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Deirdre
Langsam brach die Dunkelheit der Nacht über das kleine Dorf herein, das sich am Rande des Barren befand. Im Schutze der umgebenden Hügel verdienten seine Bewohner ihr Leben mit Viehzucht, Fischen und damit, dem kargen Boden eine geringe Ernte abzutrotzen.
Es war ein düsterer, regennasser Tag gewesen und auch jetzt blies der Wind die Schauer beinahe waagrecht von der Küste in Richtung Land.
Ein Abend an dem man sich in seinem Häuschen verkroch, selbst wenn es ein anderer Tag gewesen wäre.
Doch heute war All Hallows Eve. Der Abend vor Allerheiligen, an dem die Geister der Toten auf der Erde wandelten und kein Ire, der etwas auf sich hielt, würde heute noch vor die Tür gehen.
Ruhe war eingekehrt und ein Licht nach dem anderen verlosch. Ganz am Ende des Dorfes lag ein kleines Haus, eigentlich nur eine bessere Hütte. Eng daran schmiegte sich ein Stall für die wenigen Tiere, die die Bewohner besaßen. Doch selbst die Tiere waren verstummt vor den Schrecken der Nacht und dem Wüten des Wetters.
Nur aus diesem Haus flackerte unverdrossen das Licht nach draußen und wenn man näher kam, hörte man Schmerzensschreie nach draußen dringen.
Genau diesem Licht näherte sich ein Mann. Im Dunkel konnte man nicht erkennen wer er war, doch verirrte sich nur selten ein Fremder in diese abgelegene Gegend. Ein Fremder, der aus Richtung des Ufers ins Dorf gekommen war. Niemand der bei klarem Verstand war und sich mit den Tücken des Wetters auskannte, hätte sich in einer solchen Nacht am Strand aufgehalten.
Für wenige Sekunden nur ließ der schwache Schein der Lampe blondes Haar und wohlgeformte Gesichtszüge erkennen, bevor der Unbekannte mit der Dunkelheit verschmolz und so nahezu unsichtbar wurde.
Es war sein Glück – oder Berechnung? – dass sich niemand heute darum kümmern würde wer oder was auf den Straßen unterwegs war. Seit den Tagen des heiligen Patrick war Irland ein christliches Land. Doch die Wesen der anderen Welt waren deshalb noch lange nicht vergessen und dies war IHRE Nacht, in der sie wie in längst vergangen Zeiten über die Insel herrschten, ohne dass auch nur einer versucht hätte, Einspruch zu erheben.
Ein kurzer Blick durch das Fenster verriet ihm, dass er gerade noch im rechten Augenblick gekommen war.
Die Einrichtung der Behausung verriet auf Anhieb Armut, aber auch Sauberkeit und Fleiß. Jedes einzelne Stück schien selbst gefertigt und zeigte eine Liebe zum Detail, die den Bewohnern zu eigen war. Der beleuchtete Raum schien der wichtigste des ganzen Hauses zu sein, denn er enthielt sowohl den Herd mit Kochstelle als auch das Bett, das vermutlich aus Gründen der Beheizung genau hier aufgestellt war.
Direkt neben dem Bett befand sich eine Wiege, die ihrem Aussehen nach schon mehrere Generationen der gleichen Familie aufgenommen hatte und doch immer noch liebevoll gepflegt wurde, während die Decke für das Kind offensichtlich neueren Ursprungs und mit Geduld genäht war, warm genug um ein Neugeborenes auch in kalten Winternächten nicht erfrieren zu lassen.
Auf dem einfachen Bett lag eine Frau in den letzten Wehen, während ihr Mann alles in seiner Macht stehende tat um sie so gut wie möglich zu unterstützen. Offensichtlich war es keine leichte Geburt und blutbeschmutzte Tücher auf Bett und Boden verrieten, dass die Gebärende nicht mehr lange durchhalten würde.
Keine Hebamme, keine weise Frau hatte sich so schnell auftreiben lassen, selbst wenn sie eine hätten bezahlen können: für diese Nacht wäre kein Lohn hoch genug gewesen. Und so war es einzig und allein an dem werdenden Vater Hilfe zu leisten, die er oft genug schon für eines der Tiere in seinem Besitz hatte bringen müssen.
In einer Mischung aus Blut und anderen Flüssigkeiten kam unter letzten Anstrengungen der Frau ein kleines Menschenwesen auf die Welt. Das einzige, was man durch das Fenster erkennen konnte, waren feine dunkle Härchen auf dem Kopf und zusammengekniffene Augen, während es aus Protest darüber, so unsanft in diese Welt gestoßen zu werden, einen hellen Schrei von sich gab.
Die Mutter schaffte ein sanftes Lächeln, als ihr Mann ihr das Kind in den Arm zu legen versuchte und flüsterte kaum hörbar einen Namen. „Deirdre“
Danach schloss sie die Augen. Noch ging ihr Atem unregelmäßig und schwach, doch im Laufe der Nacht würde auch dieses letzte Zeichen des Lebens aus ihr verschwinden. Zu sehr hatte sie sich verausgabt, um dieses Kind auf die Welt zu bringen, als dass noch Energie für sie selbst übrig gewesen wäre. In diesem Leben würde sie ihre Augen nicht mehr öffnen, doch das sollte ihr Ehemann erst am nächsten Morgen bemerken.
Der geheimnisvolle Mann vor dem Fenster allerdings lächelte leicht, als er das Mädchen sah und selbst der Blick auf die Tote schockierte ihn nicht. Zu lange schon beobachtete er den Kreislauf aus Leben und Tod, den die Menschen durchmachten.
Offensichtlich der Meinung, ihren Unmut lange genug kund getan zu haben, schloss das kleine Mädchen, das von all dem noch nicht das Geringste wusste, die Augen, während ihr Vater sie vorsichtig abtrocknete und dann in eine schon vorbereitete Wiege legte.
Langsam kehrte Frieden in der Hütte ein und nun lag das ganze Dorf im Dunkeln, immer noch von schweren, peitschenden Regengüssen geplagt.
Das Gesicht des Fremden wurde von einem kurzen Lächeln überzogen, während er Worte in einer Sprache die längst vergessen war murmelte. Mehr ein Hauch im Wind, als tatsächlicher Klang schienen diese doch einen Zweck zu haben.
Für wenige Sekunden erglühte neben dem neuen Erdenbürger ein sanftes, stilles Licht, das gleich darauf wieder verlosch.
Erst danach drehte er sich um und verließ das Dorf auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen war: in Richtung Meer.
Als hätte er den Regen mitgenommen, flaute dieser kurz nach seinem Verschwinden ab. Die Wolken zogen sich langsam hinter den Horizont zurück und ein strahlender Herbstmorgen stand kurz bevor.
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