Der Fernseher
Mein Gott, was ist das heute wieder für ein Heiligabend? Das Essen mit meinen Eltern habe ich wieder einmal hinter mich gebracht, und jetzt gilt es, die Stunden bis zur Bescherung tot zu schlagen. Sie halten an der Tradition fest, das all die Geschenke erst kurz vor der Christmette ausgebreitete und weitergegeben werden sollen. Nun gut, vielleicht kann mir der Fernseher etwas Abwechslung verschaffen.
Oh nein! Weihnachtsmusik! Ich kann es nicht mehr hören! Seit Wochen dröhnt es in der ganzen Stadt aus allen Lautsprechern! Nichts wie umschalten!
Und wieder einmal muß ich feststellen, daß Weihnachten ist. Das Fernsehbild ist geprägt von Blut! Wieder einmal bringen sie einen dieser wunderschönen Actionfilme, in denen irgend ein namenloser Superheld unzählige Menschen abschlachtet. Irgendwie ist es schon witzig, daß sie gerade an Weihnachten so viel Action und Horror bringen. Aber irgendwie habe ich heute gar keinen Bock auf so etwas. Also, schalten wir um.
Wenn ich nicht gerade gegessen hätte, dann könnte ich glatt schon wieder Hunger bekommen. Der Fernsehkoch bereitet gerade eine Weihnachtsgans zu, so schön braun und rund und knusprig! Sind sie dafür nicht schon ein wenig zu spät dran? Naja, schalten wir weiter.
Und schon wieder ist etwas braunes, rundes auf dem Bildschirm zu sehen. Aber da könnte einem ja glatt der Appetit vergehen. Bringen die doch glatt schon wieder etwas über diese halb verhungerten Kinder in Afrika. Die denken wohl, wenn sie an Weihnachten ein wenig auf die Tränendrüse drücken, dann werden die Leute sentimental genug, wieder etwas für diese Leute da unten zu spenden. Das ist kein Programm für mich. Umschalten!
Und wieder Weihnachtsmusik! Das grenzt schon fast an Folter, wie sie einen ständig mit diesem Sound bombardieren. Nichts wie weiter!
Ach Gott, der Fernsehpfarrer oder -kardinal oder sonst irgendein komischer Heiliger erzählt uns, das wir auf andere zugehen und an Weihnachten auch mal für die Armen da sein sollen. Die bräuchten doch nur einer geregelten Arbeit nachzugehen! Meine Eltern haben doch auch für all das geschuftet, was sie heute haben. Warum sollten sie denn dann ihr sauer verdientes Geld ausgerechnet diesem faulen, nichtsnutzigen Pack in den Rachen werfen? Ach, schalten wir einfach um.
Na also, so langsam finde ich ja doch einmal etwas passendes. Das ist auch wieder typisch für Weihnachten, daß ein Sexfilm nach dem anderen in der Glotze kommt. Das geht aber leider erst seit vier oder fünf Jahren so. Aber eigentlich ist es noch zu früh, um sich so etwas anzusehen. Was wäre wohl, wenn meine Mutter plötzlich ins Zimmer platzen würde? Nicht auszudenken! Diese Peinlichkeit möchte ich mir lieber ersparen. Also, schalten wir wieder einmal um!
Und wieder eine jener langweiligen Reportagen! "Weihnachten im Altersheim"! Es geht darum, wieviele Familien ihre Alten selbst an den Feiertagen der Obhut des Altersheims überlassen, nur weil sie es nicht haben können, wenn die alte sabbernde Oma am Tisch sitzt und von den "guten alten Zeiten" berichtet, als es noch etwas besonderes war, wenn man selbst gestrickte Socken oder Schals oder auch nur eine Orange zu Weihnachten bekam. Bei uns würde es so etwas ja nie geben! Schade eigentlich, daß meine Großeltern schon alle tot sind. Denn meine Eltern sind natürlich immer für die Familie. Zumindest für den engsten Kreis, denn mein Vater hat seine Tante auch in ein Altersheim gesteckt. Aber die mochte sowieso nie jemand.
Gerade höre ich, daß meine Mutter ruft. Endlich ist es Zeit für die Bescherung! Na dann, Fernseher aus und ab ins Getümmel. Es ist wirklich immer wieder schön, die Vorzüge des Weihnachtsfestes zu genießen. Und übrigens:
Fröhliche Weihnachten!