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Der Fall Simon

Monster-WG
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18.06.2015
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Der Fall Simon

Simon, so heißt der junge Mann? Bitte entschuldigt, er sitzt nicht in meinen Klassen, ich kenne ihn nicht und das ist gut, denn wir alle lassen uns beeinflussen von Verhalten und Erscheinung, Dingen, die nichts mit Leistung zu tun haben. Nun denn. Wir wissen, dass es so etwas wie eine objektive Notengebung nicht gibt, das weiß jede und jeder, der oder die auch nur einmal darüber nachgedacht oder vielleicht die eine oder andere empirische Studie zum Thema gelesen hat. Wir haben keine exakte Messung vorliegen, vielmehr eine Art verschwommenes Gesamtbild und das Gesamtbild ist ein verdammt knappes Daumen runter, und das bedeutet, dass wir in der Verantwortung stehen. Selbstverständlich sprächen wir nicht über diesen Fall, wenn es ein knappes Daumen hoch wäre, diese Fälle werden ja stets durchgewunken, ein knappes Daumen hoch ist im Grunde ein solides Daumen hoch, ein undiskutables Urteil gewissermaßen, und das würde ich übrigens gerne mal in Frage stellen, wenn uns die Schulleitung die Gelegenheit gäbe und etwas Muße, um genauer darüber nachzudenken, präzise darüber nachzudenken, meine ich, und nicht so lala und es ist doch alles in Ordnung, wenn eine oder einer den geforderten Notenschnitt hat, auch wenn er oder sie nie im Unterricht aufkreuzt und bei der einen oder beim anderen von uns - ich sehe niemanden an, ich hebe den Kopf und blicke an die Decke - eine gute Vortragsnote erschnorrt hat, mit Dackelblick oder Babyrobbenblick oder was unsere Schülerinnen und Schüler sonst noch alles drauf haben.
Pusten wir unter dieses nicht ganz unbeschriebene, aber doch leidlich dünne Blatt Papier und heben es an? Es braucht ja nicht viel, eine halbe Note reicht aus, vielleicht in Französisch oder in Geschichte. Sind das exakte Wissenschaften? Nein. Ist Notengebung eine exakte Wissenschaft? Genauso wenig. Da wäre nichts gebogen oder gebrochen, da fielen uns nicht reihenweise die Zacken aus den Kronen, wenn du zum Beispiel, Severin? In Geschichte? Ich sehe, du nickst, du wärst also bereit. Das ist eine valable Option, nichts spricht dagegen.
Aber.
Wir dürfen an dieser Stelle nicht abbrechen, nicht aufhören nachzudenken. Die Versuchung ist groß, dessen bin ich mir bewusst, denn es änderte ja nichts, es wäre ein Unterlassen, ein Nicht-Tun gewissermaßen. Wir rüttelten nicht am Status quo und griffen nicht in Dinge ein, die sich quasi natürlich entwickelt haben. Weshalb also jetzt auf einmal darüber nachdenken, worin unsere Verantwortung liegen könnte? Kann man verantwortlich sein für das Nicht-Tun? Man kann, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gemeinhin denken wir, Verantwortung zu übernehmen, bestehe darin, sich für eine Handlung zu entscheiden, und - Achtung! - gemeinhin denken wir genau richtig. Die Dinge laufen zu lassen, nichts zu tun, kann das Verantwortungsloseste sein, zu dem Menschen fähig sind, denken wir nur an - aber ich will nicht abschweifen, es ist wichtig, gnadenlos fokussiert zu bleiben, auf den Punkt zu denken und der Punkt liegt eben darin, sich nicht zu drücken, weder vor der Verantwortung noch vor einer Entscheidung und da müssen wir uns die entscheidende Frage stellen, die Frage aller Fragen in diesem zentralen Punkt und sie lautet: Tun wir diesem jungen Mann einen Gefallen, wenn wir ihn weiterhin unsere Schule besuchen lassen?
Denken wir nach. Haben wir alles getan, was wir tun konnten? Johanna? Wie viele Gespräche hast du mit Simon geführt? Die anderen? Ich kann sehen, wie ihr die Augen verdreht und das sagt mir genug. Wir sind ein Gymnasium und unser Auftrag besteht nicht darin, junge Menschen zu erziehen, wir sind keine soziale Institution in diesem Sinne, wir sind keine Therapeutinnen und Therapeuten und keine Animateure, die vor ihrer Klientel den Clown spielen. Und doch haben wir all diese Aufgaben übernommen, obwohl es nicht unsere Aufgabe ist, und zwar weil wir Menschen sind, weil wir an einer Schule arbeiten, die den Ruf, eine menschliche Schule zu sein, nicht umsonst nach außen trägt. Also haben wir alles getan? Wir haben auf alle Fälle mehr getan, als erwartet werden kann, wir sind an Grenzen gegangen, Johanna, darf ich - darf ich erzählen, wie ich dich im Lehrpersonenzimmer angetroffen habe, abends um halb sieben und du hattest Tränen in den Augen, das kann man schon sagen, oder? Vor Erschöpfung und vor Anspannung und vor Hilflosigkeit, und ich weiß nicht mehr, worüber genau wir damals gesprochen haben, aber es ging um den jungen Mann, über den wir hier und jetzt sprechen, und du hast gesagt, du wüsstest nicht mehr weiter. Haben wir alles getan? Wir haben.
So und jetzt, was geschieht, wenn man alles getan hat und nichts hat sich geändert? Gerade so gut könnte ich fragen, was geschieht, wenn man von einer Zwei eine Zwei subtrahiert. Ich kenne Simon nicht und daher kann ich ganz unvoreingenommen sagen, aufgrund meiner Erfahrung, nicht mit diesem konkreten Menschen, aber mit den Menschen im Allgemeinen, mit dem Menschen an sich gewissermaßen, dass dieser junge Mann sein Verhalten niemals ändern wird. Stimmt’s?
Falsch!
Er kann sich ändern, wenn wir ihm die Chance dazu geben, wenn wir die Umstände ändern, wenn wir die Krücken, die Simon womöglich gar nicht braucht, kein gesunder junger Mann braucht Krücken, wenn wir also diese Krücken, auf die er sich stützt, wegschlagen, damit er die Gelegenheit bekommt, endlich die Gelegenheit bekommt, auf eigenen Füßen zu stehen und die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Wenn wir das nicht tun, ich komme zum Ende, es tut mir leid, dass ich so lange geredet habe, aber es musste sein, weil auch ich will meine Verantwortung wahrnehmen. Wenn wir das also nicht täten, wenn wir Simon weiterhin an Krücken gehen ließen, die er gar nicht braucht, wenn Simon also – ich komme zur alles entscheidenden Überlegung - in einem Jahr genau am selben Punkt steht wie jetzt, hätten wir dann unsere Verantwortung wahrgenommen? Wir hätten nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, und ich sehe dich nicken Johanna, und auch dich, Severin, und ich denke, damit ist die Sache geklärt.

 
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Guten Abend @Peeperkorn , was für eine schöne Studie. Ob Kurzgeschichte ist mir gerade egal und Handy plus Badewanne lassen auch erstmal nur ein Statement zu. Die Charakterisierung über den umständlichen Denk und Sprachkontext find ich super durchgezogen. Zugegeben, ein ganzes Buch von dem Erzähler würde ich nicht wollen, aus meiner Sicht ruft das ganz laut nach Perspektivwechsel. Und das tut dieses doch unglaublich umfassende Thema ja auch. Falls das ein Teaser für eine Romanidee ist - Hand hoch, ich lese es!

Morgen dann gerne ein klitzekleines bisschen Textarbeit, aber das waren nur Geschmäckle.
Schön, mal wieder von dir zu lesen.
Viele Grüße
Witch

 

Lieber @Peeperkorn,

dja, nix wird es mit konstruktiver Kritik, denn ein zweites Lesen hat mich einfach nur so durchgespült.

Ich persönlich hätte rein inhaltlich eine Bitte, nämlich das Alter oder die Klassenstufe hinzuzufügen. Denn bei den Sätze zu Simons zu erwartendem Verhalten (Schule Wechseln, Lehre oder herumsitzen kam bei mir automatisch die Frage zur Schulpflicht auf. Zumindest in Deutschland müsste er bis 18 rein danach die Schule (also halt irgendeine) besuchen.

Nur selten erhebt sich eine oder einer, wenn er oder sie etwas sagen möchte, vielleicht weil er oder sie ganz vorne sitzt, mit dem Rücken zu den anderen, oder weil jemand „Lauter bitte!” gerufen hat. Doch das war heute nicht der Fall, weder das eine noch das andere war der Fall, also war das heute ein Novum.
Wie schon in meinem spontanen Erstkommentar - der Typ ist schon eigen in seiner Korrektheit (beiderlei Geschlecht verwenden) und Umständlichkeit. Aber Du hast ihn damit toll charakterisiert, ich sehe ihn vor mir. Folgen möchte ich ihm nicht durch ein Buch, aber nun ist dies hier halt auch ein reiner Monolog, also doppelt schwer.

Selbstverständlich sprächen wir nicht über diesen Fall, wenn es ein knappes Daumen hoch wäre, diese Fälle werden ja stets durchgewunken, ein knappes Daumen hoch ist im Grunde ein solides Daumen hoch, ein undiskutables Urteil gewissermaßen, und das würde ich übrigens gerne mal in Frage stellen, wenn uns die Schulleitung die Gelegenheit gäbe und etwas Muße, um genauer darüber nachzudenken, präzise darüber nachzudenken, meine ich, und nicht so lala und es ist doch alles in Ordnung, wenn eine oder einer den geforderten Notenschnitt hat, auch wenn er oder sie nie im Unterricht aufkreuzt und bei der einen oder beim anderen von uns – ich sehe niemanden an, ich hebe den Kopf und blicke an die Decke – eine gute Vortragsnote erschnorrt hat, mit Dackelblick oder Babyrobbenblick oder was unsere Schülerinnen und Schüler sonst noch alles drauf haben.
Sorry, ich musste ihn zitieren. Das nenne ich mal "Langsatz" und nicht eine Stelle, an der ich nicht folgen kann,

Ich spürte einen leisen Schauer über meinen Rücken kriechen. Kurz schloss ich die Augen, um der Empfindung Raum zu geben, danach setzte ich mich wieder hin.
Gefühlt ist das die erste und einzige Stelle, an der dieser Typ reflektiert. Leider habe ich also keine Ahnung, wie er zu seinem eigenen Gerede steht, kann also den Schauer nicht ganz genau einordnen.

Nimm es also als Leseeindruck, bei einem so routinertem Schreiber hatte ich auch nicht mit Baustellen gerechnet. Ich bin neugierig, was Dich zu diesem Text gebracht hat.

Liebe Grüße
witch

 

Kann man verantwortlich sein für das Nicht-Tun? Man kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.

N’abend,

@Peeperkorn,

nicht das erste Mal, dass Du den hebr. Namen „Simon“ verwendest, der (- sinnigerweise ~ „Gott / Er hat gehört“ kurz „der Erhörte“ bedeutet) und trefflicher kann man einen Fürsprecher kaum darstellen und ich bin froh, dass meine Altvorderen nicht den Rat des Klassenlehrers an der Real-/Mittelschule durchsetzen wollten, mich auf ein Lehramt studieren „zu lassen“. Ich geh davon aus, dass da nackter Realismus (/Naturalismus) dargestellt wird.

