von Scotch zu Martini gewechselt hatte. So banal formuliert jedoch erlangte seine letzte Forderung nie den Status berühmter letzter Worte. Hans hatte bereits das Stockwerk gewählt, den entsprechenden Knopf und die Absturz-Taste gedrückt. Der Überraschungseffekt gelang, die 39er wechselte zum neuen Besitzer Hans, der lediglich zwei kleine unscheinbare Kugeln zurückgehen ließ. Bis zur Ankunft im vierundachtzigsten Stockwerk hatte er die Leichen durch den Notausstieg entsorgt und verließ den Fahrstuhl, cool eine Wasserpfeife rauchend.

Ich weiß, dass das mit der 39er nicht ganz korrekt ist. Wollte, dass es mehr als ne 38er ist, weiß aber nicht, was danach kommt. Deswegen der Einfachheit halber logisch extrapoliert. Die möglicherweise fehlerhafte Bezeichnung wird wahrscheinlich bei der Erwähnung der Wasserpfeife vom Leser schnell wieder vergessen, da sich dann für ihn die Frage auftut, wie man zwischen dem 72. und 84. Stockwerk eine Wasserpfeife stopfen und betriebsbereit vorglühen kann. Motivierend und bildend sind die Ausführungen zu den letzten Worten berühmter Menschen. Der Leser wird in seiner latenten Intention bestärkt, sich auf seine Todesstunde besser einzustellen, ja, sich eventuell bereits jetzt „seine“ letzten Worte zurechtzulegen und mit ihnen dereinst in der Hall of Fame berühmter Aussprüche zu landen.

In seinem Büro betrat er zuerst das Sekretariat und diktierte seiner obersten Sekretärin in vier Minuten den zehntausendneunhundertfünfzigsten Teil seiner Memoiren. Die literarische Verarbeitung gerade erlebter Eindrücke stabilisierte ihn mental und wappnete ihn gegen die Ignoranz seiner Mitmenschen. Dergestalt psychologisch gefestigt betrat er sein Büro. Dort saß seine Mutter. Gott sei Dank, dass er gerade etwas für seine Psyche getan hatte.
„Hallo Mama, schön dich zu sehen.“
„Spar dir dein Gesülze. Du hast wieder die Wäsche nicht gebügelt und den Geschirrspüler nicht ausgeräumt. Kind, was soll noch aus dir werden? Das Leben besteht nicht nur aus rumhuren, nein erst die Pflichten machen es wirklich liebens- und lebenswert.“

Hier ist eine sowohl sozialkritische, als auch pädagogisch wertvolle Sequenz eingearbeitet, die den Leser völlig unvorbereitet treffen soll. Durch diese subtile Vorschlaghammer-Methode des hintergründigen Vortrages wird ein überraschend tiefgehender Wirkungsgrad der Aussage erzielt. Wer, lieber Leser gestehen Sie es sich ruhig ein, hat nicht schon x Male in seinem Leben solch eine Mutter-Kind-Situation erlebt? Keiner. Genau, diese Tatsache garantiert die Umsetzungsfähigkeit, die innere Akzeptanz und den pädagogischen Effekt dieser eindringlich geschilderten Szene.

Die Bemerkung seiner Mutter war es, die Hans wieder sehr schnell auf 179 brachte. Als er dann noch feststellte, dass sie schon wieder seinen Schnuller um den Hals hängen hatte, war die Schwelle zum zweiten Male heute überschritten. Seine geballte Faust landete zum zweiten Mal auf einer Nase, zum zweiten Mal gab eine Nase mit Konsequenz und einem hässlichen Krachen ihre alte Form auf. „So, jetzt geh wieder nach hause Mama. Ich werde morgen bügeln und meinen Pflichten nachkommen. Hab dich lieb.“ Er nahm die alte Frau beim Kragen und schob sie aus dem Zimmer, mitsamt dem Papierkorb, in dem sie nach dem Schlag gelandet war. Mit reduziertem Aggressionspotential nahm er den Telefonhörer zur Hand und sagte: „Moin, muss mit Schröder sprechen. Ja, genau Sie meine ich. Geben Sie meinen Wunsch an Ihren Vorgesetzten weiter und rufen mich in zehn Minuten zurück.“ Ohne eine Antwort abzuwarten legte er den Hörer auf und sich hin. Er war Meister des Kurzschlafes.

