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Den Preis, den man zahlt

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28.12.2009
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Den Preis, den man zahlt

Der Zug hielt auf offener Strecke am Rande der Sierra Nevada. Keiner wusste, was passiert war. John fragte den Schaffner, der ein wenig Englisch verstand. Etwas sei mit den Oberleitungen. Wir warteten. Männer knöpften ihr Hemden auf. Frauen wedelten sich mit Fächern und Magazinen Luft zu, Schweißperlen auf ihren Oberlippen. Dann hieß es: Die Fahrgäste dürfen aussteigen. Neben den Gleisen flache, lange Felder, die Erde sandig und aufgeworfen. Am Horizont das Gebirge – dunkel, zerklüftet, mit einer strahlend weißen Schneedecke.

Wir setzten uns ins Gleisbett und rauchten Nobel. Wir rauchten langsam, bis zum Filter. Die Kippen schmissen wir ins Geröll. Eine Frau mit Hut legte sich zwischen die Sträucher in den Sand. Wir hörten sie leise schnarchen. John zeigte auf ein paar eng zusammenstehende Gebäude in der Ferne. Ich trank den letzten Schluck warm gewordenes Wasser aus einer Plastikflasche, die ich im Zug gekauft hatte. John suchte noch einmal den Schaffner auf. Es gab keine Neuigkeiten. Wir unterhielten uns eine Zeit lang mit einem Amerikaner, der seit zwei Jahren unterwegs war. Er kam aus Des Moines, Iowa. Er meinte, sie würden eine neue Zugmaschine benötigen. Er hätte eine ähnliche Situation bereits in Portugal erlebt. Warten. Wieder Warten. Überall Menschen, Menschen und Koffer. Nichts bewegte sich. Die Sonne fraß den letzten Schatten auf. Wir fragten den Amerikaner. Er wollte lieber bei den Anderen bleiben. Schließlich nahmen wir unsere Rucksäcke und gingen los.

Die Luft war stickig und voller Staub. Meine Kehle wurde immer trockener. Nach ein paar hundert Metern hörten wir Hunde. Sie bellten – leise, unterdrückt. Dann sahen wir sie. Sie standen auf einer Erhebung neben den Gleisen, warteten hinter dürren Sträuchern, ihr Fell löchrig und stumpf. Wir konnten ihre Rippen zählen.

Entlang der Schotterstraße einstöckige Häuser, die weißen Wände schmutzig, in den Gassen dazwischen halbnackte Kinder und alte Frauen mit zahnlosem Grinsen. Über allem der Gestank von Ammoniak und Pferdescheiße. An einem der hinteren Gebäude hing ein zerkratztes Blechschild, auf dem in ausgeblichenen Lettern Mahou stand. Wir hatten Bier dieser Marke in Madrid getrunken. Ich zog einen Schein aus der Hosentasche. John nickte.

Ein dürrer Mann mit offenem Hemd stand hinter dem Tresen. Eine Ausgabe der El Pais lag ausgebreitet vor ihm. Als wir uns auf die Hocker setzten, faltete er die Zeitung zusammen, zog eine Schachtel Ducados aus der Hemdtasche und bot uns welche an. Ich gab allen Feuer. Wir nahmen ein paar Züge, dann zapfte er zwei große Bier. Ich trank schnell, spürte das kalte Glas an meiner Hand, den Alkohol, Schweiß im Nacken. Draußen wieder die Hunde, sie schlichen um das Gebäude, ich hörte ihr Hecheln. Ein abgemagerter Straßenköter mit entzündeten Augen blieb in der Türschwelle stehen. John lockte ihn mit Zungenschnalzen. Der Hund senkte den Schädel, machte einen Schritt. Seine Nase glänzte feucht. Er legte sich vor John auf den Boden, rollte seine Pfoten ein, knurrte leise. John beugte sich vom Hocker und streichelte ihm über den Rücken, tätschelte die Schnauze.
Boss, sagte er. I would name him Boss.
I know you like Springsteen, but Boss? What kinda name is that, pal?
Er lachte. Boss, wiederholte er. Perfectly fine, I reckon. Der Hund hechelte, zeigte uns seine rosa-farbene Zunge. John klopfte auf den Tresen. Got some Agua, mate? Agua? For the dog?
Der Mann hinter dem Tresen schüttelte den Kopf und machte eine Geste mit seiner Hand, die wir beide verstanden. Wir tranken schweigend unser Bier.

I`ve really got to take a piss, sagte John nach einer Weile. Er trank das Glas leer und stand auf. Die Toiletten lagen weiter durch, am Ende eines langen, holzvertäfelten Gangs. Eine Tür war aus den Angeln gehoben worden und lehnte gegen die Wand. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie John das Bierglas am Waschbecken auffüllte. Der Mann beobachtete ihn über den Rand seiner Zeitung. Ich zog einen Geldschein aus meiner Hosentasche, legte ihn auf den Tresen, und für einen Moment wusste er nicht, was er als nächstes tun sollte. Er sah mich an, wischte sich mit den Fingern über den Mund und nahm den Schein.

Der Hund steckte seine Schnauze in das Glas, das John ihm hinhielt. Ich hörte, wie Wasser auf den Boden tropfte, das gierige Schlabbern.
Good boy, sagte John. Good boy.
Der Mann kam hinter dem Tresen hervor. Er zog ein Bein nach, musste sich immer wieder auf einem der Hocker abstützen. Er ging langsam, verschwand in dem Gang, der zu den Toiletten führte. Dahinter befand sich ein weiterer Raum, der mir bis dahin verborgen geblieben war. Er zog einen Vorhang aus Stoffperlen zur Seite, und ich vernahm leise Frauenstimmen und den abgestanden Geruch von Küchendunst. John legte mir eine Hand auf den Unterarm und nickte Richtung Straße. Die Fenster waren verschmiert, aber ich erkannte das Rudel, das vor der Türschwelle im Staub lag.
Everything that dies, some day comes back, sagte ich. At least, that’s what the Boss says. John legte den Kopf in den Nacken und lachte. The Boss`s always right anyways.

Das erste Mädchen, das ich jemals küsste, eine kleine, zierliche Griechin, küsste ich im Freibad, und währenddessen lief Tunnel of Love im Hintergrund. Ein paar der älteren Jungs lagen mit ihren Freundinnen gleich neben uns, sie lagen alle zusammen auf einer großen Decke, es waren bestimmt zehn, zwölf Personen, sie tranken Reißdorf aus Dosen und rauchten Luckies ohne Filter. Wir küssten uns verstohlen, sahen dabei immer wieder zu ihnen herüber, eingeschüchtert, aber auch ein wenig stolz.

