Was ist neu

Davor

Mitglied
Beitritt
23.01.2014
Beiträge
220
Zuletzt bearbeitet:

Davor

Ich liege seit Stunden am Strand zwischen angeschwemmten Ästen, vertrockneten Quallen und Plastikmüll. Die Sonne steht hoch und versengt meine aufgeweichte Haut.
Wie lange werde ich hier liegen, bis mich jemand findet? Und wer wird es sein? Ein Fischer? Vielleicht ein Pärchen, das am Strand entlang wandert, Hand in Hand, die Füße in der Gischt, die Augen am Horizont?
Was ist das, das große Ding dort in dem angespülten Haufen? Wird es hysterisches Gekreische geben, wenn sie bemerken, dass ich kein Sack bin?

Davor
Ich habe erfahren, wie es sich anfühlt, das Meer zu atmen. Ich habe die Luft angehalten bis mir die Lunge zerplatzen wollte. Überall war Wasser. Um mich, in mir. Kalt. Meine Arme steif und kraftlos. Sie ruderten nicht mehr. Meine Beine leblos, der Kopf so bleiern, dass der Nacken ihn nicht mehr oben hielt. Ich musste die Luft entweichen lassen, schnappte nach neuer, aber da war keine. Husten, Würgen, Schaum aus verbrauchter Luft und Wasser. Dann das Schütteln, mein ganzer Körper, die Krämpfe, irgendwann dunkel.

Davor
Ich schwamm um das Boot, rief nach ihr. Der Schiffsrumpf. Hart, glatt. Bräuchte einen neuen Anstrich. Bescheuerter Gedanke, der mir da in die Angst kroch!
Ihr Gesicht kam nicht mehr. Wozu auch? Wozu sollte sie mich betrachten wollen? Sie wusste, wo ich war und wie ich enden würde.
Kein Griff, nicht mal eine Delle. Kein Halt für meine Fingerkuppen. Meine dummen Beine stießen sich im Wasser ab. Ich ertastete eine winzige Kerbe. Die Härte meines Nagels gegen mein Gewicht. Er brach.
Im Westen begann die Sonne zu versinken. Im Westen war Land. Eine Hügelkette, milchig grau, jetzt mit Abendrot. Einen ganzen Tag mit geblähten Segeln entfernt.
Zu weit.

Davor

nackt auf dem Deck. Sie lächelte viel. Wir hatten gut gegessen. Kleines aber Feines vom Türken an der Ecke, das sie für uns eingepackt hatte. Dazu Fladenbrot und einen Chablis. Über die Nacht sprachen wir nicht. Sie trug ein kleines Pflaster über dem rechten Auge.
Danach im Liegestuhl. Ihre Blutergüsse am Hals, am Körper. Zeugen eines Alptraums, eines Irrtums, der schon Vergangenheit war. Wir gingen bereits in eine neue Zeit. Ich hatte den Anker geworfen. Weitab jeder Schiffsroute. Es war heiß.
Wir hatten uns eingecremt. Sie mich und ich sie. Auch beim Berühren der Stellen, die sie schmerzen mussten, lächelte sie. Sie war so stark. Wollte es mir leicht machen. Die Zukunft nicht auf meinem schlechten Gewissen aufbauen.
Wir schwitzten. Sie wollte schwimmen gehen. Ich freute mich auf ihren Körper nach der Erfrischung. Sie lächelte so versprechend, dass ich hoffte. Ich hatte nichts verstanden.
Unsere Zehen krallten sich um den Rand der Reling. Ich hob die Arme für den Kopfsprung. Sie auch.
Ich sprang.
Als ich wieder auftauchte und mich umblickte, sah ich, dass sie nicht gesprungen war.
Sie blickte kurz herab zu mir, entriegelte die Leiter und zog sie an Bord.
Ich verstand.

Davor
„Du hast einen anderen?“, frage ich. „Und willst mich entsorgen?“
„Bemüh dich nicht!“, sagt sie. „Das ist die falsche Frage. Das alte Schattenboxen. Hab ich keinen Bock drauf. Außerdem geht es dich nichts mehr an.“
Schattenboxen. Sie hat Recht. Seit Jahren werfen wir uns auf die langen dunklen Monster, die das Licht auf den Boden malt. Aber es sind nur die Schatten unserer Ungeheuer. Wir treffen uns nicht mal mehr, wenn wir uns verwunden wollen, so fremd sind wir uns geworden.
„Ich lasse nicht zu, dass du gehst. Nicht so!“

