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Der Anruf

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24.06.2008
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Der Anruf

„Wir sehen uns dann mittags!“, sagte Michael zu seiner Frau und öffnete die Tür zum Treppenhaus. Ein fünfjähriger Junge schlüpfte sofort in den entstandenen Spalt.
Karina beobachtete den Kleinen mit einem Lächeln.
„Er kann es kaum erwarten von mir wegzukommen!“
„Wenn es um den Besuch eines Zoos geht, ist ihm nichts heilig!“, meinte Michael und folgte seinem Sohn, der ungeduldig auf den Stufen der Treppe von einem Fuß auf den andere sprang.
Sie machte die Tür hinter ihm zu und näherte sich dem Fenster, das zur Straße rausging. Einige Zeit später tauchten ihre zwei Helden auf. Der Junge rannte zum Auto und wartete dort auf seinen Vater, der sich schwerfällig wie ein Bär dem Auto näherte. Karina schmunzelte.

Erst als das Auto mit ihren Männern aus ihrer Sicht verschwand, löste sie sich von der Fensterscheibe und setzte sich an den Tisch, an dem sie drei lange Jahre verbracht hatte. So viele schlaflose Nächte und Mangel an Motivation musste sie während ihres Studiums erdulden, deren Erscheinen einerseits an den abstrusen Aufgaben lag, mit denen die Professoren gerne die Studenten konfrontierten, andererseits an denen, die exmatrikuliert wurden – sie hatte immer Angst, dass es eines Tages auch sie erwischen würde.
In solchen Augenblicken dankte sie ihrem Ehemann, der immer zur Stelle war, um ihr beizustehen und alle ihre Sorgen zu verjagen. Und sie hatte es geschafft, nur noch die Diplomarbeit musste abgegeben werden und danach Freiheit…

… Das Läuten des Telefons erschreckte sie so heftig, dass sie den Stift aus der Hand fallen ließ.
Beim zweiten Klingeln verließ sie ihren Platz und hob den Hörer ab. „Rabe!“
Niemand antwortete.
„Hallo!“
Eine unnatürliche Stille drängte aus dem Hörer.
„Ist da jemand? Hallo!“ Sie wurde ungeduldig und etwas verärgert.
Totenstille.
„Dann nicht.“
Karina wollte schon auflegen, als ein schriller, an den Nerven zerrender Schrei aus dem Hörer ertönte. Er kam so unerwartet, dass sie den Hörer fallen ließ, der gegen die Wand schleuderte und still nach unten hängen blieb.
Verdutzt starrte Karina den Hörer an.
„Nein… O Gott, nein…“ Eine wehklagende Stimme folgte, als der Schrei verstummte.
Nur schwer konnte Karina die verzerrte Sprache einordnen, doch sie gehörte eindeutig einer Frau. So viel Schmerz und Leid steckten in diesen Worten, dass sie eine Gänsehaut bekam.
Und dann… Nichts. Es endete genauso abrupt, wie es anfing.
Karina wusste nicht, was sie mit dieser Aktion anfangen sollte. War das ein Scherz? Wenn doch, dann ist er voll in die Hose gegangen.
Argwöhnisch betrachtete sie den Hörer, nicht wissend, was sie als nächstes tun sollte.
Es läutete wieder. Karina schaute auf den Telefonapparat. Es kann nicht läuten, dachte sie.
Noch ein Läuten.
Karina stand wie angewurzelt da.
Drittes Klingeln. Viertes.
„Hör endlich auf!“
Sie hielt sich die Ohren zu…

… Sie saß an ihrem Tisch, dessen Platte voll mit Büchern und verschiedenem anderen Zeug bedeckt war.
Ihr Blick wanderte sofort zum Telefon. Es stand auf seinem Platz und langweilte sich selbst. Der Hörer, lag auf ihm ohne irgendeinen Laut von sich zu geben.
Durch das geöffnete Fenster strömte eine warme Brise herein, die sie an das Meer erinnerte. Vielleicht war sie deswegen eingeschlafen?
In diesem Moment der Ruhe klingelte es an der Tür.
Karina zuckte zusammen, wie von einem Stromschlag.
„Was ist los mit dir?“, ermahnte sie sich selbst und stand auf.