Es waren drei oder vier Männer, ich weiß es nicht mehr genau. Sie sahen sich alle ähnlich, die gleichen spitzen, schmalen Gesichter, schwarze Haare, die Lippen dünn wie Striche. Sie traten aus dem Dunkel des Gangs und stellten sich schweigend hinter uns. John nahm mein leeres Bierglas vom Tresen. Er bewegte sich nicht, tat nichts, wirkte ruhig und entspannt, aber ich kannte ihn lange genug. Ich zog das restliche Geld aus der Hosentasche und hielt es ihnen hin. You want the money?
Money, no, sagte einer und zeigte auf den Hund, der immer noch zu Johns Füßen auf dem Boden lag.
John drehte sich langsam um. Er lächelte kalt. If you touch the dog, I smash your head in.
Ich steckte das Geld wieder weg, spürte mein Herz pumpen, das Adrenalin. Dann sah ich die Bewegung, ein kurzer, harter Tritt, genau in die Rippen. Der Hund jaulte laut und wurde durch die Wucht gegen den Tresen geschleudert. Ein Brett der Außenverkleidung löste sich und fiel über den schmächtigen Körper.

John schlug mit dem Glas zu, ein ansatzloser Schlag. Er erwischte den ersten an der Schläfe, das Glas zerbrach, die Scherben rissen eine Wunde quer über die Stirn. Blut lief dem Mann in die Augen, er taumelte rückwärts und stürzte über einen Hocker. Ich richtete mich auf. Ich wollte etwas schreien, irgendetwas, dass alle wieder zur Besinnung bringen würde. Mir griff jemand an den Hals und hob mich hoch, als sei ich so leicht wie Papier. Für einen kurzen Moment verlor ich den Überblick, alles drehte sich. Dann lag ich neben dem winselnden Hund im Dreck und schmeckte mein eigenes Blut.

Take the money, wiederholte ich, aber sie lachten nur. Die Decke war aus Lehm, Knäuel aus grauen Spinnenweben in den Ecken, überall tiefe Risse. Ich schloss die Augen, hörte erschöpftes Keuchen, dann den langsamen, schleppenden Gang. Als ich die Augen wieder öffnete, kniete der Mann, der hinter dem Tresen gestanden hatte, mit einem Hammer in der Hand vor mir.
Come on, sagte er. Come on.

Ich stand auf, wischte mir das Blut von der Nase. John lehnte an der Wand, unter seinem rechten Auge eine Schwellung. Einer der Männer drückte ihm ein Messer an den Kehlkopf. Die Klinge war schmal, mit gekrümmten, scharfen Zähnen. Ich nickte. Okay, okay.
Der Mann öffnete die Faust. Der Nagel in seiner Handfläche war so lang und dick wie ein Finger. Das Metall war geschmiedet, der breite, flache Kopf hatte Flugrost angesetzt.
You, sagte er und zeigte auf mich. You here. Er legte den Nagel auf den Tresen und umfasste den Stiel des Hammers. Ich spürte den Luftzug, als er ausholte. Es ging alles so schnell.

Der Hund lebte noch. Sein Schädel war hinter dem Schläfenbein eingeschlagen, dunkles Blut lief ihm aus den Ohren, färbte das Fell rot. Eine Pfote zuckte. Er hatte keinen Laut von sich gegeben.
You fuckin asshole, schrie John, aber er konnte nichts machen, da war die Klinge an seiner Kehle. Der Mann legte den Hammer auf den Tresen, Bahn und Finne waren blutverschmiert. Er griff nach den Ducados und steckte sich eine Zigarette in den Mund, ohne sie anzuzünden. Dann hob er den Nagel hoch und führte die Spitze an seine Stirn. Er lächelte. Er zeigte mit dem Nagel auf mich. You, sagte er. You.

Ich starrte auf die Bahnschwellen, die mit feinem, hellem Sand überdeckt waren. Ich zählte jede einzelne, vergaß die Anzahl, begann wieder von Neuem, bekam die Geräusche nicht aus dem Kopf, wie der Nagel den Schädelknochen durchbricht, das letzte Aufheulen, ein kurzes, ersticktes Fiepen. Nach ein paar Meilen blieb John stehen. Er fasste sich an den Hals, an die Wunde, ein dünner, blauroter Striemen. Die Gebäude waren immer noch zu erkennen, sie lagen unter einem Hitzeflimmern am Horizont. Not worth it, sagte ich.

John schwieg. Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Ich sehe noch heute den Hund vor mir, wie ein Zittern seinen Körper erfasst, jeden Muskel, die allerletzte Nervenaktivität. Danach wurde alles still, so still, dass es in den Ohren dröhnt. An einem alten Schlagbaum hielt ich an und erbrach mich. Der Bierschaum aus meinem Magen schwamm auf der ausgetrockneten, harten Erde davon. Ich atmete durch und spuckte noch einmal in den Staub.

Vierzig. Fünfzig. Sechzig. Ich zählte wieder die Schwellen. Bei Hundert drehte ich mich um. Nur noch der leere, wolkenlose Himmel. Ich ging schneller.

 

Wow, ich kann gerade nur vom handy aus schreiben, deswegen verzeih, wenn es ein bisschen fehlerhaft ist. Ich bin begeistert von deiner detailreichen, eindrücklichen Art zu Erzählen. Wie plastisch du beschreibst, wie die Hitze die Gesichter zum Schwitzen bringt, das Wasser zum Luxusgut macht und die Hirne deiner Figuren fiebrig. Ich merke, du verstehst es mit Wörtern und Bildern umzugehen.
Du lässt alles etwas offen, was deine Story für mich zu einer Metapher für die Unbedarftheit einiger Männer (in deiner Story handeln überwiegend Männer) in einer Männergesellschaft macht, dessen Regeln sie falsch einschätzen. Ich schreibe ab hier bei späterer Gelegenheit weiter ...

 

Echt coole Story, Jimmy, hammerhart quasi. Bin schwer beeindruckt. Leider komme ich momentan mit meiner Zeit hinten und vorne nicht zurecht, schon gar nicht langt's zum Kommentarschreiben bei den Wk.
Aber zumindest eins will ich dir schnell sagen: Das keilförmige Ende des Hammerkopfes heißt Finne, nicht Pinne.

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich war gespannt ob mir deine Geschichte gefällt, weil ich die erste ja so möchte ... und ich muss sagen, auch diesmal hast du mich gepackt und mitgenommen und bei der Stelle mit dem sterbendem Hund, war es wie bei deiner ersten Geschichte, ich war da, hab fast geheult und wollte irgendwas tun.
Und das obwohl mich das Thema an sich nicht interessiert, hat was von Western und sowas finde ich eigentlich stinklangweilig.
Deine Umgebungsbeschreibungen fand ich gezielt und treffend ohne das du dich dann darin verloren hättest.
Ein wenig habe ich aber dieses mal auch zu meckern ...;)

Verschiedene spezifische Begriffe, wie zum Beispiel die Zigarettenmarken stören mich nicht wirklich, finde sie aber überflüssig, denn ich kenne die nicht und kann mit manchem Begriff nichts anfangen, daher liest sich das an so einer Stelle kompliziert. Man kann ja auch einfach eine Zeitung vor sich ausgebreitet haben. Wahrscheinlich möchtest du damit die Atmosphäre noch besser rüber bringen, was aber ja nur funktionieren würde, wenn man vertraut mit der Materie ist.