Ich will mich wehren gegen ihre herablassende Lässigkeit, ihre Verachtung. Dagegen, dass alles schon beschlossen ist, dass sie mich nicht mehr braucht. Und gegen die Wut, die mich jetzt übermannt.
So einfach will sie es. Und sie will es jetzt. Alles in diesen Moment packen und dann hinter sich haben.
„Du glaubst, so geht das?“, schreie ich. „Einen kurzen schnellen Schmerz, und das war’s dann?“
„Schmerz?“, fragt sie. „Ich fühle keinen.“
Und in diesem Augenblick werde ich einverstanden und lasse all das herein, das in mich schießen will. Ich möchte noch einmal wissen, wie sie schmeckt. Will ihre Säfte. Egal welche! Süß oder bitter! Ganz egal!
Ich schlage zu. Treffe, was ich treffe. Arme, Bauch, Brüste, Gesicht.
Es rinnt von der Braue, die sich geöffnet hat. Ich packe sie, lecke es von ihrer Wange. Süß.
Sie scheint die Wunde nicht einmal zu spüren, bis sie ihre Finger ins Gesicht führt und die Nässe fühlt, ihre blutverschmierte Hand betrachtet. Aber jetzt sehe ich noch eine andere Regung. Angst! Jetzt spürt sie mich endlich.
Sie dreht sich um. Sucht nach Zuflucht. Einen Ort, an dem ich sie nicht erreichen kann. Aber den gibt es nicht.
„Wo willst du hin?“
Sie weiß, dass es kein Versteck vor mir gibt. Ihr Blick, wenn sie mich ansieht. Kälte, Hass, Abscheu. Und Angst.
Meine Hand ergreift, hält fest, schlägt.
Sie wehrt sich nicht. Nicht mehr.
So still ist sie jetzt. Ganz klein. Ganz schwach. Oder ist sie gleichgültig?
Ich schlage zu und sehe, dass ihre Augen groß und weit sind. Und dass sie blutet.
Dann ist da ein Loch in der Zeit. Ich weiß nicht, wie groß.
Irgendwann viel später sitzen wir auf zwei Stühlen nebeneinander auf dem Balkon und blicken in die Nacht. Sie war lang und sie hat mir vergeben. In der gleichen Nacht noch, unter dem gleichen Mond hat sie mir bei einer Zigarette auf dem Balkon verziehen.
Dass alle Wut nur meine Ohnmacht war, erkläre ich ihr. Und dass ich sie liebe, dass so etwas nie mehr geschehen wird, wenn sie bei mir bleibt.
Ich weiß, woran sie denkt während sie schweigt und ich rede.
Dass sie mich schon einmal verlassen wollte. An den Sturz von der Treppe mit dem Kind in ihrem Bauch.
"Wir können wieder eins haben", sage ich. „Wir gehören zusammen.“
„Fahren wir morgen mit dem Boot raus.“, schlägt sie vor. „Nur wir zwei.“
„Eine wunderbare Idee! Es tut mir so leid. Ich mache es wieder gut.“
„Morgen ist Vollmond. Lass uns auf dem Schiff übernachten!“, sagt sie.
„Oh Ja. Wir nehmen Essen mit. Es wird schön. Den ganzen Tag nur wir. Wind und Sonne spüren. Schwimmen. Ein neuer Anfang.“
Ich bin so dankbar, dass sie mir verziehen hat.

 

Hallo @wander,

in Kürze: tolle Geschichte! Schön aufgebaut, diese einzelnen Episoden rückwärts, auch wenn man natürlich am Anfang schon erfährt, wie der Prot endet. Aber ab da ist es ja absolut spannend, zu erfahren, wie es dazu gekommen ist, und so, wie du es schreibst, ist keine Sekunde davon langweilig.
Ich habe nur ein wenig Kleinkram:

Was ist das, das große Ding dort in dem angespülten Haufen? Wird sie hysterisch zu kreischen beginnen, wenn sie bemerkt, dass ich kein Sack bin?
Das Fette gefällt mir nicht so. Du schreibst zuvor von einem Pärchen, und dann behauptest du einfach, sie wird kreischen. Vielleicht ist er ja viel erschrockener. Aber egal, ich finde es auch sowieso zu viel Denkarbeit, schöner fände ich vllt. sowas: Werden sie vor Schreck aufschreien, wenn sie bemerken …
Davor
habe ich erfahren, wie es sich anfühlt, das Meer zu atmen. Ich habe die Luft angehalten bis mir die Lunge zerplatzen wollte.
Diese Einleitungen mit Davor, und dieses Wort auch als Titel zu nehmen, gefallen mir total.
Hier dachte ich erst, oh je, ein Flüchtlingsdrama …
Aber das wurde dann ja recht schnell klar, dass es sich um eine andere Angelegenheit handeln muss.
War das teuer? Viele Male, das Heck, der Bug, das Heck. Der weiße Bootslack war rissig.
War was teuer, eigentlich?
Was für ein bescheuerter Gedanke mir da in die Angst kroch!
Klasse, der Gedanke, der in die Angst kriecht! :thumbsup:
Meine dummen Beine stießen sich im Wasser ab. Ich ertastete eine winzige Kerbe. Die Härte meines Nagels gegen mein Gewicht.
Meins! Meins! :D
Als Leichnam. Aber es wäre immerhin ein Bewahren vor dem totalen Vergessen, vor dem völligen Verschwinden. Wenigstens kein Fischfutter.
Das Fette könnte für meinen Geschmack raus. Das versteht man schon, und mit wenigstens kein Fischfutter knallt es mehr rein.
nackt auf dem Deck. Sie lächelte viel. Wir hatten gut gegessen. Ein kleines aber feines Buffet vom Türken an der Ecke. Dazu Fladenbrot und einen Chablis. Über die Nacht sprachen wir nicht. Sie trug ein kleines Pflaster über dem rechten Auge.
Ach, das ist eine richtig erholsame Szene, man genießt sofort die Sonne an Deck und das feine Essen und denkt, vielleicht wird ja doch alles gut. Als ob man es nicht besser wüsste … :eek:
Wir hatten uns eingecremt. Sie mich und ich sie. Auch beim Berühren der Stellen, die sie schmerzen mussten, lächelte sie. Sie war so stark. Wollte es mir leicht machen. Die Zukunft nicht auf meinem schlechten Gewissen aufbauen.
Wir schwitzten. Sie wollte schwimmen gehen.
Hier würde ich zwischen eincremen und schwimmen gehen irgendwie noch eine kleine Aktion einfügen, und wenn es in der Sonne liegen ist. Sonst denke ich, wieso cremen die sich erst so aufwändig und schmerzhaft ein, um dann gleich wieder ins Wasser zu springen.
Die Leiter hatte ich eingehängt.
Reicht es nicht, dass sie sie später einnholt?
Unsinn, sagst du.
Im letzten Absatz, in der Gewaltszene, wechselst du plötzlich zum du. Da musste ich mich kurz dran gewöhnen, aber dann fand ich es auch gut. Musste spontan an Jeanny von Falco denken, bei mir hatte es die gleiche Gänsehautwirkung.
Ich bin so dankbar, dass du mir verziehen hast.
Toll!
Hat mir wirklich sehr gut gefallen, wander.

Liebe Grüße von Raindog

 

Moin wander,

den ersten Absatz gerade lesend geriet ich in eine ganz andere, gerade aktuelle Richtung – an der Nordseeküste (von Westfriesland bis Seeland) sind tausende von toten Seevögeln (genau: Trottellummen, die auf Helgoland nisten) angeschwemmt worden und keiner weiß so recht, warum ...

Nein, Deine Geschichte erzählt einen ganz anderen Abschied, der von der Afa („Abschreibung für Abnutzung“) in der Liebe erzählt und eine eher gewaltsame Seite von Zweierbeziehungen aufzeigt, in der es um Besitzstandswahrung, vllt. auch den äußeren Schein und somit um alles andere als um Freiheit geht.

Da hat man schwer zu knacken, dass ich jetzt nur formale Dinge angehe, wie hier

Ihr Gesicht kam nicht mehr. Wozu auch? Wozu sollte sie mich betrachten wollen? Sie wusste, wo ich war und wie ich enden würde.
Warum die würde-Konstruktion, in der ja Zweifel mitschwingen. Heute ist es schwierig, Voraussagen zu treffen (selbst die Wirtschaftswissenschaftler, die als „weise“ gelten und die Bundesregierung beraten, haben nicht einmal n den letzten Jahren die richtige Prognose gestellt trotz ausgereiften mathematischen Apparates und Erfahrung).
Das einfache Futur ist unbestimmt genug, finde ich und in einem "wird" schon schwingt mehr Hoffnung mit als im zweifelhaften "würde".

Ein Tropfen, der über den Lack rann und im Meer verging.
M. E. wenn schon nicht das falsche, so doch nicht ganz korrekte Verb für ein Gewässer und die Zeit zugleich, beide „fließen“ eher.
Schließlich hat jedes Beziehungsende „Verflossene“ ... aber da muss ich dann nachher noch mal durch, wenn das Verb verzeihen Hoffnung weckt ... und der nächste Satz auf Gegenseitigkeit anspielt
Du verwundest michKomma aber du verwundest auch dich.

AllesKomma nur nicht Liebe.
Ein Gedankenstrich wirkt wahrscheinlich mehr als das alltägliche Satzzeichen ...

Ein m. E. gelungener Text – wie ich nach dem ersten Lesen finde und ich schau noch mal vorbei - was keine Drohung sein soll,

bis dahin

tschüss,

Friedel

Friedel

 

Lieber Raindog, lieber Friedel,
vielen Dank für eure Kommentare und ich freue mich, dass euch die Geschichte gefallen hat. Ich muss zugeben, mir war schon klar, dass da noch eine Überarbeitung fällig ist und habe gehofft, mich mit Kritik damit leichter zu tun. Und so ist es auch. Ich werde mir eure Überlegungen durch den Kopf gehen lassen. Vor allem den Perspektivwechsel im letzten Absatz, der anscheinend störend wirkt und ja auch nicht wirklich nötig ist. Der ganze letzte Absatz hängt noch etwas. Den hab ich x-Mal umgeschrieben und bin immer noch nicht zufrieden.
Aber schön, dass die Geschichte grundsätzlich für euch funktioniert.
Ich muss da auf jeden Fall nochmal ran!

Liebe Maria, das ist ja mit Abstand die konstruktivste Kritik, die ich zu einem meiner Texte jemals von dir gelesen habe. :-)
Dafür erst mal allerherzlichsten Dank!
Mir geht es mit deinen Anmerkungen wie dir mit meinem Text. Manches kommt gut an, schon beim ersten Lesen bedenkenswert, anderes verraucht, wenn ich spüre, dass du meine Schreibe einfach nicht magst.
Ich mag die Kürze, ich mag das offen lassen, Wortwiederholungen sind beabsichtigt und nicht meiner Schludrigkeit geschuldet. Ich mag das Stichwortartige und darum setze ich es ein.
Ein Mehr würde ich als redundant empfunden und mir selbst Streichungen anraten. So schreibe ich nun mal gern.
Du stellst m.E. die falschen Fragen. Woher hat die Frau die Kraft? Das weiß ich doch nicht, Maria. Sie hat sie halt und wenn sie sie nicht hätte, wäre es eine ganz andere Geschichte. Die kannst du ja schreiben! ;-)
Ich schaffe ein paar Blicke in die ganze Geschichte. Erst tot, dann beim Ersaufen, dann schwimmend, dann ein Blick aufs Schiff und dann die Vorgeschichte. Mehr nicht. Den Rest habe ich nicht beschrieben, weil ich ihn nicht beschreiben wollte. Für manche funktioniert das so, für andere halt nicht.
Das Heck, der Bug, das Heck...Da willst du Verben haben? Ok. Erst schwamm er um den Bug, dann schwamm er um das Heck, dann schwamm er wieder um den Bug...Besser. Achso, die Wiederholungen....Erst kraulte er um den Bug, dann brustete er ums Heck und dann delphinte er wieder um den Bug. Nein Maria, ich mag meine Lösung lieber. Da krieg ich mit ein paar Worten all das erzählt, was ich an dieser Stelle erzählen will.
Aber nun zum für mich Bedenkenswerten. Wie schon zu Raindog und Friedel gesagt: Der Perspektivwechsel. Das dumme "Du". Und dann der Facebookeintrag des pubertierenden Teenagers. Das sitzt, Maria. :-) Und Recht hast du.
Ich mach mich nochmal ans Bläh, aber ich werde weiter minimieren und dir nicht böse sein, wenn du lustige Hundevideos vorziehst.
Zuletzt noch zu deinem "lieblos runtergeleiert": Nein, liebe Maria. Nicht lieblos runtergeleiert, sondern in deinen (und zum Teil auch meinen) Augen nicht gelungen. Merkst du den Unterschied? Aber ich kann dich schon so nehmen, wie du bist. :-)
Und jetzt sag nochmal, du bist mir keine Antwort wert! ;-)

 

@wander
vielen Dank für die spannende Geschichte.
Du hast das Experiment in Stichworten zu schreiben und trotzdem Tiefe zu erzeugen wunderbar hinbekommen. Es las sich weder "lieblos runtergeschrieben" noch plump.
Es war genau die Sprache die der Situation (Panik, Todeskampf etc.) angemssen war.
Auch der Perspektivwechsel hat nicht meinen Lesefluss gestört, sondern mich dann näher ans geschehen und die Vorgeschichte herangetragen.