Ein paar Flüskes

„Hopp Federer!”[,] rief Patrick, und zwei, drei Kollegen kicherten, doch den Übrigen war inzwischen klar geworden, dass es nichts zu lachen gab, nicht jetzt, da wir über das Schicksal eines jungen Mannes zu entscheiden hatten.
Den „Übrigen“ empfehl ich, Kleinschreibung zu gönnen. M. E. ist es ein nachgestelltes Adjektiv der „übrigen Kollegen“

und ein winziges Komma

Oder aber wir pusten ganz leicht unter dieses nicht ganz unbeschriebene[,] aber doch leidlich dünne Blatt Papier, ….

Ich bin sicher, dass solche "warmherzigen" Samariter gar nicht allzu selten sind, dann aber auch im System anecken, wie es bereits im "Mythos Bildung" ( https://www.wortkrieger.de/threads/mythos-bildung.66871/) dargestellt wird. Als ich in den 80ern in eine Mitarbeitervertretung gewählt wurde und das Ehrenamt ernst nahm, änderte sich schlagartig die Beziehung zum Direktorium des kath. Krankenhauses, das so nebenbei eine eigene Schule für Krankenpflege unterhalten hat (inzwischen ist es vom Land zentraler geregelt).

So viel oder doch wenig für heute vom

Friedel

 
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Liebe @greenwitch

Hab vielen lieben Dank für deine Rückmeldung. Dass ich deinen Abend in der Badewanne unterhaltungstechnisch anreichern konnte, freut mich.

Ob Kurzgeschichte ist mir gerade egal
Da bin ich froh. Habe gezögert, den Text zu posten, aber dann dachte ich mir, dass über den Monolog ja doch einiges an "Geschehen" vermittelt wird.
Zugegeben, ein ganzes Buch von dem Erzähler würde ich nicht wollen,
Gott bewahre! Ist eine Gratwanderung. Wie viel Raum kann man dieser Figur geben? Ich habe mich bemüht, ihn zwar umständlich, aber doch auch mit einer gewissen Eleganz reden zu lassen, sodass das auf diese Strecke erträglich bleibt. Er braucht halt seine Zeit, bis er zum Punkt kommt, und der Weg dahin ist wichtig.
alls das ein Teaser für eine Romanidee ist - Hand hoch, ich lese es!
Nein, nein. Zur Abwechslung mal wieder ein Text, der nur ein Text ist.
Ich persönlich hätte rein inhaltlich eine Bitte, nämlich das Alter oder die Klassenstufe hinzuzufügen. Denn bei den Sätze zu Simons zu erwartendem Verhalten (Schule Wechseln, Lehre oder herumsitzen kam bei mir automatisch die Frage zur Schulpflicht auf. Zumindest in Deutschland müsste er bis 18 rein danach die Schule (also halt irgendeine) besuchen.
Ah, okay. In der Schweiz gilt elf Jahre Schulpflicht, inkl. Kindergarten. Wenn man also wie Simon das zweitletzte Jahr des Gymnasiums nicht besteht, also ungefähr mit 17, muss man keine neue Ausbildung beginnen. Ich habe im Text nun gekennzeichnet, dass ihm noch ein Jahr bis zur Matur fehlt. Merci für den Hinweis.
Das nenne ich mal "Langsatz" und nicht eine Stelle, an der ich nicht folgen kann,
Super. Ich hab mir gedacht, Mensch ist der Satz lang, dann aber gehofft, dass das trotzdem lesbar bleibt.
Gefühlt ist das die erste und einzige Stelle, an der dieser Typ reflektiert. Leider habe ich also keine Ahnung, wie er zu seinem eigenen Gerede steht, kann also den Schauer nicht ganz genau einordnen.
Das ist ein wenig der Clou des Textes, diese Nichteinordnung. Wenn er jetzt sagen könnte, ja, dieses Machtgefühl nach meiner grossartigen Rede, die das Schicksal eines Menschen mitbestimmt, das ist schon was, das kribbelt richtig, dann wäre das m.E. schon zu reflektiert. Würde er das durchschauen, hätte er die Rede wohl gar nicht in dieser Form gehalten. Ich wollte ihn auch nicht völlig desavouieren, die Argumentation ist ja nicht hanebüchen. Für mich repräsentiert er einen Typ Lehrer, für den Leistung, Anspruch, Selbstverantwortung im Zentrum stehen, und das ist ja nicht a priori falsch. Anlass für den Text war eher die Selbstherrlichkeit, mit der solche Ideen manchmal vorgetragen werden, oftmals verknüpft mit einem negativen Menschenbild.

Hat mich sehr gefreut, dass du reingeschaut hast, liebe greenwitch!

Lieber @Friedrichard

ich bin froh, dass meine Altvorderen nicht den Rat des Klassenlehrers an der Real-/Mittelschule durchsetzen wollten, mich auf ein Lehramt studieren „zu lassen“.
Ja, ich wollte ebenfalls nie Lehrer werden, doch als ich es dann geworden bin, hat es mir gefallen und ich habe das Diplom nachgeholt. Jetzt gerade unterrichte ich nur noch aushilfsweise und mit klarem Zeithorizont. Die Arbeit mit jungen, neugierigen Menschen ist aber grundsätzlich noch immer schön und befriedigend, ich bin in einer priviligierten Situation, insofern ich es tatsächlich mit vielen neugierigen Menschen zu tun bekomme und ein Fach unterrichten darf, das vielen Spass macht. Allerdings bin ich nie ein "richtiges" Mitglied eines Lehrerkollegiums gewesen, eines, das täglich in der Mensa der Schule isst, das wäre mir ein Graus.
Ich geh davon aus, dass da nackter Realismus (/Naturalismus) dargestellt wird.
Das nicht gerade, aber allzu viel übertreiben musste ich nicht.
Ich bin sicher, dass solche "warmherzigen" Samariter gar nicht allzu selten sind,
Ja. So ist der Text denn auch nach einer solchen Notenkonferenz entstanden.

Die Fehlerchen sind korrigiert, vielen Dank für die wie immer lupennahe Lektüre, lieber Friedel!

So. Wie entspannt. Am Dienstag posten und am Samstag gemütlich den beiden Leuten antworten, die kommentiert haben. Kein Vergleich zum Stress, den ich hier früher hatte. :D

Lieber Gruss euch beiden
Peeperkorn

 

Hallo @Peeperkorn,

schön, mal wieder was von dir zu lesen. Schön, hier überhaupt mal wieder etwas zu lesen :)

Ich habe einen gewissen persönlichen Bezug zu deiner Geschichte, vermutlich bin ich auch deshalb hängengeblieben. Ich war selbst mal ein Simon, bin also immer noch ein bisschen einer, und vor kurzem ist mir dann das erste Mal seit meiner Schulzeit der Lehrer über den Weg gelaufen, dem ich damals die Entscheidung aufgedrängt habe, die ich selbst nicht so recht treffen wollte. Und nachdem er und einige seiner Kollegen eine ganze Weile die Krücken für mich gemimt haben, hat er sie mir dann zu einem späteren Zeitpunkt einfach weggeschlagen.

Deshalb wusste ich dann bei dem Aufeinandertreffen auch gar nicht, wie ich ihm begegnen soll. Sauer sein, weil er mich armen Simon nicht weiter gestützt hat? Mich dafür bedanken, dass er endlich damit aufgehört hat? Ich habe mich dann für: Nicht weiter darüber nachdenken entschieden, na, bis ich dann deinen Text gelesen habe, der noch mal eine andere Perspektive bietet.

In dem Monolog steckt viel von dem Lehrerbild drin, das mich schon damals irritiert hat, besonders in der Art und Weise, wie da geredet wird, von wo da geredet wird - möglicherweise von ein bisschen zu weit oben, meine ich. Da geht jemand auf in seiner Rede, aber warum? Weil es ihm gefällt, wie er da vor den Kollegen steht, die alle stumm seinem Monolog lauschen? Weil er sich der Macht bewusst ist, die er in diesem Moment hat - eine Note kann für Simons Leben einen großen Unterschied machen. Oder ist es doch so, dass ihm etwas an Simons - stellvertretend für alle Schüler - Wohlergehen liegt? Schwingt man solch leidenschaftliche Reden wirklich nur zu dem Zweck, sich am Abend einen auf das Bild der stumm lauschenden Kollegen runterholen zu können? Möglich. Aber ist das etwas, was einen über Jahre jeden Tag aufs Neue antreibt? Ich weiß nicht. Ich will es nicht glauben.

Damit will ich, mal ab von meinem persönlichen Bezug sagen, dass dein Text für mich in seiner Kürze gut funktioniert, diese Ambivalenz wird deutlich transportiert und schlägt für meinen Geschmack nicht zu stark in eine bestimmte Richtung aus, ja, man kann den Text auf diese oder auf jene Weise lesen und beides wäre richtig und beides wäre falsch: Der Erzähler ist genauso wenig schwarz oder weiß, wie Simon schwarz oder weiß ist.

Für meinen Geschmack passt auch die Länge bzw. Kürze, er ist ja gut schwafelig, der Erzähler - ich hätte sicher schon mit den Fingern auf dem Tisch getrommelt oder mit den Augen gerollt, wenn ich da im Lehrerzimmer sitzen gemusst hätte -, und so bin ich dann auch froh, dass er doch noch halbwegs zeitig zum Ende gekommen ist.

Ja, hat mir Spaß gemacht, mich mit mit dem Text und den Fragen, die er aufwirft, auseinanderzusetzen, und schon, dass er Fragen aufwirft, macht ihn für mein Empfinden lesenswert. Vielen Dank dafür!

Bas

 

Lieber @Peeperkorn ,

zuerst dachte ich: "Naja, Kurzgeschichte?" Irgendwie kam mir das mehr wie eine Erörterung vor. Pädagogische Vorgehensweise in Bezug auf einen schwierigen Schüler. Argumente, eine Art Plädoyer wie in einer Gerichtsverhandlung. Spontan war ich irgendwie unbefriedigt, mir fehlte was.
Du gibst uns kaum Informationen über den Jungen, jedenfalls keine Details. Was wir über Simon erfahren, sind eher distanziert formulierte Allgemeinplätze und Reaktionen aus zweiter Hand. Was für Alternativen oder Möglichkeiten es wirklich für ihn gäbe, kann ich deshalb nicht bedenken. Es geht also um den Lehrer.
Im Nachgang merkte ich, dass ich begann, Ergänzungen auszuprobieren. Ich stellte mir vor, dass er lügt, dass er den Schüler doch kennt und irgendwie ein persönliches Interesse daran hat, dass der von der Schule verwiesen wird.
Dieses hohe Ross, von dem er argumentiert, sein Genuss an seiner geschliffenen Rede, das wurde ja in den Kommentaren und deinen Antworten deutlich, dass ist es wohl, was so Ideen bei mir auslöst. Ich würde ihn gerne von dem Ross runterplumpsen sehen.
Inhaltlich kann ich ihm durchaus folgen. Manchmal ist es besser, einmal richtig vor die Wand zu fahren, um aufzuwachen. Aber das Risiko, dass es noch schlimmer wird, ist auch da und da ist die Eitelkeit dieses Lehrers, der so viel von Verantwortung spricht, unangenehm. Hat irgendwie auch was von einer Politikerrede, dieses Kalkulierte, macht misstrauisch.
Vielleicht ist es das: Da urteilt jemand, der den betroffenen Jungen, nicht kennt, (was er passenderweise als Vorteil sieht) und dem der Junge auch egal ist. Ich frage mich, was seine wahre Intention ist. Immerhin ist es ihm so wichtig, dass er extra aufsteht, was offenbar auch für ihn ungewöhnlich ist. Will er sich für den Schulleiterposten in Stellung bringen? Will er die Kollegin Johanna schützen oder beeindrucken? Hat es was mit seiner Biographie zu tun? Ist es reine Eitelkeit? Hier finde ich aber in deinem Text keinen Haken. Der leichte Schauer am Ende ist schon sehr subtil.
Ich stelle gerade fest, dass ich nicht so viel Neues bringe. Als Figur finde ich den interessant und durch seine Rede gut charakterisiert.