Dann benutzt du andere Sprachen, hier habe ich kein Problem, da ich mehrere gut spreche, kann man auch machen, der Effekt zieht auch, nur sind die Dialoge für Leute ohne große Kenntnisse unter Umständen nicht ganz verständlich, denn du schreibst kein einfaches Englisch.
Ich mache sowas auch gern, achte aber immer darauf, dass es einzelne einfache Sätze sind, die aus der Handlunf klar erklärt werden.

So und das Dritte war die Stelle mit dem Schwimmbad.
Die Frauen im Hintergrund ...
Brauchst du das wirklich, ich meine die werden nie mehr erwähnt und zu den Schwimmbadküssen finde ich keinen Bezug zur restlichen Geschichte, daher weiß ich nicht was ich damit anfangen soll.

Ja, auf jeden Fall hast du mich als Fan ...

Liebe Grüße
Charly

 

Hi Jimmy,

ich finde, für eine Kürzestgeschichte ist es an einigen Stellen zu detailliert:

Das erste Mädchen, das ich jemals küsste,
Der Rückblick könnte m.E. ganz weg.

Wir unterhielten uns eine Zeit lang mit einem Amerikaner, der seit zwei Jahren unterwegs war. Er kam aus Des Moines, Iowa. Er meinte, sie würden eine neue Zugmaschine benötigen. Er hätte eine ähnliche Situation bereits in Portugal erlebt.
Wofür braucht`s den Ami? Dass eine neue Zugmaschine benötigt würde, könnte auch der Schaffner sagen. Zwei Jahre, Iowa und Portugal sind nicht wichtig.
Oder wäre es womöglich anders verlaufen, wenn der Amerikaner mit ihren mitgezogen wäre? Hinweise gibt es nicht. (Hätte ja sein können, dass der Ami ne Knarre bei hatte.)

Männer knöpften ihr Hemden auf
ihre Hemden

Mir ist es im Moment zu warm, um etwas Langes zu schreiben. Kurze Story - kurzer Kommentar ;)
Bis auf die o.g. Details (die nicht wieder aufgegriffen wurden) hat es mir sehr gut gefallen. Hat was Westernmäßiges.

Schönen Abend noch,
GoMusic

 

Meine Fresse! Zu der gehört ein Beipackzettel: Bitte nicht auf nüchternen Magen einnehmen - oder so. Kannste doch mit mir nicht machen, so am Morgen, vor dem Frühstück!

Hey jimmy,

Die ist wirklich nicht schön. Überhaupt gar nicht schön. Aber so intensiv, man möchte fast meinen, man hielte selbst diesen verdammten Hammer in der Hand. Und das wiedrum, ist groß. Ich habe selten was gelesen, was mir so an die Nerven ging. Jetzt bin ich natürlich auch ein ausgesprochenes Weichei bei diesem Thema, insofern braucht es da nur paar Reizworte.

Was die Schwimmbadszene betrifft, bin ich unentschlossen. Vielleicht braucht die Geschichte die, wegen dem Gegensatz. Den Leser erst noch paar schöne Gedanken in den Kopf zaubern, um dann auszuholen. Aber die Gewaltszenen stehen auch so für sich, vielleicht - ich weiß wirklich nicht. Käme auf den Versuch an. Oder Du wolltest noch schnell den Boss irgendwo verankern, oder was ganz anderes, was mir entgangen ist - mir entgeht neuerdings ziemlich viel.

Wir nahm ein paar Züge

Kann man machen, aber da Du es nicht konsequent tust, würde ich hier auch grammatisch korrekt bleiben.

Mehr kann ich gar nicht dazu sagen. Ich will das wieder aus meinem Kopf kriegen. Das ist ein verdammtes Kompliment für Dich, und fürchterlich für mich.

Beste Grüße, Fliege

 

@Carlo Zwei

Danke dir für deinen Kommentar. Hatte lange nichts mehr gepostet und fühle mich auch unendlich schuldig, da ich einige andere Kommentare von meiner älteren Geschichte noch nicht beantwortet habe, da ich diese Story gerade überarbeite. Diese hier musste aber irgendwie raus, manchmal hat man das ja. Und ja, ist eine Männerwelt, da sind sie nun einmal reingeraten, irgendwie muss man sich da rauswinden, und wenn man einem Hund den Schädel einschlagen muss.

@ernst offshore

Mann, habe mich sehr über deinen Komm gefreut, viel zu tun is ja immer besser als nix. Und klar, Asche auf mein Haupt, oder: Finne auf mein Haupt, habe ich geändert. Danke dir!

@Charly1406

Auch dir danke ich für deine Worte. Erstmal toll, wenn die Geschichte für dich funktioniert. Wenn du eine physische Reaktion hast, dann ist das immer ein Kompliment für den Autoren. Die besten Horrorfilme sind die, wo du kotzen musst.

Zu deiner Kritik, die ich verstehen kann. Man muss sich entscheiden: entweder gehe ich den harten Weg, bleibe bei den echten Begriffen, den Marken - weil es sich anders liest, wenn sie im Text stehen, sie verankern den Text, verorten ihn. Ähnlich wie mit der Sprache: Ich spreche fließend englisch, auch familiär bedingt, und ich denke, jeder versteht den Sinn dieser Worte, das ist ja jetzt kein Walt Whitman oder so. Ich verstehe aber, worauf du hinauswillst, sie soll lesbar sein, eine geringe Einstiegsschwelle bieten. Wenn ich Ducados oder Mahou benenne, dann tue ich das aus bestimmten Gründen, die eher etwas mit einer gewissen Oralität zu tun haben, also wie etwas erzählt wird, aus welcher Perspektive. Du musst als Leser nicht wissen, was Mahou ist oder es schon einmal getrunken haben, aber du bekommst durch den Klang, durch den Namen alleine schon ein bestimmtes Bild geliefert, das für etwas steht, etwas Fremdes, etwas, das weit weg ist, nicht Heimisch. Das klingt anders, als wenn ich nur Bier und Zigaretten sage. Auch mit der Sprache - sie sind unterwegs, sie sprechen Englisch, offensichtlich eine Art Roadtrip, da bekräftigen diese Sätze in einer fremden Sprache die Exotik, das Exzeptionelle einfach noch einmal mehr.

Die Stelle mit dem Schwimmbad. Die hat auch @GoMusic und @Fliege erwähnt. Warum ist die in meinen Augen wichtig? Es geht um den Boss, um Springsteen. Er erinnert sich in dem Moment, in dem es wirklich düster wird, an diese Geschichte mit dem ersten Kuss. Es lief ein Song von Springsteen im Hintergrund. Dann bricht das Chaos und die Gewalt aus. Ich finde, diese Pufferzone, diese Szene, die etwas süß und retrospektiv melancholisch ist, ist wie eine Vorankündigung, wie ein retardierender Moment - es könnte auch noch alles gut werden. Ich erhöhe hier die Falltiefe der Figuren. Deswegen muss die auch da rein, meiner Meinung nach.

