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Der blaue Puma

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08.11.2008
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Der blaue Puma

Es war einmal ein reicher Maharadscha, der hatte alles, was er sich nur wünschen konnte: eine wunderschöne Frau, die kam aus der Königsfamilie von Siam, zwei tapfere, gutaussehende und kluge Söhne, eine Tochter, die so sanft und schillernd war in ihrer Schönheit wie ein Kolibri, 10 weiße und 50 andere Elefanten, edle Araberpferde und feurige Mongolenponys, den schönsten Palast weit und breit mit einem Teich, in dem ein guter Geist wohnte, der ihn und seine Familie auf allen Wegen beschützte, einen Zoo, der so seltene Tiere hatte, dass sogar der Kalif Harun Al Raschid von Persien eigens nach Indien gereist kam, um ihn sich anzusehen, und der Besitz dieses Maharadschas, der übrigens selber mit allen guten Gaben ausgestattet war und ein vortrefflicher Jäger war, umschloss alle Landschaften Indiens, von der Wüste über karges Gebirge bis zum tropischen Wald, so groß war er. Nun hätte man denken können, dass der Maharadscha wunschlos glücklich war, denn er war außerdem ein sehr frommer und religiöser Mann, sodass Weise ihm voraussagten, er werde sicher in Gestalt eines weißen Elefanten, des heiligsten aller Tiere, wiedergeboren und sein Herr müsse ein berühmter Buddha sein. Aber doch war er nicht zufrieden und hatte nur eine große Sehnsucht, nämlich den blauen Puma, der in seinem Wald lebte, zu fangen und ihn mit sich nach Hause zu nehmen und zu zähmen. Nun muss man allerdings wissen, dass dieser blaue Puma einzigartig auf der ganzen Welt ist, und kein Tier ist so gefährlich wie er, denn er ist in Wahrheit ein Zauberer, sodass ihm keine Waffe etwas anhaben kann, und kein Hund wittert ihn, wenn er auf der Lauer liegt.

Dies wusste auch unser Maharadscha, aber er wusste auch, dass man den Puma mit einer List fangen konnte. Der Puma lebte nämlich nur von Mondlicht, das auf die Blütenstempel eines goldenen Lotusblütenblattkreises fällt. Und diese einzigartige Lotusblüte gab es nur in eben jenem Teich im Wald des Maharadschas, wo der gute Geist lebte. Vor Urzeiten jedoch hatte der Blaue-Puma-Geist den Guten-Mondschein-See-Geist besiegt und ihm nur seine Zauberkraft gelassen unter der Bedingung, dass er den Mondschein von der goldenen Lotusblüte trinken dürfe. Der Gute-Mondschein-See-Geist hatte jedoch mit seiner letzten Zauberkraft den Blauen-Puma-Geist dazu verdammt, dass er nur von obengenanntem Mondschein leben könne, worauf die Göttin der Ewigen Gerechtigkeit eingriff und wiederum den Guten-Mondschein-See-Geist dazu verzauberte, dass er nur weiterleben könne, solange er dem Blauen-Puma-Geist auf ewig die goldene Lotusblüte zur Verfügung stellte. So waren ihrer beiden Schicksale unlösbar miteinander verwoben, denn der Gute-Mondschein-See-Geist allein konnte die Wasseroberfläche des Sees in Festland verwandeln.

Der Maharadscha hatte sich nun überlegt, dass er den Guten-Mondschein-See-Geist bitten könnte, ihm die goldene Lotusblüte für eine Weile auszuleihen, um mit ihrer Hilfe den Blauen-Puma-Geist zu besiegen. Der Maharadscha rechnete damit, dass der gute Geist einwilligen würde, denn in Gefangenschaft verliert jedes Zauberwesen seine Zauberkraft, und so würde nach der Entmachtung des Blauen-Puma-Geistes der Gute-Mondschein-See-Geist von der Verzauberung erlöst und unumschränkter Herrscher des Waldes werden. Der Maharadscha dachte noch vieles mehr, doch das soll hier noch nicht erzählt werden. Er ging jedenfalls an den Teich und rief den guten Geist. Dass er dies so ungefährdet tun konnte, lag daran, dass der gute Geist ihn vor dem blauen Puma schützte, solange er nicht mit der Absicht, diesen zu töten, in den Wald kam. Der Maharadscha und der gute Geist führten ein langes Gespräch miteinander, an dessen Ende der Geist dem Maharadscha die goldene Lotusblüte mit folgenden Worten überreichte:

„Höre, o mächtiger Herr, Gebieter über alle irdischen Wesen in diesem Wald, jedoch untern mir, da ich Euch und Euren Angehörigen das Glück beschere, höre und beachte wohl meine Worte: wenn Ihr den Blauen-Puma-Geist besiegt habt, so wird er versuchen, Euch durch Worte zu rühren. Ich weiß, Ihr seid ein frommer Mann, und es wird Euch schwer fallen, nicht auf die Stimme der Götter zu hören, derer er sich bedienen wird. Doch Ihr habt es mit Geistern zu tun, die eigenen Gesetzen folgen, und in deren Handeln sich die Götter nur selten einmischen. So habt auch Ihr unseren Gesetzen zu folgen: wenn Ihr die Bitten des blauen Pumas nämlich erhört, so wird er Euch in der Gewalt haben, er wird die Lotusblüte fressen und somit unsterbliche Zauberkraft erhalten. Ich aber werde alle Zauberkraft verlieren und somit sterben. Doch sobald ich gestorben bin, wird Euch das Glück verlassen: Ihr werdet sterben, Eure Söhne werden sich beim Streit um die Nachfolge gegenseitig umbringen, Eure Diener werden eine Aufstand machen und Eure Frau vertreiben, sodass sie einarmseliges Dasein als Bettlerin führen muss; der Blaue-Puma-Geist jedoch wird Eure Tochter entführen und sie muss ihm bis ans Ende ihrer Tage den Haushalt führen. Nun macht euch auf den Weg und bereitet Eure Jagd so vor, wie wir es besprochen haben. Ich wünsche Euch einen starken Willen, denn das ist alles, was ich noch für Euch tun kann. Lebet wohl.“

Damit verschwand der Gute-Mondschein-See-Geist wieder ins Wasser, bevor der Maharadscha ihm noch danken konnte. Erfreut eilte er nach Hause und begann, die Vorbereitungen zu treffen. Als seine Frau davon erfuhr, weinte sie sehr, ging zu ihm und bat ihn, sich nicht auf dieses gotteslästerliche Abenteuer einzulassen. Noch keiner habe es mit einem Geist aufnehmen können, sogar Anglamar, der Halbgott, habe es nur unter Verlust seiner Göttlichkeit schaffen können, und das sei in grauer Vorzeit gewesen, wo die Menschen noch stärker und zauberkräftiger gewesen seien. Doch der Maharadscha ließ sich nicht erweichen und sagte, er lästere doch die Götter nicht, wenn er dem guten Geist helfe. Von den Gefahren erzählte er ihr allerdings nichts, und deshalb, und weil er die ganze Sache ja doch nur wegen seiner eigenen Wünsche tat, hatte er ein schlechtes Gewissen und bat sie, sich nun zu entfernen, da er sich sonst nicht auf die Vorbereitungen konzentrieren könne. Schluchzend ging sie aus dem Zimmer und zu ihrem Lieblingselefanten, der zwar alt und grau war, aber sprechen konnte und ihr schon in mancher Not geholfen hatte.

Als El Dzambira, so hieß die Elefantin, von der Königstochter alles erfahren hatte, sagte sie zu ihr: „Meine gute Herrin, seid nicht verzagt, wisst ihr nicht mehr, wie ich Euch schon in Siam, als wir beide jünger waren, geholfen habe? Ich werde Eurem Mann beistehen, bringt mir jetzt nur einen riesigen Kessel mit kochendem Wasser und Euer prunkvollstes Zaumzeug samt Loge, dann verlasst mich und vertraut auf die Götter.“ Die Königstochter, also die Frau des Maharadschas, tat, wie ihr befohlen, doch schaute sie heimlich zu, was El Dzambira tat. Zu ihrem Schrecken stieg diese in den Kessel mit kochendem Wasser, doch ihr geschah nichts; im Gegenteil, als sie wieder herausstieg, hatte sie sich in eine wunderschöne weiße Elefantin verwandelt, die an Schönheit alle andern Elefanten des Maharadschas in den Schatten stellte. Dann murmelte sie einige Zauberworte und die Loge und das Zaumzeug befestigten sich von selbst an ihr. Nun wusste die Königstochter, dass die Elefantin über geheime Kräfte verfügte und war beruhigt über das Schicksal ihres Mannes.

Dieser ging diesen Abend nach Sonnenuntergang in die Gebäude, wo die Elefanten schliefen und wollte seinen weißen Lieblingselefanten besteigen, als er merkte, dass aus einer Ecke des Stalls ein seltsames Leuchten kam. Er ging ihm nach und entdeckte, überwältigt von Staunen, die verwandelte El Dzambira. „Seltsam“, dachte er, „ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir so einen schönen Elefanten besitzen. Vielleicht hat ihn meine Gemahlin als Abschiedsgeschenk für mich gekauft. Das finde ich sehr großzügig von ihr. Ich werde ihr auch den blauen Puma schenken!“ Mit diesem großmütigen Gedanken bestieg er den fremden Elefanten, nicht ohne vorher die goldene Lotusblüte, einen Maulkorb und ein extrastarkes Netz in der Loge verstaut zu haben. Dann ritt er hinaus und winkte seiner Familie zum Abschied zu. Alle, sogar die Söhne und natürlich auch die Bediensteten weinten und glaubten, ihn nie wiederzusehen. Nur die Königstochter, seine Gemahlin, hatte keine einzige Träne in den Augen und schaute ihn ruhig und vertrauensvoll an. Das verwunderte ihn zwar ein wenig, doch er war mit seinen Gedanken schon zu sehr beim blauen Puma, um weiter darüber nach zu denken. Die Prinzessin jedoch schluchzte heftig und sagte entrüstet zu ihrer Mutter: „Wie kannst du so kalt und gefühllos sein; nicht eine einzige Träne hast du vergossen, pfui, ich schäme mich für dich!“ Die Mutter sah sie jedoch mit einem wissenden, geheimnisvollen Lächeln an und sagte: „Ich kann es dir nicht verraten, aber sei sicher, dass dein Vater unter dem Schutz der Götter wandelt.“ Die Prinzessin schaute sie verständnislos an, dann lief sie laut schluchzend zurück in den Palast und rief den erschrockenen Dienern zu: „Oh, ich armes, hilfloses Wesen; ich bin schlimmer dran als eine Waise: mein Vater reitet in den sicheren Tod, vielleicht sogar noch Schlimmeres, und meine Mutter ist verrückt geworden! Oh, oh, oh!“ Die Brüder warfen der Mutter, die ganz bekümmert drein schaute, vorwurfsvolle Blicke zu und gingen, ihre Schwester zu trösten.

Während dies im Schlossgarten geschah, war der Maharadscha längst am Waldrand angekommen. Er schaute noch einmal dahin zurück, wo sein Schloss stehen musste, dann trieb er entschlossen seinen Elefanten vorwärts in das Dunkel des Urwalds.

Der Blaue-Puma-Geist war an diesem Tag schon die ganze Zeit sehr unruhig; er spürte, dass heute etwas Besondere geschehen würde, er wusste nur nicht, was. Deshalb eilte er auch nicht sofort zum Teich, um von dem Mondschein auf den Blütenstempeln der goldenen Lotusblüte zu trinken, sobald der Mond über alles sein silbernes Licht ergoss, wie er es sonst zu tun pflegte. Er war vorsichtig und blieb noch eine Weile in seiner Höhle; und bevor er sich endlich auf den Weg machte, kletterte er erst noch auf einen Baum und hielt Ausschau. Und tatsächlich, da näherte sich der Maharadscha, dem dieser Wald gehörte, auf einem prächtigen, weißen Elefanten. „Ah, den wollte ich mir schon lange vornehmen, die Freunde meines Feindes sind auch meine Feinde“, dachte er und beschloss, sofort den Maharadscha zu töten. Bevor er jedoch absprang, sah er ein seltsames Leuchten aus der Loge, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Teils erschrocken, teils neugierig und dabei einen Plan fassend, wie er vielleicht, ohne den Zorn der Götter auf sich zu ziehen, in die Gewalt der Lotusblüte kommen könne, erkannte er, dass das Leuchten eben von dieser Blume ausging, von der sein Leben und das seines Konkurrenten abhängig waren. So wartete er erst einmal ab.

Der Maharadscha, der nun schon seit zwei Stunden durch den Urwald geritten war,
ohne dem blauen Puma zu begegnen, wurde langsam ungeduldig. Da begann sein Elefant plötzlich mit dem Rüssel zu schaukeln, was bei Elefanten ein Zeichen von Witterung von Gefahr bedeutet. Der Maharadscha schaute unwillkürlich über sich – direkt in die Augen des blauen Pumas, die ihn wie zwei weiße, eisige Dolche zu durchbohren schienen. Der Maharadscha riss sich zusammen und hielt ihrem eisigen Feuer stand. Unter Anspannung aller Kräfte gab er seinen Augen den Ausdruck von Stolz und Ehrlichkeit. Er hatte dies jahrelang geübt und durch Fasten und Meditieren vervollkommnet. Selbst der Blaue-Puma-Geist durchschaute ihn nicht. Etwas anderes aber hatte ihn stutzig gemacht: wie hatte ihn der weiße Elefant wittern können? Er begann sich so seine Gedanken zu machen, doch die wurden glücklicherweise vom Maharadscha unterbrochen, der seine tiefe Stimme erhob und sagte:

„Ehrwürdiger blauer Puma, ich weiß, du bist der Herr über diesen Wald und alles, was darin lebt. Aber auch ich habe eine gewisse Gewalt über diejenigen Teile, die irdisch sind. Wie du weißt, gibt es in diesem Wald einen Teich, in dem ein guter Geist wohnt. Dieser hat mir und meinen Angehörigen bisher nur Glück gebracht und mir manchen guten Rat gegeben. Doch kürzlich fielen einige Tartarenhorden, die inzwischen schon viele Länder unter ihre Gewalt gebracht hatten, in das Nordland meines Reiches ein, wo das Hauptanbaugebiet für Reis ist. Sie vernichteten die gesamte Ernte, brandschatzten, plünderten und mordeten in Hunderten von Dörfern und marschierten daraufhin auf Ghambul, die Hauptstadt des Nordlandes, zu. Der Gouverneur der Stadt hatte zu der Zeit nur geringe Truppenreserven, daher bat er um meine Hilfe. Ich wollte sie ihm natürlich nicht verweigern, fragte vorher aber doch noch den Guten-Mondschein-See-Geist. Dieser gab mir den Rat, dass der Gouverneur den Führer der Tartaren freundlich empfangen, mit Geschenken überladen und seine Tochter zur Frau geben solle, da so ein blutiger Krieg vermieden werden könne. Der Tartarenführer habe es nämlich einzig und allein auf diese wahrhaft schöne Tochter abgesehen. Dann würde er sicher wieder friedlich abziehen. Ich verstand den guten Geist zwar nicht, vertraute ihm aber und gab den Befehl an den Gouverneur weiter.

Oh, wäre ich nur misstrauischer gewesen! Denn der Gouverneur machte alles wie gesagt, doch sobald die Tartaren die Prinzessin in ihrer Gewalt hatten, übergaben sie sie einem Zauberer, der sie tötete und in einen Geist verwandelte. Dann zerstörten sie die ganze Stadt, ermordeten die Gouverneursfamilie und ließen sich in der Befestigung nieder. Ich zog mit einem riesigen Heer dorthin, um Vergeltung zu üben; und die Tartaren wurden auch wirklich bis auf den letzten Mann von meinen Leuten niedergemacht, doch mein Herz war voll Trauer über das Geschehene, denn der Gouverneur war ein guter Freund und Ghambul eine der schönsten und reichsten Städte meines Reiches gewesen. Kaum war ich wieder daheim, eilte ich zum Teich des guten Geistes und wollte ihn zur Rede stellen. Doch schon von weitem hörte ich ihn mit jemandem reden; deshalb verbarg ich mich im Gebüsch. Da sah ich, wie er den Geist der Gouverneurstochter mit Gewalt in seinen Armen hielt und mit ihr turtelte. Sie versuchte verzweifelt, ihm zu entkommen, doch sie hätte es nie geschafft, wäre ich nicht da gewesen und ihr zur Hilfe geeilt. Denn ich sprach einige Zauberworte, die mir einst die Götter offenbart hatten, und die Macht über jeden Geist haben. Kaum hatte ich die Formel zu Ende gesprochen, stieß der
Gute-Mondschein-See-Geist einen entsetzlichen Schrei aus, ließ den Geist der Gouverneurstochter fahren, der sich wieder in seine menschliche Gestalt zurückverwandelte, während der gute Geist sich auflöste. Er war kaum noch zu sehen, als er stöhnend rief: „Maharadscha, ich weiß, Ihr könnte mir nicht verzeihen. Doch ich bereue meine Schandtat zutiefst und möchte Euch nicht ohne Schutzgeist zurück lassen. Nehmt diese goldene Lotusblüte und bringt sie dem blauen Puma; sobald er von dem Mondlicht auf ihren Blütenstempeln getrunken hat, wird er erlöst sein – er weiß schon, was ich meine, und absoluter, jedoch gütiger Herr des Waldes sein. Frisst er sie jedoch ganz auf, wird es ihm so wie mir ergehen, denn die Göttin der Ewigen Gerechtigkeit würde es nicht dulden, dass man ihre heilige Blüte zerstört. Das ist alles – lebt wohl!“ Und mit einem letzten Röcheln war er gänzlich verschwunden. Die Prinzessin lag jedoch gesund und schlafend am Seeufer. Ich brachte sie zu mir nach Hause, und dann machte ich mich unverzüglich auf die Suche nach Dir, und hier bin ich nun.“

Nach dieser langen Rede war der Maharadscha etwas erschöpft, er schaute aber trotzdem weiterhin in die Augen des blauen Pumas. Dieser wirkte seit den letzten Worten wie gelähmt; fasziniert starrte er nun die goldene Lotusblüte an. Der Maharadscha seufzte innerlich tief auf, froh, von dem tödlichen Blick erlöst zu sein. Außerdem glaubte er, dass von nun an alles nur mehr ein Kinderspiel sei. Denn dies war seine List: nur durch zauberkräftiges Gift konnte er den blauen Puma überwältigen. Das Mondlicht auf den Stempeln der goldenen Lotusblüte verwandelte sich jedoch in ebensolches, das einen Tag und eine Nacht lähmte, wenn die Blüte nicht im Wasser war. Und ebendies war ja der Fall. Denn jetzt sprang der Puma leicht wie ein Feder von seinem Ast auf den Boden; sein Schwanz bewegte sich wie eine Schlange hin und her. „Bringt die Blüte!“ dröhnte er mit gewaltiger Stimme, die nachtblau und zugleich silber-weiß schneidend klang.

Ruhig, und durchaus nicht den Eindruck eines Gehorchenden machend, stieg der Maharadscha mit zwei Sprüngen vor den stehenden Elefanten. Auf seinen Händen trug er unendlich vorsichtig die goldene Lotusblüte; unter seinem Kaftan jedoch waren der Maulkorb und das Netz verborgen, die unzerstörbar und vom guten Geist hergestellt worden waren. Innerlich lächelnd dachte der Maharadscha an den Käfig, der im Palast auf den blauen Puma wartete. Er war aus dem gleichen, geheimnisvollen Material wie der Maulkorb und das Netz. Der Puma hatte alles Misstrauen vergessen; alle seine Gedanken konzentrierten sich nur noch auf die goldene Lotusblüte. Die beiden kamen langsam und feierlich aufeinander zu. Schließlich standen sie sich auf einen Fuß Entfernung gegenüber. Der Maharadscha reichte die goldene Lotusblüte vor – und, zack! Hatte der blaue Puma sein Maul in ihr vergraben. Mit einem siegesgewissen Grinsen tauchte er wieder auf und schleckte sich mit der Zunge das Maul ab. Er fühlte eine unbändige Freude und Kraft in sich, und wollte zu einem Sprung auf den Maharadscha ansetzen – aber es ging nicht. Es ging nicht! Entsetzt starrte der blaue Puma den Maharadscha an. Erst verzweifelt, dann immer zorniger, spannte er seine Muskeln zum Sprung – aber er konnte noch nicht einmal ein Barthaar bewegen. Nur seine Augen flitzten hin und her; lauernd beobachteten sie den Maharadscha, der mit der Eleganz der Gelassenheit erst einen Maulkorb, dann ein Netz aus silberglänzendem Material – Mondlicht! durchfuhr es den blauen Puma – aus den Weiten seines Kaftans hervorholte.

„So, mein Schöner“, sagte dieser glücklich lachend, „wir werden sehen, wie du dich als Hauskätzchen fühlen wirst. Entschuldige den Maulkorb – aber es könnte etwas Unvorhergesehenes dazwischen kommen, wir wollen also ganz sicher gehen.“ Er beugte sich vor, um ihn dem blauen Puma anzulegen – da durchfuhr ihn ein eisiger Blitz. Ohne es zu wollen, starrte er unverzüglich in die Augen des Pumas und sah einen Augenblick lang eine solche Grausamkeit und Todesgefahr darin, dass es ihm schien, als habe ihn alle Grausamkeit der Welt angeschaut. Und es durchlief ihn kalt und schneidend ein Schauder, diesmal konnte ihn nichts mehr vor der hypnotischen Wirkung der Augen des Pumas retten. Er versank in ihnen wie in einem Meer. Nach Millionen von Lichtjahren, so schien es ihm, tauchte er langsam wieder in die Schichten des Bewusstseins auf. Aber noch bevor er völlig erlöst war, sprach der blaue Puma zu ihm, und es war die sanfteste, gütigste, wohlwollendste, schönste, reinste, kraftvollste und weiseste Stimme der Welt; nie zuvor hat ein Mensch je so eine Stimme gehört, noch wird sie einer wieder hören. Und dieses waren die Worte des Blauen-Puma-Geistes:

„Hochehrenwerter Herr und Meister, ich befinde mich nun in Eurer Gewalt, und bald werdet ihr Euern sehnlichsten Wunsch erfüllt haben: mich zu besitzen. Doch habt Ihr schon überlegt, was dies für mich bedeutet? Ich bin ein freies Geschöpf des Waldes, ich brauche die Weite, die Jagd und das Abenteuer. Doch in meinem Gefängnis, wohin Ihr mich zweifellos zu bringen gedenkt, werde ich traurig vor mich hin vegetieren; und selbst die königlichsten Speisen werden mich nicht aufrecht erhalten – ich werde früher oder später sterben. Doch somit macht Ihr Euch schuldig am Tod eines geweihten Tieres – wollt Ihr das? Die Götter werden Euch zürnen, und Eure Wiedergeburt kann in einem niedrigen oder schrecklichen Geschöpf geschehen. Wollt Ihr das? Auch von einem anderen Standpunkt aus passt Eure Handlungsweise gar nicht zu Eurem sonstigen, frommen Lebenswandel. Ihr wünscht, etwas zu besitzen, nur weil es Euch sehr gefällt und weil Ihr Euren Gästen und überhaupt der Welt damit zu imponieren sucht. Ich bin entsetzt, Euch als wahrhaftig eitlen, selbstsüchtigen Menschen zu sehen! Und noch ein drittes – ich bin ein Geist: habt Ihr das vergessen? Glaubt Ihr, den Göttern gefällt Euer Treiben? Ich flehe Euch an, kehrt Euch ab von diesem wahnsinnigen, gotteslästerlichen Vorhaben, oder es ist um Eure Seele geschehen!“