Dieser Absatz beinhaltet zweierlei: die schockierende Entgleisung des Protagonisten gegen seine Mutter und einen erneuten Beweis seiner Souveränität. Der sympathische Hans erhebt die Hand gegen seine Mutter. Die gerade zart geknüpften Bande zwischen dem Leser und Hans werden durch die Erbsündensymbolik (Schändung der Mutter) stark strapaziert. Ist er etwa doch nicht der nette Mann von nebenan? Es entsteht ein neuer Spannungsbogen, durch die forcierten Zweifel nun stärker denn je gespannt. Seine Souveränität, das intuitive Wissen um die angezapften Telefone, lässt die Gefühle des Lesers wieder in entgegen gesetzte Richtung schwingen.

Neun Minuten und 47 Sekunden später erwachte er gut gelaunt und ausgeruht. Noch vor dem Klingeln hob er den Hörer hoch und flüsterte: „In zehn Minuten hinter dem Haus, Schröder. Dort entscheiden wir es endgültig.“
Die Antwort von Schröder war ein erstauntes Augenbrauenhochziehen, gepaart mit einem Achselzucken. Hans legte auf, erstellte ein Vier-Gänge-Menue, zelebrierte die formgerechte Zubereitung, verspeiste es genussvoll mit einer seiner Sekretärinnen und machte sich sofort nach dem Aufwasch auf den Weg zum Treffpunkt.

Wieder tritt Hans dem Leser als Sympathikus entgegen, einen Tick intensiver natürlich gewinnt er hier bei den Leserinnen. Ein Mann der kocht und abwäscht – eine ahnungsvolle Zuordnung von Attributen wird in der weibliche Psyche angestoßen, die im Weiteren die Kritikfähigkeit entscheidend herabsetzt. Für den männlichen Leser gewinnt der Protagonist in diesem Absatz durch die Tatsache, dass er so schnell ein Vier-Gänge-Menue erstellen (=ausdenken), die Zubereitung durch die Sekretärin offensichtlich so fachgerecht überwachen kann, dann eine charmante Begleitung beim Essen und als Nachtisch hat und dann noch derart zuvorkommend ist, zu warten, bis sie mit dem Abwasch fertig ist, bevor er seinen wichtigen Geschäften nachgeht.

Schröder ist ein 37jähriger Schwarzenegger-Typ, also kurze Haare, österreichischer Akzent. Die Figur und der Gesichtsausdruck ähneln mehr unserem Gletschermann Ötzi, was den Gesamteindruck wiederum etwas verbessert. Hans tritt ihm gegenüber. Showdown in zwanzig Meter Entfernung Der Hof hinter dem Haus ist riesig. Die glühende Hitze schlägt erbarmungslos auf die beiden Kontrahenten ein, raubt ihnen den Atem. Beide jedoch haben Ersatz dabei. Der Wind lässt vereinzelt einige alte, zerrissene Seiten der Financial Times über den rauen Belag streifen, der durchzogen ist von Rissen, die nach der Gewährleistungsfrist entstanden sind und deshalb nicht mehr als Mängelrüge anerkannt werden konnten. Durch die Risse wachsen erste Grasbüschel und Disteln. Hans und Schröder schreiten langsam aufeinander zu, Auge in Auge, als Schröder über eine Unebenheit stolpert und fluchend zu Boden fällt. Kommentarlos dreht sich Hans um und geht, wie Sekunden später auch Schröder, zurück zur Ausgangsposition. Dann nehmen sie Blickkontakt auf und beginnen beide erneut aufeinander zuzugehen.

Hier kann das Herz des kundigen Lesers begeistert aufjuchzen. Metaphern ohne Ende. Ötzi wird genannt, Symbol für die Anfänge der Menschheit. Zerrissene Seiten der Financial Times, Vergänglichkeit menschlicher Werte? Gras und Disteln, neues Leben blüht aus den Ruinen? Wortlos praktizierte Fairness? Dies nur einige Ansatzpunkte…

Hans nutzt die Sekunden der Muse, ergötzt sich an der symbolschwangeren Situation. Er beginnt Metaphern zu analysieren, die ihn in dieser Situation regelrecht anspringen. Begeistert nimmt er Block und Stift zur Hand und beginnt seine Inspirationen zu Papier zu bringen. Schröder hat nun alle Zeit der Welt seinen Revolver zu ziehen und Hans zu erschießen. Er tut es und Hans stirbt glücklich auf dem Höhepunkt seiner literarischen Schaffensperiode.

Scheiß Ende? Oder weitere geniale Metapher?


[ 26.07.2002, 19:14: Beitrag editiert von: querkopp ]

 

:sleep: *Gähn* Hallo Satirekopp...weck mich doch bitte, wenn du fertig bist mit deiner Endlosfragerei.

Klar haste mal wieder ne geile Satire hier reingesetzt, so ein Rundumschlag gegen Autoren und ihre wichtigtuerische Art, gegen Autoren und ihre bekloppten Ansprüche was das Niveau anbelangt,über den dummbatzigen Leser, der alles liest, alles verdaut und offensichtlich 'nen Magen wie 'ne Kuh hat und les ich da auch leicht satirische Anflüge gegen uns Kritiker?
Da ich zu müde bin, mir diese Frage selbst zu beantworten, erlaube ich mir, dir mal prophylaktisch vors Schienbein zu treten. :aua:
:D

Und nu?
Wie wär's damit, wenn du mal eine Geschichte schreibst, für deren Kritik es sich lohnt das Gehirn warmlaufen zu lassen und die Datenstränge freizupusten,
damit daraus eine feinvernetzte mit allen Lebenserfahrungen durchdrungene mit Wissen angereicherte und Weisheit fundamentierte Kritik drauf folgt? Das hier ist keine Herausforderung!

Mittelalterlich gesprochen: ich seh hier keinen hingeworfenen Handschuh von dir.
Weswegen ich mich jetzt auch verweigere, dir mein Taschentuch vor die Füsse fallen zu lassen. :p

Liebste Grüße
elvira

[ 24.07.2002, 15:36: Beitrag editiert von: lakita ]

 

Werte Kritikerin, liebe Hartlinerin,

wie kommst du darauf ich würde alte Taschentücher sammeln? :confused: Achso, Mittelalter. Hätte dich jünger geschätzt. :D

Im Ernst: Danke fürs Lesen. Soll ich deine deine Bemerkung so verstehen, dass es zum Schluss der Fragen zuviele sind? Zu deutlich für dich, die dann doch nicht so ganz verstanden hat, dass ich eine bestimmte Sorte Autoren im Auge hatte (was am Sinngehalt meiner eigentlichen "Geschichte" deutlich werden sollte)? Insofern steht da auch eine Kritik gegen die Kritiker. Speziell hier: gegen die Kritikerin. Läßt noch nicht einmal ihr Gehirn warmlaufen. Tststsss

:heul: keiner versteht mich und meine Gschicht. Nich ma Lakita :heul:

Lieber Gruß
Maris

 

Hochverehrter Don querkopp,

du bringst mich in einen Handlungsnotstand. Was möchtest du denn nun? Soll ich als Kritikerin deiner Geschichte den satirischen Inhalt untermauern? Dann allerdings ist es nur gerechtfertigt, wenn ich deine Geschichte zum Teil nicht verstehe. Auf diese Weise erhalte ich dir einen Teil deines satirischen Aspektes.

Soll ich dagegen hinter deine Kulissen schauen?
Dann würde ich dicke Löcher in deinen dünnfadigen Satirevorhang reißen, denn kurzsichtig wie ich nun mal als Kritikerin bin, würd ich mich glatt darin verlaufen,verfangen und mein Befreiungsversuch würde ein Stück Satire mitnehmen.
Also wehklage nicht mein Liebster. Unter uns und das ist jetzt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt: ich bin eh jeder deiner Geschichten verfallen. :kuss:

Deine Verehrerin

 

Verehrte Lakita,
Danke, aber bitte bevor du verfällst antworte mir auf folgende Frage:
- Wird es deutlich (wenn man darüber nachdenkt), dass ich mich auf Geschichten im Stile von Schumpo, mrchance(teilweise), Gelu, Chalkidizke(?), etc. beziehe und nicht auf "normale"?
Wenn du antwortest, bist du auch nicht Bestandteil der Satire. ;)

Ich frage mich desweiteren, welche Gedanken der Leser hätte, wenn ich den letzten Absatz weglasse..

untertänigst...

 

Liebster Maris,

wenn ich denn je (außer einer in die Satire verirrten Geschichte von mrchance)Texte dieser Autoren gelesen hätte, würde ich dir antworten können.
So zähl ich mich zu den Unwissenden. Es tut mir leid, aber du wirst nicht umhin können und anderen Kritikern ein Bein stellen müssen, um ihnen die Beantwortung dieser Frage abringen zu können.
Viel Vergnügen!

In ehrerbietender Ergebenheit und mit tiefem Knicks verbleibe ich insgeheim vor lauter Schmunzeln haltbare Lachfältchen bildend deine dir immer treue Kritikerin

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom