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Der eiserne Zyklop

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01.05.2009
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Der eiserne Zyklop

Nässe rinnt die Tunnelwände herab, tropft von der Decke auf rußgeschwärztes Eisen. Die Zugmaschine ist von öligen Verbrennungsrückständen überzogen wie von einem stacheligen Pelz, zwei Scheinwerfer ihres Dreilichtes sind zersplittert. Hinter ihr ragen Metallstreben der ausgebrannten Waggons wie zerborstene Rippen in die Dunkelheit. Ein Tunneleinsturz hat ihr das Rückgrat gebrochen und die hintersten Wagen zerschmettert unter Tonnen von Gestein begraben. Pt 47-65 steht direkt hinter dem Tunnelausgang, vor ihr überwuchern Gräser und Flechten die Gleise, neigt sich ein Birkenwäldchen im Wind. Die Lokomotive wartet. Im Dämmerlicht glimmt ihre rechte Lampe auf wie ein verirrter Glühkäfer.


Als Janek Żagań ins Büro des Bahnhofsvorstehers gerufen wurde, schlug sein Herz vor Freude schneller: Er wird eine Prämie bekommen, eine Auszeichnung für fünfundvierzig Jahre im Dienst der Eisenbahn. Vielleicht den Vorruhestand, worauf er sich in seinem Geburtsort am Fuße des Tatra-Gebirges eine kleine Hütte suchen und den Lebensabend in der Nähe seiner ersten Dienststelle verbringen würde. Er riss die Tür auf ohne anzuklopfen und stürzte ins Büro.
Der Vorsteher jedoch sah ihn ernst an. „Janek, alter Kollege“, seufzte er. „Die Stelleneinsparungen, Redundanzen … Nun, um es kurz zu machen: In Wolsztyn benötigt man einen Gleiswächter, aber hier … Es tut mir leid.“
Den Namen des kleinen Bahnhofs hatte Żagań nie zuvor gehört und der Gedanke daran, die letzten vierzehn Monate seines Dienstes an einem solch entlegenen Ort zu verrichten, erfüllte ihn mit Hoffnungslosigkeit. Er löste seinen bescheidenen Hausstand auf, ließ ein paar Möbel und Gebrauchsgegenstände verladen und bestieg den Zug. Wolsztyn – Stara Kopernia stand als Ziel auf dem Laufschild.

Entgegen seiner Befürchtungen erwies sich nicht nur der Bahnhof, sondern auch sein abseits gelegenes Wächterhäuschen als heimelige Einöde, die Kollegen nahmen ihn überaus freundlich auf. Die Halbtagsstelle erlaubte es, seine Behausung zu renovieren, und er fand sogar die Zeit, ein ungenutztes Nebengleis, das davor entlangführte, von Grasbewuchs und Rost zu befreien. Mit seinem geschlossenen Stellwerk und der eingleisigen Strecke, auf der alle paar Tage ein Zug durchfuhr, hatte der neue Gleiswächter nicht viel zu überwachen – und dennoch hielten er und seine Kollegen mit viel Liebe alles so in Schuss, wie es einem Hauptbahnhof zur Ehre gereicht hätte.

Als die ersten diesigen Herbsttage anbrachen, Nebel ins Tal kroch, entfachte Żagań Feuer in einer ausgedienten Öltonne, setzte sich mit einem Starka oder Dunkelbier zu den alten Bahnwärtern, Lokführern und Heizern, lauschte ihren Heldentaten und Schauermärchen, nickte gelegentlich dabei ein und wurde so – ohne es zu merken – ein stummer Teil ihrer Legenden.
„Nicht mehr lange“, pflegten sie zu sagen. „Nicht mehr lange und auch diese Station wird geschlossen, die Strecke dem Vergessen anheimfallen. Nur noch die dunklen Hänge der Schlucht werden über die verlassenen Gleise wachen.“
An diesem Abend erwähnte der alte Lokführer beinahe flüsternd eine katastrophale Kollision, die sich auf dem Streckenabschnitt unweit von Żagańs Häuschen ereignet hatte: Vor zehn Jahren war ein voll besetzter Passagierzug in einen Güterwagen gerast – ein falsch gesetztes Signal hatte das Nebengleis freigegeben, auf dem der Passagierzug rangierte. Beide Lokomotiven wurden vom Aufprall von den Schienen geschleudert, dann ließ die Gasbeleuchtung alles in Flammen aufgehen. Es gab fast einhundert Tote, die Aufräumarbeiten dauerten mehrere Wochen und nur eine der beiden Loks konnte wieder eingesetzt werden. Die andere – schwarz verrußt und vom Inferno gleichsam skelettiert – wurde in einem aufgegebenen Tunnel untergestellt. Die Bahnleitung hatte verlauten lassen, man wolle die Lok restaurieren, zumindest ihr Eisen einschmelzen, doch die Arbeiten wurden nie begonnen. Schließlich brach ein Tunnelabschnitt ein und die Stadtverwaltung hielt es für das Beste, den Zug der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Nachdem der Lokführer geendet hatte, wurde nicht wie üblich der Starka herumgereicht, die Männer saßen in tiefem Schweigen da, jeder seinen Erinnerungen nachhängend. Żagań wurde angesteckt von dieser Trauer und den lebendigen Bildern der Katastrophe, die der Bericht in ihm heraufbeschwor. Er bedankte sich schließlich leise beim Erzähler, legte ihm die Hand auf die Schulter und verabschiedete sich zur Nacht.

Żagań hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in der Dämmerung an den Schienen entlang nach Hause zu laufen und dort – in einen Wintermantel gewickelt – auf einem Streckenstein eine Pfeife zu rauchen. Die Geschichten der alten Eisenbahner setzten sich immer stärker in seinem Gemüt fest. Er ließ seinen Blick über die Hänge schweifen und meinte, weit über sich einen Feuerschein auszumachen, der den Dunst rötlich färbte und den Wald als Silhouette hervortreten ließ. Als er ins Häuschen eilte, um sein Fernglas zu holen, erlosch das seltsame Licht.
Żagań verließ die Kollegen am folgenden Nachmittag unter einem Vorwand und legte sich auf die Lauer. Er wurde belohnt: Wieder glühte der Abenddunst wie von einer Lohe und der alte Streckenwärter meinte, hinter dem Feuerschein eine Höhle ausmachen zu können. Lange fand er keinen Schlaf und plante, am nächsten freien Tag eine Wanderung den Hang hinauf zu unternehmen – dort oben musste einfach die verunglückte Zugmaschine stehen! Es gab keine natürliche Erklärung für dieses Phänomen, so spät im Herbst, mit Feuchtigkeit und Nebel. Was, wenn die Vergangenheit ihn heimsuchte wie ein Gespenst? Er mochte sich schelten, dass die Legenden der Eisenbahner seine Phantasie beflügelten, wie Seemannsgarn die Schiffer ängstigen mag. Und doch konnte er es kaum erwarten, den Berg nach verlassenen Schienensträngen und dem aufgegebenen Tunnel abzusuchen. Seinen Kollegen gegenüber verschwieg er seine Gedanken.

Am Samstagmorgen rüstet sich Żagań mit Rucksack, Lampe und Fernglas aus, immer den Hügel im Blick, mögliche Spuren einer ehemaligen Strecke, die sich durch ihre menschgemachten Linien offenbaren müssten. Er rechnet den Vormittag für den Aufstieg ein, doch schreitet er so zügig aus – getrieben von der Hoffnung, die geheimnisvollen Überbleibsel der Katastrophe zu finden –, dass er bereits nach zwei Stunden auf einen überwucherten Schienenstrang stößt. Das verrostete Metall führt den Hang hinauf, und in den Lücken, wo Schrotthändler die Gleise abmontiert haben mussten, weist ihm eine Schneise die Richtung. Er ist sicher, der Unglückszug rufe ihn – nur ihn, denn die Kollegen, die die Kollision selbst gesehen hatten, erwähnten keinen verdächtigen Feuerschein oben am Berg. Żagań flüstert zu sich selbst: „Sie alle eint dieses Unglück, nur ich, der nun zu ihrem Kreis gehört, habe es nicht gesehen … Dies ist nicht irgendeine Strecke, die bald aufgegeben, demontiert und verlassen sein wird, und die Stara Kopernia nicht irgendein Tal, das verödet daliegen wird, nur noch vom Wind und dem Regen besucht. Der Platz und der Zug sind eins, und sie wollen in den Köpfen der Menschen fortleben. Oder … sie suchen sich die alten Eisenbahner, mit denen sie endlich sterben können.“ Er ist so versunken in seinen phantastischen Theorien, dass er beinahe über einen Birkenast gestolpert wäre, der über den Schienen liegt.

Hinter schlanken Baumstämmen und Wildgras klafft dunkel der Tunnel. Und schwarz vor dem Schwarz kann Żagań die Umrisse einer Zugmaschine erkennen.
Er stürzt vorwärts, wirft Rucksack und Kompass ins Gras, reißt im Laufen die Lampe aus der Manteltasche – und hält inne. Vor ihm ragt das eiserne Ungeheuer auf: ein kurzer Schlot, Rauchkammer, Schneeräumer, zwei massive Pufferteller und über allem liegt – wie eingebrannt – eine dicke Schicht Ruß. Żagań hebt die Hand und legt sie ehrfürchtig an das Metall. Erst nach einer Weile meint er, Erlaubnis zu erhalten, den Tunnel zu betreten und seine Laterne anzuschalten. Er wagt es kaum, hörbar aufzutreten, als er sich am Kessel vorbeischiebt. Im Führerstand sind alle Fenster zerborsten, die Kabine gähnt dunkel wie ein verlassener Bunker, ebenso lichtlos wie der eingestürzte Tunnel dahinter. Żagań entzündet seine Laterne, klettert den steilen Tritt hinauf und leuchtet den engen Raum ab. Durch die Fensterhöhlen streicht feuchtkalter Wind, trägt den Duft des Birkenwaldes mit sich, den regennasser Erde und etwas, das ihn an verzweigte Höhlensysteme erinnert: Mineralien und kalkiges Kondenswasser. Über allem aber liegt der Geruch öligen Rußes, verbrannten Holzes, verschmorter Leitungen. Rußpartikel tanzen im Lichtkegel, möglicherweise von seinen Schritten hochgewirbelt, denn er hat weder Rahmen noch Wände berührt. Żagań hustet, schmeckt Asche. Er hebt die Laterne höher, für einen Moment überzeugt, etwas außer ihm müsste die winzigen Metallplättchen abgestreift haben.

Alles, was im Führerstand noch zu erkennen ist, sind die Rahmen eines Sitzes, Schraubventile und Schalthebel. Auf dem Boden liegt undefinierbares Gerät, zerbrochen, geschmolzen, zu bizarren Formen verdreht. Er wendet sich dem Kohlenkasten zu, von dessen Klappe nichts zu sehen ist. Beugt sich vor, als etwas Helles im Lampenschein aufleuchtet. Er hängt die Laterne an ein abgebrochenes Scharnier und kniet sich vor die Öffnung: Inmitten von kalzinierten Briketts liegen lose Papiere – fast alle sind verbrannt, doch einige nur verfärbt. Er hält kurz inne, bevor er eines davon mit den Fingerspitzen aufnimmt und herauszieht. Es wird doch niemand den Aufstieg zum Tunnel unternommen haben, um ein Tagebuch oder Briefe zu verbrennen, fragt er sich selbst und schilt sich gleichzeitig einen Narren. Andererseits: Papier hätte keine Feuersbrunst überstanden, die ganze Holzwaggons auffraß. Behutsam hebt er das aschfarbene Blatt zum Licht, erkennt eine alte Handschrift, ihre Tinte so schwarz, dass er einige Worte sogar an den verkohlten Stellen entziffern kann: der Antrieb … sonderbar … violett … eine Kraft reißt alles mit sich …
Das Papier zerbröselt unter seinen Fingern und driftet zu Boden. Żagań befreit vorsichtig ein weiteres. Vaters Beerdigung …nd die Soldaten … so viel Blut … wie ein Kugelblitz durchschlä… Mehr ist nicht zu erkennen. Er legt das gewellte Blatt sorgfältig zur Seite, hebt ein drittes hoch. …das Mädchen darf nicht … Herberge … Steinhaven … die Brücke über dem Tal soll nicht … Florek und das Ande…
Die Laterne flackert. Erlischt.
Der alte Bahnwächter zieht sich an einem Ventil hoch, wischt sich schartige Metallsplitter am Mantel ab und klettert die Stufen hinunter aufs Gleis. Das Herz hämmert ihm gegen die Rippen, er bekommt kaum Luft und fühlt doch einen Zwang, keine Furcht zu zeigen. Nicht aus dem Tunnel ins Freie zu stürzen und hinunter ins Tal. Draußen erwartet ihn kein Tageslicht, sondern das Indigo der Abenddämmerung. Wind peitscht die Äste, trägt ein leises Heulen und Pfeifen aus dem Tunnel. Żagań stolpert, fällt auf die Knie. Als er sich wieder aufrichten will, sieht er eine Reflexion von den Schienensträngen aufblitzen. Er schaut auf – die rechte Lampe der Lokomotive glüht aus der Dunkelheit hervor. Der schwache, gelbe Schein wird gleich darauf verdunkelt von dichten Schwaden, die an der Zugmaschine vorbei aus dem Tunnel rollen. Żagań hustet, kriecht auf Händen und Knien rückwärts, gebannt von der geisterhaften Erscheinung und beinahe überzeugt, einer Halluzination zu erliegen.

Aus der Tiefe des Tunnels glüht oranger Feuerschein und hebt die Lok als Schattenriss hervor, das Fauchen und Tosen eines Infernos schluckt alle anderen Geräusche, eine Hitzewelle kräuselt das hohe Gras. Bevor Żagań aufstehen, weglaufen kann, schießt eine Flammenzunge über die Zugmaschine hinweg nach draußen, leckt am Tunnelbogen und den Bäumen darüber. Im Innern birst Stein, Eisen knirscht und knackt, Hitze entzündet das Rauchgas, lässt die Rußwolken schwarz und rot-orange aufglühen. Der alte Eisenbahner sieht noch, wie eine Dampfwolke aus dem Schlot der Lok schießt, sich vor der Lohe in die Höhe schraubt, dann wirft er sich flach aufs Gleis, die Arme über den Kopf gelegt. Er meint, über dem Grollen des Feuers Metall auf Metall schlagen zu hören – wie Stangen an Kolben, dann erbeben die Schienen unter ihm.

 
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Hallo @deserted-monkey und @Rainbow Runner ,

ganz, ganz herzlichen Dank für eure Rückmeldungen! Ich habe mich sehr gefreut und: Ja, ich hör Lob auch gerne, weil es einfach eine riesige Motivation ist.

Ebenso die verunglückte Lok, die ich durch die gelungenen, optischen Beschreibungen und der Personifizierung ebenfalls als eine Art Protagonistin wahrnehme.
Cool, sehr cool - speaking of Motivation: Das ist super nicht nur für diesen Text, ich hab das in anderen nämlich weitergemacht und plane einen Roman mit einem Gebäude als Hauptprota (der andere ist ein Mensch). Es ist ein Balanceakt, hier möglichst nicht zu auffällig vermenschlicht zu schreiben (eben eher gedacht eisenbahnig oder gebäudig) und andererseits aber die 'Haltung/Emotionen' des Dinges doch noch rausbringen. Sehr gut, wenn das hier geklappt hat, das kann man als Ersteller ja nicht erkennen.

Ich bin sofort im Setting und in der Geschichte drin.
Ah, auch sehr cool, danke für dein Lob. Ich lese oft von einer ablehnenden Haltung gegenüber Prologen (auch bei Romanen), aber mache das sehr gern, hehe.
Mmh, entweder habe ich das nicht mitgeschnitten oder verstehe etwas nicht, aber über Zagans Vergangenheit weiss ich ja eigentlich nichts [EDIT: Ok, er ist/war Eisenbahner, irgendwie habe ich wohl zu weit (oder zu wenig ;-)) überlegt], weshalb ich das nicht so recht zuordnen kann. Wieso erinnert ihn das Glühen, das Lohen in der Dämmerung an seine Vergangenheit? Mir fehlt da etwas Kontext, aber ich nehme an, das ist extra so, weil Du sehr genau arbeitest und das nur beabsichtigt sein kann, dass ich mir hier selbst was überlegen soll und es deshalb nur angedeutet wird.
Sowas sehe ich immer als Verschulden des Erstellers - ich sag mal dennoch: Es geht um die Vergangenheit des Ortes, nicht des Protas. Ein Spuk kommt ja eher von außerhalb der Person, die ihn erlebt.

Ich hab es deswegen etwas penetrant deutlich ausbuchstabiert, weil es ein außertextlicher Marker für Hauntology ist. Schrägerweise zieht sich dieses Prinzip ganz explizit durch Grabinskis Geschichten (wenn mich nicht alles täuscht, auch einmal so ähnlich direkt gesagt), noch einige Jahrzehnte, bevor Jacques Derrida diese spekulative Philosophie formulierte. Mich hat das Konzept massiv beeinflusst (kenne es wesentlich länger als Grabinski).

Ich kenne mich mit Schiffern, Schiffen und Seemannsgarn nicht aus, aber sind sich die Schiffer das Seemannsgarn nicht gewöhnt und haben deshalb keine Angst (mehr) vor solchen Erzählungen? Tun es vielleicht mit einem Lächeln und Kopfschütteln ab? Aber wie gesagt, kann gut sein, dass ich da einfach zu wenig von verstehe.
Du wirst lachen: Ich hab knapp drei jahre als Matrose auf niederländischen Großseglern gearbeitet und selbst bei den rationalisten Materialisten spielt das tatsächlich heute noch eine Rolle. Und zwar wirklich im Sinne von: echte Befürchtungen / Angst.
Unter'm Strich wäre es aber egal, ob es das damals so gab oder heute noch gibt, ich hoffte, es wäre auch ein griffiger Vergleich.

P.S. Das hat man heute nicht nur auf See, sondern auch in anderen potenziell lebensbedrohlichen Situationen. Ganz extrem zugespitzt kann ich auf mein aktuelles Profilbild verweisen: The Ghost of Kyiv. Das ist eine ausgewachsene urbane Legende, der man direkt live beim Entstehen zuschauen konnte (in den ersten drei, vier Wochen des Krieges). Hier auch: Saint Javelin. Ob an den Geisterpiloten, der ja bissl nach dem Once And Future King -Prinzip (Artus in seinem Hügel) funktionierte, wirklich jemand geglaubt hat, ist dabei nicht so relevant wie die Funktion, die er hat/te.

Geschmackssache: 'schwarz vor dem Schwarz' gefällt mir als Formulierung nicht so wirklich.
Ich hab schon die ganze Zeit gewartet, bis mir das um die Ohren fliegt - es ist letztlich auch die Stimme der Autorin, nicht des Erzählers. Den darling kille ich allerdings nicht. :shy: Was ich gern wecken würde, sind die verschiedenen Abstufungen von Schwarz, die Haptik (Samt vs Plastik vs pigmentierter Beton z. B. was alles Licht auf verschiedene Weise schluckt). Aber ja, ich sehe deinen Punkt!

Sehr pingelig: Die Wiederholung von 'riss' finde ich nicht so prickelnd.
Oha, fuck, absolut. Eigentlich ist der Umriss ja auch eh das, was den Schattenriss ausmacht. :drool: Wird gestrichen, danke, super Auge!
Wieso legt er sich aufs Gleis? Wird ja gleich überrollt, der Arme. Ich hätte ihn gar nicht so lebensmüde eingeschätzt. Aber vielleicht ist mir auch hier etwas entgangen?
Ich würde jetzt glatt auf Rainbow Runners Komm verweisen - keines(!!)falls, um zu sagen: andere sehen es; sondern weil ich als Erstellerin es dann nicht selbst beantworte.
Meine erste Idee war, dass Zagan als verbrannte, aufrecht kniende Leiche gefunden wird. Aber dann wird das Paranormale ganz konkret (Zeugen) und es wäre ein Rauszoomen ähnlich einem nachgeschobenen Zeitungsartikel, was ich beides nicht mag.

Hier ist sein Tod eher impliziert - wenn keine Zeit bleibt oder man das zumindest denkt, ist es vllt. günstiger, sich zwischen den Schienen flach auf die Gleise zu legen. Dass er auch teils direkt auf den Schienen liegt, hab ich daher ganz an den Schluss geschoben.

Vielen lieben Dank, ich habe mich echt riesig über deinen Besuch, auch die Fragen und Korrekturen gefreut!

Moin moin @Rainbow Runner ,

vielen Dank, klasse, Riesenfreude - nicht zuletzt auch über das grandiose Comic bzw. diesen Autoren-Tipp!

In der Schauerliteratur bin ich aber ansonsten gerne zuhause. Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich deine Geschichte in dieser Richtung verorte, aber sie wirkte diesbezüglich sehr klassisch auf mich.
Absolut, passt!
Grabinski ist so schräg wie Bruno Schulz, aber von Aufbau / Ordnung und der Psychologie her wie Sheridan Le Fanu. Letztlich hat er aber mit der spekulativen Mythologisierung (und ab & zu auch Problematisierung) der Eisenbahn / Motorisierung ein Alleinstellungsmerkmal. Man könnte da zudem nach Georg Heyms "Der Gott der Stadt" / "Die Dämonen der Stadt" schielen - Grabinskis Eisenbahnzyklus hieß auch Demon ruchu = Der Dämon der Bewegung (bzw. ... der Geschwindigkeit).

Darüber hinaus hatten alle mehr oder weniger in den Büchern von Poe und Hoffmann. Vielleicht ja auch Grabinski?
Ja, Grabinski kannte Poe und wurde wohl damals bereits "Der polnische Poe" genannt (heute auch "der polnische Lovecraft"), wogegen er sich aber wehrte, weil er Poe schätzte und anderseits auch kein Nachahmer sein wollte. Ich denke, Poe gleicht mit seiner ständigen Moral von der Geschicht / poetic justice auch viel mehr Dickens; Grabinski moralisiert nie deutlich, es geht eher um Individuen, Manien.

Dieses Dunkle, dass hier zwischen den Zeilen schwappt, hat mich dann auch an Lovecraft erinnert.
Sehr cool, ich lese Lovecraft seit Kindheit - das ist ein mega Kompliment. Ich sehe sogar einen von keinem Autor intendierten Vergleich zwischen "Shadow Over Innsmouth" und Gabinskis "Die Ballade vom Tunnelmaulwurf" (Feuersignale, s.u.), aber echte Lovecraft-Kenner (dLG) können mir da wohl teils nicht ganz folgen *gn*.
Äh, sorry, ich werd stark nerdig bei diesen Themen. :bla:

Alle sind Teil einer sterbenden Welt. Sie selbst sind älter geworden. Aber vor allem werden sie vom rasanten Fortschritt der sie umgebenden Welt fortgespült. Keine Zeit mehr für Dampflokomotiven, für Bahnwärter und märchenhafte Bahnhöfe.
Ja, ganz genau so war es gemeint. Ich weiß, man erreicht nie alle Leser und es ist dann nie Schuld des Lesers, aber ist selbstverständlich extrem cool, wenn es auch Leser gibt, die es auffassen wie gedacht.
Hier wird es zu konkret für mich. Das ist vielleicht der einzige Satz, den ich streichen würde. Als Leser hatte ich diesen Gedanken ohnehin schon im Kopf.
Ah, ja, verstehe - genau das hat Deserted Monkey auch angemarkert.
Zum einen ist es ein außertextlicher Fingerzeig auf Derridas Konzept der Hauntology (ist das elegant? keinen Plan!). Zum anderen hab ich mir dank Textkritiken / Lektoraten angewöhnt, eingangs sowie ab und zu im Text einen Orientierungspunkt zu setzen, so Art Sie befinden sich hier. Durch die fehlenden Nachfragen wie 'Was passiert eigentlich?' einerseits und die Bemerkungen 'Raus damit, sehe ich selbst' andererseits versuche ich, die äußeren Grenzen dessen abzustecken. Hier lasse ich es drin, ist aber sicher immer mal hit & miss.

Wieder der Kernpunkt. Die alten Zeiten sind vorbei. Der arme Żagań hat nichts als seinen (bald überflüssigen) Beruf und die nicht sehr tiefen Beziehungen zu seinen Kollegen. Er ist genauso ausrangiert wie die Lokomotive. Kein Wunder, dass er ihren Ruf hört. Ja, sich sogar danach sehnt.
Sehr cool, wie du das beschreibst, oder spiegelst, muss ich fast sagen (wenn ich in meinen Kopf schaue und die Planung angucke :-)).

Die Briefe können natürlich auf viele Dinge verweisen. Mir gefällt aber der Gedanke am besten, dass hier quasi die Opfer der Katastrophe noch einmal sprechen dürfen. Und auch andere Tote (Deshalb das Wort Krieg). Die Lokomotive und das Gleis als Symbol für die Reise ins Totenreich.
Das ist richtig geil, weil ich nie damit gerechnet hätte, dass diese Notizfetzen außerhalb des Kontextes (dies ist ein Prosavorwort zur Anthologie) funktioniert. Sehr, sehr cool!
Ich hab den groben Plot von meiner Grabinski-Lieblingsgeschichte in dem Band genommen ("Der verlassene Ort", wörtl. übersetzt: Der taube Raum) und dann einen anderen Konflikt plus bei diesen Zetteln hier aus jeder einzelnen der aktuell verfassten Geschichten ein Motiv / Aspekt genommen, manchmal auch nur den Titel. Der Platz reichte nicht für ein echtes Vorwort plus eigene Hommage-Geschichte, da hab ichs kombiniert.

Und da haben wir es. Żagań sieht seinem Ende entgegen. Und doch ist es ein besserer Abgang für ihn. Anstatt einsam zu verblassen wird er von dem getötet, dass er am meisten liebte: Der Eisenbahn.
Das war meine Idee. :gelb:

Nicht nur das erinnert mich auch stark an die grandiose Graphic Novel ,,Alois Nebel‘‘, die kongenial verfilmt wurde.
Oh Mann, krassest, das kannte ich nicht und das ist ja sowas von meine Tasse Tee! Den Film hab ich schon zum Mieten online gefunden und das Comic werde ich als eBook kaufen, Winterbergs letzte Reise hab ich gestern bestellt. Drei Epochen parallel und teils nicht verortet, das klingt ganz nach meinem Ding. Danke!!
Und auch für das Lob, das ist ja was zum über-den-Schreibtisch-hängen-für-schlechte-Zeiten. :gelb::gelb:

Vielen lieben Dank, ich freue mich!

Ich ziehe mal was raus, das nix mit Textarbeit, aber dieser Geschichte zu tun hat. Hoffentlich ist das okay - ist wirklich weniger als Eigenwerbung, sondern als nerdiger Enthusiasmus gemeint.

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Ich bin auch schon auf diesen Grabinski gestossen, habe sogar ein Buch von ihm, soweit ich weiss und da noch den Überblick habe (:D), aber bisher noch nichts von ihm gelesen
Obwohl ich als West-Teenie auch Phantastik/SF aus dem Verlag Neues Berlin bzw. Volk und Welt sowie Suhrkamp / Insel hatte, war mir Grabinski irgendwie durchgerutscht, ich kenne ihn auch erst seit einigen Jahren.

Empfehle aber mit Nachdruck: Das graue Zimmer bei Volk & Welt und eben nicht die Sammlungen bei Suhrkamp oder Insel. Beide letzteren übersetzten in Polen posthum stark gekürzte / modernisierte Fassungen und kürzten nach dem Vorbild selbst. Gestrichen wurden v.a. Landschafts- und Stimmungsbeschreibungen, das klingt alles nicht mehr.

Dieser Umstand war auch der Anstoss zu meiner Hommage-Anthologie, zu der diese Geschichte das Prosavorwort stellt - dort haben wir vier originale Grabinski-Geschichten zum ersten Mal übersetzt, und zwei davon gehören auch zu meinen liebsten des Autors überhaupt. Falls es okay ist, verlinke ich das mal: Feuersignale - Hommage à Stefan Grabinski (Hrsg. yours truly) plus einen Themenband aus dem Jahr davor, für den ich auch drei Texte beigetragen habe (einen Sachtext zu Grabinski bzw. der deutschen Publikationshistorie, ein erstes Pastiche mit bissl mehr Tempo als hier und eine Rezi): Cthulhu Libria Neo 2 - Horror in Eisenbahnen (Hrsg. Jörg Kleudgen). Beide auch als eBook.
Aber wie gesagt: Allen voran Das Graue Zimmer, erhältlich bei Booklooker für ein paar Euro (drauf achten, dass der wunderschöne Umschlag dabei ist).

Grabinski war lange Jahre direkt nach seinem Tod vergessen, schon zu Lebzeiten galt ein Teil seines Werkes als veraltet (was mit heutigem Blick nicht mehr so gesehen wird). Mein Verlag deutete auch an, Interesse an dem gesamten Demon ruchu zu haben, wobei wir dann die bei Suhrkamp/Insel erschienenen Texte aus dem Original neu übersetzt hätten, wie sie in der polnischen Erstausgaben erschienen, plus einen Nachdruck der Eisenbahngeschichten aus Das graue Zimmer. Letztlich reichte das Budget nicht und die Rechte von einem erloschenen Verlag müsste ich auch recherchieren ... Aber ganz verabschiedet hab ich mich von der Idee noch nicht. Und Immerhin war Feuersignale im Microbereich der Genreverlage ein richtiger Verkaufserfolg.

Wie gesagt, das alles mehr aus Nerdigkeit und zur Verbreitung des Autors, nicht meiner eigenen! Seit meiner Grabinski-Lektüre und einer Fahrt auf Rügen mit dem Rasenden Roland (Schmalspur, aber imA dennoch riesig :-)) hat mich voll das Dampfeisenbahnfieber gepackt. Die Pt 47-65 tauchte inzw. auch in einem anderen Text auf und sicher nicht zum letzten Mal.

Euch beiden eine schöne Woche, vielen Dank für die Kommentare und sorry für mein Übersprudeln beim Thema,
Katla

 

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