Ich kann nichts kritiseren. Alles richtig gemacht. Außer ihn sterben zu lassen :-)

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke, @JoanaMaria Maria. Ein paar Stellen sind schon noch zu verbessern, aber ich bin auch nicht sicher, dass der Perspektivwechsel raus muss. Er ist ja auch nicht versehentlich hineingeraten. Werd nochmal darüber nachdenken.
Und du willst den Kerl wirklich lebend??? ;-)

 

Hallo @wander

also ... ich fand das ziemlich stark! :)
Das Spiel mit "davor" finde ich super, Hut ab, ich finde nämlich auch, das es gut klappt. Und das (oder gerade weil) man den Ausgang ja kennt. Aber es ist wirklich interessant rückwirkend zu erfahren, was passiert ist. Da man am Anfang nicht weiß, was geschehen ist, wirkt auch der Mittelteil schön gruselig und merkwürdig. Welche Frau? Warum will sie nicht ihr Gesicht zeigen? Wen will er anflehen und wieso? Das klappt alles echt gut, finde ich.

Die Sonne steht hoch und versengt meine aufgeweichte Haut. Totenbrand.

Ich finde gut, wie gleich klar wird, das er tot ist, obwohl zu es nicht direkt aussprichst.

Davor
habe ich erfahren, wie es sich anfühlt, das Meer zu atmen.

Der BESTE Satz! So gut! Mehr muss man dazu nicht sagen. ;)

War das teuer?

Hier hing ich beim Lesen, vielleicht verstehe ich's auch nur nicht. Was meint er? Die kostbaren Minuten Lebenszeit? Oder das Boot?

Danach im Liegestuhl. Ihre Blutergüsse am Hals, am Körper.

Top, auch wird gleich klar, was Sache ist.

Sie wusste, wo ich war, sah in meine Augen, entriegelte die Leiter und zog sie an Bord.
Ich verstand.

Das ist so kurz wie traurig. In dieser Art Pragmatismus liegt mehr Emotion als in jedem hysterischen Geschrei. Sowas mag ich.

Ich möchte noch einmal wissen, wie du schmeckst. Will deine Säfte. Egal welche!

Das fand ich auch gut, Blut, Speichel, egal, hauptsache eine Reaktion, ein Gefühl.

Eine wunderschöne Idee, Schatz.
Ich bin so dankbar, dass du mir verziehen hast.

Ich überlege noch, ob die Geschichte stärker wäre, wenn man die letzten beiden Sätze löschen würde. Denn dann würde die Story enden mit:

Ein neuer Anfang.

... was ich noch viel härter fände, in Anbetracht dessen, was man als Leser ja schon weiß. ;)

Alles in allem finde ich die Story stark und durchdacht, hat mir gut gefallen. :) Eine textliche Idee, wie dieses "davor" kann superschnell nerven, aber ich finde, du hast es gut hingekriegt, vor allem, weil es nicht überdosiert wurde.

Viele liebe Grüße, PP

 

Hi @wander,

ich komm hier auch mal schnell vorbei auf halbes Glas sozusagen und einen unvollständigen Eindruck.

Dieses Schema: "Davor", "davor", usw., das ist mir anfangs vage affektiert vorgekommen (Wiederholungen als bedeutungsschwangerer Wellenmacher), aber dann ist es erstaunlich gut aufgegangen, finde ich.

Im ersten Absatz finde ich Einzelheiten verwirrend: Warum ein Zeilenumbruch zwischen "Horizont?" und "Was ist das"? Sollen das nicht die antizipierten Gedanken des Pärchens sein? Der Zeilenumbruch spricht dagegen. Auch "sie" spricht dagegen. Aber wer ist dann "sie"? Doch nicht die - äh - Partnerin? Die wird ihn ja nicht finden. Und am wenigsten von allen kreischen.

-- "Ich rief, obwohl mir klar war, dass sie mich hörte."
- Ich verstehe zwar die absichtliche Paradoxie, aber so ganz gelungen finde ich sie nicht. Unterm Strich setzt sich der Gedanke durch: Ist doch klar, wenn sie ihn hören kann, ruft er. Er will ja, dass sie ihn hört.

Das:
-- "Was für ein bescheuerter Gedanke mir da in die Angst kroch!"
- erscheint mir überflüssig. Der Gedanke, der in die Angst kriecht, klingt zwar nett. Aber wirkt es nicht stärker, wenn man selbst merkt, dass der Gedanke für die Situation befremdlich harmlos ist?


Die Ortsangabe, das Ufer sei:
-- "Einen ganzen Tag mit geblähten Segeln entfernt."
- lässt mich Rätseln, wo herum wohl die Ecke sei, um die herum der Türke sein Buffet bereit hält.


Es hat offenbar Methode, dass du den Mensch unaufgeregt von seinen Anstrengungen berichten lässt, und das wirkt auch gut, finde ich. Nicht ganz glaubwürdig finde ich aber den Inhalt der Reflexionen. Zum Beispiel:
-- "Ich würde nur ankommen, wenn mich eine freundliche Strömung bis dorthin spülte. Als Leichnam. Aber es wäre immerhin ein Bewahren vor dem totalen Vergessen, vor dem völligen Verschwinden."
- Da passt aus meiner Sicht etwas nicht. Entweder schreit er, bricht sich die Fingernägel ab und versucht alles. Oder er überlässt sich dem Schicksal. Wenn er aber alles versucht, dann wird er doch ernsthaft den Gedanken nicht abweisen können, dass er das Land vielleicht rechtzeitig erreichen kann. Stichwort "freundliche Strömung." Die Chancen stehen schlecht, sicher. Aber wenn sie null wären, würd ich doch lieber beim Boot bleiben und auf einen Stimmungsumschwung hoffen. kein Fischfutter zu werden ist, finde ich, in dem Zusammenhang eine zu banale Aussicht.

Und - ich erlaub's mr nochmal zu sticheln:
-- "Weitab jeder Schiffsroute"
- hat der Türke um die Ecke sein Lokal?

Das hier:
-- "Ich will dich besänftigen und erzürne dich."
- ist mir einen Tick zu lakonisch. Das nehme ich ihmnoch nicht ab, dass er sie zu besänftigen versucht.

Und auch die Wendung, die vorgespiegelte Versöhnung, nehme ich der Frau nicht ganz ab, muss ich sagen. Dass die von dem Streit und der Wut so schnell auf kühl und planend umschaltet. Ich will nicht sagen, dass es ummöglich ist. Aber das ist trotzdem, finde ich, eine Schwachstelle, eine Sollbruchstelle im Text sozusagen: Da muss der Kitt halten, sonst trägt das Ganze nicht richtig.
Sie hat es da ja wirklich nicht leicht, glaubwürdig zu erscheinen. Erst will sie ihn verlassen, dann wird sie wüst geschlagen, und dann sagt sie: Huch, jetzt merke ich, dass ich dich doch nicht verlassen will. Zugegeben fällt es mir nicht ganz leicht, mich in die Situation hineinzuversetzen. Aber soweit es mir womöglich gelingt, erschient mir das einfach zu glatt.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @wander
ziemlich anstrengend, Dein Experiment des nächtens zu konsumieren. Aber auch interessant, wie die Struktur meine Lesegewohnheit durchbricht und Herausforderungen mag ich.
Das ist Dir eigentlich auch ganz gut gelungen. Die große inhaltliche Überraschung bleibt aus - in herkömmlicher Weise geschrieben, hätte mich der Plot wohl gelangweilt.
Na jut, is halt wie es is.
Zum Stil möchte ich anmerken, dass ich das Gefühl habe, dass Du zu viel auf einmal dekonstruierst und mir dadurch mehr Anstrengung, als Lustgewinn beim Lesen verschaffst.
1. Temporale Umkehr
2. reduzierter Satzbau
3. Verzicht auf gekennzeichnete wörtliche Rede
4. Änderung meiner Leserperspektive, durch den Du-Modus
Ich finde, das ist zuviel in einem Text. Mindestens den Perspektivwechsel würde ich verwerfen. Das Reduzierte ist eine gute Idee, die Du aber nicht konsequent durchziehst.
Ein Beispiel, um deutlich zu machen, was ich meine:
"der Schiffsrumpf. Hart, glatt. Ich schwamm, rief nach ihr. Ich rief, obwohl mir klar war, dass sie mich hörte.
Ich schwamm um das Boot. Hörte auf, zu schreien. Es kostete nur Energie, Restwärme, Kraft. Jeder sinnlose Schrei eine Minute Leben. War das teuer? Viele Male, das Heck, der Bug, das Heck. Der weiße Bootslack war rissig. Der Rumpf bräuchte einen neuen Anstrich. "

Du reduzierst die Satzstruktur und schaffst es trotzdem, unnötig herum zu sabbeln.

Mein Fazit: Mutiger Versuch, eingetretene Pfade zu verlassen, in Teilen verbesserungswürdig. Inhaltlich etwas mau.

Schönen Gruß
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @wander,

erfrischend anders dein Story, Benjamin Button like. Starker erster Satz, bin sofort im Setting.

Hand in Hand, die Füße in der Gischt
Das finde ich ein wenig unpräzise, denn du meinst eher auslaufende Wellen, oder Wellenschaum. Gischt ist ein Gemisch aus Luft und Wasser, das z.B. entsteht, wenn Wasser auf Felsen prallt, an einer Steilküste oder unter einem Wasserfall.

Ich rief, obwohl mir klar war, dass sie mich hörte.
Der Satz ist widersprüchlich. Müsste er nicht andersrum lauten: Ich rief, weil mir klar war, dass sie mich hörte.? Oder noch anders: Ich rief, obwohl ich wusste, sie würde es ignorieren.

Viele Male, das Heck, der Bug, das Heck.
Kannst du komplett ixsen, ohne dass der Text verliert.

Was für ein bescheuerter Gedanke mir da in die Angst kroch
Würde ich nicht machen, musst du wissen.

Meine dummen Beine stießen sich im Wasser ab
Können Beine denken? Vielleicht taube Beine?

Sie wollte, dass es so endete, wie es zu enden begonnen hatte.
Vllt: Sie wollte, dass es endete, wie sie es eingefädelt hatte?

Die einzige Richtung, die keine Rettung, aber ein Ziel hatte.
mögliches Ziel? Genau kann er das nicht wissen.

Hinter Davor schreibst du manchmal groß, manchmal klein. Ich würde das vereinheitlichen.

Den nächtlichen Kampf inkl. Würge- und Prügelszene finde ich zu schwurbelig. Süße oder bittere Säfte? Brennender oder dumpfer Schmerz?

Magst du es auch fester?
Magst du es, wenn ich ihn (den Hals) packe?
Nee du, den offensichtlichen Sadismus finde ich persönlich abstoßend. Ich verstehe, dass du ein glaubhaftes Motiv brauchst für den Mord, denn nichts anderes ist es. Doch die Misshandlung ist mir persönlich zu naheliegend, zu wenig überraschend.
Wander, deine Story beginnt stark, saugt mich in die Handlung, weil ich unbedingt wissen will, wie es dazu kam. Das ist richtig gut gemacht und bis auf den letzten Absatz hab ich nix zu meckern. Doch die Auflösung, der Ursprung des Ganzen, der Konflikt, den du allem zugrunde legst, ist mir zu schlapp und zudem unterlegt mit einem fiesen Dauerton. Da würde ich an deiner Stelle nochmal ran, vielleicht mit einer frischen Idee.

Peace, linktofink

 

Danke Erdbeerschorsch, danke Kellerkind, danke linktofink,
ich glaube, mittlerweile weiß ich, woran die Geschichte wirklich krankt. Der Perspektivwechsel im letzten Absatz ist es nicht.
Jeder Geschichte arbeitet auf einen Höhepunkt zu. Wenn der Leser diese Steigerung der Intensität nicht spürt, fehlt etwas. Er verliert die Lust und wird irgendwie enttäuscht. Ich habe mit einem Höhepunkt begonnen. Wie soll ich eine Steigerung hinbekommen, wenn ich mich auf einen eher läppischen Anfang zuarbeite? Da muss etwas geschehen sein, das so fürchterlich ist, dass es diesen grausamen Racheplan erklärt. Eine Prügelszene reicht da nicht. In einer früheren Version habe ich mich an einer harten Vergewaltigungsszene versucht und dann die Courage verlorenen. Vielleicht wäre das besser gewesen. Viellleicht fällt mir auch noch etws anderes ein. Mal sehen.
Ich werde darüber meditieren und entweder eine Idee haben, die mich befriedigt oder das Ganze als Experiment abhaken.
Danke euch allen.....
wander

 
Zuletzt bearbeitet:

„...
Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well auf Well sich ohn Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.
...“ aus Friedrich Schiller: „Der Taucher“​

Nun, ganz so dramatisch muss es dann doch nicht mit der „Gischt“ sein,

liebe wander,

wenn Du dich gerade fragen solltest, warum der jetzt dieses Getöse anstimmt. Der gepflegte Pilstrinker erwartet, dass ihm eine angemessene „(Pils-)Krone“ gezapft werde und es ist ein/e Gischt, Schaum, wenn Wasser sich mit Luft vermengt, was auch an den flachen Nordseestränden nix ungewöhnliches ist. Also von seiner kleinsten bis zur größten Erscheinung (die dann oft mit der „Brandung“ daherkommt), schlicht Schaum aus verbrauchter Luft und Wasser.

Nur ganz kurz, tanz ja seit heut morgen auf einer eher darstellenden Bühne mit und gerade eben ein längeres Telefonat usw., da ist es gut, dass schon alles, pardon, fast alles gesagt ist, und darum zuerst mal zu kleineren Problemen der Vorredner, wie der Gischt und nun bzgl. der Konjunktion

Ich rief, obwohl mir klar war, dass sie mich hörte.
leitet i. d. R. „obwohl“ einen konzessiven Nebensatz ein als ein verkürztes „ungeachtet der Tatsache, dass ...“ und wird in der Umgangssprache oft zu einem Widerruf/einer einschränkenden Bemerkung (vgl. Duden.de), muss also keineswegs ersetzt werden.

Und, wie ich drei Dinge gelungen finde nach der zwoten Lesung

a) den Geschlechtertausch, sich in einen Kerl gut hineinzuversetzen (mag es noch so sehr erscheinen, jammernd sind wir alle gleich, auch hartgekochte Eier waren mal sehr weich und können auf frühere Phasen zurückfallen, was bei einem steinharten narürlich grausamer ist als beim Weichei),

b) der rückwärtsgewandte, zurückweisende Aufbau der Geschichte, deren Ende eigentlich den Anfang vom Ende darstelltund somit den Kreis(lauf) schließt und

c) geradezu klassisch, wenn ich es mal so formulieren darf,

„verzeihen können“ als klassischer Säule der Zweierbeziehung, auf die sich dieses seltsame Ding, das wir „Liebe“ nennen, von dem keiner so recht weiß, was das sei und mancher sie aufs animalische Erbe der feuchten Hose und im Sinne des abwertenden „Fickens“ (schon die Wortherkunft* ist so was von absurd, dass das Wort eigentlich auf die Kalauerbühne gehört) reduziert.

Wat wollt ich denn ei'ntlich sagen?

Achja, grandios, Verzeihen als troianisches Pferd einzusetzen. Eine andere Art von Odyssee erzeugen - denn wie viele Mann-schaft kehret außer dem Chef heim nach, sieben Jahren Calypso (und nicht nur getanzt und kommt das eigentliche verflixte siebente Jahr von den Altvorderen - Erfahrungswerte?), zu Schweinen verwandelt und durch Skylla und Charybdis verführt ...

Und was schon geradezu naturalistisch wirkt, ist der im Grunde genommen auf Lebensverlängerung zielende vorletzte Gedanke, könnt‘ ich noch dieses und jenes tun. Es wäre so wichtig … oder?

Möge niemand sonst ein solcher Pferdekuss einfallen ...

Gern gelesen vom

Friedel

* ha, jetzt hätt ich fast zu "ficken" vergessen, dass im Niederrheinischen, also Niederdeutschen aufkam für die Bewegung, mit der man Fingernägel feilt, eben hin und her und her und hin ...

 

zu a,
lieber Friedel. Ich bin ein Kerl! :-)))))
Und zur Geschichte...Ich geh nicht in Sack und Asche, aber eine Prise drauf beim endenden Anfang täte ihr gut.
Danke für dein Wohlwollen!