Als sie die Tür aufmachte, erblickte sie einen jungen Polizisten mit einem ungewöhnlich bleichen Teint.
„Guten Tag! Frau Rabe!“ Seine Stimme war ruhig, fast monoton.
„Ja!“, sagte sie vorsichtig.
„Ist ihr Mann, Martin Rabe?“
„Ist etwas passiert?“ Besorgnis legte sich auf ihre Gesichtszüge.
„Wohin war er unterwegs?“
„Zum Zoo…“, antwortete sie automatisch.
„Hatte er einen Jungen dabei?“
„Ja, unseren Sohn, was hat das…“
„Werden Sie ihn identifizieren können?“
„Sagen Sie mir endlich, was los ist?!“ Jetzt hatte sie wirklich Angst.
Der junge Polizist sah ihr direkt in die Augen. Sie konnte in ihnen nichts entdecken, was auf Emotionen hinweisen könnte. Nur ein müder Blick ließ sich ausmachen.
„Vor einer halben Stunde ereignete sich ein Verkehrsunfall auf der Brücke…“ Er machte eine Pause, damit sie diese Information verinnerlichen konnte. „Ihr Mann und ihr Sohn waren in den Unfall verwickelt…“
Er sprach weiter, doch sie hörte ihm gar nicht zu. Sie sah zwar, wie sein Mund sich bewegte, das Gesagte verflüchtige sich dann sofort wie Wasserdampf ohne sich ihrem Gehörgang zu nähern. Bei dem Gedanken, dass den beiden etwas passiert sein könnte, wurde ihr schwindelig. Sie musste sich an die Wand lehnen, um nicht hinzufallen.
Als sie wieder die Worte des Polizisten vernehmen konnte, welche wie von einer Maschine ausgesprochen – ohne jegliche Regung in der Stimme, dachte sie, sie wäre lieber in ein Koma gefallen.
„… bei der Schwere des Unfalls, meinte mein Vorgesetzter, ich solle Ihnen dies persönlich mitteilen!“
Die Tränen bildeten sich von selbst in ihren Augen. Sie spürte sie nicht einmal.
Als sie die Frage stellte, dachte sie, sie würde ersticken: „Sind… Sind mein Sohn und… mein Mann…“ Sie konnte den Satz nicht zu ende sprechen.
Endlich regte sich etwas in den Gesichtszügen des Beamten.
Er konnte sie nicht länger direkt anschauen, während er den folgenden Satz wie eine einzige in Zeitlupe abgeschossene Kugel, die ihr Herz traf und weiter zu ihrem Kopf drängte, und alles an was sie glaubte, was sie liebte, all ihre Hoffnungen durcheinander wirbelte und zerstörte. „Wir fanden zwei Körper in einem Autowrack… Ein Mann und ein Junge…“
Sie schaute durch ihn hindurch.
„Es tut mir Leid!“ fügte er noch seinen Ausführungen hinzu und ging einfach weg.

War er überhaupt da?

Sie betrachtete den Flur, die Treppe… Die Stufen müssten wieder Mal geputzt werden, dachte sie. Sie musterte die weißen Wände, und die Wohnungstür der Nachbarin Frau Schmilz, einer alten Frau.
Dann drehte sie sich um und begutachtete ihre Wohnung, die sie mit Michael schon drei Jahre mieteten. Es war eine schöne Wohnung, hell und geräumig – sie hatten wirklich Glück gehabt.

Warum stehe ich in der Tür?

Eine warme Brise wehte in das Zimmer herein und erinnerte sie an das Meer. Ihr Tisch, der drei lange Jahre ihr ein treuer Gefährte war, musste immer noch das Gewicht der Bücher ertragen, die sie durch das Studium brachten.
Die Stille wurde durch das schrille Läuten des Telefons gestört.
Karina eilte zum Apparat und hob ab.

Bin ich das?

Karina, die an der Tür stand, beobachtete die Szene mit einem komischen Gefühl von Déjà-vu.
Und dann kam das Wissen, das sie zu leugnen versuchte. Die Bilder schwirrten durch ihren Kopf wie wütend gewordene Hornissen und hinterließen nichts als Schmerz und Verwüstung.
Ihr Herz konnte dieses Wissen nicht länger ertragen und zersprang in tausend Stücke, die an ihrem Verstand kratzten.
Sie schrie plötzlich wie am Spieß und fiel zu Boden. Sie hielt ihr Gesicht mit den Händen verdeckt und jammerte wie verrückt.

Karina am Telefon ließ vor Schreck den Hörer los, der gegen die Wand schleuderte.
Als der Schrei verstummte, erklang eine wehklagende Stimme, die sie nur schwer aber sicher einer Frau zuschreiben konnte:
„Nein… O Gott, nein…“

 

Hallo Geert!

Hm, ja ... Das war für mich wieder eine dieser "netten" Geschichten. Nicht schlecht, aber eben auch nichts sonderlich Packendes.
Es las sich für mich wie eine auf's Allernötigste gestauchte Version der ollen "Vorahnung"-Pointe, die man als Horror- und Gruselfreund schon desöfteren serviert bekommen hat. Diese "Zerrissenheit" der Figur am Ende war tatsächlich eine Neuerung - aber mir kam sie recht merkwürdig vor, muss ich zugeben. Da steht sie nun zweimal - einmal schreit sie ihre Verzweiflung heraus; einmal hört sie sich selbst dabei zu. Aber da sie aus dem Anruf, diesem vorauseilenden Schatten, vorher schon nichts gemacht hat, keine Konsequenzen daraus gezogen hat, keine Fragen gestellt hat, verpufft das Ende recht unspektakulär.

Gefallen hat mir, dass Du die Figur selbst für die kurze Distanz mit ein wenig Fleisch auf den Knochen ausgestattet hast. Und auch das Verleugnen des abermaligen Klingelns war flott und angespannt zu lesen.

Im Endeffekt bleibt mir nur zu sagen: Ah jo, nett. :)

Ein paar Anmerkungen noch:

Karina beobachtete den Kleinen mit Augen voller Liebe – mit den Augen einer Mutter. Sie lächelte.
Das finde ich überfrachtet. Augen voller Liebe - okay. Die Augen einer Mutter - geht auch noch, da hat man dann eine Vorstellung. Das Lächeln - kann man dann aber streichen. Das gibt dem Bild nichts Neues.

... der ungeduldig auf den Stufen der Treppe von einem Fuß auf das andere sprang ...
... von einem auf den anderen ...

der schwerfällig wie ein Bär sich dem Auto näherte
... sich schwerfällig wie ein Bär dem Auto näherte ...

... als ein schriller, Nerven zerrender Schrei aus dem Hörer ertönte.
An den Nerven zerrender, oder nervenzerfetzender, oder sonstwas.

Ihr Blick wanderte sofort zum Telefon. Er stand auf seinem Platz und langweilte sich selbst. Sein bester Freund, der Hörer, lag auf ihm ohne irgendeinen Laut von sich zu geben.
Es stand auf seinem Platz ...
Die ganze Formulierung finde ich zu salopp und amüsant für eine beklemmende Gruselgeschichte. Das würde ich nüchterner halten.

Sie konnte in ihnen nichts entdecken, was auf Emotionen oder Gefühle hinweisen könnte.
Es gibt Fachbücher, in denen tatsächlich zwischen Emotion und Gefühl unterschieden wird. In dieser Gruselgeschichte allerdings wirken die beiden Wörter auf mich redundant.

Karina, die an der Tür stand, beobachtete die Szene mit einem komischen Gefühl von Déjà-vu.
Uff, kann man das so sagen? "Mit einem Gefühl von Déjà-Vu"? Ich bin mir nicht sicher, hab aber auch keine bessere Formulierung parat.

Bis denne,
Fisch

 

Hallo, Fischstaebchen!

Danke für deinen Kommentar!

Die angesprochenen Stellen werde ich ändern, besonders die Fehler.

Wie ich sehe hat dir die Geschichte ein wenig gefallen, als Lob ist es ausreichend, muss aber noch besser werden.


mfg
Geert

 

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