Was ist neu

Der Anhalter

Mitglied
Beitritt
18.06.2001
Beiträge
19

Der Anhalter

Was sie über Anhalter wissen sollten: nehmen sie nie einen mit, es könnte Hans Möller sein. Haben sie ruhig Angst, denn dieser Mann hat es verdient, dass man sich vor ihm fürchtet. Allerdings überlass ich es ihnen, ob sie ihm auch böse sind. Aber dazu gleich mehr.
Hans wurde vor nunmehr vierzig Jahren als Sohn eines Fleischers in einer mittelständischen Familie geboren. Die Möllers waren eine eher unauffällige Familie, mit eher unauffälligen Macken wie abends vorm Fernseher einzuschlafen oder Samstags für die ganze Woche einzukaufen. Unvorstellbar, wo es doch leichter war täglich ein bisschen zu kaufen.
Nur in einer Sache unterschieden sie sich von anderen Familien: In ihrer unkonventionellen Ansicht über Erziehung. Hans sollte das erste und zugleich letzte Kind der Möllers werden, in Anbetracht der Dinge, die noch geschehen würden ein großer Segen.
Davon wussten Mama und Papa Möller natürlich nichts als sie ihren Sohn schufen, den sie liebevoll Hansi tauften. Zugegeben, sie hätten etwas ahnen können, aber wo doch heutzutage neunzig Prozent der Menschen blind durch die Gegend lief...
Einschulung mit sechs, Konfirmation mit vierzehn, Ausbildung mit siebzehn - Hansi führte ein besch... normales Leben. Aber der kleine Junge der unaufhaltsam zu einem Mann reifte, war anders als jene um ihn. Er dachte anders, bewegte sich anders und führte eine ganze Menge komischer Selbstgespräche (erst nur alleine in geschlossenen Räumen, später dann zu beinahe jeder Zeit.)
Aufgrund dessen war es nicht verwunderlich, dass er immer seltsam angeguckt wurde, egal wo er gerade war. Das wiederum war nicht gut für die Psyche. Hansi´s Psyche war ein harter Brocken, musste aber schnell feststellen das es nicht einfach war „Hansi´s“ Psyche zu sein und gab als er dreißig wurde einfach auf.
Garantiert nicht zu letzt war die Möller-Erziehung an allem Schuld. Warum? Ganz einfach. Mama und Papa Möller fassten ihren kleinen Racker nicht mit Samthandschuhen an. Das bedeutete viel Arbeit und harte Strafen, wenn es mal nicht so funktionierte wie es sich die beiden Erziehungsberechtigten vorgestellt hatten.
Hansi wehrte sich nie. Wahrscheinlich wäre es auch so gewesen, hätte er ein unbeschwerteres Leben geführt. Er hatte einfach nicht die Durchsetzungskraft, die man in seiner Welt brauchte. In der Schule wurde er oft verspottet. Das fing bei der lächerlich bunten Brille, die er in der Grundschule tragen musste an, ging über das Pickelzeitalter genannt Pubertät (die ihn natürlich sehr hart traf) hinaus und endet leider weder während der Ausbildung noch später. Armer Hansi.
Er gewann langsam, aber mit bedrohlicher Bestimmtheit den Eindruck, dass sich eine schlechtgestimmte, übernatürliche Kraft einen Spaß mit ihm erlaubte. Selbstverständlich konnte er nicht darüber lachen – aber alle anderen konnten das – und sie taten es auch.
Es ist schwer zu sagen, wann der arme Bursche anfing, das Ganze persönlich zu nehmen. Viele würden sicherlich den dreißigsten Geburtstag als den großen Tag bezeichnen von dem ab (fast) gar nichts mehr ging. In dem kleinen Städtchen in dem er wohnte war es Brauch, wenn man noch nicht verheiratet war, an diesem besagten Jahrestag zu „fegen“.
Fegen. Sicherlich für keinen Mann ein Spaß und ganz gewiss nicht für einen knapp einmeterachtzig großen Kerl, bei dem nichts den Eindruck machte dort hinzugehören wo es sich gerade befand. Die Nase war ein gutes Beispiel dafür, aber leider nur eines von vielen. Es kamen nur wenige Bekannte zu Hansi´s Geburtstag, und jene die kamen, kamen aus Mitleid.
Ein weiterer Grund bei der lustigen Tradition Fegen war, dass man erst damit aufhören durfte, wenn man freigeküsst wurde. Obwohl getrost davon ausgegangen werden konnte, dass es keinen Mann auf dem großen Ball genannt Erde gab, dem bei diesem Gedanken kein kalter Schauer über den Rücken gelaufen wäre, hasste es keiner so sehr wie Hansi.
Und er hasste es zu recht.
Denn das geballte Mitleid aller Anwesenden an jenem unheilvollen Tag hätte nicht dazu ausgereicht auch nur einem von ihnen den Ruck zu geben den armen Möller Junior Freizuküssen. Es war eine grausame Erfahrung und Hansi fegte den Platz so sauber wie noch niemand vor ihm. Schließlich warf er den Besen so kräftig in die Ecke, dass er zerbrach und verkroch sich in eine Ecke wo niemand beobachten konnte wie er weinte.
Das war vor zehn Jahren. Es gab noch eine Menge solcher Erfahrungen und Hansi schluckte sie alle mit einem bleiernen Beigeschmack herunter. Bis Heute.
Haben sie Lust zu hören was passierte?