 

Wie soll ich eine Steigerung hinbekommen, wenn ich mich auf einen eher läppischen Anfang zuarbeite? Da muss etwas geschehen sein, das so fürchterlich ist, dass es diesen grausamen Racheplan erklärt.
Hallo @wander
Jo, das klingt logisch. Könnte wirklich ein Problem sein. Übrigens, müsste es nicht eine Ultra-Brutale Ausflösung sein, alternativ wäre auch etwas Unerwartetes als Höhepunkt möglich. Egal, wie weit Du die Splatter-Schraube drehst: Als Leser weiß ich (oder glaube ich zu wissen ;-) sowieso, dass er irgendwas Mieses gemacht haben muss, um von Bord geschubst zu werden.
Ich erinnere mich dunkel an den Film "Memento". Allerdings hatte der Autor noch den Vorteil, dass der Protagonist sein Kurzzeitgedächtnis verlor und in der rückwärts laufenden Geschichte eine Überraschung nach der anderen eingebaut werden konnte.
Vielleicht haste ja einen kreativen Anfall und findest etwas.
Viel Glück!
Kellerkind

 

lieber Friedel. Ich bin ein Kerl! :-)))))

Stimmt - scheiß Ruhrlatein, ich hör immer "wanda" ... und les es doch nicht. Da muss man sich entscheiden. Aber trägstu
:-)))))
Bart?

Wie dem auch sei, eines von den 60 Geschlechtern wird man tragen.

Bis bald, das altersgebeugte

Dante Friedchen

 

Hallo @wander,

super, dass du wieder da bist! Ich finde deinen Text sehr gelungen, diese Form funktioniert erstaunlich gut. Es geht alles sehr schnell, so tauchte ich nicht so stark in die Personen ein, sondern genoß den Schauder und das Raffinierte an dem umgedrehten Plot.

Davor
habe ich erfahren, wie es sich anfühlt, das Meer zu atmen. Ich habe die Luft angehalten bis mir die Lunge zerplatzen wollte. Überall war Wasser. Um mich, in mir. Kalt. Meine Arme steif und kraftlos. Sie ruderten nicht mehr. Meine Beine leblos, der Kopf so bleiern, dass der Nacken ihn nicht mehr oben hielt. Ich musste die Luft entweichen lassen, schnappte nach neuer, aber da war keine. Husten, Würgen, Schaum aus verbrauchter Luft und Wasser. Dann das Schütteln, mein ganzer Körper, die Krämpfe, irgendwann dunkel.
Das finde ich eine ganz starke Stelle, sprachlich dicht.


Aber es wäre immerhin ein Bewahren vor dem totalen Vergessen, vor dem völligen Verschwinden. Wenigstens kein Fischfutter.
Es gibt mehrere Stellen, wo ich ihn nicht so stark reflektieren lassen würde. Hier würde ich, wenn überhaupt, eine vage Hoffnung es doch noch zu schaffen gelten lassen. Oder einfach panisches Losschwimmen. Oder das Boot entfernt sich von ihm. Seinen Beweggrund finde ich nicht so nachvollziehbar.

Und wünschst dir dennoch, dass ich dich erkenne. Du fliehst meine Nähe und wünschst sie dir. Du weist sie zurück und hasst mich dafür, dass ich sie dir nicht geben kann.
Ich glaube eigentlich nicht, dass du die Szene, die der Auslöser ist, viel schlimmer machen mußt. Sie kommt mir nur etwas verwickelt vor, sehr verkopft zum Teil. Hier zum Beispiel, das ist so abstrakt. Dass sie ihn verlassen will, weil sie eigentlich mehr Nähe von ihm will. Okay, es ist seine Interpretation. Aber immerhin läßt du sie sagen, dass sie sich nicht gesehen fühlt. Hm. Das finde ich auch sehr abstrakt, dafür, dass es dann so handfest wird.

Ich sehe dich nicht, sage ich, weil du dich nicht zeigst. Und wünschst dir dennoch, dass ich dich erkenne. Du fliehst meine Nähe und wünschst sie dir. Du weist sie zurück und hasst mich dafür, dass ich sie dir nicht geben kann.

Unsinn, sagst du. Du kannst keine Nähe geben. Niemandem.

Hier ist ein Absatz zuviel, oder?

Eine gute Wahl! Wenn es das ist, musst du nicht gehen. Ich gebe ihn dir.
Das finde ich merkwürdig, kompliziert. Er würde doch in dem Moment nicht ernsthaft denken: "Eine gute Wahl."

Ich lecke es von deiner Wange. Süß.
Direkt nachdem er sie geschlagen hat? Buah, so "Hannibal Lecter"- mäßig? Also, das ist echt psycho. Könnte auch ein Grund sein, dafür dass sie ihn umbringen muss. Dass er so irre ist, dass sie mit üblem Stalken rechnet, wenn sie einfach nur geht.

Wo willst du hin? Es gibt kein Versteck. Auch das Nebenzimmer gehört uns beiden. Und das Schlafzimmer. Und die Diele. Du weißt alles.
Gute Stelle um zu zeigen, wie ausgeliefert sie ihm in dem Moment ist und dass er hier ganz übel auf seine Übermacht pocht.

Die hättest du haben können. Ich habe sie dir ins Herz pflanzen wollen, vor deine Füße legen, in deinen Mund küssen.
Gute Stelle. Gruselig. Vermeintliche Liebe, die eher wie eine feindliche Übernahme klingt. Er ist schwer gekränkt. Könnte auch noch mehr an den Anfang um seinen Gewaltausbruch zu motivieren, denn die folgende Stelle wirkt wie ein nochmal Aufflackern der Gewalt, nach so vielen Gedanken, die wäre am ehesten entbehrlich für mich. Ich würde bei der Kürze des Textes, diese Szene ziemlich knackig halten, nicht viel Gedanken, mehr Handlung.