Das ist ein wenig der Clou des Textes, diese Nichteinordnung. Wenn er jetzt sagen könnte, ja, dieses Machtgefühl nach meiner grossartigen Rede, die das Schicksal eines Menschen mitbestimmt, das ist schon was, das kribbelt richtig, dann wäre das m.E. schon zu reflektiert. Würde er das durchschauen, hätte er die Rede wohl gar nicht in dieser Form gehalten. Ich wollte ihn auch nicht völlig desavouieren, die Argumentation ist ja nicht hanebüchen. Für mich repräsentiert er einen Typ Lehrer, für den Leistung, Anspruch, Selbstverantwortung im Zentrum stehen, und das ist ja nicht a priori falsch. Anlass für den Text war eher die Selbstherrlichkeit, mit der solche Ideen manchmal vorgetragen werden, oftmals verknüpft mit einem negativen Menschenbild.
Das löst der Text für mich komplett ein, besonders als FF. Noch interessanter fände ich es halt, wenn jetzt noch was passieren würde, oder gezeigt würde, was ihn in Frage stellt.

War schön mal wieder was von dir zu lesen, lieber Peeperkorn!

Liebe Grüße von Chutney

 
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Salü @Peeperkorn

Das erste, das mir beim Lesen auffällt: Diese schmerzhafte Selbstgefälligkeit. Es geht dem Lehrer eigentlich nicht um die Person Simon, die kennt er nach eigener Aussage ja auch gar nicht, sondern stellt Erkenntnisse durch Hörensagen (Johanna) als unumstössliche Fakten in den Raum und baut darauf seine Belehrung in Objektivität zur Daumen-Hoch-oder-Runter-Beurteilung.

@Chutneys Vergleich mit einer Politiker-Rede trifft es ganz gut. Rhetorisch geschickt (ver-)wickelt er seine Hörerschaft in diese eine Gewissensfrage, jetzt sei der Moment, Variante B in Zweifel zu stellen. Durch mehrfaches Rückfragen bei Johanna macht er sie zur ungefragten Komplizin seiner Mission, auch hier dieses Machtgehabe, ganz der wissende und sachliche Entscheidungsberater zu sein.

[Funfact]
Interessanterweise ist heute ein Artikel in meiner Tageszeitung "Der Bund" erschienen, in dem (Schweizer Föderalismus sei Dank) kantonale Unterschiede beim Übertritt ins Gymnasium beleuchtet werden. Zum Beispiel muss im Kanton Zürich jeder Schüler und jede Schülerin eine Prüfung ablegen, wogegen im Kanton Bern eine Empfehlung der Lehrperson reicht. 63 Prozent kommen so über eine Empfehlung ins Gymnasium, heisst aber auch, 37 schaffen es im Nachhinein – ohne Segen der Lehrpersonen. Werden da also SchülerInnen falsch eingeschätzt?

Das hat jetzt nicht direkt mit deinem Text zu tun, denn dir ging es ja in erster Linie um den Vortrag des Lehrers und seiner beweihräuchernden Selbstgerechtigkeit. (Zitat:"aber es musste sein, weil auch ich will meine Verantwortung wahrnehmen.")
Aber es zeigt, dein Text ist gesellschaftlich relevant und lässt mich länger über das Thema nachdenken, da es auch in anderen Bereichen des Lebens, wo es zu Beurteilungen kommt (z.B. Eignungstests vs. Vorstellungsgespräche) zum Tragen kommt.

, wenn eine oder einer den geforderten Notenschnitt hat, auch wenn er oder sie nie im Unterricht aufkreuzt und bei der einen oder beim anderen von uns – ich sehe niemanden an, ich hebe den Kopf und blicke an die Decke – eine gute Vortragsnote erschnorrt hat, mit Dackelblick oder Babyrobbenblick oder was unsere Schülerinnen und Schüler sonst noch alles drauf haben.
Da du eingangs die Satzzeichen für direkte Rede verwendest, irritierte mich hier der Einschub des Erzählers. Besser für den Lesefluss fände ich daher eine klare Abgrenzug zum Monolog.
Varianten:
"[...] oder beim anderen von uns – ", ich sehe niemanden an, hebe den Kopf und blicke an die Decke, " – eine gute Vortragsnote erschnorrt hat, [...]"

"[...] oder beim anderen von uns – (ich sehe niemanden an, hebe den Kopf und blicke an die Decke) – eine gute Vortragsnote erschnorrt hat, [...]"


, er hat nicht in Alternativen gedacht, so wie wir das jetzt tun und wie es für einen Jungen im Jahr vor der Maturprüfung angemessen ist.
denkt man nicht eher an Alternativen?

Schön, wieder etwas von dir gelesen zu haben.
Liebe Grüsse, dot

 
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schön, mal wieder was von dir zu lesen. Schön, hier überhaupt mal wieder etwas zu lesen
Ja, lieber Bas. Wie schön, dass sich die weiträumigen Bahnen, auf denen wir uns gerade im Forum bewegen, hier unter diesem Text kreuzen. Gestreift haben sie sich bereits in deinem stacheligen Text, aber davon kannst du nicht wissen.
In dem Monolog steckt viel von dem Lehrerbild drin, das mich schon damals irritiert hat, besonders in der Art und Weise, wie da geredet wird, von wo da geredet wird - möglicherweise von ein bisschen zu weit oben, meine ich.
Fast habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich habe mir schon das eine oder andere mal gedacht, dass viele, die hier schreiben, offenbar nicht viel Gutes mit ihrer Schulzeit verbinden und der Beruf des Lehrers nicht gerade viel Ansehen geniesst. Ich weiss nicht, ob das länderspezifisch ist, aber dort, wo ich lebe, bekomme ich das nur selten zu hören. Und auch für mich persönlich gilt: Die Schule hat mir das Leben gerettet, in gewisser Hinsicht. Eigentlich sollte ich also eher bestrebt sein, ein Gegenbild zu entwerfen, die positiven Seiten herauszustreichen. Leider vermag ich schreibend fast nie die positiven Seiten von irgendwas herauszustreichen. :D Und so ist es nun dieser Text, der hier steht, und keiner, welcher der Mehrheit der Lehrpersonen, die ich kenne, gerecht wird.
Schwingt man solch leidenschaftliche Reden wirklich nur zu dem Zweck, sich am Abend einen auf das Bild der stumm lauschenden Kollegen runterholen zu können? Möglich. Aber ist das etwas, was einen über Jahre jeden Tag aufs Neue antreibt? Ich weiß nicht. Ich will es nicht glauben.
Haha, exakt diese Formulierung habe ich damals nach der Notenkonferenz, die Anlass für diesen Text gewesen ist, einer Kollegin gegenüber auch verwendet und danach habe ich mir gedacht, ui, das war jetzt ein wenig derb. Schön also, das jetzt von dir zu lesen. :D Ja, diese Fragen habe ich mir da auch gestellt. Was treibt Sammy an? Wie gesagt, ich denke, es sind nur wenige, die so ticken, aber die wenigen werfen halt Fragen auf.
Ich sehe da auch eine diskursive Taktik, die über das Unterrichtsgeschehen hinausweist, die Rede von der Eigenverantwortung und den Krücken, die man wegschlagen sollte, wird ja auch vorgebracht, wenn es z.B. um die Grenzen des Sozialstaats geht. Auch in diesen Debatten finde ich das Wie oftmals bemerkenswerter als das Was. Das mag womöglich als weitere Rechtfertigung für die Existenz dieses Textes gelten.
Damit will ich, mal ab von meinem persönlichen Bezug sagen, dass dein Text für mich in seiner Kürze gut funktioniert, diese Ambivalenz wird deutlich transportiert und schlägt für meinen Geschmack nicht zu stark in eine bestimmte Richtung aus, ja, man kann den Text auf diese oder auf jene Weise lesen und beides wäre richtig und beides wäre falsch
Sehr schön.
schon, dass er Fragen aufwirft, macht ihn für mein Empfinden lesenswert.
Mehr soll und kann der Text nicht leisten, der hat schon seine Grenzen, wie @Chutneys Kommentar zeigt. Es freut mich, dass er das zumindest geschafft hat.

Vielen Dank für diese Rückmeldung nahe am Text und nahe am Fall!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @Chutney

Wie schön, von dir zu lesen! Ich habe mich sehr darüber gefreut.

zuerst dachte ich: "Naja, Kurzgeschichte?"
Hehe, ich bin froh, habt ihr den Text überhaupt stehen lassen. :)
Was wir über Simon erfahren, sind eher distanziert formulierte Allgemeinplätze und Reaktionen aus zweiter Hand. Was für Alternativen oder Möglichkeiten es wirklich für ihn gäbe, kann ich deshalb nicht bedenken. Es geht also um den Lehrer.
Der Fokus. Hab kürzlich das Fotografieren entdeckt und statt diszipliniert zu schreiben, robbe ich auf der Suche nach guten Motiven im Gras herum. Scharfstellen geht da nur im Milimeterbereich. Lustigerweise mache ich mir nun auch Gedanken, wie das so ist bei Texten. Ja, Simon soll hier ganz bewusst im Vagen bleiben, damit er nicht ablenkt vom Ich-Erzähler, um den es - ausschliesslich - geht.
Ich frage mich, was seine wahre Intention ist. Immerhin ist es ihm so wichtig, dass er extra aufsteht, was offenbar auch für ihn ungewöhnlich ist. Will er sich für den Schulleiterposten in Stellung bringen? Will er die Kollegin Johanna schützen oder beeindrucken? Hat es was mit seiner Biographie zu tun? Ist es reine Eitelkeit? Hier finde ich aber in deinem Text keinen Haken.
Ich wollte den Ich-Erzähler gewissermassen unter die Lupe nehmen, nur hinschauen, ohne Gegenspieler, ohne Gegengewicht, ohne Anhaltspunkte, die helfen könnten, seine Motive aus dem Text heraus zu erschliessen. Ist mehr ein Bild und in dieser Hinsicht natürlich auch sehr statisch. Schon oft habe ich mir gedacht, dass viele Autor:innen interessante Figuren entwickeln, dann aber nichts mit ihnen anzufangen wissen. Da habe ich mich nun also definitiv eingereiht und deine Rückmeldung hat mir geholfen, die Grenzen dessen, was der Text zu leisten vermag, deutlicher zu sehen.
Noch interessanter fände ich es halt, wenn jetzt noch was passieren würde, oder gezeigt würde, was ihn in Frage stellt.
Das verstehe ich gut.

Hab vielen Dank für deine Einschätzung, für die wohlwollende und dennoch klare Kritik!

Lieber @dotslash

Rhetorisch geschickt (ver-)wickelt er seine Hörerschaft in diese eine Gewissensfrage
Hehe, ist ja dann doch auch ein Kompliment. :)
Durch mehrfaches Rückfragen bei Johanna macht er sie zur ungefragten Komplizin seiner Mission, auch hier dieses Machtgehabe, ganz der wissende und sachliche Entscheidungsberater zu sein.
Das ist mir in dieser Deutlichkeit gar nicht bewusst gewesen, aber ja, natürlich!
Zum Beispiel muss im Kanton Zürich jeder Schüler und jede Schülerin eine Prüfung ablegen, wogegen im Kanton Bern eine Empfehlung der Lehrperson reicht. 63 Prozent kommen so über eine Empfehlung ins Gymnasium, heisst aber auch, 37 schaffen es im Nachhinein – ohne Segen der Lehrpersonen. Werden da also SchülerInnen falsch eingeschätzt?
Grosses Fass! Ich hab mich mal einigermassen intensiv mit Bildungsgerechtigkeit in der Schweiz auseinandergesetzt und das ist keine schöne Sache. Auf der individuellen Ebene spielt das Statuserhaltungsmotiv der Eltern eine enorme Rolle und die gut gebildeten und/oder wohlhabenden tun halt im Schnitt mehr dafür, dass ihr Kind empfohlen wird. Am überraschendsten für mich war damals die Erkenntnis, dass die zahlreichen Brückenangebote die formale Chancengleichheit zwar erhöhen, faktisch aber die Ungleichheit verstärken. Dabei liegt es auf der Hand: Die Opportunitätskosten (und zum Teil auch die direkten Kosten) einer Weiterbildung sind so hoch, dass man sich das leisten können muss.
Aber es zeigt, dein Text ist gesellschaftlich relevant und lässt mich länger über das Thema nachdenken, da es auch in anderen Bereichen des Lebens, wo es zu Beurteilungen kommt (z.B. Eignungstests vs. Vorstellungsgespräche) zum Tragen kommt.
Es freut mich, dass du das schreibst. Es war eine Hoffnung von mir, dass man den Text so lesen kann, dass er nicht nur von der Schule handelt und nicht nur von Lehrern.
Da du eingangs die Satzzeichen für direkte Rede verwendest, irritierte mich hier der Einschub des Erzählers.
Das ist kein Einschub, der sagt das zu seinem Publikum. :D
denkt man nicht eher an Alternativen?

In meiner Wahrnehmung heisst "in Alternativen" denken, dass man gleichzeitig an mehrere Möglichkeiten denkt. Ich glaube, das kann man so schreiben.

Tausend Dank für deinen schönen Kommentar!

Lieber Gruss an euch beide
Peeperkorn

 

Nun denn. Das steht nicht zur Debatte. Zur Debatte steht, wie wir angesichts des vorliegenden prekären Notenbilds verfahren sollen.

Moin Peter,

ich arbeite mich gerade durch Gordons Lish Notizen, bzw durch Notizen, die in den 90ern ein Autor während seines Workshops gemacht hat. Es ist so, manchmal dachte ich schon, ich sei radikal mit Kürzen und Komprimieren, aber gegen Gordon sind wir alles Waisenknaben!
Er prägt bei mir vor allem die Idee von dem, was er attack sentence nennt; die zieht den Leser rein, die soll offen und in alle Richtungen gehen können, und man solle tunlichst vermeiden, die Struktur "Einführende Narration plus Dialog" zu verwenden, weil das ist A + B = C und somit weak writing, sondern es eher so gestalten, von A1 zu A2 zu A3, dem Leser halt nie zu viel zu offenbaren, nie zu viel zu verraten. (Ich habe es auch noch nicht ganz durchblickt!)

Das o.g wäre meine attack sentence.

er sitzt nicht in meinen Klassen, ich kenne ihn nicht und das ist gut, denn wir alle haben Vorurteile, ist es nicht so? Lassen uns beeinflussen von Verhalten und Erscheinung, Dingen, die rein gar nichts mit Leistung zu tun haben.
Ich würde Vorurteile rausnehmen, denn wenn man sich von Verhalten und Erscheinung beeinflussen lässt, ist das ein Vorurteil. Auch, dass man das so offen und unumwunden zugibt, weißt? Kann man machen, aber es kommt eben auch darauf an, wie du den Lehrer hier gestalten willst, ob er so ein nassforscher Typ ist.

ie Noten bleiben, wie sie sind, und Simon verlässt per sofort unsere Schule und macht, na ja, Johanna hat es vorhin erläutert, Simon wird wahrscheinlich nichts machen, er hat nicht in Alternativen gedacht, so wie wir das jetzt tun und wie es für einen Jungen im Jahr vor der Maturprüfung angemessen ist. In Simons Kopf gibt es offenbar nur abzweigungslose Einbahn, falls Zukunft überhaupt Platz hat in seinem Kopf, und dieses Mal hat er sich verzockt. Er plant weder die Schule zu wechseln, noch eine Lehre zu beginnen. Vorläufig wird er also daheimsitzen und am PC spielen, was er ja jetzt schon die meiste Zeit tut, hat Johanna vorhin erklärt. Wird im Kifferdunst hocken, in seinem trostlosen Elternhaus, trostlos hast du gesagt, Johanna, stimmt’s? Tja. Das wäre also Variante A.
Explanation. Das Problem bei einer sich erklärenden Einheit scheint mir zu sein, dass es irgendwie sentimental wirkt, und es, was wichtiger für mich persönlich ist, auch die Mysterie, das Geheimnis wegnimmt. Hier ist schon alles klar: Simon ist als Charakter sofort fertig, und dann wird es aber nicht durch ein Bild, eine Anekdote oder die Stimmung unterhalb der Lehrerschaft gezeigt; einer schüttelt den Kopf, ein anderer räuspert sich und macht eine wegwerfende Handbewegung (egal, nur Beispiele), sondern wir wird erklärt. wie und warum das mit dem so weitergeht. Natürlich ist die Frage, was du mit dem Text machen willst, wenn das genau dein Ziel ist.