Es war auf der Autobahn A28 Oldenburg Richtung Bremen. Genauer gesagt an einer Zufahrt zu jener Autobahn. Das Wetter war gar nicht mal schlecht. Es regnete nicht und nur vereinzelte Wolken zogen über den Herbsthimmel.
An der Straße stand ein hagerer Mann. Er blinzelte gegen den aufbrausenden Wind, strich sich ab und zu die struppigen (weniger werdenden) Haare glatt und wartete. Ich denke, sie ahnen um wem es sich bei dieser Gestalt handelte. Hans Möller atmete die kühle Luft zufrieden ein. Es roch nach Abgasen, stellte er fest, aber es machte ihm nichts aus.
Er war Heute aus dem Haus gegangen und hatte etwas getan, was er schon lange getan haben wollte. Man kann es sich im Prinzip wie einen Urlaub vorstellen, den man sich endlich mal gegönnt hatte oder ein gutes Essen. Ja, Hans war zufrieden. Das war schon lange nicht mehr der Fall gewesen.
Gegen Mittag sorgte allein das Naturgesetz, das alles was passieren kann auch irgendwann tatsächlich mal passiert1 dafür, dass endlich ein Auto langsamer wurde und neben Hans, der gerade die feste Jacke enger um sich zog zum Stillstand kam.
Ein Mann saß hinter dem Steuer des dreier BMWs. Er mochte zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein und schien es im Leben zu etwas gebracht zu haben. Mit einem freundlichen Lächeln lud er zum Mitfahren ein. Hans hasste diesen Mann, aber er lächelte zurück und nahm das Angebot dankend an.
„Wohin geht’s?“ fragte der BMW-Besitzer. Er war ordentlich gekleidet, hatte kurzes, dunkles Haar und ein nettes Gesicht.
„Nach Bremen“, erwiderte Hans. Danach folgte Stille. Die Tür fiel ins Schloss und keiner sagte mehr was, so dass es ruhig blieb.
Das ging eine ganze Weile so weiter, aber da nur die Autofahrer einen Anhalter mitnahmen, die unter einem chronischen Mitteilungsbedürfnis leideten sollte es nicht dabei bleiben. Irgendwann drehte sich der gepflegte Kerl also um und begann zu reden. Er musste so handeln, es lag in seiner Natur.
Es ging um Belanglosigkeiten. Wer bin ich, wo will ich hin, warum will ich dort hin. Hans war es egal. Eine Zeit lang hörte er nicht einmal mehr zu, bis eine leise Stimme in seinem Kopf ihn darum bat doch wenigstens so zu tun.
An diesem Punkt könnte die Geschichte enden, aber sie tut es nicht. Weder erreichte Hans sein Ziel, noch hielt er an um auszusteigen. Nein. Irgendwann blickte er einfach auf und schaute den Mann der ihn aufgelesen hatte durchdringend an. In dem gepeinigten Möller regte sich etwas und es musste raus.
„Wie heißen sie?“
Der BMW-Fahrer blickte vom Lenkrad auf, stutzte einen Moment (wahrscheinlich hatten ihn bislang nur wenige Anhalter nach dem Namen gefragt) und antwortete. „Wie ich heiße? – Hm. – Mein Name ist Uwe und wie darf ich sie nennen?“
„Hans“, erwiderte Hans und lächelte. „Nennen sie mich Hans.“
Danach wurde es erst einmal wieder still und hätte man nur gut genug hingeschaut, dann hätte man gesehen wie sich Uwes Stirn unsicher in Falten legte. Es bleibt eine Vermutung, aber wahrscheinlich ging dem stolzen BMW-Besitzer in diesem Moment ein Licht auf, dass mit seinem Beifahrer etwas nicht stimmte.
„Haben sie Frau und Kinder, Uwe?“ fragte Hans schließlich.
„Ja“, entgegnete der. „Eine Tochter, Marié, sie ist gerade acht geworden und einen Sohn...“
„Und?“ unterbrach der gefährliche Beifahrer schnell. „Lieben sie sie?“
„Ja, sehr.“
Erneut wurde es still. Doch diesmal ergriff der BMW-Fahrer das Wort. „Und Hans, sind sie glücklich?“
Hans blickte durch die Heckscheibe zurück auf die Straße, zögerte einen Augenblick und lächelte heiter. „Ja, ich schätze das bin ich. Wissen sie, ich habe heute etwas getan was ich schon lange, sehr lange erledigt haben wollte.“
„Warum hatten sie es dann so lange aufgeschoben?“
„ Dumm, nicht wahr? Ich habe keine passende Antwort darauf. Vielleicht hatte sich nur nie die richtige Situation ergeben.“
Der BMW-Besitzer hielt den Blick starr auf die Strasse gerichtet und nickte. „Ich bewundere sie“, versuchte er das Gespräch aufzulockern. „Nur wenige Menschen erfüllen sich ihre Träume. Und haben sie Frau und Kinder zu Hause?“
Hans antwortete mit einem aschgrauen Gesicht aus dem alle Farbe wich. Die Augen wurden ausdruckslos, der Blick nach Innen gekehrt. „Ich brauchte mir meine Träume nie erfüllen. Ein Leben lang quälten sie mich als Alpträume und sie wurden alle wahr ohne das ich es wollte. – Ob ich Frau und Kinder habe? Ob ich eine Familie habe, die auf mich wartet wenn ich von der Arbeit nach Hause komme?“
Eine Totenstille erfüllte das Auto. Für einen unendlich lang währenden Moment war nur das Surren des Motors zu hören. Ein unterschwelliges Surren, dass einer Spannung glich dem unweigerlich eine Explosion folgen würde.
Der Adamsapfel im Hals des gequälten Möllers bebte als er weitersprach. „Alles was ich liebte starb vor langer Zeit . . .“
Uwe drehte sich vorsichtig um. Sein Gesicht zeigte deutlich die aufkeimende Angst, die er sorgsam, aber vergeblich zu verdrängen versuchte. In seinen Augen glitzerte Mitleid. Was er natürlich nicht wissen konnte: Hans wollte kein Mitleid mehr, er hatte es endgültig satt!