Ja, also danke für deinen sehr guten Kommentar, Texte sind ja immer im Fluss, deswegen wird sich hier sicher noch was ändern.

@GoMusic

Danke auch dir. Ich finde, der Ami muss da rein, weil er etwas symbolisiert - er kommt von weit her, er reist seit zwei Jahren, er kennt solche Situationen. Es ist ja alles spekulativ, es kann auch eben nicht an der Zugmaschine liegen, aber der Schaffner und das restliche Personal sind ahnungslos, und der Ami hat nur eine vage Idee. Er ist auch für die Atmo da, weitgereister Ami ind Europa, das ist ja eine eigene Trope, Abenteurer etc, das färbt auch etwas auf die anderen Charaktere ab.

Mit dem Schwimmbad diese Szene, die ist open to debate, aber ich habe oben schon erwähnt, warum ich die gut finde und dass diese auch durchaus einen Sinn hat. Ich kann verstehen, wenn man das anders sind und warum man das anders sieht, ich warte mal ab, was andere Leser sagen.

Danke dir für deinen Input und deine Worte.

@Fliege

ja, haha, die ist nicht schön im eigentlichen Sinne, klein, dreckig, schmutzig, würde man so einen Film wohl nennen. Die Szene mit dem Schwimmbad. Ich denke da drüber nach. Ich finde auch, die Szenen danach stehen für sich, und im Grunde ist diese Szene eine Spielerei, ein dramatischer Effekt, aber hey, i like ze drama, und ich darf doch auch mal einen Leser manipulieren, so ganz offensichtlich? :D Ich denke aber weiter drüber nach, ob es die braucht. Ansonsten lese ich deinen Kommentar und denke: Vielleicht diesmal etwas richtig gemacht mit dem Text. Danke dir dafür.

Gruss, Jimmy

 

Hi Jimmy,

ich lese Horror und Krimis und all das Zeug doch gar nicht (gerne).
Du gibst dem Text tags, die irreführen. Jedenfalls mich. Nun gut, jetzt habe ich das rohe Stück Fleisch gegessen und verdaue. Wenn das Alltag ist, bin ich froh, dass meiner anders aussieht.


Dann hieß es: Alle Fahrgäste können aussteigen.
Auch nach mehrmaligem Lesen weiß ich nicht, wie ich das verstehen soll.
Das können gibt mir zu denken. Dürfen sie, weil es draußen angenehmer ist?
Oder müssen sie? Und wieso alle? Gäbe es überhaupt eine andere, logische Variante, so dass zB nur 1/3 aussteigen dürfte?

John zeigte auf ein paar niedrige, eng zusammenstehende Gebäude in einigen Kilometern Entfernung.
Der Satz liest sich für mich sehr unelegant. Braucht es das so detailliert?
John zeigte auf ein paar eng zusammenstehende Gebäude in der Ferne.

Ich trank den letzten Schluck warm gewordenes Wasser aus einer Plastikflasche, die ich im Zug gekauft hatte.
Erst durch diese Plastikflasche wurde ich zeitlich verortet, davor spielte das Ganze einige Jahrzehnte früher in meinem Kopf ab.

Es gab keine neuen Informationen.
Es gab keine Neuigkeiten.


Wir konnten ihre Rippen zählen. John schüttelte den Kopf.
Ich würde gerne wissen, warum. Ich kann es leider nicht für mich befriedigend interpretieren.

Wir nahmen ein paar Züge, dann zapfte er zwei große Bier.

Er trank das restliche Bier leer und stand auf.
Das Glas leertrinken - aber das Bier also solches?
Ich hörte, wie Wasser auf den Boden tropfte, das gierige Schlabbern.
Ich hörte Wasser auf den Boden tropfen, das gierige Schlabbern.
Er ging langsam, verschwand in dem Gang, der zu den Toiletten führte. Hinter den Toiletten befand sich ein weiterer Raum, der mir bis dahin verborgen geblieben war.
Braucht es die Toiletten zweimal? Würde ein Dahinter nicht auch genügen?
Danach wurde alles still, so still, dass es in den Ohren dröhnt.
Ich bin kein Grammatikheld. Aber geht das mit dem Präsens?

Die Schwimmbadszene hat mich beim ersten Lesen auch irritiert, weil sie auch ganz aus dem Nichts kommt und wieder geht.

Sehr eindrücklich, ich war drin und habe den Staub geschmeckt. Wenn ich gewusst hätte, um was es geht, hätte ich den Text nicht gelesen. Ich brauch' sowas nicht, da träume ich schlecht.

Bei meinen Anmerkungen bin ich mir nicht sicher, ob du alles wirklich so wolltest, wie es da steht oder ob dir auch Dinge entgehen. Deshalb nimm, was du brauchst und vergiss den Rest.

Grüße aus der Hitze des Südens, nicht viel anders als in der Sierra Nevada :D
bernadette

 

Hey @bernadette

Vielen Dank für deinen sehr guten und sehr präzisen Kommentar. Hab mal einiges übernommen. Ich denke, das mit der Präsens-Sache kann man machen, ist ja ein beliebtes Stilmittel um auch die Erzählerperspektive klar zu machen, da verwischt auch schon mal einiges.

Bei dem Satz:

Ich hörte, wie Wasser auf den Boden tropfte, das gierige Schlabbern.
dachte, ich, das wie sagt aus, dass eben nicht alles auf dem Boden landet, sondern eben nur ein Teil davon. Ich weiß nicht, vielleicht denke ich da verquer, aber so klingt der Satz für mich richtiger. Wie gesagt, vielleicht kann da jemand was zu sagen, der sich mit Grammatik besser auskennt.

Die Schwimmbadszene. Ja, ich bin da unschlüssig. Ich finde die eigentlich sehr gut, weil sie zwar vollkommen herausgerissen ist, ein Fragment, aber eben auch in dieser Kürze (auch bezogen auf die gesamte Länge des Textes) eine Funktion erfüllt, wie ich finde. Klar, man kann sagen, das ist ein Effekt, ich gebe das auch zu, aber für mich funktioniert das, ich mag so kurze, bewußte Ablenkungen, da muss ich nicht immer Purist sein. Wie gesagt, ich kann verstehen, wenn man da anderer Ansicht ist.

Gruss, Jimmy

 

Hi Jimmy,

starke Geschichte. Erinnert mich an ein paar Kurzgeschichten des "frühen Hemingway", vom Aufbau und vom Feeling her: Zwei junge Männer, Zugfahrt, Spanien/Mexiko, und dann die Zuspitzung auf den Höhepunkt mit dem Hund.
Mir gefällt die Schwimmbad-Szene sehr gut. Klar, die sticht hervor, ist mir beim Lesen auch gleich aufgefallen, aber ich finde, genau so eine Szene braucht es. Ohne sie, schätze ich, wäre der Prot ein klein wenig zu blass, weil ja v.a. John es ist, der sich für den Hund etc. einsetzt und somit charakterisiert wird. Gäbe es die Schwimmbad-Szene nicht, wäre der Erzähler wohl etwas blasser und ich könnte das Geschehen zeitlich nicht genau einordnen - meinetwegen könnte das auch in den 40ern, 50ern spielen (zumindest habe ich keine Smartphones, etc. bemerkt); jedenfalls wäre es für mich nicht so eindeutig gewesen, wann das Ganze spielen würde. Ich mag auch den Kontrast, den die Szene aufzieht, das "Genre-Klischee", wenn man das so sagen kann, der Story aufbricht. Ich würde sie auf jeden Fall drinbehalten, auch den Ami.

Der Konflikt mit dem Hund ist wirklich gut, finde ich. Es wirkt alles wirklich sehr echt, auch die Figuren sind lebendig, jeder mit einer eigenen Agenda, und obwohl sie nur mit ein paar Strichen beschrieben werden, sind sie da und ich glaube ihnen, was sie tun, und ich glaube dem Erzähler, dass das genau so passiert.

Ja, sorry, wenn ich dir nur mit Positivem komme, aber für mich ist das Teil absolut rund und ich mag es von hinten bis vorne. Chapeau!


Beste Grüße
zigga

 
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"Junge Hunde schmecken gut!"
Ulzana's Raid (Keine Gnade für Ulzana)​

Ja, das ist der Preis, den ein Liebhaber des Wolfes und seiner Derivate zahlen muss, wenn er hier hineinschaut,

böser, böserr jimmy -

und denkt - hoppela! – wie alltäglich ist es für unsereinen schon allein, auch nur einer der Sierra Nevadas nahezukommen. Ja gut, dass Züge der DB auf der Strecke bleiben, kommt mit mehdorniger Regelmäßigkeit in unserer schönen Republik vor. Aber schon das schüttelt den notorisch letzten Fußgänger (der für lausige fünf km sein Fahrrad gar nicht erst aus dem Keller holt).

Ich hatte gestern schon reingeschaut (und ein Vierjähriger hat interessiert mitgeguckt, anschließend wollte er Zorro gucken ... - versteh ich auch) und ich sehe, da hat sich einiges dank bernadette getan und ich hoffe, dass nun nix mehr doppelt genannt ist, denn es bleibt noch einiges, wie eher das unauffällige

Draußen wieder die Hunde, sie schlichen um das Gebäude, ich hörte ihr Hecheln, ihr Atmen.
"Hecheln" und "atmen" sind synonym. Kannstu auf Entfernung Hunde atmen hören, hecheln sie auf jeden Fall.

Ich wollte etwas schreien, irgendetwas, dass alle wieder zur Besinnung bringen würde.
Statt „werden“ wäre m. E. „sollen“ angemessener(wenn schon über "können" diskutiert wird), wie‘s fünfte Gebot und wie die rechtliche Soll-Regelung zwischen „ist“ (muss) und „kann“, aber dann – bei andern stünde jetzt hier „SuperGaU“ der schreibenden Zunft – flüchtige, bisher sich erstaunlich gut haltende Verwechselung von dass (Konjunktion) und das – der Artikel + div. Pronomen – in dem Fall als Reflexivpronomen, das sich aufs unbestimmte „irgendetwas“, der Wiederholung oder Verstärkung des "etwas" bezeht.
Nachtrag: Bei der eigenen Korrektur aufgefallen, die Formulierung "Ich wollte etwas schreien, (auf ) dass alle wieder zur Besinnung kämen" wäre auch möglich.

Lass hier

Ich starrte auf die Bahnschwellen, die mit feinem, hellem Sand überdeckt waren. Ich zählte jede einzelne, vergaß die Anzahl, begann wieder von Neuem. Ich bekam die Geräusche nicht aus dem Kopf, wie der Nagel den Schädelknochen durchbricht, das letzte Aufheulen, ein kurzes, ersticktes
bis aufs erste „ich“ vielleicht alle andern weg – den Rest erledigen korrekt gesetzte Verben ....

Ich sah den Hund vor mir, wie ein Zittern seinen Körper erfasst, jeden Muskel, die allerletzte Nervenaktivität. Danach wurde alles still, so still, dass es in den Ohren dröhnt.
Warum die gegenwärtigen Einschübe in einem Meer der Vergangenheit? Näher rangeholt werden sie zumindest nicht beim ersten Lesen ... beim zwoten konnt' es schon so wirken. Ich guck auf jeden Fall nach.

Vierzig, Fünfzig, Sechzig.
Sind das nicht einfache Kardinalzahlen wie siebzig (Schwellen) oder zählt der Icherzähler die Schwellen wie Hausnummern? Setz einfach statt der Kommas Punkte (vielleicht zur Auflokkerung ein Ausrufezeichen?) dazwischen, dass einer wie ich nicht auf dumme Gedanken kommen kann.

Das war's für jetzt und bis bald

Friedel

 

Bei dem Satz:
dachte, ich, das wie sagt aus, dass eben nicht alles auf dem Boden landet, sondern eben nur ein Teil davon. Ich weiß nicht, vielleicht denke ich da verquer, aber so klingt der Satz für mich richtiger. Wie gesagt, vielleicht kann da jemand was zu sagen, der sich mit Grammatik besser auskennt.

Mein Vorschlag hat für mich eine aufzählende Funktion.
Er hört das eine und das andere.

Deine Variante verführt mich dazu, das Schlabbern auf das wie zu beziehen und das führt zu nichts.
Beispiel, in dem es zu etwas führen würde:

Ich hörte, wie Wasser auf den Boden tropfte, das monotone Patschpatsch.

 

Gude @jimmysalaryman,

ich kann mich meinen Vorrednern zunächst anschließen und die dichte Atmosphäre loben, die durch deine Beschreibung sehr gut funktioniert.
Darüber hinaus habe ich aber das Gefühl, recht wenig zu verstehen :confused:

Das beginnt für mich zum einen bei den direkten Handlungen, v.a. als es zur Hinrichtung des Hundes kommt.

You, sagte er und zeigte auf mich. You here. Er legte den Nagel auf den Tresen und umfasste den Stiel des Hammers. Ich spürte den Luftzug, als er ausholte. Es ging alles so schnell.
"You" - ich dachte erst: Will er denn jetzt einen Nagel durch die Hand des Touristen hämmern?
Im Nachhinein habe ich mir jetzt folgendes Bild konstruiert: Der Mann lässt sich von unserem Protagonisten helfen; der muss also den Nagel halten. Der einzige Hinweis für mich ist da, dass er aktiv miteinbezogen wird, was ich mir sonst nicht erklären kann.

Das geht dann weiter mit:

Dann hob er den Nagel hoch und führte die Spitze an seine Stirn. Er lächelte. Er zeigte mit dem Nagel auf mich. You, sagte er. You.
Warum führt er den Nagel an seine Stirn? Wiederum im Nachhinein würde ich jetzt mal raten, dass er will, dass der Tourist den Nagel an die Stirn des Hundes hält, aber auch hier bin ich mir unsicher. Angesichts der surrealen Eskalation hätte mich an der Stelle auch nicht gewundert, wenn er jetzt doch selbst den Nagel in die Stirn getrieben bekommen will.

Das wäre jetzt zunächst meine Wahrnehmung der Beschreibungen - diese sind nicht per se unverständlich; ich kann mir ja auch etwas zurecht reimen und die wenigsten hier haben etwas dazu geschrieben. Aber ein halber Satz dazu, dass der Tourist den Nagel hält (oder überhaupt irgendetwas [bzw. was genau] tut), würde mir persönlich helfen, einen direkteren Zugriff zu erhalten.
Abgesehen von den Beschreibungen, habe ich mich auch über das Ausmaß der Eskalation gewundert. Da werden ja direkt alle Register gezogen, nur weil die Jungs scheinbar ein Problem mit Straßenhunden haben (jetzt mal flapsig zusammengefasst). Ich finde das nicht schlecht, solche krassen Spitzen reißen auf jeden Fall mit. Mir persönlich geht es dabei aber auch so, dass ich jetzt keine starke Trauer empfinde was den Hund angeht, da mir durch den Kopf schießt: Ok, das ist nicht realistisch.
Soll jetzt auch nicht heißen, dass die Situation so gar nicht vorkommen kann; nur aus der Geschichte springt sie m. E. nach sehr plötzlich hervor, weswegen Verwunderung und Spannung die Trauer bei weitem überwogen.
So viel zu meinem Eindruck - keine Ahnung, ob dir das was helfen kann leider :confused:

Zum Abschluss:

I smash you’re head in.
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein Fehler ist - denn das you're/your zu verwechseln ist ja ein so gängiger Fehler, dass er fast schon Stilmittel sein kann.
Aber vielleicht ist es ja doch nur ein Tippfehler und in dem Falle würde ich sagen: richtig wäre "I smash your head in."


Liebe wenn auch wahrscheinlich nur bescheiden nützliche Grüße,
Vulkangestein

 

@zigga

Danke dir fürs Reinschauen. Ja, klar, da klingt Hemingway mit, ich habe neulich auch einiges wiedergelesen, lässt sich also nicht vermeiden, dieser sound und auch die Konstellation. Finde ich natürlich super, wenn es dich voll gepackt hat, so etwas hört man immer gerne.

@Friedrichard

Danke auch dir. Werde das alles korrigieren alsbald, bzw jetzt gleich.

@Vulkangestein

Auch dir danke ich. Verstehe ich nicht, wie kann man da verwirrt sein? Steht doch alles zwischen den Zeilen. Der Mann hinter dem Tresen verlangt von dem "Touristen", dass er den Nagel durch den Kopf des Hundes treibt. Das zeigt er an sich selbst an, und der Erzähler beschreibt diese Sache nachher auch noch in einer Retrospektive. Nur weil das hier über die Auslassung funktioniert, wird es doch nicht unklar? Also, so viel Transferleistung traue ich dem Leser schon zu. Ich wundere mich sowieso manchmal, wie ausführlich einige bestimmte Dinge erklärt haben wollen, das erliest man sich doch auch durch die Atmosphäre, durch die Stimmung, das Setting.

Da werden ja direkt alle Register gezogen, nur weil die Jungs scheinbar ein Problem mit Straßenhunden haben (jetzt mal flapsig zusammengefasst).

Ja, ist flapsig zusammengefasst. Die "Jungs" haben ein Problem mit Straßenhunden. Ich war 1998 genau in dieser Gegend, Inland Spanien, da habe ich eine ähnliche, wenn auch nicht ganz so krasse Szene miterleben dürfen. Hunde schlagen, treten, mit Steinen bewerfen oder überfahren ist in anderen Ländern teilweise Usus. Nur weil wir hier in Westeuropa die Tierliebe zum neuen Heiligtum erhoben haben, müssen nicht alle Nationen nachziehen und das genau so sehen. Soweit hergeholt ist diese Szene also nicht. Wenn du das natürlich von vorneherein nicht kaufst, dann ist das eben so. Mir geht das ähnlich, mit ca. 90% aller Texte, die ich lese, wo ich denke: Das kaufe ich nicht. Ich will mich da jetzt nicht herausreden, und behaupten, wie realistisch das Ganze hier ist, aber ich behaupte dennoch, es ist ein durchaus realistisches Setting. Und selbst wenn nicht - es ist Fiktion, die an der Realität angelehnt ist. In der Fiktion werden Entwicklungen drastischer dargestellt, passieren dramatische Momente eher, das sind ja so im allgemeinen die Regeln, auf die der Leser sich einlässt. Auf eine komponierte Form der Realität, die in der entworfenen Welt funktioniert. Ich verstehe deinen Einwand also nicht ganz, weil ich intendiere ja mit dem Text nicht, dass da "Trauer" evoziert werden soll, weil es der erste Terminus ist, den du erwähnst, es ist nicht die Aufgabe des Textes, dies zu erfüllen. In diesem Text geht es um unausgesprochene Regeln, über die sich die Fremden hinwegsetzen, die ja nur zufällig in diesen Landstrich geraten, das ist ja eine eigene Trope, in der Literatur, im Film. Und natürlich kann es dann zu äußerst dynamischen Entwicklungen kommen. Ist das hier eventuell zugespitzt? Mit Sicherheit. Aber es ist keine "surreale Eskalation." Die Situation eskaliert, und sie eskaliert schnell, und genau solche oder ähnliche Eskalationen durch im Grunde respektloses Fehlverhalten, das aber von zwei Seiten völlig unterschiedlich bewertet wird, führen regelmässig in Kneipen und Bars oder auf der Straße zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Hier geht es doch auch um machismo, um Macht, auch um Demütigung, die beiden haben in diesem Kampf verloren, jetzt müssen sie es anders wieder gut machen. Sie müssen den Hund töten. Für mich kann es da gar keine zwei Versionen oder Unklarheiten geben.

Außerdem geht es ja auch um die Schuldfrage, deswegen auch der Titel der Geschichte, der damit korrespondiert. Er, der Erzähler, muss den Preis bezahlen, dass sie da wieder heil rauskommen. Er muss aktiv werden, er muss sühnen. John dreht sich nochmal um, er überlegt sogar, noch einmal zurückzugehen. Not worth it, ist die Ansage. Da steckt auch eine Menge Zwiespalt drin, sie wissen, dass es dreckig und räudig war, aber das es eben manchmal keinen anderen Ausweg gibt - das ist der Preis, den sie zahlen.

Gruss, Jimmy

 

Hi @jimmysalaryman,

An einem alten Schlagbaum hielt ich an und erbrach mich.
Bin auch gerade wieder fertig damit …
Wenn irgendwo der Boss zitiert wird und dann auch noch Hunde auftauchen, bin ich dabei – selbst schuld ... War ja klar, dass das keine Kuschelgeschichte wird.

Am Anfang habe ich gedacht, was soll die Schwimmbadszene eigentlich, außer einen weiteren Springsteen Titel zu erwähnen, aber beim zweiten Lesen habe ich gemerkt, dass da doch noch mehr drinsteckt. Natürlich wird u.a. klar, dass der Erzähler aus Deutschland kommt, was nicht unbedingt wichtig ist, aber vor allem ist es die Erinnerung an diese Situation, die leicht bedrohlich war:

...es waren bestimmt zehn, zwölf Personen, sie tranken Reißdorf aus Dosen und rauchten Luckies ohne Filter. Wir küssten uns verstohlen, sahen dabei immer wieder zu ihnen herüber, eingeschüchtert, aber auch ein wenig stolz.
Weil diese Biertrinker jeden Moment auf die knutschenden "Kinder" hätten losgehen können, wenn ihnen der Sinn danach gestanden hätte, aus Langeweile. Dann hätte der Erzähler nichts tun können, aber er zieht trotzdem sein Ding durch und es passiert ja auch nichts. Und so ähnlich fühlt es sich jetzt in dieser Bar wieder an. Die plötzliche Übermacht dieser Typen, die sich von niemandem, und schon gar nicht von Fremden vorschreiben lassen, wie sie ihre Hunde verrecken lassen … Aber diesmal wird er direkt mit seiner Machtlosigkeit konfrontiert und muss die ekelhaften Konsequenzen tragen.

Das ist auch schon, was ich zu sagen habe. Dass die Geschichte funktioniert und sehr eindringlich geschrieben ist, steht außer Frage.
Ich wollte das nur noch in die Waagschale werfen, wegen pro und kontra Schwimmbadszene.

Was @Vulkangestein geschrieben hat bezüglich "you're": das sehe ich ganz genau so. Falls es wirklich kein Schreibfehler ist, würde ich's trotzdem wegmachen.

Apropos Wegmachen : Wie bekomme ich jetzt das Bild von diesem Hund wieder aus meinem Kopf?

Viele Grüße von Raindog

 

Hey Jimmy,


starker Text, ehrlich, hat mir sehr gut gefallen. Unheimlich dicht, die bedrückende Atmosphäre, die Hitze, die so richtig anheizt, Gereiztheit, Aggressionen zusätzlich nährt. Auch dieser Mikrokosmos in dem Nest, die Regeln, die dort herrschen, der Respekt, der wortlos eingefordert, notfalls eingehämmert wird. Insofern passt auch der Ami sehr gut, der seine "Werte", seine Ansichten, seine Einstellung durchsetzen möchte, ungeachtet möglicher Konsequenzen, seine Marke setzt, unbeeindruckt vom fremden Revier :).

Einzig die Schwimmbadszene - mich haut die eher raus, bin hier kein Fan von, aber ich verstehe, warum sie dir wichtig ist. Für mich bräuchtest du die Fallhöhe jedenfalls nicht weiter erhöhen, und du bereitest alles so schön vor, das spitzt sich schon wunderbar peu à peu zu, dass der beabsichtigte (?) retardierende Effekt nicht so recht zünden will bei mir, der stört mich eher. Klar, @zigga ist der Meinung, dadurch bekommt der Erzähler etwas mehr Farbe, stimmt schon auch, aber irgendwie fände ich einen blasseren Erzähler hier ganz treffend. Für mich böte der dann noch größere Indentifikationsfläche - dass er da beschwichtigen möchte, mit dem Geld und so, reicht mir eigentlich schon als Charaktermerkmal.
Ich teil's dir einfach mal mit, Jimmy.

Kleinkram:

Wir warteten. In den Abteilen wurden die Menschen unruhig. Männer knöpften ihr Hemden auf. Frauen wedelten sich mit Fächern und Magazinen Luft zu, Schweißperlen auf ihren Oberlippen.
Bräuchte ich nicht, du zeigst mir schon genug.

Es gab keine neuen Informationen.
Nichts Neues, keine Neuigkeiten.

Wir fragten den Amerikaner. Er wollte lieber bei den Anderen bleiben.
Jetzt beim erneuten Lesen: Der Ami ist doch dabei, oder war ich zu unkonzentriert?

Sie bellten – leise, langgezogen, unterdrückt.
Da bin ich kurz hängengeblieben, hab' mich gefragt, ob langgezogenes Bellen funktioniert, unterdrücktes auch, leises.

Ich trank schnell, spürte das kalte Glas zwischen meinen Finger[n]
n
Vielleicht auch lieber irgendwas mit "in der Hand", als zwischen den Fingern.

Draußen wieder die Hunde, sie schlichen um das Gebäude, ich hörte ihr Hecheln, ihr Atmen.
Würde ich streichen.

Ein abgemagerter Straßenköter mit mattgrauem Fell und entzündeten Augen blieb in der Türschwelle stehen.
Auch das, hast du ähnlich weiter oben schon.

Der Hund hechelte, zeigte uns seine rosa-farbene Zunge.
Könnte auch weg - hast du auch schon weiter oben -, wird auch so klar, was der macht.

Der Mann hinter dem Tresen schüttelte den Kopf und machte eine Geste mit seiner Hand, die wir beide verstanden.
Bräuchte ich auch nicht - oder präziser werden.

Für einen kurzen Moment verlor ich den Überblick, alles drehte sich, verlor die Zuordnung.
Könnte auch weg.

... seiner Kehle. Der Mann legte den Hammer auf den Tresen, Bahn und Finne waren blutverschmiert. Er griff nach den Ducados in seiner Hemdtasche
Würde das zweite Pp durch den Artikel ersetzen - ist aber, wie alles andere auch, nur 'ne Kleinigkeit, die nicht wirklich störend wirkt. Persönliche Marotte von mir :).

Danach wurde alles still, so still, dass es in den Ohren dröhnt[ ].
Hast ja schon was zu gesagt, ich weiß, dennoch: mit e am Ende käme ich nicht ins Stocken.


Das war's erst mal von mir, nimm dir, was du brauchen kannst; na!, du weißt schon.

Mich hattest du von Anfang an am Haken und hast mich nicht mehr freigegeben. Prima Geschichte, Jimmy!


Vielen Dank fürs Hochladen!


hell

 

Muttertext, besser: Problemkind:
Ich sah den Hund vor mir, wie ein Zittern seinen Körper erfasst, jeden Muskel, die allerletzte Nervenaktivität. Danach wurde alles still, so still, dass es in den Ohren dröhnt.
meine Frage
Warum die gegenwärtigen Einschübe in einem Meer der Vergangenheit?
korrekter, nicht nur meine Frage, obwohl jeder wissen sollte, dass die gelebte Sprache hinsichtlich der Zeitformen flexibler ist als der Gott Schulgrammatik erlaubt. In einer älteren Duden Grammatik (Duden Bd. 4 von 1995, dem geübten Auge wird nicht entgehen, es ist die letzte Grammatik vor dem Reformatiönchen, also nach altem Recht) folgendes Zitat

Und aus einem kleinen Tor, das... sich plötzlich aufgetan hatte, bricht - ich wähle hier die Gegenwart, weil das Ereignis mir so sehr gegenwärtig ist - etwas Elementares hervor ... (Th. Mann).“ (ebd., RN 252, S. 150), in meiner Nachreformatorischen ist dieses Zitat zum „historischen Präsens“ verschwunden, wiewohl das vorhergehende Zitat aus der älteren Ausgabe des Bd. 4 in meiner aktuelleren Ausgabe (8. Auflage, 2009) unter RN 724, S. 506 [!] zum epischen, historischen und szenischen Präsens) erhalten blieb.

Kurz und gut: Das Präsens kann mehr, als die Schulgrammatik glauben lässt, vom historischen Präsens („Morgen komm ich [, sofern nix dazwischen kommt]“, statt ich werde kommen) wie auch in die umgekehrte Richtung.

Leider neisgstu wenig zu Scherz und Ironie wie fast alle Briten, die ich kenn, Jean Paul, Gottfried Keller und ich (achja, nicht zu vergessen, Thomas Mann, s. o. und sonstwo), sonst hätten wir die Lösung schon im Mann'schen Zitat.

Wie also das (epische, historische und/oder szenische) Präsens den Sätzen "Ich sah den Hund vor mir, wie ein Zittern seinen Körper erfasst, jeden Muskel, die allerletzte Nervenaktivität. Danach wurde alles still, so still, dass es in den Ohren dröhnt" zu erhalten?

Die Sätze insgesamt ins Präsens übersetzen (der Text nimmt m. E. keinen Schaden:)

„Ich sehe noch heute den Hund vor mir, wie ein Zittern seinen Körper erfasst, jeden Muskel, die allerletzte Nervenaktivität. Danach wurde alles still, so still, dass es noch heute in den Ohren dröhnt.“

Schlaf einfach mal drüber.

Tschüss

Friedel

 

Ich noch mal kurz, wegen dem Schwimmbad, weil ich den ganzen Tag drüber nachgedacht hab. Ich dachte mir das mit dem dramaturgischen Moment ja schon, die Fallhöhe erhöhen und so, auf der einen Seite. Dagegen steht aber, dass Du aus der Abwärtsspirale ausbrichst und den Leser danach erst mal wieder reinholen musst. Ich bin zwar noch immer unentschieden, aber ich wollt Dir noch meinen Gedanken für "gegen" Schwimmbad mitgeben. Eben auch aus dramatirgischer Sicht.
So, nun haste den Salat :D

 

@Raindog
Danke dir für deinen Kommentar. Freut mich, wenn es dir gefallen hat, bzw gefallen kann man da ja nicht direkt zu sagen, aber du weißt, was ich meine.
Das your - you`re Ding, da stolpere ich oft drüber, manchmal kannste eben mit meinem Kopf Fußball spielen, das hab ich geändert, peinlich ey.

@hell und @Friedrichard
Dankt euch beiden Höllenhunden! Ich habe mal einiges übernommen, den Satz innen Präsens jepackt, ist besser so, wie ich finde. Ja, ziemlich krass, wie schnell sich ein Text verfeinert, verbessert, je mehr Leute ihn lesen, das überrascht mich immer wieder.

Aaaaaaber! Trotz @Fliege s Insistieren und Dagegen-Voten werde ich die Schwimmbadszene drinnelassen. Ich finde die erstmal gut. GUT! Change my mind. Nein, ich warte einfach mal ab, wie sich das Gefühl dahingehend verändert.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @jimmysalaryman

Bevor ich gleich einfach ein paar Gedanken zum Inhalt dalasse, denn sprachlich fand ich diesen kürzeren Text von dir echt gut, eine Nitpicker-Frage zu Anfang: Die Überschrift – heißt es nicht Der Preis, den man zahlt? Also, wenn ich das jetzt im Kopf weiterspinnen würde, zum Beispiel in einem Gespräch, würde es da nicht heißen: "Ja, das ist eben der Preis, den man dafür bezahlt"? Die Akkusativ-Form in der Überschrift hört sich für mich irgendwie falsch an ... Und das meine ich jetzt nicht mal aus der spießig-grammatikalischen Ecke heraus, sondern aus der Bauchgefühligen.

Die Szenen, die du hier beschreibst, sind dicht. Mir gefällt, dass du am Anfang nicht gleich super hart einsteigst, sondern mit dieser Szene beginnst, in der der Zug liegen bleibt, alles fühlt sich recht ruhig, von der Hitze niedergedrückt, aber nicht bedrohlich an. Das entwickelt sich dann in kleinen fiesen Gesten und Szenen erst in der Bar. Das fand ich tatsächlich wirklich gruselig. Aber gut gemacht.

Die Sache mit den Hunden – da schwingt so viel mit, finde ich. Wir Westeuropäer haben da einfach einen völlig anderen Umgang, ein anderes Bild, andere Verhaltensweisen. Ich habe sowas (natürlich nicht in dieser Härte, aber einfach in einer für mich ungewöhnlichen Grausamkeit) im Urlaub auch schon erlebt und war schockiert. Dennoch zeigt das doch auch ganz gut, wie sehr man seine eigenen Werte auch bei anderen erwartet. Da gehe ich jetzt mal von den Hunden weg und werde ganz allgemein. Sicher, es gibt gewisse Werte, die sehe auch ich als unabdingbar an. Aber, und da muss ich selbst auch immer wieder zurücktreten, diese Werte gelten nun mal nicht für alle anderen. Nicht mal für Menschen aus dem selben Kulturkreis. Und dennoch erwartet man das irgendwie oft. Interessant fand ich, mit welcher Brutalität die Einheimischen reagieren. Ich empfinde ihr Verhalten auch als Retourkutsche dafür, dass die beiden Touris sich einfach über die dort geltenden "Regeln" hinweggesetzt haben, für dieses fast schon überhebliche Dagegen-Handeln (zumindest in den Augen der Einheimischen). Dafür müssen die Fremden büßen und das auf sehr harte Weise, sowohl für die beiden Männer, als auch für den Hund.

Das ist ein schlauer Text und mir gefiel er sehr gut, weil er sich Stück für Stück entwickelt und in seiner Härte erst ganz am Schluss zuschlägt.

Grüße
RinaWu

 

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