Was machen wir mit der Nacht? Was macht sie mit uns?
Du hast einen wunderschönen Hals, weißt du das?
Lang und schlank. Du mochtest mal meine Lippen dort.
Liebtest es, wenn ich ganz zart an ihm leckte.
Magst du es auch fester?
Magst du es, wenn ich ihn packe?
Wie fest kann ich ihn packen, bis du Angst bekommst?
So fest?
Noch fester?
Das passt für mich nicht, weil es langsam, geplant, sadistisch wirkt und nicht so, als würde er im Affekt auf sie einschlagen. Wäre natürlich noch ein Argument mehr ihn umzubringen, aber es passt nicht so zu dem anderen. Passender wäre eher, dass es nicht das erste Mal ist, dass er gewalttätig wird.


Meine Hand ergreift, hält fest, schlägt. Du wehrst dich nicht. Nicht mehr.
Du bist so still. Ganz klein bist du jetzt. Ganz schwach. Oder bist du gleichgültig?
Ich weiß nicht mehr, was uns geschieht. Was uns geschehen ist. Nur dass du blutest.
Aber die Nacht war lang und du hast mir vergeben. In der gleichen Nacht noch, unter dem gleichen Mond hast du mir bei einer Zigarette auf dem Balkon verziehen. Es war nur die Hilflosigkeit. Nie mehr wird so etwas geschehen. Wir vergessen es.
Das finde ich gut, das hat Zug.

Ich bin so dankbar, dass du mir verziehen hast.
Absolut großartig. Damit hast du die Möglichkeiten dieses Plots perfekt ausgeschöpft.

Das wollte ich dir doch noch dalassen, obwohl du ja eigentlich schon weitergezogen bist zur nächsten Geschichte.

Liebe Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielen Dank, liebe @Chutney. Da sind viele gute Anregungen drin. Vor allem, was den letzten Absatz betrifft. Ich schwimme da zu sehr hin und her zwischen Berechnung, Bosheit, Sadismus, Affekt, Überlegung, Frustration. Ich wollte das schon so. Wollte in dem inneren Gespräch, das er mit ihr führt, seine Unberechenbarkeit zeigen. Aber das wird ein Durcheinander. Ich muss da noch mal drüber. Manchmal ist wohl einfacher besser , wenn die Geschichte ihren Zug nicht verlieren soll.
Ich freu mich, dass das "Ertrinken" gefällt. Da hab ich wirklich recherchiert, was da im Körper passiert und wie ein Ertrinkender das erlebt.
Danke für dein "Welcome back". :-)

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich noch mal,

wander,

jeder Änderung birgt Gefahren wie hier ein paar Flusen (nicht nur Flüchtigkeit)

„Ich werde dir nicht fehlen.“, sagt sie.
Punkt weg!

Hier eigentlich schon die schwirtigste Sachlage

Dieses Lachen kenne ich nicht. Ich beginne, daran zu glauben, dass sie es ernst meint.
Das erste Komma muss m. E. weg, da es ansonsten das zusammengesetzte, also komplexe Prädikat „zu glauben beginnen“ zerschlägt.

„Schmerz?“, fragt sie. „Ich fühle keinen.
Gänsefüßchen!

Hier ist was zu viel oder zu wenig

Es rinnt von der Braue, die sich geöffnet hat. Ich
und schau nur, dahin hat es sich verlaufen
Ich habe sie schon verloren.“

Ich schlage zuKOMMA aber ich verstehe nichts mehr.
„Wir fahren morgen mit dem Boot raus.“, schlägt sie vor. „Nur wir zwei.“
Punkt weg!

++++

Aber zurück, sozusagen danach

Ich liege seit Stunden am Strand zwischen angeschwemmten Ästen, vertrockneten Quallen und Plastikmüll. Die Sonne steht hoch und versengt meine aufgeweichte Haut. Totenbrand.
Wie lange werde ich hier liegen, bis mich jemand findet? Und wer wird es sein? Ein Fischer? Vielleicht ein Pärchen, das am Strand entlang wandert, Hand in Hand, die Füße in der Gischt, die Augen am Horizont?
Was ist das, das große Ding dort in dem angespülten Haufen? Wird es hysterisches Gekreische geben, wenn sie bemerken, dass ich kein Sack bin?

Ich theoretisier mal‘n bisschen zu diesem inneren Monolog / Gedankenstrom eines Ertrinkenden oder eher doch schon Ertrunkenen.

Gut, sein Ego wird im Vordergrund stehen, aber muss einer, der gerade allein an sein Überleben/nicht-überlebt-haben denkt, dem SPO-Schema gewissenhaft folgen? Seinen Namen wird er so wenig nutzen wie das stellvertretende Personalpronomen – was er ja in den Passagen „davor“ beginnt, elliptisch zu denken.
Er kennt beide, seinen Namen wie dessen Stellvertreter.
Oder wird er da schon wieder gefasster sein, dass er das elliptische Ende des Absatzes „davor“ überwunden oder resigniert hat?
Kann man sich mit dem eigenen Tod abfinden?
Selbst der Gekreuzigte soll noch nach seinem Vater gerufen haben – und „hastu mich verlassen“! klingt ein wenig vorwurfsvoll und zweifelnd (an der eigenen Mission).

Ein Krebskranker wird froh sein, wenn nach Therapien ohne Ende endlich Schluss ist. Aber ein körperlich Gesunder?

Aber dann kommt ein anderer Gedanke:
Sollte es die Seele oder was auch immer des Prot sein, die ja weiß, dass dort kein Sack liegt. Wobei der Leichnam eine interessante Verbindung herstellt, setzt das Wort sich doch zusammen aus lîc, ahd. lîh, nhd. Leib und hamo Kleid, Hemd, fasst den Körper „als eine leibliche Hütte“ (so die Bos. Grimm) „im Gegensatz zu der darin weilenden Seele aus“.
Manches Nachthemd wie auch letzte Hemd lässt schon an einen offenen Sack erinnern ...

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht!

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom