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Das Mädchen aus dem Muschelhaus
Mira ist traurig. Gestern sind Mama, Papa und sie aus dem Sommerurlaub am Meer zurückgekommen, und jetzt ist alles wieder so schrecklich langweilig, und Mira weiß nicht, was sie machen soll.
Ihre Puppe Jule und der alte Teddybär liegen auf dem Boden, doch Mira will nicht mit ihnen spielen, sie will im Meer schwimmen gehen, mit Papa tolle Sandburgen bauen, und mit Mama Muscheln sammeln.
Doch das Meer ist nicht da, und so geht Mira ins Wohnzimmer, vielleicht weiß Mama ja, was sie spielen kann.
Mama sitzt vor der Balkontür und packt die Reisetasche aus. „Guck mal was ich gefunden habe,“ sagt sie, als sie Mira sieht. Sie hebt eine große Plastiktüte hoch. Mira hört es rascheln, und aus einem Loch in der Tüte rieselt Sand, sie weiß sofort was Mama da in der Hand hält, es sind die Muscheln, die sie im Urlaub gesammelt haben.
„Oh, toll, kann ich sie anschauen?“ Mira ist ganz aufgeregt, doch als Mama die Tüte aufhält und die Schätze auf dem Balkontisch ausschüttet, ist sie enttäuscht. Das sind nicht ihre Muscheln, ihre hatten bunt geglitzert, und auch die drei großen Steine, die sie mitgenommen hatten, waren viel schöner gewesen.
„Wo sind den unsere?“ fragt sie Mama.
„Wir müssen sie erst einmal putzen, damit sie wieder schön aussehen,“ sagt Mama, und holt zwei große Schüsseln mit Wasser und stellt eine für Mira, und eine für sich auf den Tisch. „Wenn sie erst einmal nass sind, wirst du sehen wie schön sie wieder glänzen.“
Mira freut sich, das wird lustig werden. Mama gibt ihr noch eine Bürste und schon geht es los.
Im Wasser sieht Mira sofort, dass das ihre Muscheln sind, auch die drei Steine glitzern wie vor einer Woche, als sie noch auf ihrer Sandburg lagen.
Mama zeigt ihr wie sie die Muscheln putzen kann, und danach auf ein Tuch zum Trocknen in die Sonne legen soll. Das Putzen ist gar nicht so einfach, mehr als einmal rutschen die nassen Muscheln aus Miras Hand, und eine fällt sogar auf den Boden und geht kaputt. Mira will schon nicht mehr, aber Mama sagt, sie muss ein wenig Geduld haben, und schließlich klappt es doch ganz toll.
Sie sind schon fast fertig, als in der Küche das Telefon klingelt, und Mama nach drinnen gehen will. „Den Rest schaffst du ja auch alleine, sag Bescheid wenn du fertig bist, dann können wir die Muscheln noch mit ein wenig Fett polieren, damit sie glänzend bleiben.“
Mira nickt, und legt eine weitere Muschel auf das Tuch zum trocknen. Die nächste Muschel, ist ein große gebogene Spirale, die aussieht wie ein Schneckenhaus. Als Mira sie ein wenig schüttelt, klappert es im Inneren. Sie fragt sich, wie es wohl in der Muschel aussehen wird, sie ist besonders schön, und Mira beschließt, sie mit in ihr Zimmer zu nehmen.
Bald sind alle Muscheln geputzt und poliert, und nach dem Abendbrot zeigt Mira sie Papa, der wieder zur Arbeit musste.
Als sie abends im Bett liegt, läßt Mama das Fenster ein bisschen offen und Mira kann sehen, wie der Mond auf die Fensterbank scheint, wo sie ihre Muschel hingelegt hat, sie schimmert so herrlich, dass Mira aus dem Bett schlüpft um sie noch einmal anzuschauen. Als sie die Muschel in der Hand hält, und schüttelt, um das leise Rascheln zu hören, ertönt eine leise Stimme, die ihr zuruft. „He, Mira, hör auf mich so zu schütteln, da wird mir ja ganz schwindlig.“
Mira staunt, als sie eine kleine Gestalt aus dem Muschelgehäuse kriechen sieht. Es sieht aus wie die Elfe aus dem Märchenbuch, aber Mira beschließt, später näher darüber nachzudenken, nicht jetzt wo sie keine Zeit hat.
„Weißt du eigentlich, was du alles kaputtmachen kannst, wenn du mein Haus so schüttelst?“, fragt die kleine Gestalt. Mira schüttelt den Kopf, aber kaputtmachen wollte sie nichts.
„Wer bist du denn?“, fragt Mira.
„Ich bin Lilli, und das ist mein Haus.“, sie deutet auf die Muschel. „Du hast meinen Stuhl kaputtgemacht.“ Lilli schaut ein bisschen böse, aber nachdem Mira sich entschuldigt hat, grinst sie schon wieder.
„Kann ich mir dein Haus mal ansehen?“, fragt Mira, und Lilli ist einverstanden.
Mira wundert sich nicht das sie hinter Lilli in das Muschelhaus gehen kann, dafür ist das alles zu aufregend, aber sie staunt, wie schön es im Inneren eingerichtet ist. Die Wände glitzern in allen Farben und sehen aus, wie die Perlenkette von Mama. Eine Treppe führt ins Obergeschoss, und auch ein Tisch und zwei Stühle gibt es hier.
„Hast du die selber gebaut?“, fragt Mira. „Ja, das war gar nicht so einfach, denn am Meer findet man selten Holz“, berichtet Lilli.
Für den kaputten Stuhl hat Mira gleich eine tolle Idee, im Flur liegen immer Papas Streichhölzer, wenn sie die Hälfte von einem Hölzchen abbricht, hat es bestimmt die gleiche Länge wie Lillis Stuhl.
Lilli gefällt die Idee, aber Mira merkt auch, dass sie ein wenig traurig ist. Lilli erzählt ihr warum.
„Eigentlich stand mein Haus immer im Wasser, da hatte ich eine tolle Unterwasserwohnung, hier auf der Fensterbank vermisse ich das Meer.“
Mira kann sie verstehen, sie fand die Ferien am Meer auch toll, aber ihr Zuhause ist hier, in Berlin.
Sie überlegt wie sie Mira helfen kann, vielleicht konnte sie das Muschelhaus in den nächsten Ferien wieder mit ans Meer nehmen, damit Lilli wieder im Wasser wohnen kann, aber bis dahin würde es schrecklich lange dauern, und Mira weiß, wie traurig sie einmal war, als sie bei Oma Lisa übernachten sollte und Heimweh hatte.
„Vielleicht reparieren wir erst einmal den Stuhl“, sagt Lilli, und Mira beschließt später noch einmal über das Wasserproblem nachzudenken.
„Dann hole ich dir jetzt ein neues Stuhlbein“, und schwups rutscht sie aus der Muschel, und steht wieder im langen Nachthemd vor dem Fenster. Lilli winkt ihr zu, und Mira schleicht sich in den Flur zu den Streichhölzern. Im ganzen Haus ist es schon dunkel und still, auch Mama und Papa schlafen schon. Nur die Pumpe vom Aquarium blubberte leise vor sich hin. Die Streichhölzer findet sie schnell, sie liegen gleich neben Papas Hut, und Mira bricht vorsichtig ein Stück Holz für den Stuhl ab, sie will eigentlich schon zurück in ihr Zimmer schleichen, als sie sich plötzlich wieder an Lillis Wohnungsproblem erinnert, und ihr Blick fällt auf das Aquarium. Jetzt ist alles klar, schnell läuft Mira zurück ins Kinderzimmer, nimmt das kleine Muschelhaus in die Hand und geht zurück in den Flur.
Vorsichtig gleitet die Muschel auf den Grund des Aquariums, und bleibt zwischen den Wasserpflanzen liegen, Mira findet das es schön aussieht, und sie weiß, dass sie Lilli nun nicht mehr besuchen kann, aber Heimweh nach ihrer Unterwasserwohnung, wird Lilli bestimmt auch nicht haben, und das ist schließlich das wichtigste.
Mama wundert sich am nächsten Tag ein wenig, dass die Fische alle neugierig zwischen den Wasserpflanzen hindurch schwimmen, aber Mira weiß, dass sie das schöne Muschelhaus betrachten, und Lilli ihnen vielleicht erzählt, wie schön es da ist, wo sie herkommt.