Autos und Bäume rauschten an den Fenstern vorbei. Keinen der beiden Insassen fiel auf, dass sie immer schneller fuhren. Uwes Fuß lag auf dem Gaspedal so schwer wie Blei und aus seinem Mund glitten Worte, die zu keiner schlechteren Zeit hätten ausgesprochen werden können: „Ich verstehe.“
Augen die vor einer Sekunde noch ausdruckslos beinahe traurig in die Vergangenheit geschaut hatten wurden nun finster. Hinter schwarzen Pupillen explodierte ein Feuer. „ DU VERSTEHST NICHTS!“ kreischte Hans mit belegter Stimme.
„Jahrelang immer nur dieses vorgespielte Mitleid! Aber hat auch nur einer versucht zu helfen?! – Mir zu helfen!?“ Die Antwort lag auf der Hand, dennoch spie Hans sie angewidert aus. „Nein – niemand hat es je versucht.
Armer Hansi haben sie gesagt und lachten dann hinter meinem Rücken. Aber ich habe alles gesehen, - habe alles gehört, doch leider habe ich nie etwas dazu gesagt – bis Heute.“
Wenn nicht schon lange vorher, dann wusste der erschreckte BMW-Fahrer spätestens jetzt, dass er mächtig in der Klemme steckte. Aber was wollte der gefährliche Anhalter nun? Warum das ganze Theater?
Doch gerade als es den Eindruck machte, das alles eskalieren würde, da wurde Hans wieder ruhig und lächelte. „Bis heute“, wiederholte er verschwörerisch. „Ich habe ein neues Leben begonnen und es fühlt sich gut an, Uwe. Ja, wirklich gut.“
Aber Uwe stockte zu sehr der Atem um etwas zu entgegnen. Stoisch hielt er den Wagen auf der rechten Spur der Autobahn. Das Schild „Bremen 2 Kilometer“ flitzte an ihnen vorbei.
„Ich bin stolz auf mein neues Leben“ grinste Hans zufrieden und mit ihm grinste der kleine Junge der er vor vielen Jahren gewesen war. Jener kleine Junge, der nie ein unbeschwertes Leben hatte führen dürfen.
Das Lächeln weckte in dem BMW-Fahrer, der in seinem Leben keinen Anhalter mehr mitnehmen würde so etwas wie Mut. „Wo in Bremen, darf ich sie absetzen?“ wagte er nach einer Weile zaghaft zu fragen.
„Bremen?“ hauchte Hans. „Nein, ich wollte nach Hamburg. Das wissen sie doch.“
In Uwe brach alles mit einem resignierendem Seufzer zusammen. Und genau wie dem armen Möller die ganzen Jahre die Kraft gefehlt hatte, so fehlte auch ihm jetzt die Kraft etwas dagegen zu sagen. Tja, das Leben konnte schon sehr gemein sein.
Und in Hans lachte alles. Eigentlich wollte er weder nach Bremen noch nach Hamburg. Fürs erste allerdings erschien ihm das nächste Ziel noch weit genug entfernt. Einen Moment dachte er darüber nach was er überhaupt damit zeigen wollte- und vor allem wem-, aber dann lehnte er sich entspannt zurück und vergaß alles um sich.
Die beiden Städte lagen schon ein bisschen von einander entfernt, aber als sie Hamburg fast erreicht hatten und der Elbtunnel gerade in Sicht kam, hatte Hans das Gefühl gerade erst losgefahren zu sein. Seltsam, denn Uwe fühlte sich als wäre er eine Woche nonstop unterwegs gewesen.
Die letzte Stunde hatten die beiden Insassen nicht mehr viel miteinander gesprochen. Aber nun sollte sich wieder einmal zeigen, dass Autofahrer die Anhalter mitnahmen bald einer aussterbenden Rasse angehören würden.
„Warum tun sie das alles?“ rutschte es einfach aus Uwe heraus.
Ein Teil von Hans (der vernünftige Teil) wollte die Worte ignorieren und runterschlucken wie schon so vieles zuvor. Der andere Teil, der Teil der es hasste Hansi genannt zu werden war jedoch strickt dagegen. Allerdings hatten beide Teile keine passende Antwort, was es schwierig machte etwas zu entgegnen und so ertönte nach einer Weile einfach nur ein entrüstendes: „Grmph.“
Das bedeutete natürlich nicht viel mehr als keine Ahnung oder ich weiß nicht. Kein Wunder, dass sich Uwe damit nicht zufrieden geben wollte und schließlich nachhakte. „Warum?“
Der verwirrte Möller wusste leider immer noch nicht weshalb er das ganze tat und entschied sich letztendlich dafür seinen Gedanken Worte zu geben und da fiel es ihm ein. Man hatte ihn schlecht behandelt.
Nicht einmal – nicht zweimal – sondern ein Leben lang!
„Hast du dir je Gedanken über das alles gemacht?“ fragte er.
„Nach dem Sinn?“ erwiderte der BMW-Fahrer entgeistert. „Warum so viel schlechtes in der Welt passiert, ohne dass ein Gott dem allem Einhalt gebietet?“
„Ja.“
„Ich bin mir sicher, dass sich diese Frage jeder einmal stellt. Aber gibt es eine Antwort?“
„Wenn, dann ist sie mir noch nicht begegnet“, stellte Hans fest. „Schade drum, denn ab Heute nehme ich es selbst in die Hand.“
„Was meinst du damit?“
„ Das ist doch klar. Wieso verstehst du mich nicht? Ist es so schwer? Das Schicksal hält nicht länger seine Hand über mich. Ich habe meinen Job gekündigt, weil er mich davon abgehalten hat mein Leben zu leben. Heute ist mein bester Tag, verstehst du nicht?!“
Sie fuhren in den Elbtunnel und dicke Betonwände ließen den Himmel verschwinden. Der Weg führte direkt unter den breiten Fluss entlang. Gelbes Scheinwerferlicht erfüllte die Dunkelheit. Uwe fühlte sich komisch. „Ich verstehe“, wiederholte er und wiederholte damit ebenso einen schrecklichen Fehler, den er bereits vor einer Stunde schon einmal gemacht hatte.
Die Antwort kam prompt und glich einem Gewitter. „ Du verstehst nicht“, brüllte Hans.