Es ist ein Monolog. Im Grunde fast schon mit einer libertären Haltung; er ist gesund, er braucht keine Krücken, er soll das selbst herausfinden, was Konsequenz ist. Das finde ich eine gute Idee! Ich würde es wirklich ganz konsequent als Monolog gestalten; die beginnende Narration wegreduzieren. Ich würde es vielleicht sogar noch intimer machen, dass es quasi ein einseitger Monolog/Dialog mit diesem Severin, dem anderen betroffenen Lehrer wird, der halt nur nicht beantwortet wird von diesem, er wird einfach überfahren. In so einem Zwiegespräch sind eben auch andere sprachliche Mittel möglich, man kann wahrer sprechen, denke ich, der Konflikt liegt ja hier auch vor allem in dem, was sich sonst von keinem anderen ermeßen lässt, ein Lehrer oder die Lehrerschaft ist zwiegespalten, können sie das tun?, wollen sie das tun?, wäre es besser, wenn Simon geht und sie ihn gegangen werden lassen, um es mal auf gut deutsch zu sagen? Das sind ja ethische Kernprobleme, die hier verhandelt werden, und da hast du die volle Autorität, weil du dich da auskennst. Mir fehlt hier ein wenig nicht der Insight, aber das Intime, es erscheint mir wie etwas, über das du schreibst, und nicht wie etwas aus deinem Herzen heraus. Vielleicht wäre mutig ein gutes Wort. Am Ende müsste es auch ein Ergebis geben, der Lehrer sagt: Pass mal auf, schön und gut, aber der Simon, das geht nicht mehr, nee. Das da eine Konklusion steht, dass da etwas noch nach der Gleichung kommt, das muss nicht explizit sein, aber eine vage Tendenz, dass man eventuell liest: die haben sich ja schon entschieden, die reden sich das nur schön.

Ja, sind so meine Gedanken zum Text.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @jimmysalaryman

Kürzlich habe ich von einem verlorenen Jahr gesprochen (Ich habe nochmal für zwei Semester ein Unterrichtspensum übernommen). Dazu passt, dass ich deinen Kommentar zwar gesehen, danach aber wieder vergessen habe. Sorry! Jetzt ist das Schuljahr aber bald vorüber und voilà, endlich habe ich den Text überarbeitet. Deine Hinweise waren dabei sehr hilfreich.

radikal mit Kürzen und Komprimieren
Kam zunächst quer rein, weil der Typ ja geschwätzig gezeichnet werden soll, aber hier dann ...
Ich würde es wirklich ganz konsequent als Monolog gestalten; die beginnende Narration wegreduzieren.
Aber ja doch! Klingt billig, aber ich habe den Rahmen nachträglich hinzugefügt, damit es mehr nach Kurzgeschichte klingt, aber das war eine blöde Idee. Ist jetzt nur noch der Monolog.
meine attack sentence
Hab ich so gemacht, sehr guter Vorschlag.
Ich würde Vorurteile rausnehmen, denn wenn man sich von Verhalten und Erscheinung beeinflussen lässt, ist das ein Vorurteil.
Ebenfalls so gemacht.
Explanation. Das Problem bei einer sich erklärenden Einheit scheint mir zu sein, dass es irgendwie sentimental wirkt, und es, was wichtiger für mich persönlich ist, auch die Mysterie, das Geheimnis wegnimmt. Hier ist schon alles klar: Simon ist als Charakter sofort fertig
Natürlich! Ist weg.
Ich würde es vielleicht sogar noch intimer machen, dass es quasi ein einseitger Monolog/Dialog mit diesem Severin, dem anderen betroffenen Lehrer wird, der halt nur nicht beantwortet wird von diesem, er wird einfach überfahren. In so einem Zwiegespräch sind eben auch andere sprachliche Mittel möglich, man kann wahrer sprechen, denke ich, der Konflikt liegt ja hier auch vor allem in dem, was sich sonst von keinem anderen ermeßen lässt, ein Lehrer oder die Lehrerschaft ist zwiegespalten, können sie das tun?, wollen sie das tun?
Das ist ein spannender Punkt, der von meinen Intentionen wegführt. Ich wollte gerade diesen halböffentlichen Charakter des Monologs haben. Da steht einer vor dem Kollegium und hält eine Rede und es ist nicht klar, was das Ziel dieser Rede ist. Tatsächlich zur Entscheidung beitragen? Oder lediglich das eigene pädagogische Ethos darlegen? Wenn ja, wem gegenüber genau? Darin lag für mich gerade der Reiz, dieser öffentliche Monolog. Genauso reizvoll wäre es jetzt natürlich, das intime Gegenstück, das vorher oder nachher stattfindet, auch noch zu schreiben.
Am Ende müsste es auch ein Ergebis geben, der Lehrer sagt: Pass mal auf, schön und gut, aber der Simon, das geht nicht mehr, nee.
Da habe ich davon Abstand genommen, weil das nicht der Fokus ist. Aber ich sehe schon, dass das Ende unrund wirkt, zu weich, zu vage. Habe da jetzt etwas nachgeschärft.

Hey, vielen Dank. Wie immer ein wertvoller Kommentar von dir!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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