Der Maharadscha hatte während dieser Rede die ganze Zeit geschwiegen. Er war sehr ernst und nachdenklich geworden. Unter normalen Umständen hätte ihn diese Rede nie überzeugen können, aber die Hypnose wirkte noch, und so erinnerte er sich nicht mehr an die Warnung des guten Geistes. Langsam griffen seine Hände nach den Verschlüssen des Maulkorbs, um ihn zu öffnen, und damit wäre fast der blaue Puma erlöst gewesen. Doch auf einmal ertönte ein ohrenbetäubendes Trompeten, aus gestoßen von der schönen, weißen Elefantin, die der Maharadscha, wie alles in seiner Umgebung, gänzlich vergessen hatte. Dabei war unmerklich eine Veränderung in ihm vorgegangen: er war aus der Hypnose erwacht. Langsam kehrte seine Erinnerung zurück. Er dachte voll Schrecken daran, was ihm der Gute-Mondschein-See-Geist offenbart hatte.

Der blaue Puma jedoch, in dessen Augen schon Siegesfreude aufgeleuchtet hatte, erschrak bis ins innerste Mark hinein. Er wusste, er hatte nun verspielt. Denn nun hob der Maharadscha in unendlichem Zorn, mit dem Zorn der Gerechtigkeit, der auch seine Reue über sein Vorhaben, den blauen Puma zu fangen, beinhaltete, mit großer Gewalt sein Sternenschwert und schlug dem blauen Puma den Kopf ab. Statt Blut floss blauer Dampf aus ihm heraus, und überall im ganzen Land zogen die giftigen gase der Geister in die Luft, bis sie schließlich verschwanden. „Gut gemacht“, dröhnte die Stimme von El Dzambira, „Nur durch deine überaus edlen Gründe ist es dir gelungen, den Geist mit einem Schwert zu töten. In derselben Sekunde hast du auch alle anderen Geister auf Erden getötet. Ich bin in Wahrheit die Göttin der Ewigen Gerechtigkeit und verlasse nun meine sterbliche Hülle!“ Mit einem Seufzer fiel ihre Schönheit von ihr ab, und da stand nur noch eine alte, graue Elefantin. Ihre Augen waren stumpf wie alle Tieraugen und sprechen konnte sie auch nicht mehr. Da ging der Maharadscha nach Hause und wurde ein berühmter Buddha, zu dem viele Menschen pilgerten. Bestimmt ist er in seinem nächsten Leben ein weißer Elefant geworden.

 

Anmerkung: dieses Märchen (denn das ist es ja letztendlich) habe ich mit 17 Jahren verfasst für meine Schwester. Inspiriert von der Zeichnung auf einem Umwelt-Briefpapier, und noch ohne mich näher mit Buddhismus beschäftigt zu haben. Die fernöstliche Philosophie hat mich aber schon damals dank Hesse etc. fasziniert. Bitte um Eure ehrliche Kritik! Frohe Ostern! venusBonn

 

Auf Wunsch des Autors von "Philosophisches" hierher verschoben.

 

Hi Venus,

dieses Märchen (denn das ist es ja letztendlich) habe ich mit 17 Jahren verfasst für meine Schwester.

Sei mir nicht böse, aber es kommt mir so vor, als sei die Geschichte seit dem nicht mehr überarbeitet worden (und damit meine ich nicht nur die Rechtschreibfehler). Ich habe in andere Geschichten von Dir reingelsen und fand diese flüssiger

Einige Sätze sind mir deutlich zu lange und gerade bei der wörtlichen Rede würde ich den einen oder anderen Absatz machen.

Es gibt an ein paar Stellen längere Phasen, in dem ein Charakter spricht. Das würde ich mit Zwischenfragen aufockern

Grundsätzlich solltest Du Dir überlegen, ob das hier eine Kindergeschichte ist (dann gehört es in die entsprechende Rubrik) oder eine Story für ältere Leser.
In erstem Fall, ist die geschichte teilweise zu scher verdaulich und sollte einfacher und dafür flüssiger geschrieben sein.

Bei einer Erwachsenengeschichte würde mich z. B. der Guten-Mondschein-See-Geist stören, der eher zu einer Kindergeschichte passt. Auch ein paar andere Stellen sind mir definitiv zu "niedlich"

Grüße
Jörg

 

Hallo Jörg,

du hast recht, als Kindergeschichte ist es nicht geeignet. Was den langen Satzbau und die Monologe angeht, das soll ein Stilmittel sein, wie es oft in echten, alten Märchen vorkommt (siehe Grimm, die waren auch nicht für Kinder gedacht), ebenso viele Wiederholungen von Formulierungen. Es soll so einen altmodischen Stil haben.
Ein Freund von mir, der auch andere geschichten von mir gelesen hatte, meinte im Gegenteil, es sei "flüssig und gut zu lesen".

Ich lasse es einfach so. Man braucht eben manchmal Geduld beim Lesen, nicht alles ist eine Action-Fantasy Geschichte (und wenn ich dran denke, wie umständlich der Herr der Ringe geschrieben war, trotzdem habe ich alle Bände verschlungen...)
LG venusBonn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi nochmal,

du hast recht, als Kindergeschichte ist es nicht geeignet

Sagtest Du nicht, Du hast sie für Deine Schwester geschrieben? Wie alt war die denn damals?

mein Problem ist, dass ich bei Sätzen wie diesen:

Es war einmal ein reicher Maharadscha, der hatte alles, was er sich nur wünschen konnte: eine wunderschöne Frau, die kam aus der Königsfamilie von Siam, zwei tapfere, gutaussehende und kluge Söhne, eine Tochter, die so sanft und schillernd war in ihrer Schönheit wie ein Kolibri, 10 weiße und 50 andere Elefanten, edle Araberpferde und feurige Mongolenponys, den schönsten Palast weit und breit mit einem Teich, in dem ein guter Geist wohnte, der ihn und seine Familie auf allen Wegen beschützte, einen Zoo, der so seltene Tiere hatte, dass sogar der Kalif Harun Al Raschid von Persien eigens nach Indien gereist kam, um ihn sich anzusehen, und der Besitz dieses Maharadschas, der übrigens selber mit allen guten Gaben ausgestattet war und ein vortrefflicher Jäger war, umschloss alle Landschaften Indiens, von der Wüste über karges Gebirge bis zum tropischen Wald, so groß war er.

am Ende des Satzes vergessen habe, was am Anfang stand. Das ist einfach ein absoluter Killer. Am Beginn einer Story könnte es sein, dass der ein oder andere Leser deswegen nicht weiter liest.

Der Gute-Mondschein-See-Geist hatte jedoch mit seiner letzten Zauberkraft den Blauen-Puma-Geist dazu verdammt, dass er nur von obengenanntem Mondschein leben könne, worauf die Göttin der Ewigen Gerechtigkeit eingriff und wiederum den Guten-Mondschein-See-Geist dazu verzauberte, dass er nur weiterleben könne, solange er dem Blauen-Puma-Geist auf ewig die goldene Lotusblüte zur Verfügung stellte

Für mich auch ein absolutes Satzmonstum. Und was die Wiederholungen angeht, finde ich 2 x gute-Mondschein-See-Geist und 2 x Blauen-Uma-Geist in einem Satz echt zuviel. Märchen hin oder her. Das findest Du nirgendwo. Auch nicht bei HdR.

Du musst Dich entscheiden. Willst Du eine Geschichte in "altem Stil", oder eine Geschichte, die andere gerne lesen wollen :dozey:

Grüße
Jörg

 

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