Als ich zu erkennen versuchte warum ich so oft vom Unglück betroffen war, wurde mir eines bewusst. Das ganze verfluchte Leben ist eine einzige große Lüge! Ich habe vieles gesehen. Menschen die ich liebte starben, Freunde die ich schätzte brachen mit mir und Beziehungen die ein Leben lang währen sollten endeten plötzlich.
Ich habe oft geweint, das gebe ich jetzt zu. Manchmal haben mich meine Tränen nächtelang begleitet. Ein unerwarteter Stich tief im Herzen, ein Schmerz der die Seele zerreißt und alles was einem dargeboten wird ist Mitleid. Pah!
Worte reichen nach einer Zeit nicht mehr aus. Selbst wenn sie ernst gemeint sind hinterlassen sie nur allzu schnell eine Leere. Taten hätten folgen müssen. Vielleicht hätte einmal schon gereicht, vielleicht hätte eine gute Tat meinen Schmerz gelindert.
Am Ende spielt es keine Rolle was passiert ist, denn wir sind alle nur Menschen und Menschen sterben nun mal. Das ist der Kreislauf – der unendliche Kreislauf!
Mir ist klar geworden, dass nur ich mein Leben ändern kann. Oft wurden mir Steine in den Weg geworfen. Für etwas, dass einigen in den Schoß gelegt wurde, musste ich hart kämpfen. Das Schicksal hilft einem da wenig.
Meine Eltern werden mich nie mehr schlagen, denn ich machte ihnen klar, dass sie die Jahre meiner Kindheit etwas falsches getan haben! Mein Boss wird mich nie wieder schikanieren, denn ich zeigte ihm, wie es von der anderen Seite des Tisches aussieht! Nun habe ich kein Zuhause und keine Arbeit mehr, aber habe ich wirklich etwas verloren?
Nein.
Für niemanden ist es schwieriger zu verstehen, als für mich. Seltsam, oder? Aber ich habe das Richtige getan, da bin ich mir sicher. Ich habe noch anderen Dingen ein Ende gesetzt. Dingen, denen bereits vor langer Zeit ein Ende hätte gemacht werden müssen. Das Schicksal hat es nicht getan, Gott hat es nicht getan, also musste ich es tun – und ich fühle mich jetzt besser.
Sicher willst du wissen, was ich tat. Aber es gibt keine Worte die eine so große Dummheit beschreiben können. – Dennoch war es richtig. Keiner wird mich je wieder verletzen!

Als die Dunkelheit des Tunnels endete und das Licht des Tages langsam wieder sichtbar wurde, endete der Monolog. Das Auto wurde wieder schneller, die Geschwindigkeitsbegrenzung war aufgehoben. An einer Tankstelle machten sie Rast und sorgten für genügend Benzin, so dass die Fahrt weitergehen konnte.
Uwe hatte keine Lust mehr, aber er widersetzte sich nicht. Hamburg war nicht mehr länger ihr Ziel, Hans hatte sich etwas neues ausgedacht. Fünf Minuten später zündete sich der vom Wahn befallene Möller eine Zigarette an. Einfach so.
Er grinste fröhlich und sagte etwas in Richtung: „ Die werden mich nicht umbringen.“ Dann, als sie über zweihundertvierzig Stundenkilometer auf dem Tacho hatten, griff er ins Lenkrad.

Die Wahnvorstellungen endeten abrupt.

 

Hi, Sil! Deine Geschichte kenn ich ja schon in Papierform. Nicht verstehen kann ich aber, warum bei der Online-Variante Smilies (!) reingerutscht sind. Was sollen die da? Versehen?

Gruß, Nico!

 

War ein früheres Problem. Hat sich mit dem Smilie-Code-Update erledigt, aber wer vorher gepostet hat...
Habs editiert.

 

Hallo Silmaril,

eine sehr lange Geschichte, die ich aber in einem Zuge heruntergelesen habe, weil sie spannend ist. Du beherrschst offenbar die Kunst, durch Vorausdeutungen den Leser zu fesseln und in ihm Erwartungen zu wecken.
Ein Satz hat mich besonders fasziniert: "In seinen Augen glitzerte Mitleid." Das ist schön gesagt, schön und treffend und originell.
Die Textidee selbst - und hier tu ich mir schwer, weiterzuschreiben - liegt wohl in einer generellen Abrechnung mit allen, die für das bisherige Leben des Protagonisten verantwortlich sind, aber auch im heroischen Entschluss, das Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Symbolisch die Schlusshandlung: das Hineingreifen ins Lenkrad. Führt das dann zum provozierten tödlichen Unfall? Entschuldige, wenn die Frage dumm ist. Aber für mich ist das entscheidend für das Verständnis des Textes. Wer ins Lenkrad greift, kann auch damit selbst die kommende Richtung bestimmen wollen.

Viele Grüße

Hans Werner

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom